[13171] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 13. Januar 1977, um 10.05 Uhr.
(172. Verhandlungstag)
Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von Reg. Dir. Widera und OStA Holland - erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
JOS Janetzko, Just.Ass. Scholze,
Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]
Als deren Verteidiger sind anwesend:
Rechtsanwälte Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Grigat.
Vors.:
Ich bitte Platz zu nehmen. Wir setzen die Sitzung fort. Die Verteidigung ist gewährleistet. Herr Rechtsanwalt Künzel?
RA Kün[zel]:
Sie haben durch drei Richter des Senats einen von mir außerhalb der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Dieser Beschluß ging mir vor etwa knapp 10 Minuten zu. Und ich bin nun leider auch in der Verlegenheit, prüfen zu müssen, ob aufgrund dieser Behandlung meines Antrags ein weiterer Ablehnungsantrag zwingend notwendig ist; und ich bitte mir dazu 20 Minuten Bedenkzeit einzuräumen.
Vors.:
Gut. In 20 Minuten Fortsetzung.
Pause von 10.06 Uhr bis 10.30 Uhr
Vors.:
Sie wollen das Wort, bitte, Herr Rechtsanwalt Künzel.
RA Kün[zel]:
In der Strafsache gegen Andreas Baader, hier betreffend die Frau Ensslin
lehne ich namens der Frau Ensslin den Vorsitzenden Richter Dr. Prinzing, den Richter Dr. Foth, den Richter Maier und den Richter Dr. Breucker wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.
[13172] Zur Begründung dieses Antrags trage ich vor:
Ich habe gestern gegen 20 Uhr in den Nachtbriefschalter des Oberlandesgerichts ein Ablehnungsgesuch geworfen, das eben aus der Schreibmaschine genommen wurde kurz zuvor und das folgenden Wortlaut hatte. Es war ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter Dr. Prinzing. Zu der Begründung dieses Gesuches habe ich ausgeführt;
„Am 29.7.1976, dem 132. Verhandlungstag, ließ die Angeklagte ein Ablehnungsgesuch stellen und zur Begründung vortragen, es sei während der Hauptverhandlung zu telefonischen Kontaktaufnahmen zwischen dem abgelehnten Richter und Richtern übergeordneter Gerichte gekommen.
Der abgelehnte Richter hat dazu erklärt:
„Ich gebe aus grundsätzlichen Erwägungen über private Gespräche, auch wenn sie sich mit Rechtsproblemen befasst haben, keine Äußerung ab.“
Aus der dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters vom 10.1.1977 ergibt sich, daß vor dem 29.7.1976 ein Telefongespräch mit dienstlichem Inhalt zwischen dem abgelehnten Richter und dem Richter Mayer vom Bundesgerichtshof stattfand. Dieses Gespräch muß zwischen dem 14.7. - frühester Zeitpunkt der Fertigstellung des Protokolls vom 13.7 - und dem 20.7.76 stattgefunden haben. Denn mit einem Begleitschreiben von diesem Tag hat der Bundesrichter die Aktenauszüge an seinen Kartellbruder Dr. Kremp weitergeleitet.[2]
Zur Glaubhaftmachung[3] verweise ich auf die Sitzungsniederschrift mit Anlagen, auf eine dienstliche Erklärung des abgelehnten Richters und auf eine Erklärung des Richters am BGH Mayer.
Wegen der Unverzüglichkeit[4] dieses Antrages verweise ich darauf, daß erst nach dem Sitzungstag vom Montag, den 10.1.77 anhand der Protokolle festgestellt werden konnte, daß die Erklärung des abgelehnten Richters über telefonische dienstliche Kontakte zu Richtern am Bundesgerichtshof zeitlich nach dem 20.7.76 lag.
Die Erklärung vom 29.7.1976 ist nur verständlich, wenn damit gesagt sein soll, daß keine anderen als private telefonische Kontakte zwischen dem abgelehnten Richter und Richtern am BGH stattgefunden haben. Anders wäre ihr Inhalt als Stellungnahme zu diesen behaupteten Kontakten ohne Sinn.
Nun hat damals aber nur wenige Tage zuvor ein solcher dienstlicher telefonischer Kontakt stattgefunden. Der Sachgehalt[a] der Erklärung vom 29.7.1976 ist also objektiv unrichtig.
Aus der Sicht der Angeklagten gibt es dafür, daß in der dienstlichen Erklärung dieses Telefongespräch unerwähnt blieb, keinen die Besorgnis der Befangenheit ausschließenden plausiblen Grund. Daß der abgelehnte Richter das Gespräch nicht in Erinnerung gehabt haben könnte, scheidet aus. Es lag erst Tage zurück; es war zudem ein ungewöhnlicher Vorgang. Wenn der 3. Strafsenat ein Interesse an den Akten gehabt hätte, dann hätte der abgelehnte Richter ein [13173] schriftliches Ersuchen mit Begründung des berechtigten Interesses erwarten dürfen - ja müssen. Vielleicht ist deshalb der Vorgang unerwähnt geblieben, weil aus dieser formlosen Handhabung eines Aktenersuchens, das gegen Ziffer 190 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren[5] verstoßen würde, besonders enge Kontakte - ein heißer Draht - zum 3. Strafsenat des BGH offengelegt worden wäre. Die Aktenausfolge per telefonischem Abruf läßt an eine bereitwillige Kollegialität denken, die[b] Interessen der Angeklagten demgegenüber zurücktreten läßt.
Eine solche Kollegialität könnte das Verhalten des abgelehnten Richters dann aber auch gegenüber anderen staatlichen Stellen bestimmen. Dies muß sich der[c] Angeklagten um so mehr aufdrängen, als sonst in Stellungnahmen des Senats zur Aktenausfolge an Dritte,[6] die Anliegen der Angeklagten einen hohen Stellenwert eingenommen haben.
Der abgelehnte Richter könnte das dienstliche Telefongespräch in der Erklärung vom 29.7.1976 unerwähnt gelassen haben, weil es eine Befangenheit der Richter aufdecken könnte, die für eine spätere Revision zuständig wären.[7] Denn mit wahrer richterlicher Unabhängigkeit eines BGH-Senats ließe es sich schwerlich vereinbaren, daß er außerhalb eines geordneten Rechtsganges bei einem untergeordneten Gericht Akten aus einem dort laufenden Verfahren anfordert. Ein solches Gebaren ist zumindest schlechter richterlicher Stil. Er weicht die Grenzen zwischen den Instanzen auf. Was soll denn ein Angeklagter von einem Revisionsgericht denken, wenn er weiß, daß dieses Gericht schon die ganze Zeit per Aktenauszug am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat. Neugierde, auch die eines BGH-Senats kann kein berechtigtes Interesse für eine Aktenausfolge begründen. Deshalb hätte der abgelehnte Richter ein offizielles Aktenersuchen ablehnen müssen und deshalb durfte möglicherweise ein telefonisches Ersuchen in der Erklärung keinen Niederschlag finden.
Der abgelehnte Richter mußte aber auch davon ausgehen, daß im Falle einer Erwähnung des Gesprächs die Verteidigung auf Aufklärung gedrängt hätte. Es wäre dann zu Tage gekommen, daß der an den 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes abgegangene Protokollauszug den auf einen Verteidiger abzielenden Vermerk trägt: „Da fehlt einer - wie immer, wenn es um den Ensslin-Kassiber gegangen ist. Ca. 15 Minuten nach dieser Erörterung erschien der Fehlende!“[8] Dieser Vermerk muß die Befürchtung der Angeklagten bestärken, es bestehe ein reger Austausch zwischen dem Senatsvorsitzenden und dem 3. Strafsenat am Bundesgerichtshof. Denn bei einer gebotenen Distanz zwischen den beiden Senaten könnte doch wohl nicht so korrespondiert werden.
Der Randvermerk zielt offenbar darauf ab, einen zusätzlichen Verdacht gegen den Verteidiger zu begründen. Dieser zusätzlich dem Bundesgerichtshof mitgeteilte Verdachtsmoment steht in unerträglichem Widerspruch zum Inhalt der Erklärung vom [13174] 10.1.1977, nach welcher zum Ausdruck gebracht worden sein soll, daß eher erleichternde Umstände erkennbar wurden.
Dieser Widerspruch und der Umstand, daß in der Erklärung vom 29.7.76 jeder telefonische dienstliche Kontakt mit Richtern am BGH in Abrede gestellt wurde, muß das Vertrauen der Angeklagten in die Richterpersönlichkeit erschüttern. Die Angeklagte hat durch Zufall von dem Vorgang Kenntnis erhalten. Sie hat keine Gewähr dafür, daß es nicht noch mehr solche Zufälle geben könnte. Das Vertrauen in das Gericht ist schlechterdings die materielle Grundlage für die formelle Rechtsfindung. Wo dieses Vertrauen erschüttert ist, kann die Besorgnis der Befangenheit nicht mehr verdrängt werden.
Zur Glaubhaftmachung verweise ich auf diesen Antrag.
Nunmehr ist mir kurz vor 10 Uhr eine Entscheidung der Richter Prinzing, Foth und Maier, also der abgelehnten Richter zugegangen mit folgender Begründung:
Die dienstliche Erklärung vom 29.7.1976 ging der Angeklagten Ensslin noch an diesem Tage, spätestens mit der alsbald darauf erfolgten Überlassung der Tonbandniederschrift dieses Tages, zu. Die dienstliche Erklärung vom 10.1.77 erhielt die Angeklagte (ebenso wie schon zuvor ihr Verteidiger Rechtsanwalt Künzel) am selben Tag etwa 12.15 Uhr. Von diesem Zeitpunkt ab konnte sie den behaupteten Widerspruch zwischen den dienstlichen Erklärungen in einem Ablehnungsgesuch vorbringen. Es kann dahinstehen, ob eine gewisse Überlegungs- und Überprüfungszeit zuzubilligen wäre; denn die Anbringung des Ablehnungsgesuchs am 12.1.77 nach Dienstschluß (der Schriftsatz fand sich im Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts) ist auf jeden Fall verspätet, die Ablehnung daher unzulässig. Bei der Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ ist ein strenger Maßstab anzulegen, zumal dann, wenn, wie hier, die Hauptverhandlung vermeidbar verzögert wird.
Diese Begründung geht offensichtlich, wie es bei auch nur einigermaßen sorgfältiger Überlegung den abgelehnten Richtern sich hätte aufdrängen müssen, von falschen Voraussetzungen aus. Der Sitzungstag am 10.1.77 dauerte nach meiner Erinnerung bis zum Abend. Ich habe die Sitzungsprotokolle nicht hier, sondern in [13175] einem eigenen Raum für diesen Zweck in meinem Büro in Waiblingen. Ich konnte also frühestens ab Dienstag die Vorgänge des Montags erörtern. Das mußten aber die abgelehnten Richter wissen. Es ist schlechterdings ausgeschlossen, ab 12.15 Uhr diese Erklärung zu überprüfen. Mir blieb also der Dienstag und der Mittwoch. Der Bundesgerichtshof sagt, daß eine gewisse Bedenkzeit erforderlich sein dürfe. Das richtet sich wohl immer nach den ganz konkreten Umständen. Es ist ein anderes, einen Amtsrichter abzulehnen, ein anderes ist es, einen Vorsitzenden Richter eines Strafsenates abzulehnen. Es ist ein anderes, ob ich als gewählter Verteidiger oder ob ich als sogenannter Zwangsverteidiger[9] eine solche Ablehnung stelle. Nichtwahr, da würde zunächst wieder Literatur notwendig. Ich muß doch prüfen, ob das möglich ist.[10] Es gibt da verschiedene Entscheidungen und ich muß mich dann erst dazu durchringen, daß es ein Grundrecht[d] auch des Pflichtverteidigers ist, der keinen Kontakt mit seiner Mandantin hat,[11] einen solchen Antrag stellen kann. Eine der wenigen Möglichkeiten übrigens wohl, um dieses Verfahren verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen, wenn es Grundrecht des Pflichtverteidigers ist. Wenn ich eine Vorstellung über die Rechte eines Pflichtverteidigers habe, dann muß ich prüfen, ob ich auch die Pflicht habe, einen solchen Antrag zu stellen. Und dann muß ich ihn formulieren. Und dann muß ich die Vermutung beseitigen, daß Zweifel an einer richterlichen Erklärung eigentlich gar nicht aufkommen dürfen. Und dann muß ich mit dem Problem fertig werden und dann kann ich den Antrag stellen. Der Antrag ist deshalb ganz offensichtlich, ganz offensichtlich nicht verspätet gestellt. In der-etwa-Entscheidung VRS,[12] sie ist bei Kleinknecht zitiert - ich hab es mir von meinem Büro sagen lassen - ging es darum, daß eine vom 12.-23. unterbrochene ... eines Monats unterbrochene Hauptverhandlung gegeben war und daß der Verteidiger den Ablehnungsantrag dann erst am 23. mit in die Sitzung brachte. Das Gericht hat dort ausgeführt, das wäre nun freilich möglich gewesen, an einem Montag nach Sitzungsschluß hätte er es frühestens bringen können und dann hätte es keine Verzögerung gegeben, weil innerhalb dieser 11 Tage hätte dieses Gesuch behandelt werden können. Das scheidet hier [13176] eigentlich alles aus. Es war keine Verzögerung ... ich hätte es gar nicht machen können. Aber das muß, es war den abgelehnten Richtern Prinzing, Foth und Maier bekannt ... Und nun drängt sich auf, daß dieses Ablehnungsgesuch deshalb als unzulässig abgelehnt wurde, weil damit der in dem Gesuch abgelehnte Richter Dr. Prinzing gedeckt werden sollte. Diese Ausflucht auf die Verspätung des Gesuches ist aber auch eine Beschränkung der Verteidigung, eine bewußte Beschränkung der Verteidigung. Denn irgendwie muß das ja alles verarbeitet sein. Und deshalb beschränken die abgelehnten Richter die Verteidigungsmöglichkeit, wenn sie ein ausführlich begründetes Ablehnungsgesuch so abtun. Daß diese Motive vorliegen, ergibt sich dann aber auch aus dem Beschluß vom 11. Januar 1977, an dem der abgelehnte Richter Dr. Breucker mitgewirkt hat. Dort heißt es auf Seite 2: „Ergänzend ist hierzu noch festzustellen, daß es sich bei den von der Geschäftsstelle mit der Dienstpost übersandten Ablichtungen der Tonbandniederschrift und den möglicherweise mit übersandten Ablichtungen.“ „Möglicherweise“, damit soll der Sachverhalt in einem milderen Licht erscheinen. Nun weiß man aber, und wußte der abgelehnte Richter Dr. Breucker, daß tatsächlich dieses Protokoll mitübersandt wurde. Das ergibt sich aus dem Begleitschreiben. Und deshalb spricht dieses „möglicherweise“ dafür, daß es darum geht, einen Schutzraum um den Vorsitzenden Richter zu schaffen. Die abgelehnten Richter tun aber auch der Rechtsprechung, dem Recht keinen guten Dienst. Die Gründe in diesem Ablehnungsantrag vom 12. Januar 1977 gehören bereinigt, gehören offen diskutiert. Sonst hat dieses Verfahren einen Makel, von dem es nicht mehr befreit werden kann. Zur Glaubhaftmachung verweise ich auf den Beschluß vom 13. Januar 1977, auf den Beschluß vom 11. Januar 1977, auf eine dienstliche Erklärung der abgelehnten Richter. Dazu, daß ich nicht einen Moment, nachdem ich entschlossen war, das Ablehnungsgesuch zu stellen, schuldhaft verzögert habe, das versichere ich eidesstattlich, das versichere ich als Anwalt.
Vors.:
Weitere Wortmeldungen zur Antragstellung?
Will sich die Bundesanwaltschaft äußern? Bitte, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.
BA Dr. W[under]:
Ein sachliches Eingehen auf das ursprüngliche Gesuch ist [13177] jetzt nicht mehr statthaft. So wie geschehen, Zurückweisung eines außerhalb der Hauptverhandlung angebrachten Ablehnungsantrag ebenfalls außerhalb der Hauptverhandlung, durfte verfahren werden. Der Begriff „unverzüglich“ war entsprechend dem Sprachgebrauch und dem mit der förmlichen Regelung des Ablehnungsgesuches verfolgten Zweck eng auszulegen. Bei mehrtägigen Verhandlungspausen war es deshalb erforderlich, das Gesuch außerhalb der Hauptverhandlung anzubringen. Dementsprechend wurde es behandelt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch noch auf eine Entscheidung des 4. Strafsenates des BHG 512/66 vom 10.11.1967.[13] Bemerkenswert ist, daß der Richter Dr. Breucker an dieser Beschlußfassung überhaupt nicht beteiligt war. Ersichtlich ist nicht, weshalb dieser Richter wegen Mitwirkung bei anderen Entscheidungen hier abgelehnt werden soll. Bei dieser Sachlage ist das Gesuch jedenfalls unbegründet. Es kann angesichts der Tatsache, daß dem Verteidiger diese Rechtsprechung bekannt ist, nur so gedeutet werden, daß mit ihm nicht verfahrensbezogene Zwecke verfolgt werden. Ich beantrage, es nach § 26a Ziffer 3 StPO[14] zurückzuweisen.
Vors.:
Ich bitte um 10.15 Uhr wieder anwesend zu sein, 11.15 Uhr wieder anwesend zu sein. Es wird dann bekanntgegeben, wie es weitergeht. Ich möchte aber angesichts dieser sehr schwerwiegenden Vorwürfe, die wiederum erhoben worden sind, sagen: Wenn es auf eine dienstliche Erklärung ankommen sollte und ich die abgeben müßte, dann würde ich diese dienstliche Erklärung nach der Entscheidung auch der Presse bekanntgeben, damit nicht in solchen Fällen völlig einseitige Informationen zustande kommen, wie es schon geschehen ist. Um 11.15 Uhr wird bekanntgegeben, wie es weitergeht.
Pause von 10.52 Uhr bis 11.39 Uhr
Ende von Band 778
[13178] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 11.39 Uhr.
Vors.:
Der Senat hat folgenden Beschluss gefasst:
Beschluss:
Die Ablehnung des Vorsitzenden Richters Dr. Prinzing und der Richter Dr. Foth, Maier und Dr. Breucker wird einstimmig als unzulässig verworfen.
Gründe:
Der Verteidiger Rechtsanwalt Künzel lehnt die Richter Dr. Prinzing, Dr. Foth und Maier ab, weil sie einen vorhergehenden Ablehnungsantrag des Verteidigers als verspätet verworfen haben. Er hat eine andere Vorstellung von der richtigen Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ im Sinn des § 25 Abs. 2 StPO. Die von dem Senat abweichende Rechtsauffassung des Verteidigers allein begründet aber eine Ablehnung der beteiligten Richter umso-weniger, als sich der Senat mit seiner Auslegung auf die Entscheidung des Bundesgerichtshof 21. Band, S. 334 gestützt hat. Dort heißt es auf S. 345 dieser umfangreichen Entscheidung: „Bei der Auslegung des Begriffs unverzüglich ist daher ein strenger Maßstab anzulegen. Hätte der Angeklagte, was ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, den Ablehnungsgrund alsbald zu Protokoll der Geschäftsstelle vorgebracht, so hätte die Entscheidung darüber vor dem nächsten Hauptverhandlungstag getroffen und die Verhandlung in der Sache selbst entsprechend dem Zweck der förmlichen Regelung des Ablehnungsverfahrens ohne vermeidbare Verzögerung fortgesetzt oder abgebrochen werden können. Das Gesuch ist also in jedem Falle verspätet gestellt worden.“[15] Darauf vor allem kam es aber an, daß der vorhergehende Ablehnungsantrag des Verteidigers ohne weiteres so rechtzeitig hätte gestellt werden können, daß eine Entscheidung jedenfalls vor der beabsichtigten Fortsetzung der Hauptverhandlung hätte getroffen werden können. Dem Verteidiger ist diese Rechtsprechung erklärtermaßen bekannt. Wenn er gleichwohl vorträgt, die abgelehnten Richter bewegten [13179] sich außerhalb des rechtlich Vertretbaren, so verfolgen damit er und die Angeklagte Ensslin offensichtlich nur verfahrensfremde Zwecke (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Die Ablehnung des Richters Dr. Breucker ist schon deshalb verspätet, weil der gegen ihn geltend gemachte Ablehnungsgrund jedenfalls schon mit dem vorhergehenden Ablehnungsantrag des Rechtsanwalts Künzel hätte vorgebracht werden können.
- - -[e]
Herr Rechtsanwalt Künzel, das waren die Gründe dieses Beschlusses. Ich möchte Ihnen nur folgendes sagen dazu: Die getroffene Entscheidung war rechtlich geboten. Ich persönlich bedauere, dadurch außerstande zu sein, Ihnen sachlich erwidern zu können. Aber soviel möchte ich Ihnen erklären: Wenn der Vorwurf unkorrekten Verhaltens - auch in der von Ihnen jetzt vorgetragenen Form - oder der Befangenheit gegen mich berechtigt wäre, hätte ich die rechtlich möglichen Konsequenzen gezogen.[16]
Ich darf nun weiterhin folgende Beschlüsse bekanntgeben. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Ablehnungsantrag gegen die Richter Dr. Prinzing, Dr. Foth, Maier und Dr. Berroth durch Beschluß vom 11. Jan. 1977 als unbegründet verworfen worden ist. Er ist allen Beteiligten inzwischen bekanntgegeben. Es handelt sich dabei um die Entscheidung über den zuletzt gestellten Ablehnungsantrag des Herrn RA Schily und unter Anschluß - glaube ich - von Herrn RA Dr. Heldmann und Weidenhammer wegen der Entscheidung, daß die Ablehnung vom Vormittag, die gegen mich gerichtet war, der Ablehnungsantrag unbegründet gewesen sei. Und es handelt sich ferner um den selbstständigen Ablehnungsantrag des Rechtsanwalts Weidenhammer einmal gegen mich und dann auch gegen Herrn Dr. Foth wegen der früheren Mitwirkung an einem Beschluß im Jahre 1971, in dem die Formulierung „Baader-Meinhof-Bande“ verwendet worden ist.
Wir haben von Herrn RA Dr. Heldmann telegrafisch einen Antrag gestellt bekommen, der dahin geht, das Verfahren [13180] auszusetzen, bis Herrn Baader die bei der Durchsuchung am 1.12. weggenommenen Verteidigungsunterlagen zurückgegeben worden sind. „Mir ferner, wie gestern erneut verwehrt, Zugang zu meinem Mandanten in die Vollzugsanstalt ohne vorangegangene Entkleidung ermöglicht wird.“
Das Telegramm von RA. Dr. Heldmann wird als Anl. 1 dem Protokoll beigefügt.
Wir hatten[f] schon, bevor es zu diesem erneuten Ablehnungsantrag gekommen ist, und bevor diese Entscheidung gefaßt ist, in der[g] Absicht, den entsprechenden Beschluß hier zu verkünden, die eingetretene Pause, die Herr RA Künzel erbeten hatte, dazu benützt, über diesen Antrag zu beraten. Der Beschluß, der jetzt erneut bestätigt worden ist innerhalb des Senats, nachdem über die Ablehnung hier entschieden war, dieser Beschluss lautet:
Beschluss:
Der Aussetzungsantrag von RA Dr. Heldmann wird abgelehnt.
Gründe:
Der Antragsteller begehrt die Aussetzung, bis Unterlagen, die bei der Durchsuchung der Zelle des Angeklagten Baader am 1.12.76 sichergestellt worden sind, zurückgegeben seien. Die Rückgabe dieser Unterlagen hat das Gericht längst veranlasst. Wie eine Rückfrage vom heutigen Tag bei der Justizvollzugsanstalt Stuttgart ergeben hat, ist der Veranlassung auch entsprochen worden.
Soweit RA Dr. Heldmann die Aussetzung mit den Durchsuchungsmaßnahmen in der Justizvollzugsanstalt begründet, ist bereits entschieden, daß diese Maßnahmen nicht zu beanstanden sind.[17]
Für eine Aussetzung besteht daher kein Grund.
- - -[h]
Es ist ferner folgender Beschluss bekanntzugeben:
Beschluss:
Der von RA Schily gestellte Antrag, Herrn Hans-Peter Konieczny als Zeugen zu vernehmen, wird abgelehnt.
[13181] Gründe:
Nach den in den Akten enthaltenen polizeilichen und richterlichen Angaben von Herrn Konieczny und dem gegen ihn ergangenen Haftbefehl vom 8.7.1972 soll Herr Konieczny im Jahre 1972 etwa ½ Jahr lang mit einer aus Horst Mahler[18], Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und weiteren Personen bestehenden kriminellen Vereinigung in Verbindung gestanden und sie unterstützt haben. Er wurde am 7.7.1972 vorläufig festgenommen und machte alsbald Angaben zur Sache, die u.a. zur Festnahme von Irmgard Möller[19] und Klaus Jünschke[20] geführt haben.
Im hier anhängigen Verfahren wurde Herr Konieczny nicht als Zeuge vernommen. Warum der Antragsteller trotzdem seine Vernehmung zu den genannten Beweisthemen anstrebt, wird in dem Antrag (der nach seinem vollen Inhalt dem „Spiegel“ Nr. 41/76[21] entnommen ist) nicht erwähnt. Im Hinblick auf früheren Vortrag und frühere Anträge ist zu vermuten, der Antragsteller wolle dartun, Herr Konieczny sei mit unerlaubten Mitteln (§ 136a StPO[22]) vernommen worden, und wolle hieraus den Schluß ziehen, gleiches sei mit dem hier vernommenen Zeugen Gerhard Müller[23] geschehen. Der Senat hat darüber, ob Gerhard Müller auf verbotene Weise vernommen wurde, im Wege des Freibeweises[24] zu befinden und hat schon zahlreiche Beweise erhoben. Die in das Wissen von Herrn Konieczny gestellten Tatsachen können insoweit zur Wahrheitsfindung jedoch nichts beitragen.
Ob Herrn Konieczny sofortige Entlassung nach Beendigung seiner Aussage und geringfügige Bestrafung zugesagt wurden, mag möglicherweise von Bedeutung und näherer Erörterung wert sein, wenn es um die Verwertung sachlicher Angaben von Herrn Konieczny geht. Lediglich als Indiz dafür, bei Gerhard Müller könnten solche und ähnliche Zusagen gemacht worden sein, taugen derartige Untersuchungen nicht. Der bloße Umstand, daß beide Personen - in verschiedenem Ausmaß - mit der kriminellen Ver- [13182-13183][25] [13184] einigung „RAF“ in Verbindung gestanden haben sollen, bzw. (Müller) gestanden haben, und daß beide Personen sachliche Angaben über eben diese Vereinigung gemacht haben (der eine sogleich, der andere etwa 2 ½ Jahre nach der Festnahme) reicht für die Annahme, man könne aus irgendwelchen Vorgängen bei der Vernehmung des einen Rückschlüsse auf die Vernehmung des anderen ziehen, nicht aus.
Beweisthema Nr. 3 ist vom Antragsteller selbst dahin erläutert worden, diese Zuwendung habe aus einer ausgelobten Belohnung stammen sollen. Auch das entspricht dem genannten „Spiegel“- Artikel, wo ausgeführt ist, für die Ergreifung von Irmgard Möller und Klaus Jünschke seien jeweils Geldbeträge ausgelobt worden, auf die Herr Konieczny Anspruch erhebe. Mit Gerhard Müller und dessen Aussagen hat das nichts zu tun.
Die behauptete Zusage schließlich, Herrn Konieczny vor Racheakten zu schützen, betrifft, falls sie erfolgt ist, präventivpolizeiliche Maßnahmen. Auch hieraus kann für das hiesige Verfahren nichts hergeleitet werden.
Für die Glaubwürdigkeit der Aussagen von Gerhard Müller schließlich (falls der Antragsteller auch hierauf abzielen sollte) sind sämtliche in das Wissen von Herrn Konieczny gestellten Tatsachen ohne Bedeutung, weil sie zu deren Beurteilung keinerlei Anhaltspunkte liefern können.
- - -[i]
Soweit jetzt die Dinge zu überblicken sind, sind alle Anträge erledigt. Keine Anträge mehr gestellt. Entschuldigungen der Rechtsanwälte Dr. Heldmann, Schily sind nicht eingegangen. Es ist zwar noch von den Herren hingewiesen und beantragt, nicht abzuschließen mit dem Verfahren, bevor nicht die Verwaltungsgerichtsentscheidungen, die angestrengt worden sind, die Verwaltungsgerichtsverfahren, die angestrengt worden sind, entschieden seien.[26] Das bedarf im Augenblick aber keiner Überlegung; darauf kann Rücksicht genommen werden bis zumindest zu eventuellen Schlußworten. Ich gehe also davon aus, daß wir heute die Beweisaufnahme schließen [13185] können; erneut.[27] Ich möchte die Bundesanwaltschaft fragen, ob sie imstande ist, die erneute zusammenfassende Schlußerklärung zu gehen? Bitte, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.
BA Dr. Wu[nder]:
Herr Vorsitzender, ich möchte trotz der Möglichkeit, daß die Beweisaufnahme heute geschlossen werden kann und vielleicht auch geschlossen wird und obwohl es technisch durchführbar wäre, daß wir plädieren, heute nicht plädieren. Denn ich halte es für ganz unwahrscheinlich, daß seitens der heute abwesenden Verteidiger keine Beweisanträge mehr gestellt werden und dies um so mehr, weil ich Kenntnis habe von einem neuen Schreiben des Herrn RA Schily an den Herrn Generalbundesanwalt, in dem die Stellung eines Beweisantrages auf neue Vernehmung von Bundesanwalt Dr. Krüger angekündigt ist, bzw. dessen unmittelbare Ladung angekündigt ist. Sollte bis zum nächsten Sitzungstag sich allerdings in dieser Richtung nichts weiter entwickeln, dann würde ich in der nächsten Sitzung das Plädoyer bzw. die Zusammenfassung und die Anträge stellen.
Gerichtswachtmeister Bietz überreicht dem Vorsitzenden ein Schriftstück.
Vors.:
Danke. Ich bekomme eben eine Notiz über eine telefonische Mitteilung, daß Herr RA Schily durch sein Büro mitteilen lasse: Er stelle den Antrag, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise die Hauptverhandlung für die Dauer von 30 Tagen zu unterbrechen. Der Antrag komme schriftlich per Luftpost mit der Begründung. Die Begründung selbst ist nicht mitgeteilt, auch nicht angedeutet worden; das sei eine zu umfangreiche Angelegenheit.
Die Notiz über die telefonische Mitteilung wird als Anl. 2 dem Protokoll beigefügt.
Vors.:
Der Senat will sich kurz zu diesem hier eingegangenen Antrag Überlegungen machen. In etwa 10 Minuten bitte [13186][28] [13187] ich wieder anwesend zu sein.
Pause von 11.53 Uhr bis 12.02 Uhr
Vors.:
Wir wollen so weiterverfahren: Über den angekündigten Aussetzungsantrag, dessen Gründe nicht vorliegen, können wir natürlich jetzt nicht befinden.
Wir sehen also die
Fortsetzung der Sitzung am kommenden Dienstag um 9.00 Uhr
vor, vorbehaltlich einer Entscheidung über den Aussetzungsantrag. Wenn sich da irgendwelche Änderungen ergeben würden, würden wir selbstverständlich die Herren Verteidiger sofort unterrichten. Es wäre dann, wenn die Situation bleibt wie jetzt, daß keine Anträge mehr gestellt sind, zu rechnen, daß am Dienstag die Bundesanwaltschaft nochmals zum Schlußvortrag sich äußern wird. Und es wäre dann damit zu rechnen, daß in der Folge die Plädoyers der Verteidigung gehalten werden können, wobei selbstverständlich hier erst dann die übernächste Woche dafür in Betracht käme. Wir müssen es im einzelnen dann noch festlegen, ob das dann am Dienstag der folgenden Woche oder an einem anderen Tag dieser Woche geschehen könnte. Ich bitte also die Herren Verteidiger, das vorzusehen.
Damit sind wir heute am Ende der Sitzung.
Ende der Sitzung am 12.03 Uhr
Ende Band 779.
[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 – Az.: 1 StE 1/74 – StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).
[2] S. zu diesem Vorgang den Ablehnungsantrag des Rechtsanwalts Schily in Anlage 1 zum Protokoll vom 10.1.1977, S. 13135 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (171. Verhandlungstag). Das erwähnte Schreiben des RiBGH Mayer an Dr. Kemp befindet sich auf S. 13156 f. des Protokolls.
[3] Der Grund, aus welchem Richter/innen abgelehnt werden, muss nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).
[4] Die Ablehnung von Richter/innen wegen Besorgnis der Befangenheit muss in diesem Stadium der Hauptverhandlung unverzüglich, also „ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung“ (BGH, Urt. v. 10.11.1967 – Az.: 4 StR 512/66, BGHSt 21, S. 334, 339) erfolgen; andernfalls wäre sie nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO wegen Verspätung als unzulässig zu verwerfen. Zulässig ist allerdings, zunächst noch abzuwarten, ob sich der Eindruck der Befangenheit verfestigt (OLG München, Beschl. v. 22. 11. 2006 – Az.: 4 St RR 182/06, NJW 2007, S. 449, 451).
[5] Nach Nr. 190 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) a.F. erhielt eine nicht am Verfahren beteiligte Behörde regelmäßig Akteneinsicht, wenn sie daran ein berechtigtes Interesse hat. Bei Bedenken gegen die Akteneinsicht ist zu prüfen, ob der Behörde über die sie interessierende Frage eine Auskunft aus den Akten erteilt werden kann. Entsprechende Regelungen zur Akteneinsicht finden sich heute in den Nr. 182-189 RiStBV, die allerdings ausdrücklich keine Anwendung finden für die Vorlage von Akten an übergeordnete Instanzgerichte (182 Nr. 2 RiStBV).
[6] S. etwa den früheren Vermerk des Vorsitzenden Dr. Prinzing, zitiert von Rechtsanwalt Becker am 36. Verhandlungstag, S. 2912 des Protokolls der Hauptverhandlung: „Die wortgetreue Veröffentlichung eines Auszuges aus dem Wortprotokollentwurf der Hauptverhandlung gegen Baader und andere gibt zu folgendem Hinweis Anlaß: Es ist unzulässig, den Wortprotokollentwurf anderen Personen oder Institutionen als den am Verfahren beteiligten oder mit dem Verfahren amtlich befaßten zugänglich zu machen. Unzulässig ist insbesondere eine Veröffentlichung des Protokollentwurfs oder eine Weitergabe zu diesen Zwecken.“
[7] Die Revision ist ein Rechtsmittel gegen Urteile, mit welchem Rechtsfehler, d.h. die Nicht- oder Falschanwendung einer Rechtsnorm, gerügt werden können (§ 337 StPO). Zuständig für die Revisionsentscheidung über ein Urteil des 2. Strafsenats des OLG Stuttgart wäre nach dem Geschäftsverteilungsplan der 3. Strafsenat des BGH gewesen (Bundesanzeiger 1975 Beilage 10/75 zu Nr. 46, S. 4), dem auch der hier erwähnte Richter Mayer angehörte. Nach einer Mitteilung des Rechtsanwalts Schily am 171. Verhandlungstag soll RiBGH Mayer unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Umstände versetzt worden sein (S. 13159 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[8] Diese Bemerkung bezieht sich auf Rechtsanwalt Schily. Das sog. „Ensslin-Kassiber“ bezeichnet ein bei der Festnahme von Ulrike Meinhof gefundenes und offenbar von Gudrun Ensslin stammendes Schreiben, in welchem sich Schilderungen konkreter Geschehnisse im Zusammenhang mit Ensslins Verhaftung befanden (das Schreiben wird am 59. Verhandlungstag thematisiert, S. 5396 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; Auszüge finden sich im Urteil auf S. 152). Da es nur wenige Tage nach der Verhaftung Ensslins außerhalb der Haftanstalt aufgefunden wurde, wurde schnell der Verdacht geäußert, Rechtsanwalt Schily habe diesen Kassiber im Rahmen eines Anwaltsbesuches illegal aus der Haftanstalt herausgeschmuggelt. Sichere Beweise hierfür gab es allerdings nicht (s. hierzu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 65 ff.).
[9] Die Verteidigung bestand aus zwei „Lagern“: Zum einen den Vertrauensverteidiger/innen, die von den Angeklagten ursprünglich frei gewählt (§§ 137, 138 StPO) und ihnen z.T. als Pflichtverteidiger/innen beigeordnet worden waren (§ 141 StPO); zum anderen den von den Angeklagten sog. Zwangsverteidigern, die ihnen durch das Gericht gegen ihren Willen zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden waren. Diese Zweiteilung wurde auch räumlich sichtbar: Während die Vertrauensverteidigung bei den Angeklagten Platz nehmen konnte, saßen die von den Angeklagten abgelehnten Verteidiger ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Saales, neben den Vertretern der Bundesanwaltschaft (s. auch die Skizze in Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 185).
[10] Zwischen der Vertrauensverteidigung und dem Senat bestand Uneinigkeit darüber, ob die Verteidigung durch die sog. Zwangsverteidiger ordnungsgemäß sei (s. dazu bereits die Diskussionen am 1. Verhandlungstag, S. 90 ff., sowie den Entpflichtungsantrag der Rechtsanwältin Becker in Anlage 1 zum Protokoll vom 10.06.1975, S. 184 ff., 3. Verhandlungstag). Auch in der Literatur war diese Vorgehensweise – die Beiordnung von Pflichtverteidiger/innen gegen den Willen der Angeklagten neben vorhandenen (Wahl-)Verteidiger/innen – lange umstritten (s. dazu Thomas/Kämpfer, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 141 Rn. 6). Die Rechtsprechung ließ diese sog. Sicherungsverteidigung zu (BVerfG, Beschl. v. 28.3.1984 – Az.: 2 BvR 275/83, BVerfGE 66, S. 313, 321; BGH, Urt. v. 11.12.1952 – Az.: 3 StR 396/51, BGHSt 3, S. 395, 398; s. auch EGMR, Urt. v. 25.9.1992 – Az.: 62/1991/314/385, EuGRZ 1992, S. 542, 545 f.). Erst mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2128) wurde hierfür in § 144 StPO auch eine gesetzliche Regelung geschaffen.
[11] Da sich die Angeklagten weigerten, mit den von ihnen sog. Zwangsverteidigern zu reden, und sie als „Staatsschutzverteidiger“ ablehnten (so Ulrike Meinhof am 1. Verhandlungstag, S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung), hielten sich diese mit eigenen Anträgen in der Regel sehr zurück, solange Vertreter/innen der Vertrauensverteidigung anwesend waren.
[12] Der BGH konkretisierte in dieser Entscheidung den Maßstab der Unverzüglichkeit: „‚Unverzüglich‘ bedeutet nach dem auch in die Begriffsbestimmung des § 121 BGB eingegangenen Sprachgebrauch ein Handeln ‚ohne schuldhaftes Zögern‘ [...], d.h. sobald als möglich, ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung“. Der Angeklagte habe den Ablehnungsgrund bereits seit dem 13.5.1965 gekannt, ihn aber erst in der Hauptverhandlung vom 24.5.1965 angebracht. Trotz Unterbrechung der Hauptverhandlung habe er die Möglichkeit gehabt, sein Gesuch bei der Geschäftsstelle zu Protokoll zu geben, wie es nach § 26 Abs. 1 Hs. 2 StPO vorgesehen sei. Dies habe er unterlassen und auch keine Gründe glaubhaft gemacht, wegen denen er an einer früheren Anbringung gehindert worden sein könnte (BGH, Urt. v. 10.11.1967 – Az.: 4 StR 512/66, VRS 34, S. 200, 201 (= BGHSt 21, S. 334, 339).
[13] Das ist dieselbe Entscheidung wie die bereits von Rechtsanwalt Künzel erwähnte (Fn. 12).
[14] Die Ablehnung ist nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig zu verwerfen, wenn „durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“.
[15] Auch dies ist die bereits von Rechtsanwalt Künzel zitierte Entscheidung. In dem ihr zugrundeliegenden Sachverhalt lag zwischen der Kenntnis vom Ablehnungsgrund und dem nächsten Verhandlungstag allerdings ein Zeitraum von 11 Tagen (s. Fn. 12).
[16] Richter/innen können durch Selbstanzeige ihre Befangenheit kundtun (§ 30 StPO). Damit ist aber zunächst noch keine Entscheidung getroffen. Über den Ausschluss entscheidet das zuständige Gericht, in diesem Fall der Senat ohne Mitwirkung der anzeigenden Person (§ 27 Abs. 1 StPO) in der vorgeschriebenen Besetzung (drei Berufsrichter/innen, § 122 Abs. 1 GVG).
[17] Rechtsanwalt Dr. Heldmann hatte sich bereits am 167. Verhandlungstag über die neuen Untersuchungsmaßnahmen vor Einlass in die Haftanstalt empört: so sei er aufgefordert worden, seine Schuhe auszuziehen und seine Hose zu öffnen, bevor er seinen Mandanten (Andreas Baader) sehen dürfe (S. 12686 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 167. Verhandlungstag). Der Vorsitzende Dr. Prinzing bestätigte die Anordnungen der Haftanstalt als zuständiger Haftrichter, was Rechtsanwalt Weidenhammer bereits während der Hauptverhandlung dazu bewog, von der „sog. Hosenladenverfügung“ zu sprechen (S. 13066 des Protokolls der Hauptverhandlung, 168. Verhandlungstag). S. zu den Maßnahmen auch die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 168. Verhandlungstag (S. 12987 f. des Protokolls der Hauptverhandlung); zur Rechtfertigung der Maßnahmen s. die Erwiderung des Vorsitzenden (S. 12988 ff.). Rechtsanwalt Dr. Heldmann führte dazu am 168. Verhandlungstag aus, er werde sich den angedrohten Untersuchungsmaßnahmen nicht aussetzen. Dies habe zur Folge, dass er seinen Mandanten Andreas Baader nur an den Sitzungstagen sehen könne, da er hierfür in das Mehrzweckgebäude geführt werde; dies sei die einzige Möglichkeit, Mandantengespräche zu führen, solange die Durchsuchungsmaßnahmen beibehalten blieben. Unter diesen Umständen würden die Verteidiger gezwungen, „ihre Verteidigertätigkeit außerhalb dieses Gerichtssaals fortzusetzen“ (S. 12988 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[18] Rechtsanwalt Horst Mahler war ein führendes Mitglied der ersten RAF-Generation. Seine zentrale Rolle bei der Entstehung der RAF ist jedoch gegenüber den hier Angeklagten Baader, Ensslin und Meinhof in den Hintergrund gerückt. Er war maßgeblich an der Vorbereitung der als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichneten Befreiung Baaders aus der Haft im Mai 1970 beteiligt. Im September 1970 überfiel er u.a. zusammen mit Andreas Baader und Irene Goergens eine Bank in West-Berlin; bereits eine Woche später wurde er verhaftet. Im Jahr 1972 begann der Prozess gegen ihn vor dem Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Im Februar 1973 wurde er zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt. Unter Einbeziehung dieser Strafe wurde er im November 1974 aufgrund seiner Beteiligung an der Baader-Befreiung zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt. Zwischen Mahler und dem Führungsduo Baader/Ensslin ergaben sich immer wieder Differenzen. Spätestens mit der Ablehnung seiner Freilassung im Austausch gegen den im Februar 1975 entführten Politiker Peter Lorenz sagte er sich endgültig von der RAF los. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 1980 durchlief Mahler eine radikale politische Kehrtwende. Ende der 90er Jahre bekannte er sich erstmals öffentlich zum Rechtsradikalismus, im Jahr 2000 trat er in die NPD ein. Wegen antisemitischer Hetze wurde er mehrfach wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 40 ff., 53, 67 f.).
[19] Irmgard Möller schloss sich im Sommer 1971 der RAF an. Zuvor lebte sie in der Münchner Kommune Wacker Einstein, hatte 1969 als Teil der „Rechtshilfe der APO“ zum „Knastcamp“ aufgerufen und war Mitglied der Tupamaros München. Am 8. Juli 1972 wurde sie verhaftet, am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen sie und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Irmgard Möller wurde mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von viereinhalb Jahren verurteilt. 1976 erfolgte ihre Verlegung zu den Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe nach Stammheim. Dort überlebte sie als Einzige die sogenannte Todesnacht von Stammheim (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 68; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 111 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99, 100 f.).
[20] Klaus Jünschke war Psychologiestudent und ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). In der RAF überfiel er 1971 mit anderen eine Bank in Kaiserslautern. Im Verlaufe des Geschehens wurde der Beamte Herbert Schoner erschossen. Jünschke wurde am 9. Juli 1972 zusammen mit Irmgard Möller in Offenbach verhaftet. Ihm wurde neben den Straftaten im Zusammenhang mit dem Banküberfall auch die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie die Beteiligung an der Herbeiführung der Sprengstoffexplosion in Frankfurt a.M. am 11. Mai 1972 vorgeworfen. Im Hinblick auf die Sprengstoffexplosion wurde er zwar freigesprochen; das LG Kaiserslautern verurteilte ihn am 2.6.1977 aber u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (Overath, Drachenzähne, 1991, S. 89 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 257, 761 Anm. 59; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff.; DER SPIEGEL, Ausgabe 24/1977 vom 6.6.1977, S. 104).
[21] In dem Artikel „Lohn der Angst“ wurde das Schicksal des „Kronzeugen“ Koniecnzy geschildert, darunter seine Enttäuschung über nicht eingehaltene Versprechen der Strafverfolgungsbehörden (DER SPIEGEL, Ausgabe 41/1976 vom 4.10.1976, S. 72 ff.).
[22] § 136a StPO enthält eine Auflistung von verbotenen Methoden bei der Vernehmung von Beschuldigten. Diese sind: die Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Täuschung, Quälerei oder Hypnose, sowie die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme oder das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (Abs. 1). Ferner untersagt sind Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten beeinträchtigen (Abs. 2). Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verbote enthält § 136a Abs. 3 Satz 3 StPO ein Verwertungsverbot für die so zustande gekommenen Aussagen.
[23] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Die Verteidigung versuchte u.a. zu beweisen, dass die umfassende Aussage Müllers durch das Versprechen diverser ungesetzlicher Vorteile unzulässig beeinflusst worden sei (s. hierzu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 4 bis 19 zum Protokoll zum 20.7.1976, S. 10643 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag; s. zu den Vorwürfen der Verteidigung auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 305 ff.).
[24] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 – Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Für die Prüfung der Voraussetzungen des § 136a StPO wurde zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung wohl überwiegend das Freibeweisverfahren (auch für die Tatsacheninstanz) für ausreichend angesehen (BGH, Urt. v. 28.6.1961 – Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166; s. etwa Sarstedt, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 136a Anm. 8). Die Rechtsprechung vertritt diesen Standpunkt weiterhin (BGH, Urt. v. 21.7.1994 – Az.: 1 StR 83/94, NJW 1994, S. 2904, 2905; BGH, Urt. v. 21.7.1998 – Az.: 5 StR 302/97, BGHSt 44, S. 129, 132; siehe auch Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 136a Rn. 32). Im Schrifttum mehren sich aber die Stimmen, die die teilweise oder sogar vollständige Anwendung des Strengbeweises fordern (für eine vollständige Anwendung des Strengbeweises s. Gleß, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 4/1, 27. Aufl. 2019, § 136a Rn. 77; für eine Anwendung des Strengbeweises in den Fällen, in denen die Aussage letztlich für die Straf- oder Schuldfrage verwertet werden soll s. Schuhr, in Knauer/Kudlich/Schneier [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 136a Rn. 99).
[25] Anlage 1 zum Protokoll vom 13.1.1977: Telegramm des Rechtsanwalts Dr. Heldmann vom 13. Januar 1977 (Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung).
[26] Vor dem Verwaltungsgericht Köln war noch ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz anhängig. Rechtsanwalt Dr. Heldmann hatte dort im Namen des Angeklagten Andreas Baader beantragt, die Bundesrepublik im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, eine Sperrerklärung hinsichtlich der Akte 3 ARP 74/75 I aufzuheben (vgl. die Ausführungen und den Aussetzungsantrag des Rechtsanwalts Schily auf S. 12937 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 167. Verhandlungstag). Die auch als „Geheimakte“ bezeichnete Akte „3 ARP 74/75 I“ enthielt Aussagen des Belastungszeugen und ehemaligen RAF-Mitglieds Gerhard Müller. Für sie hatte der damalige Bundesjustizminister Vogel ursprünglich eine umfassende Sperrerklärung nach § 96 StPO abgegeben; dies ist möglich, wenn „das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“ (§ 96 StPO a.F.; entspricht heute § 96 Satz 1 StPO). Die Verteidigung bemühte sich lange darum, Einblick in die Akte zu erhalten; erst am 158. Verhandlungstag gab die Bundesanwaltschaft schließlich nach erneuter Prüfung einen Großteil der Akte heraus (S. 12262 des Protokolls der Hauptverhandlung; s. zu den Vorgängen und Vermutungen rund um diese Akte auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 368 ff.). Am 159. Verhandlungstag wurde schließlich ein Schreiben des Bundesjustizministers bekanntgegeben, in welchem die letzten noch geheimhaltungsbedürftigen Passagen konkretisiert wurden (s. Anlage 2 zum Protokoll vom 9.11.1976, S. 12306 des Protokolls der Hauptverhandlung, 159. Verhandlungstag).
[27] Der Vorsitzende Dr. Prinzing hatte die Beweisaufnahme bereits am Ende des 148. Verhandlungstages geschlossen (S. 11767 des Protokolls der Hauptverhandlung) und die Bundesanwaltschaft ab dem 149. Verhandlungstag plädiert. Auch nach Schließung der Beweisaufnahme bleibt jedoch ein Wiedereintritt möglich. Die Verfahrensbeteiligten haben bis zum Beginn der Urteilsverkündung das Recht, Beweisanträge zu stellen, das Gericht ist zur Entgegennahme verpflichtet (BGH, Urt. v. 3.8.1966 – Az.: 2 StR 242/66, BGHSt 21, S. 118, 123). Der Wiedereintritt wird – auch konkludent – angenommen, sobald Verfahrensvorgänge durchgeführt werden, die für die Sachentscheidung des Gerichts von Bedeutung sein können; dies sind insbesondere Prozesshandlungen, die in den Bereich der Beweisaufnahme fallen, aber auch wenn sonst der Wille des Gerichts erkennbar wird, es wolle mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortführen. Dies kann bereits bei der Erörterung von Anträgen der Fall sein (BGH, Beschl. v. 5.2.2019 – Az.: 3 StR 469/18, NStZ 2019, S. 426 f. m.w.N.).
[28] Anlage 2 zum Protokoll vom 13.1.1977: Notiz über eine telefonische Mitteilung des Rechtsanwalts Schily.
[a] Maschinell ersetzt: Sachverhalt durch Sachgehalt
[b] Maschinell eingefügt: die
[c] Maschinell ersetzt: den durch der
[d] Maschinell ersetzt: Unrecht durch Grundrecht
[e] Handschriftlich eingefügt: - - -
[f] Handschriftlich ersetzt: haben durch hatten
[g] Handschriftlich ersetzt: die durch in der
[h] Handschriftlich eingefügt: - - -
[i] Handschriftlich eingefügt: - - -