157. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 2. November 1976, um 9.04 Uhr



[12215] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 2. November 1976, um 9.04 Uhr

(157. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von OStA Holland - erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

Just. Ass. Clemens

Just. Ass. Scholze.

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind anwesend, Rechtsanwälte Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Grigat.

Als Zeugin ist anwesend:

Elise Collin.

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen.

Die Verteidigung ist gewährleistet.

Bevor wir uns Frau Collin zuwenden - sie ist schon anwesend -: Herr Rechtsanwalt Schlaegel hat sich für einige Minuten Verspätung entschuldigt; er ist abgehalten durch eine einstweilige Verfügung.

Wir haben die Akten Müller-Protokoll, Kaiserslautern,[2] inzwischen bekommen und lassen das ablichten, so daß wir es der Bundesanwaltschaft und den Herren Verteidigern zugänglich machen können. Es war gewünscht, und wir wollen der Verteidigung hier insoweit entgegenkommen. Es ist noch die Frage offen, wir haben ja seinerzeit uns beim Herrn Bundesjustizminister nach den Akten 3 ARP[3] erkundigt und haben dann die Antwort bekommen, daß die Prüfung, inwieweit hier eine Freigabe in Betracht käme, der Bundesanwaltschaft anvertraut worden sei. Wir haben bisher nichts davon gehört. Kann uns da irgendetwas dazu[a] mitgeteilt werden, wie die Dinge stehen?

[12216] OStA Z[eis]:

Herr Vorsitzender, in aller Kürze, die Prüfung, ob überhaupt etwas und gegebenenfalls was freigegeben werden kann, sind noch nicht ganz abgeschlossen. Diese Prüfung könnte aber wesentlich erleichtert werden, wenn klar erkennbar wäre, welche Aktenteile das Gericht hierbei im Auge hat.

Rechtsanwalt Geulen (als Vertreter von RA Schily) erscheint um 9.06 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Nun, es ist an sich so, der Antrag ist von der Verteidigung, gerade von Herrn Rechtsanwalt Geulen gestellt worden. Es handelt sich um die 3 ARP-Akten, Herr Rechtsanwalt Geulen. Der Antrag war nach dem Stand der Dinge an sich auf etwas unmögliches gerichtet, weil ja dieser Sperrvermerk vorhanden ist. Und unsere Anfrage diente eigentlich nur der Aufklärung, ob der Sperrvermerk, nachdem der Generalbundesanwalt ja eine Aussagegenehmigung[4] bekommen hat, die schon in den Bereich dieses Sperrvermerks hineinging, ob dieser Sperrvermerk noch voll gültig ist.

Rechtsanwalt Pfaff (als Vertreter von RA Dr. Heldmann) erscheint um 9.06 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Der Senat hat damit an sich nicht entschieden, daß diesem Antrag jetzt irgendwie schon positiv stattgegeben werden würden oder müsste, sondern wir wollten nur mal die Dinge vorklären. Wobei zu sagen ist, das Gericht selbst hat an diesen Akten auch kein unmittelbares Interesse; und wenn die Frage an uns gerichtet ist, sie müsste eigentlich die Verteidiger berühren. Wir können uns nur vorstellen, daß die Dinge aus den Akten hier die Herren Verteidiger interessieren können, die Gegenstand der Vernehmung Müller waren. Das wären also, soweit ich die Dinge noch im Kopfe habe, die Vorbereitung und die Durchführung der Sprengstoffanschläge und der Beteiligung unserer hier Angeklagten und dabei auch der Komplex Hoff = „Pfirsich“.[5] Es wäre wohl weiter noch zu denken, an den Komplex „Fortsetzung der kriminellen Vereinigung aus der Haft heraus“,[6] auch dazu ist Herr Müller befragt worden. Und schließlich, durch die neuerlichen Anträge scheint indes ein bißchen Mittelpunkt des Interesses der Verteidigung auch der Komplex „Barz“,[7] den ja möglicherweise Herr Müller damals auch erwähnt hat, - wir kennen [12217] die Akten nicht, - die Verteidiger zu interessieren. Ich kann mir nicht denken, daß die Herren Verteidiger weitere Gesichtspunkte hätte bezüglich dieser Akten. Ist das richtig, wie ich das ansehe?

RA Geu[len]:

Darf ich fragen, Herr Vorsitzender. Ist es richtig, daß das Ergebnis Ihrer Anfrage war, daß der Sperrvermerk aufgehoben worden ist oder habe ich das jetzt falsch verstanden?

Vors.:

Nein, nein; das ist unrichtig. Es ist so, Sie hatten damals diesen Antrag ja wiederholt gestellt. Sie haben darauf hingewiesen, daß der Senat diesen Antrag seinerzeit schon abgelehnt hat. Wir haben dann aber doch, nachdem Sie ihn wiederholt gestellt haben und auf die Aussagegenehmigung des Herrn Generalbundesanwalts hingewiesen haben, mal die Vorfrage gestellt, ob überhaupt dieser Sperrvermerk noch, nachdem diese Aussagegenehmigung erteilt worden war, in vollem Umfange gelte und ob man uns nicht die Akten, mindestens das, was hier interessiere, überlassen könne; also eine neue Prüfung angeregt, ohne damit über den Antrag selbst schon zu entscheiden. Und der Stand der Dinge ist, wie wir gerade gehört haben, daß noch geprüft wird, ob an diesem Sperrvermerk irgendetwas eingeschränkt werden kann. Ich habe jetzt die Punkte benannt, zu denen Müller hier gehört worden ist, und das scheint uns das Interessengebiet der Verteidigung zu sein, das überprüfen zu können, was da Müller dazu früher gesagt hat. Ist das korrekt?

RA Geu[len]:

Herr Vorsitzender, der Punkt ist ja der, daß natürlich von unserer Seite erwogen würde oder sogar beabsichtigt wäre, falls der Sperrvermerk aufrechterhalten bleibt, obwohl ja die Aussagegenehmigung für Herrn Generalbundesanwalt Buback sich auch auf diese Akten 3 ARP 74/75 bezieht, nach unserer Meinung also gar kein - von anderen Gesichtspunkten noch mal abgesehen - noch gar kein Anlass dazu besteht und auch gar kein Recht dazu besteht, diesen Sperrvermerk aufrechtzuerhalten und dem Gericht und damit auch den anderen Prozeßbeteiligten diese Akten vorzuenthalten, daß von unserer Seite doch beabsichtigt wäre durch Beantragung einer einstweiligen Anordnung, wie auch im Fall der Aussagegenehmigung von Herrn Generalbundesanwalt Buback, diesen Sperrvermerk aufheben zu lassen bzw. zu erreichen, daß die Akten auf diese Weise, nämlich über das Verwaltungsgericht[8] uns zugänglich gemacht würden. Das würde aber voraussetzen, daß [12218] wir wüssten, daß der Sperrvermerk noch aufrechterhalten wird, aufrechterhalten bleibt, weil andernfalls ja ein Rechtschutzbedürfnis dann nicht besteht.

Vors.:

Nur, es war jetzt die Frage, die Bundesanwaltschaft, die nach der Auskunft des Bundesjustizministeriums mit der Prüfung beauftragt ist, hat sich ja jetzt erkundigt, welche Aktenteile davon interessieren. Ich habe sie skizziert, nach dem, was ich glaube, was Gegenstand der Vernehmung von Herrn Müller gewesen ist. Sind Sie damit einverstanden, mit dieser Skizzierung, Sprengstoffanschläge und der Beteiligung unserer Angeklagten, einschließlich Komplex „Hoff“, „Fortsetzung der kriminellen Vereinigung aus der Haft“ und Komplex „Barz“.

RA Geu[len]:

Ja, unser Antrag war darauf gerichtet - formell - diese bestimmte Akte, die wir aktenzeichenmäßig bestimmt hatten, heranzuziehen, weil sie nach unserer Auffassung zu den Akten zählt, die eben vom Gericht herangezogen werden müssen. Ich sehe jetzt nicht ganz, wieso eine inhaltliche Abgrenzung und Bestimmung erforderlich ist, wo wir das formal genau abgegrenzt haben. Ob damit etwa eine Einschränkung dieses Antrags verbunden wäre.

Vors.:

Nun, das ist die Frage, ob ... Nicht wahr, die Frage, die die Bundesanwaltschaft stellt nach dem inhaltlichen Interesse, die müsste sich an die Verteidigung richten, weil ja die Verteidigung auf diese Akten Wert legt. Sie sollten uns aber jetzt klar sagen, ob Sie diese inhaltliche Abgrenzung, die, wie die Bundesanwaltschaft gerade andeutet, die Prüfung erleichtern würde, ob die zutrifft oder ob Sie einfach auf den ganzen Aktenbund so, wie er vorhanden ist, Wert legen.

RA Geu[len]:

Nach unserer Kenntnis, die sich vor allem aus dieser Beweisaufnahme ergibt, auch aus der Vernehmung des Zeugen Buback etwa, nach unserer Kenntnis sind das Vernehmungsakten des Zeugen Müller, die sich auf Straftaten beziehen, die hier angeklagt sind und auf Straftäter beziehen, die hier angeklagt sind oder Angeklagte hier beziehen, und deshalb haben wir diese gesamte Akte beantragt. Ich sehe jetzt nicht, was wir weiter dazu darlegen sollten[b] oder etwa eine weitere Bestimmung, eine inhaltliche Bestimmung. Es ist eindeutig, daß diese Akten, wenn das, was ich unterstellen muß, stimmt, daß diese Akten vom Gericht herangezogen werden müssen,[9] wenn der Sperrvermerk nicht mehr besteht. Wir können nur anregen und bitten, daß der Sperrvermerk auf diese Weise aufgehoben wird, nachdem Herr Buback schon darüber [12219] aussagen durfte, weil wir andernfalls wieder vor das Verwaltungsgericht Köln gehen müssten.

Vors.:

Also Sie legen nach wie vor auf die ganzen Akten pauschal Wert?

RA Geu[len]:

Ja.

Vors.:

Sonstige Äußerungen dazu?

Herr Rechtsanwalt Pfaff.

RA Pf[aff]:

Ja, ich schließe mich dieser Auffassung an, weil sich das allein daraus erklärt schon, daß es ja um die Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller geht und man die Überprüfung dieser Glaubwürdigkeit im Kontrast mit früheren oder späteren Aussagen oder Aussagen anderer Personen ja nicht einfach eingrenzen kann auf die Themen, die Sie vorher benannt haben. Das ist der Grund dafür, weshalb die gesamten Akten zunächstmal vorgelegt werden müssen.

Vors.:

Wir werden dann über den Antrag noch zu entscheiden haben. Ich habe also versucht, es abzugrenzen in Vollzug dessen, was Sie gerade angedeutet haben, daß das erleichtert; die Verteidiger sind aber damit offensichtlich nicht einverstanden und beharren auf den vollen Antrag.

Bitte.

RA Geu[len]:

Ob man nicht der Bundesanwaltschaft die Frage stellen könnte, wann sie denken, wann sie mitteilen könnten, ob der Sperrvermerk aufgehoben wird[c]. Wenn Sie es nicht sagen können, dann ...

OStA Z[eis]:

Herr Rechtsanwalt Geulen, sobald wie möglich. Ich habe gute Hoffnung, daß es noch im Laufe dieser Woche sein kann.

Vors.:

Wir müssen ja ohnedies von Gerichts wegen noch über den Antrag, wie er jetzt gestellt ist und nochmals bestätigt worden ist, dann entscheiden. Denn, wie gesagt, unsere Anfrage sollte an sich nur eine Vorklärung sein.

Jetzt, glaube ich, können wir uns Frau Collin zuwenden.

Die Zeugin Collin wird gemäß § 57 StPO[10] belehrt.

Die Zeugin Collin ist mit der Aufnahme ihrer Aussage auf das Gerichtstonband einverstanden.[11]

[12220] Die Zeugin Collin macht folgende Angaben zur Person:

Elise Collin,

geb. am [Tag].[Monat].1909, Hausfrau, früher Gastwirtin, wohnh. in Kaiserslautern,

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert.

Wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Frau Collin, am 22.12.1971, das ist wohl ein Mittwoch gewesen, ist, wie bekannt ist, in der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank in Kaiserslautern ein Banküberfall verübt worden.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Sie sind wohl Augenzeuge des Vorgangs geworden, zumindest zum Teil. Und uns interessiert, ob Ihnen dabei ein VW-Bus aufgefallen ist?

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Wüssten Sie heute noch die Farbe dieses VW-Busses?

Zeugin Co[llin]:

Ja, rot.

Vors.:

Rot. Um den Wagen dreht es sich. Und wir wollen hier mit Ihnen besprechen, ob Sie sich noch an die Person, die diesen roten VW-Bus gefahren hat,[12] erinnern können.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Wenn Sie uns die Person versuchen zu schildern, Mann, Frau, Aussehen?

Zeugin Co[llin]:

Ja, das kann ich.

Vors.:

Alles, was Sie da noch wissen.

Zeugin Co[llin]:

Ja. Soll ich das?

Vors.:

Ja, bitte, beginnen Sie.

Zeugin Co[llin]:

Ja. Er war, glaube ich, dunkelblond, hatte so ¾ langes Haar, einen ziemlich langen Gesichtsbart.

Vors.:

Also Sie sagten „er“, daraus lässt sich schließen, daß Sie einen Mann glaubten gesehen zu haben.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Mittelblondes Haar, sagten Sie?

Zeugin Co[llin]:

Nein, dunkelblondes ...

Vors.:

Dunkelblondes Haar.

Zeugin Co[llin]:

... so etwas in rötlich; dunkelblond kann man sagen.

Vors.:

Und ¾ lang?

Zeugin Co[llin]:

¾ lang, und einen langen Gesichtsbart.

[12221] Vors.:

Sonst noch irgendetwas, was Sie heute von Ihrem Erinnerungsgedächtnis haben?

Zeugin Co[llin]:

Ich glaube, er trug so eine beige, könnte dunkelbeige gewesen sein, eine Jacke, so eine, so kann ich mich erinnern; so eine Art Windjacke, wie man das nennt. Ich weiß nicht, wie bei den Herren sich da ...

Vors.:

Sind Sie sich nun, wir wollen also gerade nochmals bei der Person beginnen, sicher, daß es sich Ihrem Eindruck nach um einen Mann gehandelt hat?

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Das schließen Sie aus was?

Zeugin Co[llin]:

Einmal, weil er männlich gekleidet[d] war und das ganze Aussehen sah nach einem Mann aus, nicht?

Vors.:

Wenn Sie nun sagen, die Haare ¾ lang. Können Sie das näher beschreiben? Ist das für Sie ...

Zeugin Co[llin]:

Nein, nicht bis auf die Schultern, nicht ganz auf die Schulter, nicht auf die Schulter hängend, nein, nein.

Vors.:

Wo endet das ¾ lang, wenn man es an den ...

Zeugin Co[llin]:

Ja, Gott ...

Vors.:

So etwa, wie Sie es schätzen.

Zeugin Co[llin]:

Ende des Gesichts vielleicht, so.

Vors.:

Mit der Kinnpartie, Kinnbacken.

Zeugin Co[llin]:

So ungefähr, nicht?

Vors.:

Haben Sie ...

Zeugin Co[llin]:

Also der Gesichtsbart war länger.

Vors.:

Der Gesichtsbart.

Zeugin Co[llin]:

War länger.

Vors.:

Sie verstehen offenbar unter einem Gesichtsbart einen Bart, der von den Ohren abwärts zum Kinn läuft.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Haben Sie einen Schnauzbart gesehen?

Zeugin Co[llin]:

Nein.

Vors.:

Einen Kinnbart?

Zeugin Co[llin]:

Nein.

Vors.:

Können Sie sich erinnern, ob die Person irgendetwas im Gesicht getragen hat?

Zeugin Co[llin]:

Nein, da[e] nicht.

Vors.:

Zum Beispiel eine Brille?

Zeugin Co[llin]:

Nein.

Vors.:

Sind Sie sich sicher?

[12222] Zeugin Co[llin]:

Da bin ich sicher.

Vors.:

Keine Brille. Könnten Sie ...

Zeugin Co[llin]:

Denn ...

Vors.:

Verzeihung.

Zeugin Co[llin]:

Denn bis dahin war ich ja noch ganz klar. Ich bin nachher erst zusammengebrochen, nicht. Aber das habe ich mir ganz genau gemerkt.

Vors.:

Keine Brille sagen Sie dann.

Zeugin Co[llin]:

Nein.

Vors.:

Könnten Sie, das wird sicher sehr schwierig sein, die Person ihrer Statur nach schätzen?

Zeugin Co[llin]:

Wie meinen Sie das, bitteschön?

Vors.:

War das eine kräftige Statur, könnten Sie ...?

Zeugin Co[llin]:

Nein, das glaube ich nicht.

Vors.:

Glauben Sie nicht.

Zeugin Co[llin]:

Nein, daß er besonders kräftig war, nein.

Vors.:

Meinen Sie nicht.

Zeugin Co[llin]:

Nein.

Vors.:

Und die Gesichtsform?

Zeugin Co[llin]:

Ach Gott ...

Vors.:

Breites Gesicht, schmales Gesicht, rund, lang?

Zeugin Co[llin]:

Ja, nicht so vollbackig, mehr schmal, nicht so voll[f].

Vors.:

Aus welcher Distanz haben Sie Ihre Beobachtungen gemacht?

Zeugin Co[llin]:

Wie bitte?

Vors.:

Aus welcher Entfernung haben Sie Ihre Beobachtungen gemacht?

Zeugin Co[llin]:

Ich stand direkt davor.

Vors.:

Wie würden Sie schätzen?

Zeugin Co[llin]:

½ Meter.

Vors.:

½ Meter?

Zeugin Co[llin]:

Ja. Ich stand direkt am Wagen.

Vors.:

Dann müssten Sie ja sogar eigentlich die Augenfarbe angeben können, wenn Sie sich noch daran erinnern?

Zeugin Co[llin]:

Ja, kann ich auch, ganz dunkel.

Vors.:

Ganz dunkle Augen.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Könnten Sie sagen, ob die Haare gepflegt waren, ob sie echt waren?

Zeugin Co[llin]:

Das kann ich nicht behaupten, ob es eine Perücke war, aber ich dürfte[g] sagen gepflegt.

Vors.:

Gepflegte Haare?

[12223] Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Und haben Sie irgendeinen Eindruck bekommen, ob es sich um die echten Haare handelt oder könnte das eine Perücke beispielsweise gewesen sein?

Zeugin Co[llin]:

Nein, davon wäre das kein ... ich nehme eher an, daß das echte Haare war, ich weiß es nicht.

Vors.:

Sie nehmen an, daß das echte Haare gewesen sind.

Zeugin Co[llin]:

Ich weiß es nicht.

Vors.:

Sie tragen eine Brille. Trugen Sie damals auch eine?

Zeugin Co[llin]:

Wie bitte?

Vors.:

Sie tragen eine Brille ...

Zeugin Co[llin]:

Nein, nein, die habe ich erst in den letzten 2 Jahren. Die brauche ich auch nicht, die habe ich nur, daß ich Sie gut erkennen kann.

Vors.:

Und wie war Ihr Sehvermögen damals?

Zeugin Co[llin]:

Auch gut, sehr gut.

Vors.:

Sehr gut gewesen.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Wann hat sich das Sehvermögen verschlechtert, so daß Sie jetzt ...?

Zeugin Co[llin]:

Ach nein, das brauche ich gar nicht. Ich kann auch so, ohne Brille, dies ist eine Weitbrille. Ich bin auch[h] Autofahrerin und hab sie mir verschreiben lassen, also daß ich besser, fürs Blenden und so, fürs Licht.

Vors.:

Ich meine also so, wie man die Brille taxieren kann, müssten Sie kurzsichtig sein, nicht weitsichtig?

Zeugin Co[llin]:

Nein, bin ich nicht.

Vors.:

Nicht?

Zeugin Co[llin]:

Nein., das ist ja eine Weitbrille. Nein, kurzsichtig bin ich nicht.

Vors.:

Ist es nicht so, daß Sie, oder haben Sie später einmal an Versuchen teilgenommen, durch Gegenüberstellungen mit mehreren Personen, die betreffende Person, die den Wagen gefahren hat, wiederzuerkennen?

Zeugin Co[llin]:

Ob ich den Versuch gestellt hab? Nein, nein.

Vors.:

Ob Sie an dem Versuch teilgenommen haben?

Zeugin Co[llin]:

Nein, nein. Ich bin dann zusammengebrochen, ich bin im Krankenhaus gelandet, ich bin da laufen gegangen. Ich wusste da überhaupt nicht, daß da eine Hypo-Bank war, ich war erst 1, 2 Monate, ich wohnte gar nicht in Kaiserslautern.

Vors.:

Später, Frau Collin, ich meine nach längerer Zeit möglicherweise.

[12224] Zeugin Co[llin]:

Bitte was?

Vors.:

Nach längerer Zeit möglicherweise, sind Sie da mal beteiligt gewesen an einer sogenannten Gegenüberstellung, wo Ihnen mehrere Personen ...?

Zeugin Co[llin]:

Gegenübergestellt worden? Oh, ja. Einmal in Hamburg, einmal in Zweibrücken und jetzt hier; also gegenüber nicht, also das dritte Mal, daß ich dazu geladen bin.

Vors.:

Wissen Sie noch wann das gewesen ist?

Zeugin Co[llin]:

In Hamburg?

Vors.:

Hamburg beispielsweise.

Zeugin Co[llin]:

Das Datum kann ich bei beiden nicht mehr genau sagen. Hamburg, das muß noch, das muß 72 gewesen sein, im Sommer, glaube ich.

Vors.:

Wir haben hier das Datum vorliegen, danach müsste es im April gewesen sein. Könnte das stimmen?

Zeugin Co[llin]:

Ja, das kann sein.

Vors.:

Und in Zweibrücken, war das früher oder später?

Zeugin Co[llin]:

Nein, Zweibrücken, da schien noch die Sonne so, das muß Sommer gewesen sein, da ist mir die Sonne so furchtbar ins Gesicht ...

Vors.:

In Zweibrücken?

Zeugin Co[llin]:

In Zweibrücken, ja ...

Vors.:

Dem hier vorliegenden Datum nach, müsste es der November gewesen sein.

Zeugin Co[llin]:

Nun ja ...

Vors.:

Könnte das auch sein?

Zeugin Co[llin]:

Kann alles stimmen; es muß ja stimmen.

Vors.:

Also, wenn Ihre heutige Aussage richtig ist, müssten Sie damals im November 72 auch noch ordentlich gesehen haben ohne Schwierigkeiten?

Zeugin Co[llin]:

Natürlich, ja.

Vors.:

Nun möchte ich Ihnen bekanntgeben aus dem Ord. 43, Bl. 322/96, hier liegt ein Vernehmungsprotokoll vor, daß sich angeschlossen hat an diese Gegenüberstellung, unterschrieben von Ihnen. Und hier heißt es drinnen, Sie haben die und die Person hier erkannt: „Ich kann dies jedoch nicht mit Sicherheit sagen, da ich kurzsichtig bin.“

Zeugin Co[llin]:

Kurzsichtig bin?

Vors.:

„Da ich kurzsichtig bin.“

Zeugin Co[llin]:

Ja, das war dieses blendend von diesen Augen, deswegen [12225] habe ich auch ... diese Sonne blendete so furchtbar, aber das war dieser Angeklagte.

Vors.:

Sie sagten damals: „Da ich kurzsichtig bin und durch[i] das im Raum herrschende Zwielicht irritiert wurde ...“

Zeugin Co[llin]:

Ja, das kann möglich sein. Also kurzsichtig bin ich nicht, also wenn ich das geschrieben habe, dann stimmt das.

Vors.:

Wie kommt es dann zu der Aussage „Da ich kurzsichtig bin ...“, wenn Sie das gesagt haben sollten, aber es scheint also diese ganz kurze Vernehmung ...

Zeugin Co[llin]:

Aber ich habe den Mann erkannt, ich wollte ... ich habe Angst gehabt, schon die ganze Jahre, denn es ist ... und ich bin da immer wieder, ich habe da sehr Angst gehabt.

Vors.:

Sie haben den Mann erkannt, der damals am Steuer gesessen ist bei dieser Vernehmung, trotzdem, meinen Sie.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

Vors.:

Dann muß ich Ihnen bekanntgeben, nach diesen vorliegenden Unterlagen haben Sie den Mann, auf den es damals ankommen sollte, nicht erkannt, der möglicherweise beteiligt war, sondern ...

Zeugin Co[llin]:

Ja, ich habe das geschrieben wegen dieser Sonne, daß ich nicht so richtig ... Ich muß ja sehr sehr aufpassen, was ich sage und wegen dieser Sonne, die hat mich wirklich, die schien so furchtbar, die blendete so furchtbar und wie er[j] reingeführt wurde, blendete mir das so furchtbar ins Gesicht rein, so daß ich lieber ein bißchen ...

Vors.:

Wichtig ist vor allen Dingen, daß Sie uns heute, nach Ihrem Eindruck sagen, es sei ein Mann gewesen.

Zeugin Co[llin]:

Ja, das möchte ich ...

Vors.:

Und dessen sind Sie sich sicher?

Zeugin Co[llin]:

Bitte?

Vors.:

Sind Sie sich dessen sicher?

Zeugin Co[llin]:

Ja, daß es ein Mann war.

Vors.:

Sind an die Frau Zeugin sonstige Fragen?

Sind weitere Fragen an die Frau Zeugin?

Weitere Fragen an die Frau Zeugin? Die Herren der Bundesanwaltschaft?

Herr Bundesanwalt Zeis.

OStA Z[eis]:

Frau Collin, Sie haben vorhin gesagt, Sie seien anschließend ins Krankenhaus gekommen. Haben ich Sie da richtig verstanden?

[12226] Zeugin Co[llin]:

Ja.

OStA Z[eis]:

Darf ich fragen weswegen?

Zeugin Co[llin]:

Weil ich auf der Straße wiederholt zusammengebrochen bin. Ich bin dann, als er das zweite Mal auf den Beamten geschossen hat, ich wollte erst noch hinspringen und dem Beamten helfen und als er das zweite Mal auf ihn geschossen hat, bin ich dann laufen gegangen und bin dann über einen Bordstein gestolpert und bin dann hingefallen, und ein Herr hat mich noch aufgehoben - auch ein vornehmer Herr war das - und meinte noch: „Da haben Sie doch nichts mit zu tun und regen sich auf“. Aber ich da noch bei Verstand und guck mich um ein bißchen und seh, wie dieser rote Wagen schon wieder kommt und mit dem Gedanken bin ich hingefallen, jetzt will er dich noch überfahren. Ich bin wieder gestolpert. Das war Angst. Ich bin drei, vier Mal gestolpert; und mit dem Gedanken, jetzt überfährt er dich, aber er hat mich nicht überfahren, sondern ich kann die ganze Route genau beschreiben, wie er gefahren ist. Aber dann bin ich über einen Platz gelaufen und da konnte ich nicht mehr, und dann sind mir zwei Männer entgegengekommen, die mich dann trösteten und ich weiß nicht, ich war durcheinander, und in dem Moment kam auch schon die Polizei. Und ich konnte nur noch rufen, „Polizei erschossen“, und denen die Route zeigen, wie die gefahren sind mit dem Wagen. Und dann kam auch schon gleich hinterher ein Krankenwagen, da hat man mich in so eine Kneipe reingebracht und da kam ein Krankenfahrer und hat mich dann ins Krankenhaus gebracht. Aber ich bin aber auch, an demselben Tag wollte ich selbst wieder entlassen werden, nicht. Es war nur der furchtbare Schock. Die haben mir dann da ein paar Spritzen gegeben ...

OStA Z[eis]:

Frau Collin, erinnern Sie sich, daß Sie mit dem Kopf aufgeschlagen sind?

Zeugin Co[llin]:

Ja, das glaube ich bestimmt. Also nun nicht mit dem Kopf, daß so der Kopf direkt, also nein, das kann ich nicht sagen. Das kann ich auch nicht so genau, [k] das ist[l] möglich. Ich bin ja ein paarmal gefallen, ich bin ja dreimal gefallen.

OStA Z[eis]:

Darf ich kurz nochmal zurück, zu dem Herrn, der Sie, wie Sie eben gesagt haben, kurz angesprochen hat und zu Ihnen gesagt hat, Sie sollten keine Angst haben, sinngemäß.

Zeugin Co[llin]:

Ja.

OStA Z[eis]:

Ist das richtig?

[12227] Zeugin Co[llin]:

Ja. „Ihnen passiert doch nichts“, hat er gesagt; und hat mir meine Handtasche noch gegeben. Ich bin so hingefallen, meine Handtasche, meinen Schirm, es an dem Tag so ein Nieselwetter, ein ziemlich nieseliges Wetter war da noch, und meinen Schirm hat er mir gegeben und meine Tasche und das habe ich so genommen und ... gar nicht so, nicht umgeguckt, bin so gelaufen, ich weiß es gar nicht so richtig. Ich bin dann wieder hingefallen, also überm Fallen sah ich diesen roten Wagen schon kommen und dachte, jetzt will er dich totfahren.

OStA Z[eis]:

Haben Sie diesen Herrn, der Sie da ...

Zeugin Co[llin]:

Das war derselbe Mann, der auch geschossen hat, der saß am Steuer mit diesem Wagen. Ich habe noch so, den habe ich mir so genau in die Augen eingeprägt, das wollte ich noch.

OStA Z[eis]:

Ja, soll das der Mann gewesen sein, der Sie[m] anschließend aufgehoben hat?

Zeugin Co[llin]:

Nein, nein, der am Steuer saß, der geschossen hat.

OStA Z[eis]:

Ja. Jetzt interessiert mich der Mann, der Sie aufgehoben hat, der zu Ihnen gesagt, Sie sollen keine Angst haben.

Zeugin Co[llin]:

Das weiß ich gar nicht wer das war. Es war ein vornehmer Herr, den Eindruck hatte ich. Er war sehr gut gekleidet und sprach mich[n] in einer Sprache so, das merkt man ja schon, nicht. Also es war in meinen Augen ein sehr gebildeter Herr.

OStA Z[eis]:

Haben Sie diesen Herrn nachher irgendwo nochmal gesehen?

Zeugin Co[llin]:

Nein, habe ich nicht mehr gesehen.

OStA Z[eis]:

Auch nicht im Fernsehen?

Zeugin Co[llin]:

Bitte?

OStA Z[eis]:

Auch nicht im Fernsehen?

Zeugin Co[llin]:

Ja, ich habe es mir mal eingebildet ...

OStA Z[eis]:

Sie haben ...

Zeugin Co[llin]:

... aber ich kann es nicht behaupten.

OStA Z[eis]:

Sie haben sich mal ...

Zeugin Co[llin]:

Aber das ...

OStA Z[eis]:

Sie haben sich mal, darf ich gerade mal wiederholen, Sie haben sich mal eingebildet diesen Herrn im Fernsehen nochmal erkannt zu haben?

Zeugin Co[llin]:

Ja, aber das kann ich nicht behaupten.

OStA Z[eis]:

Und was war das für ein Herr?

Zeugin Co[llin]:

Es war derselbe Typ und so was, jedenfalls in jenem Moment, ich habe nur mich - ich bin allein - ich habe nur für [12228] mich alleine gesagt, mein Gott, das ist ja der, der dich da aufgehoben hat.

OStA Z[eis]:

Wissen Sie ...

Zeugin Co[llin]:

Für mich allein, ich war da gerade alleine.

OStA Z[eis]:

Wissen Sie um wen es sich gehandelt hat im Fernsehen?

Zeugin Co[llin]:

Nein, das weiß ich wirklich nicht[o].

OStA Z[eis]:

Haben Sie nicht mal angenommen, es sei ein Professor?

Zeugin Co[llin]:

Ja, denn dieser Herr, der wurde als Professor sowieso im Fernsehen genannt, dann habe ich mir das so[p] angenommen, aber wiederholt behaupte ich, das kann ich nicht behaupten, aber es war derselbe Typ.

OStA Z[eis]:

Frau Collin, wir haben hier ja schon mehrere Zeugen gehabt, die zu diesem Komplex ausgesagt haben. Haben Sie eine Erklärung dafür, daß diese Zeugen den Fahrer, wobei ich offenlasse, ob weiblich oder männlich, bisher noch nie mit einem Kinnbart versehen.

Zeugin Co[llin]:

Mit was?

OStA Z[eis]:

Mit einem Kinnbart versehen bezeichnet hat.

Zeugin Co[llin]:

Hat er auch nicht gehabt, den ich gesehen habe, daß habe ich ...

OStA Z[eis]:

Einen Backenbart, pardon.

Zeugin Co[llin]:

Nur ein Gesichtsbart oder einen Backenbart, wie sich das nennt.

OStA Z[eis]:

Es waren also insgesamt drei Zeugen ...

Zeugin Co[llin]:

Hatte hier keinen ...

OStA Z[eis]:

Ja. Es waren also insgesamt drei Zeugen und keiner hat einen Bart gesehen.

Zeugin Co[llin]:

Nein, ich auch nicht.

OStA Z[eis]:

Sie haben auch keinen Bart gesehen?

Zeugin Co[llin]:

Nur den Gesichtsbart, hier. Wie nennt man das hier?

Vors.:

Einen Backenbart, lange Koteletten oder wie Sie es bezeichnen.

Zeugin Co[llin]:

... Koteletten, die waren länger, länger und etwas breiter.

OStA Z[eis]:

Wieweit gingen die Koteletten denn[q] etwa in das Gesicht rein?

Zeugin Co[llin]:

Ja, fast bis, fast bis am Ende des Gesichts.

OStA Z[eis]:

Frau Collin, nochmals auf die anderen Zeugen. Diese Zeugen haben uns, zumindest zwei, gesagt, die Person, die im Wagen gesessen hätte, hätte eine Brille aufgehabt. Einer der Zeugen hat gesagt, sogar eine große, runde Brille.

[12229] Zeugin Co[llin]:

Das kann überhaupt nicht stimmen, weil ich einmal allein dabeistand, ganz allein. Ich war gegenüber in der Kreissparkasse, ich ließ mir von ... etwas Geld kommen, weil es 2 Tage vor Weihnachten war oder drei und wollte ein Geschenk machen und habe Geld geholt, und da sah ich, wenn ich es ganz genau erzählen sollte ... Ich bekam sofort mein Geld an der ersten Kasse, es war um 8.00 Uhr, morgens, bekam sofort mein Geld an der ersten Kasse, direkt so, was ich haben wollte und stehe in der Türe und da sehe ich, wenn ich es von Anfang erzählen sollte ... Ich bin selbst Autofahrerin, da sehe ich auf der anderen Seite ... So gesagt, ich kannte keine[r] Hypo-Bank. Ich wusste gar nicht, daß da eine Bank war. Ich habe mich von einer anderen Dame führen lassen. Ich hatte meinen Wagen in die Königstraße gestellt und habe mich von einer Dame hinführen lassen, zu der Kreissparkasse, das wusste ich auch nicht wo die war. Und dann sah ich nur, daß da ein roter VW-Bus das Halteverbot überfahren hat. Und da ist nur ein ... und am Halteverbot angefahren ist, da ist bloß das Trottoir, ist vielleicht höchstens, es ist, glaube ich, keinen ganzen Meter, es ist ½ Meter bloß, ist ein Gehweg bloß. Da ist kein richtig, breites Trottoir. Als er das überfuhr, und auch wieder was zurücksetzte und weil ich Autofahrer bin, habe ich, wusste ich im Moment nicht was ich denken sollte, vielleicht ist es dem Herrn ... Ich wusste es nicht, ich wollte helfen, das war mein ganzes. Es kann ja jemand schlecht werden am Steuer oder wie oder was, nicht; weil das so komisch aussah. Er überfuhr das Halteverbot, direkt da an der Türe und fährt auf den Bürgersteig, fährt wieder so ein klein bißchen zurück und bleibt dann stehen. Und im selben Moment kommt auch der Herr Beamte, Herr Schorner hat er geheißen - nicht - und wir stehen beide da. Ich wollte gerade zu dem Mann was sagen und da ist der Herr Schorner mir eben zuvorgekommen und sagte, also ich habe verstanden „Bitte steigen Sie mal aus“, er wollte den Führerschein haben. Dann hat er, die Wagentür, die stand offen, die rechte Wagentür, die ist ja rechts angefahren, nicht. Die Wagentür stand offen, dann hat er die Wagentür zugezogen und hat einen Handschuh angehabt und eine Pistole und hat durch das Glas geschossen. Und da greift der Herr Schorner sich so hin, und greift mit der einen Hand so und der anderen so und in dem Moment schießt er nochmal, und wieder durch die Scheibe. Und dann bin ich erst laufen gegangen. [12230] Das ist der ganze Werdegang gewesen von diesem Morgen. Und danach war ich die ersten paar Stunden nicht mehr ganz, da war ich[s] noch 10, 5 Minuten so ein bißchen klar, dann war ich ohnmächtig. Mehr kann ich da überhaupt nichts von sagen. Ich weiß auch nichts von einem Überfall, also ich habe das alles gehört. Ich weiß nichts von einem Überfall auf die Bank, daß man da die Bank ausgeraubt hat, das alles weiß ich nicht. Ich habe auch niemand gesehen. Ich kenne nur diesen Fahrer.

OStA Z[eis]:

Frau Collin ...

Zeugin Co[llin]:

Da war niemand anders, rechts und links bei mir, nur der Beamte. Ich bin ja rübergelaufen, über die Straße, direkt zu ihm. Ich wollte ihm helfen.

OStA Z[eis]:

Ja, vielen Dank.

Noch eine Frage zu den Gegenüberstellungen. Sie haben vorhin auf die Frage des Herrn Vorsitzenden gesagt, sie hätten die betreffende Person, die am Steuer gesessen[t] habe, wegen der Sonne nicht ...

Zeugin Co[llin]:

Ja, das war damals in Zweibrücken. Das ist ja nicht an dem Tag des Überfalls gewesen.

OStA Z[eis]:

Nein, nein, ich habe ja gesagt, Gegenüberstellung; Sie hätten die betreffende Person, die am Steuer des Wagens gesessen hat, wegen der Sonne nicht erkannt.

Zeugin Co[llin]:

Ja, da muß ich mich selbst tadeln. Inzwischen hat man mich so ängstlich und so bang gemacht, da waren doch diese Überfälle und alles, und ich hatte um mein eigenes Leben Angst. Und ich war wirklich drauf und dran Dummheiten zu machen. Ich wollte mich von dieser ganzen Sache lieber zurückziehen; ich habe Angst vor diesen Menschen, denn die stellen ja zuviel Unheil an. Das kann ich in meinem Alter nicht, das mache ich nicht mehr mit.

OStA Z[eis]:

Das heißt also, es war, habe ich Sie so richtig verstanden, es war also nicht nur die Sonne?

Zeugin Co[llin]:

Es war auch, wenn ich ehrlich bin, Angstgefühle in mir. Wie der schon reinkam, da habe ich ... bald übergeben, schon vor Angst, wenn ich den Mann nur sehe, auch in Hamburg, wie ich den nur gesehen habe, habe ich vor lauter Angst zwei Nummern angegeben, nicht. Der hat solche Augen auf mich, das deprimiert mich so fertig, der würde mich auch heute fertig machen ich bin froh, daß er nicht hier ist. Ich gucke mich schon dauernd [12231] um, hoffentlich ist er nicht hier.

OStA Z[eis]:

Haben Sie auch ...

Zeugin Co[llin]:

Da würde ich, glaube ich, gar nichts sagen.

OStA Z[eis]:

Haben Sie auch heute noch Angst, Frau Collin?

Zeugin Co[llin]:

Ja. Ich habe so viel im Leben mitgemacht. Ich habe meinen Mann verloren, habe zwei Kinder verloren. Ich habe im Leben noch nicht gesehen, wie man auf einen Menschen schießt. Das vergesse ich nicht[u] - den Schock - für mein ganzes Leben.

Der Beamte wollte doch nur die Papiere haben.

OStA Z[eis]:

Ich habe keine Fragen mehr, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Sonstige Fragen an die Frau Zeugin?

Ich sehe Herrn Rechtsanwalt Geulen. Bitte.

RA Geu[len]:

Frau Zeugin, ich habe noch eine Frage zu dem sogenannten Gesichtsbart. Das ist ja rein begrifflich, nicht ganz eindeutig, was das ist. Habe ich das richtig verstanden, daß er z. B. am Kinn keinen Bartwuchs hatte, der Mann?

Zeugin Co[llin]:

Nein, nein.

RA Geu[len]:

Am Kinn keinen. Und an der Oberlippe etwa auch keinen?

Zeugin Co[llin]:

Nein.

RA Geu[len]:

Sondern nur solche Koteletten. Ich glaube, das ist ...

Zeugin Co[llin]:

Ja, ja.

RA Geu[len]:

Also es ist eine Verlängerung des Haaransatzes.

Zeugin Co[llin]:

Ja, das habe doch jetzt schon oft gesagt.

RA Geu[len]:

Ja, gut. Und dann eine zweite Frage noch. Ist es richtig, daß von diesem ja durchaus nicht alltäglichen Ereignis, daß Sie sich sehr auf diese Vorgänge konzentriert haben, in dem Augenblick.

Zeugin Co[llin]:

Auf welche Vorgänge? Ja, daß ...

RA Geu[len]:

Die Sie eben beschrieben haben.

Zeugin Co[llin]:

Ich[v] wollte, ich habe in mir die letzte Kraft gesammelt, mir das Gesicht genau einzuprägen, weil er auf den Beamten geschossen hat. Das war mein wirklicher Vorsatz. Das habe ich getan bis zum letzten Moment[w] bis ich[x] den ganzen Verstand verloren habe. Noch wie er an mir vorbeigefahren, wie er da vorbeigefahren ist, da habe ich noch so gelegen und habe mir noch mal genau, daher weiß ich das, er hat ganz dunkle Augen. Ich habe noch bei der Polizei damals angegeben, der hatte schöne Augen, schöne, große, dunkle Augen, so richtig einfach schöne Augen. Ich kann gar nicht verstehen, warum der so was macht.

RA Geu[len]:

Frau Collin, wenn Sie so sicher sind, daß es ein Mann ge- [12232] wesen ist, liegt ...

Zeugin Co[llin]:

Bitte?

RA Geu[len]:

Wenn Sie so sicher sind - Sie sind ja ganz sicher, daß das ein Mann gewesen ist - ...

Zeugin Co[llin]:

Ja, es gibt ja heute Frauen, die ziehen sich auch wie die Männer an. Aber mein ganz hundertprozentiger Eindruck ist, daß es ein Mann gewesen ist, denn das kann eine Frau nicht so fertigbringen. Und er war ja auch so angezogen wie ein Mann, und sah auch aus wie ein Mann.

RA Geu[len]:

Und Ihre Sicherheit, das war meine Frage, daß das ein Mann war, kommt auch daher, daß Sie sich so auf diese Vorgänge und auch auf[y] dieses Gesicht konzentriert haben?

Zeugin Co[llin]:

Ja.

RA Geu[len]:

Danke, ich habe dann keine Frage mehr.

Vors.:

Weitere Fragen an die Frau Zeugin? Sehe ich nicht.

RA Schlaegel erscheint um 9.38 Uhr im Sitzungssaal.

Die Zeugin Collin wird vorschriftsmäßig vereidigt und im allseitigen Einvernehmen um 9.38 Uhr entlassen.

Vors.:

Wir sind damit bei der letzten Zeugin angelangt. Weitere Anträge auf Zeugenvernehmungen liegen nicht vor.

Sollen solche Anträge gestellt werden?

Herr Rechtsanwalt Geulen.

RA Geu[len]:

Ja, es ist von unserer Seite beabsichtigt Beweisanträge zu stellen. Ich würde nur darum bitte, ich würde mich ganz gerne mit Herrn Pfaff noch etwa ¼ Stunde darüber verständigen. Wir haben ja, weil wir aus verschiedenen Städten kommen, dazu nicht Gelegenheit, wenn es möglich wäre für eine Viertelstunde zu unterbrechen.

Vors.:

Das trifft sich deswegen ganz gut, Sie waren vorhin noch nicht da. Wir haben inzwischen das Sitzungsprotokoll Kaiserslautern betreffend Vernehmung Müller. Das wird eben abgelichtet. Es wird wahrscheinlich noch eine ¾ Stunde dauern. Vereinbaren wir uns aus Sicherheitsgründen gleich auf ½ 11 Uhr. Dann können wir mit Ihren Anträgen rechnen?

RA Geu[len]:

Ja.

Pause von 9.39 Uhr - 10.31 Uhr

[12233] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.31 Uhr.

OStA Holland ist nunmehr auch anwesend.

Reg. Dir. Widera ist nicht mehr anwesend.

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen.

Es waren Anträge angekündigt. Herr RA Geulen.

RA Geu[len]:

Ich muß vorweg sagen, daß ich die Anträge nicht schriftlich hab - ich hab zwar hier schriftliche Vorlagen, aber die sind so korrigiert, daß ich sie dem Gericht nicht zumuten möchte - und bitte also, das mitzuschneiden.

In der Strafsache gegen Baader und andere, hier: gegen Gudrun[z] Ensslin, wird beantragt:

den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Berlin, Herrn Jericke,

zu laden beim Kammergericht in Berlin, Witzlebentr. 4 - 5 in der Hauptverhandlung als Zeugen zu hören.

Der Zeuge wird bekunden, daß der Zeuge Gerhard Müller im Widerspruch zu seinen in diesem Verfahren gemachten Aussagen und im Widerspruch zu den Aussagen des Zeugen Wolf im Dezember 1972 vor dem Strafsenat des Kammergerichts Berlin folgende Aussagen gemacht hat, nachdem der Zeuge Jericke als Vorsitzender Richter in diesem Verfahren den Zeugen Müller darauf hingewiesen hat, daß seine Aussage zu beeidigen sein wird:

„Nach meiner Verhaftung

- so die Aussage des Zeugen[aa] Müller -

erschien die Sonderkommission des BKA, u. a. die Kriminalbeamten Wolf und Geissler. Das große Problem war, ob ich eine Aussage mache oder nicht. Mir wurde gesagt, wenn ich denen entgegenkomme, kommt man mir auch entgegen. Es sollte ein Staatsanwalt geholt werden, der mir den § 129 StGB erklärt.[13] Er sprach auch von Ermäßigung und Begünstigung.

[12234] Weiter wurde mir erklärt, daß ich bei einer Aussage halbe-halbe bekomme, wenn ich aussage, [bb] sei das nicht verwerflich und kein Verrat. Herr Wolf schilderte mir auch, wie sie mit Ruhland[14] zum Essen und Biertrinken gegangen sind und ihn fast als Kraftfahrer eingestellt hätten, wenn er nicht eine Vorstrafe hätte. Er deutete auch an, daß ich meine Geschichte verkaufen könnte. Ein zweiter anwesender Beamter sagte, daß ich Geschichte machen könnte. Bei einem weiteren Besuch in der Haftanstalt sagten die Beamten, es gehe jetzt um die 50 %. Mir wurde erklärt, daß ich einen Pluspunkt vergeben hätte; wenn ich nicht gleich aussage, vergebe ich immer mehr Pluspunkte.

Für Sprengstoffattentate wurde mir lebenslänglich angedroht. Man erklärte mir auch, daß ich für alle zukünftigen Taten der Welt verantwortlich gemacht werde.

Als Wolf mir erklärte, daß ich viel Geld verdienen konnte, wenn ich nicht so wäre, habe ich ihn rausgeschmissen.“

Dann möchte ich einen zweiten Beweisantrag stellen.

Es wird beantragt,

den Zeugen Karl-Heinz Ruhland,

zu laden über die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe oder über den Beamten des Bundeskriminalamtes Eimecke, in der Hauptverhandlung als Zeugen zu hören.

Der Zeuge wird bekunden, daß die folgenden Angaben des Zeugen Gerhard Müller vor dem Kammergericht Berlin im Dezember 1972 richtig sind:

Er - der Zeuge Ruhland - sei während seiner Vernehmung durch Beamte des Bundeskriminalamtes, insbesondere auch durch den Beamten Wolf, mehrfach zum Essen und zum Biertrinken eingeladen worden. Ihm sei zugesagt worden, beim Bundeskriminalamt oder bei der Sicherungsgruppe Bonn[15] als Kraftfahrer eingestellt zu werden. Diese Einstellung sei nur wegen seiner Vorstrafen gescheitert.

Damit werden die Aussagen des Zeugen des Bundeskriminalamtes Wolf und die des Zeugen Müller in der Hauptverhandlung des vorliegenden Verfahrens widerlegt werden.

[12235] Der Zeuge wird ferner bekunden, daß ihm als Kronzeugen[16] - wie auch dem Kronzeugen Müller - für seine Aussagebereitschaft versprochen wurde, er werde nach Verbüßung der Hälfte der gegen ihn verhängten Strafe aus der Haft entlassen, und gegen ihn würden andere Verfahren, insbesondere solche wegen des Vorwurfes des versuchten oder vollendeten Mordes, nicht durchgeführt werden.

Der Zeuge wird schließlich bekunden, daß ihm für seine Aussagebereitschaft noch während der Haftzeit Geldzahlungen in Höhe von ca. 100,-- DM gezahlt und Nahrungs- und Genußmittel in größerer Menge beschafft worden sind.

Er wird schließlich bekunden, daß ihm nach seiner Haftentlassung aus demselben Grunde monatlich mindestens 1000,-- DM über seinen Rechtsanwalt sowie Arztrechnungen in Höhe von über 1000,-- DM gezahlt worden sind.

Einen weiteren Beweisantrag.

Es wird beantragt,

Herrn Bundesanwalt Krüger als Zeugen zu vernehmen.

Der Zeuge wird bekunden, daß die Akten der B. Anwaltschaft - 3 ARP 74/75 - Niederschriften oder Vermerke über Aussagen des Zeugen Gerhard Müller enthalten, die von den in der Zeit vom 31. März bis zum 26. Mai 1976 von dem BKA protokollierten Aussagen des Zeugen Müller in erheblichem Umfange abweichen, insbesondere auch hinsichtlich der Schilderung der Sprengstoffanschläge in Frankfurt, Heidelberg, München, Augsburg, Karlsruhe und Hamburg.

Der Zeuge wird ferner bekunden, daß der Zeuge Müller, insbesondere vor Beginn seiner Vernehmung als Zeuge am 31. März 1976, gegenüber den Ermittlungsbehörden bekundet hat, er kenne den Zeugen Hoff und sei auch bei ihm in der Werkstatt gewesen, daß die Ermittlungsbehörden jedoch bewußt die anderslautende Aussage des Zeugen Müller, er habe Hoff nicht gekannt und sei nicht in der Werkstatt gewesen, in der am 31. März 1976 begonnenen Vernehmung protokolliert haben in der Absicht, die Widersprüche zwischen den Aussagen des Zeugen Müller und des Zeugen Hoff zu verschleiern.

[12236] Ferner wird der Zeuge bekunden, daß der Zeuge Müller bei seinen informellen Aussagen bekundet hat, der Angeklagte Baader habe Ingeborg Barz erschossen, daß die Ermittlungen diese Behauptungen des Zeugen Müller nicht bestätigt haben und daß die Ermittlungsbehörden noch in jüngster Zeit nach Ingeborg Barz gefahndet haben.

Der Zeuge wird weiter bekunden, daß dem Zeugen Gerhard Müller von den Ermittlungsbehörden als Gegenleistung für eine Aussage u. a. angeboten worden ist: 50 % Straferlaß, Pressekontakte mit entsprechenden Honoraren, und daß ihm - dem Zeugen Müller - andererseits bedeutet wurde, er habe sonst mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen.

Weiter wird der Zeuge bekunden, daß der Zeuge Müller nach Absprache mit den Ermittlungsbehörden das Urteil in seinem eigenen Strafverfahren, mit dem er von dem Vorwurf des Polizistenmordes freigesprochen wurde,[17] abgewartet hat und erst, nachdem die Revisionsfrist für die Staatsanwaltschaft abgelaufen war,[18] Aussagen zu Protokoll gegeben hat, die als Grundlage für seine Vernehmung in dem hiesigen Strafverfahren dienen sollten und daß es dem Zeugen Müller im Einvernehmen und mit Unterstützung der Ermittlungsbehörden darum ging, möglichst viel für die publizistische Verwertung seiner Aussagen herauszuschlagen.

Herr RA Pfaff hat jetzt einen weiteren Beweisantrag.

Vors.:

Bitte.

RA Pfaff:

Für Herrn Baader beantrage ich,

Herrn Werner Kohl zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, daß sich Ingeborg Barz zwischen Weihnachten und Neujahr 1973/74 in einem Hotel in Belfast/Nordirland aufgehalten hat.

Der Zeuge kann über die Redaktion der Zeitung „Die Welt“ in Bonn geladen werden.

Ich beantrage ferner,

zu vernehmen, Herrn Volker Schattenberg, zu laden über die Staatsanwaltschaft Frankfurt, zum Beweis der Tatsache, daß der Zeuge Dierk Hoff freiwillig für die RAF tätig war,[19] auch ohne daß auf ihn Druck ausgeübt worden wäre oder er bedroht worden wäre.

[12237] Vors.:

Sonstige Anträge?

RA Geu[len]:

Ich habe noch einen weiteren Antrag[cc], keinen Beweisantrag mehr, sondern einen weiteren Antrag zu stellen.

Vors.:

Wollen wir zunächst bei den Beweisanträgen bleiben. Mich interessieren die Zeugen Jericke und Ruhland. Die Beweisbehauptungen stammen doch vermutlich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll des Mahler-Prozesses,[20] die Texte, die Sie bekanntgegeben haben.

Ist das zutreffend, Herr RA Geulen?

RA Geu[len]:

Ich kann das jetzt[dd] im Augenblick nicht bestätigen. Es ist möglich, daß es in diesem Protokoll so niedergelegt ist. Aber der Beweisantrag ist ja nicht ein Antrag, das Protokoll beizuziehen oder etwa ein Urkundsbeweisantrag; sondern der Beweisantrag ist der, den Vorsitzenden Richter eben als Zeugen zu vernehmen.

Vors.:

Darum geht mir’s nicht, sondern mir geht es darum, warum man solche Anträge, die doch längst ersichtlich sind, nicht längst gestellt hat. Ich meine, ich habe jetzt wiederholt drauf hingewiesen, was für einen merkwürdigen Eindruck das macht, daß jeweils, wenn das Beweisprogramm abläuft, immer wieder neue Anträge kommen, aber niemals solche Anträge, von denen man das Gefühl hat, sie sind begründetermaßen jetzt erst gestellt worden, ausschließlich, sondern in der Regel sind Anträge mit darunter, von denen man also wirklich annehmen kann, sie hätten genauso schon vor Monaten gestellt werden können. Ich denke hier z. B. an den Fall des Zeugen Jericke und Ruhland.

Bei Herrn Krüger hab ich noch das Einsehen, daß ich sagen kann: Gut, das könnte sich aus der Vernehmung des Herrn Generalbundesanwalts Buback ergeben haben, daß man ihn jetzt praktisch zu genau denselben Beweisthemen hören will.

Aber warum in diesen Fällen so späte Anträge?

RA Geu[len]:

Ich möchte jetzt doch dazu Stellung nehmen, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Bitte sehr.

[12238] RA Geu[len]:

Es ist ja in den letzten Verhandlungstagen öfters so gewesen, daß Sie dergleichen Andeutungen gemacht haben. Das Problem dieser Verhandlung liegt offensichtlich darin, daß, und ich meine auch, durch Zutun oder zumindest durch Zutun, durch Unterlassen seitens des Gerichtes und seitens des Vorsitzenden die Akten, die in diesem Verfahren herbeigezogen werden müßten, sehr spät herbeigezogen werden. Die Anträge, die wir in letzter Zeit gestellt haben, in den letzten Wochen gestellt haben, beziehen sich - und ich glaube, das kann jeder nachprüfen - im wesentlichen, wenn nicht sogar ausschließlich auf Aussagen, die Herr Müller im September[ee] oder ich glaube sogar Anfang Oktober dieses Jahres zu Protokoll in der Verhandlung in[ff] Kaiserslautern[21] gegeben hat oder vor dieser Verhandlung gegeben hat und die uns erst später zugänglich gemacht worden sind.

Das gleiche gilt etwa jetzt für die hier nun auf unseren Antrag vorgelegten Vernehmungsprotokolle aus Kaiserslautern. Es ist selbstverständlich, daß wir diese Anträge überhaupt nicht stellen können, bevor wir nicht diese Unterlagen gesehen haben, daß sie aufgrund dieser Unterlagen gestellt sind, daß sie ja grade im wesentlichen dazu dienen, Behauptungen, die Herr Müller in diesen Protokollen zum Besten gegeben hat, zu widerlegen bzw. in Zweifel zu ziehen und die Glaubwürdigkeit von[gg] Herrn Müller insofern anzuzweifeln.

Ich möchte im übrigen fragen, Herr Vorsitzender, wenn Sie das so formulieren, ob nicht vielleicht dem Gericht seinerseits diese Dinge schon vorher möglicherweise bekannt gewesen sind, möglicherweise, daß Herr Müller solche Aussagen gemacht hat in Berlin im Jahre 1972; und wenn das der Fall ist, würde ich’s allerdings für ein ganz grobes Unterlassen Ihrerseits und eine Verletzung Ihrer Aufklärungspflicht[22] halten, wenn Aussagen gemacht werden, die in diametralem Widerspruch zu den Aussagen des Zeugen Müller zu den Aussagen des Zeugen Wolf, zu teilweise auch den Aussagen des Zeugen Geissler - beide vom BKA - stehen, wenn Sie nicht Ihrerseits Ihrer Aufklärungspflicht dergestalt genügen, daß Sie insofern, sei es, Vorhalte machen, sei es, den Zeugen Jericke vernehmen oder sei es, diese Dinge im Wege des Urkundenbeweises herbeiziehen.

[12239] Wir haben uns von unserer Seite überhaupt keinen Vorwurf zu machen, daß diese Dinge so spät vorgetragen werden. Es bestand überhaupt keine Möglichkeit, und das ist auch jederzeit nachprüfbar, weil diese Anträge im wesentlichen erst nach den Vernehmungsprotokollen, also nach Oktober dieses Jahres, gestellt werden konnten.

Im übrigen, Herr Vorsitzender:

Wenn Sie im ernst darauf hinauswollen, daß solche Anträge etwa wegen Prozeßverschleppung abzuweisen wären[23] ...

Vors.:

Bauen Sie bitte nicht vor gegenüber Dingen, die noch nicht im Gespräch sind. Ich habe mich generell erkundigt.

RA Geu[len]:

Ja dann seh ich auch nicht den Sinn, daß Sie diese Andeutung dauernd machen.

Vors.:

Es ist meine Pflicht, auf eine Beschleunigung des Verfahrens[24] hinzuwirken. Deswegen rechtfertigt sich auch meine Frage. Ich darf Ihnen sagen:

Die Behauptung, wir hätten Akten spät angefordert oder gar unterlassen, solche anzufordern, die uns zugänglich sind, die weise ich zurück. Sie trifft schlechterdings nicht zu. Beispielsweise erwähnen Sie Kaiserslautern. Wir haben sofort im Anschluß an die Anträge, die gestellt worden sind, uns mit Kaiserslautern in Verbindung gesetzt; aber Sie werden verstehen, daß dort auch solche Protokolle erst geschrieben werden müssen. Wir haben mehrfach moniert - wie waren eben noch nicht geschrieben. Die andern Akten, bei denen Sperrvermerke bestehen, sind uns nicht zugänglich. Ich benütze das gleich zu dem Hinweis, daß wir deswegen auch nicht über Ihren Antrag wegen der Vorlage dieser Akten entscheiden können. Wenn das Gericht entscheiden würde, könnte es nichts anderes tun als diesen Antrag ablehnen. Nachdem sich aber im Augenblick zeigt, daß möglicherweise zumindest Teile freigegeben werden, sieht das Gericht jetzt davon ab, schon eine Entscheidung zu treffen.

Ich habe Sie ganz speziell gefragt nach den Zeugen Jericke und Ruhland. Die Beweisthemen, die Sie jetzt benannt haben, sind altbekannt; die hören wir nun seit drei Monaten schon.

[12240] Das sind Dinge, die wir nicht kannten, daß das die Zeugen gesagt oder vernommen haben sollen, daß das von Herrn Müller in ihrer Gegenwart geäußert worden wäre. Das ist uns neu. Sie scheinen es gekannt zu haben; die Themen sind bekannt - ich glaube, daß Herr RA Schily an dem Verfahren dort beteiligt gewesen ist und deswegen der kompetente Mann gewesen wäre, schon früher die Beweisanträge zu stellen. Jericke und Ruhland haben nichts mit neuen Akten zu tun. Es sind Vorgänge, die in einem Prozeß 1972 passiert sind, und darüber liegt Ihnen möglicherweise das Protokoll vor.

Ich möchte jetzt nochmals nachdrücklich aus der Pflicht heraus, auf die Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken, die Verteidigung bitten, daß sie ihre Anträge zusammen vorträgt zum frühesten Zeitpunkt, der überhaupt möglich ist und nicht immer wieder am Schluß, wenn das Beweisprogramm ausläuft, mit neuen Anträgen kommt, wobei man, wie gesagt, den Eindruck haben muß, daß ein erheblicher Teil dieser Anträge hätte schon früher erledigt werden können. Das ist meine Pflicht, und ich werde das auch in Zukunft nicht unterlassen, selbst wenn Sie dagegen dann Vorwürfe erheben, die aber unberechtigt sind.

RA Geu[len]:

Darf ich noch kurz etwas dazu sagen?

Es werden ja nun weitere Akten vorgelegt, zunächst einmal, grade vor fünf Minuten, diese etwa 150 Seiten, die noch nicht vollständig sind, anscheinend, Protokolle ...

Vors.:

Die sind heute früh eingegangen.

RA Geu[len]:

Ja das war keine Kritik jetzt an Ihnen, überhaupt nicht.

Vors.:

Eben, schneller geht’s wirklich nicht.

RA Geu[len]:

Aber ich wollte nur sagen, wir hatten das ja beantragt, und die Akten liegen also noch nicht vollständig vor - das ist keine Kritik an Ihnen -, aber sie liegen also gleichwohl noch nicht vollständig vor, und wir können jetzt nach diesen fünf Minuten natürlich keineswegs ausschließen, ob sich nicht aufgrund dieser Akten und vielmehr noch aufgrund der Akten 3 ARP, die die B. Anwaltschaft nach unserer Auffassung schon von Anfang an hätte vorlegen müssen, sich weitere Beweisanträge ergeben. Das können wir überhaupt nicht ausschließen; denn es ist selbstverständlich der Sinn solcher Aktenherbeiziehung, daß man sieht, ob sich daraus weitere Ermittlungsergebnisse ergeben.

[12241] Vors.:

Herr RA Geulen, da rennen Sie offene Türen ein.

Ich habe Ihnen schon wiederholt gesagt - auch den andern Herren; Herr RA Schnabel hat genau dasselbe Problem aufgeworfen:

Selbstverständlich, wo neue Akten Ihnen Anlaß zu Beweisanträgen geben[hh], wird doch niemals diese Frage an Sie gestellt werden, warum nicht früher? Aber bei solchen Zeugen wie jetzt Herr Jericke und Herr Ruhland, da ist die Frage berechtigt und gibt eben zu gewissen Überlegungen Anlaß.

Aber ich darf Ihnen dazu sagen: Die Akten 3 ARP sind bisher mit einem Sperrvermerk des B. Justizministers versehen, und es ist nicht ersichtlich, wie die dem Gericht zugänglich gemacht werden sollten, solange dieser Sperrvermerk noch gilt. Bei den Akten, die Sie hier jetzt haben, da kommt noch ein dritter Teil. Das ist richtig. Es sind also, weil unsere Rotationsmaschine nicht so schnell arbeitet, bis jetztbloß die zwei Teile zur Verfügung gestanden. Ich bitte die Herren Verteidiger, die aus diesen Akten heraus zu neuen Anträgen kommen möchten unter Umständen, zu warten, bis die Akten vollständig vorliegen. Das wird wahrscheinlich in einer halben Stunde spätestens der Fall sein.

Herr RA Pfaff, geht das zum Antrag noch?

RA Pfaff:

Ich möchte das noch kurz ergänzen - ich war zwar nicht direkt angesprochen, möcht’s aber doch gerne kurz ergänzen, was Herr RA Geulen gesagt hat. Die B. Anwaltschaft kann ja dann auch gleich darauf eingehen:

Es ist ein ziemlich abgegriffenes Argument, darauf hinzuweisen, daß die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, entlastende Umstände herbeizuschaffen.[25] Aber es ist tatsächlich so, Herr Vorsitzender, daß vielleicht nicht Sie, aber die B. Anwaltschaft diese Protokolle aus dem Mahler-Prozeß in Berlin als Behörde selbstverständlich kannte und es ihre Pflicht gewesen wäre, Vorhalte zu machen aus diesen Unterlagen, die teilweise ... Vorhalte zu machen von ... Aussagen vorzuhalten, die teilweise tatsächlich diametral zu dem im Gegensatz stehen, was der Zeuge Müller hier vorgetragen hat.

[12242] 2. ist es so, daß die Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller oder daß das Problem der Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller ja doch wohl offen aufgebrochen ist erst nach seiner Vernehmung in Kaiserslautern, und das war Anfang Oktober - das war schon eigentlich zu Mitte Oktober hin, wenn ich’s jetzt genau im Kopf habe - und daß von da an allerdings die Verteidigung sich verstärkt veranlaßt gesehen hat, in alten Materialien - zurückliegenden Materialien - nach weiterem Entlastungsmaterial zu suchen. Und in Anbetracht der Tatsache, daß seither nur etwa fünf Wochen vergangen sind, meine ich, kann man den Vorwurf der Prozeßverschleppung auch nicht andeuten.

3. Die Verteidigung bemüht sich in der Tat, zwischen der Szylla des Vorwurfs, hier Beweisanträge ins Blaue hinein zu stellen und Charybdis[ii] hier prozeßverschleppend tätig zu sein, gut hindurchzukommen, und sie wird auch das weiterhin tun.

Vors.:

Will sonst jemand sich noch äußern? Seh ich nicht.

Dann kann die Bundesanwaltschaft,[jj] bitte, Herr B. Anwalt Zeis.

OStA Zeis:

Zunächst, Herr Vorsitzender, ein paar Worte zu dem, was gerade[kk] eben Herr RA Pfaff gesagt hat:

Hier werden doch, Herr RA Pfaff, wieder einmal die Tatsachen auf den Kopf gestellt:

1. Das Hauptverhandlungsprotokoll gegen Mahler stand Ihnen genauso gut zur Verfügung wie uns. Es wurde im Rahmen dieser Ordner hier vervielfältigt an sämtliche Verteidiger ausgehändigt.

2. Der Zeuge Müller stand hier drei Tage lang den Prozeßbeteiligten zu Frage zur Verfügung. Von diesem Fragerecht wurde ja, wenn ich mich recht erinnere, grade von Ihnen drüber - nicht speziell Sie angesprochen, Herr RA Pfaff - ausgiebigst Gebrauch gemacht, im Gegensatz zu den Zeugen, die Sie hier benannt haben - mutmaßliche oder schon deswegen verurteilte RAF-Mitglieder und Unterstützer die hier ja sofort erklärt haben, weder dem Gericht noch der B. Anwaltschaft irgendwelche Fragen zu beantworten. Wenn Sie schon da drüben solche Widersprüche sehen, warum haben Sie denn diese Widersprüche anhand der Ihnen vorliegenden Akten, [12243] und zwar schon seit Jahren vorliegenden Akten dem Zeugen Müller nicht vorgehalten?

Das nur hierzu.

Zu den übrigen Beweisanträgen folgende kurze Stellungnahme: Es gibt zwei Möglichkeiten, einen Verfahrensablauf zu verzögern und den Prozeß zu verschleppen: Das erste sind, unzulässige Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden oder[ll] den[mm] Senats zu stellen - wir nähern uns ja zur Zeit der Zahl 70; das zweite sind, Beweisanträge zu stellen, die schon längst hätten gestellt werden können, und dazu zählt beispielsweise der Antrag, hier Herrn Volker Schattenberg zu hören zum Beweis dafür, daß Hoff freiwillig für die RAF tätig gewesen sei. Wenn ich mich recht erinnere, liegt die Vernehmung Hoff seit über einem halben Jahr zurück, und es wäre der Verteidigung doch sicherlich ein leichtes gewesen, Herrn Schattenberg zu diesem Beweisthema viel früher zu benennen. Ähnlich verhält es sich mit den Zeugen Ruhland und Jericke: Auch hier ist es doch so, daß durch aktuelle Ereignisse, die in jüngster Zeit hier im Gerichtssaal passiert oder vorgekommen sind, keinesfalls die Zeugen Jericke und Ruhland erst jetzt benannt werden können. Ich bitte deshalb hinsichtlich dieser drei Zeugen, hohes Gericht, zu erwägen, ob insoweit nicht tatsächlich von dem Ablehnungsgrund der Prozeßverschleppung Gebrauch gemacht werden sollte.

Etwas anders verhält es sich mit Herrn Werner Kohl: Da kann man sicherlich der [nn] Auffassung sein, nachdem Herr RA Pfaff das neulich auch angedeutet hat, daß Beweisanträge dazu, daß Frau Barz noch nach dem Zeitpunkt, nachdem sie nach Aussagen Müllers getötet worden sein soll, gelebt hat, erst Ermittlungen seitens der Verteidigung gemacht und durchgeführt werden müssen. Die B. Anwaltschaft tritt daher einer Vernehmung des Herrn Kohl nicht entgegen. Im übrigen behalten wir uns eine Stellungnahme noch vor. Danke.

Vors.:

Danke schön.

Dann wird, da nicht voraussehbar ist, [oo] bis wann wir die Beweismittel, soweit wir ihnen stattgeben, erreichen können, die Sitzung unterbrochen bis zum kommenden Freitag.

[12244] Ich bitte sämtliche Prozeßbeteiligten sich am Freitag drauf einzustellen, daß die beantragten Zeugen möglicherweise da sind, je nachdem, ob stattgegeben wird oder nicht. Ich weiß noch nicht, wie gesagt, wen wir im einzelnen davon erreichen können. Sie hatten noch einen Antrag außerhalb ...

RA Geu[len]:

Der kommende Freitag, ja? Der Freitag dieser Woche?

Vors.:

Das ist ja in der letzten Woche angedeutet worden, daß wir am Donnerstag keine Gelegenheit haben; und morgen ist’s zu früh, da ist keine Gewähr, daß wir irgendeine Beweisperson bekommen.

RA Geu[len]:

Ich hatte aber noch einen Antrag.

Wenn ich richtig verstanden habe, werden diese Protokolle der Hauptverhandlung Kaiserslautern heute noch, also in einer halben Stunde etwa, [pp] in vollem Umfang vorliegen[qq]. Diese Protokolle werden dann voraussichtlich einen Umfang von über 200 Seiten haben. Es ist selbstverständlich grade in dieser Lage des Verfahrens erforderlich für alle Prozeßbeteiligten, sich darauf vorzubereiten. In der Stimmung, die hier in dieser Verhandlung grade sich heute wieder gezeigt hat, ist es vielleicht vorherzusehen, wie der Antrag, den ich jetzt zu stellen beabsichtige, beschieden wird. Es ist eigentlich in jedem normalen Strafverfahren selbstverständlich, grade in einer solchen Phase, wo das Verfahren möglicherweise kurz vor seinem Abschluß steht, selbstverständlich, daß, wenn eine Aktensammlung von einem solchen Umfang vorgelegt wird, die Prozeßbeteiligten die Möglichkeit haben, sich hierein einzuarbeiten. Das wäre eigentlich auch im Interesse der Staatsanwaltschaft, soweit sie diese Unterlagen nicht schon kennt.

Ich stelle folgenden Antrag:

die Hauptverhandlung ab Vorliegen dieser kompletten Akten, also ab heute dann wohl, für mindestens zehn Tage zu unterbrechen, um der Verteidigung und den übrigen Prozeßbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich hier einzuarbeiten.

Ich möchte im übrigen noch eines bemerken: Es gibt auch einen dritten Weg der Prozeßverschleppung, und der liegt darin, Herr B. Anwalt Zeis, Akten scheibchenweise herauszurücken, die im Grunde von Anfang an hätten vorgelegt werden müssen. Die Akte 3 ARP ist das beste Beispiel hierfür.

[12245] Vors.:

Das ist doch also nun wirklich ein vollkommen falscher Anknüpfungspunkt. Die B. Anwaltschaft hat mit der Anforderung dieser Akten „Kaiserslautern“ überhaupt nichts zu tun. Das Gericht wäre auch nicht gehalten gewesen, diese Akten aufgrund des von Ihnen gestellten Antrags unbedingt beizuziehen. Es ist ein Entgegenkommen des Gerichts, dafür gesorgt zu haben, daß Ihnen diese Akten zur Einsicht zugänglich gemacht werden. Am Freitag wird die Sitzung fortgesetzt, d. h.,

ich lehne den Antrag, den Sie soeben gestellt haben, ab.

RA Geu[len]:

Ja dann bitte ich doch um Gerichtsbeschluß.

Vors.:

Das ist Sache des Vorsitzenden, über Unterbrechungen dieser Dauer zu entscheiden.[26] Aber wenn es als Beanstandung[27] gedacht ist gegen meine Maßnahme, dann kann das geschehen.

RA Geu[len]:

Ja. Ich bitte um einen Gerichtsbeschluß;

ich beantrage einen Gerichtsbeschluß und beanstande Ihre Maßnahme.

Vors. (nach geheimer Umfrage):

Der Senat hat beschlossen:

Fortsetzung der Verhandlung ist am Freitag mit möglicherweise dem Zeugenprogramm, das sich jetzt durch die Anträge ergeben hat.

Man sieht dann weiter, was sich aus diesen Akten ergeben kann.

Im übrigen:

Das Gericht vermag zu beurteilen, daß man imstande ist, den Umfang dieser Akten zu bewältigen bis zur kommenden Sitzung; auch das Gericht muß das tun.

Fortsetzung: Freitag, 9.00 Uhr.

Ende der Hauptverhandlung um 10.57 Uhr.

Ende von Band 725.


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 – Az.: 1 StE 1/74 – StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Nach seiner Aussage in diesem Verfahren (ab dem 124. Verhandlungstag) machte er auch Angaben im Verfahren vor dem LG Kaiserslautern gegen die Angeklagten RAF-Mitglieder Manfred Grashof, Wolfgang Grundmann und Klaus Jünschke, insbesondere über einen Banküberfall am 22.12.1971, in dessen Verlauf der Beamte Herbert Schoner erschossen wurde (zum Banküberfall s. Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 256 f.).

[3] In der Akte 3 ARP 74/75 I befanden sich weitere Vernehmungsprotokolle mit Angaben des Zeugen Müller. Für diese Akte hatte der damalige Bundesjustizminister Vogel zunächst eine umfassende Sperrerklärung nach § 96 StPO („Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“) abgegeben. Die Verteidigung bemühte sich lange darum, Einblick in die Akte zu erhalten. Am 158. Verhandlungstag gab die Bundesanwaltschaft schließlich nach erneuter Prüfung einen Großteil der Akte heraus (S. 12262 des Protokolls der Hauptverhandlung; s. zu den Vorgängen und Vermutungen rund um diese Akte auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 368 ff.). Am 159. Verhandlungstag wurde ein Schreiben des Bundesjustizministers bekanntgegeben, in welchem die letzten noch geheimhaltungsbedürftigen Passagen konkretisiert wurden (s. Anlage 2 zum Protokoll vom 9.11.1976, S. 12306 des Protokolls der Hauptverhandlung, 159. Verhandlungstag).

[4] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.). § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.

[5] „Pfirsich“ war der Deckname für Dierk Hoff, der im Auftrag der RAF verschiedene Sprengkörper herstellte. Er wurde als einer der Hauptbelastungszeugen ab dem 68., sowie am 98. Verhandlungstag vernommen.

[6] Teil der Anklage war auch der Vorwurf, die Angeklagten würden aus der Haft heraus die kriminelle Vereinigung RAF fortsetzen (zu diesem Vorwurf s. S. 338 ff. der Anklage, Teil D, Abschnitt V.).

[7] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die Behauptung, Baader habe Barz erschossen, von Gerhard Müller aufgestellt worden sei, um Baader wahrheitswidrig zu belasten (s. den Beweisantrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 142. Verhandlungstag, S. 11467 des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Beweis der Unwahrheit dieser Tatsache sollte die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Müller insgesamt erschüttert werden (s. dazu etwa die Diskussion um den am 147.Verhandlungstag gestellten Beweisantrag, S. 11684 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den Angaben, die Müller über in diesem Zusammenhang gemacht haben soll, s. auch die Ausführungen des Vernehmungsbeamten KHK Opitz am 152. Verhandlungstag (S. 11855 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[8] Die Aussagegenehmigung für den GBA Buback wurde zunächst in vollem Umfang abgelehnt. Daraufhin erhob Rechtsanwalt Schily für die Angeklagte Ensslin Klage auf Erteilung einer Aussagegenehmigung vor dem VG Köln sowie einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Das VG Köln erachtete die pauschale Versagung der Aussagegenehmigung für rechtswidrig und verpflichtete den Bundesminister der Justiz, die Klägerin Gudrun Ensslin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (s. das Urteil und den Beschluss des VG Köln vom 15.9.1976 in Anlage 1 a des Protokolls vom 28. September 1976, zu Blatt 11698 des Protokolls der Hauptverhandlung, 148. Verhandlungstag).

[9] Die Gerichtsakte umfasst die mit der „Anklageschrift vorgelegten Akten, die in Fortführung der Ermittlungsakten nach Anklageerhebung entstandenen Aktenteile und die vom Gericht herangezogenen oder von der StA nachgereichten Beiakten“ (BGH, Urt. v. 26.5.1981 – Az.: 1 StR 48/81, NStZ 1981, S. 361). Nach dem sogenannten formellen Aktenbegriff umfasst dies die Unterlagen, durch die „Identität der Tat und der des Täters konkretisiert werden“ (BGH, Urt. v. 26.5.1981 – Az.: 1 StR 48/81, NStZ 1981, S. 361; BGH, Urt. v. 18.6.2009 – Az.: 3 StR 89/09, StV 2010, S. 228). Darunter fällt insbesondere das gesammelte Beweismaterial. Ausnahmen gelten für interne Hilfs- und Arbeitsmittel der Polizeibehörde, Notizen des Gerichts während der Hauptverhandlung, sowie bei Vertraulichkeitszusagen oder gesperrten Aktenteilen. Die Entscheidung, welche Dokumente zu den Akten genommen werden, steht nicht im Belieben des Gerichts oder der Ermittlungsbehörde (vgl. Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 147 Rn. 14 f.). Die Aktenführung ist nach den Grundsätzen der Aktenvollständigkeit und -wahrheit die Grundlage für das staatliche Tätigwerden und dessen Überprüfung, sodass auch ohne ausdrücklichen Ausspruch im Gesetz eine ordnungsgemäße Aktenführung erforderlich ist (vgl. hierzu auch in Bezug auf Verwaltungsbehörden: BVerwG, Beschl. v. 16.3.1988 – Az.: 1 B 153/87, NVwZ 1988, S. 621, 622; sowie BVerfG, Beschl. v. 06.06.1983 – Az.: 2 BvR 244, NJW 1983, S. 2135).

[10] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Im Unterschied dazu ist die Vereidigung von Zeug/innen heute nur noch die Ausnahme (§ 59 StPO).

[11] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 – Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 – Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).

[12] In Bezug auf die Person, die den VW-Bus während des Banküberfalls in Kaiserslautern gefahren sein soll, versuchte die Verteidigung erstens zu beweisen, dass der Zeuge Müller Carmen Roll als Fahrerin angegeben habe und zweitens, dass diese Aussage falsch sei (s. dazu etwa den Beweisantrag sowie die ergänzenden Erläuterungen des RA Geulen vom 155. Verhandlungstag, S. 12141 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; zu den Angaben des Zeugen Müller s. insbes. die Aussage des Vernehmungsbeamten Stellmacher am 154. Verhandlungstag, S. 12045 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Nachweis, dass der Zeuge Gerhard Müller auch bereits bei anderer Gelegenheit falsche Angaben gemacht habe, versuchte die Verteidigung, die Glaubwürdigkeit des Zeugen, der die Angeklagten ganz erheblich belastete, zu erschüttern.

[13] Das Unterstützen einer kriminellen Vereinigung ist strafbar nach § 129 Abs. 1 Satz 2 StGB. § 129 Abs. 6 StPO a.F. (heute: Abs. 7) enthält eine Regelung für den Fall der sog. tätigen Reue: „Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15 [Anm. d. Verf.: heute § 49 Abs. 2 StGB]) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder 2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können; erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.“

[14] Der Schlosser Karl-Heinz Ruhland wurde im Dezember 1970 verhaftet. Erst wenige Monate zuvor hatte Ruhland wohl aus Geldsorgen begonnen, die RAF mit dem Frisieren gestohlener Autos zu unterstützen. Am 29. September 1970 beteiligte sich Ruhland an den Berliner Banküberfällen. Bis zu seiner Verhaftung kundschaftete er u.a. gemeinsam mit Meinhof und Jansen mögliche Einbruchsziele aus und beging Diebstähle. In mehreren Verfahren gegen RAF-Mitglieder fungierte Ruhland, der sich von der RAF losgesagt hatte, als umstrittener Belastungszeuge. Mit Urteil vom 15.3.1972 wurde er vom OLG Düsseldorf wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; nach nur zweieinhalb Jahren wurde er vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann begnadigt. Im Laufe seiner verschiedenen Aussagen verstrickte er sich in zahlreiche Widersprüche (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 243 ff., 253 ff., 260, 271 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 243 ff.). Rechtsanwalt Heinrich Hannover bezeichnete ihn auch als „berühmtesten oder richtiger ruhmlosesten aller bisherigen Kronzeugen“ (Hannover, Terroristenprozesse, 1991, S. 140).

[15] Die Sicherungsgruppe ist eine Abteilung des Bundeskriminalamtes. Die SoKo B/M (Sonderkommission Baader/Meinhof) wurde 1971 als Teil der Sicherungsgruppe für Ermittlungen betreffend die RAF eingerichtet (Klaus, Sie nannten mich Familienbulle, 2008, S. 23).

[16] Die Schaffung einer speziellen gesetzlichen Kronzeugenregelung wurde zum damaligen Zeitpunkt zwar diskutiert, erfolgte aber zunächst nicht. Während bereits mit Gesetz vom 28.7.1981 (BGBl. I, S. 681) eine Kronzeugenregelung für Betäubungsmitteldelikte geschaffen wurde (§ 31 BtMG), geschah dies erst 1989 auch für terroristische Straftaten (BGBl. I, S. 1059, S. 1061). Diese Regelung trat jedoch zum 1.12.1999 wieder außer Kraft. Erst seit dem 1.9.2009 gibt es im deutschen Strafrecht mit § 46b StGB eine allgemeine Kronzeugenregelung (eingeführt durch das 43. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2288).

[17] Der Polizeibeamte Norbert Schmid wurde bei einem Festnahmeversuch des RAF-Mitglieds Margrit Schiller erschossen. Er war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Schiller selbst belastete Gerhard Müller schwer, der mit Urteil vom 16.3.1976 vom LG Hamburg zwar für andere Taten, darunter Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zum Mord, nicht aber für den Mord an Schmid verurteilt wurde (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29).

[18] Müller selbst legte zunächst das Rechtsmittel der Revision ein. Trotz dadurch eingetretener Hemmung der Rechtskraft (§ 343 Abs. 1 StPO), hatte Müller eine Verschlechterung seiner Situation (etwa durch Erhöhung des Strafmaßes) zum Zeitpunkt seiner Aussagen kaum noch zu befürchten. Die Frist zur Einlegung einer Revision (eine Woche ab Verkündung des Urteils, § 341 Abs. 1 StPO) für die Staatsanwaltschaft war abgelaufen; § 358 Abs. 2 StPO enthält ein Verbot der Schlechterstellung im Rahmen der Revision u.a. für den Fall, dass nur der/die Angeklagte Revision eingelegt hat. Weitere Rechtsmittel stehen gegen ein Urteil des Landgerichts nicht zur Verfügung; ein erneutes Verfahren wegen der abgeurteilten Taten ist nach Art. 103 Abs. 3 GG grundsätzlich ausgeschlossen. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten des/der Verurteilten besteht nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen (§ 362 StPO). In der Zwischenzeit hatte Müller seine Revision wohl zurückgenommen, sodass das Urteil gegen ihn in Rechtskraft erwachsen ist (so Rechtsanwalts Schily am 148. Verhandlungstag, S. 11728 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[19] Dierk Hoff selbst gab an, er habe zunächst in dem Glauben gehandelt, er stelle Filmrequisiten her; später habe er sich aufgrund von Drohungen nicht getraut, die angeforderten Arbeiten zu verweigern (s. etwa seine Angaben am 68. Verhandlungstag, S. 5920 ff., 5933 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Diese Angaben wurden durch die Verteidigung in Zweifel gezogen.

[20] Bereits im Februar 1973 wurde Rechtsanwalt und RAF-Mitglied Horst Mahler vom Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt. In einem weiteren Verfahren wurde er für seine Beteiligung an der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 im November 1974 vom LG Berlin unter Einbeziehung der früheren Haftstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 1980 durchlief Mahler eine radikale politische Kehrtwende. Ende der 90er Jahre bekannte er sich erstmals öffentlich zum Rechtsradikalismus, im Jahr 2000 trat er in die NPD ein. Wegen antisemitischer Hetze wurde er mehrfach wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff., 384; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 40 ff., 53, 67 f.).

[21] Vor dem LG Kaiserslautern fand zu dieser Zeit die Hauptverhandlung gegen die RAF-Mitglieder Manfred Grashof, Wolfgang Grundmann und Klaus Jünschke statt. Vorgeworfen wurden ihnen neben der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verschiedene Straftaten im Zusammenhang mit einem Banküberfall in Kaiserslautern am 22. Dezember 1971, bei dem der Polizeiobermeister Herbert Schoner erschossen wurde, sowie im Zusammenhang mit der Verhaftung von Grundmann und Grashof am 2. März 1972, bei der der Kriminalhauptkommissar Eckhart durch einen Schuss durch Grashof schwer verletzt wurde und schließlich am 22. März 1972 seinen Verletzungen erlag; dem Angeklagten Jünschke ferner die Beteiligung an der Herbeiführung der Explosion in Frankfurt am Main am 11.5.1972. Jünschke und Grashof wurden am 2.6.1977 je zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, Grundmann zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff., 322; s. zu den Tatvorwürfen und späteren Verurteilungen auch DER SPIEGEL, Ausgabe 24/77 vom 6.6.1977, S. 104).

[22] Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO). Damit trifft die Aufklärungspflicht das Gericht unabhängig von Anträgen der Verfahrensbeteiligten.

[23] Grundsätzlich haben die Verfahrensbeteiligten bis zum Beginn der Urteilsverkündung das Recht, Beweisanträge zu stellen, das Gericht ist zur Entgegennahme verpflichtet (BGH, Urt. v. 3.8.1966 – Az.: 2 StR 242/66, BGHSt 21, S. 118, 123). Beweisanträge, die zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt werden, konnten allerdings nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. abgelehnt werden. Der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppung wurde mit Wirkung zum 13.12.2019 durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (BGBl. I, S. 2121) aufgehoben, was allerdings nicht zur Folge hat, dass derartige Anträge nun ungehindert gestellt werden könnten; vielmehr sieht § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nun vor, dass ein solcher Antrag nicht mehr durch förmlichen Beschluss abgelehnt werden muss. Zudem wurde mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017 (BGBl. I, S. 3202) die Möglichkeit geschaffen, Beweisanträge, die nach Ablauf einer zuvor gesetzten Frist gestellt werden, erst im Urteil zu bescheiden (§ 244 Abs. 6, Satz 2-5 StPO). Hierdurch sollte der Umgang mit verfahrensverzögernden Beweisanträgen vereinfacht werden (s. die Begründung in BR-Drs. 796/16, S. 34).

[24] Art. 6 EMRK enthält das Recht auf ein faires Verfahren. Dazu gehört u.a. der Anspruch, dass eine Strafanklage innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (Abs. 1 Satz 1). Hierdurch soll erreicht werden, dass das Strafverfahren ohne vermeidbare Verzögerungen durchgeführt wird, damit Angeklagte den belastenden Auswirkungen eines gegen sie gerichteten Strafverfahrens nicht unnötig lang ausgesetzt werden. Befindet sich eine Person in Untersuchungshaft, erlangt der Beschleunigungsgrundsatz eine noch größere Bedeutung (Gaede, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, Art. 6 EMRK Rn. 361 f.).

[25] Die Staatsanwaltschaft hat nach § 160 Abs. 2 StPO „nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln“. Sie wird daher – häufig ironisch – die „objektivste Behörde der Welt“ genannt. Diese Formulierung geht auf ein Zitat von Franz von Liszt aus dem Jahr 1901 zurück: „Durch die Aufstellung des Legalitätsprinzips, durch die dem Staatsanwalt auferlegte Verpflichtung, in gleicher Weise Entlastungs- wie Belastungsmomente zu prüfen, durch das ihm eingeräumte Recht, Rechtsmittel zu Gunsten des Beschuldigten einzulegen, u.s.w. könnte ein bloßer Civiljurist zu der Annahme verleitet werden, als wäre die Staatsanwaltschaft nicht Partei, sondern die objektivste Behörde der Welt. Ein Blick in das Gesetz reicht aber aus, um diese Entgleisung als solche zu erkennen. Es genügt der Hinweis auf § 147 GVG: ‚Die Beamten der Staatsanwaltschaft sind verpflichtet, den dienstlichen Anweisungen ihrer Vorgesetzten nachzukommen.‘“ (aus einem Vortrag vor dem Berliner Anwaltsverein, DJZ1901, S. 179, 180).

[26] Die Strafprozessordnung unterscheidet zwischen (kürzeren) Unterbrechungen und der Aussetzung des Verfahrens. Während die Unterbrechung der Hauptverhandlung für einen kürzeren Zeitraum (§ 229 Abs. 1 StPO a.F.: bis zu zehn Tage; heute: 3 Wochen) durch den/die Vorsitzende/n angeordnet werden kann (§ 228 Abs. 1 Satz 2 StPO), ist für die Entscheidung über die Aussetzung sowie über für bestimmte Situationen vorgesehene längere Unterbrechungen (z.B. nach § 229 Abs. 2 StPO) das Gericht – hier wäre das der Senat in voller Besetzung – zuständig (§ 228 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine Aussetzung hat stets die Folge, dass mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist; gleiches gilt für eine die Frist des § 229 Abs. 1 StPO überschreitende Unterbrechung (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO a.F.; heute Abs. 4 Satz 1 StPO; s. zu den grundlegenden Unterschieden zwischen Aussetzung und Unterbrechung auch Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 228 Rn. 3 ff.).

[27] Sachleitungsbezogene Anordnungen des/der Vorsitzenden können als unzulässig beanstandet werden (§ 238 Abs. 2 StPO). Über die Beanstandung entscheidet sodann das Gericht, in diesem Fall der Senat in voller Besetzung.


[a] Maschinell eingefügt: dazu

[b] Handschriftlich ergänzt: sollten

[c] Handschriftlich ersetzt: wäre durch wird

[d] Maschinell ergänzt: gekleidet

[e] Handschriftlich durchgestrichen: das

[f] Handschriftlich ersetzt: ... durch voll

[g] Maschinell eingefügt: dürfte

[h] Handschriftlich ersetzt: noch durch auch

[i] Handschriftlich eingefügt: durch

[j] Handschriftlich ersetzt: ich durch er

[k] Handschriftlich durchgestrichen: ist

[l] Handschriftlich eingefügt: ist

[m] Handschriftlich eingefügt: Sie

[n] Handschriftlich eingefügt: mich

[o] Handschriftlich eingefügt: nicht

[p] Maschinell eingefügt: so

[q] Maschinell eingefügt: denn

[r] Maschinell eingefügt: keine

[s] Maschinell eingefügt: ich

[t] Maschinell eingefügt: gesessen

[u] Maschinell eingefügt: nicht

[v] Maschinell eingefügt: Ich

[w] Maschinell ersetzt: ... durch bis zum letzten Moment

[x] Maschinell eingefügt: bis ich

[y] Handschriftlich eingefügt: auf

[z] Maschinell eingefügt: Gudrun

[aa] Maschinell eingefügt: des Zeugen

[bb] Maschinell durchgestrichen: weil

[cc] Maschinell eingefügt: noch einen weiteren Antrag

[dd] Maschinell eingefügt: jetzt

[ee] Maschinell ersetzt: Dezember durch September

[ff] Maschinell eingefügt: in

[gg] Maschinell ersetzt: des durch von

[hh] Handschriftlich ersetzt: gibt durch geben

[ii] Maschinell ersetzt: ... durch Charybdis

[jj] Maschinell ersetzt: Dann durch Dann kann die Bundesanwaltschaft,

[kk] Maschinell eingefügt: gerade

[ll] Handschriftlich eingefügt: oder

[mm] Handschriftlich ersetzt: des durch den

[nn] Maschinell durchgestrichen: Auffassung von

[oo] Maschinell durchgestrichen: wie

[pp] Maschinell durchgestrichen: vorliegen

[qq] Maschinell eingefügt: vorliegen