12. Verhandlungstag

Fortsetzung der Verhandlung am Mittwoch, den 2. Juli 1975, 9.00 Uhr



[900] Fortsetzung der Verhandlung am Mittwoch, den 2. Juli 1975, 9.00 Uhr.

(12. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte waren anwesend:

Just. Sekr. Janetzko,

Just. Ass. z. A. Scholze.

Die Angeklagten waren anwesend mit ihren Verteidigern:

Rechtsanwälte Schily, Becker, Dr. Heldmann, Riedel, v[on] Plottnitz, Eggler, Künzel, Schwarz, Schlaegel, König, Linke, Grigat.

Vors.:

Ich sehe, was die Besetzung anlangt, sind wir in der bisherigen Besetzung mit Ausnahme von Herrn RA Schnabel. Er ist durch eine Schwurgerichtssitzung verhindert und hat sich deshalb entschuldigt.

Es ist beabsichtigt, daß wir zur Vernehmung zur Person[1] kommen. Ich sehe aber, Herr RA Riedel, wollen Sie einen Antrag stellen? Kein Antrag.

Herr RA v[on] Plottnitz, bitte.

Frau Ensslin, jetzt, wer möchte etwas sagen? Herr RA v[on] Plottnitz?

RA v[on] Pl[ottntiz]:

Nein. Ich wußte nicht, daß Frau Ensslin zunächst ...

Vors.:

Bitte, Frau Ensslin.

Angekl. Enss[lin]:

Ich habe als Gegenvorstellung[2] gegen ihre Ablehnung des Antrags,

Künzel aus dem Saal zu weisen.[3]

Folgendes:

[901] Es kann Ihnen ja nicht entgangen sein - und die zwei Sekunden, die Sie zur Ablehnung brauchten, beweisen es schließlich nur - dieser Zwangsverteidiger[4] hat einen Ablehnungsantrag, den ich, also wir, gestellt und möglicherweise sogar konzipiert haben, den Schily nur vorgetragen hat für mich, dazu benutzt, gegen Schily vorzugehen zu der Infamie, Schily ehrengerichtlich belangen zu wollen.[5]

Mal abgesehen von der Dummheit, die sich darin zeigt ...

Vors.:

Frau Ensslin, bitte mäßigen Sie sich.

Angekl. Enss[lin]:

Künzel ist offensichtlich die dümmste dieser Figuren da drüben, und auch abgesehen davon, daß ...

Vors.:

Frau Ensslin, ich verwarne Sie entschieden. Wenn Sie weiterhin in diesem beleidigenden Ton Ihre Gegenvorstellung Vorbringen, wären wir gezwungen, Sie daran zu hindern, indem wir Ihnen das Wort entziehen.

Angekl. Enss[lin]:

Und auch abgesehen davon, daß Sie das interessieren müßte, hat er darin genau das deutlich gemacht, worum es geht: die Argumentation zur Verteidigung und von den Angekl. zu unterdrücken.

Er hat das genau in der Funktion unternommen, in die er von der B. Anwaltschaft für die Ziele der B. Anwaltschaft hier eingesetzt ... da drüben hingesetzt wurde gegen die Verteidigung, um an ihre Stelle endlich sich - die Staatsschutzverteidigung - zu setzen; und das ist natürlich auch der Sinn der Dummheit.

Ich lese dauernd in den Zeitungen, wir würden diese Figuren da drüben hassen. Das ist natürlich lächerlich. Wir wehren uns nur, und wir sind bemüht, das zu vermitteln durch die geschlossene staatstragende Presse gegen die Funktion, in der sie hier sitzen, zu der sie ausgesucht wurden und für die sie bezahlt werden, weil Argumente nicht boykottiert werden mit Gesten. Sie verteidigen nicht uns - und inzwischen kommt vermutlich auch niemand mehr auf die Idee -, sie sind ein Mittel, [902] ein Instrument der B. Anwaltschaft und des Gerichts gegen uns. Die B. Anwaltschaft und das Gericht wollen den Prozeß ohne Angekl. und ohne Verteidigung, den es in keinem anderen Staat gibt und auch nicht gab.

Das ist es, was Prinzing gestern auch klargemacht hat, als er das Wort entzog. Seine wiederholte Drohung, Andreas auszuschließen, zielt auf nichts anderes als das; denn das ist ihm natürlich klar, daß er nicht einen von uns hier ausschließen will ... wird. Hinter der Maske, mit der er das Gegenteil vortäuschen will, dieser Verbindlichkeit, mit der er kaum weniger als seine Verantwortung für die Ermordung von Holger[6] mit der Presse teilen kann - und wenn das kein Mißverständnis war, ganz sicher mit keinem der Anwälte hier wird teilen können - steckt nichts anderes als dieses Ziel, endlich zu dem Prozeß zu kommen, zu dessen Vorbereitung Buback[7] drei Jahre gebraucht hat und Sondergesetze,[8] kriminalisierte und verhaftete Verteidiger,[9] ausgeräumte Zellen, versiegelte Anwaltsbüros; zu dem Prozeß mit Angekl., die tot sind; zu dem Prozeß mit Angekl., die nicht reden, weil es natürlich auch mal sinnlos wird und wir daran auch die Lust verlieren; der faschistischen Macht, die sich im Grinsen Wideras, in den Knöpfen, die nur einen Verhandlungstag lang für die Kosmetik ausgeschaltet waren, darstellt und die Prinzing zynisch und brutal praktiziert, mit Reden begegnen zu wollen. Es gehört in den Zusammenhang, den herzustellen Prinzing zu verhindern versucht, indem er - allerdings nicht ohne das, was es verhindern soll, und wie wir gesagt haben, immer besser, als wir es hier könnten, auf seine Weise zu besorgen - das Wort entzieht. Es saß gestern hier ein Arzt - und nicht zum ersten Mal - ein Staatsarzt, obwohl der Senat einen anderen Arzt und Gutachter als Henck[10] in dessen Funktion als Gefängnisarzt die Durchführung der Vernichtungshaft in der Form ihrer Überwachung ...

Vors.:

Frau Ensslin, würden Sie bitte sich bei dem Thema halten, das Sie sich selbst gestellt haben:

[903] Gegenvorstellung gegen die Verfügung, die ergangen ist bezüglich des Antrags, Herrn RA Künzel hier als Pflichtverteidiger wieder zu entpflichten.

Angekl. Enss[lin]:

Ich komme unmittelbar auf ihn zurück. Es ist der Zusammenhang, der Sie stört, immer,

obwohl der Senat einen anderen Arzt und Gutachter als Henck zuzulassen, abgelehnt hat, und gleichzeitig mit der Ablehnung hat Prinzing Rauschke[11] hier hingesetzt. Es ist der Arzt, der sich auf diesen Platz für dieses Verfahren empfohlen hat. Er hat ein Gutachten über den Tod von Siegfried[12] gefälscht[13] und das, nachdem an der Todesursache aufgrund der Aussage ...

Vors.:

Frau Ensslin, ich fordere Sie zum letzten Mal auf, sich zu mäßigen. Sie haben nicht das Recht, hier jeden, der irgendwie mit dem Prozeß befaßt ist - sei es nur im Auftrag des Gerichts - zu beschimpfen, ihm Fälschungen und dergleichen zu unterstellen; das sind beleidigende Äußerungen, die wir in keiner Weise hinnehmen können.

Im Interesse Ihrer Ausführungen, die Sie durchaus vortragen sollen, bitte ich Sie:

Mäßigen Sie sich, sonst wird Ihnen das Wort entzogen.

Angekl. Enss[lin]:

Stimmt es nicht, daß dieser Arzt ...

Vors.:

Ich habe jetzt nicht die Absicht, Fragen von Ihnen zu beantworten. Ich bitte Sie: Mäßigen Sie sich und tragen Sie das, was Sie vortragen wollen, in der gebührenden Form vor. Wir können das nicht hinnehmen.

Angekl. Enss[lin]:

Ist es ... Na schön.

... aufgrund der Aussage allein Hencks, und die Frage war, die Sie zu beantworten haben, ist:

ob das nicht der Arzt ist, der die Obduktion von Siegfried durchgeführt hat und zu einem Ergebnis kam, das dem Hencks widersprach.

[904] Vors.:

Ich habe keine Frage zu beantworten. Sie sind dran, Ihre Argumente vorzutragen, und das können Sie tun, aber Sie müssen’s in der gebührenden Form tun.

Angekl. Enss[lin]:

Wideras Geständnis[14] kam später; kein Zweifel mehr bestand wie es ist: An staatlich geplantem Mord ist nicht nur ein Arzt, nicht nur ein Richter und nicht nur ein Staatsanwalt beteiligt.

Daß Prinzing Rauschke hier hinsetzt, beweist seine Beteiligung an Holgers Ermordung.

Vors.:

Was hat das mit dem Antrag zu tun?

Angekl. Enss[lin]:

Das hat damit zu tun, daß Künzel einen Antrag, in dem ich Sie ablehne wegen Beteiligung an der Ermordung von Holger, als Rechtsmißbrauch bezeichnet hat. Darum geht es.

Vors.:

Was hat das jetzt mit dem zu tun, daß der Herr Prof. Dr. Rauschke hier an der Sitzung teilnimmt?

Angekl. Enss[lin]:

Das ist der Zusammenhang.

Vors.:

Ich sehe ihn nicht

Angekl. Enss[lin]:

Sie hören besser zu, dann verstehen Sie vielleicht! Auch das mal!

Er war gestern da, und das war nicht das erste Mal.

Er war ... Unmittelbar am folgenden Tag, nachdem das Gericht einen anderen Gutachter als Henck abgelehnt hat, einen anderen Arzt hinzusetzen, als Henck abgelehnt hat, saß Rauschke hier; und Rauschke ist der Arzt, der ein Gutachten gefälscht hat, nachdem der Arzt, der es wissen muß, Henck ...

Vors.:

Frau Ensslin, ich kann Sie in dieser Form nicht weiterreden lassen. Sie beleidigen hier Beteiligte, die sich nicht mal wehren können. Sie sind nicht anwesend.

[905] Angekl. Enss[lin]:

Es geht darum, daß Künzel einen Antrag, den ich gestellt habe, und den Schily für mich vorgetragen hat, als Rechtsmißbrauch bezeichnet hat; ein Antrag, ein Ablehnungsantrag, dessen Berechtigung und dessen Recht Sie bewiesen haben dadurch, daß Sie Rauschke hier hinsetzen.

Vors.:

Frau Ensslin, Sie haben - und ich wiederhole das jetzt zum letzten Mal - nicht das Recht, einen Gutachter, der nun ein Leben lang Gutachten gemacht hat, und soweit das Gericht das beurteilen kann, nach bestem Wissen und Gewissen, hier der Fälschung und dergleichen zu bezichtigen.

Angekl. Enss[lin]:

Hören Sie einfach zu Ende, würde ich sagen.

Vors.:

Ich würde eher sagen, daß Sie dann davon reden könnten in der Form, wenn Sie schon glauben, es sei ein unrichtiges Gutachten, es sei unrichtig oder sonst irgend etwas, nicht wahr? Der Vorwurf der Fälschung ist das, was die Beleidigung ausmacht. Wenn Sie es als Tatsache ansehen, daß an dem Gutachten irgend etwas unrichtig ist, kann man es auch in der Form erwähnen. Wir wollen Ihnen ja das Wort nicht abschneiden, aber wir werden Sie dazu nötigen müssen, daß Sie sich an die Form halten, die wir zulassen können.

Angekl. Enss[lin]:

Es geht darum, daß es über die Todesursache von Siegfried drei Gutachten und drei Aussagen gibt; und es geht darum, für welche Sie sich entschieden haben, indem Sie Rauschke hier hingesetzt haben.

Vors.:

Wir haben überhaupt gar kein Interesse gehabt, irgend etwas mit den Gutachten, betreffend den Siegried Hausner, zu tun zu haben.

Angekl. Enssl[in]:

Sie haben dazugelernt, daß es für Sie besser ist, wenn Sie hier einen Arzt hinsetzen. So sicher Sie sich unserer Verhaftung sind, weil Sie ja an ihr beteiligt sind, so sicher wollen [906] Sie den Fragen und den Tatsachen vorbauen, die Sie mit derselben Sicherheit auf sich zukommen sehen. Darum geht es ...

Vors.:

Damit ist Ihnen das Wort entzogen wegen Mißbrauchs.

Herr RA Künzel, Sie wollen keine Äußerung dazu abgeben?

Soll sonst irgendwas dazu gesagt werden?

Bitte, die B. Anwaltschaft.

BA Dr. Wu[nder]:

Ich beantrage,

die Gegenvorstellungen aus den Gründen des Ablehnungsbeschlusses zurückzuweisen.

Sie sind unzulässig, weil sie gegenüber dem ursprünglichen Antrag zusätzlich nur Beleidigungen und Polemik enthalten.

Vors.:

Die Gegenvorstellung wird abgelehnt.

Der Vortrag ließ nichts erkennen, was Anlaß hätte geben können, die gestrige Verfügung zu ändern.

Damit, glaube ich, könnten wir jetzt ...

Herr RA Dr. Heldmann, bitte.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich bitte,

für meinen Mandanten Andreas Baader, Besuchserlaubnis zu erteilen für Herrn Prof. Dr. Sjef Teuns.

Vors.:

Herr RA, das hat nun mit der Hauptverhandlung nichts zu tun. Ich bitte, das außerhalb der Hauptverhandlung dann zu klären.

RA Dr. He[ldmann]:

Darf ich Ihnen erklären, worum es mit der Hauptverhandlung zu tun hat?

Vors.:

Nein. Was soll eine Besuchserlaubnis mit der Hauptverhandlung zu tun haben?

RA Dr. He[ldmann]:

Hat die Frage der Verhandlungsfähigkeit meines Mandanten mit der Hauptverhandlung nichts zu tun?

[907] Vors.:

Dann müssen Sie nicht von einer Besuchserlaubnis sprechen, wenn Sie etwa beabsichtigen, eine Untersuchung über die Frage der Verhandlungsunfähigkeit oder -fähigkeit herbeizuführen auf diese Weise.

RA Dr. He[ldmann]:

Besuchserlaubnis deutet darauf hin, daß Herr Prof. Teuns meinen Mandanten sprechen soll, um zu dem Ergebnis zu kommen, ob er ärztlich dem Senat zur Verhandlungsfähigkeit des Angekl. Baader etwas sagen kann.

Vors.:

Herr RA, ich beabsichtige nicht, über die Frage der Besuchserlaubnis in der Hauptverhandlung zu sprechen.

Wenn Sie einen anderen Antrag zu stellen haben, etwa in Richtung auf das, was Sie grade andeuten, dann bitte deklarieren Sie ihn richtig.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja, gut. Dann stelle ich meinen Antrag in der Weise um.

Ich beantrage:

Herrn Prof. Dr. Sjef Teuns als Sachverständigen zuzulassen zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angekl. Baader und ihm für diesen Zweck

- für den Zweck einer Exploration nämlich -

eine Besuchserlaubnis zu erteilen.

Herr Prof. Dr. Sjef Teuns ist Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie und Psychiatrie an der Universität Uetrecht und Gastprof. für Erziehungsberatung und Psychoanalyse an der Gesamthochschule Kassel. Er hat also die Qualifikationen, auf die selbst Herr Dr. Henck sich hier in seiner Vernehmung berufen hat. Herr Prof. Dr. Teuns ist anwesend.

Die tatsächlichen Voraussetzungen, meinem Antrag stattzugeben, liegen also jedenfalls vor.

Es liegen aber auch die rechtlichen Voraussetzungen vor, weil die Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angekl. Baader bis heute noch nicht beantwortet ist, daß sie aber zwingend beantwortet werden muß, ohne daß diese Frage weiter Aufschub erdulden könnte, weil die Verhandlungsfähigkeit von Angekl. Prozeßvoraussetzung ist.[15]

[908] Vors.:

Ich sehe sonst keine Äußerung mehr.

Will sich die B. Anwaltschaft sofort zu dem Antrag äußern?

BA Dr. Wu[nder]:

Die Frage der Verhandlungsfähigkeit ist unserer Auffassung nach bereits geklärt; auch die neuen Ausführungen des Herrn RA Heldmann geben keinen Anlaß, von der damaligen Entscheidung des Gerichts abzugehen. Die Voraussetzungen, die an treffende Beweismittel gestellt sind, ergeben sich im übrigen aus der StPO.

Vors.:

Darf ich zunächst feststellen:

Ist das Beweismittel anwesend, Prof. Teuns?

RA Dr. He[ldmann]:

Prof. Teuns ist anwesend.

Vors.:

Im Saal?

RA Dr.[a] He[ldmann]:

Im Saal.

Vors.:

Herr RA Schily.

RA Sch[ily]:

Ich hätte es sehr begrüßt, wenn mir auch das Wort gegeben worden wäre zu einem Antrag, den meine Mandantin gestellt hat und nicht nur der B. Anwaltschaft, zumal ich gestern nicht anwesend war und auch den Antrag selbst, der dann diese Gegenvorstellung zur Konsequenz hatte, nicht mitanhören konnte. Und ich darf doch vielleicht nochmal ergänzend zu dieser Frage der Gegenvorstellung ...

Vors.:

Nein, Herr RA, das können wir jetzt nicht tun. Wir haben im Augenblick über den anderen Antrag zu entscheiden. Das geht vor.

Außerdem:

Wir hatten bislang nicht den Eindruck, daß Sie nicht imstande wären, wenn Sie das Wort zu haben wünschten, sich zu melden. [909] Ich dachte, Frau Ensslin trägt den Antrag vor. So war’s ja wohl gesagt von Ihnen.

RA Sch[ily]:

Normalerweise ist es ja so:

Wenn ich also hier nicht groß mit den Händen fuchteln muß immer oder, was auch gerügt wird, wenn ich mir selbst das Wort nehme, dann würde ich vorschlagen, daß vielleicht doch grade bei Verfahrensgegenständen, die unmittelbar jetzt mit Frau Ensslin etwas zu tun haben, doch auch vielleicht die Frage an mich gerichtet wird als Verteidiger, ob dazu Ausführungen gewünscht werden, so, wie das gegenüber der B. Anwaltschaft auch geschieht. Ich glaube, das wäre nützlich, damit wir dann auch mit den Wortmeldungen dann vielleicht etwas zu einer Einigung gelangen.

Vors.:

Herr RA, wenn Sie das Gefühl haben, übergangen worden zu sein, darf ich Sie nun umgekehrt bitten:

Es wäre auch nützlich, sich dann in der Form zu melden, daß Sie das Wort hier durch das Mikrophon oder sonstwie ergreifen und sagen: Ich möchte noch dazu was sagen.

Aber ich bitte Sie jetzt um Verständnis. Wir wollen jetzt über den Antrag von Herrn RA Dr. Heldmann entscheiden ...

Herr RA Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Bitte geben Sie Herrn Baader das Wort zu eigener Begründung dieses Antrags.

Vors.:

Herr Baader, Sie haben das Wort. Ich darf Sie aber nochmals an das, was gestern sich ereignet hat, erinnern:

Bitte, bleiben Sie bei der Sache.

Angekl. Baa[der]:

Also. Ich wollte dazu nur nochmals sagen zu dem Teuns-Antrag, daß Henck mir gegenüber, nachdem er hier aufgetreten ist, gesagt hat, daß er durchaus bejaht eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit, zumindest nachmittags. Das hat er also mir persönlich gegenüber in der Zelle gesagt. Also zumindest würde ich annehmen, dazu müßten Sie ihn nochmals hören.

[910] Ich weise auch ausdrücklich noch einmal darauf hin, daß nach dem Protokoll in der Verhandlung vom 12.6. Henck auf die Frage, ob er eine Untersuchung der Gefangenen durch Ärzte des Vertrauens befürwortet habe - also Henck, der Gutachter - erklärt:

„Das ist, glaube ich,

- also, das ist das wörtliche Zitat -

in den letzten Tagen gerade von mir befürwortet worden, wo ich in Urlaub gegangen war, in der Form, daß pathologische oder pathogene Untersuchungsbefunde dem behandelnden Arzt mitgeteilt werden sollen, und zwar nach dem Hamburger Modell. Bitte, nach dem Hamburger Modell wird es genauso gehandhabt.“

Das also wörtlich Henck,

und - das ist S. 539 - ja.

Vors.:

Will die B. Anwaltschaft zusätzlich noch etwas äußern aufgrund dieser weiteren Begründungen?

BA Zeis:

Die B. Anwaltschaft gibt keine weitere Erklärung ab.

Vors.:

Gut. Dann werden wir uns beraten.

Das Gericht zieht sich von 9.20 Uhr bis 10.02 Uhr zur Beratung zurück.

Ende von Band 36.

[911] Nach Wiedereintritt des Senats um 10.02 Uhr wurde Folgendes verkündet:

Vors.:

Die Sitzung wird fortgesetzt. Wir haben lange Zeit benötigt, um Herrn Dr. Henck ans Telefon zu bekommen um rückzufragen, was es mit den Äußerungen auf sich hat. Das ist der Grund, warum sich die Sache so verzögert hat.

Der Senat hat beschlossen:

dem Antrag, Professor Dr. Teuns als Sachverständigen beizuziehen, wird nicht stattgegeben.

Zur Begründung:

Die Frage der Verhandlungsfähigkeit hat der Senat unter Zuziehung eines Sachverständigen geprüft und in dem Beschluß vom 18.6.1975[16] bejaht. Seither hat sich nichts geändert. Die Zuziehung weiterer Sachverständige wurde damals nicht für erforderlich gehalten, das gilt noch. Eine telefonische Anfrage beim Sachverständigen Dr. Henck hat ergeben, daß er nicht geäußert hat, bei dem Angeklagten Baader läge beschränkte Verhandlungsfähigkeit vor. Er habe dem Angeklagten lediglich empfohlen, im begründeten Einzelfall eine Pause zu beantragen. Das ist eine selbstverständliche ärztliche Empfehlung, die die Verhandlungsfähigkeit nicht in Frage stellt. Eine von der Verhandlungsfähigkeit unabhängige Frage ist, ob etwa durch den Hungerstreik[17] mögliche gesundheitliche Schäden aufgetreten sind. Nur darauf bezog sich die zitierte Äußerung des Sachverständigen Dr. Henck, er habe eine Untersuchung befürwortet. Wenn eine solche Untersuchung durch die zuständige Vollzugsbehörde in einer geeigneten Form angeordnet wird, bestehen dagegen keine Bedenken.

Damit könnten wir jetzt ... Herr Rechtsanwalt Schily, Sie waren ja noch wegen des Antrages von Frau Ensslin interessiert, sich zu äußern.

RA Sch[ily]:

Der Kollege Heldmann hat noch ... war das jetzt der logische Anschluß an diese Frage ...

[912] Vors.:

Herr Dr. Heldmann, bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich beantrage

zur Frage einer zeitlich beschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten Baader, Herrn Dr. Henck als Sachverständigen, und zwar sofort, erneut zu hören.

Sie haben Herrn Baader unrichtig zitiert, wo Sie sagten und Herrn Henck vorgehalten haben, Herr Henck habe beschränkte Verhandlungsfähigkeit bejaht. Baader hat nach meinen Notizen gesagt, Herr Henck hätte geäußert, er hält es möglich, daß der Angeklagte Baader beschränkt, und das bedeutet zeitlich beschränkt, verhandlungsfähig ist. Das also wäre das Thema, das Beweisthema meines Antrags.

1. Herrn Dr. Henck als Sachverständigen sofort erneut zu hören, zu der Frage der zeitlich beschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten Baader.

2. Herrn Dr. Henck mit dem Herrn Professor Teuns als Sachverständigen gegenüberzustellen, Grundlage dafür geben die §§ 72 i.V.m. 58 StPO[18] und Herr Professor Teuns ist hier und heute präsent

Begründung dieses Antrags.

1. Herr Dr. Henck hat als Sachverständiger in diesem Verfahren nach seinem Auftreten hier dem Angeklagten Baader gegenüber geäußert, er halte für möglich, daß Herr Baader zeitlich beschränkt nur, nicht also voll, wie das Gericht immer noch annimmt, verhandlungsfähig sei.

2. Das betrifft den zweiten Teil meines Antrags. Herr Dr. Henck als Sachverständiger hat sich gerade auf Herrn Professor Teuns als diejenige medizinische und als einzige medizinische Autorität berufen, aus deren Werken er eigene Kenntnisse zu den hier zur Erörterung gestellten medizinischen Fragen gewonnen hat.

3. Nach seinem Auftreten als Sachverständiger in diesem Verfahren über die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten hat Herr Dr. Henck als Gefängnisarzt für die Angeklagten das Medikament Monotrean verordnet, nach seinem Auftreten hier, das den Angeklagten seitdem viermal täglich verabreicht wird.

5. Die Angeklagten stellen an sich selbst fest, und das trage ich dem Gericht hier mit dem ausdrücklichen Hinweis auf volle [913] Verhandlungsfähigkeit als Verfahrensvoraussetzung vor, daß sie mit Hilfe der Waage im Bad nach einer täglichen Verhandlung hier, nach dem bisherigen Zeitplan, ein Gewichtsverlust von ca. 1 kg pro Tag verzeichnen, obgleich sie in ungewöhnlichem Maß Nahrungsmittel zu sich nehmen. Und zweitens, daß Ihre Erschöpfung nach Beendigung des Verhandlungstages hier so weit geht, daß sie von 5 Uhr an dann Schlafzeiten benötigen von 12 bis 15 Stunden. Und schließlich bitte ich den Senat eines noch einmal zu erwägen. Das Präzedenz daß Holger Meins der Arzt seines Vertrauens verweigert worden ist,[19] stimuliert ja nun nicht gerade dazu, daß nunmehr den Angeklagten, den hier verbliebenen Angeklagten ebenfalls in einer so gravierenden Frage, die diesen gesamten Prozeß betrifft, der oder die Ärzte ihres Vertrauens verweigert werden, ich meine damit, um es andersherum auszudrücken, die Folgen jener Weigerung, den Arzt des Vertrauens herbeizuziehen und zwar zur rechten Zeit, sollte davon abschrecken, dieser Methode in diesem Fall erneut zu folgen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Sch[ily]:

Ich schließe mich dem Antrag für Gudrun Ensslin ausdrücklich an. Ich darf auch vielleicht noch ganz kurz ergänzend darauf hinweisen. Wenn der Kollege Heldmann hier ausgeführt hat, daß die Anstrengung, die mit der Anwesenheit hier in dem Verfahren in der Hauptverhandlung verbunden ist, so groß ist, daß angesichts des reduzierten körperlichen Zustandes, daß also ein Schlafbedürfnis entsteht von 12 und mehr Stunden, daß man das ja im Gesamtzusammenhang sehen muß, denn ein Angeklagter der sich sachgerecht Verteidigen will und muß, der bedarf ja auch dieser Zeit, möglicherweise um sich weiter auf den Prozeß vorzubereiten. Es ist ja wohl eine pure Selbstverständlichkeit, obwohl ja vieles hier nicht mehr selbstverständlich ist. Darauf möchte ich das Augenmerk auch lenken, daß ja die Zwischenzeit nicht ganz außer Betracht bleiben kann. Es ist ja nicht so, daß man einem Angeklagten zumuten kann, daß er jetzt also hier vielleicht, das unterstelle ich einmal als Hypothese, noch gerade mit der Aufbietung aller Widerstandskraft, vielleicht einer Verhandlung von sechs Stunden, vier Stunden folgen kann und dann [914] aber vollkommen, also eigentlich keine Möglichkeit mehr besteht und er in einen Dämmerschlaf versinkt, also jetzt mal das so in den extremen Konturen gezeichnet, also das muß man berücksichtigen. Für die Verhandlungsfähigkeit ist es erforderlich, daß der Zustand so geschaffen ist, daß auch in den Zwischenräumen ein Mindestmaß an Fähigkeiten erhalten ist, nun die Verteidigung weiter vorzubereiten und zu strukturieren und sich auf den nächsten Verhandlungstag einzustellen. Auf diese Selbstverständlichkeit darf ich den Senat in diesem Zusammenhang auch noch einmal hinweisen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ich habe mich für den Herrn Raspe dem von dem Kollegen Heldmann gestellten Antrag ebenfalls anzuschließen. Zur Begründung von meiner Seite nur noch folgendes zur Ergänzung: Dem Senat ist ja offensichtlich auch nicht entgangen, daß der Herr Baader hier vorhin einen sehr relevanten Punkt berührt hat, als er nämlich geschildert hat, daß nach der Vernehmung des Sachverständigen Henck, derselbe Sachverständige ihm gegenüber gesagt hat, daß er also eine partielle Verhandlungsunfähigkeit hier durchaus zu bejahen geneigt ist. Daß auch der Senat diese Schilderung für relevant hielt, konnte man daraus ersehen, daß er sich also bemüht hat, des Herrn Henck am Telefon habhaft zu werden. Nun meine ich, bedürfte es eigentlich gar keiner Erörterung darüber, daß nicht nur der Senat einen Anspruch hat, fernmündlich bei dem Herrn Henck zu erfragen, was es denn nun mit dieser von dem Herrn Baader geschilderten Äußerung auf sich hat, sondern natürlich auch die Verteidigung, die übrigen Verfahrensbeteiligten im Freibeweisverfahren[20] Anspruch darauf zu haben, von dem Herrn Henck von Angesicht zu Angesicht zu erfahren, was es mit dieser Äußerung auf sich hat.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Riedel, bitte.

RA R[iedel]:

Ich schließe mich für meine Mandantin dem gestellten Antrag und der gegebenen Begründung ebenfalls an. Ich meine und appelliere insofern noch einmal an das Gericht und auch an die Bundesanwaltschaft natürlich, daß für jeden, der hier im Saal ist, sei [915] er verfahrensbeteiligt oder nicht, hier offen erkennbar ist, daß die Frage des Vorliegens der vollen Voraussetzung für die Verhandlungsfähigkeit auf jeden Fall medizinisch zu überprüfen ist. Es ist einfach augenfällig, daß unter Umständen hier Einschränkungen jetzt schon vorliegen und erinnere in diesem Zusammenhang daran, was man der Presse entnehmen konnte über die Verhandlung, die am Montag begann in Hamburg gegen Müller und Möller.[21] Dort ist, soweit ich aus der Presse entnommen habe, von der Verteidigung ebenfalls die Frage angeschnitten worden, ob die volle Verhandlungsfähigkeit vorliegt oder nicht. Das Gericht hat das selbstverständlich, wie es auch bisher in der Bundesrepublik in Strafverfahren üblich war, sei es vor einem Amtsgericht oder vor welchen Gerichten auch immer, hat diese Frage natürlich aufgegriffen und hat die Schritte eingeleitet, die das Gericht für notwendig hielt, um es zu überprüfen. Auf jeden Fall hat das Gericht medizinische Untersuchungen, welcher Art auch immer, angeordnet, soweit man aus der Presse entnehmen konnte. Das mag und möge dem Senat zu denken geben, ob nicht endlich hier auch so verfahren werden soll, wie es bisher nach unserer Strafprozeßordnung in diesem Lande üblich war.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Erlauben Sie mir noch den Hinweis, nachdem Herr Dr. Henck als Sachverständiger in dieser Verhandlung selbst sich für die zu erörternden Fragen der Verhandlungsunfähigkeit, der teilweisen Verhandlungsunfähigkeit, zeitlich beschränkten Verhandlungsfähigkeit auf Herrn Professor Teuns als die einzige ihm bekannte medizinische Autorität zu diesen Fragen berufen hat, erscheint es mir angezeigt, nachdem ich ihre vorherige Beschlußfassung vernommen habe, ausdrücklich auf § 244 Abs. [4] der Strafprozeßordnung[22] hinzuweisen. Darf ich zum Schluß bitten, Herrn Baader, um den es ja in dieser Sache geht, selbst hierzu das Wort zu erteilen.

Vors.:

Herr Baader, bitte.

[916] Angekl. B[aader]:

Also noch einmal zu dem Gespräch mit Henck. Henck hat korrekt gesagt, er halt eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit für möglich. Er könne sie aber nicht präzise feststellen, weil er keine Daten hat, d.h. seine genaue Formulierung war, er würde mit der Stange im Nebel herumfahren. Das nochmal überhaupt zu der Frage des Gutachtens, das Henck hier abgeben konnte. Und ich stelle also nochmals fest, daß Sie die hier öffentlich vom Anstaltsarzt selbst beantragte Untersuchung der Gefangenen durch Fachärzte verhindern, um der möglichen Feststellung der Verhandlungsunfähigkeit zu entgehen. Und daß das ein identischer, illegaler Beschluß ist, ich sage ausdrücklich: ein illegaler Beschluß, denn das Recht auf einen Arzt eigener Wahl ist geltendes Recht in der Bundesrepublik, hat zum Tod von Holger geführt. Das heißt, ihre Veranlassung, ihm den beantragten Arzt seiner Wahl zu verweigern, und davon spricht ihre dienstliche Äußerung nicht in der Begründung zu diesem Ablehnungsantrag, sollte dazu führen, daß das Kalkül um seinen Tod durch die Feststellung seines Zustands nicht gestört wird. Sie haben sich nicht nur nicht informiert über seinen Gesundheitszustand, was Sache ihrer Fürsorgepflicht gewesen wäre ...

Vors.:

Herr Baader kommen Sie bitte zur Sache.

Angekl. B[aader]:

Sie haben durch die mehrfache Ablehnung des Antrags ...

Vors.:

Sie haben diesen Ablehnungsantrag ... Herr Baader, bitte abstellen, Herr Baader, es gehört nicht zur Sache. Das war Gegenstand eines Ablehnungsantrags zu dem Äußerungen ergangen sind, zu dem auch Beschlüsse ergangen sind. Das ist erledigt. Das hat mit der Frage Ihrer Untersuchung und Ihrer Verhandlungsfähigkeit nichts zu tun. Bitte kommen Sie zur Sache. Ich bitte, Herrn Baader das Wort wieder zu geben.

Angekl. B[aader]:

Es ging mir nur darum, das ist vielleicht von einem gewissen Interesse in dieser Verhandlung, daß eine Analogie besteht, zwischen ihrer Ablehnung der Ärzte eigener Wahl damals und Ihrer Ablehnung der Ärzte eigener Wahl jetzt. Das ist doch das Spiel, das hier gespielt wird. Und dazu habe ich nochmal [917] gesagt, Sie haben damals wie jetzt die korrekte Information des Gerichts, des Senats, durch einen unabhängigen Facharzt, der uns überhaupt erst untersuchen könnte, denn Sie wissen, daß wir die Untersuchungen durch den Anstaltsarzt ablehnen müssen, nach den Erfahrungen, die wir mit diesen Anstaltsärzten gemacht haben. Sie haben diese Information des Senats über unseren Zustand verhindert. Sie haben sie nicht nur nicht zugelassen, sondern ich sage, Sie verhindern sie.

Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft sogleich Stellung nehmen?

Bitte.

OStA Zeis:

Herr Vorsitzender, die Bundesanwaltschaft tritt einer Anhörung der beiden Ärzte Dr. Henck und Professor Rauschke nicht entgegen. Im übrigen wird die Bundesanwaltschaft zu den Anträgen erst nach Anhörung der beiden Sachverständigen Stellung nehmen. Nur zu einem sei hier vorweg schon Stellung genommen: Es ist natürlich unzulässig, Sachverständige gegenüber zu stellen; § 58 StPO[23] gilt nicht für den Sachverständigen. Das ist in jedem Kurzkommentar nachzulesen[24] und die Bundesanwaltschaft verwundert sich eigentlich, daß solche juristische Anfangsgründe auf der Gegenseite offensichtlich nicht bekannt sind.

Vors.:

Gut. Wir werden ... Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Zeis, ich benütze nicht[b] Kurzkommentare, die Sie, wenn Sie überhaupt einen Kommentar aufschlagen, vielleicht benutzen mögen, sondern ich nehme den Großkommentar. Und darf ich Sie verweisen, auf die letzte Auflage von Löwe-Rosenberg, den Großkommentar zur Strafprozeßordnung, dort § 72 Anm. 1 g[25] und dort können Sie etwas Juristerei lernen.

OStA Z[eis]:

Ich möchte kurz etwas erwidern, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, es kommt hier auf die herrschende Meinung an.

Vors.:

Bitte streiten Sie sich dann jetzt, das Gericht zieht sich jetzt zur Beratung zurück. Die Angeklagten zunächst im Saale lassen.

[918] Der Senat zog sich um 10.20 Uhr zur Beratung zurück.

Nach Wiedereintritt des Senats um 10.47 Uhr wurde die Verhandlung wie folgt fortgesetzt.

Die bei Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht mehr anwesenden RAe Linke und König erscheinen wie folgt:

10.50 Uhr erschien Rechtsanwalt Linke,

10.51 Uhr erschien Rechtsanwalt König.

Vors.:

So ich bitte doch, ein bißchen beschleunigt Platz zu nehmen, damit die Unruhe im Saal aufhört.

Wir werden heute nachmittag sehen, daß wir die beiden Herrn zur Anhörung hier haben. Es wird zur Zeit veranlaßt, daß beide Herrn dahin verständigt werden, daß sie heute nachmittag da sind, Herr Professor Dr. Rauschke und Dr. Henck.

Jetzt im Augenblick, da es sich ja nur um eine zeitlich beschränkte Verhandlungsunfähigkeit handelt, die geltend gemacht wird, besteht kein Anlaß mit der Sitzung nicht fortzufahren.

Herr Rechtsanwalt Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Wollten Sie zu meinem Antrag, Herrn Professor Teuns nach Herrn Dr. Henck zu hören und die beiden Herrn gegenüberzustellen, eigentlich gar nichts sagen.

Vors.:

Nein, das ist jetzt zunächst entschieden worden. Wir wollen es von dem Ergebnis heute nachmittag abhängig machen, ob diese Gegenvorstellung, die Sie hierzu erhoben haben, ob die in irgendeiner Weise ...

RA Dr. H[eldmann]:

Verzeihung, ich habe keine Gegenvorstellung erhoben, ich habe einen Antrag gestellt. 1. Herrn Dr. Henck als Sachverständigen heute noch zu hören. 2. Herrn Dr. Henck Herrn Professor Teuns gegenüberzustellen, wofür ich die Rechtsgrundlagen genau angegeben habe. Das war ein Antrag und da hatte ich nun eigentlich erwartet, daß auf diesen Antrag eine Entscheidung kommt. Es war keine Gegenvorstellung, ich habe ausdrücklich gesagt, Antrag.

[919] Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich sagte Ihnen bereits, wir haben zunächst mal entschieden über die Anhörung von Herrn Professor Teuns, über den von Ihnen gestellten Antrag werden wir dann entscheiden, wenn wir die beiden Herrn hier gehört haben, ob’s dafür Anlaß gibt.

Damit, Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Sch[ily]:

Ich darf nochmal auf die Frage zurückkommen, die gestern zur Debatte stand und heute nochmal von meiner Mandantin zur Debatte gestellt worden ist und vielleicht zunächst mal eine kurze Vorbemerkung. Manchmal hat man hier das Gefühl, daß man vielleicht die Anträge in der Form stellen sollte; ich bitte nunmehr folgenden Antrag abzulehnen. Aber gleichwohl soll es unser unermüdliches Bemühen sein, hier noch auf letzte rechtsstaatliche Grundsätze hinzuweisen, wenn auch nicht mehr herauskommt als vielleicht die Beschreibung dessen, was in diesem Verfahren vor sich geht.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, es tut mir leid, daß ich Sie unterbrechen muß. Ich betrachte das durchaus als keine gehörige Bemerkung, die Sie hier machen. Der Senat ist genauso um rechtsstaatliche Grundsätze wie Sie bemüht.

RA Sch[ily]:

Es handelt sich um einen Vorgang, der eigentlich durch eine beachtliche neue Qualität ausgezeichnet ist.

Vors.:

Darf ich wissen, wann der Antrag kommt. Sie wollten doch einen Antrag stellen, oder soll das jetzt eine längere Erklärung werden.

RA Sch[ily]:

Ja, ich meine, man kann ja zunächst mal eine Begründung auch und dann den Antrag am Schluß, das ist eigentlich eine übliche Form. Aber wenn Sie die nicht gewohnt sind, dann bin ich auch gern bereit, den Antrag zunächst zu stellen.

Vors.:

Bitte.

RA Sch[ily]:

Ich wiederhole also in Form der Gegenvorstellung den Antrag,

[920] Herrn Rechtsanwalt Künzel von seinem Amt als Pflichtverteidiger zu entbinden.

Und wie gesagt, die Grundlage dieses Antrages ist ein Vorgang, der eine neue beachtliche Qualität aufweist, nämlich die Tatsache, daß Herr Rechtsanwalt Künzel sich zur Aufgabe gemacht hat, Anträge einer Angeklagten, für deren Interessen er angeblich beigeordnet ist - wobei es sich um einen Antrag handelt, der ja ein ureigenstes Recht des Angeklagten ist und nicht etwa des Verteidigers, um das mal auch klarzustellen - er sich zur Aufgabe gemacht hat, diesen Antrag öffentlich zu mißbilligen - wobei das Wort „öffentlich“ auch eine große Rolle spielt -. Denn es gehört eigentlich zu den Minimalia eines Verteidigers, zu den Mindestvoraussetzungen eines Verteidigers, daß er die Grenze wahrt, auch hin zur Öffentlichkeit[c], wenn er sich kritisch gegenüber den Angeklagten äußern will, zu dessen Interessen vermeintlich er bestellt ist. Also die Frage der Öffentlichkeit hat ein besonderes Gewicht auch bei diesem Vorgang. Aber ein weit größeres Gewicht hat es, daß der Kollege Künzel nicht in diesem Falle - und es geht ja um das Ablehnungsgesuch - entweder den Mund hält, eben gar nichts sagt, sondern Partei nimmt, Partei nimmt für die Bundesanwaltschaft, die eine von Unsachlichkeiten strotzende Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch abgegeben hat, ohne auf den Tatsachenkern, um den es einzig geht, einzugehen. Und der Rechtsanwalt Künzel macht sich anheischig, bei einem solchen Ablehnungsgesuch, ohne eigentlich auch die Möglichkeit gehabt zu haben, irgendein Gespräch mit der Angeklagten Ensslin, der Trägerin dieses Ablehnungsgesuches, zu führen, hier von einem Mißbrauch öffentlich zu sprechen. Er will offenbar die Angeklagte zum Objekt eines Verfahrens degradieren, was z.B. in der Formulierung zum Vorschein kommt, die ich mir habe berichten lassen von dem gestrigen Verhandlungstage, daß er für sie denken müsse. Also nicht die Angeklagte Ensslin darf noch denken, sondern Rechtsanwalt Künzel soll und will für sie denken. Wobei das einfach auch eine juristische Seite hat, denn, das ist ja eigentlich Gemeingut, sollte man denken, juristisches Gemeingut, daß es beim Ablehnungsgesuch auf [921] die subjektive Einschätzung des Angeklagten, allerdings mit der auf der Grundlage einer verständigen Würdigung, ankommt. Es hat insofern auch eine objektive Seite, sicherlich. Aber darin kommt in dieser Formulierung eigentlich die Haltung des oktroyierten Verteidigers zum Vorschein, der eben die Angeklagte nur noch zum Objekt machen will. Es kommt aber noch mehr zum Vorschein, nämlich die Funktion, die Rechtsanwalt Künzel in diesem Verfahren einnehmen will, nämlich die eigentliche Verteidigungsmöglichkeiten stören bzw. zerstören. Denn wenn es soweit kommt, und es ist so weit gekommen, daß sich hier sozusagen ein Rechtsanwalt, der vermeintlich die Interessen eines Angeklagten wahrnehmen soll, zum Oberaufseher machen will, und dabei, ob nun bewußt oder unbewußt mag dahinstehen, jedenfalls objektiv gesehen sich zum Instrument der Intentionen der Bundesanwaltschaft macht, dann hat durch dieses Verhalten im Prozeß sich der Rechtsanwalt Künzel in dieser Funktion selbst bloßgestellt. Und wie gesagt, ich habe nicht die Erwartung, nach alledem, was ich bisher in diesem Verfahren erlebt habe, daß der Antrag auf Entbindung Erfolg haben wird. Es müßte schon in dem Senat ein Wunder geschehen, einer innerlichen Kehrtwendung zu rechtsstaatlichen Grundsätzen zurück.

Ja Moment, die Angeklagte möchte dies noch ergänzen, die Begründung.

Vors.:

Frau Ensslin

Angekl. E[nsslin]:

§ 356 StGB Parteiverrat kommt mir so vor, als träfe das genau zu. Ich les das mal vor:

„Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten - anvertraut nicht von mir allerdings, sondern vom Gericht in diesem Fall - in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, - wobei die Partei, der Künzel dient in dieser Rechtssache, die Bundesanwaltschaft ist - wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Und dann 2:

[922] „Handelt derselbe im Einverständnis mit der Gegenpartei - das ist die Bundesanwaltschaft - zum Nachteil seiner Partei, so tritt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis fünf Jahren ein.“

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Künzel, bitte.

RA Künzel:

Herr Rechtsanwalt Schily hat nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich hier um einen Antrag der Frau Ensslin gehandelt hat. Ich möchte nicht meinen, daß Herr Rechtsanwalt Schily damit sich von der Verantwortung für diesen Antrag entpflichten will. Nichtwahr, das geht nicht. Herr Rechtsanwalt Schily hat sich[d] ja offensichtlich hörbar hinter diesen Antrag gestellt, der im übrigen von ihm unterzeichnet war. Ich habe also festzustellen, daß er die volle, die volle Verantwortung für diesen Antrag trägt. Und nun haben sich in der Tat auch für mich in diesem ungewöhnlichen Prozeß neue, neue Dimensionen eröffnet. Erstmal nämlich, wenn ich das richtig sehe, übernimmt ein Anwalt die Verantwortung für einen Antrag von so hohem Unrechtsgehalt, daß er die Strafverfolgungsbehörde geradezu herausfordert und seine Partei der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzt.[26] Das wußte doch Herr Schily, denn Sie kennen doch die Geschichte, die der Antrag des Herrn Plottnitz, die Anzeige des Herrn Plottnitz, hatte, da hat man doch mit einer Anzeige reagiert. Nichtwahr, Herr Schily, jetzt darf ich ausreden. Sie greifen schon wieder zum Mikrofon. Jetzt lassen Sie mich das zu Ende bringen. Erstmals also, für meine Begriffe, übernimmt ein Anwalt die Verantwortung für einen Antrag, der die Partei der strafrechtlichen Verfolgung möglicherweise aussetzt, geradezu aussetzt, nichtwahr. Einmal das. Und sehen Sie, nicht gegen den Antrag, aber dagegen, daß Sie, daß Sie das nicht abgewendet haben. Dagegen wende ich mich und das aufgrund der Treuepflicht, die ich nun einmal habe, als Bestandteil dessen, was die Verteidigerposition ausmacht. Und die habe ich, ob sie nun beantwortet [923] wird von einem Vertrauen der Partei, oder nicht, solange ich nicht entpflichtet bin. Nichtwahr, Herr Schily, für mich stellt sich die Frage, warum eigentlich das Gericht hierauf nicht, hierauf, daß Sie die Verantwortung für diesen Antrag nun einfach haben und damit der Partei, die zudem, die zudem wie Sie sagen, ja möglicherweise verhandlungsunfähig ist. Um so höher die Verantwortung für diesen Antrag. Hier wäre wohl aus meiner Sicht an eine Entpflichtung zu denken, wenn einmal ein Anwalt eine Partei in eine solche Gefahr bringt, ad 1, ad 2.

Das ist einmalig, für meine Begriffe, einmalig gewesen, was hier geboten wurde. Das war ein Nachtstück, nichtwahr, daß in einem Prozeß nun ein Anwalt das Wort erhält - das Recht hat ja -, und nun dieses Recht mißbraucht, einfach mißbraucht, indem er öffentlich eine Persönlichkeit, die an diesem Verfahren beteiligt ist, in dieser Weise diffamiert. Nichtwahr, das könnte, das könnte weiterer Beschränkungen unserer Rechte als Verteidiger insgesamt nach sich ziehen. Wir wollen keine Lex Schily, die uns hier mundtot macht, nichtwahr. Hier sind Anfänge zu wehren[e]. Wenn das Schule macht, daß jeder jeden hier beliebig diffamiert, dann können wir ja gleich mit Küchenabfällen aufeinander werfen, nichtwahr. Und deshalb erwarte ich und hoffe, eingedenk meiner Verantwortung für die Frau Ensslin, daß hier ein klares „So nicht“ von der Anwaltschaft gesprochen wird.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.

RA Schily:

Also, Herr Kollege Künzel, Sie setzen hier die Entkleidungskünste[f] eigentlich fort. Wenn Sie ein Antrag, der ausdrücklich, und vielleicht hatten Sie da eine kleine Absence bei der Verlesung dieses Antrages, ausdrücklich als Antrag der Angeklagten Ensslin mit auf dem Vorspruch „Namens der Angeklagten Ensslin“ begründet worden ist. Wenn Sie da auf diese Weise nun anfangen, diesen Antrag zu qualifizieren als strafrechtlichen Tatbestand, Herr Rechtsanwalt Künzel, wissen Sie eigentlich, was Sie damit machen, wissen Sie [924] was Sie damit machen. Wissen Sie, ich dachte Sie hätten da vielleicht mal zugehört. Sonst haben Sie ja keine Gelegenheit, mit Frau Ensslin zu sprechen und zu Recht nicht, wie sich immer mehr bestätigt. Aber Sie haben doch gerade den Paragraphen gehört. Und ist Ihnen eigentlich nicht klar, was Sie damit anrichten, mit sich selber. Ich weiß nicht, wollen Sie hier juristisches Harakiri vollziehen, dann gibt es da[g] vielleicht bessere Gelegenheiten dafür. Nichtwahr, wenn Sie sagen ein Ablehnungsgesuch ist eine Diffamierung und ist ein Mißbrauch, dann reden Sie einfach an den Tatsachen vorbei. Es gibt eben Situationen, die für Sie vielleicht ungewohnt sind, daß auch einem Richter, auch einem Richter schwerwiegende Vorwürfe gemacht und möglicherweise gemacht werden müssen. Wissen Sie, Sie sind hier[h] vielleicht in der ganzen Struktur der Justiz so eingeordnet, daß Sie da überhaupt keine Möglichkeit haben, daß Sie überhaupt keine Möglichkeit haben, ein Urteil sich zu bilden oder auch keine Möglichkeit haben, sich ein Urteil bilden zu wollen. Sie haben sich jetzt gerade zum Ankläger gemacht, in einem ganz speziellen Punkt, zum Ankläger von Gudrun Ensslin. Ist Ihnen das eigentlich aufgefallen, wenn Sie selber sagen, das ist ein strafrechtlich zu würdigender Tatbestand. Mehr, mehr, wissen Sie, als Sie - irgendwie tun Sie mir fast leid, Herr Rechtsanwalt Künzel - mehr hat sich hier in dem Verfahren bisher noch niemand bloßgestellt. Ich meine, ich will gar nicht darüber reden, was Sie hier sonst noch für Akrobatenkunststücke vollführt haben - man könnte fast denken, das sind Akrobatenkunststücke ohne Netz, aber das Netz haben Sie nämlich, das Netz eines unerschöpflichen Wohlwollens des Gerichts und der Bundesanwaltschaft, insofern ist vielleicht die Verwendung dieses Ausdruckes unzulässig -. Aber eigentlich wäre jetzt vielleicht der Punkt gekommen, Herr Rechtsanwalt Künzel, selber den Antrag zu stellen auf Entbindung. Was wäre Ihre eigene ... das wäre noch die Möglichkeit, sich hier einigermaßen mit dem letzten Rest vom Gesicht aus dem Verfahren zurückzuziehen.

[925] Vors.:

Gut. Ich gebe der Gegenvorstellung nicht statt. Sie gibt keinen Anlaß, die Ablehnung des Antrages, Herrn Rechtsanwalt Künzel als Pflichtverteidiger zu entpflichten, abzuändern. Herrn Rechtsanwalt Künzel’s Schritt richtete sich ausschließlich gegen das Verhalten des Rechtsanwalts Schily, das von ihm für standeswidrig gehalten wird. Er hat danach das Recht, davon die Standesorganisation zu verständigen. Soweit Herr Rechtsanwalt Schily diese offenbar vorausgesehene Ablehnung als Verleugnung des Restes von Rechtsstaatlichkeit bezeichnet, so weise ich des als eine anmaßende Ungehörigkeit zurück.

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Herr Vorsitzender, ich würde ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz hat im Augenblick das Wort

RA Sch[ily]:

Ich bitte um eine Pause, weil ich prüfen werde, ob ... mit meiner Mandantin prüfen werde, ob die Begründung in Anführungsstrichen, die Sie soeben gegeben, Anlaß zu weiteren prozessualen Schritten ist.

Vors.:

Das mag sein. Im Augenblick hat jetzt Herr Rechtsanwalt von Plottnitz das Wort.

RA Sch[ily]:

Nein, das ist ein unaufschiebbarer Antrag, und da ziehe ich mich jetzt zurück.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich habe Sie schon einmal darauf hinweisen müssen, daß Sie hier als Pflichtverteidiger dieses Recht, sich einfach der Verhandlung zu entziehen, nach Ihrem Gutdünken nicht nehmen können.[27]

RA Sch[ily]:

Es ist Ihnen vielleicht bekannt, daß es unaufschiebbare Anträge gibt nach der Strafprozeßordnung, dazu gehören Ablehnungsgesuche. Und Sie haben soeben eine Begründung hier gewählt, die es mir geboten erscheinen läßt, mit meiner [926] Mandantin Rücksprache zu nehmen, ob ein solcher Antrag jetzt geboten ist oder nicht. Und wenn Sie mir dafür keine Pause gewahren wollen, ist das Ihre Sache.

Vors.:

Ja, ich gewähre sie Ihnen nicht. Es gibt in diesem Stadium dieses Recht, diese sogenannte unaufschiebbare Handlung jetzt gleich vorzunehmen, nicht. Sie haben dazu Gelegenheit, unverzüglich notfalls. Dies gibt in diesem Stadium nicht, die Unverzüglichkeit ist im Augenblick noch gar nicht vorgeschrieben,[28] das wissen Sie genau.

RA Sch[ily]:

Aber gleichwohl halte ich es im Anschluß daran für geboten, daß man vielleicht den logischen Zusammenhang dann noch herstellt.

Vors.:

Gut. Ich habe ja nichts dagegen, daß Sie Ihre Pause bekommen. Aber ich hatte zuvor Herrn Rechtsanwalt von Plottnitz das Wort erteilt und er hat’s jetzt auch.

Bitte, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Hätte man den Rechtsanwalt Plottnitz fragen sollen, ob er nicht darauf verzichtet, das Wort erteilt zu bekommen, nachdem der Kollege Schily um die Pause gebeten hatte?

Vors.:

Schreiben Sie mir bitte nicht vor, was ich hätte fragen sollen.

RA v[on ]P[lottnitz]:

Ich schreibe Ihnen überhaupt nichts vor. Ich habe versucht, Ihnen etwas anzuraten. Aber ich schließe mich jetzt auch dem Antrag des Kollegen Schily an,

der Verteidigung eine Pause zu gewähren.

Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft sich dazu äußern.

Reg. Dir. Widera:

... hat schon alles gesagt, was dazu aus prozessualer Sicht zu sagen ist. Es ist nicht notwendig, und auch[i] durch die Prozeßordnung nicht geboten, jetzt eine Pause zu machen.

[927] Vors.:

Wir werden noch verhandeln bis zur Mittagspause. Hier haben Sie genügend Gelegenheit, Herr Rechtsanwalt, sich über diese Frage, die Sie anschneiden wollen, dann zu unterhalten. Wir werden heute dann dafür vielleicht eine viertel Stunde früher mit der Mittagspause beginnen.

Damit kommen wir zur Vernehmung zur Person.

Herr Rechtsanwalt, lesen Sie bitte nach, ab wann der Zeitpunkt gegeben ist, wo Sie unverzüglich diese Anträge stellen müssen. Das steht im Gesetz ganz klar.

RA Sch[ily]:

Da brauch’ ich von Ihnen überhaupt keine Rechtsbelehrung.

Vors.:

Dann müssen Sie nicht so tun, also wäre dieses Stadium schon erreicht.

RA Sch[ily]:

Nein, nein, aber es gibt aber einen Punkt, wo es notwendig ist, einen Antrag sofort anzuschließen. Das ist Ihnen vielleicht nicht verständlich.

Vors.:

Nein.

RA Sch[ily]:

Aber das folgt aus dem logischen Zusammenhang. Es ist vielleicht doch auch nützlich hier für die Meinungsbildung innerhalb des Senats. Und da meine ich, daß Sie in einem solchen Punkt doch nichtmals 5 Minuten Pause gewährten. Das ist für Sie bezeichnend.

Vors.:

Mag sein, daß Sie das für bezeichnend halten. Trotzdem bleibt’s dabei.

RA Sch[ily]:

Ja, dann nehm’ ich mir die Pause.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich weise Sie auf die Konsequenzen[29] hin. Sie sind hier Pflichtverteidiger.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, bitte das Wort für mich.

Vors.:

Herr Dr. Heldmann.

[928] RA Dr. H[eldmann]:

Ich unterstütze des Kollegen Schily Antrag. Ich schließe mich, für mich selbst, diesem Antrag an

eine Pause.

Die Antragsbegründung ist äußerst gewichtig. Herr Kollege Schily hat dargelegt, daß Herr Künzel dadurch, daß er in[j] öffentlicher[k] Verhandlung

1. seine Mandantin Gudrun Ensslin strafbarer Handlung bezichtigt hat,

2. die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, die sie ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, verzeihen Sie bitte. Ich habe Sie gestern um die Genehmigung gebeten. Hier muß ich eingreifen. Was hat das mit Ihrer ... mit Ihrem Mandanten zu tun, was Sie im Augenblick vortragen.

RA Dr. H[eldmann]:

Das hat mit der Ordnungsmäßigkeit der Verteidigung hier zu tun. Und es ...

Vors.:

Sie können nicht alles, was Sie als nicht ordnungsgemäß betrachten hier, was im Zusammenhang mit einem andern Mandanten passiert, jedesmal zum Anlaß nehmen, daß Sie selbst sich in diese Anträge einschalten und damit diese Blockverteidigung wiederherstellen wollen, die es eben dem Gesetze nach nicht gibt.[30]

RA Dr. H[eldmann]:

Blockverteidigung hin, Blockverteidigung her. Hier geht’s um die Rechte der Verteidigung und nicht um ...

Vors.:

Geht es hier um irgendwelche Rechte, die im Augenblick Herrn Baader entzogen sind.

RA Dr. H[eldmann]:

Es geht um die Rechte - ich sag’s nochmal - um die Rechte der Verteidigung, und zwar um Verteidigungsrechte der Angeklagten und um Verteidigerrechte der Anwälte. Das betrifft mich genauso wie den Herrn Schily und ich schließe mich diesem Antrag an.

[929] Vors.:

Das macht nichts aus. Sonst könnte jeder Rechtsanwalt hier in diesem Verfahren auftreten, der auch betroffen ... der sich betroffen fühlen könnte. Es ist nicht Ihre Sache im Augenblick das zu übernehmen, was sich zwischen Herrn Rechtsanwalt Schily und Herrn Rechtsanwalt Künzel und der Angeklagten Ensslin abspielt.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender dann zwingen Sie mich im Moment, noch bevor wir Anwälte uns beraten haben, deutlicher zu werden.

Vors.:

Bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich halte juristisch das Verhalten des Herrn Künzel von solcher Qualität, daß es den Verdacht des Parteiverrats in öffentlicher Verhandlung begründet. Sie haben eben in der Begründung, die Gegenvorstellung abzulehnen, versucht, dieses Verhalten zu rechtfertigen und alle Angeklagten müssen sich danach fragen, ob nicht Sie persönlich, Herr Vorsitzender, oder der Senat, bei solch gravierendem Verdacht des Parteiverrats hier unterstützen. Jetzt hab ich deutlicher ausgesprochen.

Vors.:

Das dürfen Sie ruhig so deutlich ausdrücken, aber ich hab Ihnen doch gesagt, es kann daraus im Zweifelsfall im Augenblick nur ein Ablehnungsantrag entstehen, oder täusch’ ich mich da, nicht. Und wenn dieser Ablehnungsantrag entsteht, so gibt es in diesem Verfahrensstadium noch keine Möglichkeit, das als eine unverzüglich anzubringende Handlung zu bezeichnen, weil das Gesetz die Unverzüglichkeit nicht vorschreibt.

RA v[on ]P[lottnitz]:

... können Sie bestimmen, welche Anträge wir hier stellen.

Vors.:

Und deswegen bleibt dazu genügend Zeit, wenn die normale Pause eintritt. Der Senat ist nicht willens, daß nun hier mit dieser Art von Verhandlungsführung es schlechter- [930] dings unmöglich wird, dieses Verfahren von der Stelle zu bringen.

RA Sch[ily]:

... verantworten. Aber ich habe ja jetzt Gelegenheit gehabt, kurz mit meiner Mandantin zu sprechen.

Ich stelle folgenden Antrag:

Namens der Angeklagten Gudrun Ensslin lehne ich den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Theodor Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Namens, Namens der Angeklagten Ensslin habe ich zur Begründung folgendes auszuführen:

In der heutigen Hauptverhandlung hat Rechtsanwalt Künzel, der der Angeklagten zwangsweise beigeordnet ist, unter anderem erklärt, daß das Ablehnungsgesuch der Angeklagten Ensslin gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Theodor Prinzing, das durch ihren Verteidiger, Rechtsanwalt Schily, eingebracht worden war, einen strafbaren Tatbestand erfüllt. Zur Glaubhaftmachung[31] wird auf das Sitzungprotokoll und eine dienstliche Erklärung von Rechtsanwalt Künzel Bezug genommen. Ferner hat Rechtsanwalt Künzel, der zu keinem Zeitpunkt mit Gudrun Ensslin über den Sachverhalt, der dem seinerzeitigen Ablehnungsgesuch zugrunde lag, gesprochen hat, und zu diesem Sachverhalt auch keinerlei Informationen eingeholt hat, das Ablehnungsgesuch als Mißbrauch bezeichnet. Zur Glaubhaftmachung wird auf die vorgezeichneten Mittel zur Glaubhaftmachung verwiesen. Der seitens der Verteidigung von Gudrun Ensslin unter anderem auf diese Erklärungen von Rechtsanwalt Künzel gestützte Antrag auf Entbindung von seinem Amt als Pflichtverteidiger, ist von dem abgelehnten Richter kurzerhand zurückgewiesen worden, wobei in der ablehnenden Entscheidung auf die eigentliche rechtliche Fragestellung, ob Rechtsanwalt Künzel nicht mit seinen Erklärungen seine Treuepflicht gegenüber der Angeklagten Ensslin verletzt hat, überhaupt nicht eingegangen wurde, sondern lediglich die Ansicht vertreten wurde, es handle sich[l] um eine Auseinandersetzung [931] zwischen Rechtsanwalt Künzel und mir. Zur Glaubhaftmachung wird wiederum auf das Sitzungsprotokoll und auf eine dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters Bezug genommen. Durch diese zurückweisende Entscheidung hat der abgelehnte Richter jedenfalls vom subjektiven Standpunkt der Angeklagten Ensslin zu erkennen gegeben, daß er ein Zuwiderhandeln gegen die Treuepflicht billigt oder zumindestens hinnimmt. Ferner hat der abgelehnte Richter eine Pause von fünf Minuten zur Vorbereitung des Ablehnungsgesuches verweigert. Zur Glaubhaftmachung wird wiederum auf das Sitzungsprotokoll und eine dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters Bezug genommen. Mit dieser Erklärung hat der abgelehnte Richter zu erkennen gegeben, daß er nicht einmal ein Mindestmaß an Verteidigungsmöglichkeiten in einem besonders kritischen Verfahrensmoment einzuräumen gedenkt, offenbar auch mit der Überlegung, auf diese Weise die Vorbereitung eines Ablehnungsgesuches das sich gegen ihn persönlich richtet, zu behindern. Zur Glaubhaftmachung wird wiederum auf eine dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Das Verhalten des abgelehnten Richters in seiner Gesamtheit ist geeignet, das Mißtrauen der Angeklagten Ensslin gegen die Unparteilichkeit zu begründen.

Vors.:

Ich unterbreche dann die Sitzung. Ich bitte die Verfahrensbeteiligten im Saale zu bleiben. Meine dienstliche Erklärung wird dann alsbald abgegeben werden.

Die Zuhörer sind entlassen, also ich bitte, der Saal wird jetzt geräumt werden, denn die Sitzung wird erst später fortgesetzt werden können. Das wird bekanntgegeben, vermute ich, sobald meine dienstliche Erklärung abgegeben werden kann. Das wird nicht sehr lange dauern.

Um 11.24 Uhr wurde die Sitzung unterbrochen.

Ende von Band 37

[932][32] [933-934][33] [935][34] [936][35] [937] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.10 Uhr, in der gleichen Besetzung wie heute morgen.

Regierungsmedizinalrat Dr. Henck ist anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort, zunächst durch Verkündung des Beschlusses des Senats vom heutigen Tage, zu dem Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden.

Der Beschluß lautet:

Der Vorsitzende verlas hierauf den Beschluß vom 2. Juli 1975, der als Anlage 1 dem Protokoll beigefügt ist.

Wir haben für jetzt Herrn Regierungsmedizinalrat Dr. Henck gebeten ... Herr Dr. Henck, bevor wir zu Ihnen kommen, muß ich noch an die Prozeßbeteiligten eine Frage richten, rein technischer Art, und zwar geht es darum: Wir haben in der übernächsten Woche nur einen Termin vorgesehen, den 16.7. den Mittwoch. Das hängt damit zusammen, daß nach unserem ursprünglichen Terminsplan an diesem Tage die letzten Tatortzeugen von[m] den Sprengstoffanschlägen in Frankfurt und Heidelberg hätten gehört werden sollen. Wir betrachten diese Woche als eine Aufarbeitungswoche für alle Beteiligten. Nun hat sich der Terminsplan ja völlig verschoben und das Gericht ist der Auffassung, daß es nicht angeht, daß wir diese Woche unter völlig anderen Voraussetzungen nur mit einem Verhandlungstag belegen. Ich möchte daher, da ich davon ausgehe, daß vielleicht gewisse Dispositionen für diese Woche schon getroffen worden sind, vorschlagen, daß wir wenigstens noch einen zweiten Verhandlungstag in dieser Woche hinzunehmen und möchte die Verteidiger, die Beteiligten, bitten, entweder den 15. oder 17.7. zu diesem Zwecke freizumachen. Wären die Beteiligten damit einverstanden?

RA Dr. H[eldmann]:

Auf keinen Fall.

[938-940][36] [941] Vors.:

Auf keinen Fall?

RA Dr. H[eldmann]:

Sie selbst, Herr Vorsitzender, Sie reiten ohne prozessuale Rücksichten auf die Verteidigung Ihren voluminösen Terminplan und nunmehr wollen Sie ihn auch noch zu unseren Ungunsten verändern. Damit stimmen wir nicht zu.

Vors.:

Ist es zu Ihren Ungunsten, wenn wir den Prozeß hier durch einen zweiten Verhandlungstag zu fördern versuchen?

RA Dr. H[eldmann]:

Das haben Sie doch gestern bereits demonstriert, als Sie meine Minimalforderung, 10 Tage Verhandlungspause für die Vorbereitung der Verteidigung, schon wieder abgelehnt haben, natürlich ist es zu meinen Ungunsten.

Vors.:

Sie haben doch dann die Gelegenheit gehabt, bisher, in den verschiedenen Tagen. Ich habe den Terminsplan, den Sie bisher hatten, genau überprüft ...

RA Dr. H[eldmann]:

An welchen Tagen?

Vors.:

... wie Sie besuchen konnten.

RA Dr. H[eldmann]:

An welchen Tagen?

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, wir wollen jetzt die Frage nicht anschneiden. Ich bin gerne bereit, Ihnen Ihre gesamten Besuchszeiten aufzuführen, die Sie gehabt haben.

Schön, Sie sind nicht damit einverstanden, wie stünde das bei den übrigen Prozeßbeteiligten?

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Sch[ily]:

Also ich würde doch vorschlagen ... Das ist ja. nun eine Frage, die nun zwischen uns auch mal ein bißchen kurz besprochen werden muß. Ich will also wiederum nicht eine lange Pause [942] haben, aber vielleicht können wir in diesem Falle mal fünf Minuten Pause haben, weil ... also ich von mir aus sagen muß, daß ich insofern festgelegt bin auf den 15. Juli mit einem anderen Termin. Der 17., soweit ich sehe, ist bei mir frei, wir müßten also das aber vielleicht doch mal unter den Kollegen kurz erörtern, damit man das mal abstimmen kann.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Heldmann ...

RA Sch[ily]:

Im Prinzip ist so, wenn ich das mal also so sagen darf, natürlich für uns eine gewisse Erleichterung, darin besteht, wenn eine Reise sozusagen mit zwei Verhandlungstagen verbunden ist. Also das darf ich von meiner Person aus sagen, aber das muß natürlich in gegenseitige Abstimmung ... nicht.

Vors.:

Das setzte allerdings voraus, daß Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann von seiner eben grundsätzlich erklärten Abneigung zur[n] Ausdehnung abweichen würde.

RA Sch[ily]:

Vielleicht kann man das mal kurz erörtern?

Vors.:

Ist die Frage, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, wären Sie bereit, wenn Sie bei Ihrem apodiktischen Nein bleiben, dann hat es keinen Sinn drüber zu verhandeln, dann halten wir am Terminsplan fest, dann brauchen wir auch dafür keine ...

RA Dr. H[eldmann]:

Ich bleibe dabei, das ist für mich eine Chance, zwei Tage in der Woche mit Herrn Baader zu konferieren.

Vors.:

Gut, unter diesem Aspekt sogar begrüßen wir’s dann auch, daß Sie die Gelegenheit erhalten. Gut, damit ist dieses Thema abgeschlossen. Es bedarf dann auch keiner Pause. Herr Regierungsmedizinaldirektor Dr. Henck, darf ich Sie bitten wieder an den Tisch hier vorzukommen. Ich darf [943] noch darauf hinweisen, daß Herr Professor Dr. Rauschke auswärts ist auf einer Tagung. Er ist in dieser Woche nicht mehr greifbar, leider Gottes.

Wie schon bei der letzten Anhörung, Herr Dr. Henck, handelt es sich um eine Anhörung im Freibeweis, es wird keine Vereidigung in Betracht kommen. Wir haben die Absicht Sie zunächst lediglich zur Klärung einer hier behaupteten Tatsache zu hören. Insoweit wäre insoweit hinzuweisen, was Sie ja ohnedies wissen, daß Sie als Zeuge verpflichtet sind, auch wenn keine Vereidigung in Betracht kommt, nach bestem Wissen die reine Wahrheit zu sagen und nichts zu verschweigen.

Sollte sich aufgrund dieser Anhörung, die sich also nur auf[o] einen tatsächlichen Punkt erstrecken soll, die Notwendigkeit ergeben, daß Sie Ihr Gutachten ergänzen oder daß es sonstwie ergänzt werden würde, dann wissen Sie, daß Sie als Gutachter unparteiisch nach bestem Wissen und Gewissen Ihre Angaben machen müssen.

Es handelt sich um folgendes: Heute früh hat Herr Baader angedeutet bzw. gesagt, bestimmt, behauptet, Sie hätten ihm nach der Anhörung hier vor dem Senate sinngemäß erklärt, Sie hielten seine beschränkte Verhandlungsfähigkeit sehr wohl für möglich, könnten sich aber, so muß man es verstehen, mangels körperlicher Untersuchungen kein sicheres Urteil zu dieser Frage bilden. Sie führen in diesem Punkt, in dieser Hinsicht mit der Stange im Nebel herum. Darf ich Sie fragen, ist eine solche Äußerung von Ihrer Seite gemacht worden?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Wir haben am 24. Juni miteinander gesprochen, da habe ich ihn oben besucht - Herrn Baader - in seiner Zelle. Er klagte damals über, beim durchaus korrekten Verhalten mir gegenüber, über Schwindelgefühl. Er sagte, er wolle gerne Kuchen haben statt Traubenzucker und Karamellbonbons, das wird ihm also besser helfen als Traubenzucker, um nun hier das [944] zeitlich[p] zu überstehen im Hinblick auf den Ablauf des Prozesses. Und zwar brauche er diese Dinge, das wird ihm besser helfen als Traubenzucker. Ich habe das hier wörtlich hier notiert für die Aufrechterhaltung seiner relativen Verhandlungsfähigkeit. Diese Formulierung stammt also nicht[q] von mir, sondern von Herrn Baader selbst. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß es keine partielle Verhandlungsfähigkeit gibt, grundsätzlich, sondern es ist jemand verhandlungsfähig oder nicht. Man kann nicht etwas sagen, einmal er sei für das kleine Einmaleins verhandlungsfähig und für das große Einmaleins sei er’s nicht mehr. Da weiß man dann gar nicht mehr, wo man die Grenzen ziehen soll, im nachhinein, um zu sagen, jemand sei für diesen oder jenen Komplex verhandlungsfähig oder gar verhandlungsunfähig gewesen. Deswegen kann von mir nie die Äußerung gefallen sein, daß Herr Baader oder jemand anders nur partiell oder teilweise verhandlungsfähig oder so etwas Ähnliches gewesen ist oder sein würde.

Vors.:

Nun es geht also hier ... Dieser Ausdruck partielle Verhandlungsfähigkeit ist natürlich etwas schief, es geht darum, ob nicht eine zeitlich beschränkte Verhandlungsmöglichkeit gegeben ist und in dieser Richtung könnte etwas deuten, was Sie heute früh am Telefon sagten, daß Sie nämlich dann in diesem Fall Pausen empfohlen hätten.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das ist natürlich richtig. Es wurde auch weiter darüber gesprochen, und ich habe auch Herrn Baader gesagt, wie schon eh und je und auch Herrn Raspe, daß man natürlich mit der Stange im Nebel herumfährt, wenn man keine Untersuchung vornehmen kann. Die sind nicht möglich, Ich kann nur aufgrund dessen, was ich feststellen kann, diese Verhandlungsfähigkeit bejahen oder verneinen und in dem Zusammenhang ist auch der Begriff, und schon zum wiederholten Male, „mit der Stange im Nebel herumfahren“ gefallen. Es ist auch gesagt worden von mir zu Herrn Baader, wenn Sie sich [945] nicht wohlfühlen und Sie können der Verhandlung nicht folgen, brauche er sich nur zu melden, man kann sicherlich irgendwelche Pausen einlegen, um sich in diesen Pausen eben wieder zu erholen, also auf den nächsten Tag eben die Verhandlung fortsetzen, je nachdem, wie weit der Tag fortgeschritten ist.

Vors.:

Kurzum, wenn wir Sie jetzt direkt fragen, ist es richtig, wenn Herr Baader behauptet, Sie hätten ihm erklärt, Sie hielten eine beschränkte Verhandlungsfähigkeit bei ihm sehr wohl für möglich, könnten sich darüber aber kein Urteil bilden, weil Sie ihn nicht untersuchen könnten, würden Sie dann sagen ja, diese Äußerung ist gefallen oder sinngemäß möglicherweise ihm so gesagt worden oder nein, sie ist nicht gefallen?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, sie ist von mir nicht gefallen, weil ich grundsätzlich niemals eine beschränkte Verhandlungsfähigkeit explizieren würde.

Vors.:

Ich habe keine Frage an den Herrn Dr. Henck mehr. Die Herrn Verteidiger bitte.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Dr. Henck, ist die Frage an Sie gerichtet worden, ob Sie eine zeitweise eine zeitliche beschränkte Verhandlungsfähigkeit für möglich hielten?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Es ist möglich, daß darüber gesprochen wurde, rein im theoretischen, daß zeitweise eine Verhandlungsunfähigkeit durch eine Erschöpfung mal eintreten kann, aber keine grundsätzliche Verhandlungsunfähigkeit besteht.

RA Dr. H[eldmann]:

Das Thema ist im Moment nicht mehr eine unbeschränkte Verhandlungsfähigkeit, sondern die Frage ist exakt die, zeitlich begrenzte Verhandlungsfähigkeit, also etwa damit Sie der Frage etwas näherkommen, zum Beispiel beschränkt auf die [946] Vormittagssitzung oder Weglassen der Nachmittagssitzung.

Vors.:

Herr Dr. Henck, wir sind immer noch[r] in dem Bereich und dem Sinn, - in diesem Bezug würde ich auch die Antwort bringen, - daß die Frage dahingehen muß, ob Herr Baader darüber mit Ihnen gesprochen hat, so verstehe ich es doch richtig, Herr Dr. Heldmann, denn sonst kommen wir ja über das Thema hinaus. Wir wollen Herrn Dr. Henck nur zu dieser Behauptung hören.

RA Dr. H[eldmann]:

Wenn Sie zunächst auf diese Frage, hat ein solches Gespräch und wie Wert legen, dann bitte ich doch Herrn Baader direkt zu fragen, ja?

Vors.:

Ja nun, wenn Sie keine Fragen mehr haben, das können wir tun.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich habe anschließend Fragen, aber.

(Angekl. spricht, trotz abgeschaltenem Mikrofon)

Vors.:

Bitte, Herrn Baader das Wort.

Angekl. B[aader]:

... na ja vielleicht ist es einfacher, wenn man es nochmal darstellt, was da konkret gesagt wurde. Herr Henck hat eingeräumt, daß die Möglichkeit besteht - ich wiederhole es nochmal - daß der Zustand, der sowieso schlecht ist aller vier Gefangenen, sich im Verlauf eines Verhandlungstags so verschlechtern kann, Kreislaufstörungen die vorhanden sind, die Schwäche, die Gewichtabnahme usw. der Gewichtsverlust, dann ist das z. B. eine Tatsache, daß die Gefangenen, was sich keiner erklären kann, wenn drei Vorhandlungstage hintereinander sind, am dritten Tag ein Kilo weniger wiegen. Das zum ersten und dann also wirklich drei - vier Tage zu tun haben, um das Gewicht wieder aufzuholen, daß ist die Frage des ... Aber das ist nicht der Punkt, der Punkt ist, daß Sie durchaus eingeräumt haben die Möglichkeit, daß wir nachmittags unter Umständen der Verhandlung nicht mehr folgen können. Ich habe Ihnen ein paar Symptome beschrieben. Ich habe Ihnen be- [947] schrieben Gleichgewichtsstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, explizit Schwierigkeiten in[s] den Ausführungen, die in der Verhandlung gemacht werden, z. B. im Zusammenhang von Anträgen, zu folgen und daraufhin haben Sie gesagt, selbstverständlich ist das möglich, aber Sie könnten zu einer Diagnose nicht kommen, weil Sie nicht untersuchen können und haben dann also nochmal angeraten, das übliche. Ich interpretiere Sie so ...

Vors.:

Wir wollen jetzt nicht die Interpretation, sondern die Antwort haben. Das war ja wohl ein Vorhalt, der gleichzeitig gemacht wurde, damit Herr Dr. Henck die Richtigkeit Ihres Vorhaltes bestätigen kann.

Angekl. B[aader]:

Ich möchte, ja ich möchte diesen Vorhalt aber noch ergänzen.

Vors.:

Aber nicht interpretieren, sondern nur die Tatsachen vorhalten.

Angekl. B[aader]:

Na ja, ich glaube, daß das wohl ...

Vors.:

Sie haben das Fragerecht ...

Angekl. B[aader]:

... ja schon, aber dazu muß ich sozusagen Herrn Henck was vorhalten. Sie haben ja befürwortet die Untersuchungen durch Ärzte unserer Wahl, das haben Sie doch ausdrücklich befürwortet und das lese ich auch im Protokoll. Ich stell mir also vor, daß Sie sozusagen in Wahrnehmung Ihrer ärztlicher Sorgfaltspflicht, weil Sie zu einer Diagnose nicht kommen können, weil Sie nicht untersuchen können, die Zuziehung von Ärzten unserer Wahl empfohlen haben, wie das in Hamburg,[37] in Zweibrücken,[38] in Berlin,[39] in Hannover[40] naja zunächstmal in diesen Anstalten, in denen Gefangene der RAF sitzen, üblich war bisher. Sie haben weiter glaube ich gesagt ...

[948] Vors.:

Wissen Sie, es muß der Befragte auch noch imstande gesetzt werden, die Frage zu beantworten, wenn Sie zuviel in eine Frage ... dann wird’s schwierig.

Angekl. B[aader]:

Also gut, dann zunächstmal diesen Teil davon.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Also das ist ... von Hamburg gesprochen worden ja schon vor längerer Zeit. Da habe ich, ja[t] glaube ich, schon bei meiner hiesigen Anhörung hier auch gesagt, daß von mir aus [u] befürwortet wird, nach diesem Hamburger Modell, Hamburger Muster, daß Untersuchungen stattfinden könnten. Ich werde mich dem nicht widersetzen, das wäre ja völlig absurd.

Vors.:

Darf ich dazwischenfragen, geht’s dort um die Verhandlungsfähigkeit, oder um den Gesundheitszustand?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein nein, das kann natürlich damit zum Teil zusammenhängen, je nachdem, was für Befunde da herauskommen könnten noch zusätzlich. Aber jedenfalls - ich will das mal zu Ende führen, - wurde von Haag[41] ausschließlich von Hamburg gesprochen, daß Untersuchungen stattfinden und pathologische Ergebnisse, - also von Norm abweichende Ergebnisse - dem Anstaltsarzt mitgeteilt werden damit eine entsprechende Behandlung durchgeführt wird. Ich kann aber darüber hinaus sagen, daß allein die Wahrnehmung, die man nun über Monate hinweg gemacht hat, einen[v] durchaus, dazu legimitieren zu[w] sagen, daß eine Verhandlungsfähigkeit gegeben ist. Das hat nichts mit den sonstigen Untersuchungen zu tun, es können Leberstörungen oder sonst irgendwelche Störungen in den inneren Organen - was weiß ich - vorliegen, die nicht durch einfache optische Wahrnehmung feststellbar sind, sondern nur durch [x] entsprechende Untersuchungen festgestellt werden können.

Vors.:

Herr Baader, bitte.

Angekl. B[aader]:

Ja sagen Sie, Sie würden also auch sagen, daß Sie optische Wahrnehmungen unter Umständen eine Störung des Zentralnerven- [949] systems wahrnehmen können, die so stark ist, daß also zum Teil Pfeifen auftritt in den[y] Ohren, daß Außengeräusche gar nicht mehr verständlich sind.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja, das haben Sie gesagt ...

Angekl. B[aader]:

Das nehmen Sie akustisch wahr, Herr Henck?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das haben Sie gesagt und einige Tage später auch Herr Raspe und Sie haben dagegen entsprechende Medikamente gegen dieses Ohrensausen verordnet bekommen.

Angekl. B[aader]:

Das ist kein Ohrensausen. Das ist falsch, was Sie sagen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja oder Ohrenpfeifen, also Monotriantabletten, verordnet bekommen.

Angekl. B[aader]:

Das ist genau ..., ziemlich genau beschrieben worden was es war.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Auch hier kann ich nur sagen, ich kann nur aufgrund dieser Angaben etwas verordnen, wo ich glaube, daß ich optimal liege. Solange ich keine Untersuchungen vornehmen kann, kann ich keine gezielte Therapie durchführen.

Angekl. B[aader]:

Na ja, das ist aber doch so, daß Sie da in diesem speziellen Fall ja sogar eine Untersuchung vorgenommen haben.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Bitte, das war ...

Angekl. B[aader]:

Sie haben doch da eine Untersuchung vorgenommen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Eine Untersuchung?

Angekl. B[aader]:

Also, Sie haben doch mit so einem Apparat mir ins Ohr geguckt.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ach so, ja richtig, das stimmt genau. Eine Ohrenspiegelung hat [950] stattgefunden, ob vielleicht[z] irgendwie das Trommelfell nach innen eingezogen ist, um festzustellen ob dadurch dieses Ohrensausen ausgelöst sein könnte und das hat sich also nicht so herausgestellt, sondern das Trommelfell war völlig in Ordnung, einschließlich Gehörgang. Das ist auch festgehalten im Krankenblatt, so[aa], daß das Ohrensausen nicht durch ein eingezogenes Trommelfell und zwar durch Verschluß einer der eustachischen Tube, die zum Rachen führt, bedingt ist durch ein Luftverlust im Mittelohr, wodurch es dann zu einer Einziehung des Trommelfells kommen kann und dadurch auch zu Ohrensausen, Ohrenpfeifen u. a. Dingen. Das könnte man aufgrund dieser Untersuchungen ausschließen.

Angekl. B[aader]:

Also offensichtlich haben Sie keine physiologischen Ursachen festgestellt?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich habe die Frage nicht verstanden.

Angekl. B[aader]:

Sie haben also offensichtlich keine physiologischen Ursachen festgestellt?

Vors.:

Physiologische Ursachen hätten Sie nicht festgestellt.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, jedenfalls diese Spiegelung des Trommelfells hat keine krankhaften Veränderungen ergeben. Dann müssen diese Symptome, die Sie geschildert haben, in Form von diesem Ohrensausen auf eine andere Ursache zurückzuführen sein, die ich[bb] bisher keine Möglichkeit hatte, feststellen zu können, worauf diese Ursache beruht.

Angekl. B[aader]:

Ich wollte Sie mal fragen, Sie haben gesagt, noch zusätzlich, noch zusätzliche Befunde im Zusammenhang der Frage der Untersuchung durch Ärzte eigener Wahl. Haben Sie überhaupt irgendeine Art von Befund von ... Haben Sie überhaupt Befunde, außer Ihrer Blickdiagnose?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Wir haben einige Gewichte von Ihnen, das wissen Sie ...

[951] Angekl. B[aader]:

... die haben ja doch schon ... würde ich sagen, wenn wir sie Ihnen nicht mitteilen, sind sie doch auch schon mehrere Wochen oder Monate sogar ..., ist das her, daß Sie uns gewogen haben.

Vors.:

Herr Dr. Henck, diese Frage scheint mir jedenfalls durch Ihre Anhörung von früher beantwortet sein. Da ist dieselbe Frage auch aufgetaucht, welche Mittel Sie hatten um zu beurteilen, ob die Angeklagten verhandlungsfähig seien oder nicht.

Angekl.

Naja, weil ..., weil ich hier die ...

Vors.:

Was soll die Wiederholung, Herr Baader?

Angekl. B[aader]:

Die Formulierung, weil hier noch zusätzliche Befunde und das stellte sich eben raus, auch bei der letzten Befragung, daß es Befunde überhaupt nicht gibt. Also es gibt keinen anderen Befund, als den Augenscheinbefund, als den Augenschein von Herrn Henck ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Es gibt, es gibt ...

Angekl. B[aader]:

Ich wollte Sie fragen, also Sie haben gesagt, Sie könnten Verhandlungsfähigkeit feststellen. Jetzt wollte ich Sie nochmal fragen, nach diesem Kriterium. Sie haben gesagt, bei der letzten, als Sie das letzte Mal hier waren, es läge keine vitale Gefährdung vor, darauf war ja schließlich der Begriff „Verhandlungsfähigkeit“ reduziert, auf dem Begriff „vitale Gefährdung“. Ich würde gar dazu sagen, Sie haben ihn das letzte Mal gleichgesetzt, „vitale Gefährdung“ und „Verhandlungsfähigkeit“.

Vors.:

Herr Baader, wir versuchten nun zunächst mal diesen Tatsachenbehauptungen, die Sie heute früh aufgestellt haben abzuklären, daß Herr Dr. Henck Ihnen diesen Satz gesagt habe, mit der beschränkten Verhandlungsfähigkeit. Insoweit scheinen alle Fragen gestellt zu sein, wenn sich daraus, wie Sie offenbar anstreben eine Ergänzung des Gutachtens ergeben [952] sollte und die Notwendigkeit dafür, dann wäre das zunächst zu überprüfen. Zunächst bitte ich aber hinsichtlich dieses Tatsachenvorgangs die weiteren Fragen zu stellen und sich darauf zu beschränken. Insoweit hat der Herr Dr. Henck eigentlich nur Zeugeneigenschaften und nicht Sachverständigeneigenschaften.[42]

Herr Dr. Heldmann, bitte sehr.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Dr. Henck, Herr Baader hat Ihnen, also wenn ich Sie richtig verstanden habe, berichtet, daß er erhebliches Ohrensausen habe? Ja?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Herr Baader hat mir wiederholt berichtet, er habe - ich glaube auf dem rechten Ohr - Ohrensausen, ja.

RA Dr. H[eldmann]:

Die Ohrenspiegelung, die Sie vorgenommen haben, also jedenfalls eine Untersuchung, hat keine Beeinträchtigung, etwa des Gehörorgans selbst ergeben.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, sie hat keine krankhaften Veränderungen am Trommelfell ergeben.

Vors.:

Herr Dr. Heldmann, ich habe jetzt das Gefühl, Sie gehen in genau derselben Richtung weiter, Sie wollen den Sachverständigen im Augenblick wieder herausfordern. Im Augenblick geht’s ja nur um die Tatsachenbehauptung, es sei von Herrn Dr. Henck gegenüber Herrn Baader die[cc] beschränkte Verhandlungsfähigkeit, als sehr wohl möglich bezeichnet worden. Ich bitte also diesen Punkt zunächst mal abzuklären, dann werden wir uns schlüssig darüber werden müssen, ob’s noch eine Ergänzung des Gutachtens, das der Herr Sachverständige in der Verhandlung bereits abgegeben hat, bedarf.

RA Dr. H[eldmann]:

Gut. Dann beschränke ich mich zu diesem Komplex auf eine einzige Frage noch. Welches Mittel haben Sie Herrn Baader daraufhin verabreicht?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Gegen dieses Ohrensausen?

RA Dr. H[eldmann]:

Ja.

[953] Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Monotrean, M, o, n, o, t, r, e, a, n, Monotreantabletten.

RA Dr. H[eldmann]:

Darf ich Sie bitten dem Gericht und uns zu erklären, was das für ein Mittel ist.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das ist ein Mittel gegen Ohrensausen, Schwindelgefühl, denn sogenannten Meniere’schen-Symptomenkomplex, also alles was mit Ohrensausen, Ohrenpfeifen zusammenhängt, organischer oder funktioneller Natur. Ich kann Ihnen leider jetzt[dd] die Firma nicht auch noch nennen, die das herstellt.

RA Dr. H[eldmann]:

Und nun meine letzte Frage, um genau in dem von Ihnen scharf abgesteckten Rahmen zu bleiben und Sie sind doch nach dem Sie von diesem ja hoffentlich, offensichtlich, jedenfalls nach Herrn Baader’s Berichten, sehr beeinträchtigten Ohrensausen vernommen haben, dabei geblieben, die Verhandlungsfähigkeit sei nach wie vor unbeschränkt, d. h. also auch zeitlich unbeschränkt.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich habe den Zusammenhang nicht verstanden. Sie meinen das Ohrensausen könne die Verhandlungsfähigkeit beeinträchtigen, wenn ich das richtig verstanden habe?

RA Dr. H[eldmann]:

Das Ohrensausen ist doch sicher ein Symptom für irgend etwas, was Sie nicht haben feststellen können, das haben Sie uns ja gesagt. Denn Ihre schlichte Ohrenspiegelung hat ja keinen Befund ergeben, also unterstelle ich einmal - werden Sie doch vielleicht darüber einen Gedanken verloren - was sind die Ursachen für dieses gravierende Ohrensausen. Haben Sie auch in diesem Stadium Ihre ärztliche Tätigkeit, die Auffassung aufrechterhalten, auch etwa gegenüber Herrn Baader auf dessen Frage, daß Herr Baader zeitlich unbeschränkt verhandlungsfähig sei?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ein Ohrensausen ist noch nicht als Voraussetzung zu betrachten für eine Verhandlungsunfähigkeit, schlichthin. Wenn ein einseitiges Ohrensausen auftritt, kann das so viele Ursachen haben [954] Herr Baader hat mich aber bisher daran gehindert, festzustellen, was die Ursache dieses Ohrensausens ist. Im Gesamtverhalten, im Gesamtverhalten des Herrn Baader ergibt sich daraus jedenfalls kein Hinweis für eine Einschränkung der Verhandlungsfähigkeit. Ich wäre froh darüber um dieses ... darüber hier Untersuchungen durchführen zu können, um dieses Ohrensausen zu klären, ob es funktioneller oder organischer Natur ist.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Baader möchte noch eine Frage stellen.

Vors.:

Bitte in dem gezogenen Rahmen, Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Ja Moment erst Herr von Plottnitz.

RA v[on] P[lottnitz]:

Und fragen Sie mich bitte nicht für wen, wenn sich hier herausstellen sollte, daß etwa die Äußerung, um die es jetzt in dieser Phase der Vernehmung des Sachverständigen geht, zutreffend ist, dann ist ja die Situation von Herrn Raspe davon auch unmittelbar davon betroffen, selbst wenn sich das nur auf Herrn Baader beziehen sollte, deswegen ...

Vors.:

Das Ohrensausen?

RA v[on] P[lottnitz]:

Nein, nicht das Ohrensausen. Es geht noch um die Äußerung, die der Sachverständige Henck dem Herrn Baader gegenüber gemacht hat und die Konsequenzen, die sich für die prozessuale Situation des Herrn Raspe dann da ergeben.

Vors.:

Nun, wenn Sie Anlaß haben, davon auszugehen, daß der Herr Sachverständige auch gegenüber Herrn Raspe solche Äußerungen gemacht hat, wie sie hier in diesem Rahmen entscheidend sind. Die wollen wir ja abklären, dann allerdings besteht selbstverständlich die Möglichkeit Fragen zu stellen, soweit sie sich an den Sachverständigen richten.

RA v[on] P[lottnitz]:

Herr Vorsitzender, wollen wir nicht so verfahren, ich stelle meine Frage und dann werden Sie mir sagen, was Sie davon halten.

[955] Vors.:

Einverstanden.

Sie haben eine Vorauserklärung gegeben, deswegen versuchte ich vielleicht zu erwidern.

RA v[on] P[lottnitz]:

Ja, ich meine, weil ich schon wieder sah, daß ..., also für wen das gefragt werden soll.

Aber ich stelle erst mal die Frage. Herr Sachverständiger, Sie haben gesagt, Ihrer Auffassung nach gäbe es so etwas wie partielle Verhandlungsfähigkeit gar nicht und dann haben Sie angefügt, deswegen kann es gar nicht sein, daß ich dem Herrn Baader das gesagt hab, was Herr Baader bekundet hat. Meine Frage, erinnern Sie sich genau daran, daß Sie ihm so etwas nicht gesagt haben, oder stellt es sich jetzt für Sie nur so da, daß Sie so etwas nicht gesagt haben können, weil Sie der Auffassung sind, es gibt keine partielle Verhandlungsfähigkeit?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Die Frage war sehr kompliziert und verschraubt, Herr Verteidiger ich bitte Sie ein paar Worte zu wiederholen, damit ich auch genau und exakt antworten kann.

Vors.:

Nein, sie ist an sich, Herr Dr. Henck, da muß ich sagen, sie ist verständlich. Die Frage geht einfach dahin, Sie sagten, ich anerkenne den Begriff der partiellen Verhandlungsfähigkeit nicht und weil ich das nicht anerkenne, kann ich auch Herrn Baader gegenüber eine solche Äußerung nicht gemacht haben. Nun fragt der Herr Verteidiger, ist es ein Rückschluß den Sie ziehen, oder wissen Sie positiv, daß Sie eine solche Äußerung nicht gemacht haben?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das ist mir vollkommen bewußt, in dem Moment wo solche Probleme der relativen Verhandlungsfähigkeit mit mir besprochen werden, ist mir das bewußt, daß es so etwas nicht gibt.

Vors.:

Ja und jetzt die Frage. Ziehen Sie daraus den Schluß, daß Sie [956] so was zu Herrn Baader nicht gesagt haben, oder wissen Sie es positiv, daß Sie nicht gesagt haben.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das weiß ich positiv, daß ich das dann auch nicht zu Herrn Baader ..., nicht als Rückschluß, sondern daß ich das auch nicht zu Herrn Baader gesagt habe.

Vors.:

Dann darf das Wort dann, also nicht so verstanden werden, daß man als Rückschluß verstehen müßte.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein.

RA v[on] P[lottntiz]:

Dazu eine Anschlußfrage.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on] P[lottnitz]:

Eine Anschlußfrage dazu, eine Anschlußfrage dazu, warum sagen Sie dann nicht, ich habe das nicht zu Herrn Baader gesagt, sondern sagen zunächst es kann nicht, deshalb kann das nicht sein, daß ich das zu Herrn Baader gesagt habe?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]

Das war nur eine zusätzliche Erklärung dazu.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, ich glaube Sie ...

RA Sch[ily]:

... Verständnis habe, ob ich da den Herrn Dr. Henck da richtig verstanden habe, daß er sagt, eine partielle Verhandlungsunfähigkeit auch zeitlich gibt’s nicht.

Vors.:

Bitte, wenn Sie antworten wollen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Also im nachhinein kann es sich bei einer langen Prozeßdauer herausstellen, daß man vorübergehend für eine Stunde oder für Minuten oder je nach dem, mal aufgrund einer momentanen Erschöpfung, eine Verhandlungsunfähigkeit vorgelegen hat. Das wäre dann in..., also insgesamt gesehen dann, natürlich so betrachtet vom Quantitativen her, dann natürlich auch eine partielle Verhandlungsunfähigkeit vom Temporären her be- [957] trachtet, vom zeitlichen Gesamtablauf her gesehen. Aber von der Persönlichkeit oder von dem Angeklagten oder von dem Beschuldigten oder von dem Zeugen, von einer eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit zu sprechen, daß ..., solche Worte können von mir nicht gefallen sein, weil das in keinem Lehrbuch steht.

RA Sch[ily]:

Ja Moment, gibt’s das, also nur im nachhinein, so eine Feststellung?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, das kann man im nachhinein so beurteilten und so explizieren, zum Ausdruck bringen, nicht daß man’s im nachhinein erst festgestellt hat, sondern es wird im Moment festgestellt und im nachhinein kann man dann sagen, im gesamten Prozeßauflauf, war der Betreffende zeitweise auch mal verhandlungsunfähig.

RA Sch[ily]:

Ja, wie kann man keine Prognose stellen, daß also temporär, daß eine gewisse Begrenzung ... Ich weiß nicht, welches Lehrbuch meinen Sie da eigentlich, in dem das steht, daß es das nicht gibt?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Bitte, das gibt es nicht?

RA Sch[ily]:

Nein, nein, ich meine Sie sagen doch, das gibt es nicht, also eine temporär begrenzte[ee], als sozusagen eine ärztliche Prognose gibt’s nicht.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das ist im Handbuch der forensischen ... Psychiatrie, das ist neu erschienen im Springer-Verlag in 2 Bänden im Jahre 1953 für 350.- DM und wenn Sie reinschauen wollen, dann werden Sie das genau wiederlesen, was dort drin steht.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Sachverständiger ... es ist nicht der Preis, was interessiert, sondern ...

Vors.:

Ich möchte zunächst mal bitten, daß das übliche Schema eingehalten wird, daß man der Reihe nach spricht. Ich glaube Herr Rechtsanwalt Schily ist im Augenblick ...

[958] RA Sch[ily]:

Ja, es ging mir ja nur um eine Verständnisfrage, ob partiell nun meint, also von dem Gegenstand her oder auch von der zeitlichen Begrenzung. Zunächst hatte ich ja Herrn Dr. Henck so verstanden, daß es nur um die, um den Gegenstand geht und jetzt höre ich aber und ich glaube das ist jetzt deutlicher rausgekommen, es geht doch um die zeitliche Begrenzung. Und da sagen Sie, auch das gibt es nicht, wenn ich das ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, nein. Ich habe ja Herrn Baader auch gesagt, wenn er im Moment sich nicht fühlt, der Verhandlung, folgen zu können, möge er sich melden, daß man eine Pause einlegt. Das kann doch jedem passieren, daß ist doch ein nahezu physiologischer Vorgang, wie das jedem einmal wiederfahren kann.

RA Sch[ily]:

Ja, aber kann man da eine Prognose stellen?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Eine Prognose? Das ist wohl nur schwerlich möglich, eine Prognose daraus ...

RA Sch[ily]:

Eine Prognose kann man da nicht stellen?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich kann doch nicht im Voraus sagen, wenn, ob einer zu einem bestimmten Zeitpunkt oder zu einem anderen Zeitpunkt an, von einem annähernden Zeitpunkt an, nicht mehr verhandlungsfähig ist. Das kann ich ja nicht voraussehen.

RA Sch[ily]:

Also sind Ihre Kollegen, die also in anderen Verfahren mal gesagt haben, also der Angeklagte kann 2 Stunden längstens fortlaufend einer Verhandlung folgen, es ist also Unsinn, was da die Kollegen von Ihnen ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja, das ist also bestenfalls eine spekulative Annahme. So ein Zustand kann auch nach einer halben Stunde eintreten oder nie oder nach 5 Stunden. Das läßt sich doch nicht voraussagen. Deswegen kann man auch keine Prognosen stellen, soweit.

RA Sch[ily]:

Aha.

[959] Vors.:

Herr Raspe, bitte.

Angekl. R[aspe]:

Ja, Herr Henck, Sie haben neulich und zwar nach Ihrer Befragung hier mir gegenüber erklärt, daß für die Frage der Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit maßgeblich sei, daß in diesem Verfahren hier häufig lange Pausen eintreten. Das scheint mir sehr wichtig zu sein im Zusammenhang der Sachen, wie Sie eben erklärt haben.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, ich habe gesagt, Herr Raspe, daß ohnehin ja verhältnismäßig lange Pausen eintreten und somit also immer die Möglichkeit einer Erholung von der vorausgegangenen Verhandlungsdauer besteht. Sollte das nicht der Fall sein, daß mal permanent verhandelt wird über einen längeren Zeitabschnitt, den ich jetzt auch nicht näher bestimmen vermag, dann kann man ja mal eine Pause zwischendurch einlegen, wenn es sein muß. Das wird ja bei jeder Gerichtsverhandlung letztlich getan.

Angekl. B[aader]:

Ja, aber Herr Henck, daraus ergibt sich doch, daß Sie sozusagen Verhandlungsfähigkeit feststellen oder behaupten für die Gefangenen, wenn längere Pausen eintreten, d.h. unter der Voraussetzung von Pausen. Darüber habe ich auch ziemlich ausführlich mit Ihnen gesprochen und Sie haben dann auch noch festgestellt, also ich habe das vorhin, ich versuch das nochmal zu entwickeln. Sie haben vorhin gesagt, daß das Kriterium der Verhandlungsfähigkeit mit überhaupt, daß das überhaupt noch nicht hier auf dem Tisch war, was Herr Henck sagt und darüber hab ich mit ihm explizit gesprochen und da kam der Begriff der vitalen Gefährdung rein. Also zunächst hat er festgestellt, er hätte die medizinische Grenze der vitalen Gefährdung genau im Griff. Das bedeutet ganz konkret für jemand, der irgendwie die Materie nicht kennt, er schließt sozusagen aus, daß jemand in der Verhandlung stirbt. [960] Das ist aber, daraufhin habe ich ihn hingewiesen, daß dies Kriterium der Verhandlungsfähigkeit nach der Definition des Senats ist, die Fähigkeit der Verhandlung folgen zu können und die Fähigkeit von dem Erklärungs- und Fragerecht in der Verhandlung, daß hier allerdings sehr hypothetisch wahrzunehmen ist, weil Sie einem dauernd das Mikrophon abdrehen. Aber also mal vorausgesetzt dieses hypothetische ... von dem Erklärungs... hypothetischen Erklärungs- und Fragerecht Gebrauch machen zu[ff] können in der Verhandlung. Und dazu habe ich Ihnen erklärt Herr Henck, daß wir dazu zeitweise, im Allgemeinen würde ich sagen, nach einer Dauer von 2 Stunden, aber das ... ich würde sagen am 3. Verhandlungstag, wenn drei aufeinanderfolgende Verhandlungstage hier ablaufen, am dritten Verhandlungstag, vielleicht auch schon früher oder überhaupt nicht, daß wir dann dazu nicht mehr in der Lage sind. Das also hier Deprivationen eintreten durch die extreme Kreislaufschwäche, die die ... der Gefangenen ihr Untergewicht usw., egal wie immer das zusammenhängt, in der sie der Verhandlung nicht mehr folgen können. Das sind nicht immer gleichzeitig alle vier, aber das ist ganz eindeutig feststellbar für uns, daß der Zustand sich bei drei aufeinanderfolgenden Verhandlungstagen zum dritten Verhandlungstag hin so verschlechtert, daß wir sagen würden nach unserer Feststellung, wir sind nicht mehr verhandlungsfähig, wenn hier und auch noch für vier Stunden am Tag verhandelt wird. Und dazu frage ich Sie nochmal, falls das etwa, als ob ... ziehen Sie grundsätzlich, sind Sie jemals auf die Idee gekommen, daß was wir Ihnen mitteilen über unseren Zustand in Frage zu stellen, oder glauben Sie, glauben Sie ...

Vors.:

Zunächst also wäre die Frage, ist es richtig, daß Sie mit Herrn Baader diese Punkte, die er eben aufzählt, besprochen haben, wie er sagt eingehend?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Über einen dritten Verhandlungstag ist mal gesprochen worden und daß da auch Herr Baader ...

Angekl. B[aader]:

Ja aber auch der Nachmittag.

[961] Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

... wenn ich das richtig im Gedächtnis habe, ich habe nicht alles genau verstanden jetzt im Moment. Das ist vielleicht auch ganz gut, dann kann ich ... wiederholen gesagt hat, daß er sich so, auch die anderen, an einem dritten Verhandlungstag innerhalb einer Woche, nicht mehr in der Lage fühlen würden, der Verhandlung im Rahmen einer Verhandlungsfähigkeit, Folge zu leisten. Darüber ist gesprochen worden, ich kann das aber nicht feststellen, ob es stimmt ...

Vors.:

Gut. Also Herr Baader ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

... soweit man das überhaupt feststellen kann.

Vors.:

... Frage eins ist - Entschuldigung - beantwortet und jetzt wollten Sie ja noch eine abschließende Frage, die damit eingeleitet wurde, stellen, ob Herr Dr. Henck das in Zweifel zöge. So habe ich Sie doch recht verstanden.

Angekl. B[aader]:

Ja sicher, ich habe Sie mal gefragt im Zusammenhang mit irgendeiner Erörterung, ob Sie, naja sind Sie der Ansicht, daß die Symptome, die wir, also daß wir simulieren?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, von simulieren ist nicht Rede gewesen, Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Sie sagen dann also nur, Sie können es nicht feststellen, dabei bleibt es.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Man kann ...

Angekl. B[aader]:

Sie sagen nicht wir simulieren, sondern Sie sagen Sie können das nicht feststellen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Man kann durch Überprüfung der Kreislaufverhältnisse des Hämoglobingehalts, also des Blutfarbstoffes, das sind alles so Dinge und einigen Sachen noch mehr, schon einige Rückschlüsse ziehen. Ich meine das optimale Herausholen zur Fest- [962] stellung der Verhandlungsfähigkeit. Das würde ergänzend zu dem beitragen, was man aufgrund der Wahrnehmungen, was ich schon wiederholt betont habe, schon aussagen kann.

Angekl. B[aader]:

Gut. Haben Sie deswegen gesagt Herr Henck, Sie hielten, denn das haben Sie mir gesagt, Sie hielten diese Untersuchungen durch Ärzte unserer Wahl für notwendig. Das haben Sie zu mir gesagt, Sie hielten diese Untersuchungen für notwendig ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja, nicht für notwendig, ich habe ...

Angekl. B[aader]:

... und Sie sagen auch weiter, erlauben Sie das ich das weiter reduziere, Sie haben gesagt, daß Sie sie aber nicht durchsetzen könnten sozusagen, da Sie nur der Anstaltsarzt sind und weil die Entscheidung darüber, ob Ärzte zugezogen werden, die Entscheidung des Senats ist. Daß Sie selbst aber, als der, egal wie immer, zwangsbehandelnde oder behandelnde Arzt, die Zuziehung dieser Ärzte für notwendig halten.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich halte sie deswegen für notwendig, weil ich selbst die Untersuchungen, weil Sie selbst die Untersuchungen [gg] nicht durchführen lassen. Das hat auch wieder einen Vorsorgecharakter um nichts zu übersehen und damit nachher in keiner Weise vielleicht, wenn irgend etwas vorliegt, Vorwürfe gemacht werden können, man habe das unterlassen, übersehen oder nicht festgestellt. Deswegen meine ich, schon aus reinen Fürsorgegründen heraus, solche Untersuchungen durchgeführt würden.

Vors.:

Darf ich mich da einschalten ...

Angekl. B[aader]:

Moment, Moment ...

Vors.:

... Herr Dr. Henck, verstehe ich Sie richtig, die Notwendigkeit sprechen Sie nicht deswegen aus, weil Sie selbst sich dazu nicht imstande fühlten und nur etwa die Ärzte des Vertrauens dafür oder der eigenen Wahl für kompetent hielten, sondern weil Ihnen bislang keine Möglichkeit gegeben wurde?

[963] Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Eben, daß primäre, daß überhaupt keine Möglichkeit gegeben wurde zu Untersuchen.

Vors.:

Das heißt also, wenn Sie selbst die Möglichkeit hätten, die Untersuchungen durchzuführen, würden Sie dann auch von einer Notwendigkeit der Untersuchung der Ärzte der eigenen Wahl sprechen?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das kommt auf die dann vorliegenden Untersuchungsergebnisse an, ob dann weiterführende Untersuchungen durchgeführt werden müssen, die nicht mehr im Haus durchgeführt werden können.

Vors.:

Es würde also bedeuten ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das würde also bedeuten ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

... das ist die andere Frage.

Vors.:

Das würde also bedeuten, daß Sie die Frage der Notwendigkeit eigentlich erst dann beantworten könnten, wenn Sie selbst mal zumindest diese Untersuchung gemacht hätten. Daraus würde sich’s ergeben.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja, genau.

RA Sch[ily]:

... die Notwendigkeit, hat glaube ich Dr. Henck in jedem Falle bejaht. Die Notwendigkeit der Untersuchung hat Herr Dr. Henck im jedem Falle aus seiner ärztlichen Verantwortung, daraus hat er die Notwendigkeit der Untersuchung in jedem Falle bejaht und ich[hh] darf auch erinnern an die Äußerung, die ja Herr Dr. Henck bestätigt hat, daß er sagt, „ich stochere mit der Stange im Nebel herum“. Das haben Sie doch bestätigt, Herr Dr. Henck nicht?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja.

[964] RA Sch[ily]:

Nicht, und also man kann’s ja auch weiterführend im Bild bleiben, der Nebel würde sich vielleicht lichten und man brauch also nicht mehr mit der Stange, wenn man eben diese Untersuchung zur Verfügung hätte. Und dann könnte vielleicht eben Herr Dr. Henck auch hinsichtlich der Frage der Verhandlungsfähigkeit zu schlüssigeren Erklärungen kommen. Er hat ja auch gesagt, hier das Hamburger Beispiel, die Untersuchung durch die Ärzte des Vertrauens steht mit der Frage der Verhandlungsfähigkeit in einem unmittelbaren Zusammenhang, nicht? Ich glaube das ist schon so richtig wiedergegeben, damit da jetzt kein Mißverständnis ...

Vors.:

Nein, wir haben uns nicht mißverstanden, er hat von der Notwendigkeit gesprochen. Ich habe nur nach dem Grund gefragt, warum er es für notwendig hielte. Im übrigen ist das richtig, daß Sie gesagt haben es stünde in einem unmittelbaren Zusammenhang, die Untersuchung durch Ärzte der eigenen Wahl und die Frage der Verhandlungsfähigkeit?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein.

RA Sch[ily]:

Ja aber Herr Dr. Henck, Sie sind doch ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Es kann sich daraus ...

RA Sch[ily]:

... genannt worden in Hamburg und wie Sie sagen selber ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Darf ich untersuchen ...

Vors.:

Darf ich, Herr Rechtsanwalt Schily, die Antwort mal zuerst abwarten.

RA Sch[ily]:

Ja bitte.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Die Untersuchungen[ii] in Hamburg sind ja durchgeführt worden nach Abbruch des Hungerstreiks, wenn ich richtig informiert bin und nicht im Zusammenhang mit der Frage nach der Verhandlungsfähigkeit, die ja jetzt erst diskutiert worden ist, vor einigen Tagen. Da sind in Hamburg auch diese Unter- [965] suchungen[jj] durchgeführt worden, nach Abbruch des Hungerstreiks, ob irgendwelche organischen Veränderungen zurückgeblieben sind, Restzustände die noch behandelswürdig ... behandelt werden müssen, behandelsbedürftig sind.

RA Sch[ily]:

Herr Dr. Henck, wenn ich Sie richtig verstanden habe - entschuldigen Sie, - wenn ich[kk] noch mal darauf insistiere, haben Sie selber gesagt, „ich stochere mit der Stange im Nebel“. Wenn ich das Bild richtig auffasse, dann heißt das, ich habe keine, eigentlich, Möglichkeit der Nachprüfbarkeit ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

So weiß ich das ...

RA Sch[ily]:

... meines zunächst mal vorweggewonnenen vorläufigen Ergebnisses. Und aus diesem Grunde haben Sie doch wohl auch die Untersuchung befürwortet. Sie selber sagen, ich kann selber untersuchen, dazu besteht also keine Möglichkeit, aber dann wäre die zweite Möglichkeit durch Ärzte des Vertrauens, wobei die Notwendigkeit der Untersuchung in jedem Fall bejaht wird.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Die Untersuchungen, die ich für notwendig erachtet habe und auch heute noch[ll] erachte, die stehen im Zusammenhang mit dem Hungerstreik und mit den Nahrungsstoffen die Ihnen zugeführt wurden und wir nicht wissen, das weiß eben kein Mensch von vornherein, welche Spurenelemente oder was es sonst sein mag, zu wenig oder zuviel gegeben wurden, ich weiß es nicht, die hier nun zu irgendwelchen organischen Veränderungen geführt haben. Dadrum dreht es sich. Nicht um die Frage der Verhandlungsfähigkeit, das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Die Verhandlungsfähigkeit, die ist nur durch schwere körperliche und seelische Mängel oder Krankheiten ausgeschlossen und solche Dinge lassen sich eben doch bei Herrn Baader und Herr Raspe und Frau Ensslin und Meinhof eben doch nicht feststellen, schwere körperliche und seelische Mängel.

[966] Vors.:

Herr Baader hat sich zuerst gemeldet, bitte.

Angekl. B[aader]:

Sie haben doch, also das ist nicht korrekt, wie Sie das da reproduziert haben, weil Sie haben, als Sie das letzte Mal hier waren, war hier die Frage der Deprivationsschäden auf dem Tisch. Da ging es also nicht etwa allein um ... Sie haben vorhin gerade gesagt, die Untersuchung durch Ärzte unserer Wahl, das ..., wenn ich Sie ..., also Sie ..., korrigieren Sie mich, wenn ich das jetzt falsch reproduziere, könnte möglicherweise Erkenntnisse bringen, die auch die Frage der, also die Frage der Feststellung der Verhandlungsfähigkeit berühren. Das haben Sie doch hier vorhin gesagt.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das kann zu Beginn der Fall sein. Es sind auch neuere Arbeiten erschienen, die mir bei ... noch nicht bekannt waren ...

Angekl. B[aader]:

Ja Moment, ich meine jetzt konkret noch mal, Sie haben doch vorhin gesagt, die Untersuchung durch Ärzte unserer Wahl könnte Ergebnisse bringen oder sagen wir mal eine Diagnose bringen, die auch die Frage der Verhandlungsfähigkeit berührt. Das haben Sie doch gesagt.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich habe gesagt, daß Untersuchungsergebnisse und es vermittelt werden möchten, die pathologisch sind, damit eine entsprechende Behandlung durchgeführt werden kann. Die Frage der Verhandlungsfähigkeit ist in dieser, in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt worden.

Angekl. B[aader]:

Das heißt also, also ich würde doch darauf mal logisch schließen, daß Sie nach wie vor überhaupt zu einer Gewißheit oder zu einer Diagnose über die Verhandlungsfähigkeit nicht kommen können oder nicht gekommen sind, daß Sie also auch Verhandlungsfähigkeit hier nicht behaupten können.

Vors.:

Herr Baader, die Frage ist von Herrn Sachverständigen nun schon dutzendmal beantwortet worden in dem Sinne, daß er zu [967] einer Diagnose gekommen ist. Es hat keinen Sinn, daß Sie logisch etwas ganz Anderes schließen, wenn Sie die Tatsachen auf dem Tisch haben, daß es nicht stimmt.

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz war der nächste der sich gemeldet hat.

RA v[on] P[lottnitz]:

Herr Sachverständiger, wie machen Sie das eigentlich, zu der Feststellung zu gelangen, daß schwere organische Schäden bei Herrn Baader oder den anderen Gefangenen nicht vorliegen, ohne auf entsprechende Untersuchungsbefunde zurückgreifen zu können, ...

Vors.:

Jetzt sind wir genau in dem Bereich, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, den ich im Augenblick noch nicht behandelt wissen wollte. Alles hing bisher noch zusammen mit der Ausdeutung der Worte, die Herr Dr. Henck gegenüber Herrn Baader gebraucht hat. Soweit waren die Fragen zulässig, aber das, was Sie jetzt tun, das reicht nun wieder hinein in die Sachverständigenkompetenz, das wollen wir im Augenblick noch nicht haben. Wir wollen uns ja erst schlüssig werden, wo wir eine Ergänzung des Gutachtens dann benötigen. Im Augenblick bleiben wir bei der Tatsachenfrage.

RA v[on] P[lottnitz]:

Dann möchte ich doch beantragen,

daß also Fragen über das bisherige hinausgehend zugelassen werden

und zwar im Hinblick darauf, daß ja bei der jetzigen Vernehmung des Sachverständigen neue Tatsachen zutage getreten sind, also was Herrn Raspe angeht, etwa die Tatsache, daß der Sachverständige geäußert hat, ihm sei nicht nun von Herrn Baader, sondern auch von dem Herrn Raspe zur Kenntnis gebracht worden, etwa Beschwerden im Zusammenhang, im Gleichgewichtssinn. Das meine ich sind Tatsachen, die rechtfertigen, auch die Zulässigkeit der Frage, wie sie jetzt gerade gestellt wurde.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, kein Zweifel, das kann noch kommen, aber im Augenblick wollen wir doch das Thema abgrenzen dahin, daß alles was mit Herrn Dr.[mm] Henck gesprochen wurde, von Seiten [968] der Angeklagten, mal abgeklärt wird und welchen Sinn das gehabt hat. Das ist im Augenblick das Thema, Daraus ergibt sich dann möglicherweise die Notwendigkeit ihn, den Herrn Sachverständigen, dann zu fragen ob er sein Gutachten aufgrund dieser neuen Tatsache, die wir jetzt kennengelernt haben, ergänzen möchte oder gar ergänzen muß. Und dann können entsprechende Fragen gestellt werden. Aber zunächst wollen wir mal alles, was besprochen war und welchen Sinn es gehabt hat, hier klären, nur das.

Herr Raspe, Sie waren glaube ich der nächste, der sich gemeldet hat.

Angekl. R[aspe]:

Herr Henck, ich wollte Sie noch mal fragen, ob Sie nicht etwa vor ner viertel Stunde gesagt haben, daß also die Zuziehung von Ärzten der eigenen Wahl und die Ergebnisse zu denen, die kommen, möglicherweise eben doch auch die Frage der Verhandlungsfähigkeit berühren können und wenn sich[nn] also bzw. Verhandlungsfähigkeit ergeben könnte.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich kann aus meinem Fachbereich dazu sagen, daß es[oo] lediglich darum geht, ob eine psychopathologische Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit vorliegt, und liegt nicht vor. Wenn darüber hinaus irgendwelche schwersten oder schweren körperlichen Störungen vorliegen, dann würden sie ohnehin von Ihnen sicherlich auch angegeben, schwere körperliche Erkrankungen, die vielleicht dann eine Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit, also eine, eine Verhandlungsunfähigkeit nach sich ziehen könnten, aber es ergeben sich ja keine Hinweise und das Ohrensausen ist ja das einzige, was Sie angegeben haben, legimitiert nicht die Annahme einer Verhandlungsunfähigkeit.

Vors.:

Ich bitte nun aber doch zu diesem Punkte langsam die Fragen abzuschließen, der Herr Sachverständige hat in jeder Richtung Antwort gegeben. Ich weiß nicht, ob viel Neues kommt zu diesem Komplex. Herr Rechtsanwalt Riedel, bitte.

[969] RA R[iedel]:

... direkt dazu, nämlich Herr Sachverständiger, Sie hatten ja vorhin angesprochen, als Sie berichteten über das Gespräch mit Baader, daß Sie’s für möglich halten, daß zeitweilig die Situationen[pp] eintreten, die[qq] die Verhandlungsfähigkeit nicht mehr voll garantieren und daß dann derjenige, den sie betreffen, das erkennbar machen kann, in dem er sich halt meldet und um Pause bittet.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja.

RA R[iedel]:

Können Sie von Ihrer Sachkunde her sagen, daß diese Selbstkontrollfunktion will ich’s mal nennen, daß die uneingeschränkt vorliegt bei jemanden oder ist es vorstellbar, können Sie etwas dazu sagen, daß es Fälle geben kann, wo eine Verhandlungsfähigkeit und sei sie auch nur für eine relativ kurze Zeitdauer, gegeben ist, daß aber die Selbstkontrollfunktion nicht mehr wirkt. Daß also derjenige nicht in der Lage ist, das selbst wahrzunehmen, daß er in einem verhandlungsunfähigen Zustand ist um dann entsprechend zu[rr] reagieren. Können Sie dazu was sagen?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja nun, ich glaube schon, daß man im Vorfeld sich hier zu Wort melden kann und zu sagen, daß man der Verhandlung nicht mehr folgen kann, um dann eben dem Gericht zu empfehlen, die Verhandlung für eine gewisse Zeit auszusetzen, für eine halbe Stunde oder je nach dem, oder für den Rest des Tages oder was es sonst sein mag. Man wird einige Untersuchungen machen können an Ort und Stelle, Blutdruckmessungen und Pulszählen, ich hab’s ja schon vorhin mal alles aufgezählt, um hier mit einiger Sicherheit Aussagen machen zu können über den weiteren Verlauf der Verhandlungsfähigkeit oder Verhandlungsunfähigkeit.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Riedel, Sie haben das Wort noch.

RA R[iedel]:

... auch dazu an ... ohne diese Maßnahmen die Sie jetzt nennen, also Puls messen und dergleichen ohne das, ohne auf [970] Werte, die man dadurch gewinnen kann, zurückgreifen zu können.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, das kann, ich will es Ihnen als Beispiel nennen, daß durch ein Blutdruckabfall nahe eine Ohnmacht oder irgend so etwas, ja auch eine Verhandlungsunfähigkeit eintreten kann, warum denn nicht und das kann man[ss] eben dann durch Prüfen der Kreislaufverhältnisse beispielsweise klären. Ich wollte das ja nur an einem Beispiel versuchen zu verdeutlichen.

RA R[iedel]:

Ja, mit geht es doch nur darum, ob Sie sagen können als Sachverständiger oder ausschließen können, daß Situationen entstehen können in der Verhandlung, wo wir’s mit Verhandlungsunfähigen zu tun haben und derjenige, sei’s daß er es gar nicht wahrnimmt, sei’s daß er nicht in der Lage ist die Verhandlungsunfähigkeit darzutun, kann daraus keine Konsequenzen ziehen, also z. B. nicht um diese von Ihnen erwähnten Pausen bitten.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich habe das nicht verstanden. Das ist akustisch sehr schlecht verständlich hier in der Mitte.

RA R[iedel]:

Dann wiederhole ich es nochmal. Können Sie ausschließen, daß Situationen eintreten können, wo wir’s mit Verhandlungsunfähigen zu tun haben, seis deswegen, weil derjenige den es betrifft nicht in der Lage ist zu erkennen, daß er in einem verhandlungsunfähigen Zustand geraten ist, bzw. die Schlußfolge aus dieser Erkenntnis, also die Reaktion daraus zu ziehen und deutlich zu machen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Es gibt bestimmte Erkrankungen, denen man im Moment des akuten Auftretens nicht erkennen kann, ob jemand verhandlungsunfähig ist. Ich denke beispielsweise an die epileptische Erkrankung, daß einer plötzlich in einen [tt] Dämmerzustand gerät, nach außen also nichts sichtbar, erkennbar wird und trotzdem weiterverhandelt wurde, dann wird man hinterher aber dann von dem Betroffenen zu hören bekommen, daß er [971] den Zusammenhang nicht mehr verstanden hat und dann wird man diesen Dingen nachgehen und feststellen, daß eben unter Umständen, also ich sage dies als Beispiel wohlgemerkt, ein solcher besonderer Dämmerzustand eben vorgelegen hat, so etwas gibt es.

RA Sch[ily]:

... weil Sie jetzt gesagt haben, an das Beispiel ..., an die Ausführungen des Kollegen Riedel, daß man in einem solchen Fall zu einer sicheren Aussage nur dann gelangen könne, wenn man also bestimmte Untersuchungen vornimmt. Also Sie haben da gesagt: Blutdruck messen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Als Beispiel, ja.

RA Sch[ily]:

Und worin liegt denn der Unterschied bei einer solchen Situation, wo Sie also nach meiner Meinung nach zu Recht sagen, ich muß das jetzt absichern, ob, durch Untersuchung, ob nun tatsächlich eine Verhandlungsfähigkeit vorliegt oder ob das nun quasi eine Behauptung ist. Ich muß es also absichern und wenn ich jetzt noch mal um zurück zu dem, weil uns der Herr Vorsitzende daran mahnt, hier dieses Thema nicht zu verfehlen, zu der Äußerung, wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie mit Herr Baader eben und Herrn Raspe, ausdrücklich über das Thema „Verhandlungsfähigkeit“ gesprochen, über nichts anderes. Und haben in dem Zusammenhang gesagt, „stochern im Nebel“ und haben in dem Zusammenhang gesagt, „ich befürworte die Hinzuziehung von Ärzten des Vertrauens“, also Untersuchungen durch Ärzte des Vertrauens und das würde ja im Einklang stehen mit Ihrer letzten Äußerung, Herr Dr. Henck, daß Sie sagen, Absicherung durch Untersuchung und ich weiß inwiefern Sie da eigentlich jetzt eine Unterscheidung machen. In dem einen Fall also keine Absicherung, in dem anderen Fall Absicherung durch Untersuchung.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Die Frage hatte ich schon einmal beantwortet, Herr Verteidiger. Es geht lediglich um die Feststellung psychopathologischer Beeinträchtigungen und die lassen sich nicht fest- [972] stellen bei allen vieren, wenn die vorliegen würden, dann müßte eine Verhandlungsunfähigkeit ausgesprochen werden. Die anderen Dinge, die körperlichen Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Hungerstreik, das ist die „mit der Stange in dem Nebel herumfahren“. Das hat aber nichts zu tun mit der Frage der ... mit der beantworteten Frage nach der Verhandlungsfähigkeit, sondern mit dem Gesundheitszustand allgemeiner Art körperlicher ...

RA Sch[ily]:

Wenn ich Sie unterbrechen darf, entschuldigen Sie, daß ich das tue, aber Sie haben doch soeben gesagt, wenn etwas auftritt, dann muß ich das absichern ... durch Blutdruckmessungen, um festzustellen, was liegt jetzt vor. Zunächst mal pathologisch.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Eine akute ja, wenn ...

RA Sch[ily]:

Nicht? Ja eine akute. Muß ich also absichern, was, was ... wieso ist da der Unterschied, also, die allgemeine körperliche und psychische Befindlichkeit ist doch sozusagen der Untersuchungsgegenstand, der dann zu bestimmten Schlußfolgerungen führt, hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Herr Verteidiger, ich muß das nicht unbedingt dadurch absichern. Ich werde auch an dem Befinden, an der Wesensmäßigkeit dieses Betroffenen feststellen können, ob er wieder verhandlungsfähig ist. Ich kann, ich möchte jetzt nicht nochmal sagen „bestenfalls“, sonst würden Sie das wieder in die falsche Kehle bekommen, durch solche Untersuchungen, daß nur noch unterstützend sagen können, hier, das stimmt, was ich vorher auch schon festgestellt habe. Das „bestenfalls“ ist immer hier nur medizinisch gemeint und sonst überhaupt nichts.

RA Sch[ily]:

Ja aber Dr. Henck, würde ..., das würde ja dann auch gelten, wenn jetzt nachmittags sich jemand meldet und sagt, also ich kann nicht mehr, Sie wollen jetzt Blutdruck messen, ist es dann auch so, daß bestenfalls dann noch Ihre ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nun das ist nicht unbedingt notwendig diese Blutdruckmessung, aber sie würde die Erkenntnisse, die man vom fachpsychiatrischen Wissen her und von der Erfahrung her zur Verfügung stellt, würde [973] das noch unterstützend mit in[uu] die Waagschale gelegt werden können, um eine Verhandlungsunfähigkeit auszusprechen oder ...

RA Sch[ily]:

Ja aber Sie haben gerade soeben gesagt, zu sicheren Ergebnisses kann ich nur kommen, wenn ich solche Untersuchungen vornehme. Und jetzt sagen Sie wieder es ist nicht notwendig.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nicht nur, Herr Verteidiger bitte, nicht nur, also das stimmt nicht.

RA Sch[ily]:

Aber dann bitte jetzt mal das Protokoll zurückzuspulen, vielleicht kann man es Dr. Henck nochmal vorspielen. Sie haben es ausdrücklich so gesagt, „zu sicheren Ergebnissen kann ich dann nur gelangen, wenn ich solche Untersuchungen vornehme.“ Haben Sie ausdrücklich gesagt, Herr Dr. Henck.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja, zu „sichereren“, das ist doch selbstverständlich. Je länger ich untersuchen, je mehr Befunde ich habe, je mehr Untersuchungsergebnisse, um so sicherer ist das Gesamtergebnis; das versteht sich doch von selbst.

RA Sch[ily]:

Naja wenn es sich von selbst versteht ...

Vors.:

Können wir uns da einigen, der Herr Sachverständige meint, er habe gesagt „zu sichereren“ nicht zu sicheren.

RA Sch[ily]:

Er hat aber „zu sicheren“ gesagt.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja dann gut, dann ist es sicherer gemeint gewesen.

RA Sch[ily]:

Aber Herr Dr. Henck, Sie haben doch auf mehrmaligen Vorhalt, ich hab’s ja sogar ja noch einmal vorgehalten, da[vv] haben Sie auch von zu „sicheren“ gesagt und jetzt erst, nachdem ich Sie versuche, auf diesen Widerspruch hinsichtlich der generellen und der speziellen Beurteilung der Verhandlungsunfähigkeit hinzuweisen, da versuchen Sie jetzt also wieder eine Korrektur mit [974] einem Komparativen, und sagen zu einer „sichereren“ nicht?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ja.

RA Sch[ily]:

Also das finde ich doch eigentlich so, so daß es ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich habe mich dann eben korrigieren müssen, Herr Verteidiger.

Vors.:

Herr Dr. Henck, sind eigentlich in der Zeit seit dem Hungerstreik irgendwelche Versuche, zu Befunden durch neutrale Ärzte zu gelangen, gemacht worden?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nichts Nennenswertes. Wir haben versucht, also es dreht sich um Augenuntersuchungen, es waren aber ein Optikermeister im Haus wegen neuer Brillen. Es läuft auch jetzt wieder eine Sache bei Frau Meinhof.

Vors.:

Nein, das interessiert nicht, sondern sagen mal Internisten oder sonst irgendwie ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Nein, nein

Vors.:

Es war doch mal eine Ärztekommission zusammengestellt gewesen. War das im Zusammenhang mit dem ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Das war im Zusammenhang mit dem Streik, das hat sich aber dann aufgelöst nach Abbruch des Streiks.

Vors.:

Kann man daraus schließen, daß Sie aus Ihrer Sicht und Erfahrungen heraus, jedenfalls bis heute, die Notwendigkeit solcher Untersuchungen notfalls durch neutrale Ärzte noch nicht bejaht haben, so daß, sagen wir mal, als nicht grundsätzlich wichtiges ansehen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Na, ich halte es für durchaus wünschenswert, also als vorsorgliche Untersuchung, um eben zu wissen, ob man hier irgendwo helfend eingreifen muß. Das ist ein rein ärztliches Anliegen

[975] Vors.:

Aber nicht, wenn ich Sie richtig verstehe, deswegen, weil Sie bis jetzt schon Symptome feststellten, die dazu geradezu zwängen.

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Es könnte sich bei dem Ohrensausen was ergeben, daß es notwendig ist, dazu gehört die neurologische, das können sie selbst sogar tun, in dem Fall, aber ich kann es nicht tun.

Vors.:

Sie dürfen nicht tun. Sie könnten von Ihrer Sachkunde her ...

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich könnte ... die Untersuchung wird mir verwehrt, so ist es, deswegen.

Vors.:

Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, also ich weiß nicht, ob das wirklich jetzt klar ist, was hier abläuft. Daß es eine ganz klare Analogie gibt zu der Situation Holgers bevor er gestorben ist, zu der Situation Hausner[43] und zuletzt zu der Situation von Katherina Hammerschmidt[44], d. h. der drei Gefangenen, die dadurch gestorben sind, würden wir sagen oder für deren[ww] Tod unmittelbar verantwortlich ist, daß ihnen die Ärzte ihrer Wahl verweigert[xx] worden sind.

Vors.:

Sie können diesen Analogieschluß nicht ziehen ...

Angekl. B[aader]:

Die Situation ...

Vors.:

... und zwar einfach deswegen, Herr Baader, weil die Prämisse falsch ist.

Angekl. B[aader]:

Inwiefern ist die Prämisse falsch? Es sind Anträge gestellt worden ...

Vors.:

Im übrigen Herr Baader ...

Angekl. B[aader]:

Es gibt ... Herr Prinzing, es gibt einen Arzt hier, der sagt ...

[976] Vors.:

Darf ich mal bitten, mir das Wort zu verschaffen. Herr Baader, ich habe Ihren Herrn Verteidiger danach gefragt, er hat es entrüstet zurückgewiesen, ob Ihnen empfohlen worden sei, sich doch mal untersuchen zu lassen. Ich meine eben folgendes, der Herr Dr. Henck war ein Arzt, der sich während des Hungerstreiks doch in anerkannter Weise um Sie bemüht hat, das weiß jeder und warum Sie ihn nun, ausgerechnet einem Arzt, der sich so eingesetzt hat, die Möglichkeit verwehren, sich ein sicherere Bild zu verschaffen. Das erstaunt, warum Sie partout auf Ärzten bestehen, von denen Sie sagen, sie seien die Ärzte Ihrer Wahl.

Angekl. B[aader]:

Soll ich Ihnen das erklären?

Vors.:

Herr Baader. Ich würde Ihnen ... Es geht mir gar nicht so sehr um die Erklärung, es geht mir drum um die Empfehlung ... (Angekl. B[aader] ruft unverständlich dazwischen) Lassen Sie sich doch untersuchen.

Angekl. B[aader]:

... dann stelle ich Ihnen vielleicht mal dar

1. es ist zwar sicher, es ist zwar sicher, daß Henck sich während, oder Herr Henck, sich während des Hungerstreiks darum bemüht hat, die Zwangsernährung zunächst, sage ich ausdrücklich, in einer Weise durchzuführen, die für die Gefangenen nicht[yy] quälend ist. Das ist sicher richtig, aber im Zusammenhang des Durststreiks ist Herr Henck zu einer Lösung gekommen, d. h. zu einer Konstruktion, die wir als physische Folter bezeichnen würden, wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das genau darstellen. Die ... Konstruktion, die Henck entwickelt hat, die Art und Weise, die Gefangenen mit drei Litern Flüssigkeit über 3 Stunden absoluter Bewegungslosigkeit, bewegungslos an die Pritsche gefesselt, langsam volllaufen zu lassen, so daß sie dann schließlich in diesen Gurten aufgequollen sind, also der absolut, ein wirklich unvorstellbar qualvoller Zustand dadurch, daß der Schmerz sich über drei Stunden, diese Prozedur des Aufpumpens mit Flüssigkeit sich so gesteigert hat in den Gurten. [977] Sie haben das als physische Folter bezeichnet. Das ist allerdings auch korrekt, daß in diesem Zusammenhang Herr Henck dann persönlich gar nicht mehr auftrat. Er hat nur diese Maschinerie sozusagen angeschafft, ausgesucht. Er hat das alles arrangiert und als dann aber die Situation eintrat, daß dieses Instrumentarium eingesetzt wurde, war er nicht mehr sichtbar. Das ist aber, glaube ich, nicht der wesentliche Punkt, daß Herr Henck selbst fünf, sechs, sieben, achtmal, würde ich sagen, dargestellt hat, die Beliebigkeit sozusagen seiner Feststellungen. Er hat ... seine besondere Situation ist, daß, wenn er zu dem Schluß kommt, daß eine bestimmte Behandlung notwendig ist, daß er diese Behandlung nicht durchsetzen kann, weil das nicht in seiner Zuständigkeit liegt. Das ist der Grund, warum ich von Herrn Henck nicht untersuchen lasse. Er kann auch ... vorgestellt, er käme zu einer Diagnose und darüber bestand mit ihm sozusagen ein Konsensus, kann er die Therapie nicht durchsetzen, die die Therapie, zwischen der Therapie, der Diagnose und der Therapie steht der Senat zum Beispiel. Stehen, doch, wenn bestimmte Maßnahmen, das ist sehr deutlich, wenn bestimmte Maßnahmen notwendig sind.

Vors.:

Sie haben jetzt Ihr Mißtrauen ...

Angekl. B[aader]:

Wenn Herr Henck, wenn Herr Henck ...

Vors.:

Herr Baader, bevor Sie fortfahren, haben Sie sich, bevor Sie diesen Durststreik jetzt reklamieren, von Dr. Henck untersuchen lassen, obwohl Sie doch gerade zugegeben haben, während des Hungerstreiks von ihm, nach Ihrer eigenen Meinung, gut betreut worden zu sein oder jedenfalls pflichtgemäß betreut worden sind. Haben Sie sich während des Hungerstreiks, also bevor Sie diese jetzt negativen Erfahrungen, die Sie aufzählen, gemacht haben, Sie sich da untersuchen lassen? (Zwischenruf)

Nein, jetzt spricht Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Der Punkt ist einfach der, daß ich vor dem Hungerstreik nicht in der Vollzugsanstalt Stammheim war und daß es darüber hinaus die Erfahrung mit dem Vollzugsärzten gibt, daß sie sich an ihre Schweigepflicht gar nicht halten können, sondern es gibt ein Aktenstück, aus dem geht hervor, daß eine permanente Kommunikation [978] zwischen dem Bundeskriminalamt jenseits jeder Zuständigkeit, denn ich war damals Strafgefangener,[45] und dem Anstaltsarzt besteht, d.h. daß meine Auszüge aus der Krankenakte bzw. Befunde jeweils unmittelbar dem Bundeskriminalamt mitgeteilt worden war.

Vors.:

Herr Dr. Henck, trifft das zu?

Regierungsmedizinaldirektor Dr. H[enck]:

Ich kann hier also, wenn es sein muß unter Eid aussagen, daß ich noch nie gefragt wurde nach irgendwelchen Daten, die irgendwo anders ihnen Niederschlag finden sollten. Ich werde auch von mir aus nie irgendwelche Daten herausgeben, Herr Baader, das habe ich Ihnen schon x-mal gesagt, daß das ...

Angekl. B[aader]:

Aber Herr Henck, wie erklären Sie sich denn dann, wie erklären Sie sich denn dann als Beispiel, also es gibt doch ganz offensichtlich, ich erinnere mich ...

Vors.:

Herr Baader, jetzt wollen wir es nicht weiter austreten. Ich habe Ihnen nur vorgeführt, daß die Möglichkeit, sich durch einen Arzt, zu dem Sie zumindest eine Zeitlang ein gewisses Vertrauen gehabt haben, sich untersuchen zu lassen, für Sie durchaus gegeben war und Herr Dr. Henck wäre sicherlich bereit gewesen für den Fall, daß er zu irgendwelchen Ergebnissen kommt, die er nicht mehr allein beurteilen kann, die entsprechende Vorschläge bezüglich weiterer Ärzte, Fachärzte zu machen, nichts ist geschehen.

Herr Rechtsanwalt Schily, Sie wollten sich jetzt einschalten

RA Sch[ily]:

Er ist offenbar noch nicht zu Ende.

Angekl. B[aader]:

Naja, das ist wieder nicht ganz richtig, was Sie sagen, denn Herr Henck hat während des Hungerstreiks immer wieder beteuert und immer wieder festgestellt, daß die Haftbedingungen im 7. Stock in Stammheim, d.h. die Bedingungen der Isolation, daß er sie für unmenschlich hält, daß er Sie für gesundheitsgefährdend ...

[979] Vors.:

Herr Baader,

Der Vorsitzende und der Angeklagte Baader sprechen durcheinander.

... auf Ihre Mühle gewesen sein, zu diesem Manne Vertrauen zu haben.

Angekl. B[aader]:

Das ist keine Frage. Ich habe zu Herrn Henck nie Vertrauen gehabt. Der Punkt ist der, daß er als Arzt als Neurologe, als Psychiater, als Vollzugsarzt gesagt hat, die Haftbedingungen sind unmenschlich, sie müßten geändert werden

[980] Aufgrund eines technischen Defektes wurde ca. 10 Minuten der Verhandlung nicht auf das Tonband aufgenommen.

Während dieser Zeit wurde der Sachverständige Dr. Henck zur Sache vernommen. [zz]

RA Schily:

Versuchen Sie sich nochmal praktisch klar darüber zu werden, daß hier aus der Fürsorgepflicht allein, aus der Fürsorgepflicht die ärztliche Untersuchung notwendig ist. Und wenn Sie die Ergebnisse nicht fürchten, wenn Sie sie nicht fürchten - Sie sagen, sie fürchten sie nicht, um so besser -, dann kann man doch aus diesen Ergebnissen dann eine sachliche Grundlage gewinnen, ob Verhandlungsfähigkeit, ja oder nein. Damit ist doch allen, allen Prozeßbeteiligten gedient, daß darüber eine sichere Grundlage geschaffen wird. Und das hat meiner Meinung auch Dr. Henck gesagt mit seinem Ausdruck „Nicht mit der Stange im Nebel stochern“ auf diese Weise eben der Nebel sich lichtet. Und man darf eines dabei auch nicht vergessen.

- Ende von Band 38a -

[981] RA Schily

Sie versuchen immer zu sagen:

Ja es interessieren nur die Auswirkungen des Hungerstreiks. Das kann man doch - wissen Sie, wenn man von der Anamnese spricht, dann kann man das überhaupt gar nicht trennen Es mag der Hungerstreik seine Auswirkungen gehabt haben; aber es hat auch die Isolation ihre Auswirkung. Das hat ja selbst Herr Dr. Henck nicht bestritten. Er sagt nur:

Ich kann’s nicht nachprüfen. Ich hab zunächst mal nur meine visuelle Diagnose, nicht. Das ist das einzige.

Also, Sie kommen meiner Meinung nach nicht daran vorbei, eine solche Untersuchung zuzulassen. Und warum - das möchte ich jetzt wirklich mal vom Senat hören, außer dem Argument:

Ja, es muß eben die Untersuchung durch Dr. Henck stattfinden - aus welchem Grunde das eigentlich nicht zugelassen wird. Darüber habe ich bisher keine schlüssige Erklärung.

Vors.:

Darf ich an Herrn Dr. Henck eine Frage stellen? Sie haben ja jetzt das Hin und Her gehört.

Unter Beachtung dessen, daß Sie keine körperliche Untersuchung durchführen konnten, wiederhole ich nochmals die Frage, die Sie allerdings schon beantwortet haben, früher - Sie können sie jetzt unter Berücksichtigung dessen, was heute neu gefragt worden ist, was Ihnen vorgehalten worden ist, nochmals beantworten -:

Sind die Angekl. in der Lage, dem Verhandlungsrhythmus, wie wir ihn hier im allgemeinen haben, nämlich ungefähr von 9.00 - 12.00 Uhr und von 14.00 - 16.00 Uhr oder etwas darüber hinaus, nach den Beobachtungen, die Sie mit den Angeklagten gemacht haben, zu folgen, zu verstehen, was gesprochen wird und sich selbst verständlich zu äußern zu dem, was sie vortragen wollen?

RA v[on] Pl[ottntiz]:

Ich muß diese Frage beanstanden, in der Form ist sie so suggestiv, das ist unübersehbar. Sie sagen selbst, er habe es schon beantwortet. Sie wollen nur noch das Echoprinzip hier ausprobieren. Es soll der Sachverständige nochmals bestätigen. Die Frage wird beanstandet. Ich bitte um

Senatsbeschluß[46]

deshalb.

[982] Vors (Nach geheimer Senatsumfrage):

Der Senat hat soeben beschlossen auf Ihren Antrag:

Die Frage ist zulässig.

Herr Dr. Henck, bitte beantworten Sie die Frage.

Herr RA Dr. Heldmann, jetzt wird Herr Dr. Henck zunächst die Frage beantworten.

Wir haben eben am Tisch beraten. Herr Dr. Henck, bitte geben Sie die Antwort.

Dr. Henck:

Ich kann die Frage erneut, auch nach dem, was ich heute hier an neuem oder nicht neuem gehört habe, wiederum nur dahingehend beantworten, daß eine Verhandlungsfähigkeit generell gegeben ist, im Einzelfall unter Umständen einmal vorübergehend, durch Melden des einzelnen, eine vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit eintreten kann über eine ganz kurze Zeitstrecke hinweg. Aber generell ist eine Verhandlungsfähigkeit bei allen vier Angekl. nach meinen Beobachtungen, Wahrnehmungen und den aufgrund der Wahrnehmungen aufgebauten Befunden vorhanden.

Vors.:

Hat der Senat nach Ihren Kenntnissen des Gesundheitszustandes der Angekl. eine Möglichkeit zu beurteilen, wenn eine solche Meldung kommt, ob in der Tat nun eine Gefahr für die volle Wahrnehmungsfähigkeit und Verhandlungsfähigkeit gegeben ist oder bedarf es da jeweils dann der Zuziehung des Arztes?

Dr. Henck:

Es ist empfehlenswert, einen Arzt hinzuzuziehen.

RA v[on] Pl[ottntiz]:

... ob der Senat Veranlassung hat, eine sachverständige Äußerung zu Hilfe zu rufen, muß der Senat entscheiden. Das kann er nicht den Sachverständigen fragen.

Was ist denn das hier für ’ne Methode? ...

Vors.:

Ich habe gefragt - wenn Sie zugehört hätten, Herr RA, würden Sie’s bemerkt haben -, ob unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes, wie ihn der Herr Sachverständige nur kennt - [983] - wir selbst haben mit der medizinischen Betreuung nichts zu tun -, ob er unter Berücksichtigung dessen uns die Empfehlung gibt, jeweils einen Arzt dann hinzuzuziehen.

Dr. Henck:

Ich halte es für zweckmäßig, dann einen Arzt hinzuzuziehen, um die Verhandlungsfähigkeit oder bzw. -unfähigkeit feststellen zu lassen, psychiatrisch feststellen zu lassen. Es dreht sich ausschließlich um eine psychiatrische Frage.

Vors.:

Wollen die Herrn von der B. Anwaltschaft noch etwas dazu äußern?

RA Dr. He[ldmann]:

Um was für eine Frage handelt es sich?

Vors.:

Darf ich fragen:

welche Frage? Jetzt im Augenblick?

Reg. Dir. Wi[dera]:

(Nicht verständlich)

Vors.:

Ach so. Sie haben die Antwort von Herrn Dr. Henck nicht verstanden.

Entschuldigung, Herr B. Anw., dann darf das vielleicht Herr Dr. Henck nochmals verdeutlichen.

Es ist offenbar Ihre Antwort nicht richtig verstanden worden. Wenn Sie sie nochmals wiederholen wollen?

Dr. Henck:

Es liegt eine Verhandlungsfähigkeit in der angegebenen Zeit vor. Es ist möglich, daß während dieses gesamten Prozeßverlaufs - das sind jetzt etwas andere Worte; jedoch kommt es sinngemäß auf das gleiche heraus - es vorkommen kann, daß eine vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit oder unvorhersehbar selbstverständlich auch eine Verhandlungsunfähigkeit auf längere Zeit eintreten kann.

Das sind prophetische Dinge, die ich aber nicht voraussehen kann. In jedem Fall würde ich es für den Fall, wenn solche Zweifel auftauchen, für erforderlich halten, einen psychiatrischen Sachverständigen hinzuzuziehen, der feststellt, ob eine Verhandlungsunfähigkeit eingetreten ist oder nicht; [984] oder wann eine Verhandlungsfähigkeit wiederhergestellt ist bzw. wieder eingetreten ist.

Vors.:

Bitte, Herr B. Anw. ...

Reg. Dir. Wi[dera]:

Ich wollte nur die Anregung geben:

Nachdem aus den verschiedenen Erklärungen - und es kamen ja nur noch Erklärungen, bevor Sie diese Frage stellten - sich für mich ergeben hat, daß Fragen zum gesteckten Beweisthema nicht mehr sind, daß man jetzt an die weitere Frage geht zu entscheiden, ob der Herr Dr. Henck als Sachverständiger noch gebraucht wird und dann entsprechend zum weiteren Teil der Vernehmung kommt.

Vors.:

Bitte, Herr RA Dr. Heldmann.

Nach Passage des RA Dr. Heldmann

Vors.:

Bitte um Ruhe im Saal. Ich hab den Saal gemeint im Augenblick.

Stimme aus dem Zuschauerraum:

Mikrophon ist nicht an!

RA Dr. He[ldmann]:

Obgleich ich diesen Antrag,

auf die Einvernehmung des Herrn Dr. Henck als Sachverständigen,

gestellt habe, bin ich - trotz wiederholter Meldungen zu meinen Fragen bisher nicht gekommen. Ich habe protestiert deswegen dagegen, daß Sie nunmehr die Befragung abgeschlossen haben trotz meines Zwischenrufs, der eben diesen Inhalt hatte, und Herrn Dr. Henck nunmehr - und ich muß wiederholen: suggestiv - auf eine frühere Aussage, ohne diese Frage hier abgewartet zu haben, festgelegt haben.

Also Herr Reg. Dir. Widera irrt:

Fragen sind vorhanden; die Vernehmung des Herrn Dr. Henck ist nicht abgeschlossen.

Von Seiten der Verteidigung jedenfalls nicht.

[985] Vors.:

Bitte, Sie haben das Fragerecht.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Dr. Henck, ausdrücklich oder konkludent haben Sie ja erklärt, daß Sie als Amtsarzt in dieser Anstalt kompetent seien für die Frage der Verhandlungsfähigkeit der Diagnose also und auch der Behandlung, ja?

Dr. Henck:

Ich habe es nicht verstanden. Es ist akustisch sehr schlecht hier.

RA Dr. He[ldmann]:

Haben Sie auf die bisher gestellten Fragen nicht geantwortet, daß Sie als Anstaltsarzt dieser Anstalt kompetent seien nicht nur für Diagnose sondern auch für Behandlung?

Dr. Henck:

Ja.

RA Dr. He[ldmann]:

Und sind Sie auch der Meinung, daß etwa Holger Meins durch seinen Anstaltsarzt auch die ausreichende ärztliche Versorgung gehabt hat?

OStA Ze[is]:

Die Frage ist eindeutig unzulässig. Sie hat mit der Sache nicht das Geringste, nicht das Allergeringste, Herr Dr. Heldmann, zu tun.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Zeis, sie ist zulässig.

Vors.:

Nein. Die Frage ist nicht zulässig. Sie steht nicht im Sachzusammenhang mit dem, was wir mit dem Herrn Sachverständigen im Augenblick besprechen.

RA Dr. He[ldmann]:

Dann werde ich Ihnen den Sachzusammenhang erklären:

Herr Baader hat ausdrücklich versucht, Ihnen darzulegen, warum er das Vertrauen zum Anstaltsarzt nicht hat, und dazu gehört diese Frage, nämlich nach der ausreichenden ärztlichen Versorgung durch den Anstaltsarzt von Holger Meins; und es [986] gehört die Frage der ausreichenden ärztlichen Versorgung durch den Anstaltsarzt für Katharina Hammerschmidt, die vorgestern gestorben ist.

Vors.:

Wird nicht zugelassen mangels Sachzusammenhangs.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja, natürlich. Natürlich werde ich Sie um einen Gerichtsbeschluß[47] bitten.

Geheime Umfrage des Senats

Vors.:

Der Senat hat beschlossen:

Die Frage hat keinen Sachzusammenhang und wird deshalb nicht zugelassen.

Es geht hier nicht um die Frage des allgemeinen Mißtrauens gegen irgendwelche Anstaltsärzte, sondern es kann immer nur um die Frage eines konkreten Mißtrauens gegen einen bestimmten Arzt gehen, und hier haben wir es mit Herrn Reg. Mediz. Dir. Dr. Henck zu tun und nicht mit Ärzten, die die Behandlung durchgeführt haben, die Sie erwähnt haben.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja, Es steht mir nicht an, Beschlüsse des Senats zu kommentieren; jedoch möchte ich zumindest anmerken, daß ich, nachdem jene Fälle vorangegangen waren, Herrn Baader verstehen kann, wenn er sagt:

Bitte schön, aber kein Anstaltsarzt.

Vors.:

Ihre Frage?

RA Dr. He[ldmann]:

Meine Frage, die Existenz, die medizinische Existenz einer sog. partiellen Verhandlungsfähigkeit haben Sie verneint.

Würden Sie zustimmen, daß aber von einer zeitlich beschränkten Verhandlungsfähigkeit zu reden ist?

Dr. Henck:

Es ist möglich, daß in zeitlicher Hinsicht eine vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit eintreten kann; es ist auch möglich, [987] daß im Laufe des gesamten Prozeßablaufs auch bei einem oder mehreren eine Verhandlungsunfähigkeit aufgrund irgendwelcher Erkrankungen auf Dauer eintreten kann. Das kann ich nicht voraussagen.

RA Dr. He[ldmann]:

Wie würden Sie denn die Verhandlungsfähigkeit eines Rekonvaleszenten, eines soeben Rekonvaleszierenden, nach langjähriger Krankheit beurteilen? Ebenso wie sie: Partiell gibt es nicht, also nur voll?

Dr. Henck:

Das läßt sich nicht generell beantworten. Dazu müßte ich den einzelnen Rekonvaleszenten vor mir haben, um das aussagen zu[aaa] können nach einer entsprechenden Untersuchung. Zumindest müßte ich mich mit ihm gesprächsweise unterhalten haben, um etwas zu sagen, also einen ganz konkreten Fall. Aber allgemeine Darlegungen hier vorzutragen, daß bei einer Rekonvaleszenz unter Umständen eine Verhandlungsfähigkeit oder -unfähigkeit gegeben sein sollte, das läßt sich so allgemein gar nicht beantworten, Herr Verteidiger.

RA Dr. He[ldmann]:

Sie schließen also, Herr Sachverständiger, nach dem, was Sie zuletzt gesagt haben, das Phänomen der zeitlich begrenzten Verhandlungsfähigkeit nicht generell aus.

Dr. Henck:

Ich hab’s wieder nicht verstanden.

RA Dr. He[ldmann]:

Sie schließen also nach dem, was Sie auf meine letzte Frage geantwortet haben, die Möglichkeit zeitlich begrenzter Verhandlungsfähigkeit nicht aus?

Vors.:

Darf ich nur geschwind dazwischenreden, weil vorhin die Suggestivfrage beanstandet wurde.

Das ist also ein typisches Beispiel einer Suggestivfrage.

Aber bitte, antworten[bbb] Sie jetzt dem Herrn RA.

Dr. Henck:

Ich habe das nicht gesagt. Ich habe gesagt,

daß möglicherweise eine vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit mal eintreten kann.

[988] RA Dr. He[ldmann]:

Ich fragte generell - darum nannte ich das Beispiel des Rekonvaleszenten, darum meinte ich das Beispiel des hochgradig erschöpften Menschen - da meinen Sie, es seien lediglich momentane Verhandlungspausen einzulegen, da sei nicht generell die Verhandlungsdauer zu begrenzen, meinen Sie?

Dr. Henck:

Wenn ich einen Rekonvaleszenten habe, dann muß ich im Einzelfall diesen Rekonvaleszenten kennen, um irgendwelche relevanten Aussagen machen zu können ...

Vors.:

Ich bitte darum, doch die Frage den Herrn Sachverständigen beantworten zu lassen.

Dr. Henck:

... um irgendwelche relevanten Aussagen machen zu können über die Verhandlungsfähigkeit.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja. Der Herr Vorsitzende hat Sie als einen sehr erfahrenen Arzt bezeichnet - wir wissen es ja alle -. Sie sagten uns ja: 20 Jahre Praxis. Gleichwohl berufen Sie sich auf die Beweisfrage, für die Sie als Sachverständiger ja hier eingeladen worden sind, auf ein Lehrbuch zu 50 Mark.

Darf ich meine Bitte wiederholen? Was? 350 Mark.

Darf ich meine Bitte wiederholen, wer die Autoren dieses Lehrbuchs sind und welchen Titel es trägt?

Dr. Henck:

Was ist bitte gemeint? Ich habe das mit den 350 Mark nicht verstanden, Herr Verteidiger,

RA Dr. He[ldmann]:

Es war eigentlich das Unwesentliche, indem ich Sie von vorhin wiederholt habe.

Dr. Henck:

Ich versteh kein Wort.

Vors.:

Es geht darum, daß Sie die Verfasser dieses Lehrbuchs benennen.

Dr. Henck:

Ach, dieses Buch hier, ja? Soll ich es zuklappen oder was?

RA Dr. He[ldmann]:

Auf welches Sie sich vorhin berufen haben.

[989] Dr. Henck:

Ja, was ist mit dem Buch?

Vors.:

Sie werden gebeten, den Verfasser zu benennen.

Dr. Henck:

Den Verfasser?

Vors.:

Ja.

Dr. Henck:

Das ist das „Handbuch der forensischen Psychiatrie“; das ist in zwei Bänden erschienen. Ich habe hier den Teil 2, mal mitgebracht. Da gibt es 2 Teile und den Teil C, das ist die ... Aufgaben der Psychiatrie; und der Teil C, das ist der Sachverständige, „Gutachten im Verfahren“.

Vors.:

Verfasser bitte

Dr. Henck:

Das ist bearbeitet von Göppinger, Bresser, Haddenbrock, Huber, Leferenz, Luthe, Matiar-Vahar, Vetter, Witter und Wolf.

Vors.:

Ich würde sagen, wir geben den Herrn die Umschlagseite kurz rüber, dann können sie sich die Verfasser notieren.

RA Dr. He[ldmann]:

Nein, Herr Prinzing, vielen Dank!

Göppinger und andere reicht. Das werden wir schnell herausfinden.

Herr Vors., würden Sie erlauben, daß der Herr Sachverständige uns das Zitat zum Besten gibt, worauf er seine heute vertretene Meinung stützt:

Eine partielle Verhandlungsfähigkeit - oder wie wir’s jetzt konkretisiert haben - eine zeitlich beschränkte Verhandlungsfähigkeit gebe es nicht?

Vors.:

Ich habe es so verstanden, daß der Herr Sachverständige dafür kein Zitat gefunden hat. Aber bitte, wenn es eines gibt ...

RA Dr. He[ldmann]:

Er hat sich auf dieses Buch für diese Meinung berufen.

[990] Vors.:

Ja, daß es nicht drinsteht. Da stehe nichts drin von einer partiellen Verhandlungsfähigkeit. Genau das.

Dr. Henck:

Es ist hier von einer sog. - hier heißt es z. B.:

Ein Geisteskranker kann außerhalb seines Wahnsystems verhandlungsfähig sein.

Das steht da drin.

Wenn Sie das meinen mit der Verhandlungsfähigkeit oder -unfähigkeit, Herr Verteidiger, dann ist der Schuß genau hinten rausgegangen.

RA Dr. He[ldmann]:

Und wenn Sie bis jetzt noch nicht gemerkt haben, Sie sog. Herr Sachverständiger, worum es ...

Vors.:

Herr RA, ich möchte Sie bitten, sich zu mäßigen. Wir sagen ja auch nichts von sogenannten ...

RA Dr. He[ldmann]:

Dann weisen Sie mal diesen Herrn Sachverständigen hin, welches sein Thema ist und wo er seine blödsinnigen Floskeln endlich sein lassen soll!

Vors.:

Herr RA, Sie werden sich wirklich allmählich ein bißchen zu wenig selbst mehr Herr sein, wenn Sie so weitermachen.

RA Dr. He[ldmann]:

Das fällt sehr schwer, sich so etwas hier anhören zu müssen.

Vors.:

Glauben Sie, Herr RA, wir müßten uns nicht alle hier beherrschen? Wir tun’s auch.

RA Sch[ily]:

Darf ich aber darauf aufmerksam machen, daß es nicht die Aufgabe eines sog. Sachverständigen ist, von einem Schuß nach hinten ...

Vors.:

Sie meinen, wenn Sie dieselbe Ungehörigkeit wiederholen, wird sie gehörig oder wie?

[991] RA Sch[ily]:

Nein, Es geht nur darum, daß ich vielleicht auch mal die Aufmerksamkeit ...

Vors.:

Sie haben kein Recht ...

RA Sch[ily]:

Moment! Moment! Herr Vors., jetzt hab ich das Wort!

Vors.:

Nein.

Abstellen bitte.

Herr RA, wenn Sie ... Ja, hier wird abgestellt, wenn Sie von einem sog. Sachverständigen reden.

RA Sch[ily]: (nimmt sich das Wort ohne Mikrophon)

(Zunächst unverständlich) ... wäre es Ihre Initiative als Vors. gewesen ... zu sagen: Herr Dr. Henck, ich bitte Sie, doch solche unsachliche Äußerungen zu unterlassen.

Dr. Henck:

Dann bitte ich auch darum, Ihre Floskel anzuführen, daß ich dauernd mit der Stange im Nebel herumgefahren bin.

RA Sch[ily]:

Das ist doch Ihre Äußerung.

Vors.:

Augenblick Herr Dr. Henck.

Dr. Henck:

Lächerlich.

Vors.:

Herr RA,

erstens stelle ich fest, daß Sie sich nun wiederum - obwohl Sie das Wort nicht hatten, und es eindeutig bei der Verhandlungsführung liegt, ob Sie das Wort erhalten oder nicht - das Wort genommen haben. Das ist allmählich ein Bild geworden, das wir gewohnt sind.

Das zweite:

Ich konnte noch nicht mal denken, was der Herr Sachverst. hier gesagt haben soll, und was möglicherweise Sie aufregt, [992] bevor schon Herr RA Dr. Heldmann den sog. Herrn Sachverst. ja apostrophierte und anschließend von blödsinnig redete.

(Zwischenrufe der Anwälte)

Vors.:

Das mag sein.

Ihre Reaktion war jedenfalls schneller als meine Möglichkeit, dem Herrn Sachverst. etwa den Hinweis zu geben, daß das über seine Aufgabe hinausgeht.

Trotzdem bleibt es, glaube ich, für einen Verteidiger, der sich genauso beherrschen sollte wie das Gericht, nicht zulässig, daß er hier einen Sachverst., einen Mann, der seit Jahrzehnten hier im Dienste steht und der Justiz immer als ein zuverlässiger Mann bisher erschienen ist ...

RA Dr. He[ldmann]:

Für die Zwecke der Justiz bestimmt.

Vors.:

Sie glauben wohl, Sie sind kein Angehöriger der Justiz, Herr RA. Sie sind ein Organ der Rechtspflege.[48]

Zwischenruf eines Anwalts:

Und nicht der Justiz.

Vors.:

Naja. Ihr Verständnis von der Justiz scheint sich da etwas klarer herauszukristallisieren.

Merken Sie sich, daß ich das ausdrücklich beanstande, daß Sie gesagt haben:

Der sog. Sachverst. soll seine blödsinnigen Äußerungen und dergleichen unterlassen.

RA Dr. He[ldmann]:

Floskeln, damit Sie’s genau ...

Vors.:

Blödsinnige Floskeln, was noch schlimmer ist.

RA Dr. He[ldmann]:

Darf ich weiterfragen?

Vors.:

Sie dürfen jetzt, wenn Sie wollen, sachliche Fragen stellen. Derartige Floskeln, wie Sie sie hier eben gegenüber dem Herrn Sachverst. verwendet haben, sind nicht zulässig.

[993] RA Dr. He[ldmann]:

Herr Vors., ich protestiere abermals.

Sie selbst haben sich wortlos von diesen Sachverst. bei seiner vorigen Vernehmung täuschen lassen, indem er Literaturkenntnisse... Forschungsergebnisse zu kennen, vorgab, ohne daß er einen Titel nennen konnte; und nach der Mittagspause hat er uns ein Sammelsurium von nichtmedizinischen Schriften aufgezählt.

Heute befragt, worauf er sich bezogen hat für seine hier beweiserhebliche ... den Kern seiner Aussage, beruft er sich auf ein dickes Buch, das er ganz neu gekauft hätte, und dann liest er uns Sachen vor über partielle Zurechnungsfähigkeit.

Merken Sie denn eigentlich nicht, wie dieser Sachverst. sich immer dann, wenn er den Mund aufmacht, absolut als ein solcher disqualifiziert, und Sie muten mir und meinen Kollegen auf der Verteidigerbank zu, das wortlos hinzunehmen, ohne dieses Ding beim Namen zu nennen?

Vors.:

Nein, nein. Das mute ich Ihnen nicht zu.

Sie haben das Recht, die Qualifikation eines Sachverständigen anzuzweifeln; aber Sie haben nicht das Recht als Anwalt - ich würde das bei einem Angekl. noch begreifen, aber bei einem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege - einen Sachverst. hier als sog. Sachverst. zu apostrophieren und ihm nachzusagen, er solle blödsinnige Floskeln unterlassen.

Das geht entschieden zu weit.

RA Dr. He[ldmann]:

Er ist absolut disqualifiziert.

Vors.:

Das ist ’ne andere Frage in Ihren Augen.

Das ist ’ne Sache, die das Gericht zu bewerten hat.

Sie dürfen das äußern, auch in der scharfen Form, aber nicht in der beleidigenden Form. Nur darum geht es.

Herr RA Schily.

RA Sch[ily]:

Darf ich kurz eine Zwischenfrage stellen?

[994] Herr Dr. Henck, wenn wir das Protokoll mal nachspielen würden, dann würden wir Ihren Satz finden im Protokoll, in dem Sie erklärt haben:

Eine partielle Verhandlungsfähigkeit gibt es nicht, und da stütze ich mich auch auf dieses Lehrbuch oder Handbuch; und was der Kollege Dr. Heldmann soeben von Ihnen erbeten hatte, das war, ihm jetzt die konkrete Stelle aus diesem Handbuch vielleicht zu zitieren, auf die Sie diese Meinung stützen, und diese Bitte möchte ich wiederholen, daß Sie jetzt vielleicht einmal die Passage kurz uns zur Kenntnis geben.

Dr. Henck:

Gern.

RA Sch[ily]:

Ja?

Dr. Henck:

Ja, gern.

Sie werden sich wundern, Herr Verteidiger.

Vors.:

Bitte, Herr Dr. Henck, jetzt nicht, damit wir etwa wieder in denselben Streit kommen. Sie sind jetzt auch etwas emotionell engagiert. Lassen Sie’s bitte.

Dr. Henck:

Also, ich zitiere jetzt:

„Bei allen ...“

- Also, ich zitiere jetzt -

„Bei allen chronischen Psychosen

- also Geisteskrankheiten chronischer Natur -

oder bei postpsychotischen

- ich übersetze es gleich ins Deutsche: Persönlichkeitsveränderungen, d. h. also, nach einem Ablauf einer Psychose verbleibende Defekte einer Persönlichkeit -

betrifft eine Störung der sinngesetzlichen Ordnung der Erlebniszusammenhänge meist nur Teilbereiche der psychischen Vorgänge

- Vorgänge muß es heißen. Hier steht Vergänge. Das ist ein Druckfehler -

[995] möglicherweise in zeitlich und thematisch wechselnder Konstellation. Je nach der Zeit und der Thematik, in der der Kranke angesprochen wird, kann er also unter Umständen durchaus vernünftig verstehen und sich ebenso verständlich machen.

Es wäre dies der Fall des Geisteskranken, der unter Umständen als verhandlungsfähig betrachtet werden kann. Besonders ...

- also d. h., daß ein Psychotischer außerhalb seines Systems als verhandlungsfähig betrachtet werden kann. -

Besonders deutlich wird eine nur partielle Einschränkung der Verhandlungsfähigkeit bei Wahnkranken, die außerhalb der Thematik ihres Wahns völlig klar und geordnet sind.

Wesentlich ist nun, daß in einem Verfahren der notwendige Verstehensprozeß zwischen dem Beschuldigten und den anderen Prozeßbeteiligten ständig beobachtet werden und dabei auf die Beschränkungen[ccc] der Verhandlungsfähigkeit, die durch den psychopathologischen Zustand des Kranken gegeben sind, Rücksicht genommen werden kann.

Geisteskrankheit im psychiatrischen Sinne schließt demnach die Verhandlungsfähigkeit noch nicht schlechthin aus. Verallgemeinernd läßt sich das wesentlich von den akuten Psychosen sagen,

- also von der akuten Geisteskrankheit -

wähnend bei chronischen Psychosen

- und diesen postpsychotischen Persönlichkeitsveränderungen, die also beispielsweise einen schizophrenen Defektzustand haben -

der jeweilige psychopathologische Zustand im Einzelfall entscheidend ist.“

Ende des Zitats.

RA Sch[ily]:

Herr Dr. Henck, soll ich dann dieses Zitat so verstehen, daß Sie die Frage der Verhandlungsfähigkeit - sei es genereller oder partieller Natur - überhaupt nur im Bereich der Geisteskrankheiten geprüft haben und nicht im Physischen[ddd]? Das ist ja sehr interessant. Ich finde es außerordentlich interessant, was Sie uns hier zitiert haben, daß Sie das also offenbar nur in der Form geprüft haben - abgesehen davon, daß natürlich auch man natürlich auch andere Schlüsse jetzt [996] aus dem, was Sie jetzt für diesen Bereich da vorgelesen haben. Für mich ist interessant, daß Sie das offenbar nur dieses Zitat, was Sie doch eindeutig auf Krankheitsbilder aus dem Bereich der Geisteskrankheiten beziehen, daß Sie da diese Schlußfolgerung ziehen.

Ist das also die Fundstelle, ja?

Dr. Henck:

Genau das ist sie, ja.

Vors.:

Das ist aber die Frage gewesen, daß Sie’s nun tatsächlich auf diesen Bereich eingeschränkt haben Ihren Beurteilungsraum oder?

Dr. Henck:

Nur in diesem Raum ist die partielle Verhandlungsfälligkeit unter Umständen gegeben.

Vors.:

Es geht immer noch nicht um die konkrete Verhandlungsfähigkeit oder -unfähigkeit sondern ...

RA Sch[ily]:

Ja. Seine Ansicht stützt er doch offenbar nur auf Kenntnisse aus dem Bereich der Psychiatrie und also dem Bereich der Geisteskrankheit. Das ist doch außerordentlich aufschlußreich.

Ich meine, das muß doch dem Senat, ich meine, wenn er irgendwie noch das nachvollziehen kann, dann muß er doch sehen, was der Herr Dr. Henck hier uns produziert. Entschuldigung, jetzt muß ich vielleicht so sagen: vermeintlichem Fachwissen, um nun überhaupt nicht anzuecken.

Dr. Henck:

Ja. Der psychiatrische Sachverst. kann diese Frage nur aus seinem Fachbereich kompetent beantworten.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja dann erklären Sie doch, daß Sie nicht kompetent sind. Das sind Sie doch nicht.

Dr. Henck:

Die Frage ist ja nur beantwortbar aus dem psychiatrischen Bereich.

[997] RA Dr. He[ldmann]:

Mit jeder Antwort disqualifizieren Sie sich mehr.

Vors.:

Herr RA, Sie dürfen’s äußern, aber lassen Sie die Bewertung Sache des Gerichts sein, das die Aufgabe hat, dies zu klären. Herr Dr. Henck, es geht darum, ob die Angekl. imstande sind, verständlich der Verhandlung zu folgen, sich verständlich zu machen und verständige Anträge zu stellen, d. h., das spielt sich im wesentlichen wohl im geistigen Bereiche ab.

Daher die Frage:

Ist die Beurteilung, die Sie hier abgeben, zwangsläufig deswegen auch an diesen geistigen Bereich gebunden oder könnten körperliche Ursachen für sich allein schon zu einer Verhandlungsunfähigkeit selbst auch nur partiell, wenn man den Begriff überhaupt ...

Dr. Henck:

Nur körperliche Ursachen, wenn sie sich auswirken auf die geistige Verfassung.

Vors.:

Es muß also immer durch die Ebene des Geistes hindurchmarschieren, um das etwa so zu verdeutlichen.

Angekl. Baa[der]:

Genau, marschieren muß es.[eee]

Dr. Henck:

Es gibt schwere organische körperliche Erkrankungen mit Auswirkungen auf den geistig-seelischen Zustand, der dann auch unter Umständen eine Verhandlungsunfähigkeit rechtfertigt.

Vors.:

Aber der Anknüpfungspunkt ist immer die Beurteilung der geistigen Situation des Angekl.

Dr. Henck:

Die Verhandlungsfähigkeit ist immer die Fähigkeit, in oder außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen. Ich zitiere wiederum:

„... die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen, Prozeßerklärungen abzugeben und entgegenzunehmen.“

[998] Vors.:

Weitere Fragen an den Herrn Sachverst.?

Herr RA Schily.

RA Sch[ily]:

Herr Dr. Henck ist an der Frage vorbeigegangen, daß offensichtlich die Fragestellung einer partiellen oder generellen Verhandlungsfähigkeit, wobei man wie gesagt das Unterscheidungsmerkmal partiell auf den Gegenstand bezogen oder auf die zeitliche Beschränkung anwenden kann, diesen Begriff partiell - ich glaube, darüber haben wir jedenfalls Verständigung erzielt, daß der Herr Dr. Henck - und darauf möchte ich die Aufmerksamkeit sowohl von Herrn Dr. Henck als auch des Senats und der übrigen Prozeßbeteiligten lenken - offensichtlich diese Erkenntnisse ausdrücklich ... ausschließlich unter Berufung auf dieses Handbuch gewinnt aus dem Bereich der Geisteskrankheiten; und das ist eben ’ne völlige Verfehlung der Fragestellung.

Vors.:

Aber jetzt wird im Augenblick verfehlt, was wir zu Ende bringen müssen, nämlich die Frage, ob noch Fragen an den Herrn Sachverst. sind.

RA Sch[ily]:

Wir sind an der Reihe. Aber ich würde doch vorschlagen:

Es ist 16.00 Uhr, und ich finde, es soll nicht dazu führen, daß nun also ...

Vors.:

Es müssen die Fragen heute beendet werden. Wir haben den Herrn Sachverst. morgen nicht zur Verfügung.

RA Sch[ily]:

... also der Verhandlungsfähigkeit gilt etwa ...

Vors.:

Hätten Sie weniger erklärt. Das hätten Sie morgen tun können, wenn der Herr Sachverst. nicht da ist. Wenn Sie glauben, dem Gericht das nahebringen zu müssen, was Sie an Bedenken haben, dann wäre die Frage bzw. das Fragerecht gegenüber dem Herrn Sachverst. wohl bis jetzt restlos ausgeschöpft.

[999] Ich gebe also weiter Gelegenheit, noch Fragen zu stellen. Bitte, der Herr RA Dr. Heldmann hat Fragen.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Dr. Henck, ist Ihnen bekannt geworden, daß ein schwer Grippekranker nicht verhandlungsfähig ... zeitweise jedenfalls, für die Dauer dieser erschöpfenden Krankheit, nicht verhandlungsfähig ist?

Dr. Henck:

Ein schwer Grippekranker ist selbstverständlich verhandlungsunfähig, solange er diese Erkrankung hat.

RA Dr. He[ldmann]:

Ist Grippekrankheit eine Geisteskrankheit?

Gehört sie in den Bereich der Psychiatrie?

Dr. Henck:

Ich habe Ihnen doch schon vorher einmal erklärt, daß es sich um die Auswirkung einer Erkrankung auf die Psyche handelt; und auch eine schwere fieberhafte Erkrankung wirkt sich auf den psychischen Leistungsgrad aus, und der ist dann eben nicht mehr gegeben, um eine Verhandlungsfähigkeit bejahen zu können.

RA Dr. He[ldmann]:

Ist durch eine solche körperliche Krankheit die Psyche beeinträchtigt? Oder ist die körperliche Leistungsfähigkeit so gemindert, daß nicht verhandelt werden kann?

Dr. Henck:

Das wird man im Einzelfall untersuchen und entscheiden müssen.

RA Sch[ily]:

Können Sie Grippe diagnostizieren durch bloßes Hingucken?

Dr. Henck:

Bitte, durch was?

RA Sch[ily]:

Durch Hingucken.

Vors.:

Aber Herr Verteidiger.

Herr Dr. Henck, kein Sachzusammenhang.

[1000] RA Sch[ily]:

Ja, aber das ist doch grade ein Sachzusammenhang, Herr Vors., daß eine körperliche Erkrankung oder ein körperlich reduzierter Zustand ... die Frage, ob der Herr Dr. Henck das durch Besichtigung von Mimik und Gestik feststellen kann. Und es gibt auch andere ... Grippe ist ein gängiges Beispiel, weil jeder mal die Grippe gehabt hat; insofern ist es bei Gott ein gutes Beispiel, weil da jeder seine eigenen Erlebnisse hat und auch vielleicht das nachvollziehen kann.

Und jetzt die Frage:

Können Sie das durch Hingucken auf Mimik und Gestik feststellen? ...

Vors.:

Die Frage ist aber nicht zugelassen.

RA Sch[ily]:

Dann bitte ich um einen Gerichtsbeschluß.

Vors.:

Nochmals genauer wird gebeten um den Wortlaut der Frage.

RA Sch[ily]:

Frage ist,

ob Herr Dr. Henck es sich zutraut, durch Inaugenscheinnehmen von Mimik und Gestik beim Angekl. festzustellen, ob er an Grippe leidet oder andern körperlichen Mängeln, die also seine Verhandlungsfähigkeit beeinträchtigen.

Geheime Umfrage des Senats.

Vors.:

Der Senat hat den Eindruck, daß die Frage inzwischen einen veränderten Inhalt bekommen hat.

RA Sch[ily]:

Geb ich zu, ja. Stimmt, ja. Ich hab sie etwas erweitert.

Vors.:

Gut. In dieser Form lassen wir sie zu.

Dr. Henck:

Man kann, wenn ich keine andere Möglichkeit habe, auch durch den Anblick eines schweißgebadeten Menschen, dem man den Puls vielleicht noch fühlen kann und der ein gerötetes Ge- [1001] sicht hat, zumindest sagen, daß - wenn er dazuhin noch entsprechende gesundheitliche Beschwerden angibt - er eine mehr oder weniger hoch fieberhafte Erkrankung hat. Das ist das Optimale, was ich feststellen kann.

Ich kann aber aufgrund dessen sagen:

Im Moment liegt eine Verhandlungsunfähigkeit vor.

RA Sch[ily]:

Das habe ich jetzt akustisch nicht verstanden.

Dr. Henck:

Bitte?

RA Sch[ily]:

Den letzten Satz habe ich akustisch nicht verstanden.

Dr. Henck:

Dann kann man sagen ...

Das letzte haben Sie nicht verstanden?

RA Sch[ily]:

Akustisch den letzten Satz.

Dr. Henck:

Dann könnte man aufgrund dieser optimalen darauf schließen ... aufgrund dieser optimalen Möglichkeit darauf schließen, daß eine Verhandlungsunfähigkeit aufgrund dieser akuten fieberhaften oder gar hoch fieberhaften Erkrankung vorliegt.

RA Sch[ily]:

Das kann man nicht oder kann man.

Dr. Henck:

Kann man.

RA Sch[ily]:

Kann man.

Dr. Henck:

Kann man.

RA Sch[ily]:

Aber ich meine, die Frage ist insofern nicht beantwortet, ob Sie also, wenn Sie nun keine Schweißausbrüche sehen und auch kein gerötetes Gesicht, ob Sie dann eine verläßliche Grundlage haben zu sagen, da ist also keine Grippe vorhanden.

[1002] Dr. Henck:

Dann ist es eine wunderbare Grippe. Das ist dann keine Grippe mehr, dann ist es was Anderes.

RA Sch[ily]:

Sie sprachen eben von der Grippe, und die Grippe geht normalerweise oder üblicherweise mit Schweißausbrüchen, hohem Fieber, Husten, Kopfschmerzen und Gliederschmerzen einher.

Vors.:

Also, wir wollen jetzt nicht die Symptome der Grippe noch im einzelnen erfaßt haben.

Wir müssen zum Thema zurückkehren. Es geht darum, daß der Herr Sachverst. uns gesagt hat:

Es muß alles, was an körperlichen Mängeln eintritt, auch seine Auswirkungen haben auf die geistige Verfassung und auf die Psyche.

Herr RA Dr. Heldmann, bitte.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Dr. Henck, ich hätte beinahe gesagt: Herr Sachverst., Herr Dr. Henck, ich streiche den Katalog meiner Fragen. Ich frage Sie lediglich noch eines:

Ist Ihnen - Sie haben gesagt, Sie haben die Ursache für das den Herrn Baader schwer beeinträchtigte Ohrensausen nicht finden können. Ist das richtig?

Dr. Henck:

Weil er’s nicht zuläßt, daß ich ihn untersuchen kann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ist Ihnen bekannt, daß die Ursache dafür eine Urämie sein kann, eine Urämie, verursacht durch Wasserentzug?

Vors.:

Diese Frage ist bereits beim letztenmal angeschnitten und - soviel ich weiß - auch vom Herrn. Sachverst. beantwortet worden.

RA Dr. He[ldmann]:

Heute erstmals haben wir das Ohrensausen.

Ist Ihnen das bekannt?

[1003] Dr. Henck:

Herr RA, ich bin Arzt und Mediziner und weiß sehr wohl, durch welche Umstände also ein Ohrensausen eintreten kann, und das ist nicht nur eine Urämie, das können Gehirntumore sein, das können Hirnmangeldurchblutungen sein, das kann ein Blutunterdruck sein, das können Vergiftungserscheinungen sein; das könnte man im einzelnen durch entsprechende Untersuchungen genau klären, Herr Verteidiger.

RA Dr. He[ldmann]:

Wußten Sie nicht, Herr Dr. Henck, daß, bevor Herr Baader zu Ihnen gekommen ist, ein sechstägiger Wasserentzug gegenüber Herrn Baader vorangegangen war und daß ihm acht Tage vorher Wasser lediglich becherweise verabreicht worden ist?

Dr. Henck:

Ja. Das hat mir Herr Baader erzählt, Schwalmstadt,[49] glaube ich, ...

RA Dr. He[ldmann]:

Schwalmstadt, ganz richtig.

Dr. Henck:

... für einige Zeit das Wasser entzogen worden war, und es ist bekannt, daß durch solche Vorgänge eine gesundheitsschädigende Wirkung eintreten kann ... eine zusätzliche gesundheitsschädigende Wirkung eintreten kann. Deswegen haben wir ja nie von uns aus hier so etwas unternommen mit Wasserentzug oder Salzwasser gegeben oder irgend solche Dinge da, sondern es kann selbstverständlich dann zu einer Ansammlung von harnpflichtigen Bestandteilen kommen im Blut in zunehmendem Maße, bis hin zur sog. Urämie, weil diese Stoffe dann eben nicht mehr ausgeschieden werden können, weil die Flüssigkeit dem Körper nicht mehr zur Verfügung steht. Dann kann das natürlich auch zu Ohrensausen führen, zu Krampfanfällen, zu Ohnmachtsanfällen, zur Bewußtlosigkeit bis zum Koma und bis zum Exitus, wenn Sie wollen.

Vors.:

Darf ich nur, um die Frage des Wasserentzugs ...

Verzeihen Sie, Herr Dr. Heldmann.

[1004] RA Dr. He[ldmann]:

Es paßt mir im Moment grade nicht, daß meine Fragenkette durch Ihre Intervention unterbrochen wird.

Darf ich Sie bitten, einen Moment noch zurückzustellen?

Sie wußten also, daß Wasserentzug in ungewöhnlichem Maß vorangegangen war, daß Ohrensausen als sehr schwere Beeinträchtigung - so, wie Baader sagte: lauter als das Radio - beklagt worden ist, fühlten sich aber nicht kompetent oder fühlten sich nunmehr nicht verpflichtet, den zuständigen Urologen hinzuzuziehen?

Dr. Henck:

Ich brauche keinen Urologen hinzuziehen ...

Herr Verteidiger, es handelt sich darum ... Sie haben eine Frage gestellt. Ich will sie zuerst beantworten.

Zunächst können wir die Urinuntersuchung selbst vornehmen. Finden wir dann pathologische Bestandteile im Blut - unter Umständen auch noch -, dann werden wir auch einen Urologen hinzuziehen. Darauf können Sie sich verlassen.

RA Dr. He[ldmann]:

Dann werden wir.

Wie lange wollen Sie das noch abwarten?

Dr. Henck:

Ich muß aber erst die entsprechenden Untersuchungen überhaupt durchführen können, wenn sie der Herr Baader, Ihr Mandant, zuläßt.

RA Dr. He[ldmann]:

Und wenn Sie diese Untersuchungen nicht durchführen können, gleich, aus welchem Grund, und Verdacht haben müssen, daß Urämie, und zwar mit ganz erheblichen Folgeerscheinungen - das Gehör und das Gleichgewichtszentrum liegen ja, wie Sie wissen werden, unmittelbar nebeneinander -, daß erhebliche Folgeerscheinungen schon eingetreten sind. Auch das veranlaßt Sie nicht, nunmehr auf den Facharzt der Wahl des Angekl. zu bestehen, so daß dieser ins Haus kommt, um weitergehenden Schaden abzuwenden?

[1005] Dr. Henck:

Ich werde die Fachärzte dann hinzuzuziehen versuchen, die

1. kommen;

2. die eine Untersuchung vornehmen können bei Herrn Baader.

Vors.:

Danke.

Sie haben die Frage vielleicht nicht richtig im Kerngehalt genommen. Der Herr RA unterstellt ja, daß Sie diese schweren Schädigungen annehmen müßten.

Gibt’s dafür Anhaltspunkte?

Dr. Henck:

Im Moment nicht. Es sind keine weitere urämischen Symptome aufgetreten, wenn es überhaupt eins ist ...

Vors.:

Man muß hier genau zuhören, nicht wahr, was der Herr RA meint. Da war eine Reprise drin, die man dann auch beantworten muß.

Dr. Henck:

Es wäre sehr gut, wenn hier ein Lautsprecher wäre. Es ist also sehr schlecht von hier hinten aufzunehmen.

Vors.:

Herr RA, bitte. Oder sind Sie am Ende?

RA Dr. He[ldmann]:

Ich bin nicht am Ende.

Es ist nur die Frage, was zwingend hier wäre, und das wäre, den Herrn Dr. Henck zu fragen, was er heute bei seiner zweiten Vernehmung von sog. Deprivationsschäden weiß, und welche Ursachen er von daher herzuleiten weiß zur Frage der zeitlich begrenzten Verhandlungsfähigkeit.

Vors.:

Nein. Wir wollten also heute uns auf das Thema beschränken - das ist mehrfach gesagt - Äußerungen, die gefallen sind und deren Sinngehalt klären.

[1006] Diesen Themenkreis müssen wir abstecken. Wir können nicht weitermachen damit, daß wir jetzt wieder die Kompetenz - so, wie es das letzte Mal geschehen ist - überprüfen. Dazu hat sich der Senat bereits geäußert ...

RA Dr. He[ldmann]:

Oh, das hatte ich nicht vor. Diese Frage ist für mich erledigt.

RA Sch[ily]:

Aber Sie hatten doch selber eine Frage gestellt, die gar nicht um die Äußerung von Herrn Dr. Henck ging; sondern Sie haben ihn doch selber noch einmal gefragt: Wie beurteilen Sie die Verhandlungsfähigkeit?

Sie haben diese summarische Frage dann, wenn Sie sich erinnern wollen, gestellt, und ich weiß eigentlich, inwiefern jetzt eigentlich das, was Sie selber gemacht haben, Herrn Kollegen Dr. Heldmann verwehrt wird.

Vors.:

Nein. Das wird ihm ja nicht verwehrt.

Es ging - wie ich gesagt habe - darum, diese Fragen und Äußerungen zu klären in ihrem Sinngehalt, und ich versuchte zusammenfassend, nach diesen vielen Zweifeln, die geäußert worden sind, ob der Sachverst. zu der Frage der Verhandlungsfähigkeit sich ein Urteil bilden kann, nochmals eine Antwort zu bekommen.

Das war alles, was geschehen ist.

RA Sch[ily]:

Ja. Und genau darum geht es bei der Frage nach den Deprivationsschäden, ob er sich ein Urteil bilden kann. Genau das ist der Punkt.

Vors.:

Es ist zwar lange darüber geredet worden. Aber es hat keinen Sinn, daß wir uns jetzt über die Frage nochmals lang unterhalten.

Können Sie dazu noch eine Antwort geben?

[1007] Dr. Henck:

Ich kann dazu noch ergänzend sagen - ich wollte dies ja schon vorher tun -, daß inzwischen auch in der Universitäts-Nervenklinik in Hamburg weitere Arbeiten erschienen sind zu diesem Thema über die sensorische Deprivation oder die Beraubung von Sinneseindrücken, wie es auf deutsch eben heißt. Und ich zitiere hier nur den Verfasser. Es ist abgedruckt - ich muß leider wieder auf die sekundäre Literatur verweisen, weil das Exemplar mir bis heute nicht zur Verfügung steht, in dem die Originalarbeit abgedruckt ist -. Es ist eine Arbeit die im „Nervenarzt“ Nr. 45, S. 561 aus dem Jahre 1974, und zwar ist der Verfasser P. Kempel von der Psychiatrischen Universitätsklinik in Hamburg, Martinistr. 52. Da heißt es auch u. a. an einer Stelle:

„Sicher ist in Sensationsberichten viel übertrieben worden, besonders in Bezug auf die Gefahren der sensorischen Deprivation.

Die Komplikationsrate, d. h. das Auftreten ernster psychischer Reaktionen, die eine Behandlung notwendig machen, liegt bei 1 : 6.000 ...“

D. h. also mit anderen Worten:

Wo eine echte Sinnesberaubung vorgelegen hat, ist jeder Sechstausendste behandlungsbedürftig geworden.

Vors.:

Wobei vielleicht noch zu erläutern ...

Nein. Moment, Herr Baader, jetzt bin ich dran.

Sie sagten:

Wenn eine echte ...

Dr. Henck:

Hier ist von den Gefahren der sensorischen Deprivation die Rede.

Vors.:

Wenn eine echte Sinnesentziehung oder, wie Sie sich ausgedrückt haben, vorgelegen hat.

Dr. Henck:

Die Komplikationsrate, das Auftreten ernster psychischer Reaktionen, die eine Behandlung notwendig machen, liegt bei 1:6000.

[1008] Vors.:

Nein. Sie haben dann noch einen Zusatz gemacht:

Das gilt aber nur für den Fall, daß eine echte Entziehung der Wahrnehmungsmöglichkeiten usw. vorliegt.

Dr. Henck:

Das ist also eine ... eine maximale gibt es überhaupt nicht. Es gibt nur eine 99 %ige beispielsweise im äußersten Fall. Das ist also bei schwerwiegenden Fällen. Das ist daraus nicht genau zu erkennen. Ich müßte den Urtext haben, aber ich habe ihn ja leider nicht zur Verfügung,

zumindest zu erkennen, daß ernstzunehmende Dauerschäden - nach dieser Arbeit zumindest - verhältnismäßig wenig auftreten, und hier von der Zahl 1 : 6000 die Rede ist, wo eine Behandlungsnotwendigkeit besteht.

Vors.:

Haben Sie, Herr Dr. He[nck], noch Fragen? Sie haben das Fragerecht.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich habe eine Bitte an Sie, nämlich jetzt ich ...

Ich habe Fragen, die ich aber Herrn Dr. Henck selbstverständlich nicht mehr vorlegen werde, denn ...

Vors.:

Warum selbstverständlich?

RA Dr. He[ldmann]:

Naja. Das habe ich vorhin ausdrücklich gesagt. Es war wegen ... Ja, möchten Sie, daß ich’s wiederhole?

Vors.:

Nein.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich habe eine Bitte an Sie, nämlich:

zunächst Herrn Baader noch abschließend zum Wort zu verhelfen;

und zweitens bitte ich Sie, daran erinnern zu dürfen, daß ich heute morgen einen Antrag gestellt habe.

[1009] Vors.:

Dessen sind wir uns sehr wohl bewußt.

Herr Baa[der], bitte.

Angekl. Baa[der]:

Naja. Sie haben gesagt ...

Also ich würde zunächst mal fragen:

Von was für Bedingungen ist denn da die Rede 1 : 6000; oder wenn Sie sagen, ist Ihnen bekannt, daß irgendwo ... Sie haben also das letzte Mal gesagt,

nach Ihrer Erfahrung als Anstaltsarzt haben Sie gleichartige Haftbedingungen in Ihrer 20jährigen Praxis nicht festgestellt.

Dr. Henck:

Diese Frage habe ich schon beantwortet beim letzten Mal mit nein.

Angekl. Baa[der]:

Wie kommt denn diese Sache mit den 1 : 6000 zustande?

Dr. Henck:

Ja, da müßten Sie Herrn Kempel aus Hamburg fragen, denn er hat diese Untersuchung durchgeführt.

Angekl. Baa[der]:

Also das ist doch .... Ich verstehe das nicht.

Sie können doch ... Aber das ist doch dann irreführend, was Sie hier gemacht haben; denn es gibt eine Situation sensorischer Deprivation, wie sie im 7. Stock des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim besteht. Die gibt es da für vier Gefangene. Eine gleichartige Situation gibt es vielleicht noch in Köln-Ossendorf[50] für einzelne Gefangene, und es gibt sie vielleicht noch in einer anderen der 15. Isolationsabteilungen in der Bundesrepublik.

Vors.:

Bitte die Frage, Herr Baader.

Angekl. Baa[der]:

Wir sind uns wohl darüber klar, daß diese Methode vermasst werden wird in dem Maß, in dem sich die Zahl der politischen Gefangenen in der Bundesrepublik steigert.

Aber wo sind denn bis jetzt 6000 Menschen unter gleich- [1010] artigen Bedingungen festgehalten worden?

Wenn Sie das hier anführen, dann müssen Sie doch ... Also, Sie müssen doch eine Relation schaffen zu der Situation, die hier in Frage steht.

Vors.:

Die Frage kann der Herr Sachverst. nun wirklich nicht beantworten. Er ist nicht der Verfasser dieser Arbeit. Er hat lediglich zitiert.

Angekl. Baa[der]:

Ja, warum hat er dann das zitiert? Das ist mir völlig unerklärlich, was hier publiziert ist.

Dr. Henck:

Ich weiß es nicht. Es steht 1 : 6000 hier, Herr Baader.

Angekl. Baa[der]:

Ja, aber warum bringen Sie so etwas hier vor sozusagen. Es kann doch nur irreführend sein.

Vors.:

Gut. Also die Frage ist nicht mehr zulässig.

Wir wissen, der Herr Sachverst. hat diese Ausführungen zitiert, weil sie publiziert wurden.

Angekl. Baa[der]:

Ja, gut.

Aber Sie haben gesagt, Herr Henck:

Deprivationsschäden sind reversibel.

Das haben. Sie das letztemal gesagt.

Also daraus würde ich schließen, Sie haben Deprivationsschäden festgestellt, und es wäre auch ziemlich absurd, sie zu bestreiten. Die Frage ist nur, unter was für Bedingungen sind sie reversibel.

Dr. Henck:

Bitte, was?

Angekl. Baa[der]:

Unter was für Bedingungen sind sie reversibel?

Vors.:

Es sind wieder zwei Fragen. Zunächst wieder die Prämisse, ob solche Feststellungen getroffen wurden; und dann, unter welchen Bedingungen.

[1011] Angekl. Baa[der]:

Ja, die wurde getroffen. ’S steht im Protokoll.

Dr. Henck:

Es hängt von der Dauer und dem Grad der sensorischen Deprivation ab. Die Beantwortung der Frage ob Irreversibilität oder Reversibilität, also der Rückbildungsfähigkeit oder Nichtrückbildungsfähigkeit oder Restzuständen. Aber jede sensorische Deprivation wird selbstverständlich mit dem Gesamterlebnisfeld wieder einbezogen und mitintegrierend weitergetragen für den weiteren Erlebnisablauf oder Schicksalsverlauf eines jeden Menschen. Das gilt auch für jede Art der sensorischen Deprivation, bei den ... mehr, bei den andern weniger. Es kommt auf die Toleranz an der Persönlichkeit und hängt von einigen Faktoren ab, denen zufolge hier eben Folgen einer sensorischen Deprivation auftreten können oder mehr oder weniger auftreten können oder zumindest in die Persönlichkeit mithineinfließen in deren weiteren Schicksalsverlauf.

Vors.:

Darf ich klären:

Das ist eine abstrakte Äußerung.

Dr. Henck:

Ne rein abstrakte Äußerung.

Vors.:

Herr Baader.

Angekl. Baa.:

Also. Ich interpretiere das so, daß Sie sagen:

Folter sozusagen - denn Sie haben ja bejaht, daß Isolation Folter ist - Folter sei ein bleibendes Erlebnis, meinen Sie, oder ist das vielleicht richtig interpretiert so?

Vors.:

War das nun eine Frage, Herr Baa[der]? Wenn nicht, dann bitte ich Sie, sich jetzt aber endgültig auf Fragen zu beschränken.

Angekl. Baa[der]:

Das ist eine Frage.

[1012] Dr. Henck:

Wie hieß die Frage genau?

Angekl. Baa[der]:

Naja. Ich ... Sie sagen also mit anderen Worten:

Folter ist ein bleibendes Erlebnis.

Dr. Henck:

Wenn Sie das Wort Folter so nehmen ...

Jede Art von Folterungen, das ist doch selbstverständlich, wird alles erlebnismäßig aufgenommen. Es muß verarbeitet werden. Der Verarbeitungsmodus, die Verarbeitungsweise hängt von der Konstitution [fff] von der endogenen, von der anlagemäßigen Seite ab.

Vors.:

Herr Dr. Henck, nur unter der Voraussetzung, daß hier Folterungen vorgelegen haben - bitte, das können Sie ganz klar sagen - hat es Sinn, daß Sie sich dazu äußern.

Dr. Henck

Nur ich ...

Vors.:

Die rein abstrakte Möglichkeit, daß Folterungen ihre Auswirkungen haben, weiß man auch.

Aber es hat keinen Sinn, daß wir hier darüber jetzt uns weiter unterhalten, wenn Sie selbst aufgrund Ihrer medizinischen Erfahrung die Auffassung etwa vertreten, das träfe hier nicht zu. Also, ich bitte Sie, jetzt sich vielleicht dazu noch zu äußern:

Sind die Voraussetzungen gegeben, daß man solche abstrakten Ausführungen macht?

Dr. Henck:

Ich hab keine Veranlassung. Ich wollte eine allgemeine Erklärung dazu abgeben.

Vors.:

Aber die wollen wir jetzt nicht mehr entgegennehmen, denn das ist außerhalb des Sachzusammenhangs. Daß wir abstrakt uns über die Folter unterhalten können, ist ganz klar.

[1013] Angekl. Baa[der]:

Moment. Das ist der unmittelbare Sachzusammenhang.

Herr Henck selbst hat gesagt, Isolation sei Folter, hat er gesagt am letzten Verhandlungstag, sei ein philosophisches Problem, aber Isolation sei Folter.

Das ist der unmittelbare Zusammenhang.

Außerdem hat Herr Klug, der Justizsenator, der unmittelbar für dieses Programm in Nordrhein-Westfalen mitverantwortlich war, ja auch öffentlich geäußert - er hat es vage gesagt, sehr vage formuliert -, daß folterartige Wirkungen bei Isolation auftreten können.

Aber ich würde sagen:

Die Begriffsbestimmung Folter, um die Sie sich hier rumwinden wollen, ...

Vors.:

Bitte Fragen, Herr Baader.

Angekl. Baa[der]:

Ja, schön.

Vors.:

Fragen Sie doch voraus, wenn Sie schon immer den Begriff der Folter verwenden, ob der Herr Dr. Henck beobachtet habe, daß Sie in irgendeiner Form, sei es auch durch die Isolation, gefoltert worden sind. Und wenn er das bejaht, dann können wir den theoretischen Bereich verlassen und praktische Folgerungen daraus ziehen, welche Konsequenzen möglicherweise daraus entstanden sind.

Angekl. Baa[der]:

Dann möchten Sie ... Ich versteh das nicht ganz.

Möchten Sie meine Fragen formulieren oder wie?

Vors.:

Nein. Ich wollte Ihnen auf die Sprünge helfen, wie Sie den Sachzusammenhang wahren. Ich bin nicht bereit, daß ich jetzt weiterhin abstrakte Erörterungen über Folter und solche Begriffe zulasse.

[1014] Angekl. Baa[der]:

Ich möchte Ihnen mal sagen, daß wir jetzt seit drei Jahren vollständig isoliert sind von normaler oder auch nur in Gefängnissen üblicher ...

Vors.:

Das ist nicht wahr, Herr Baader.

Angekl. Baader:

Lassen Sie mich doch ausreden. Sie können ja dann erklären, inwiefern es nicht wahr ist.

Wir sind seit drei Jahren vollständig isoliert ...

Vors.:

Haben Sie Fragen an den Herrn Sachverst., Herr Baader?

Weiteres gibt’s jetzt nicht mehr.

Angekl. Baa[der]:

Also, Sie können hier Feststellungen treffen, und ich kann es grundsätzlich nicht.

Vors.:

Sie haben jetzt die Möglichkeit, Fragen an den Herrn Sachverst. zu stellen. Weiteres nicht.

Angekl. Baa[der]:

Gut, ja.

Also, dann schlage ich vor ... dann fahre ich fort.

Sie haben also gesagt:

Deprivationsschäden sind reversibel, d. h., Sie sind von Deprivationsschäden ausgegangen ...

Vors.:

Frage an den Herrn Sachverst.:

Sind Sie von ... Herr Baa[der], lassen Sie doch die Frage beantworten.

Angekl. Baa[der]:

Das ist doch bereits beantwortet.

Vors.:

Nein. Es ist nicht beantwortet.

Sind Sie von Deprivationsschäden ausgegangen?

Dr. Henck:

Ich bin von der Haftsituation ausgegangen, die dort oben bestanden hat und die ich bisher in der Form noch nie erlebt habe.

[1015] Vors.:

Diese Deprivationsschäden, von denen Sie reden, was ist damit medizinisch von Ihnen gemeint, wenn Sie das gesagt haben sollen? Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nicht an dieses Wort.

Angekl. Baa[der]:

Er hat doch ... Ich verstehe nicht.

Versuchen Sie, das jetzt vom Tisch zu wischen, daß der Arzt hier gesagt hat im Zusammenhang von Deprivation, daß er von den Haftbedingungen im 7. Stock ausgegangen ist, daß das für ihn identisch ist.

Vors.:

Ich versuche nicht, auch nur irgend etwas unter den Tisch zu wischen. Ich möchte wissen ...

Angekl. Baa[der]:

Natürlich.

Vors.:

... ob es bestätigt wird von Ihnen, Herr Dr. Henck, daß Sie davon ausgegangen sind, es lägen hier Deprivationsschäden durch Langzeitisolation, oder wie man’s immer ausdrücken will, vor?

Dr. Henck:

Ich kann nach meinen Erkenntnissen keine Einschränkungen feststellen, die analog gehen mit irgendwelchen relevanten Deprivationsschäden; ich möchte aber nicht ausschließen, daß das Erlebnis dieser Haftsituation dort oben mitbestimmend ist auch für das heutige Verhalten. Aber daß man sie als einen medizinisch faßbaren Begriff auslegen kann, ist eine ganz andere Frage. Jedenfalls paßt das nicht in das psychiatrische ... das ist eben psychiatrisch einfach nicht faßbar. Es ist dies ein rein psychologischer Vorgang, den jede Persönlichkeit betrifft, gleichwohl, wo er sich auch immer aufhält.

Vors.:

Jetzt, Herr Baa[der], auf dieser Basis.

Angekl. Baa[der]:

Aber Sie haben gesagt ... Die Frage war jetzt:

Wenn Deprivationsschäden bestehen, unter welchen Bedingungen sind sie reversibel?

[1016] Denn Sie haben gesagt, sie sind reversibel;

und jetzt ist die Frage:

Unter welchen Bedingungen sind Deprivationsschäden reversibel? Ich habe aber nochmals festzustellen, daß ich Ihnen mitgeteilt habe, daß Deprivationsschäden bestehen im Zusammenhang unserer Rezeptionsfähigkeit, unserer Fähigkeit zu lesen, unserer Fähigkeit, uns zu konzentrieren bzw. zu formulieren und schließlich auch im Zusammenhang des gesamten körperlichen Befindens. Denn es ist ja nicht nur so, daß Verhandlungsfähigkeit oder eine Einschränkung des Zustands eintreten kann als Auswirkung des körperlichen Befindens auf die Psyche, sondern ich würde schon mal sagen, daß es den umgekehrten Weg auch gibt. Daß der psychische Zustand, der ja auch irgendwie zum körperlichen gehört - aber wenn man mal bei dieser Trennung bleibt - auch den körperlichen Zustand beeinflussen kann, ich meine so, daß die psychischen Schädigungen, die durch die Isolation hervorgerufen werden, auch unmittelbar körperliche Schädigungen hervorrufen, die sich dann in Form von Gleichgewichtsstörungen oder auch Kreislaufstörungen oder auch überhaupt Orientierungsschwierigkeiten wie Schwäche usw. äußern.

Das sind Symptome, über die wir noch nicht gesprochen haben.

Vors.:

Herr Baa[der], wir müssen jetzt die Frage beantworten lassen.

Es kann kein Mensch mehr als Frage begreifen, wenn Sie solche Sätze bilden.

Angekl. Baa[der]:

Ja ich hab doch ... im Zusammenhang

Vors.:

Welche?

Dr. Henck:

Es können auch sicherlich körperliche Beschwerden auftreten unter den Haftbedingungen, wie sie oben bestanden haben, beispielsweise, wenn die Bewegungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist; dann können Kreislaufstörungen, Blutunterdruck und all solche Dinge eintreten; alles aber immerhin Dinge, die sich wieder ausgleichen lassen.

[1017] Vors.:

Das war ja wohl die Frage, von der Herr Baa[der] ganz abgekommen ist:

Wann, unter welchen Bedingungen sind solche Schäden reversibel?

Das war ja der Sinn seiner Frage.

Dr. Henck:

Das hängt von vielen Faktoren ab.

Das hängt erstens mal ab von der Fähigkeit des Organismus, überhaupt etwas wiedergutzumachen von sich aus im Organismus; von der Art der Behandlung, von der Minderung - wenn wir das jetzt von der Situation her sehen - der bestandenen Haftbedingungen, größere Bewegungsfreiheit ...

Angekl. Baa[der]:

Herr Henck, sagen Sie doch mal:

der bestehenden;

denn sie sind nicht geändert worden. Im Gegenteil: Sie sind verschärft worden vier Wochen, bevor die Verhandlung angefangen hat.

Dr. Henck:

Sie fragten mich doch eben, unter welchen Voraussetzungen das reversibel ist, Herr Baader, und das habe ich nur beantwortet.

Angekl. Baa[der]:

Also für mich nicht ganz.

Also, Sie würden sagen grundsätzlich - also, vielleicht sollte man da Ihre alte Formulierung heranziehen - Sie haben gesagt:

Bessere Haftbedingungen würden sozusagen besseres Befinden bewirken?

Dr. Henck:

Ja.

Angekl. Baa[der]:

Also mit anderen Worten:

Die außerordentlich verschärften oder scharfen oder einzigartig scharfen Haftbedingungen sind verantwortlich für das schlechte Befinden der Gefangenen?

[1018] Vors.:

Herr Baa[der], diese Prämisse ist falsch.

Angekl. Baa[der]:

Ich würde sagen, Herr Henck hat genickt, und Herr Henck hat ... Das ist seine Formulierung. Er hat genickt. Haben Sie genickt, Herr Henck?

Dr. Henck:

Ich habe sinngemäß gesagt:

Erleichterte Haftbedingungen, besseres Befinden.

So habe ich das letztemal hier wohl sinngemäß gesagt.

Angekl. Baa[der]:

Ja, gut.

Und ich würde auch sagen, Herr Prinzing, Sie haben sich da gar nicht dauernd dazwischenzuschieben, denn dieser Arzt hat natürlich ’ne wesentlich bessere Kontrolle sogar als Sie über die Haftbedingungen. Sie sitzen an Ihrem Schreibtisch hier und ordnen an die Einschränkungen, die Isolation. Er kommt wenigstens zu uns hoch in den Trakt.

Das ist doch die Situation.

Ich stelle dazu aber nochmals grundsätzlich fest, daß - das halte ich sehr wichtig in dem Zusammenhang - daß die Haftbedingungen verschärft worden sind vier Wochen vor Beginn des Prozesses, daß sie sich also nicht verbessert haben.

Vors.:

Die Haftbedingungen sind im Zusammenhang mit der Lorenz-Entführung[51] und im Zusammenhang mit den Ereignissen in Stockholm[52] verschärft worden. Das bestreitet kein Mensch.

Aber im übrigen haben Sie jetzt zur Zeit eine Kommunikationsmöglichkeit durch täglichen Zusammenschluß aller vier Beteiligten ...

Angekl. Baa[der]:

Das stimmt doch gar nicht.

Vors.:

... an den Verhandlungstagen. Sie haben Ihren gemeinschaftlichen Hofgang, Sie haben alle übrigen Kommunikationsmittel, soweit sie nicht aus sonstigen Gründen … haben Sie wieder zurückerhalten. Das wissen Sie genau.

[1019] Wir wollen jetzt die Haftbedingungen im einzelnen nicht haben. Es geht um die Frage lediglich - und nur deswegen kürze ich’s ab, weil wir mit der Vernehmung des Herrn Sachverst. zu Ende kommen müssen ob Sie, Herr Baa[der], den Herrn Sachverst. durch Fragen noch weiterhin dahin bringen wollen oder bzw. versuchen, von ihm zu erfahren, ob bei Ihnen konkrete Schäden vorhanden sind, die die Verhandlungsfähigkeit in Zweifel ziehen?

Angekl. Ba[ader]:

Natürlich.

Vors.:

Aber Sie sollen diese Fragen nicht ständig dazu benutzen, um irgendwelche Erklärungen über die Vorstellungen, die Sie zu den Haftbedingungen haben, abzugeben. Wir sind nicht imstande, ... gegenteilige Erklärungen zu geben. Dazu ist jetzt nicht die Zeit.

Angekl. Baa[der]:

Zu dem Versuch, Erklärungen abzugeben, zu dem komme ich überhaupt nicht mehr. Das ist nicht die Frage.

Ich wollte weiterfragen.

Sie haben also festgestellt, daß u.a. Haftbedingungen bzw. sagen wir unter anderen Lebensbedingungen Schäden, Isolationsschäden, Deprivationsschäden reversibel wären?

Da frage ich Sie:

Wie schätzen Sie die Wirkung der acht Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung wieder verschärften Haftbedingungen ein?

Dr. Henck:

Ich habe das ja schon beantwortet, daß, je schärfer die Haftbedingungen sind, um so mehr ... um so schlechter ist das Befinden, und das reversibel, das ist selbstverständlich, Herr Baader, das habe ich schon wiederholt hier, nur mit anderen Worten gesagt, immer nur relativ gemeint, denn im Grunde genommen wird ja jeder Erlebnisschaden, den man mitnimmt, eingehen in die Persönlichkeit; infolgedessen ist es nicht absolut reversibel, sondern immer nur relativ reversibel.

Angekl. Baa[der]:

Ja. Jetzt ist das mir schon klar. Das entspricht ja auch unserer Erfahrung. Aber die Situation ist eben die, daß wir - [1020] abgesehen von der veränderten Situation durch die Hauptverhandlung - daß wir in dieser Situation der Isolation, die jetzt seit drei Jahren andauert, ja weiterhin sind. Das ist der Punkt, d. h. die Situation, in der Deprivation stattfindet. Diese besteht fort.

Vors.:

Herr Baa[der], wir bewegen uns im Kreise. Der Herr Sachverst. hat heute und bei der letzten Anhörung gesagt, er habe keinen Anlaß gefunden, anzunehmen, Sie seien verhandlungsunfähig. Wenn Sie in dieser Richtung dem Herrn Sachverst. Fragen vorlegen wollen, die dieses Urteil korrigieren können, bitte schön. Aber Sie haben jetzt nicht die Möglichkeit, immer wieder zu reden über die Haftbedingungen.

Angekl. Baa[der]:

Das war ganz korrekt[ggg] was Sie gesagt haben, insofern ist das richtig, als er zu Anhaltspunkten nicht kommen kann, weil er keine Diagnose stellen kann, weil er zu ’ner Untersuchung nicht kommen kann,

und zu dem Komplex habe ich noch eine Frage:

Herr Henck, wie erklären Sie sich das, daß ärztliche medizinische Veranlassungen in der ... im Gefängnis Stgt.-Stammheim innerhalb von 24 Stunden von der Bildzeitung publiziert werden können?

Dr. Henck:

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.

Vors.:

Das ist auch keine Frage an den Sachverständigen.

Angekl. Baa[der]:

Na, jetzt die Frage der Schweigepflicht. Es war davon die Rede, daß zu diesem Arzt kein Vertrauen schon deswegen herzustellen ist, weil er sich an die Schweigepflicht nicht halten kann, d. h. die Schweigepflicht ... doch, weil er nicht garantieren kann, daß die Schweigepflicht über die medizinischen Erkenntnisse in dieser Haftanstalt gewahrt wird. Ich würde sagen:

Wenn medizinische Veranlassungen aus dieser Anstalt in einer Auflage von vier Millionen verbreitet werden, könnte man doch irgendwie von der Schweigepflicht nicht mehr reden.

[1021] Vors.:

Vielleicht, Herr Baa[der], läßt sich Ihre Frage einfach dahin formulieren und beantworten:

Haben Sie irgendeinem Journalisten gegenüber Äußerungen ...

Dr. Henck:

Ich gebe keine Presseinformationen heraus.

Angekl. Baa[der]:

... ist nicht die Frage, denn Herr Henck steht einer ganzen Abteilung vor, das ist wesentlich. Er ist der leitende Arzt ...

Vors.:

Haben Sie Kenntnis davon, daß aus Ihrer Abteilung irgendwelche Presseorgane Mitteilungen über den Zustand gegeben worden sind?

Dr. Henck:

Nein. Ich werde selbstverständlich von der Presse einmal angerufen. Ich gebe aber keine Erklärungen ab. Das ist mir dienstlich verboten vom Justizministerium. Ich kann überhaupt keine Erklärungen abgeben von mir aus.

Angekl. Baa[der]:

Aber irgendwie muß das ja wohl hingekommen sein, nicht?

Dr. Henck:

Aus welchen Kanälen und durch welche Personen etwas an die Presse gelangt, Herr Baa[der], das weiß ich doch nicht.

Angekl. Baa[der]:

Ich ergänze die Frage.

Während des Hungerstreiks sind fortlaufend, dreimal insgesamt, ist das Gewicht, das Sie durch Zwang festgestellt haben, d. h., Sie haben uns zwangsweise gewogen, veröffentlicht worden in mehreren Zeitungen. Wie läßt sich das vereinbaren mit Ihrer ärztlichen Schweigepflicht bzw. mit Ihrer Verpflichtung ...

Vors.:

Hat das mit der Verhandlungsfähigkeit etwas zu tun?

Angekl. Baa[der]:

Moment, laß mich ausreden.

Vors.:

Das könnten Sie doch verwertet haben bei einem Ablehnungsantrag oder sonst irgendwo. Aber jetzt mit der hier zu klärenden Frage [1022] der Verhandlungsfähigkeit bzw. der Äußerungen, die Herr Dr. Henck Ihnen gegenüber gemacht hat.

Angekl. Baa[der]:

Es geht doch hier noch um die Frage ...

Das war doch ein ganz komplexer Zusammenhang, den Sie hier selbst entwickelt haben. Sie haben doch behauptet sozusagen, wir müßten zu diesem Arzt Vertrauen entwickeln, und wir haben erklärt, daß wir zu diesem Arzt

1. grundsätzlich ... und dann

2. auch zu diesem Arzt kein Vertrauen entwickeln können, weil er sich nicht an die ärztliche Schweigepflicht halten kann.

Vors.:

Herr Baa[der], ich lasse diese Frage nicht zu, die Sie jetzt stellen wollen.

(Zu RA v[on] Plottnitz ):[hhh]

Sind Sie Verteidiger von Herrn Baa[der]?

Angekl. Baa[der]:

Dann bitte ich um einen Senatsbeschluß.

RA v[on] Pl[ottntiz]:

... Senatsbeschluß. Sie können ja dem Ent... Beschluß entsprechend anregen dann mit folgender Begründung:

Sie werden sich daran erinnern, daß Sie vorhin die Gefangenen gefragt haben - ob das eine rhetorische Frage war, das weiß ich jetzt nicht mehr - gefragt haben, warum sie sich nicht von Herrn Dr. Henck untersuchen lassen. Da haben Sie auch den Zusammenhang mit der Frage der Verhandlungsfähigkeit angenommen.

Jetzt, wenn Herr Baa[der] entsprechende Fragen dem Herrn Dr. Henck stellt, dann soll der Zusammenhang plötzlich beschnitten werden.

Vors.:

Nein. Herr RA, das ist einfach eine verkehrte Welt allmählich.

Ich habe eine Empfehlung gegeben, habe den Herrn gesagt, es wäre der korrekte und der reguläre Weg über den Anstaltsarzt. [1023] Das begründet kein Fragerecht an den Herrn Sachverst., warum er das oder jenes nicht getan hätte. Der Herr Sachverst. ist zu den Fragen zu fragen, weswegen er hierhergebeten worden ist, nämlich:

Äußerungen gegenüber Herrn Baader, und jetzt - wie wir hörten - gegenüber Herrn Raspe, und außerdem ist jetzt inzwischen eingeleitet worden in die Frage generell nochmals der Verhandlungsfähigkeit. Weiter kann’s nicht gehen, und weiter geht’s jetzt auch nicht mehr.

Wenn Sie in dieser Richtung Fragen haben, bitte ja. Sonst müßten wir die Befragung des Herrn Sachverst. als beendet ansehen.

Sind seitens der B. Anw. inzwischen noch Fragen zu stellen an den Herrn Sachverst.

OStA Zeis:[iii]

Keine, Herr Vors., die B. Anwaltschaft beantragt:

Herrn Dr. Henck, soweit er seine Aussagen als Zeuge gemacht hat, zu vereidigen.[53]

Vors.:

Es ist in der Zwischenzeit etwas die Gelegenheit benutzt worden, Anträge zu stellen.

Herr Baa[der], fragen Sie ruhig weiter. Wir werden darauf nachher uns noch äußern.

Angekl. Baa[der]:

Ich wollte nochmals fragen, Herr Henck,

dieses Zitat, das Sie vorhin gebracht haben, in dem Sie ja ... mit dem Sie von ... gesagt haben:

Verhandlungsunfähigkeit sei ein ausschließlich psychopathologisches Problem. Das haben Sie doch gesagt. Da ist mir der Zusammenhang nicht klargeworden. Danach wollte ich Sie nochmals fragen.

Dr. Henck:

Bitte, was ist Ihnen nicht klargeworden?

Angekl. Baa[der]:

Der Zusammenhang ist mir nicht klargeworden.

Sie haben von postpsychotischen Persönlichkeitsstörungen gesprochen.

[1024] Dr. Henck:

Nein. Das war im Zusammenhang mit der partiellen Verhandlungsunfähigkeit die Rede, Herr Baa[der], das haben Sie etwas durcheinandergeworfen.

Von den postpsychotischen Persönlichkeitsveränderungen wurde gesagt, daß die im Bereich ihres Wahnsystems aufgrund ihres Persönlichkeitsdefekts für diesen Bereich verhandlungsunfähig seien, im übrigen aber laut dieser Literatur verhandlungsfähig seien. Das gilt genau für chronische Psychosen, während die akuten Geisteskrankheiten generell verhandlungsunfähig sind.

Angekl. Baa[der]:

Aber ich verstehe den Zusammenhang nicht ganz. Wie sind wir darauf gekommen? Sie würden also sagen:

Es sind psychotische oder psychoseähnliche Schädigungen eingetreten bei diesen Gefangenen durch die Haftbedingungen. Würden Sie das sagen?

Dr. Henck:

Wenn eine Haftpsychose eingetreten ist, und es steht grade eine Verhandlung an, dann ist der ...

Angekl. Baa[der]:

Nein. Ich rede jetzt konkret von uns.

Welche Form sie haben könnte; ob sie sich von dem, was üblicherweise als Haftpsychose bekannt ist, durch das unterscheidet, was sie ausgelöst haben könnte, wenn Sie das als Psychose fassen wollen diesen ganzen Komplex sensorische Deprivation.

Dr. Henck:

Ich sagte ja schon, daß ...

Angekl. Baa[der]:

Statt Deprivation benutzen Sie also die ...

Dr. Henck:

Ja. Ich versteh das schon, was Sie meinen jetzt.

Sie tauschen das eine jetzt nur mal gegen das andere aus als Modellvorstellung oder als Vorstellung.

[1025] Angekl. Baa[der]:

Sie machen das. Ich mach es eigentlich nicht. Ich würde sagen, also, ich kenn ja Ihren Begriffsapparat nicht so; aber wenn Sie sagen. Ich habe es daraus geschlossen, daß Gegenstand der Frage oder der Befragung überhaupt war die sensorische Deprivation und Sie eben ankamen mit der Psychose.

Dr. Henck:

Als die Folgen einer sensorischen Deprivation im Rückbildungsstadium, soweit eine Rückbildbarkeit da ist, ist sie nicht einer Psychose gleichzusetzen. Es können aber während des akuten Zustands der absoluten Beraubung der Sinneseindrücke solche psychoseähnliche Zustände auftreten durch die Sperrung oder erhebliche Reizzufuhr. Da können Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Verfolgungswahn und ähnliche Dinge auftreten, wie sie bei einer Psychose eben auftreten, in Form einer Haftpsychose sein, wenn es sich in einer Haftsituation abspielt.

Angekl. Baa[der]:

Das ist, glaube ich, nicht die Frage ... also nicht die Frage allein von Halluzinationen sondern der Symptomkomplex, mit dem Sie konfrontiert sind hier im Zusammenhang mit uns. Das sind Kreislaufstörungen, Pfeifen in den Ohren - zum Teil ziemlich lautes -, Erschöpfungszustände, extreme Erschöpfungszustände, Konzentrationsschwierigkeiten, Assoziationsschwierigkeiten, also dieser ganze Zusammenhang.

Dr. Henck:

Ich kann nur noch einmal wiederholen.

Das ... nur im akuten Stadium, daß es sich hier um ein psychoseähnliches Geschehen handeln kann, aber nicht im relativen Rückbildungsstadium.

Angekl. Baa[der]:

Na dann. Aber man stellt doch fest, daß diese Wirkungen, die beschrieben werden, im Zusammenhang der Isolation ausgelöst werden durch physische Zustände, d. h. durch Umweltbedingungen, durch Lebensbedingungen, durch Haftbedingungen; aber daß sie dann sozusagen wiederum Wirkungen haben doch auf das körperliche Befinden.

[1026] Dr. Henck:

Selbstverständlich. Das habe ich vorhin schon mal gesagt.

Angekl. Baa[der]:

Ja. Aber mit dem konfrontieren wir Sie ja zunächst mal.

Dr. Henck:

Das habe ich vorhin schon beantwortet. Aber ganz im Vordergrund standen nur die Folgen des Hungerstreiks mit Ihrer Abmagerung bis auf die Knochen, und da war mein Anliegen, von der körperlichen Seite aus entsprechende Untersuchungen bei Ihnen durchzuführen, um keine Schäden ... damit Sie keine Schäden behalten als Folge dieses Hungerstreiks.

Angekl. Baa[der]:

Aber Sie wissen doch, daß der Hungerstreik ursächlich zusammenhing mit den Haftbedingungen; denn der Hungerstreit hatte zum Ziel, die Haftbedingungen der Gefangenen zu ändern.

Vors.:

Das ist keine zulässige Frage jetzt. Das ist wieder ein Vorhalt, der auch mit der Sache nichts zu tun hat.

Herr Baa[der], Fragen zur Verhandlungsfähigkeit?

Angekl. Baa[der]:

Naja. Ich versteh das nicht. Sie haben festgestellt, Herr Henck, daß diese Haftbedingungen in der Umkehrung Ihrer Frage schlechtes Befinden hervorrufen. Sie würden also jetzt sagen: Das Befinden der Gefangenen ist zwar schlecht. Aber so schlecht, daß sie verhandlungsunfähig wären oder vielleicht ihre Verhandlungsfähigkeit eingeschränkt wäre, ist es nicht. Das ist Ihr Eindruck.

Vors.:

Ich laß es nochmals zu, daß hierauf geantwortet wird. Bitte, Herr Henck, geben Sie eine kurze Antwort. Es ist oft genug jetzt diese Anfrage ...

Dr. Henck:

Die Verhandlungsfähigkeit ist bejaht worden. Es ist möglich, daß vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit eintritt in der vorhin schon mehrmals beschriebenen Art und Weise oder auch durch jetzt nicht vorhersehbare Ereignisse eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit eintreten kann.

[1027] Angekl. Baa[der]:

Ich wollte Sie fragen, Herr Henck, ob es in Ihrem Interesse ist, daß der Arzt - ich weiß nicht, kenn den genauen Namen nicht, auf den Sie sich bei Ihrer letzten Anhörung, sagen wir mal, bezogen haben und der hier im Saal ist - ob Sie Interesse haben oder ob Sie Ihrerseits mit ihm konfrontiert werden möchten hier.

Dann beantrage ich:

Da der vom Gericht anerkannte Gutachter, Herr Dr. Henck, den Wunsch äußert, hier diesem Gutachter gegenübergestellt zu werden, beantrage ich

diese Gegenüberstellung.

Vors.:

Wir betrachten damit die Vernehmung des Herrn Dr. Henck in Freibeweis für erledigt. Es ist nicht beabsichtigt, ihn zu vereidigen. Wir können hier das Beweismittel in der Weise einführen, wie es als erforderlich erscheint.[54] Wir sehen von der Vereidigung ab.

Über den Antrag, Herrn Prof. Teuns zu hören - das ist eine ganz andere Frage, was mit der Gegenüberstellung, von der die Rede war, dann der Fall sein könnte - können wir erst entscheiden, wenn wir noch Herrn. Prof. Rauschke, der sich einige Zeit hier ja auch im Saale aufgehalten hat, gehört haben. Wir haben ihn nicht greifbar. Wir werden dann auf die Entscheidung dieses Antrags zurückkommen.

Soviel ich weiß, hat auch die B. Anwaltschaft sich heute früh dahingehend geäußert, daß sie zur Anhörung des Herrn Prof. Teuns erst Stellung nehmen möchte, wenn beide Herrn gehört worden sind.

Reg. Dir. Ze[is]:

So ist es, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Auf das wollen wir uns zurückziehen und setzen die Sitzung morgen früh um 9.00 Uhr fort.

Ende der Sitzung um 16.45 Uhr.

Ende von Band 39.


[1] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO). Das Verfahrensstadium zwischen dem Aufruf der Sache und der Vernehmung zur Person nimmt üblicherweise nur wenig Raum ein. In diesem Verfahren allerdings fand die Vernehmung zur Person sowie die Verlesung der Anklageschrift aufgrund vorrangiger Anträge erst am 26. Verhandlungstag statt.

[2] Eine Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, der zwar nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen, allerdings in Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt ist. Sie beinhaltet die formlose Aufforderung, über eine getroffene Entscheidung erneut zu befinden und die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern (Hoch, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 296 ff. Rn. 39 ff.).

[3] Gudrun Ensslin beantragte am 11. Verhandlungstag, Rechtsanwalt Künzel zu entpflichten, was der Vorsitzende Dr. Prinzing jedoch ablehnte (s. S. 835 ff., 11. Verhandlungstag). Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 7. Verhandlungstag trug Rechtsanwalt Schily im Namen seiner Mandantin Gudrun Ensslin eine Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing wegen Besorgnis der Befangenheit vor (S. 620 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 7. Verhandlungstag; s. auch die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden Dr. Prinzing am selben Tag, S. 677 ff.). Hierbei stützte er sich auf die Umstände des Todes von Holger Meins, welcher an den Folgen des dritten Hungerstreiks verstarb, während er sich in Untersuchungshaft und damit in staatlicher Obhut befand. Da der Senat ab Eröffnung der Hauptverhandlung für Entscheidungen über die Haftbedingungen zuständig war (§ 126 Abs. 2 StPO), warfen die Angeklagten dem Senat, insbesondere aber dem Vorsitzenden Dr. Prinzing vor, Holger Meins ermordet zu haben. Rechtsanwalt Künzel bezeichnete die Ablehnung als Rechtsmissbrauch und kündigte an, den Sachverhalt der Anwaltskammer zur Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens gegen Rechtsanwalt Schily zuzuleiten (s. dazu seine Ausführungen auf S. 836 des Protokolls der Hauptverhandlung, 11. Verhandlungstag, sowie S. 922 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, heutiger Verhandlungstag).

[4] Den Angeklagten waren neben ihren Vertrauensverteidiger/innen je zwei weitere Pflichtverteidiger (gegen ihren Willen) zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet, zu denen auch Rechtsanwalt König gehörte. Die Angeklagten lehnten die von ihnen sog. Zwangsverteidiger vehement ab und weigerten sich, mit ihnen zu reden. Ulrike Meinhof führte am 1. Verhandlungstag aus: „Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind, d. h. ihrer Funktion in diesem Prozeß nach Vertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung“ (S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[5] Erlangt die Rechtsanwaltskammer Kenntnis über berufsrechtliche Pflichtverletzungen von Anwält/innen, so kann sie entweder - falls die Schuld nur gering ist - selbst eine Rüge aussprechen (§ 74 Bundesrechtsanwaltsordnung [BRAO]), oder bei der Staatsanwaltschaft die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens (früher „Ehrengerichtsverfahren“) beantragen (§ 122 BRAO). Durch Einreichen einer Anschuldigungsschrift bei dem zuständigen Anwaltsgericht kann diese das Verfahren einleiten (§ 121 BRAO). Das Gericht kann verschiedene Maßnahmen gegen den Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin verhängen; diese reichen - je nach Schwere des Verstoßes - von einer Warnung (§ 114 Abs. 1 Nr. 1 BRAO) bis zum Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft (§ 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a.F.; heute: § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO).

[6] Der Vorwurf des Mordes bezieht sich auf die Umstände, unter denen Holger Meins, ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheimer Verfahren, an den Folgen des dritten Hungerstreiks verstarb, während er sich in Wittlich in Untersuchungshaft befand (s. bereits Fn. 3). Meins’ früherer Verteidiger, Rechtsanwalt von Plottnitz, stellte im Namen der Angehörigen und im eigenen Namen eine Strafanzeige gegen den Vorsitzenden Dr. Prinzing u.a. wegen Beteiligung am Mord an Holger Meins durch Unterlassen der erforderlichen Hilfsmaßnahmen. Auszüge der Strafanzeige sind abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 195 f.; vollständig, aber schlecht lesbar, findet sich die Strafanzeige auch im Anhang der Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975, 7. Verhandlungstag, S. 644 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[7] Siegfried Buback war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung Generalbundesanwalt und damit Leiter der Strafverfolgungsbehörde „Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof“, welche das Amt der Staatsanwaltschaft beim BGH (§ 142 Nr. 1 GVG), sowie in den zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehörenden Strafsachen (§ 120 Abs. 1 und 2 GVG) ausübt (§ 142a Abs. 1 GVG).

[8] Am 1. Januar 1975 traten das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3393) sowie das Ergänzungsgesetz hierzu vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) in Kraft. Neben dem Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) und der Möglichkeit des Verteidiger/innenausschlusses (§ 138a StPO), wurden u.a. auch die Beschränkung auf drei Wahlverteidiger/innen pro Beschuldigte/n (§ 137 Abs. 1 Satz 2 StPO) sowie die Möglichkeit, den Prozess im Falle vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit bis zum Abschluss der Vernehmung der Angeklagten zur Sache auch in ihrer Abwesenheit durchzuführen (§ 231a StPO), eingeführt. Durch diese und weitere Reformen während der Hauptverhandlung wurden die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung erheblich eingeschränkt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.). Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie u.a. als „lex RAF“ kritisiert. (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.). Sie sind überwiegend noch heute in Kraft.

[9] Gegen die vom Verfahren ausgeschlossenen Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele wurden Ermittlungsverfahren wegen der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Am 23. Juni 1975 wurden die Kanzleiräume der Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele sowie der Rechtsanwältin Becker durchsucht. Rechtsanwältin Becker wurde einen halben Tag festgehalten und schließlich wieder entlassen, Dr. Croissant und Ströbele wurden verhaftet (s. hierzu die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 9. Verhandlungstag, S. 748 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, und der Rechtsanwältin Becker, S. 754 f. des Protokolls). Rechtsanwalt Siegfried Haag wurde wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung vorläufig festgenommen, seine Kanzlei- und Wohnräume wurden durchsucht. Der beim Bundesgerichtshof beantragte Haftbefehl wurde zunächst abgelehnt. Als er im Beschwerdeverfahren schließlich erteilt wurde, war Haag bereits untergetaucht und hatte sich der RAF angeschlossen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 212 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 69; s. auch die Presseerklärung Haags in Anlage 1 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 12 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag).

[10] Dr. Henck war während des Prozesses als Anstaltsarzt in Stuttgart-Stammheim tätig und wurde als erster Sachverständiger zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten angehört (S. 357 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 5. Verhandlungstag; s. auch S. 937 ff. an diesem Verhandlungstag sowie S. 1725 ff., 21. Verhandlungstag). Eine Untersuchung durch ihn lehnten die Angeklagten ab. Andreas Baader beschrieb das Verhältnis zu ihm wie folgt: „Das Verhältnis zu Henck ist ein Zwangsverhältnis, d. h. er hat unter [...] Anwendung urmittelbaren Zwangs durch 6 Vollzugsbeamte die Zwangsernährung - oder wie ein anderer Vollzugsarzt, typischer Sadist, sagt, die Schlauchorgie - in Stammheim während des Hungerstreiks durchgeführt, zuletzt so, wie ich das hier erklärt habe, daß es physische Folter war; darin besteht das Verhältnis zu Henck“ (S. 1243 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag).

[11] Prof. Dr. Rauschke war Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart und beauftragt worden, zur Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten Stellung zu nehmen. Zur Vernehmung des Prof. Dr. Rauschke s. S. 1102 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (14. Verhandlungstag). Eine Untersuchung durch ihn, ebenso wie eine durch den Anstaltsarzt Dr. Henck, lehnten die Angeklagten ab.

[12] Siegfried Hausner war Mitglied der RAF und Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 bei dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwölf Geiseln nahm, zwei Menschen tötete und die Freilassung von 26 Gefangenen, darunter der Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, forderte. Aus weiterhin unbekannten Gründen explodierte kurz vor der Stürmung des Gebäudes durch schwedische Spezialkräfte im Inneren der Botschaft ein Sprengsatz, infolgedessen Hausner schwer verletzt wurde. Trotz dieser Verletzungen wurde Hausner wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt, wo er Anfang Mai 1975 verstarb (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512, 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80).

[13] Noch im Stockholmer Krankenhaus soll eine Schädelfraktur bei Siegfried Hausner festgestellt worden sein, angeblich entstanden durch Polizeigewalt während der Verhaftung Hausners (s. die Ausführungen von Andreas Baader auf S. 1233 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Auch der Anstaltsarzt Dr. Henck soll diese Verletzung in Stuttgart-Stammheim attestiert haben. Bei der späteren Obduktion durch Herrn Prof. Rauschke soll sie hingegen nicht entdeckt worden sein, was durch die Angeklagten als „Unterschlagung“ gewertet wurde; den Tod Hausners bezeichneten sie als Mord (Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1544 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[14] Von einem Geständnis spricht in diesem Zusammenhang erstmals Andreas Baader am 6. Verhandlungstag (S. 586 f. des Protokolls der Hauptverhandlung). Dabei bezieht er sich offenbar auf eine Bemerkung des Regierungsdirektors Widera am 5. Verhandlungstag, in der dieser allerdings lediglich eine Aussage des befragten Anstaltsarztes Dr. Henck zusammenfasst: „Aber der Sachverständige hat bereits gesagt, er hat Hausner nicht nur für haftunfähig sondern auch für transportunfähig gehalten. Und wenn jemand für transportunfähig gehalten wird, dann ist die Frage von Herrn Baader meines Erachtens beantwortet“ (S. 505 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[15] Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Die Verhandlungsunfähigkeit bildet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO). Eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit kann durch die Anordnung besonderer Maßnahmen (ärztliche Unterstützung, Einlegung von Erholungspausen o.ä.) begegnet werden (s. dazu auch Rechtsanwalt Dr. Heldmann auf S. 1255 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Bei vorsätzlicher und schuldhafter Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des/der Angeklagten durchgeführt werden (§ 231a StPO).

[16] S. 589 f. des Protokolls der Hauptverhandlung (6. Verhandlungstag).

[17] Von September 1974 bis Februar 1975 führten insgesamt 40 Gefangene, darunter die Angeklagten, den insgesamt dritten und längsten Hungerstreik durch, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren, die sie als Isolationsfolter bezeichneten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117; die Hungerstreikerklärung ist abgedruckt in: Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 14 ff.; s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.).

[18] § 72 StPO erklärt die Vorschriften über Zeug/innen auch für Sachverständige anwendbar, solange keine abweichende Regelung für Sachverständige besteht. § 58 Abs. 2 StPO erklärt die Gegenüberstellung für zulässig, bezieht sich allerdings explizit nur auf das Vorverfahren. Auch in der Hauptverhandlung kann das Gericht sie aber nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen seiner Aufklärungspflicht anordnen (Maier, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 58 Rn. 28; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 58 Rn. 8).

[19] Zu diesen Vorwürfen s. auch die Ablehnung durch die Angeklagte Ensslin in Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975 (7. Verhandlungstag, S. 620 ff.). Die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden Dr. Prinzing befindet sich auf S. 677 ff. (ebenfalls 7. Verhandlungstag).

[20] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166).

[21] Am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen Irmgard Möller und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Die Anklagevorwürfe betrafen u.a. das Geschehen um die versuchte Festnahme des RAF-Mitglieds Margrit Schiller, in deren Verlauf ein Polizeibeamter erschossen, ein weiterer verletzt wurde. Der getötete Polizeibeamter Norbert Schmid war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Irmgard Möller wurde später mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, Gerhard Müller u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beteiligung an Bombenanschlägen und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29).

[22] § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO enthält einen Ablehnungsgrund für Beweisanträge auf Vernehmung von Sachverständigen. Danach kann ein entsprechender Antrag abgelehnt werden, wenn durch frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits bewiesen ist. Eine Einschränkung findet sich im zweiten Halbsatz: „[...]; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.“ Die Begrenzung der Ablehnungsmöglichkeiten von Beweisanträgen nach § 244 Abs. 3-6 StPO gilt zwar grundsätzlich nur im Strengbeweis-, nicht aber im hier anzuwendenden Freibeweisverfahren, in dem das Gericht über den Umfang der Beweisaufnahme nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet und entsprechende „Beweisanträge“ (s. dazu Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 46, wonach Beweisanträgen im Freibeweis lediglich die Qualität einer Beweisanregung zukomme) auch aus anderen Gründen ablehnen kann. Die hinter dem 2. Halbsatz stehende Erwägung, dass eine Tatsache durch ein unzureichendes Gutachten nicht erwiesen werden kann, ist aber letztlich eine Selbstverständlichkeit (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 202), die auch im Rahmen des Freibeweises von Bedeutung ist.

[23] Nach § 58 Abs. 2 StPO ist die Gegenüberstellung mehrerer Zeug/innen oder von Zeug/innen und Beschuldigten im Vorverfahren zulässig, „wenn es für das weitere Verfahren geboten erscheint“.

[24] Tatsächlich findet sich in Kleinknecht, Strafprozessordnung, 32. Aufl. 1975, § 72 Anm. 1, die Aussage, § 58 StPO sei für Sachverständige nicht anwendbar, allerdings mit Verweis auf eine Kommentierung im Großkommentar Löwe/Rosenberg (s. dazu Fn. 25), in welcher zwischen § 58 Abs. 1 und 2 StPO differenziert und die in Absatz 2 enthaltene Gegenüberstellung für anwendbar erklärt wird.

[25] Dort heißt es: „§ 58 ist nicht anwendbar, soweit Abwesenheit vorgeschrieben wird. Der Sachverständige kann der ganzen Verhandlung beiwohnen, wenn das Gericht es anordnet oder gestattet; er kann auch sein Gutachten in Anwesenheit der später zu Vernehmenden gestatten. Gegenüberstellungen sind auch mit dem Sachverständigen in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Selbstverständlich können auch Sachverständige nur ‚einzeln‘ vernommen werden, nicht in der Art des Priesterquintetts in der Salome“ (Sarstedt, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 72 Anm. 1g).

[26] Rechtsanwalt Künzel sah Gudrun Ensslin der Gefahr eines Strafverfahrens wegen falscher Verdächtigung ausgesetzt (s. dazu seine Ausführungen am 11. Verhandlungstag, S. 836 des Protokolls der Hauptverhandlung). Wegen falscher Verdächtigung nach § 164 Abs. 1 StGB wird bestraft, „[w]er einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen“.

[27] Da die Beiordnung als Pflichtverteidiger/in dem öffentlichen Interesse dient, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242), gehen mit ihr besondere Pflichten einher. Darunter fällt auch die Anwesenheitspflicht während der Hauptverhandlung, und zwar unabhängig davon, ob weitere (Pflicht-)Verteidiger/innen anwesend sind (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 - Az: 2 Ws 203/15, NStZ 2017, S. 436, 437 f.). Über die Gewichtung der verschiedenen Interessen, denen der Beschuldigten und dem Interesse an der Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrens, gab es im Prozess häufige Auseinandersetzung, so etwa am 26. Verhandlungstag (S. 21145 ff., 2132 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung), sowie am 41. Verhandlungstag (S. 3176 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[28] Die Einschränkung, dass ein Ablehnungsantrag „unverzüglich“, also „ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung“ (BGH, Urt. v. 10.11.1967 - Az.: 4 StR 512/66, BGHSt 21, S. 334, 339), gestellt werden muss, galt nach § 25 Abs. 1, 2 Nr. 2 StPO a.F. erst ab dem Zeitpunkt der Vernehmung der Angeklagten zur Sache (heute: ab der Vernehmung der Angeklagten über ihre persönlichen Verhältnisse). Da dieses Stadium am 12. Verhandlungstag noch nicht erreicht war, konnten Ablehnungen ohne die zeitliche Einschränkung der Unverzüglichkeit vorgebracht werden.

[29] Zur Anwesenheitspflicht von Pflichtverteidiger/innen s. bereits Fn. 27. Eine mögliche Konsequenz pflichtwidrigen Verhaltens ist die Zurücknahme der Bestellung als Pflichtverteidiger/in (Entpflichtung). Diese war zwar als Reaktion auf pflichtwidriges Verhalten gesetzlich nicht vorgesehen, es war allerdings in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass dies im Falle eines Fehlverhaltens von besonderem Gewicht und nach voriger Abmahnung ausnahmsweise zulässig ist (Willnow, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 143 Rn. 4). Bloßes prozessordnungswidriges oder unzweckmäßiges Verhalten reicht hingegen nicht aus, da es nicht Aufgabe des Gerichts ist, die ordnungsgemäße Erfüllung der Verteidigungspflichten zu überwachen (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 25 ff.; s auch Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 32. Aufl. 1975, § 143 Anm. 3). Seit dem 13.12.2019 enthält § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO (eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128) ausdrücklich die Möglichkeit der Entpflichtung, wenn „aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist“. Darunter wird auch der Fall der groben Pflichtverletzung gefasst (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 26).

[30] Während bis zum 31.12.1974 die sog. Blockverteidigung - die kollektive Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenlage - zulässig war, wurde durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) mit Wirkung zum 1.1.1975 das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) eingeführt. Jede/r Verteidiger/in durfte fortan nur noch eine/n Angeklagte/n vertreten, mithin auch nur im Namen des/der jeweiligen Angeklagten sprechen.

[31] Der Grund, aus welchem der/die Richter/in abgelehnt wird, muss nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung, als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).

[32] Verfügung: Frist zur Stellungnahme zur dienstlichen Äußerung und voraussichtliche Fortsetzung der Hauptverhandlung.

[33] Dienstliche Äußerung des Vorsitzenden Dr. Prinzing.

[34] Antrag der Bundesanwaltschaft, die Ablehnung als unbegründet zurückzuweisen.

[35] Stellungnahme des Rechtsanwalts Schily zur dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Dr. Prinzing.

[36] Anlage 1 zum Protokoll vom 2.7.1975: Beschluss des OLG Stuttgart vom 2.7.1975 (Zurückweisung der Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing als unbegründet).

[37] Seit ihrer Festnahme am 4. Februar 1974 warteten neun RAF-Mitglieder auf die Eröffnung der Hauptverhandlung in Hamburg: Ilse Stachowiak wurde zusammen mit Christa Eckes, Helmut Pohl und Eberhard Becker in Hamburg festgenommen. Kay-Werner Allnach und Wolfgang Beer wurden mit Margrit Schiller in Frankfurt/Main aufgegriffen. Axel Achterrath und Ekkehard Blenck wurden in Amsterdam verhaftet (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 116). Sie wurden am 28. September 1976 vom Landgericht Hamburg zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 122; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 263; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 54. f.).

[38] In Zweibrücken waren die Beschuldigten Manfred Grashof, Wolfgang Grundmann und Klaus Jünschke inhaftiert, gegen die die Hauptverhandlung vor dem LG Kaiserslautern stattfand (vgl. die abgedruckten Beschlüsse in Enzensberger/Michel [Hrsg.], Kursbuch 32, August 1976, S. 30 ff., 44 ff.).

[39] In Berliner Haftanstalten befanden sich u.a. Brigitte Mohnhaupt, Ingrid Schubert, Irene Goergens und Heinrich Jansen. Brigitte Mohnhaupt befand sich seit ihrer Festnahme vom 9.6.1972 in Untersuchungshaft in Berlin. Am 30.8.1974 wurde sie vom Landgericht Berlin wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 92 ff.). Ingrid Schubert und Irene Goergens saßen wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes seit ihrer Verurteilung vom 21.5.1971 in Berlin in Strafhaft (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 310). Sie waren gemeinsam mit Horst Mahler und Brigitte Asdonk Anfang Oktober 1970 von der Berliner Polizei festgenommen worden (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 285 ff.; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 136). Heinrich Jansen saß unter strengen Haftbedingungen in der JVA Berlin-Moabit ein (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 285 ff.).

[40] Im niedersächsischen Bückeburg fand der Prozess gegen den niederländischen Studenten Ronald Augustin statt. Augustin war Teil der Bewegung 2. Juni und Mitglied der ersten RAF-Generation. Festgenommen im Juli 1973, wurde er im Mai 1974 in die JVA Hannover verlegt, wo er in strenger Einzelhaft saß. Seine Haftbedingungen wurden mit denen in Köln-Ossendorf verglichen, auch die Bezeichnung „Toter Trakt“ (Fn. 50) wurde hierfür verwendet. Die Hauptverhandlung in Bückeburg wurde, ähnlich wie die in Stuttgart-Stammheim, in einer eigens dafür eingerichteten Mehrzweckhalle durchgeführt. Der Prozess wurde nicht nur deshalb von manchen als „Generalprobe“ für das Verfahren in Stuttgart angesehen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 108 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 206; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 367 ff.).

[41] Rechtsanwalt Siegfried Haag, der ursprünglich Andreas Baader als Pflichtverteidiger beigeordnet war, wurde wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung vorläufig festgenommen, seine Kanzlei- und Wohnräume wurden durchsucht. Der beim Bundesgerichtshof beantragte Haftbefehl wurde zunächst abgelehnt. Als er im Beschwerdeverfahren schließlich erteilt wurde, war Haag bereits untergetaucht und hatte sich der RAF angeschlossen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 212 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 69; s. auch die Presseerklärung Haags in Anlage 1 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 12 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag).

[42] Die Aufgabe von Zeug/innen ist es, eine persönliche Wahrnehmung über einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang zu bekunden (BGH, Urt. v. 12.3.1969 - Az.: 2 StR 33/69, BGHSt 22, S. 347, 348), wobei es nur auf Tatsachen ankommt. Dazu gehören auch sog. innere Tatsachen, wie die eigene Überzeugung, bestimmte Motive etc. (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Vor § 48 Rn. 2). Im Unterschied dazu vermitteln Sachverständige Sachkunde oder wenden diese bei der Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts an. Bei der Bekundung von Tatsachen ist zu unterscheiden: Wurde die bekundete Tatsache im Rahmen eines behördlichen Auftrages aufgrund der besonderen Sachkunde wahrgenommen, fällt auch die Tatsachenbekundung in den Aufgabenbereich der Sachverständigen. Wurde die Tatsache hingegen ohne Auftrag, aber dennoch aufgrund einer gewissen Sachkunde wahrgenommen, sind die Regeln für den Zeugenbeweis anwendbar (sog. sachverständiger Zeuge, § 85 StPO; s. zur Abgrenzung Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 85 Rn. 2 f.).

[43] S. bereits Fn. 12, 13.

[44] Katharina Hammerschmidt unterstützte die RAF mit Kurierdiensten und der Bereitstellung illegaler Wohnungen, war aber an keinen Gewalttaten beteiligt. Im Juni 1972 stellte sie sich der Polizei und wurde entgegen den Erwartungen ihres Anwalts Schily in Berlin inhaftiert. Dort traten schon bald erste Symptome einer Krebserkrankung auf. Die von Hammerschmidt geäußerten gesundheitlichen Probleme wurden von den Gefängnisärzten aber nur unzureichend untersucht, weshalb der Tumor lange Zeit unerkannt blieb. Noch während ihres Strafprozesses wurde Hammerschmidt aufgrund der fortschreitenden Erkrankung im Januar 1974 entlassen. Sie starb Ende Juni 1975 in West-Berlin (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 135 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 329; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 196 ff.).

[45] Nicht alle Angeklagten verbrachten die gesamte Haftdauer seit ihrer Verhaftung im Juni 1972 in Untersuchungshaft. Andreas Baader saß noch bis zum 1. November 1974, Gudrun Ensslin bis zum 1. August 1974 in Strafhaft. Sie verbüßten jeweils den Rest einer Haftstrafe, zu der sie im sog. Frankfurter Kaufhausbrandstiftungsprozess verurteilt wurden: Am 2. April 1968 verübten sie zusammen mit Thorwald Proll und Horst Söhnlein Brandanschläge auf Kaufhäuser in Frankfurt am Main, bei denen zwar erhebliche Sachschäden entstanden, aber keine Menschen verletzt wurden. Die Kaufhausbrandstiftungen zählen zu den ersten politischen Gewalttaten von Baader und Ensslin vor Gründung der RAF. Motiviert wurden sie durch eine Kampagne der Kommune I, die eine Brandtragödie mit mehr als 200 Toten in einem Brüsseler Kaufhaus im Jahr 1967 für Kritik am Vietnamkrieg nutzte. Im Oktober 1968 begann der Prozess am Landgericht Frankfurt gegen Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein. Mit Urteil vom 31.10.1968 wurden sie jeweils zu Haftstrafen in Höhe von drei Jahren verurteilt. Da der BGH auch im Juni 1969 noch nicht über die Revision entschieden hatte, das Urteil also noch nicht rechtskräftig war, und die in der Zwischenzeit in Untersuchungshaft verbrachte Zeit einer ausgeurteilten Haftstrafe angerechnet werden würde, hob das LG Frankfurt den Haftbefehl am 13. Juni 1969 vorläufig auf. Nachdem der BGH die Revision schließlich im November 1969 zurückgewiesen hatte, tauchten Baader, Ensslin und Proll unter (s. die Beiträge von Bressan/Jander und Hakemi/Hecken, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 398, 407 ff. und S. 316 f., 322 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 27 ff.).

[46] Über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet - soweit der/die Vorsitzende sie nicht bereits nach § 241 Abs. 2 StPO zurückweisen kann (insbesondere eigene Fragen sowie solche der beisitzenden Berufsrichter/innen) - gem. § 242 StPO das Gericht, das ist in diesem Fall der Senat in voller Besetzung (zur Anwendbarkeit des § 242 StPO auf Fragen von Berufsrichter/innen s. Schünemann, StV 1993, S. 607 ff.).

[47] Der/Die Vorsitzende kann ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen von Amts wegen oder auf Antrag von Verfahrensbeteiligten zurückweisen (§ 241 Abs. 2 StPO). Wird die Zurückweisung abgelehnt, kann hiergegen die Entscheidung des Gerichts eingeholt werden. Ob dies auf Grundlage von § 242 StPO („Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet in allen Fällen das Gericht“) oder von § 238 Abs. 2 StPO („Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht“) geschieht, wird nicht einheitlich beantwortet (§ 242: Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 242 Rn. 1; § 238 Abs. 2: Gaede, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 242 Rn. 1). In beiden Fällen ist jedoch das Gericht für die Entscheidung zuständig, sodass im Ergebnis kein Unterschied zwischen beiden Auffassungen besteht.

[48] § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) lautet: „Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege.“ Diese Formel wurde allerdings für verschiedene Zwecke dienstbar gemacht: Neben einer Stärkung der Stellung der Anwaltschaft, die den anderen Verfahrensbeteiligten auf Augenhöhe begegnen sollte, wurde sie, insbesondere durch die Rechtsprechung, eher zu disziplinierenden Zwecken herangezogen, weshalb sie zuweilen aus Sicht der Anwaltschaft eher kritisch beurteilt wird (Salditt, in Widmaier/Müller/Schlothauer [Hrsg.], Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl. 2014, § 1, Rn. 4 ff.).

[49] Während des zweiten Hungerstreiks, in den inhaftierte RAF-Mitglieder von Anfang Mai bis Ende Juni 1973 traten, wurde Andreas Baader, zu dieser Zeit in der JVA Schwalmstadt untergebracht, zeitweise das Trinkwasser entzogen. Auf Nachfrage der Presse bestätigte das hessische Justizministerium dies, wies allerdings darauf hin, dass ihm stattdessen Milch zur Verfügung gestellt werde (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 121; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 171 f.).

[50] In der JVA Köln-Ossendorf befand sich der von den Angeklagten als „Trakt“, auch „Toter Trakt“, bezeichnete isolierte Trakt in der psychiatrischen Frauenabteilung, in der zunächst Astrid Proll untergebracht war, später auch Ulrike Meinhof, bevor sie nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurde (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff.). Meinhof beschrieb den Zustand im Trakt mit den Worten: „Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müsste eigentlich zerreißen, abplatzen) - das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst [...]. das Gefühl, die Zelle fährt [...] rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat [...]“ (Erklärung von Ulrike Meinhof, abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 103 ff.; s. auch die Ausführungen im Antrag der Angeklagten am 5. Verhandlungstag, Anlage 1 zum Protokoll vom 12.6.1975, insbes. die S. 425 ff. des Protokolls bzw. 20 ff. der Anlage; s. zu den Haftbedingungen in Köln-Ossendorf aber auch Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 95 ff.).

[51] Der CDU-Politiker und Spitzenkandidat bei der Wahl um das Berliner Abgeordnetenhaus Peter Lorenz wurde am 27. Februar 1975 von der Bewegung 2. Juni entführt und in einem „Volksgefängnis“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Im Austausch gegen Lorenz wurde die Freilassung von sechs Gefangenen gefordert: Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann. Die Bundesregierung unter Kanzler Schmidt ging auf die Forderungen ein: Bis auf Horst Mahler, der das Angebot ablehnte, bestiegen am 3. März 1975 die anderen fünf Inhaftierten mit dem ehemaligen West-Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz als Vermittler eine Maschine der Lufthansa nach Aden im Jemen. Nach der erfolgreichen Ankunft wurde Lorenz am 4. März freigelassen (Dahlke, in Hürter/Rusconi [Hrsg.], Die bleiernen Jahre, 2010, S. 31, 36 ff.; Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 37, 250 ff.). Die Bewegung 2. Juni benannte sich nach dem Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2.6.1967 bei einer Demonstration der Studentenbewegung gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien durch einen Polizisten erschossen wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 21 f.).

[52] Am 24. April 1975 überfiel das RAF-Kommando „Holger Meins“ die deutsche Botschaft in Stockholm und forderte die Freilassung von 26 inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Dem Kommando gehörten Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel an. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen nahmen sie zwölf Geiseln, von denen sie zwei erschossen. Anders als zwei Monate zuvor bei der Lorenz-Entführung durch die Bewegung 2. Juni lehnte die Bundesregierung nun Verhandlungen mit den Geiselnehmer/innen ab. Ihr Ende fand die Geiselnahme durch eine nicht geklärte Sprengstoffexplosion im Inneren des Botschaftsgebäudes, die sich noch vor dem Zugriff schwedischer Sicherheitskräfte ereignete. Bei der Explosion wurde Ulrich Wessel tödlich verletzt. Siegfried Hausner erlag seinen Verletzungen Anfang Mai 1975 in der JVA-Stammheim. Die übrigen vier Geiselnehmer/innen wurden verhaftet und am 20. Juli 1977 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 361 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69).

[53] Für Zeug/innen und Sachverständige galten verschiedene Vorschriften über die Vereidigung: Während die Vereidigung von Zeug/innen - abgesehen von wenigen Vereidigungsverboten (§ 60 StPO a.F.) - stets vorgeschrieben war (§ 59 StPO a.F.; heute ist sie nur noch die Ausnahme), war die Vereidigung von Sachverständigen in das Ermessen des Gerichts gestellt (§ 79 Abs. 1 StPO a.F., wobei die Regel die Nichtvereidigung war, Kleinknecht, Strafprozessordnung, 32. Aufl. 1975, § 79 Anm. 1). Auch die Angaben von Sachverständigen können allerdings als Zeugenangaben gewertet werden, da die Bekundung von Tatsachen beiden Kategorien unterfallen kann (s. bereits Fn. 42).

[54] Im Freibeweis ist das Gericht grundsätzlich frei in der Wahl der Beweismittel; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Über Vereidigungen von Zeug/innen und/oder Sachverständigen entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 16).


[a] Maschinell eingefügt: Dr.

[b] Handschriftlich ersetzt: bemühe mich durch benütze nicht

[c] Handschriftlich ergänzt: Öffentlichkeit

[d] Maschinell ersetzt: diesen Antrag durch sich

[e] Handschriftlich ersetzt: wählen durch wehren

[f] Handschriftlich ersetzt: Entgleichungskünste durch Entkleidungskünste

[g] Maschinell eingefügt: da

[h] Handschriftlich ersetzt: für durch hier

[i] Maschinell eingefügt: auch

[j] Handschriftlich ersetzt: eine durch in

[k] Handschriftlich ergänzt: öffentlicher

[l] Handschriftlich eingefügt: sich

[m] Handschriftlich eingefügt: von

[n] Handschriftlich ergänzt: zur

[o] Handschriftlich eingefügt: auf

[p] Handschriftlich durchgestrichen: zeitliche

[q] Handschriftlich eingefügt: nicht

[r] Maschinell eingefügt: noch

[s] Handschriftlich eingefügt: in

[t] Maschinell eingefügt: ja

[u] Handschriftlich durchgestrichen: nicht

[v] Handschriftlich ergänzt: einen

[w] Handschriftlich eingefügt: zu

[x] Maschinell durchgestrichen: eine

[y] Maschinell eingefügt: den

[z] Handschriftlich ersetzt: gleich durch vielleicht

[aa] Handschriftlich durchgestrichen: Also

[bb] Maschinell eingefügt: ich

[cc] Maschinell eingefügt: die

[dd] Maschinell eingefügt: jetzt

[ee] Maschinell ergänzt: begrenzte

[ff] Maschinell eingefügt: zu

[gg] Handschriftlich durchgestrichen: bei mir

[hh] Handschriftlich eingefügt: ich

[ii] Maschinell ergänzt: Untersuchungen

[jj] Handschriftlich ergänzt: Untersuchungen

[kk] Handschriftlich ersetzt: Sie durch wenn ich

[ll] Maschinell eingefügt: noch

[mm] Maschinell eingefügt: Dr.

[nn] Maschinell eingefügt: sich

[oo] Handschriftlich eingefügt: es

[pp] Maschinell ergänzt: Situationen

[qq] Handschriftlich ersetzt: wie durch die

[rr] Handschriftlich eingefügt: zu

[ss] Maschinell eingefügt: man

[tt] Handschriftlich durchgestrichen: besonnen

[uu] Maschinell eingefügt: in

[vv] Maschinell eingefügt: da

[ww] Handschriftlich ersetzt: da ein durch deren

[xx] Handschriftlich ersetzt: geweigert durch verweigert

[yy] Handschriftlich eingefügt: nicht

[zz] Maschineller Vermerk: Erklärung des Protokollführers:

Bevor das Band 38 voll bespielt war, wurde gleichzeitig das Band 39 eingeschaltet. Band 38 lief noch ca. 1 Minute weiter. Anschließend wurde es abgeschaltet. Somit war nur noch das Band 39 im Betrieb.

Tags zuvor wurde das Tonbandgerät, auf dem Band 39 bespielt wurde, ausgewechselt und durch ein anderes Gerät ersetzt. In der Annahme, die Aussteuerung würde wie beim ausgewechselten Gerät zwischen der Einstellung 1-2 aufnehmen, wurde auch das neue Gerät auf die Aussteuerung 1-2 eingestellt.

In der Zwischenzeit war ich damit beschäftigt, das überspielte Band 38 zurückzuspulen und durch ein neues Band zu ersetzen. Dadurch habe ich übersehen, daß der Aussteuerungsanzeiger des Gerätes mit der Bandzahl 39 nicht ausschlägt.

Als ich dies bemerkte (nach ca. 10 Minuten), schaltete ich sofort das andere Gerät mit der Bandzahl 38 a hinzu.

Nachdem ich den Fehler behoben hatte und die Aussteuerung richtig (zwischen 2+3) einstellte, schaltete ich das Gerät mit der Bandzahl 38 a wieder ab.

Auf dem Band 39 ist am Anfang lediglich ein Rauschen zu hören.

(Scholze)

Just.Ass. z.A.

(Janetzko)

Als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

[aaa] Maschinell eingefügt: zu

[bbb] Handschriftlich durchgestrichen: beantworten

[ccc] Handschriftlich ergänzt: Beschränkungen

[ddd] Handschriftlich ersetzt: um Psychosen durch im Physischen

[eee] Maschinell eingefügt: Angekl. Baa.: Genau, marschieren muß es.

[fff] Handschriftlich durchgestrichen: und

[ggg] Maschinell ersetzt: verkehrt durch korrekt

[hhh] Handschriftlich eingefügt: (Zu RA v. Plottnitz ):

[iii] Maschinell ersetzt: B.Anw. Dr. Wu.: durch OStA Zeis: