[11373] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 26. August 1976 um 9.03 Uhr.
140. Verhandlungstag
Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
Just. O. Sekr. Janetzko
Just. Ass. Clemens
Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]
Als deren Verteidiger sind erschienen, Rechtsanwälte Geulen (als Vertreter von RA Schily), Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Maixner (als Vertreter von RA Grigat).
Als Zeuge ist anwesend:
Ralf Reinders, vorgeführt aus der U.-Haftanstalt Berlin Moabit.
Vors.:
Wir setzen die Sitzung fort.
Heute sind vorgesehen die Vernehmung der Zeugen Reinders und Jansen.
Zunächst der Hinweis:
Herr Rechtsanwalt Grigat ist entschuldigt. Er wird vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Maixner. Die Vertretung wird genehmigt. Herr Rechtsanwalt Eggler ist auch für den heutigen Tag entschuldigt.
Der Zeuge Reinders wird gemäß §§ 57 und 55 StPO[2] belehrt.
Sind Sie damit einverstanden, daß Ihre Aussage auf diesem Tonband aufgenommen wird.[3]
Zeuge Re[inders]:
Nein.
In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet, solange sich der Zeuge äußert.
[11374] Die Personalien des Zeugen werden wie folgt festgestellt:
Ralf Reinders, geb. [Tag].[Monat].1948,
z.Zt. in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit;
- Der Zeuge macht eine Bemerkung, die so verstanden wurde, als habe er sich als Friseur bezeichnet -.
mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert, wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.
Vors.:
Herr Reinders, die Verteidigung hat Sie als Zeuge zu folgendem Thema benannt:
Sie sollen bekunden können, daß Sie Ende Oktober 1971 in Hamburg mit Gerhard Müller[4] zusammengetroffen seien und von diesem erfahren hätten, daß er den Polizeibeamten Schmid[5] erschossen habe.
Können Sie dazu was sagen?
Zeuge Re[inders]:
Ja.
- Der Zeuge macht Angaben zur Sache -
Vors.:
Ich habe keine weiteren Fragen mehr an den Herrn Zeugen. Ich sehe beim Gericht keine Fragen.
Die Herren der Bundesanwaltschaft?
OStA Z[eis]:
Wir stellen die Fragen zunächst zurück.
Vors.:
Danke. Herr Rechtsanwalt Geulen, es ist der Zeuge ...
RA Geu[len]:
Der Zeuge hat die Fragen beantwortet.
Ich habe auch keine Fragen mehr an den Zeugen.
Vors.:
Keine Fragen mehr.
Zeuge Re[inders]:
Doch, ich habe aber noch etwas zu sagen.
Vors.:
Augenblick, dann wollen wir jetzt zunächst fragen: Will die Bundesanwaltschaft ...? Herr Bundesanwalt Zeis.
- Der Zeuge macht auf Fragen weitere Angaben zur Sache -.
[11375] Rechtsanwalt Dr. Heldmann und Herr Wackernagel (mit einem Tonbandgerät) erscheinen um 9.17 Uhr im Sitzungssaal.
Vors.:
Weitere Fragen? Die Herren der Bundesanwaltschaft nicht. Herr Rechtsanwalt Geulen, bitte.
- Der Zeuge macht auf Fragen weitere Angaben zur Sache -
Vors.:
Sind noch weitere Fragen an den Herrn Zeugen?
Bitte, Herr Bundesanwalt Holland.
- Der Zeuge macht auf Fragen weitere Angaben zur Sache -
In der Folge kommt es u.a. zu folgenden Fragen und Antworten:
OStA Ho[lland]:
Dann etwas anderes, Herr Reinders. Sie haben vorhin auf die Frage, wer die dritte Person war, die sich damals bei dem Hamburger Vorfall bei Müller und Margit Schiller befunden habe, erklärt, Sie verweigern dazu die Aussage. Auch hierzu meine Frage, Herr Reinders: Wollen Sie sich dabei ausdrücklich auf § 55 StPO stützen?
Zeuge Re[inders]:
Wie lautet der denn so im einzelnen.
Vors.:
Das ist das, was ich Ihnen gesagt habe, Herr Reinders, daß Sie, wenn Sie die Sorge haben, sich selbst zu belasten, keine Aussage machen müssen. Niemand muß sich vor Gericht selbst belasten.
Zeuge Re[inders]:
Nein, darauf beruf’ ich mich nicht.
OStA Ho[lland]:
Dann ist sie zu beantworten.
Zeuge Re[inders]:
Mach ich aber nicht.
OStA Ho[lland]:
Herr Vorsitzender, dann reg’ ich entsprechende Beugemaßnahmen[6] an.
Zeuge Re[inders]:
Aber nicht so lange, Du!
Vors.:
Herr Reinders, es gibt denkbare Gründe, warum Sie sich auf § 55[ StPO], d.h. ... auf die Vorschrift, die Sie nicht veranlaßt, die Ihnen das Recht gibt, sich nicht selbst zu belasten, vor Gericht berufen könnten im Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Frage. Wenn Sie nun sagen, darauf berufe ich mich nicht, dann kann der Fragende von Ihnen in der Tat an sich [11376] verlangen, daß Sie die Frage beantworten. Nur ist es für ein Gericht außerordentlich schwer zu trennen, was nun wirklich die Motive für Sie sind. Und deswegen, wenn Sie also in dem Zusammenhang auch nur im Entferntesten daran denken, daß das eine Eigenbelastung für Sie werden könnte, dann müßte sich das Gericht überhaupt nicht darüber Gedanken machen ...
Zeuge Re[inders]:
Ist keinerlei Eigenbelastung.
Vors.:
Ist keinerlei Eigenbelastung. Dann haben Sie keinen Rechtsgrund - und ich muß Sie darauf hinweisen, daß § 70 StPO einem Zeugen, der ohne Rechtsgrund das Zeugnis verweigert, androht, daß nicht nur - das ist die zwangsläufige Folge - Ihm die Kosten der Verweigerung aufzuerlegen sind, sondern daß auch gegen ihn Ordnungsgeld festgesetzt werden kann; und für den Fall, daß solch ein Ordnungsgeld nicht beigetrieben wird, eine Ordnungshaft.
Jetzt, nachdem ich Ihnen das mitgeteilt habe, muß ich Sie also auffordern - sonst setzen Sie sich der Gefahr aus, daß diese Maßnahmen gegen Sie festgesetzt werden müssen -, die Frage zu beantworten.
Zeuge Re[inders]:
Ich berufe mich auf das Recht des Internationalen Widerstands, nicht auszusagen.
Vors.:
Auf das Recht des Internationalen Widerstands, nicht auszusagen. Das ist bis jetzt noch kein gesetzlich anerkannter Grund.
Zeuge Re[inders]:
Das kommt noch.
Vors.:
Wenn Sie das selbst als eine zukünftige Angelegenheit betrachten, gibt es Ihnen jedenfalls heute kein Recht. Mit zukünftigen Rechtsentwicklungen kann ein Gericht nichts anfangen; das ist an das geltende Recht gebunden.
Herr Reinders, wollen Sie nun die Frage beantworten oder nicht?
Zeuge Rei[nders]:
Nein.
Vors.:
Wie lautet Ihre Anregung? Sie haben von der Anregung, Zwangsmaßnahmen anzuordnen, gesprochen.
OStA Ho[lland]:
Maßnahmen nach § 70[ StPO].
Vors.:
Haben Sie bestimmte Vorstellungen oder überlassen Sie es ganz dem Gericht.
OStA Ho[lland]:
Ordnungsgeld 300,- DM ...
[11377] Zeuge Re[inders]:
Oh, nicht so viel.
OStA Ho[lland]:
... und die Kosten, die durch die Verweigerung des Zeugen entstanden sind.
Zeuge Re[inders]:
Mikrophonkosten oder? Ist das ein Vogel!
Vors.:
Also es kann gegen Sie Ordnungsgeld bis zu 1000,- DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 42 Tagen, 6 Wochen ...
Zeuge Re[inders]:
Oh, das ist aber lange.
Vors.:
Ja, Herr Reinders. also Sie bleiben bei Ihrer Weigerung?
Zeuge Re[inders]:
Natürlich.
Vors.:
Und bleiben bei der Erklärung, Sie berufen sich auf keinen Fall auf die Vorschrift, daß Sie sich nicht belasten wollten, denn es wäre keine Eigenbelastung?
Zeuge Re[inders]:
Genau.
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat
beschlossen:
Gegen den Zeugen Reinders wird, weil er das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund verweigert, ein
Ordnungsgeld von 300,- DM
festgesetzt und
für den Fall, daß das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, eine
Ordnungshaft von 6 Tagen.
Außerdem hat er die durch seine Weigerung verursachten Kosten zu tragen.
Vors.:
Sind weitere Fragen an den Herrn Zeugen?
- Der Zeuge macht auf Fragen von OStA Holland weitere Angaben -.
Vors.:
Jetzt sehe ich aber keine Fragen mehr.
Der Zeuge Reinders bleibt gem. § 60 Nr. 2 StPO[7] unbeeidigt, weil der Verdacht der Tatbeteiligung, jedenfalls hinsichtlich des Deliktes nach § 129 StGB,[8] besteht.
Der Zeuge wird im allseitigen Einvernehmen entlassen und um 9.39 Uhr aus dem Sitzungssaal abgeführt.
[11378] Vors.: (Auf Hinweis des Vollzugspersonals)
Dauert das etwa ¼ Stunde, bis wir den Zeugen Jansen haben? Dann machen wir jetzt eine Pause von ¼ Stunde. Ich bitte den Zeugen Jansen vorzuführen.
Pause von 9.39 Uhr - 9.58 Uhr.
Ende des Bandes 663
[11379] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 9.58 Uhr.
Als Zeuge ist Heinrich Jansen - vorgeführt aus der Strafanstalt Berlin-Tegel -[a] anwesend.
Vors.:
Wir setzen die Sitzung fort mit der Vernehmung des Zeugen Jansen.
Der Zeuge Jansen wird gemäß §§ 57 und 55 StPO belehrt.
Der Zeuge Jansen erklärt sich mit der Aufnahme seiner Aussage auf das Gerichtstonhand einverstanden.
Die Personalien des Zeugen werden wie folgt festgestellt:
Heinrich Jansen, geb. am [Tag].[Monat].48,
z. Zt. in der Strafanstalt Berlin-Tegel, erlernter Beruf: Kaufmann[b] derzeit berufslos.
Mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert;
wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.
Herr Jansen, Sie sind von der Verteidigung als Zeuge zu folgenden zwei Punkten benannt:
Sie sollen bekunden können, daß es in der Roten-Armee-Fraktion keine hierarchische Struktur oder ein sonstiges Verhältnis der Über- und Unterordnung, auch nicht in tatsächlicher Hinsicht, gegeben habe und 2. daß die Rote-Armee-Fraktion nicht als offene Gruppe, sondern in kleinen, zahlenmäßig eng begrenzten Gruppen organisiert gewesen sei, wobei sich der Informationsaustausch auf die jeweilige Gruppe und deren Mitglieder beschränkt habe. Kurzum: Struktur der Gruppe und Informationsaustausch innerhalb der Gruppe. Sie haben jetzt die Möglichkeit, sich da im Zusammenhang zu äußern, wenn Sie dazu etwas sagen können.
Zeuge Ja[nsen]:
Ja, um[c] gleich am Anfang vorher einiges klarzustellen, weil das einfach zu der gesamten Aussage gehört. Ich habe mir selbstverständlich Notizen gemacht. Diese teilweise schriftliche Fixierung ist für mich notwendig geworden durch eine neue Art von Folter. Ich bin seit beinah sechs Jahren in Gefangenschaft und knappe vier Jahre davon unter Bedingungen, die nur zu Recht im [11380] In- und Ausland unten dem Namen Isolationsfolter ein Begriff geworden sind. Auf Grund dieser Isolationsfolter fällt es mir unter anderem auch, schwer, beziehungsweise es ist mir teilweise sogar unmöglich, das, was ich sagen will, spontan richtig zu formulieren und für jeden verständlich über den Tisch zu bringen. Und um eben dies auszuschließen, ja, weil ich gerade präzise sein will, deswegen diese Notizen.
Vors.:
Ja, Sie können von den Notizen Gebrauch machen zu Ihrer Erinnerungsstütze, Herr Jansen. Eine Verlesung einer Aussage ist grundsätzlich nicht vorgesehen und nicht möglich, weil dann das Gericht keine Kontrolle mehr hätte, ob es sich um Ihr Wissen handelt oder um etwas, was zusammengeschrieben ist aus Quellen, die wir nicht kennen. Schon um Ihrer eigenen, der Bedeutung Ihrer Aussage Willen ist es also erforderlich, daß Sie Ihr Wissen hier uns bieten und nur zur Unterstützung, zur Erinnerungsstütze, von diesen Unterlagen Gebrauch machen, dazu haben Sie das Recht.
Zeuge Ja[nsen]:
Um da nun dieser dreckigen Taktik gleich noch die Spitze zu nehmen ...
Vors.:
Was ist eine dreckige Taktik?
Zeuge Ja[nsen]:
Diese Unterstellung, meine Notizen und meine kommenden Aussagen wären[d] mir von anderen quasi, wären mit anderen abgesprochen oder die wären mir von anderen ...
Vors.:
Herr Jansen, das hat Ihnen niemand unterstellt. Ich sage bloß, das Gericht hat keine Kontrolle darüber.
Zeuge Ja[nsen]:
Ja trotzdem möchte ich erklären, daß diese Notizen und meine kommenden Aussagen ja mit keinen anderen abgesprochen sind und daß sie außer mir auch noch keinem anderen bekannt sind.
Vors.:
Ja. Gut, nun fangen Sie mal an.
Zeuge Ja[nsen]:
Zur RAF kam ich kurz nach dem 14. Mai. Es war, ja, ganz kurz danach, so ungefähr eine Woche später. Und schon damals ...
Vors.:
Können Sie das Jahr sagen dazu? 14. Mai ...?
Zeuge Ja[nsen]:
1970. Schon damals, ja, trotzdem die Gruppe da erst in ihren Anfängen steckte, der Aufbau gerade erst angefangen hatte, da war dieser Grundstock schon vorhanden, der dann später ja auch die Kraft zu den Angriffen wie zum Beispiel in Frankfurt[9] und Heidelberg[10] gab. Vorhanden war da bei uns allen die Erkenntnis, daß proletarische Politik bewaffnet sein muß, proletarische Politik nur als bewaffnete Politik existieren kann. Und die Aktion vom 14. Mai[11] [11381] beinhaltete schon genau den Begriff von bewaffneter Politik und deswegen war sie auch mit das, ja, was mir endgültig klar machte, da daß da, wo ich bislang in der linken Szene gearbeitet hatte, daß es da für mich eigentlich gar nichts zu tun gab und daß die ganzen Sachen, mit denen wir uns damals abquälten[e], daß die letztendlich keinerlei Perspektive hatten,
OStA. Zeis verläßt um 10.04 Uhr den Sitzungssaal.
und daß ihre Unwirksamkeit, wenn sie nicht das Primat des bewaffneten Kampfes erkannte und akzeptierte und sich daran orientierte, eigentlich von Anfang an feststand. Ja im Grunde war es eigentlich so, daß ich auf diese Aktion nur noch gewartet hatte und da war klar, da machten, praktizierten endlich Genossen das, dessen Notwendigkeit sich aus jeder politischen Praxis zwingend ergab. Und danach, ja da war es für mich endgültig klar, wie proletarische Politik zu sein hatte, bewaffnet nämlich. Und mit dieser Politik verbindet sich dann natürlich auch eine grundsätzliche Veränderung in allen Lebensbereichen. Also nicht nur in der Art und Weise, daß man ... ja, aufgrund der illegalen Praxis seine Lebensgewohnheiten ändert, sondern es geht viel tiefer. Ja und wenn ich jetzt hier weiter mach’, dann, ja, dann führt das auch schon automatisch zu diesen Aussagen dieses Müllers und seinen Dreck über Zwang, Hierarchie und Schießbefehl und diesen ganzen Dreck. Es ist einfach so, Zwang und Guerilla, also Zwang und antiimperialistischer Kampf, das ist etwas, was sich ausschließt. Es sei denn, daß man das Erkennen der Notwendigkeit zum bewaffneten antiimperialistischen Kampf als Zwang bezeichnet. Und zusammengeführt wurden wir ja gerade, ja ... durch das Erkennen dieser Notwendigkeit, durch unseren gemeinsamen Begriff von proletarischer Politik. Und genau diese kollektive Identität, die sich aus diesem Grundkonsens ergab, und die sich dann im Laufe ja der gemeinsam erkämpften[f] und verarbeiteten Lernprozeße nur noch intensivieren konnte, genau das war es dann auch, was die RAF so stark machte und was ihr auch erst ermöglichte, dem Druck der Fahndung standzuhalten, und was sie auch ja, trotz diesem Druck, in sich immer nur noch stärker werden ließ. Eine Führungshierarchie hätte das alles nur zerstören können. Das heißt, mit einer solchen Hierarchie wäre die RAF sofort von den [11382] Staatsschutzorganen zerschlagen worden oder auch schon vorher an sich selber zerbrochen.
OStA Zeis erscheint um 10.07 Uhr wieder im Sitzungssaal.
Sie hätte auf jeden Fall nie die Kraft und nie die Stärke erreichen können, die den von ihr geführten Kampf auszeichnete und erst ermöglichte. Es gab aber trotzdem so was wie Führung[g] in der RAF. Und diese Art von Führung, ja das ist genau das Gegenteil von dem, was der Begriff „Führung“ im Imperialismus beinhaltet. Und deswegen werden auch die Figuren des Staatsschutzes hier, wenn ich versuche, das zu erklären, ja nichts davon verstehen können. Ich habe mir lang überlegt, wie ich die Art dieser Führung beschreiben und erklären kann, und am Anfang dachte ich, es müßte ausreichen, wenn ich dazu eigentlich nur feststellen würde, daß die Führung in der RAF immer nur eine Führung an der kollektiven Ausarbeitung eines Wegs zu unserem gemeinsamen Ziel war. Ich mein’, in dieser Feststellung ist auch schon eigentlich alles drin. Aber sie erklärt trotzdem zu wenig. Sie erklärt und entlarvt zum Beispiel nicht, warum gerade speziell Andreas das bevorzugte Ziel der Haßkampagnen des Staatsschutzes, der gesamten bürgerlichen Presse war und ist. Die Funktion, die Andreas in der RAF wahrnahm, das war nämlich viel mehr als die Führung in der kollektiven Ausarbeitung unserer Strategie oder einzelner taktischer Schritte. Andreas kämpfte vielmehr um die Struktur der Herrschaftslosigkeit in der RAF und er führte und leitete damit genau den Kampf und die Struktur an, die uns dann über das, ja, ursprünglich nur abstrakte Erkennen der Notwendigkeit zum bewaffneten Kampf es die Stärke und Freiheit zum Kämpfen gab. Also es gab da zwei Sachen. Einmal die Führung in der kollektiven Ausarbeitung der Notwendigkeiten unseres Kampfes, und dann die Führung im Kampf um eine Struktur, die uns erst ermöglichte, diesen bewaffneten Kampf zu führen. Ich meine, es ist klar, daß das eine erst durch das andere möglich wurde. Erst durch den bewaffneten Kampf, den wir führten, konnten wir uns das Prinzip der Herrschaftslosigkeit, Freiheit und Freiwilligkeit erkämpfen. Und diese Prinzipien konnten wir uns erst erkämpfen dadurch, daß wir den bewaffneten Kampf führten. Und, wie gesagt, eben genau diesen Kampf um diese Struktur führte Andreas an, ja und genau das ist es, was ihn [11383] auch zur Zielscheibe Nr. 1 in der gesamten psychologischen Kriegsführung gegen uns macht. Es gab also nie eine Führungshierarchie in der RAF. Und schon allein die Art des Guerilla-Kampfes, aber auch sein Ziel schließt so was einfach aus. Aber daß dieser gehirngewaschene Müller, der, um einer Verurteilung wegen Mordes zu entgehen,[12] sich dem Staatsschutz unterwarf, sich von denen versklaven und bevormunden läßt, daß der natürlich aus Freiheit Unfreiheit macht und daß der natürlich ja die wirkliche Struktur der RAF verleugnen muß, ich meine, das ist klar. Und genau so klar ist, daß dieser Kerl natürlich in ganz besonderem Maße Andreas haßt. Und ich bin sicher ...
Vors.:
Ich darf Sie auf folgendes hinweisen, Herr Jansen. Es interessiert hier Ihr Wissen. Sie dürfen das vortragen. Was Sie im Augenblick tun ist kein Wissen, sondern sind Meinungen und Bewertungen, vor allem aber, es gefährdet Ihre Aussage, wenn Sie einen hier vernommenen Zeugen beschimpfen. Wir würden auch andere Zeugen davor warnen, Sie etwa später zu beschimpfen. Das ist nicht Ihre Sache. Lassen Sie die Bewertung dem Gericht und anderen, die mit der Bewertung zu tun haben. Sie sollten möglichst objektiv über das berichten, was Sie wissen. Also Ausdrücke wie „Kerl“ gegenüber einem hier vernommenen Zeugen und dergleichen können Sie nicht verwenden. Bitte fahren Sie nun fort.
Zeuge Ja[nsen]:
Ja, ich sage trotzdem, das ist klar, daß ein solcher Kerl natürlich in ganz besonderem Maß Andreas hassen muß.
Vors.:
Ich sagen Ihnen das, wenn Sie in dieser Weise sich gegen einen Zeugen äußern, Sie sich nicht nur die Gefahr zuziehen, daß Beleidigungsanträge gegen Sie gestellt werden können, sondern daß das auch Seitens des Gerichts Schritte notwendig machen würde.
Zeuge Ja[nsen]:
Ja, Kerl ...
Vors.:
Es hat keinen Sinn, es wird auch für Sie ja dadurch nichts gewonnen. Sie wollen ja hier ...
Zeuge Ja[nsen]:
Kerl ist für diesen Zeugen ganz sicherlich keine Beleidigung.
Vors.:
Fahren Sie bitte fort.
Zeuge Ja[nsen]:
Um nochmal auf das ... auf die Funktion der Führung zurückzukommen, was diese Führung ja eben auch auszeichnet, das ist die Tatsache, daß sie ständig an ihrer eigenen Beseitigung arbeitet. [11384] Daß sie zum Ziel hat, sich durch die kollektive Entwicklung überflüssig zu machen. Und das ist natürlich etwas, was Schweine nie verstehen werden und zu diesem ... zu diesem Schießbefehl, ich meine, es ist klar, daß dieses Monstrum eine Ausgeburt des Staatsschutzes ist, nichts anderes. Schießbefehle sind dann notwendig, wo Menschen durch Menschen zum Kämpfen gezwungen werden. In der RAF wurde kein Genosse durch einen anderen zum Kämpfen gezwungen. Gezwungen wurden wir einzig und allein von der Realität, von der Existenz des Imperialismus und von der Notwendigkeit, diesen Moloch zu vernichten. Und für jede Guerilla-Einheit und jeden Einzelnen ihrer Mitglieder, da ist ein Schießbefehl also ein gleichermaßen unmögliches wie unnötiges Ding. So etwas Absurderes kann ich mir gar nicht vorstellen. Wir haben den bewaffneten Kampf aufgenommen, und es war natürlich eine freiwillige Entscheidung von jedem einzelnen von uns und sie blieb freiwillig, ja, in jeder Sekunde, weil man sich sonst von der Gruppe sofort trennt und auch trennen muß. Und wenn da nun einer gekommen wäre und hätte einen Schießbefehl erteilen wollen, also nee, dieser Typ, der wäre nicht nur für verrückt erklärt worden, mit dem hätte sich die gesamte Gruppe deswegen ernsthaft auseinandersetzen müssen und da wäre geklärt worden, und zwar vom gesamten Kollektiv, ob so ein Typ überhaupt noch einen Platz in der RAF haben könnte. Also wenn mir, wenn mir einer, zu mir einer gekommen wäre und hätte mir einen Schießbefehl erteilen wollen, also ich bin sicher, meine erste Reaktion wäre gewesen, ja [h] dem eine in die Fresse zu hauen, und danach wäre das dann Sache der gesamten Gruppe gewesen. Aber ich meine, daß dieser Müller jetzt was über diesen angeblichen Schießbefehl aussagen muß, das kann nicht überraschen. Anderes als solch faschistischen und dummen Dreck kann man von diesem gehirngewaschenen Staatsschutzsprachrohr ... nicht mehr erwarten.
Vors.:
Ja, auch jetzt darf ich Sie daran erinnern, daß Sie als Zeuge nicht berufen sind, hier solche Vorträge an sich zu halten, sondern ihr Wissen mitzuteilen. Das sind wieder Meinungen und Wertungen. Soweit Sie Wissen haben zu diesem Punkt, was gegen den Schießbefehl spricht, bitte, bieten Sie das dar. Aber bemühen Sie sich, wir sind da nicht kleinlich, wir haben uns in der Richtung schon jetzt vieles angehört und Sie sind keineswegs originell, Herr Jansen, weil Sie meinen, das habe noch niemand gehört oder gesagt, [11385] wir haben es jetzt schon neun oder zehnmal gehört.
Zeuge Ja[nsen]:
Ich versuche auch gar nicht, den Anspruch der Originalität zu erheben.
Vors.:
Dann wollte ich Sie also darauf hinweisen, daß es[i] die Pflicht des Zeugen ist, Wissen mitzuteilen, nicht hier Meinungen bekannt zu geben.
Zeuge Ja[nsen]:
Das ist halt eben Wissen.
RA Dr. He[ldmann]:
Herr Vorsitzender, ich beanstande, daß Sie den Zeugen unterbrechen mit Ihrer Meinungsäußerung, es sei nicht originell, was der Zeuge hier sagte, und dem Zeugen dann die Neuigkeit unter die Nase halten, das, was er sagte, sei schon acht oder neunmal hier zu Gehör gebracht worden. Was der Zeuge hier gesagt hat bisher, ist[j] in dieser Formulierung und in diesem Aufbau bisher nämlich noch nicht gesagt worden. Es ist also höchst überflüssig, um es äußerst zurückhaltend auszudrücken, den Zeugen auf diese Weise versuchen zu irritieren.
Vors.:
Mir scheint es höchst überflüssig, was Sie jetzt gesagt haben. Vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört. Ich bin überzeugt, die, die zugehört haben, wissen, daß wir das hier jetzt in diesem Gerichtssaal in ähnlicher Form, nicht mit denselben Formulierungen, teilweise mit ähnlichen Formulierungen schon gehört haben dem Kerne nach.[k] Im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, daß ich hier keine Meinung bekannt gegeben habe, sondern im Rahmen meiner Verhandlungsleitung den Zeugen darauf hingewiesen habe, daß er Wissen bekanntzugeben hat und nicht hier Meinungen. Das ist mein Recht.
RA Dr. He[ldmann]:
Dann darf ich vielleicht fragen, Herr Vorsitzender, was es bedeuten soll, wenn Sie den Zeugen unterbrechen, um ihm mitzuteilen, es sei nicht originell, was er hier sagte.
Vors.:
Ich habe ihn nicht unterbrochen zu diesem Zweck, sondern ich habe ihm das bei dieser Gelegenheit gesagt, weil er uns vorhin sagte, er lese hier originale Gedanken ab.
RA Dr. He[ldmann]:
Welche Funktion hat es, dem Zeugen zu sagen, es sei nicht originell, was er hier sagte?
Vors.:
Herr Zeuge, Sie können fortfahren.
Zeuge Ja[nsen]:
Ich meine, in[l] denselben Zusammenhang wie dieses Geschwätz über einen angeblichen Schießbefehl, ja da kann man auch und das muß man auch, diese unheimlich dummdreiste Aussage über diesen angeblichen Zwang zum Waffentragen sehen. Sinngemäß hat er ja wohl irgendwann mal gesagt ... Moment ... ja, „das ständige Waffentragen sei Teil einer Taktik von Andreas gewesen, mit denen er Genossen aus [11386] der RAF kriminalisieren wollte, um ihnen dadurch die Möglichkeit zu nehmen, sich von der RAF zu trennen.“
Also etwas Dümmeres und in seiner ganzen Dummheit aber auch Dreckigeres habe ich nur selten gehört. Und ich mein, wer soll darin nicht schon das erkennen, was es in Wirklichkeit ist, eine faschistische Staatsschutzkonstruktion. Denn Fakt ist einfach, daß wir uns von Anfang an da drüber im Klaren waren, daß dieser Staat alles in seiner Macht Stehende unternehmen würde, um uns zu vernichten. Und die Notwendigkeit einer ausreichenden Bewaffnung, das war für jeden von uns von vorne rein klar und eben auch das ständige Tragen von Waffen. Also nicht nur in bestimmten Situationen, während einer Aktion oder so, sondern gerade auch das ständige Tragen von Waffen war eine Notwendigkeit, und das hat sich auch in vielen Situationen gezeigt. Und über die Realität dieser Notwendigkeit angesichts der Morde, egal ob auf der Straße oder auch erst in der Isolationshaft, da brauchen wir nun wirklich kein Wort mehr drüber zu verlieren. Wenn dieser Müller da also von einem Zwang, Waffen zu tragen, spricht, objektiv lügt er dabei in seiner ganzen Korruptheit noch nicht mal. Dieser Zwang existierte und dieser Zwang war auch ganz real, existierte allerdings ganz sicher nicht in der Art eines Befehls und ganz sicher nicht, deswegen auch nicht in der Art, wie es der Staatsschutz hier verkaufen möchte. Ja zu den ... Trennungen, zu diesem Zwang, sich von der Gruppe nicht zu trennen, ja dazu kann ich sagen, daß es natürlich so was wie Trennung gab und solche Trennungen sind auch vor meiner Verhaftung vorgekommen. Und gerade das waren Trennungen, die aufgrund der damals noch relativ wenig ausgebauten Infrastruktur und der auch noch geringen Verankerung in eine Sympathisantenszene, für uns, wenn das Geschwätz dieses Müller stimmen würde, undurchführbar gewesen wären. Damals, also ganz am Anfang, da war die RAF nämlich wirklich noch ansatzweise so organisiert, wie dieser Müller es da mit „offene Gruppe“ beschreibt. Trotzdem auch für die ersten Monate ja „offene Gruppe“ mit Sicherheit eine falsche Bezeichnung ist[m]. Da war aber die Organisationsstruktur, trotzdem wir sie schon weitgehend ausgearbeitet hatten, die war da noch im Aufbau begriffen und die ganzen Gruppierungen; das war noch nicht abgeschlossen. Und auch in dieser Situation haben wir uns von Genossen getrennt. Natürlich gab es da keinen Zwang zum Bleiben, und nebenbei:
[11387] natürlich lebt der Genosse auch noch. Etwas anderes, egal, wann das geschieht, ist auch gar nicht möglich. Es ist einfach verrückt, zu behaupten, es wären Genossen am Verlassen der RAF gehindert worden. Egal ob das nun mit Gewalt oder irgendwelchen anderen Mitteln geschehen sein soll. Das ist einfach total verrückt. So was würde die ganze Gruppe nicht nur von innen her zerstören, sondern es würde sie auch sofort, vom gleichen Tag an absolut kampfunfähig machen. Und das ist auch für jeden zu begreifen, außer für Faschisten. Und genau so zu begreifen ist, daß ... ja daß einer, der in der Illegalität einen Kampf, wenn er da feststellt, daß er nicht mehr kann, daß er den Druck nicht mehr aushält oder bei dem es im Laufe der Entwicklung ja zu Widersprüchen gekommen ist, die dann auch mit dem Kollektiv zusammen nicht mehr zu beseitigen waren, also so einen Genossen zu zwingen, die RAF nicht zu verlassen, das ist verrückt. Und jeder, der das behauptet, kann nur verrückt sein oder er kann nur das nachplappern, was ihm irgendwelche faschistischen Schweine eingeplappert haben. Auf jeden Fall ist es ganz klar ersichtlich, daß es für jede illegale Gruppe unmöglich ist, Mitglieder unter Zwang bei sich zu halten, so etwas gibt es nicht und kann es nicht geben. Und dabei ist es auch ja ganz egal, von wem nun dieser erste Impuls zu der Trennung ausgeht. Ob jetzt ... ja, der Genosse als erster oder das Kollektiv als erster sagt: es geht nicht mehr, wir können nicht mehr zusammen kämpfen; das ist dabei völlig gleichgültig und uninteressant. Aber ich meine, das ganze Geschwätz dieses Müllers, egal, ob er nun vom Zwang vom Bleiben oder von Hierarchie oder von Schießbefehl oder von Liquidieren bestimmter Genossen quatscht, oder wovon auch immer, es ist ganz offensichtlich, daß das Wunschträume des Staatsschutzes sind, nichts anderes. Und genau so offensichtlich ist, daß diese Aussagen halt eben vom Staatsschutz kommen und nicht von Müller. Ich meine, das wird auch unheimlich klar und deutlich und zwar auch dem letzten Idioten, wenn man zum Beispiel diese Aussage Müllers sich ansieht, der da gesagt hat, die RAF hätte vorgehabt, Siegfried Hausner zu liquidieren. Siegfried Hausner ist nach Stockholm gefahren,[13] er hat da gekämpft und er ist hier in der Bundesrepublik vom Staatsschutz ermordet[14] worden und das sagt alles über diesen Müller, über seine Aussagen und über seine Vorbeter. Ja, und das war es eigentlich.
Habt Ihr noch Fragen?
[11388] Vors.:
Ich habe noch eine Frage an Sie und zwar, weil Sie sagten, Sie hätten diese Beweisthemen nun sich durch Aufzeichnungen selbst erarbeitet. Mit den zwei Beweisthemen haben Sie sich befasst, die [n] Ihnen genannt wurden ...
RA Dr. He[ldmann]:
Herr Vorsitzender, darf ich ... Das hat der Zeuge ja nicht gesagt, er hätte sich die Beweisthemen selbst erarbeitet, hat er niemals gesagt.
Vors.:
Ja natürlich die Antworten auf ... das ist klar, die Beweisthemen nicht, das ist ein Irrtum, da habe ich mich also falsch ausgedrückt, ich meinte das, was er zu den Beweisthemen sagten wollte, selbst erarbeitet seine Antworten.
Es sind Ihnen hier zwei Beweisthemen genannt worden: Struktur, Informationsaustausch. Sie haben darüber hinaus sich befasst mit Schießbefehl, mit dem Zwang zum Waffentragen, angeblichem, und mit der Trennung von RAF-Mitgliedern, die nicht mehr mit ihnen konnten oder wo die Gruppe das nicht mehr haben wollte. Das sind genau dieselben Stichworte, die gestern Herr Grashof abgehandelt hat, deswegen die Frage: Wie sind Sie auf diese zusätzlichen Punkte, zu denen Sie ja nicht gefragt worden sind durch den Vorhalt der Beweisthemen, gekommen?
Zeuge Ja[nsen]:
Ja, da will ich ganz gerne drauf antworten.
Vors.:
Bitte.
Zeuge Ja[nsen]:
Ich war über das faschistische Geschwätz dieses Müllers durch Zeitungen und Presse informiert, und es war für mich klar, daß ich zu diesen einzelnen Punkten ebenfalls was sagen wollte.
Vors.:
Ja, nun ließe sich noch zu dem Punkt, ob es gewisse Führungsrollen gab, wo jemand also in der Form vielleicht sich von Befehlston hätte äußern können, vieles zu sagen. Rein zufällig, jetzt ist ein Schreiben, das ich rausgreifen möchte und Ihnen auch zur Kenntnis bringe als Vorhalt, liegt hier vor aus der Aussage Müller, bei denen sich auch einige Ablichtungen von Materialien, die ihm über das INFO[15] zugegangen sind, befinden, nach seiner Aussage zugegangen sind. Es handelt sich hier um die Unterlagen Müller Anlage 6.4 Seite 4.
Ich will Ihnen bloß ein paar Passagen daraus vorlesen, weil das Sie zum Überlegen veranlassen soll, ob es tatsächlich nichts Derartiges wie[o] Befehl geben konnte im Zusammenhang wohl mit ...
RA Dr. He[ldmann]:
Verzeihen Sie, Herr Vorsitzender, zu meiner Information [11389] bitte, aus welcher Zeit stammt das, was Sie vorlesen wollen?
Vors.:
Ist nicht datiert, es ergibt sich aber wohl im Zusammenhang, das wollte ich gerade ja sagen, daß es während des Hungerstreiks[16] ...
RA Dr. He[ldmann]:
Während des Hungerstreiks?
Vors.:
Ja.
RA Dr. He[ldmann]:
Über die Zeit des Hungerstreiks hat der Zeuge ja bislang noch nicht ausgesagt.
Vors.:
Das spielt doch keine Rolle. Es spielt nur eine Rolle ...
RA Dr. He[ldmann]:
Spielt für Sie [p] keine Rolle ...
Vors.:
... ob zur Struktur der Herr Zeuge dazu zur veränderten Überlegung veranlaßt werden kann, ja oder nein. Im Übrigen bitte ich also, daß ich aus Akten Vorhalte machen kann, werden Sie nicht bestreiten können. Sie haben ja den Ordner möglicherweise dabei? Nein. Das heißt oben: „Kg sofort, wenn dieser ‚Vermittler‘ priceschwestern[17] bei dir auftaucht von dem in Berlin die Rede war - schickt ihn hierher. macht das auch klar - daß hier oder überhaupt nicht über Verhandlungen geredet wird - „Es heißt dann: „zu u“, - Abkürzung - „ist klar, daß du nichts mehr entscheiden wirst, daß du auch[q] nichts mehr ankündigen wirst, ja das letzte - du wirst nichts mehr andrehen, wozu wir nicht gesagt haben ‚so‘. Jetzt. Antworte darauf + zwar sofort.“
Zeuge Ja[nsen]:
Wenn Sie eben zugehört hätten, dann hätten Sie verstanden, wie ich gesagt hab, daß Schweine die Art und Funktion der Führung in der RAF ...
Vors.:
Wer sind da eigentlich für Sie „Schweine“ ...?
Zeuge Ja[nsen]:
... nicht verstanden können, nie verstehen können.
Vors.:
... Mitmenschen, sind die Mitmenschen bei Ihnen unter dem terminus technicus „Schweine“ eingeordnet?
RA Geu[len]:
Das ist eine Suggestivfrage, ich beanstande sie.
Vors.:
Ich habe gefragt, sind sie eingeordnet und das ist keine Suggestivfrage.
RA Geu[len]:
Natürlich ist das offensichtlich, daß das nicht so ist.
Vors.:
Es ist nichts offensichtlich ...
RA Geu[len]:
... daß der Zeuge das nicht in diesem Sinne braucht.
Vors.:
... ich habe den Zeugen gefragt: „Sind bei Ihnen Mitmenschen unter dem terminus technicus ...“
RA Geu[len]:
Ich beanstande die Frage, die Frage ist eine Suggestivfrage und offensichtlich ... wollen Sie sich nicht erst die Begründung [11390] anhören, bevor Sie beraten? Es ist offensichtlich, daß der Zeuge das nicht meint, und daß die Frage nur dazu dient, den Zeugen einzuschüchtern.
Vors.:
Also diese Begründung ist schon kühn, daß Sie den Zeugen nun auslegen vorher, aber der Senat wird beraten.
RA Geu[len]:
Sie legen doch aus, wenn Sie ...
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:[18]
Die Frage ist offensichtlich zulässig.
Ich habe Sie gefragt, wiederhole es wörtlich: Sind bei Ihnen Mitmenschen unter dem terminus technicus „Schweine“ eingeordnet?
Zeuge Ja[nsen]:
Es gibt Menschen, die ich als Schweine ansehe und die ich als Schweine bezeichne.
Vors.:
Wen meinen Sie jetzt damit? Wer fällt bei Ihnen ...
Zeuge Ja[nsen]:
Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf.
Gelächter im Sitzungssaal.
Vors.:
Ich möchte das Publikum bitten, sich etwas zurückzuhalten. Das ist keine Antwort, Herr Jansen. Wen meinen Sie unter „Schweine“?
Zeuge Ja[nsen]:
Genau mit dieser Antwort müssen Sie sich zufriedengeben.
Vors.:
Nun, ich wollte Ihnen hier vorhalten, daß aus solch einem Schreiben - es lassen sich weitere Passagen in dieser Richtung vorführen - sich ergeben könnte, daß doch eine Art Hierarchie denkbar wäre. Zumindest, denn das ist nicht der Ton, jemanden, der nicht das Gefühl hat, er könne anderen Anweisungen zumindest geben.
RA Dr. He[ldmann]:
Verzeihung, Herr Vorsitzender, eine Frage.
Vors.:
Bitte sehr.
RA Dr. He[ldmann]:
Von wem soll denn dieses Schreiben sein oder von wem ist es denn?
Vors.:
Es ist ein, nach der Aussage Müller, ein INFO-Material, wenn Sie die Schrift lesen wollen, ich könnte sie deuten, aber ...
RA Dr. He[ldmann]:
Ich frage doch nur, der Zeuge kann doch die Frage, Ihre Frage - sollte sie ernst gemeint sein - nur beantworten, wenn er weiß, wer das an wen geschrieben hat.
Vors.:
Keineswegs. Es ist mir völlig gleichgültig, wer es geschrieben hat, es deutet nur darauf hin, daß innerhalb der Gruppe die Möglichkeit bestand, daß irgendjemand da war, ich habe nicht jetzt eine Person genannt, der in diesem Ton glaubte, Anweisungen geben [11391] zu können. Es ist mir für die Struktur eine interessante Frage und deswegen stelle ich sie, und deswegen habe ich sie ihm vorgehalten und möchte jetzt bitten, daß der Herr Zeuge antworten kann, ob das zu neuen Überlegungen bei Ihnen Anlaß gibt, weil er sagt, so eine Möglichkeit gab es nicht.
Zeuge Ja[nsen]:
Wenn Sie das Tonband zurückspulen, werden Sie genau die Antwort, die ich eben gesagt hab, sich nochmal anhören können. Genau das sage ich nochmals.
Vors.:
Sie meinen, daß der normale Mensch jedenfalls oder diejenigen, die Sie als Schweine ansehen, daß der nicht imstande ist, zu verstehen, was hier unter Struktur von Ihnen verstanden wird.
RA Dr. He[ldmann]:
Ich beanstande die Frage. Die Frage geht von der Voraussetzung aus, daß der Zeuge wissen müßte, von wem an wen dieses Schreiben gerichtet ist. Sie haben pauschal gesagt, es sei aus der Gruppe ...
Zeuge Ja[nsen]:
Mein Gott, das interessiert mich doch gar nicht, was dieser Typ hier losquatscht. Ich meine, das Ding ist beantwortet ...
Vors.:
Darf ich Sie darauf hinweisen ...
Zeuge Ja[nsen]:
... auf jede weitere Frage ergibt sich das völlig.
Vors.:
... daß diese Form, die Sie eben gewählt haben in der Anrede an mich, als Ungebühr[19] betrachtet werden könnte ...
Zeuge Ja[nsen]:
Ja.
Vors.:
... wollen Sie sich dazu äußern?
Zeuge Ja[nsen]:
Ja, es war eine Ungebühr.
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Gegen den Zeugen wird wegen Ungebühr eine
Ordnungshaft von 1 Woche
festgesetzt, weil er den Vorsitzenden als einen „Typ“ bezeichnet hat, der hier losquatsche, was ihn nicht interessiere.
Zeuge Ja[nsen]:
Wenn Sie zugehört hätten, dann wüßten Sie, daß ich Sie schon als was ganz anderes bezeichnet hab als Typ.
Vors.:
Ja, mag sein. Wollen Sie nun auf die Frage antworten oder nicht? Sie geben keine Antwort, ich bestehe auch nicht auf der Antwort. Weitere Fragen beim Gericht an den Herrn Zeugen? Sehe ich nicht. Bitte, die Herren der Bundesanwaltschaft.
OStA Zeis:
Wir stellen unsere Fragen vorläufig zurück, Herr Vorsitzender.
[11392] Vors.:
Sind Fragen an den Herrn Zeugen?
RA Dr. He[ldmann]:
Ich habe eine Frage. Herr Jansen, Sie sind vorhin unterbrochen worden, als Sie angesetzt haben zu sagen, Sie wissen - sinngemäß - Sie wissen, warum Müller Andreas Baader gehaßt hat oder wörtlich: haßt. Warum Müller Andreas Baader haßt. Da bitte ich Sie, diese Erörterung fortzusetzen.
Zeuge Ja[nsen]:
Nun ich meine, das ist völlig klar. Andreas verkörperte in der RAF am entwickeltsten das, was ... ja, was zu den Prinzipien Freiwilligkeit, Freiheit und Herrschaftslosigkeit gehörte. Und er kämpfte am Entschiedensten in der RAF darum, daß diese Struktur, ja ... sich durchsetzte. Und es ist klar, daß so ein Typ wie Müller, der dem Staatsschutz in die Hose gekrochen ist, der sich verkauft und sich selber, ja wie man so sagt, zur Fotze gemacht hat, daß so ein Typ ...
Vors.:
Herr Zeuge, solche Ausführungen lasse ich nicht zu. Wenn Sie in dieser Richtung fortfahren ...
Zeuge Ja[nsen]:
... natürlich am meisten ...
Vors.:
... Sie haben jetzt den Zeugen beschimpft. Ich habe Sie darauf hingewiesen, daß Sie dazu nicht das Recht haben. Sie können sich dazu äußern, ob hier nicht wiederum eine Ungebührstrafe festgesetzt werden muß.
RA Dr. He[ldmann]:
Herr Vorsitzender, „Typ“ ist ja im heutigen Sprachgebrauch alles andere als ein Schimpfwort, das ...
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, Sie haben nicht richtig zugehört. Es wurde gesprochen, daß sich Müller zur „Fotze“ gemacht habe. Ich meine, das ist was anderes als der „Typ“
Wollen Sie sich dazu äußern?
Zeuge Ja[nsen]:
Das stimmt, daß das was anderes als „Typ“ ist.
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Beschluß des Senats:
Es wird gegen den Zeugen erneut eine
Ordnungshaft von 1 Woche
festgesetzt. Er hat sich dadurch einer Ungebühr schuldig gemacht, daß er trotz Abmahnung den Zeugen Müller schwer beleidigt hat, zuletzt mit dem Ausdruck, „er habe sich zur Fotze gemacht“.
Jetzt bitte ich mit der Antwort fortzufahren.
[11393] Zeuge Ja[nsen]:
Also daß so ein Kerl natürlich am ... Andreas am meisten haßt, das ist klar, weil Andreas das repräsentierte, ja, was er nicht geschafft und auch verraten hat.
RA Dr. He[ldmann]:
Sie sagten, habe ich richtig verstanden jetzt, weil Andreas, so sagten Sie, das am meisten repräsentierte, was er, Müller, nicht geschafft hat. Damit ist meine Frage, warum dieser besondere Haß, beantwortet.
Zeuge Ja[nsen]:
Bitte?
RA Dr. He[ldmann]:
Damit ist meine Frage, warum dieser besondere Haß, beantwortet. Es sei denn, Sie wollen Ihre Antwort noch fortsetzen.
Zeuge Ja[nsen]:
Ach nein, das sagt eigentlich alles.
RA Dr. He[ldmann]:
Ist klar. Danke, keine Frage.
Vors.:
Sonstige Fragen an den Herrn Zeugen? Herr Bundesanwalt Zeis.
OStA Zeis:
Herr Jansen, wann sind Sie denn festgenommen worden?
Zeuge Ja[nsen]:
Wenn Sie in den Akten nachgucken, finden Sie das.
OStA Zeis:
Ja gut, da habe ich nachgeschaut, ist es richtig, daß Sie am 31. August 1970 festgenommen worden sind?
Zeuge Ja[nsen]:
Ich wußte, daß Sie nicht lesen können.
Vors.:
Das ist keine Antwort und ich weise Sie darauf hin, eine nochmalige Antwort in dieser Form würde zu weiteren Ordnungsmaßnahmen führen müssen.
Zeuge Ja[nsen]:
Es ist mir sehr klar beantwortet, nämlich das sagt, daß das falsch ist.
Vors.:
Sie sollten sich nicht so überheblich zeigen, daß Sie einem anderen Mitmenschen nicht zutrauen, daß er lesen kann, so gut zumindest wie Sie auch.
OStA Zeis:
Ich darf also davon ausgehen, aufgrund Ihrer liebenswürdigen Antwort, daß Sie am 31. August 1970 festgenommen worden sind.
Ende von Band 664.
[11394] OStA Ze[is]:
Mein Vorhalt und[r] meine Frage geht dahin, wie können Sie hier Auskunft über Struktur, Hierarchie der Gruppe geben, über einen Zeitpunkt, der nach Ihrer Festnahme liegt?
Zeuge Ja[nsen]:
Ich habe eben schon gesagt, ich wüßte, daß Sie nicht lesen können. Wenn Sie nämlich lesen könnten, wüßten Sie ...
OStA Ze[is]:
Lassen Sie doch die Kindereien, Herr Jansen. Ich hab Sie bisher noch halbwegs[s] ...
Zeuge Ja[nsen]:
Dann wüßten Sie, daß ich 4 Monate später festgenommen worden bin. Und ich bin sehr wohl in der Lage, Aussagen über die Struktur und über den Aufbau der Gruppe zu machen.
OStA Ze[is]:
Wodurch?
Zeuge Ja[nsen]:
Einmal durch meine Erfahrungen ...
OStA Ze[is]:
Was für Erfahrungen?
Zeuge Ja[nsen]:
... die ich draußen, im Zusammenhang mit der Gruppe gemacht habe. Das sind Erfahrungen von über 7 Monaten. Und dann die Erfahrungen, die ich halt’ eben nach dem Aufbau des Infos mit der Gruppe gemacht habe.
OStA Ze[is]:
Es ist also richtig, wenn ich annehme, daß Sie Ihr Wissen nur über das Info haben, mit der Ausnahme dieser ersten 7 Monate.
Zeuge Ja[nsen]:
Wenn Sie zugehört hätten, dann wüßten Sie, daß ich gesagt habe, daß ich meine Erfahrungen aus den 7 Monaten ...
OStA Ze[is]:
Ja, und wenn Sie zugehört hätten ...
Zeuge Ja[nsen]:
... zusammen in der Gruppe war, und daß diese Erfahrungen sich weiterentwickelt haben ... aus den[t] Erfahrungen, die ich aus dem Info gesammelt habe.
Vors.:
Herr Jansen, der Herr Bundesanwalt Zeis hat Ihnen das ja vorgehalten, ob es richtig sei, daß außer den 7 Monaten Erfahrungszeitraum vor der Verhaftung ...
Zeuge Ja[nsen]:
Und im Übrigen können ...
Vors.:
... Ihr Wissen aus der Infozeit stamme.
Zeuge Ja[nsen]:
... sich die rotbefrackten Typen sich wirklich jede weitere Frage ersparen.
Vors.:
Jetzt können Sie sich zur Frage einer erneuten Ordnungsmaßnahme äußern. Wollen Sie sich äußern? Ich sehe nicht.
[11395] Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Es wird gegen den Zeugen erneut eine
Ordnungshaft von 1 Woche festgesetzt,
weil er sich einer Ungebühr dadurch schuldig gemacht hat, daß er soeben die Bundesanwaltschaft als „rotbefrackte Typen“ bezeichnete.
OStA Ze[is]:
Herr Jansen, haben Sie Herrn Müller irgendwann mal persönlich kennengelernt?
Vors.: (nach einer längeren Pause)[u]
Das scheint keine Überlegungspause zu sein. Herr Jansen wollen Sie auf die Frage Antwort geben? Sie haben das Recht nach 55 zu sagen, § 55[ StPO], ich möchte dazu nichts sagen.
Zeuge Ja[nsen]:
Ich habe dazu eben schon alles gesagt.
Vors.:
Wollen Sie die Frage nicht beantworten? Es ist eine Frage, die zulässig und erneut gestellt ist. Ich müßte Sie sonst darauf hinweisen, wenn Sie nicht sich auf den § 55[ StPO] berufen oder wir nicht annehmen können, daß Sie sich auf diese Vorschrift berufen wollen, dann würde ...
Zeuge Ja[nsen]:
Mein Gott, gehen Sie davon aus, daß ich mich darauf berufe.
Vors.:
Dann müssen Sie keine Auskunft geben. Bitte.
OStA Ze[is]:
Herr Jansen, ist es richtig, daß Sie durch Urteil des Schwurgerichts vom Landgericht Berlin vom 22.11.73 wegen versuchten Mordes - und zwar zum Nachteil von 2 Polizeibeamten, weil Sie auf die geschossen haben - rechtskräftig zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden sind?
RA Dr. He[ldmann]:
Ich beanstande die Frage. Sachzusammenhang? Die Frage zielt erkennbar nur darauf, den Zeugen hier zu diskriminieren.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, ein Zeuge, der hier über Schießbefehl, Waffen tragen und dergleichen sich äußert, aufgrund der Zusammenhänge mit dem Zeugen Müller darf natürlich, wenn er selbst in dieser Richtung Vorbelastungen hat, danach auch gefragt werden. Das ist zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit eine zulässige Frage. Die Frage wird zugelassen.
Zeuge Ja[nsen]:
55 oder wie das heißt.
OStA Ze[is]:
Herr Vorsitzender, damit gebe ich mich nicht zu- [11396] frieden.
Vors.:
Ja, das wollte ich eben von mir aus sagen. Herr Jansen[v], nur bei Fragen, deren wahrheitsgemäße Beantwortung die Gefahr der strafgerichtlichen Verfolgung bringen würde, können Sie die Auskunft verweigern. Es ist aber nicht ersichtlich, Sie müßten uns den Zusammenhang sonst klar machen, wieso Sie glauben, wenn Sie diese Frage beantworten, sich belasten zu müssen.
Zeuge Ja[nsen]:
Das mach ich gerne. Aufgrund meiner psychischen Verfassung bin ich nicht in der Lage, eine Antwort dieser Menschen so zu beantworten, daß darin nicht die Gefahr beinhaltet ist, daß ich mich strafbar mache.
Vors.:
Sie befürchten also, daß Sie durch Ihre Antwort sich[w] erst strafbar machen würden. Nun das reicht nicht aus, das ist nicht der Sinn des § 55[ StPO].[20]
Zeuge Ja[nsen]:
Ja, dann suchen Sie einen anderen.
Vors.:
Denn es liegt ja in Ihrer Hand; ich meine Sie sind nicht gezwungen, daß Sie hier etwa sich in beleidigender Form bei Ihren Antworten äußern; und andere Gefahren sind nicht ersichtlich.
Zeuge Ja[nsen]:
Ich gebe auf Antworten der Bundesanwaltschaft keine Antwort ... auf Fragen.
Vors.:
Dann muß ich Sie darauf hinweisen, diese Fragen müssen gestellt werden können. Das ist das Recht jedes Prozeßteilnehmers; und soweit Sie keinen Rechtsgrund zur Verweigerung der Aussage haben, drohen auch hier Zwangsmaßnahmen. Bestehen Sie auf weiteren Fragen?
OStA Ze[is]:
Im Hinblick auf das Verhalten des Herrn Zeugen, Herr Vorsitzender, verzichte ich auf weitere Fragen.
Vors.:
Sind sonst Fragen an den Herrn Zeugen? Ich sehe nicht. Dann bleibt der Herr Zeuge unbeeidigt gem. § 60 Nr. 2[ StPO] wegen Tatbeteiligung.
Der Zeuge Jansen bleibt gem. § 60 Nr. 2 StPO wegen Tatbeteiligung unbeeidigt und wird im allseitigen Einvernehmen um 10.47 Uhr entlassen.
[11397] Vors.:
Wir wollen jetzt noch ein Urteil verlesen; die Vormittagssitzung dazu ausnützen.
Es kann davon ausgegangen werden, daß heute Nachmittag keine Sitzung ist.
Gemäß § 249 StPO[21] wird im Urkundenbeweis das Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 21. Februar 1974
- Az.: 4 KLs 6/73 -
gegen Michael Schulte
wie folgt verlesen:
Seite 1 des Urteils: Von „Der Angeklagte wird ...“
bis „... Kosten des Verfahrens zu tragen.“
Ab Seite 2 des Urteils „Der Angeklagte stellte vom...“
bis Seite 15 des Urteils „... 26. Februar 1971 in Untersuchungshaft.“
Das Urteil ist abgelegt im Ergänzungsband Urteile Teil III Bl. 89 - 118.
Während der Verlesung:
Bundesanwalt Dr. Wunder verläßt in der Zeit von 10.48 Uhr bis 11.10 Uhr den Sitzungssaal.
Rechtsanwalt Dr. Heldmann verläßt in der Zeit von 10.49 Uhr bis 10.50 Uhr den Sitzungssaal.
Oberstaatsanwalt Zeis verläßt um 11.03 Uhr den Sitzungssaal.
Vors.:
Werden weitere Auszüge aus dem Urteil gewünscht?
Anträge auf weitere Verlesungen aus dem Urteil werden nicht gestellt.
Es ist soeben ein Schreiben eingetroffen. Das bezieht sich auf den Beweisantrag von Herrn Rechtsanwalt Schily, Herrn Generalbundesanwalt Siegfried Buback als Zeugen zu vernehmen.
Dieser Beweisantrag ist am 19. Juli oder am 20. Juli hier gestellt worden.[22] Er hat 5 Punkte zum Inhalt, 5 Beweisbehauptungen. Wir haben seinerzeit den Herrn Bundesminister der Justiz angeschrieben, wegen der Frage einer Aussagegenehmigung.[23]
Das Schreiben, das jetzt eingegangen ist, stammt vom 24. August.
Der Vorsitzende verliest das Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 24. August 1976.
Eine Ablichtung dieses Schreibens wird als Anlage 1 dem Protokoll beigefügt.
[11398-11399][24] [11400] Vors.:
Es ist beabsichtigt vom Senat, zunächst nun diese Erklärung gemäß § 256 StPO[25] anzufordern, die zur Verlesung geeignet ist. Es wird danach evtl. zu befinden sein, ob das zur Beweisführung, so, wie es die Verteidigung wünscht, dem Senat ausreichen kann.
Wir kommen jetzt noch zur ganz kurzen Verlesung einer weiteren schriftlichen Beweisunterlage. Ich möchte aber vorher noch bekanntgeben, weil damit dann die Sitzung beendet wird:
Wir haben dann die Fortsetzung am kommenden Dienstag um 9.00 Uhr mit der Vernehmung der Zeuginnen Stachowiak und Eckes. Über den weiteren Terminplan kann ich leider keine definitiven Auskünfte geben. Es hängt viel davon ab, wie die Vernehmung, die in Mailand beantragt ist, sich abwickeln wird. Wir haben noch keinen Termin genannt bekommen. Wir werden den Termin, sobald wir ihn erfahren, den Prozeßbeteiligten dann selbstverständlich mitteilen.
Ich muß also um folgendes bitten, vorsorglich, daß am Mittwoch oder Donnerstag der nächsten Woche noch eine Sitzung angeordnet werden könnte. Möglicherweise bleibt es aber auch allein bei der Verhandlung am Dienstag.
Und für die übernächste Woche wäre dann die Fortsetzung, das wäre also der 7.9., 8.9., 9.9., muß die Sitzung im üblichen Rhythmus vorgesehen werden. Inwieweit wir das Programm bis dahin ausfüllen können, ob mit den Plädoyers begonnen werden kann usw., wird sich zeigen.
Zunächst also kann nur mit Sicherheit gesagt werden, am Dienstag setzen wir um 9.00 Uhr fort.
Nun bitte ich die Verlesung vorzunehmen.
Entschuldigung, es ist noch eine Frage, bitte Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.
BA Dr. Wu[nder]:
Ja, Herr Vorsitzender, vielleicht noch die kurze Frage: Ist der Generalbundesanwalt damit gebeten von Ihnen, die Erklärung abzugeben oder erfolgt das schriftlich?
Vors.:
Es wird noch schriftlich gemacht. Aber Sie können selbstverständlich davon ausgehen, daß wir darum bitten.
BA Dr. Wu[nder]:
Danke.
[11401] Gemäß § 249 StPO wird das Original der Kolumne in der Zeitschrift „Konkret“ Nr. 14 vom 4.11.1968 „Ulrike Marie Meinhof Warenhausbrandstiftung“[26] aus SO 118 Ziff. 1.3 auszugsweise wie folgt verlesen:
Ab dem 2. Absatz der mittleren Spalte „Das progressive Moment...“ bis zum Ende der 3. Spalte „... gut formulieren.“
Vors.:
Damit sind wir am Ende des heutigen Sitzungsprogramms. Fortsetzung - wiegesagt - Dienstag, 9.00 Uhr.
Ende der Hauptverhandlung um 11.19 Uhr
Ende von Band 665.
[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).
[2] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Nach § 55 Abs. 1 StPO steht Zeug/innen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.
[3] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 - Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).
[4] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen.
[5] Der Polizeibeamte Norbert Schmid wurde bei einem Festnahmeversuch des RAF-Mitglieds Margrit Schiller erschossen. Er war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Schiller selbst belastete Gerhard Müller schwer, der mit Urteil vom 16.3.1976 vom LG Hamburg zwar für andere Taten, darunter Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zum Mord, nicht aber für den Mord an Schmid verurteilt wurde (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass der Freispruch Müllers in Bezug auf den Mord an Norbert Schmid Teil einer unzulässigen Absprache mit den Strafverfolgungsbehörden gewesen sei (s. dazu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 8 und 12 zum Protokoll vom 20.7.1976, S. 10649 f., 10659 des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag).
[6] Zeug/innen sind grundsätzlich zur Aussage vor Gericht verpflichtet (seit 2009 explizit in § 48 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelt; zuvor war dies bereits als allgemeine staatsbürgerliche Pflicht angesehen, s. BVerfG, Beschl. v. 10.10.1978 - 2 BvL 3/78, BVerfGE 49, S. 280, 284). Nach § 70 Abs. 1 StPO können Zeug/innen, die sich ohne gesetzlichen Grund weigern auszusagen, die hierdurch verursachten Kosten auferlegt werden, außerdem wird ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, gegen sie festgesetzt. Nach § 70 Abs. 2 StPO kann zur Erzwingung des Zeugnisses auch die Haft von bis zu 6 Monaten angeordnet werden.
[7] Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung war die Vereidigung von Zeug/innen nach § 59 f. StPO a.F. grundsätzlich vorgeschrieben. Ausnahmen galten nur für wenige Vereidigungsverbote, darunter bei Personen, die selbst wegen der Beteiligung der gegenständlichen Tat verdächtig oder bereits verurteilt worden waren (§ 60 Nr. 2 StPO). Darüber hinaus hatte das Gericht die Möglichkeit, in bestimmten Fällen von der Vereidigung abzusehen (§ 61 StPO a.F.). Im Unterschied dazu bestimmt der heutige § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO, dass eine Vereidigung nur dann erfolgt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält.
[8] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen. Strafbar ist gem. § 129 Abs. 1 StPO nicht nur die Gründung und Beteiligung als Mitglied (Satz 1), sondern auch die Unterstützung, sowie das Werben um Mitglieder oder Unterstützer/innen (Satz 2).
[9] Am 11. Mai 1972 detonierten im sog. I.G.-Farben-Hochhaus, dem Hauptquartier des 5. US-Corps, in Frankfurt a.M. 3 Sprengkörper. Dabei wurde eine Person getötet und eine andere in nahe Lebensgefahr gebracht; weitere Personen wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977, 2 StE 1/74, S. 1 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 65. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[10] Am 24. Mai 1972 explodierten in Heidelberg auf dem Gelände des Hauptquartiers der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) zwei zuvor dorthin verbrachte Kraftfahrzeuge. Hierbei kamen drei amerikanische Soldaten ums Leben, weitere Personen gerieten in Lebensgefahr oder wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 28 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[11] Nachdem Andreas Baader Anfang April 1970 bei einer Verkehrskontrolle in Berlin verhaftet worden war, gelang es einer Gruppe um Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Irene Goergens und Ingrid Schubert, ihn am 14. Mai 1970 zu befreien. Als Ort der Aktion diente die Bibliothek Zentralinstituts für Soziale Fragen in Berlin-Dahlem, wo Baader unter Bewachung von zwei Vollzugsbeamten ein Gespräch mit Ulrike Meinhof für ein Buchgespräch zugestanden worden war. Während der Aktion wurde ein Schuss auf einen unbeteiligten Bibliotheksmitarbeiter abgegeben, der schwer verletzt wurde. Die gewaltsame Befreiung Baaders aus der Haft wird auch als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichnet. Auch Ulrike Meinhof lebte von nun an in der Illegalität (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 177 ff.; Wieland, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, 2006, S. 332, 343).
[12] S. Fn. 5.
[13] Am 24. April 1975 überfiel das RAF-Kommando „Holger Meins“ die deutsche Botschaft in Stockholm und forderte die Freilassung von 26 inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Dem Kommando gehörten Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel an. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen nahmen sie zwölf Geiseln, von denen sie zwei erschossen. Anders als zwei Monate zuvor bei der Lorenz-Entführung durch die Bewegung 2. Juni lehnte die Bundesregierung nun Verhandlungen mit den Geiselnehmer/innen ab. Ihr Ende fand die Geiselnahme durch eine nicht geklärte Sprengstoffexplosion im Inneren des Botschaftsgebäudes, die sich noch vor dem Zugriff schwedischer Sicherheitskräfte ereignete. Bei der Explosion wurde Ulrich Wessel tödlich verletzt. Siegfried Hausner erlag seinen Verletzungen Anfang Mai 1975 in der JVA Stuttgart-Stammheim. Die übrigen vier Geiselnehmer/innen wurden verhaftet und am 20. Juli 1977 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 361 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69).
[14] Trotz schwerster Brandverletzungen, die Siegfried Hausner bei der ungeklärten Explosion im Rahmen des Stockholm-Attentats erlitt, wurde er wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt. Hausner starb dort Anfang Mai 1975 (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512. 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80). Den Tod Hausners bezeichneten die Angeklagten als Mord (Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1544 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[15] Das INFO war ein Informations- und Kommunikationssystem, das einen Austausch von Rundbriefen, Zeitungsartikeln etc. unter den inhaftierten RAF-Mitgliedern ermöglichte. Über die Verteidigerpost, die im Vergleich zu anderer Post vollzugsrechtlich privilegiert ist (§§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO), konnte Material ohne vorherige Zensur ausgetauscht werden. Den Rechtsanwälten Ströbele, Groenewold und Dr. Croissant wurde später vorgeworfen, durch die Beteiligung am „Info-System“ dazu beigetragen zu haben, dass die inhaftierten RAF-Mitglieder auch aus der Haft heraus ihre kriminelle Vereinigung hätten fortführen können. Dabei ging es nicht um das INFO an sich, sondern um die Weiterleitung ganz bestimmter Unterlagen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 521 ff.; s. auch die Interviews mit K. Groenewold und H.-C. Ströbele, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 58 f., 70 f. sowie S. 121, 132 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52).
[16] Die inhaftierten RAF-Mitglieder bezeichneten ihre Haftbedingungen als „Isolationsfolter“ (s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.). Um ihre Forderungen, u.a. die Zusammenlegung aller RAF-Häftlinge, durchsetzen zu können, traten sie ab 1973 mehrfach in Hungerstreik. Der dritte und längste Hungerstreik dauerte von September 1974 bis Februar 1975. RAF-Mitglied und ursprünglich ebenfalls Beschuldigter im Stammheimer Verfahren Holger Meins überlebte ihn nicht: Im November 1974 starb er an den Folgen der Mangelernährung (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 58).
[17] Die Schwestern Marian und Dolours Price waren als IRA-Mitglieder seit dem Frühjahr 1973 in England inhaftiert. Mit einem über 200 Tage dauernden Hungerstreik protestierten die beiden ab November 1973 gegen ihre Haftbedingungen. Damit gelang ihnen schließlich die Verlegung in nordirische Gefängnisse, wo sie als politische Gefangene Hafterleichterungen genossen. Die Price-Schwestern dienten den inhaftierten RAF-Mitgliedern als Vorbilder für ihre eigenen Hungerstreiks (Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 206 f.).
[18] Über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet - soweit der/die Vorsitzende sie nicht bereits nach § 241 Abs. 2 StPO zurückweisen kann (insbesondere eigene Fragen sowie solche der beisitzenden Berufsrichter/innen) - gem. § 242 StPO das Gericht, das ist in diesem Fall der Senat in voller Besetzung (zur Anwendbarkeit des § 242 StPO auf Fragen von Berufsrichter/innen s. Schünemann, StV 1993, S. 607 ff.).
[19] § 178 GVG ermöglicht bei ungebührlichem Verhalten die die Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft.
[20] Das Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO (s. Fn. 2) soll lediglich verhindern, dass unter der Wahrheitspflicht stehende Zeug/innen Angaben zu Umständen machen müssen, die sie der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung ist dies aufgrund des Strafklageverbrauchs (Art. 103 Abs. 3 GG: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“) in der Regel ausgeschlossen (zu den Ausnahmen s. Maier, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 55 Rn. 37 ff.).
[21] Urkunden werden durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt (§ 249 StPO; heute in einigen Fällen ebenfalls möglich: Einführung im Selbstleseverfahren, § 249 Abs. 2 StPO). Zwar ist die sog. materielle Rechtskraft, die den Inhalt eines Urteils betrifft, in zweifacher Hinsicht beschränkt: Zum einen bezieht sie sich nur auf die Personen, gegen die das Verfahren gerichtet war (Kudlich, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Auflage 2014, Einleitung Rn. 510), zum anderen entsteht sie auch nur im Hinblick auf den Tenor, also die Entscheidungsformel, die im Falle einer Verurteilung den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch (sowie bestimmte Nebenentscheidungen) umfasst (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 170). Gleichwohl ist es anderen (Straf-)Gerichten nicht verwehrt, die auch in den Entscheidungsgründen dokumentierten Ergebnisse der Beweiserhebung im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung einzuführen und sie zur Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) zu machen; dies gilt sogar für nichtrechtskräftige (z.B. aufgehobene) Entscheidungen (BGH, Urt. v. 18.5.1954 - Az.: 5 StR 653/53, BGHSt 6, S. 141; Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019 § 249 Rn. 17).
[22] Der Beweisantrag befindet sich in Anlage 8 zum Protokoll vom 20.7.1976, S. 10649 f. des Protokolls der Hauptverhandlung (128. Verhandlungstag).
[23] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.). § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.
[24] Anlage 1 zum Protokoll vom 26.08.1976: Aussagegenehmigung für den Generalbundesanwalt Siegfried Buback.
[25] § 250 StPO enthält den Grundsatz der persönlichen Vernehmung. Nach § 250 Satz 2 StPO darf die Vernehmung einer Person über Tatsachen, die sie wahrgenommen hat, nicht durch die Verlesung einer früheren Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. Die §§ 251 ff. StPO enthalten enge Ausnahmen von diesem Grundsatz. § 256 StPO benennt bestimmte Arten verlesbarer Erklärungen, darunter die „ein Zeugnis oder Gutachten enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden“ (§ 256 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. StPO a.F.; heute: § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StPO).
[26] Zwischen 1959 und 1969 verfasste Ulrike Meinhof etliche Kolumnen für die Zeitschrift „konkret“, für die sie von 1961 bis 1963 auch als Chefredakteurin tätig war. Durch die Kolumnen erlangte sie bundesweite Bekanntheit (Seifert, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 3350, 361 ff.). In ihrer Kolumne verfolgte sie auch den Frankfurter Kaufhausbrandstiftungsprozess: Am 2. April 1968 verübten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein Brandanschläge auf Kaufhäuser in Frankfurt am Main, bei denen zwar erhebliche Sachschäden entstanden, aber keine Menschen verletzt wurden. Die Kaufhausbrandstiftungen zählen zu den ersten politischen Gewalttaten von Baader und Ensslin vor Gründung der RAF. Motiviert wurden sie durch eine Kampagne der Kommune I, die eine Brandtragödie mit mehr als 200 Toten in einem Brüsseler Kaufhaus im Jahr 1967 für Kritik am Vietnamkrieg nutzte. Im Oktober 1968 begann der Prozess am Landgericht Frankfurt gegen Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein. Mit Urteil vom 31.10.1968 wurden sie zu Haftstrafen in Höhe von je drei Jahren verurteilt (s. die Beiträge von Bressan/Jander, sowie Hakemi/Hecken, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 398, 407 ff., sowie S. 316 f., 322 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 27 ff.). Meinhof schrieb zu den Anschlägen: „Gegen Brandstiftung im allgemeinen spricht, daß dabei Menschen gefährdet werden sollen. Gegen Warenhausbrandstiftung im besonderen spricht, daß dieser Angriff auf die kapitalistische Konsumwelt [...] eben diese Konsumwelt nicht aus den Angeln hebt, sie nicht einmal verletzt [...]. Dem Prinzip [...] des Profits und der Akkumulation von Kapital, wird durch einfache Warenvernichtung eher entsprochen, als daß es durchbrochen würde“ (Meinhof, Die Würde des Menschen ist unantastbar, 1980, S. 153).
[a] Maschinell eingefügt: - vorgeführt aus der Strafanstalt Berlin-Tegel -
[b] Handschriftlich von oben eingefügt: erlernter Beruf: Kaufmann
[c] Maschinell eingefügt: um
[d] Maschinell ersetzt: seinen durch wären
[e] Handschriftlich durchgestrichen: abgequälten
[f] Handschriftlich ergänzt: erkämpften
[g] Handschriftlich durchgestrichen: Führungen
[h] Maschinell durchgestrichen: hat
[i] Maschinell eingefügt: es
[j] Maschinell eingefügt: ist
[k] Maschinell eingefügt: dem Kerne nach.
[l] Handschriftlich eingefügt: in
[m] Maschinell eingefügt: ist
[n] Maschinell durchgestrichen: ich
[o] Handschriftlich eingefügt: wie
[p] Handschriftlich durchgestrichen: also
[q] Maschinell eingefügt: auch
[r] Maschinell eingefügt: und
[s] Maschinell ersetzt: halb... durch halbwegs
[t] Maschinell eingefügt: den
[u] Maschinell eingefügt: (nach einer längeren Pause)
[v] Maschinell eingefügt: Herr Jansen
[w] Maschinell eingefügt: sich