146. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Mittwoch, den 22. September 1976 um 9.04 Uhr



[11651] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Mittwoch, den 22. September 1976 um 9.04 Uhr

(146. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen - mit Ausnahme von OStA Zeis und Reg. Dir. Widera - in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

Just. Ass. Clemens

Just. Ass. z. A. Scholze

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind anwesend:

Rechtsanwälte Künzel, Schnabel, Schlaegel, Grigat.

Als Zeugen sind anwesend:

KHK Rolf Schneider und

KHK Winfried Geisler.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Herr Rechtsanwalt Schwarz hat sich für heute Vormittag entschuldigt.

Herr Rechtsanwalt Eggler wird sich mutmaßlich verspäten.

Von Herrn Rechtsanwalt Dr. Heldmann ist kein Grund bekannt, warum er nicht pünktlich erscheint.

Wir haben heute früh geladen und anwesend sind[a] die Herren Schneider und Geisler.

Es ist darauf hinzuweisen, daß Ihnen die Aussagegenehmigung[2] bis[b] jetzt noch nicht erteilt ist. Es hat sich also im Laufe des gestrigen Abends und auch des heutigen Vormittags ergeben, daß darüber entschieden werden wird noch bis etwa 12.00 Uhr, so daß wir davon ausgehen können, daß mit Ihrer Vernehmung heute Nachmittag begonnen werden kann, bis dahin geklärt ist, inwieweit[c] Sie berechtigt sind, Aussagen zu machen.

[11652] Die Zeugen Schneider und Geisler werden gemäß § 57 StPO[3] belehrt.

Die Zeugen Schneider und Geisler sind mit der Aufnahme ihrer Aussage auf das Gerichtstonband einverstanden.[4]

Sie sollen nach dem Antrag der Verteidigung aussagen können, daß Ihnen oder anderen Vernehmungs- oder Ermittlungsbeamten gegenüber der Zeuge Müller über den Zeugen Hoff[5] folgendes geäußert habe: Daß Hoff den tatsächlichen Verwendungszweck der von ihm angefertigten Gegenstände, auch der[d] Bombenkörper, gekannt habe; daß Hoff aus Rohrrohlingen habe Maschinenpistolen anfertigen sollen; daß Hoff Waffen für die RAF nach Süd-Frankreich verschoben habe; daß Hoff seine Werkstatt nach Beendigung der Arbeiten[e] mit Säure gereinigt habe, um Spuren zu verwischen - sinngemäß - und schließlich, daß die Freundin von Herrn Hoff, jetzige Verlobte, die Frau Sorenson, in der Werkstatt im Zeitraum von Anfang 72 bis im Mai 1972 mitgearbeitet habe. Also 1. Beweisthema: Äußerungen des Zeugen Müller über Kenntnisse hinsichtlich des Zeugen Hoff.

Das zweite Thema: Sie sollen bekunden können, daß in Akten - 3 ARP 74/75 I -, die bei der Bundesanwaltschaft geführt werden, Niederschriften oder Vermerke über Aussagen des Zeugen Müller enthalten seien, die von den Vernehmungsprotokollen, die dem Gericht später geliefert wurden und die zwischen dem 31. März und 26. Mai 76 angefertigt worden sind, inhaltlich in erheblichen Umfange abwichen, insbesondere auch hinsichtlich der Schilderung der Sprengstoffanschläge in Frankfurt, Heidelberg, München, Augsburg, Karlsruhe und Hamburg. Zweites Thema also: Akten, die wir nicht kennen, deren Inhalt im Vergleich zu den Vernehmungsprotokollen, die dem Gericht zugänglich gemacht wurden im Anschluß an die Vernehmung des Zeugen Müller vom 31. März bis zum 26. Mai dieses Jahres.

Schließlich sollen Sie wissen, daß Müller vor dieser Vernehmung, die dem Gericht zugänglich gemacht wurde, die am 31. März 76 begonnen hat, gegenüber Ermittlungsbehörden bekundet habe[f], er kenne Hoff, er sei auch bei ihm in der Werkstatt gewesen. Eine Aussage, die sich in den dem Gericht vorgelegten Protokollen nicht findet. Und hier sei nun dieser Unterschied zwischen seinen früheren Äußerungen und der Aussage, die dem Gericht zugänglich gemacht [11653] wurde. Hier sei von den Ermittlungsbehörden ganz bewußt diese anders lautende Aussage Müllers in den Akten, die dem Gericht zugegangen seien, unterdrückt worden, um Widersprüche zwischen Müller und Hoff zu verschleiern.

Schließlich sollen Sie darüber Kenntnis haben, daß Müller von Ermittlungsbehörden für eine Aussage Gegenleistungen versprochen worden seien, so z. B. 50 % Straferlaß, außerdem Pressekontakte mit entsprechender Möglichkeit, zu Honoraren zu kommen, und schließlich habe man Müller auch bedeutet, wenn er nicht aussage, dann müsse er mit lebenslanger Freiheitsstrafe rechnen.

Und das letzte Thema, zu dem Sie sich äußern können sollen:

Müller soll Ihnen oder anderen Ermittlungsbeamten bei Vernehmungen erklärt haben, daß Baader Ingeborg Barz[6] erschossen habe. Sie sollen bei den weiteren Ermittlungen zu der Erkenntnis gelangt sein, daß diese Aussage unrichtig ist, und sollen bestätigen können, daß zur Zeit noch nach Ingeborg Barz gefahndet werde.

Das sind die Beweisthemen. Wie gesagt, heute Vormittag kommen wir nicht zu Ihrer Vernehmung. Wir beginnen mit der Vernehmung um 14.30 Uhr.

Um 14.30 Uhr steht auch Frau Rechtsanwältin Gottschalk-Solger als Zeugin zur Verfügung. Sie kommt auf demselben Wege und zu denselben Zeiten.

Es ist gerade die Frage aufgetaucht, ob wir nicht mit der Vernehmung der Herrn Zeugen vor der Frau Rechtsanwältin Gottschalk-Solger beginnen sollten, um 14.00 Uhr. Es ist nur so, die Zeugin Gottschalk-Solger muß mit dem Flugzeug wieder zurückfliegen und deswegen möchte ich sie gerne an den Anfang stellen. Ich weiß nicht, wielange die Vernehmung von Ihnen dann in Anspruch nimmt. Ich würde also doch vorschlagen, daß wir aus Sicherheitsgründen, um der Zeugin die Möglichkeit zu geben, daß sie wieder gleich zurückfliegen kann, mit ihr beginnen um 14.30 Uhr.

Ich darf noch darauf hinweisen, daß mir die Zusage gegeben worden ist, daß die Entscheidung über die Aussagegenehmigung bis 14.00 Uhr eintrifft. Ich muß also davon ausgehen, daß auch ein früherer Beginn mit den Zeugen zu nichts führen würde, weil bis dahin die Entscheidung nicht vorläge.

Die Zeugen Geisler und Schneider werden um 9.12 Uhr vorläufig entlassen.

[11654] Sind zu dieser Terminierung Fragen?

Herr Rechtsanwalt Schnabel.

RA Schn[abel]:

Hohes Gericht, mir ist durchaus die Regelung des § 54 StPO[7] bekannt. Mir ist aber auch bekannt, daß dasselbige nicht erst seit gestern besteht, sondern vermutlich schon seit einigen Jahren, um nicht Jahrzehnte zu sagen. Und es berührt mich etwas merkwürdig, und zumindest auch die Optik dieses Verfahrens hier, daß vor rund 1 Jahr und auch länger Beamte am Fließband hier aussagten und die Aussagegenehmigung dorten keine Rolle spielte, bzw. sofort vorhanden war. Und ich erinnere mich auch gut an Fälle, bei denen man dann telefonisch diese Aussagegenehmigung einholte. Und ich habe nun die Frage an das Gericht, weshalb das in diesem Fall hier nicht auch möglich ist. Das Telefon wird ja auch noch zur Verfügung stehen. Und im übrigen wäre es vielleicht auch dann wünschenswert gewesen, nachdem das gestern abend schon feststand, daß diese Aussagegenehmigung heute morgen nicht vorliegt, daß vielleicht ein Anruf den Verteidigern das hätte sagen können und man von vornherein gleich hätte auf 14.00 Uhr terminieren können.

Vors.:

Wollen Sie sich dazu äußern, Herr Dr. Wunder. Ich gebe dann auch eine Erklärung dazu ab.

BA Dr. Wu[nder]:

Ich äußere mich gerne dazu. Ich habe gestern bei der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft hinsichtlich dieser beamteten Zeugen ausgeführt, daß ich Zweifel habe, ob diesen Zeugen zu allen Punkten Aussagegenehmigung erteilt wird. Erst gestern Abend um 18.45 Uhr bin ich angerufen worden vom Bundeskriminalamt und mir ist mitgeteilt worden, daß, weil wie Sie ja auch wissen, Herr Rechtsanwalt, hier die 3 ARP-Akte[8] eine Rolle spielt, geprüft werden muß, ob im vollen Umfang Aussagegenehmigung erteilt werden kann.

Vors.:

Herr Bundesanwalt Dr. Wunder konnte mich telefonisch nicht erreichen. Er hat versucht, einen Kollegen zu verständigen, der auch nicht erreichbar war - wir waren beide weggewesen - und hat dann sich richtigerweise dazu entschlossen, das heute früh erst mitzuteilen; schon bevor wir in den Dienst kamen, war die Mitteilung hier vorgelegen. Herr Rechtsanwalt Schnabel alles das, was Sie dann jetzt aufgezählt haben an Möglichkeiten, ist geschehen. Ich habe mich sofort mit dem Bundeskriminalamt in Verbindung gesetzt; und ich darf Ihnen dazu sagen, der Vergleich mit Zeugen, die in der Anklage benannt waren, bei denen der [11655] Aussagegrund, das Thema längst feststand, ist nicht zulässig mit Zeugen, die kurzfristig benannt werden im Hinblick auf Akten, bei denen bisher ein Sperrvermerk besteht. Daß sich hier das zuständige Bundesinnenministerium die Entscheidung nicht so einfach macht, ist aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen, daß nämlich hinterher Verwaltungsprozesse[9] entstehen, durchaus begreiflich. Und ich kann nur sagen, wenn das Bundesinnenministerium heute früh entscheidet, was zugesagt ist, dann ist das eine beachtlich rasche Entscheidung. Es kann keine Behörde hier irgendein Vorwurf treffen. Es lässt sich leider nicht ändern. Wir selbst sind durch diese Bearbeitungsweise überrascht worden. In der Tat hat inzwischen eine Klärung stattgefunden, welche Frist normalerweise für solche Benennungen von Zeugen eingehalten werden müssen, um von vornherein die nötigen Entscheidungsfreiheiten für die betreffenden Behörden einzuräumen.

Ich möchte dann noch einen Beschluß bekanntgeben ...

RA Schn[abel]:

Nein, ich möchte noch eines dazu sagen. Diese Akte, die hier ins Gespräch kam, spielt also ganz sicher, und das hat man ja eben gehört, als Sie nochmal die Beweisthemen gesagt haben, nicht bei allen 4 Fällen oder 4 Beweisthemen eine, Rolle, so daß durchaus im übrigen eine Aussagegenehmigung hätte vorliegen können. Und es berührt etwas merkwürdig die Optik, und von der sprach ich auch, um es einmal salopp und nicht gerade im deutschen Gesetzestext zu sagen, wenn es so ist, daß die sogenannten „Zeugen der Anklage“[10] unmittelbar ihre Aussagegenehmigung haben, während die sogenannten „Zeugen der Verteidigung“ eben unter Umständen keine Aussagegenehmigung bekommen oder dorten eben Schwierigkeiten gemacht werden. Das ist eine Frage der Optik, und zwar das in erster Linie, aber vielleicht könnte man die auch einmal berücksichtigen.

Vors.:

Ich würde Ihnen vorschlagen, diese Optik vielleicht geltend zu machen beim Herrn Bundesinnenminister. Beim Gericht sind Sie jedenfalls falsch angebracht. Ich glaube auch nicht, daß es irgendetwas mit Optik oder sonst etwas zutun hat, sondern einfach mit[g] der Tatsache, daß diese Beweisbenennungen so kurzfristig erfolgen. Wenn die Verteidigung bereit wäre, das trifft nun nicht Sie als Vorwurf, uns diese Beweisanträge statt hintereinander gestaffelt auf einmal vorzutragen, und wir hätten dann die Zeit, alles in geordneten Zeitabläufen zu regeln, dann würde diese Frage der Optik überhaupt nicht auftauchen können; auch daran [11656] hat die Justiz mit Sicherheit genausowenig irgendeine Verantwortung zu tragen, wie das Innenministerium.

Es ist noch der Beschluß bekanntzugeben:

Der von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Frau Beatrix Stammer sowie Herrn KOM Thiele als Zeugen zu vernehmen,

wird abgelehnt,

weil die in das Wissen der Zeugen gestellten Beweisbehauptungen so behandelt werden, als wären die behaupteten Tatsachen wahr (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).[11]

- - -

Damit sind wir bedauerlicherweise genötigt, die Sitzung jetzt abzubrechen.

Fortsetzung 14.30 Uhr.

Pause von 9.18 Uhr bis 14.33 Uhr

Ende Band 683

[11657] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.33 Uhr

OStA Zeis und Reg. Dir. Widera sind nunmehr auch anwesend.

RAe Dr. Heldmann, Schwarz und Dr. Augst (als Vertreter für RA Eggler) sind nunmehr auch anwesend.

Rechtsanwälte Schlaegel und Künzel sind nicht mehr anwesend.

Als Zeugin ist anwesend:

Rechtsanwältin Leonore Gottschalk-Solger.

Vors.:

Ich bitte, Platz zu behalten. Wir können die Sitzung fortsetzen. Herr Rechtsanwalt Schlaegel hat sich für heute Nachmittag entschuldigt. Herr Rechtsanwalt Schwarz ist wieder anwesend. Herr Rechtsanwalt Augst für Herrn Rechtsanwalt Eggler. Die Vertretung wird genehmigt.

Zunächst der Hinweis: Wir haben inzwischen das Originalvernehmungsprotokoll der Zeugin Roll aus Mailand[12] bekommen. Das Protokoll wird abgelegt im Ordner Beweisanträge. Das seinerzeit verlesene Duplikat war ja eine beglaubigte Abschrift. Jetzt haben wir Frau Rechtsanwältin Gottschalk-Solger als Zeugin.

Die Zeugin Gottschalk-Solger wird gen. § 57 StPO belehrt.

Die Zeugin Gottschalk-Solger ist mit der Aufnahme ihrer Aussage auf das Gerichtstonband einverstanden.

Die Zeugin Gottschalk-Solger macht folgende Angaben zur Person:

Leonore Gottschalk-Solger

39 Jahre, wohnhaft in Rotenbek/Schleswig-Holstein,

Beruf Rechtsanwältin.

Mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert;

wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

[11658] Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Wenn ich vielleicht vorweg noch zu meiner Position etwas sagen darf, ich war Verteidiger sowohl von Herrn Raspe wie von Herrn Müller und Frau Möller und ich bin lediglich von Herrn Müller in einem einzigen Punkt von der Schweigepflicht entbunden[13] worden. Ansonsten halte ich mich voll an die anwaltliche Schweigepflicht.

Rechtsanwalt Künzel erscheint wieder um[h] 14.35 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Danke. Sie haben damit bekundet, daß Ihnen die Beweisthemen bereits mitgeteilt worden sind. Das kann ich bestätigen. Ich habe gestern die Geschäftsstelle gebeten, Ihnen die Beweisthemen voll mitzuteilen, um Ihnen die Überprüfung zu ermöglichen inwieweit Sie hier als Anwältin Aussagen machen können. Wir haben von Ihnen gehört, als Sie heute früh telefonisch bestätigten, daß Sie befreit worden seien von der Schweigepflicht, daß es sich nur beziehe auf Punkt 1 des Beweisantrages.

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Ja, das ist richtig.

Vors.:

Die Verteidigung beantragt, Sie zu hören in diesem Punkte zu der Frage, ob Sie Herrn Müller ein Darlehen in Höhe von 7.000,- DM gewährt haben oder nicht.

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Ja, wenn ich dazu ausholen darf. Als ich Herrn Müller kennenlernte, die Verteidigung übernahm, befand er sich in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand, und wir haben dann vom Gericht die Erlaubnis erwirkt, ihm Vitamintabletten und ähnliche Dinge zukommen zu lassen und wir haben ihm vom, ich habe eine Aufstellung gemacht, die ich nachher überreichen kann, vom 4.11.1974 an derartige Dinge zukommen lassen, außerdem auch Zeitungen, zum Beispiel „Frankfurter Rundschau“, Mehle-Ordner, ähnliche Dinge, Bücher, die das Gericht ihm gestattet hatte. Am 21.3.75 war ein Betrag von 819,19 DM inzwischen aufgelaufen. An diesem Tag haben wir dann, am 3.4.75 haben wir dann vom „Stern“ 5.000,-- DM erhalten, die Herr Müller für ein Interview zu bekommen hatte, so daß er dann ein Guthaben wieder hatte in Höhe von 4.180,81 DM. In der Folgezeit sind dann insbesondere an ihn Kleidungsstücke übergeben worden, weil er nichts zum Anziehen hatte, Schuhe, Jacke, Pullover und ähnliches, und auch wieder Bücher. Und insbesondere ist ihm auch Geld überwiesen [11659] worden für Obst und Gemüse, daß er sich das zusätzlich in der Anstalt kaufen konnte. Wir haben dann nochmal einen Betrag erhalten in Höhe 200,- DM vom „Spiegel“ und 500,- DM vom „ZDF“ für irgendwelche Interviews, die Herr Müller gegeben hat, und inzwischen hat Herr Müller bei uns einen Betrag von 2.804,59 DM offen. Das habe ich mir, diese Zahlen habe ich mir von meinem Bürovorsteher übergeben lassen.

Vors.:

Das würde also bedeuten, daß juristisch gesehen kein Darlehen vorliegt, sondern daß Sie ihm immer wieder mit Beträgen oder Sachzuwendungen, die Sie Geld gekostet haben, geholfen haben und daß sich da ein gewisser Schuldenbetrag zusammengefügt hat.

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Das ist richtig.

Vors.:

Herr Müller hat nach der Aussage eines gestern hier vernommenen Zeugen, eines Journalisten, ihm gegenüber gesagt, er habe zum Teil auch gelebt auf Kredit „und diesen Kredit hat mir Frau Gottschalk-Solger gegeben, meine Rechtsanwältin. Jetzt habe ich bei ihr so ungefähr 7.000,- DM Schulden“. Das müsse alles bezahlt werden. Er hat also keine andere Darstellung, wenn ich das jetzt beurteilen kann, gegeben, was das Zusammenlaufen von Schulden anlangt, aber den Betrag hat er anders beziffert.

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Ja, da muß ich sagen, daß wir noch Honorarforderungen aus anwaltlicher Vertretung gegen ihn geltend machen. Wahrscheinlich hat er das zusammen genommen. Ich kann aber gern, ich glaube, ich habe die Beträge auch mit.

(nach einer kurzen Pause)[i] Nein, habe ich leider nicht. Aber wenn man alle Beträge zusammenzieht, die er von uns erhalten hat, dann ergibt das auch ungefähr diese Summe, wenn man dann wieder abzieht, was wir inzwischen erhalten haben. Also das hat er wahrscheinlich dann zusammengezählt.

Vors.:

So daß er also hier möglicherweise nach Ihren Vorstellungen die Gesamtbeträge im Auge hat, die Sie ihm geliehen haben oder vorgestreckt haben, ohne dabei aber wieder aufzurechnen, das, was inzwischen durch diese Honorare von seiten der[j] Zeitungen und des Fernsehens an ihn geflossen ist[k].

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Ja, das ist richtig.

Vors.:

Das war dieser Punkt. Wollen Sie von sich aus zu diesem Beweisthema noch irgendetwas sagen?

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Ja, ich würde vielleicht noch zur Klarstellung eins sagen. Es ist also jetzt inzwischen in Hamburg laufend verbreitet [11660] worden, ich hätte dieses Geld vom Staat erhalten, vom Staatsschutz, von der Polizei, um Herrn Müller zu unterstützen. Das entspricht natürlich keineswegs den Tatsachen. Das wollte ich nur zur Klarstellung vielleicht an diesem Orte noch einmal sagen. Wir haben also niemals einen Pfennig irgendwo von der Polizei bekommen, um es an Herrn Müller weiterzugeben, sondern wir haben auch anderen Mandanten, die in ähnlicher Lage waren, auch ausgeholfen mit Schuhen, Zeitschriften und ähnliches. Wobei das alles nachprüfbar ist, weil wir jeweils die Genehmigung vom Gericht eingeholt haben in Hamburg.

Vors.:

Dankeschön. Nun, die Punkte 2 und 3 möchte ich Ihnen nochmals bekanntgeben, damit Sie daraufhin nochmals sich erklären hier zu Protokoll, ob Sie dazu berechtigt sind, Aussagen zu machen oder ob Sie auch ohne eine eventuelle Berechtigung von sich aus dazu Angaben machen wollten. Sie sollen also bekunden können, daß Müller aus Pressehonoraren und ähnlichem cirka 50.000,- DM erwartet habe und außerdem, daß Ihnen gegenüber Müller erklärt habe, in der Zeit von seiner Verhaftung bis zum 7. Februar 1973 hätten verschiedene Beamte versucht, ihn zu Aussagen gegen die RAF zu bewegen. Der Beamte Wolf von der Sicherungsgruppe[14] Bonn habe ihm bedeutet, er werde auch finanziell gut wegkommen, wenn er aussagen werde; und ferner habe man Herrn Müller angedeutet, daß man auch anders könne, sofern er nicht aussage. Können Sie zu diesen weiteren Beweisthemen, nach dem, was Herr Müller Ihnen an Entpflichtung gegeben hat, Angaben machen?

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Nein, das darf ich nicht, ich möchte mich voll an die Schweigepflicht halten.

Vors.:

Auch soweit Sie privat die Möglichkeit, das heißt als Anwältin die Möglichkeit hätten, aus übergeordneten Gesichtspunkten trotzdem Aussagen zu machen.

Zeugin RA’in Go[ttschalk-Solger]:

Ja, ich halte die Schweigepflicht für so bedeutend, daß ich also keine übergeordneten Gesichtspunkte hier anerkennen würde.[15]

Vors.:

Dankeschön. Weitere Fragen an die Frau Zeugin? Ich sehe beim Gericht nein. Die Herren der Bundesanwaltschaft? Nicht. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann? Auch nicht.

Keine Einwendungen gegen die Vereidigung der Frau Zeugin? Nein.

[11661] Die Zeugin Gottschalk-Solger wird vorschriftsmäßig vereidigt und im allseitigen Einvernehmen um 14.42 Uhr entlassen.

Vors.:

Es war nun vorgesehen, heute Nachmittag noch die beiden Zeugen Schneider und Geisler zu hören. Es ist nicht gelungen, eine Entscheidung über die Aussagegenehmigung so rasch zu bewerkstelligen. Es ist aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen - mit mehr können wir ja hier auch nicht arbeiten, das sind die Auskünfte, die ich bekommen habe -, daß die Entscheidung gefallen sein wird, bis wir morgen Nachmittag um 14.00 Uhr die Zeugenvernehmung fortsetzen. Wir haben auch Aussichten, daß der Zeuge Wolf morgen Nachmittag um 14.00 Uhr zur Verfügung steht, so daß das gesamte Beweisprogramm mit Ausnahme noch der Entscheidung, die zu treffen ist bezüglich des erneuten Antrags der Vernehmung des Herrn Pohle, abgewickelt werden könnte morgen Nachmittag, so daß wir, und aus diesem Grunde muß die Sitzung auch morgen durchgeführt werden, immerhin mit der Möglichkeit rechnen können, das Antragsprogramm bis morgen ganz bescheiden, vielleicht sogar ganz erledigen zu können. Deshalb bitte ich also nochmals um Verständnis, daß wir morgen um 14.00 Uhr das versuchen. Und sollte die Entscheidung bis dahin nicht gefallen sein, es liegt dann jedenfalls nicht am Gericht.

Es wäre natürlich jetzt die Frage zu stellen, sind sonstige Anträge zu stellen, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann? Keine Anträge mehr. Bedeutet das keine Anträge mehr oder heute nicht?

RA Dr. He[ldmann]:

Das bedeutet nicht absolut keine Anträge mehr, aber es liegt kein Antrag, soweit ich weiß auch von Herrn Schily, vor, so daß heute kein Antrag und voraussichtlich auch morgen kein Antrag zu stellen sein wird.

Vors.:

Gut, dann wollen wir mal sehen, wie weit wir morgen kommen. Ich weise wie zum Schluß jeder Sitzung ... bittesehr, Sie wollten noch etwas ausführen, ich gebe meinen Hinweis dann erst zum Schluß.

RA Dr. He[ldmann]:

Ausdrücklich also noch einmal der Hinweis, es ist nicht die Voraussage, daß gar kein Antrag mehr kommen wird. In diesem Zusammenhang nämlich der möglicherweise doch beachtenswerte Hinweis an das Gericht, daß das Verwaltungsgericht Hamburg dem Polizeipräsidenten in Hamburg in Sachen Aussagegenehmigung für Herrn Opitz eine Frist gestellt hat bis Freitag, 12.00 Uhr, [11662] also übermorgen, 12.00 Uhr, mit verschiedenen Auflagen, zumindest aber glaubhaft[16] zu machen, weswegen die Aussageverweigerung nach [§ ]64 Hamburgisches Beamtengesetz nicht gegeben werden soll.

Vors.:

Nun, das ist natürlich der normale Vorgang im Zusammenhang mit Ihrer Rüge, die ja durch den Antrag auf einstweilige Anordnung erhoben worden ist, es sei zu Unrecht die Aussagegenehmigung nicht bewilligt worden. Es ist auch hier noch der Hinweis ausdrücklich zu geben: Eine Verkürzung der Rechte tritt nicht ein. Wenn die Verwaltungsgerichte noch innerhalb dieses Prozeßablaufes entscheiden, kann ja, selbst wenn die Plädoyers begonnen haben sollten, jederzeit wieder in die Beweisaufnahme im Bedarfsfalle eingetreten werden,[17] zumal sich ja eine zwangsläufige Pause zwischen den Ausführungen der Bundesanwaltschaft und denen der Herrn Verteidiger ergeben[l] wird, die dann gerade zu solchen Zwecken zusätzlich ausgenützt werden könnte. Aber ich möchte nochmals darauf hinweisen, ich tue das zunehmend mehr im Hinblick darauf, daß auch gedacht werden muß an prozeßuale Gesichtspunkte im Zusammenhang mit Verschleppung,[18] wenn Beweisanträge, die gestellt werden könnten, nicht rechtzeitig gestellt werden. Es läßt sich ja am Inhalt von Beweisantragen relativ leicht erkennen, ob das Anträge sind, die sich erst aus neu erhobenen Beweisen ergeben, oder ob es sich um Anträge handelt, die schon länger hätten gestellt werden können. Der Senat tritt insoweit noch, weil kein aktueller Anlaß im Augenblick besteht, nicht in eine Prüfung ein, aber der Hinweis muß gegeben werden. Ich bitte, das also sehr ernst zu nehmen, wenn der Senat immer wieder betont, daß die Anträge nicht Stück für Stück, sondern möglichst alle in dem Zeitpunkt gestellt werden, wo ersichtlich ist, daß sie gestellt werden sollen.

Damit sind wir am Ende des heutigen Sitzungsprogrammes. Fortsetzung morgen, 14.00 Uhr.

Ende der Hauptverhandlung um 14.46 Uhr.

Ende von Band 684.


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.). § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.

[3] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Im Unterschied dazu ist die Vereidigung von Zeug/innen heute nur noch die Ausnahme (§ 59 StPO).

[4] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 - Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).

[5] Der Zeuge Dierk Hoff, der in seiner Werkstatt einige der später von der RAF verwendeten Sprengkörperhüllen hergestellt hatte, wurde als einer der Hauptbelastungszeugen ab dem 68., sowie am 98. Verhandlungstag vernommen.

[6] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die Behauptung, Baader habe Barz erschossen, von Gerhard Müller aufgestellt worden sei, um Baader wahrheitswidrig zu belasten (s. den Beweisantrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 142. Verhandlungstag, S. 11467 des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Beweis der Unwahrheit dieser Tatsache sollte die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Müller insgesamt erschüttert werden (s. dazu etwa die Diskussion um den am 147.Verhandlungstag gestellten Beweisantrag, S. 11684 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den Angaben, die Müller über in diesem Zusammenhang gemacht haben soll, s. auch die Ausführungen des Vernehmungsbeamten KHK Opitz am 152. Verhandlungstag (S. 11855 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[7] § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die besonderen beamtenrechtlichen Bestimmungen, nach denen Beamt/innen und andere Personen des öffentlichen Dienstes zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (s. bereits Fn. 2) auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbestehen.

[8] In der Akte 3 ARP 74/75 I befanden sich Vernehmungsprotokolle mit Angaben des Zeugen Müller. Für diese Akte hatte der damalige Bundesjustizminister Vogel zunächst eine umfassende Sperrerklärung nach § 96 StPO („Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“) abgegeben. Die Verteidigung bemühte sich lange darum, Einblick in die Akte zu erhalten. Die Prüfung und Entscheidung darüber, die Sperrerklärung wieder aufzuheben, wurde später der Bundesanwaltschaft anvertraut (s. die Mitteilung des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 157. Verhandlungstag, S. 12215 des Protokolls der Hauptverhandlung). Am 158. Verhandlungstag gab die Bundesanwaltschaft schließlich nach erneuter Prüfung einen Großteil der Akte heraus (S. 12262 des Protokolls der Hauptverhandlung; s. zu den Vorgängen und Vermutungen rund um diese Akte auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 368 ff.). Am 159. Verhandlungstag wurde ein Schreiben des Bundesjustizministers bekanntgegeben, in welchem die letzten noch geheimhaltungsbedürftigen Passagen konkretisiert wurden (s. Anlage 2 zum Protokoll vom 9.11.1976, S. 12306 des Protokolls der Hauptverhandlung, 159. Verhandlungstag).

[9] Wird die Erteilung einer Aussagegenehmigung abgelehnt, so steht den Prozessbeteiligten hiergegen der Verwaltungsrechtsweg offen (BVerwG, Urt. v. 24.6.1982 - Az.: 2 C 91.81, BVerwGE 66, S. 39, 41). Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit, eine Aussagegenehmigung noch vor Abschluss des Strafverfahrens zu erhalten, kommt neben der Verpflichtungsklage auf Erteilung der Aussagegenehmigung zudem ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO in Betracht. Zu dieser Zeit waren verwaltungsrechtliche Klagen sowie Anträge auf einstweilige Anordnungen der Angeklagten Ensslin und Baader vor dem VG Köln bzw. dem VG Hamburg anhängig. Zum Antrag auf einstweilige Anordnung vor dem VG Köln s. Anlage 2 zum Protokoll vom 31. August 1976 (S. 11426 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 141. Verhandlungstag); der Antrag vor dem VG Hamburg befindet sich in Anlage 1 zum Protokoll vom 21. September 1976 (S. 11597 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 145. Verhandlungstag).

[10] Die Formulierung „Zeug/innen der Anklage“ bzw. „Zeug/innen der Verteidigung“ geht von einem adversatorischen Strafprozess aus, in welchem die Prozessbeteiligten, die sich als zwei Parteien gegenüberstehen, für die Beschaffung der ihnen günstigen Beweise selbst verantwortlich sind (Eser, in Schroeder/Kudtratov [Hrsg.], Die strafprozessuale Hauptverhandlung zwischen inquisitorischem und adversatorischem Modell, 2014, S. 11, 12 f.); dies ist im deutschen Strafprozess nicht der Fall. Vielmehr gilt hier der Untersuchungsgrundsatz, wonach das Gericht von Amts wegen zur umfassenden Wahrheitsermittlung verpflichtet ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Zeug/innen werden daher auch im Falle positiv beschiedener Beweisanträge durch den/die Vorsitzende/n geladen (§ 214 Abs. 1 StPO). Zudem stehen sich Anklagebehörde und Beschuldigte nicht als „zwei Parteien“ mit gegenläufigen Interessen gegenüber: Die Staatsanwaltschaft hat gem. § 160 Abs. 2 StPO „nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln“. Sie wird daher auch - häufig ironisch - die „objektivste Behörde der Welt“ genannt (ursprünglich zurückgehend auf ein Zitat von Franz von Liszt aus dem Jahr 1901, s. den Vortrag vor dem Berliner Anwaltsverein, DJZ 1901, S. 179, 180).

[11] § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. (heute: § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) ermöglicht die Wahrunterstellung für erhebliche Tatsachen, die zur Entlastung der Angeklagten bewiesen werden sollen.

[12] § 223 StPO ermöglicht die Vernehmung durch eine/n ersuchte/n oder beauftragte/n Richter/in, wenn dem Erscheinen von Zeug/innen in der Hauptverhandlung nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, oder ihnen das Erscheinen wegen großer Entfernungen nicht zugemutet werden kann. Die Vernehmung kann auch im Ausland stattfinden.

[13] Wegen Verletzung von Privatgeheimnissen macht sich nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm/ihr als Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Die Schweigepflicht wird ergänzt durch ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO. Eine Entbindung von der Schweigepflicht führt nach § 53 Abs. 2 StPO zu einer Aussagepflicht.

[14] Die Sicherungsgruppe ist eine Abteilung des Bundeskriminalamtes. Die SoKo B/M (Sonderkommission Baader/Meinhof) wurde 1971 als Teil der Sicherungsgruppe für Ermittlungen betreffend die RAF eingerichtet (Klaus, Sie nannten mich Familienbulle, 2008, S. 23).

[15] Die Rechtsanwälte Dr. Croissant und Ströbele hatten sich dazu entschieden, trotz der fehlenden Entbindung durch ihren (früheren) Mandanten Müller in begrenztem Umfang auszusagen, da er sie in seiner Aussage erheblich belastet hatte (s. dazu die vorbereitete Erklärung des Rechtsanwalt Ströbele, Anlage 6 zum Protokoll vom 27.7.1976, S. 10784 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 130. Verhandlungstag). Sie stützten sich dabei u.a. auf einen rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB. Danach ist ein tatbestandmäßiges Verhalten dann gerechtfertigt, wenn eine nicht anders abwendbare Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut, z.B. die Ehre, besteht und das geschützte Interesse das betroffene Interesse wesentlich überwiegt. Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht können so etwa gerechtfertigt sein, wenn die Offenbarung zur Verteidigung gegen unwahre Behauptungen erforderlich ist (Cierniak/Nierhaus, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 4, 3. Aufl. 2017, § 203 Rn. 89; s. auch Schünemann, in Jähnke/Laufhütte/Odersky [Hrsg.], Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6, 12. Aufl. 2010, § 203 Rn. 134, der für die Offenbarung von Geheimnissen des/der Angreifer/in selbst § 32 StGB [Notwehr] heranzieht). Die Offenbarung muss aber auf das zur Verteidigung erforderliche Maß beschränkt bleiben. Dies ist insbesondere der Fall in (Straf-)Verfahren gegen die zur Verschwiegenheit verpflichtete Person; aber auch zum Schutz Dritter vor strafrechtlicher Verurteilung wird § 34 StGB z.T. herangezogen (vgl. Cierniak/Nierhaus, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 4, 3. Aufl. 2017, § 203 Rn. 90).

[16] Die Glaubhaftmachung erfordert eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Es genügt, wenn das Gericht ein Vorbringen für überwiegend wahrscheinlich hält, wobei eine besondere Dringlichkeit und drohende Rechtsgutsbeeinträchtigungen oder sonstige Folgen der Entscheidung das erforderliche Maß der richterlichen Überzeugung noch in die eine oder andere Richtung verschieben können (Kuhla, in Posser/Wolf [Hrsg.], Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 55. Edition Stand 1.7.2020, § 123 Rn. 59 ff.).

[17] Auch nach ihrer Schließung bleibt ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme möglich. Der Wiedereintritt wird - auch konkludent - angenommen, sobald Verfahrensvorgänge durchgeführt werden, die für die Sachentscheidung des Gerichts von Bedeutung sein können; dies sind insbesondere Prozesshandlungen, die in den Bereich der Beweisaufnahme fallen, aber auch wenn sonst der Wille des Gerichts erkennbar wird, es wolle mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortführen. Dies kann bereits bei der Erörterung von Anträgen der Fall sein (BGH, Beschl. v. 5.2.2019 - Az.: 3 StR 469/18, NStZ 2019, S. 426 f. m.w.N.).

[18] Grundsätzlich haben die Verfahrensbeteiligten bis zum Beginn der Urteilsverkündung das Recht, Beweisanträge zu stellen, das Gericht ist zur Entgegennahme verpflichtet (BGH, Urt. v. 3.8.1966 - Az.: 2 StR 242/66, BGHSt 21, S. 118, 123). Beweisanträge, die zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt werden, konnten allerdings nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. abgelehnt werden. Der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppung wurde mit Wirkung zum 13.12.2019 durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (BGBl. I, S. 2121) aufgehoben; was allerdings nicht zur Folge hat, dass derartige Anträge nun ungehindert gestellt werden könnten; vielmehr sieht § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO vor, dass ein solcher Antrag nun gar nicht mehr durch förmlichen Beschluss abgelehnt werden muss. Zudem wurde mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017 (BGBl. I, S. 3202) die Möglichkeit geschaffen, Beweisanträge, die nach Ablauf einer zuvor gesetzten Frist gestellt werden, erst im Urteil zu bescheiden (§ 244 Abs. 6, Satz 2-5 StPO). Hierdurch sollte der Umgang mit verfahrensverzögernden Beweisanträgen vereinfacht werden (s. die Begründung in BR-Drs. 796/16, S. 34).


[a] Handschriftlich eingefügt: sind

[b] Maschinell eingefügt: bis

[c] Handschriftlich ergänzt: inwieweit

[d] Maschinell eingefügt: der

[e] Handschriftlich ergänzt: Arbeiten

[f] Maschinell eingefügt: habe

[g] Handschriftlich ersetzt: von durch mit

[h] Maschinell ersetzt: um durch wieder um

[i] Maschinell eingefügt: (nach einer kurzen Pause)

[j] Maschinell eingefügt: der

[k] Handschriftlich ersetzt: sind durch ist

[l] Handschriftlich ergänzt: ergeben