[99] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 5. Juni 1975 (2. Verhandlungstag) (9.00 Uhr)
Gericht und Urkundsbeamten erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.
Für die Bundesanwaltschaft erscheinen Bundesanwalt Dr. Wunder, Oberstaatsanwalt Zeis, Regierungsdirektor Widera und Staatsanwalt Holland.
Sämtliche Angeklagten mit ihren Verteidigern sind erschienen (wie am 1. Verhandlungstag).
Vorsitzender:
Ich bitte Platz zu nehmen.
Die Hauptverhandlung wird fortgesetzt. Der erste Strafsenat des Oberlandesgericht Stuttgart hat klargestellt, daß die die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele betreffenden Ausschließungsbeschlüsse vom 22.4., 2.5. und 13.5.1975 seit dem Tage ihres Erlasses für das gesamte Verfahren wirken.[1] Die genannten Anwälte konnten also in keiner Phase dieses Verfahrens mehr auftreten, insbesondere auch nicht am ersten Verhandlungstag. Der Beschluß des ersten Strafsenats deckt sich mit der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts, die die zu Beginn des 1. Verhandlungstages beantragte sofortige Zulassung jener Anwälte aus sich heraus verbot.
Es ist teilweise auf Unverständnis gestoßen, daß der Senat die Hauptverhandlung trotz dieser Rechtsauffassung schließlich doch unterbrochen hat. Der Senat hielt es wegen der am ersten Verhandlungstag gegen seine verkündete Rechtsauffassung vorgebrachten Einwendungen für richtig, die Klärung dieser für die Verteidigung außerordentlich wichtigen Rechtsfrage dem Senat zu überlassen, der hierfür zuständig ist, der hier in Stuttgart also für die Ausschlußverfahren zuständig ist, und um dessen Beschlüsse [100] es in ihrer Auswirkung letztlich auch gegangen ist. Hierdurch ergab sich zugleich die diesem Verfahren dienliche Möglichkeit, diese erstmals aktuell gewordene Rechtsfrage,[2] die nebenbei bemerkt den Senat keineswegs überrascht hat, auf einem Verfahrensweg außerhalb dieses Prozesses frühzeitig zu klären.
Ich darf nun feststellen, daß die Angeklagten anwesend sind. Als Verteidiger wieder die Herrn ...
- ich darf die Anwesenheit vielleicht zu Ende bringen ... die Herren Rechtsanwälte von Plottnitz, Riedel, Frau Rechtsanwältin Becker, Rechtsanwalt Schily.
Auf der Pflichtverteidigerbank[3] wie am ersten Verhandlungstag.
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, bitteschön!
RA von Plottnitz:
Der erste Strafsenat hat nicht das klargestellt[a], was der zweite Strafsenat jetzt als klargestellt bezeichnet. Der erste Strafsenat hat eins klargestellt, er hat gesagt, die Durchführung eines Ausschließungsverfahrens gegen die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele wird abgelehnt. Das hat er klargestellt, und weil er nicht mehr klargestellt hat, beantragen wir hier, bzw. ich habe das zu beantragen, zunächst einmal für den Herrn Raspe den Herrn Dr. Croissant, der nach wie vor, weil die Durchführung eines Ausschließungsverfahrens abgelehnt worden ist, als Verteidiger von Herrn Raspe zu betrachten ist, unverzüglich in den Sitzungssaal einzulassen, als Verteidiger zu dieser Hauptverhandlung zuzulassen.
Zur Begründung will ich noch etwas ergänzen:
Die Situation in der wir uns jetzt befinden, hat ja eine Vorgeschichte, gewissermaßen eine Chronologie. Diese Chronologie sieht so aus: Am 21.5., in der Sitzung am 21.5. hatte also vor Tisch der zweite Strafsenat die Auffassung vertreten, die Kollegen um die es hier geht, seien für [101] das gesamte Verfahren ausgeschlossen. Daraufhin hat die Bundesanwaltschaft ihre warnende Stimme erhoben, ihre warnende Stimme deshalb wohl, weil sie ihre Strafverfolgungsinteressen beim Gesetzgeber noch einigermaßen gut aufgehoben sieht, nicht bei richterlichen Privatauffassung. Diese Warnung hat sich der zweite Senat nach Tisch am 21.5. zu Herzen genommen, und er hat die Durchführung eines Ausschließungsverfahrens beschlossen und er hat dabei die vor Tisch vertretene Rechtsauffassung korrigiert. Also wenn jetzt gesagt wird, die Auffassung des ersten Senats, die in dem Beschluß vom vorgestern zum Ausdruck komme, decke sich mit der Auffassung des zweiten Strafsenats, so ist das in keiner Beziehung richtig. Der zweite Strafsenat hat nach Tisch die Auffassung von vor Tisch korrigiert und zwar nachdrücklich korrigiert. Er hat festgestellt, incidenter, mit seiner Korrektur, daß die Kollegen Dr. Croissant, Ströbele und Groenewold Verteidiger sind, das hat er etwa dadurch auch getan, daß er beschlossen hat über den Suspendierungsantrag, also die Rechte nach [§§ ]147, 148[ StPO][4] zu suspendieren. All das hat er getan, er hat also nach Tisch die Auffassung hier kundgetan, auf eine entsprechende Warnung der Bundesanwaltschaft hin, daß die Kollegen als Verteidiger in diesem Verfahren zunächst einmal fungieren und zwar für die Mandanten für die sich jeweils neu legitimiert hat.
Nunmehr hat vorgestern der erste Strafsenat diesen ominösen Beschluß verkündet, und zwar einen Tag bevor das Bundeskabinett, wie man in allen Zeitungen lesen kann, eben eine Gesetzgebungsinitiative beschlossen hat,[5] die die Gesetzeslücke regeln soll, die der erste Strafsenat meinte, eigenmächtig und unter Umgehung des Gesetzgebungsweges regeln zu können. Mir scheint, es ist der erste Strafsenat nach folgender Maxime vorgegangen ist: Freigeschöpftes, privatgeschöpftes Stammheimer Landrecht bricht[b] Bundesrecht. [102] Das ist offensichtlich das, was der erste Strafsenat hier getan hat. Da nun in der Bundesrepublik immer noch, zumindest soweit es ums Strafprozeßrecht geht, die Strafprozeßordnung gilt, der erste Strafsenat sich aber nicht an die Strafprozeßordnung gehalten hat, sondern allenfalls an etwas, das man als Stammheimer Landrecht bezeichnen kann, muß die Entscheidung des ersten Strafsenats als nichtig angesehen werden. Hinzu kommt, daß der erste Strafsenat in der Art und Weise, wie abgefaßt worden ist, dieser Beschluß einen Trick gemacht hat.
Der Tenor[6] dieses Beschlusses ist nämlich nur das, was ich eingangs gesagt habe. Die Durchführung eines Ausschließungsverfahrens wird abgelehnt, wenn im zweiten Absatz und zwar bevor es heißt: „Gründe:“, noch festgestellt wird, die Kollegen Ströbele, Groenewold und Croissant seien für das gesamte Verfahren ausgeschlossen, dann ist das nicht mehr Tenor, dann gehört das zu den Gründen, die weder uns hier zu interessieren haben, eigentlich auch nicht den Senat zu interessieren haben.[7] Der Senat hat zunächst mal sich an das zu halten, was er als Rechtsauffassung nach Tisch am 21.5. zu erkennen gegeben hat, und die Verteidiger zuzulassen.
Das ist das, was ich zur Begründung dieses Antrags zunächst vorzutragen hätte.
RA Sch[ily]:
(Zunächst unverständlich) eine Erklärung abgeben ...
Zunächst auch den Antrag stellen:
Den Kollegen Ströbele, der sich heute eingefunden hat, zur Wahrnehmung seiner Verteidigerrechte in den Verhandlungssaal einzulassen.
Ich kann mich im wesentlichen dem anschließen, was der Kollege von Plottnitz hier ausgeführt hat. Ich möchte aber zunächst einmal auf das eingehen, was der Herr Vorsitzende uns hier zu Beginn der Verhandlung [103] bekanntgegeben hat. Ich habe mich etwas verwundert, über einige Formulierungen dieser Erklärung. Wie soll man es verstehen, wenn der Senatsvorsitzende hier ausführt, daß der Ausschließungsantrag der Bundesanwaltschaft sei an den ersten Senat zur Klarstellung weitergeleitet wurden.
Haben Sie jetzt ein Rechtsgutachten dort eingeholt? Oder wie soll man eine solche Redewendung denn eigentlich auffassen? Das kann doch wohl nicht der Fall sein, daß hier ein Senat bei einem anderen Senat Rechtsgutachten einholt, der ja auch in keiner Weise dem zweiten Senat übergeordnet ist. Es ist nur auf gleichem Rang ein zuständiges Gericht für ein Ausschließungsverfahren und für gar nichts anderes. Der erste Senat hat nur eine Zuständigkeit, wenn ein Ausschließungsverfahren eingeleitet wird. Und ich habe mich ferner darüber gewundert, oder vielleicht habe ich mich auch nicht darüber gewundert, nämlich wenn man so die Terminierung ansieht auf den 5. Juni. Aber ich habe mich darüber gewundert, wenn der Senatsvorsitzende ausführt, die Entscheidung des ersten Strafsenats sei für diesen Senat keine Überraschung gewesen. Was soll ich denn aus einer solchen Formulierung eigentlich entnehmen?
Vors.:
Ich darf vielleicht hier gleich eingreifen. Sie haben mich mißverstanden. Ich habe gesagt, für den Senat sei die Rechtsfrage, die hier zum ersten Mal aktuell geworden sei, keine Überraschung gewesen, d. h. ihr Antrag auf Zulassung der Anwälte.
RA Sch[ily]:
Ach so, na, dann habe ich vielleicht das nicht in der Formulierung richtig mitbekommen. Ich habe das so verstanden, daß die Entscheidung des ersten Senats keine Überraschung gewesen sei. Nun hat der Kollege von Plottnitz mit Recht ausgeführt, daß ja der zweite Senat, der hier erkennende Senat, zu Beginn der, wie er sich ausgedrückt hat, nach Tisch, eine verbindliche [104] Rechtsauffassung vertreten hat. Die hat er ja doch nicht irgendwie jetzt als Hypothese oder als Experiment vertreten, nehme ich an, sondern als die ihn dann die sich ihm zu eigen gemachte Rechtsauffassung der Bundesanwaltschaft.
Der Herr Vorsitzende hat ja auch den Verteidigern Croissant, Ströbele und Groenewold das Recht eingeräumt, ihre Mandanten in der Haftanstalt aufzusuchen, bevor dieser Suspensivbeschluß dann ergangen ist, in dem also vorläufig die Verteidigerrechte suspendiert worden sind.[8]
Das kann doch nur dann richtig gewesen sein, wenn diese Rechtsauffassung auch dem zweiten Senat als verbindlich gegolten hat. Und soll ich denn nun hier heute diese Erklärung des Herrn Vorsitzenden, und da wäre in der Tat dann Klarstellung erforderlich, so verstehen, daß innerhalb von 14 Tagen der zweite Senat, seine Rechtsauffassung zweimal um 180 Grad wendet! Denn nichts anderes wäre das, wenn in dieser Weise verfahren würde. Aber ich nehme an, und davon gehe ich aus, bei dem Antrag den ich gestellt habe, daß der Senat durchaus seine eigene Rechtsmeinung bildet und sich auch nicht irgendwie etwas da vorschreiben läßt von einem benachbarten Senat. Sondern bei seiner eigenen, aufgrund einer dann mittags eingehender Beratung zustande gekommenen Auffassung verbleibt. Und dann ist es in der Tat Sache der Bundesanwaltschaft oder des ersten Senats aus der Kalamität herauszukommen, wie nun dieses Ausschließungsverfahren das begonnen hat, zu Ende geführt werden soll. Das mag dann Sache der Bundesanwaltschaft und des ersten Senat sein, nun diese Bredouille aufzulösen.
Vors.:
Die Herrn von der Bundesanwaltschaft, ...[c] Herr Rechtsanwalt Riedel, Entschuldigung.
RA R[iedel]:
(Zunächst unverständlich) ... Ich schließe mich den Anträgen an, und zwar beantrage ich
[105] den Rechtsanwalt Groenewold wie gehabt als Verteidiger zuzulassen für Frau Meinhof.
Zur Begründung beziehe ich mich auf das, was hier bereits vorgetragen worden ist.
Vors.:
Dann darf ich vielleicht bitten, wenn die Bundesanwaltschaft Stellung nehmen will.
BA Dr. W[under]:
Die Bundesanwaltschaft hat ihre Rechtsansicht in der letzten Sitzung vertreten. Sie hält es für richtig, dankt dem Senat, daß er den Weg für eine Entscheidung vor dem für Ausschlußverfahren zuständigen ersten Senat eröffnet hat. Heute besteht für die Bundesanwaltschaft noch kein Anlaß, sich zu der Frage zu äußern, wie sie sich zu dem Beschluß des ersten Senates vom 3. Juni verhält. Vor dem ersten Senat ist den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt worden. Für die Betroffenen besteht zudem die Beschwerdemöglichkeit, sodaß damit die Sache entschieden ist, vor allem, wenn man richtig den Tenor des Beschlusses des ersten Senates liest, indem es heißt: Die Rechtsanwälte Ströbele, Groenewold und Dr. Croissant sind aufgrund der Entscheidungen des Senats vom 22. April, 2. und 13. Mai 1975 im gesamten Strafverfahren ausgeschlossen. Und wenn man außerdem auf Seite 9 dieses Beschlusses weiterliest, wo es heißt, weil die Beschlüsse des Senats vom 22. April, 2. und 13. Mai 1975 in den vorausgegangenen Verfahren bereits die Wirkung hatten, die mit dem neuen Verfahren bestrebt wird.
Vors.:
Dankeschön.
BA Dr. W[under]:
Ich bitte noch nachtragen zu dürfen, daß deshalb der Antrag auf Zulassung der drei Anwälte für das heutige Ver- [106] fahren als Verteidiger, abzulehnen sein wird.
Vors.:
Dankeschön.
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Dazu eine kurze ... Zur Frage des rechtlichen Gehörs. Das ist ja gerade das Absurde der Entscheidung des ersten Senats, insoweit festgestellt wird, das rechtliche Gehör sei den Angeklagten in diesem Verfahren, den die nicht verteidigt worden sind von den Verteidigern, die bereits ausgeschlossen worden sind, soweit sie Verteidiger früher waren von Herr Baader, ein rechtliches Gehör nicht zu gewähren gewesen. Warum nicht?: weil jeweils Anspruch auf rechtliches Gehör nur derjenige habe, der von dem auszuschließenden Anwalt verteidigt werden. Insoweit ist also festzustellen, daß auch in diesem Beschluß absurderweise die Argumentation sich jeweils um 180 Grad dreht. Einmal wird gesagt, der Verfahrensbeschluß geht weiter, der Verfahrensbegriff in den Vorschriften der §§ 138a ff[ StPO][9] geht sehr viel weiter als überall sonst etwa in den Vorschriften der §§ 163, 200[ StPO][10]. Da kann man also eine ganze Kette von Vorschriften nennen. Er geht weiter, als es in anderen Vorschriften der Fall ist. Andererseits wird dann, wenn es um die Frage des rechtlichen Gehörs geht, Herr Raspe ist nie gehört worden zur Frage, ob und ob nicht etwa Dr. Croissant auszuschließen war als Verteidiger von Herrn Baader. Das wäre aber Voraussetzung gewesen, um überhaupt davon zu sprechen, daß hier rechtliches Gehör gewährt worden wäre.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz. Sie konnten reden deswegen, weil der Herr Bundesanwalt vom rechtlichen Gehör gesprochen hat, aber sie sind sich doch sicher klar darüber, daß das keine Sache ist, die diesen Senat be- [107] trifft, wie das beim ersten Senat gehandhabt worden ist. Bloß daß hier klare Verhältnisse geschaffen[d] sind.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, es betrifft sehr wohl diesen Senat. Wenn ich festgestellt habe, daß die Entscheidung des ersten Senats eine nichtige Entscheidung ist, eine Entscheidung, die ein Gericht überhaupt nicht treffen kann, weil sie dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt und vorbehalten bleiben muß, wie wir auch in allen Zeitungen lesen können, dann betrifft es sehr wohl auch diesen Senat. Das trage ich unterstützend vor zur Begründung des Antrags den Dr. Croissant als Verteidiger endlich zuzulassen.
Vors.:
Unter diesem Aspekt, in Ordnung. Wir werden dann über diesen Antrag beraten.
Das Gericht zieht sich um 9.20 Uhr zur Beratung zurück.
Fortsetzung der Verhandlung 9.30 Uhr.
Vors.:
Ich bitte Platz zu behalten.
Der Senat hat beschlossen:
Der Antrag, die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele als Verteidiger zur Verhandlung zuzulassen, wird abgelehnt.
Zur Begründung:
Der Beschluß des ersten Strafsenats ergibt eindeutig, daß die genannten Anwälte für das gesamte Verfahren ausgeschlossen sind. Diese Entscheidung ist wirksam. Für die behauptete Nichtigkeit[11] fehlt es an jedem Anhaltspunkt. Den Beteiligten ist es im übrigen unbenommen, die im[e] Gesetz vorgesehene Beschwerde[12] einzulegen. [108] Es ist noch anzufügen, daß der Senat die Gründe, warum er die Verhandlung zur Durchführung des Ausschlußverfahrens unterbrochen hat, dargelegt hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.
RA Sch[ily]:
Herr Vorsitzender,
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Schily, darf ich bitten, ich weiß noch nicht sicher, ob die Protokollanten bzw. diejenigen, die das Protokoll schreiben, schon so klar über die Stimmen sind, daß sie Sie sofort erkennen. Ich bitte um Wortmeldung, sodaß ich Sie zuteilen kann.
RA Sch[ily]:
Ja, dann bitte ich um das Wort!
Vors.:
Bittesehr.
RA Sch[ily]:
Ich darf hier einen[f] Schriftsatz überreichen, mit der Bitte um Weiterleitung an den ersten Strafsenat, der folgenden Wortlaut hat:
In der Strafsache gegen Gudrun Ensslin, hier Ausschlußverfahren ...
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, verzeihen Sie, um nicht unnötig Zeit zu verlieren: Grundsätzlich sind wir natürlich keine Postbeförderer für den ersten Strafsenat.
RA Sch[ily]:
Sicherlich nicht, nur das ist in Verbindung mit einem weiteren Antrag, den ich an diesen Senat zu richten habe. Insofern glaube ich daß da ein Zusammenhang besteht, wenn ich den hiermit überreiche, und Sie haben ja auch einen Ausschließungsantrag der Bundesanwaltschaft, wie es das Gesetz vorschreibt, weitergeleitet.
[109] Vors.:
Aber hier interessiert den Senat wirklich nicht, was Sie dem ersten Strafsenat mitteilen wollen, es sei denn, es diene gleichzeitig ihrem Antrag zur Begründung.
RA Sch[ily]:
Genau!
Vors.:
Aber dann würde ich den Antrag voranstellen, sodaß wir das erkennen können.
RA Sch[ily]:
Genau. Nein, ich kann Ihnen, das ist ein sehr kurzer Antrag, mit dem ich nämlich Beschwerde einlege gegen den Beschluß des ersten Strafsenats vom 3. Juni 1975.
Vors.:
Aber doch nicht bei uns.
RA Sch[ily]:
Nein, nein, beim ersten Strafsenat. Und beim zweiten Strafsenat, Herr Vorsitzender, stelle ich folgenden Antrag:
Wird beantragt, die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung über die von der Angeklagten Ensslin gegen den Beschluß des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. Juni 1975 (Ausschlußverfahren 4-6/75) eingelegte sofortige Beschwerde auszusetzen.
Zur Begründung wird folgendes ausgeführt mit Anmerkung:
Da ja in der Berichterstattung mit Recht darauf hingewiesen worden ist, daß sonst, wenn hier nicht darauf geachtet wird, daß die Verteidigerrechte insoweit wenigstens respektiert werden, ein Revisionsgrund[13] geschaffen wird, und wer will es denn eigentlich verantworten, daß ein Verfahren gleich von Anfang an, darauf hat ja auch die Bundesanwaltschaft hingewiesen, mit einem solchen Revisionsgrund belastet wird.
[110] Vielleicht darf man in Ergänzung auch noch dessen, was hier heute zu Beginn der Verhandlung gesagt worden ist, nochmal zu der Fassung des [§ ]138a[ StPO] ergänzen. Wenn Sie den § aufmerksam lesen, [§ ]138a[ StPO], dann enthält dieser § unter anderem eine Bestimmung in Absatz 2, die folgenden Wortlaut hat:
Solange ein Verteidiger nach Satz 1 ausgeschlossen ist, kann er den Beschuldigten, der sich nicht auf freiem Fuß befindet, auch in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren nicht verteidigen. Und wenn Sie das in Beziehung setzen zu Absatz 1, dann haben sie nämlich genau die Definition, was Mitwirkung in einem Verfahren heißt, nämlich den Beschuldigten in einem gesetzlich geordneten Verfahren verteidigen, nichts anderes. Nur das ist die richtige Leseweise dieses §. Im übrigen versuchen Sie sich doch einmal zu vergegenwärtigen, was denn eigentlich passieren würde, und wie man das denn nun eigentlich rechtsdogmatisch vertreten will, wenn hier, was ja gesetzlich zulässig ist, eine Abtrennung[14] stattfinden würde. Nehmen wir einmal an, das Verfahren gegen Herrn Baader würde abgetrennt, ist denn dann automatisch wiederum ein Verteidigerausschluß in dem anderen Verfahren gegen die Mitangeklagten verbunden oder wird das dann jeweils interpretiert auf Anfrage zur Klarstellung?
Wie soll denn so etwas überhaupt möglich sein? Abgesehen von der Tatsache, daß ja die Angeklagten, die jetzt betroffen sind, kein rechtliches Gehör gewährt worden ist, in dem ersten Ausschließungsverfahren, was sich nur um den Angeklagten Baader handelte, und wenn Sie hier gerade den Kollegen Ströbele, um den es für meine Mandantin geht, dann müssen Sie hier sehen in dem Beschluß vom ersten Strafsenat, der Tenor heißt: Rechtsanwalt Ströbele wird von der Mitwirkung als Verteidiger im Strafverfahren gegen den Angeklagten Baader, da steht nicht gegen den Angeklagten Baader u. a., sondern in dem Tenor steht: gegen [111] den Angeklagten Baader. Im übrigen darf man auch ergänzen, daß ja nun durch den [§ ]146[ StPO] dem § ...
(Zwischenrufe)
Richter Dr. Breucker:
Bitte vollständig zitieren!
RA Schi[ly]:
Wie bitte, ... ja gerne. Rechtsanwalt Ströbele wird von der Mitwirkung als Verteidiger im Strafverfahren gegen den Angeklagten Baader vor dem zweiten Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart ausgeschlossen. Nicht, das ist ja wohl das korrekte Zitat, daß das Strafverfahren gegen den Angeklagten Baader vor dem zweiten Strafsenat stattfindet. Ich dachte, das sei allgemein bekannt. Wollte mir insofern das ergänzende Zitat sparen.
Im § 146[ StPO] neuer Fassung[15] ist im übrigen nun der Wille des Gesetzgebers klar erkennbar geworden, daß es überhaupt sozusagen nur noch eine singuläre Verteidigung geben soll. Nämlich keine Verteidigung mehrerer Angeklagten. Auch das ist ein Hinweis darauf, daß eine Ausschließung sich nicht erstrecken kann, wie es nun das erste Strafsenat hier rechtsschöpferisch oder, wie immer, im Wege der privaten Gesetzgebung möglich machen will, nachträglich. Und daß wir mit dieser Auffassung nicht vollkommen hier isoliert dastehen, sondern eben genau auch dem Gesetzestext folgen, das darf ich aus einer heutigen Meldung der Stuttgarter Zeitung entnehmen, die den bekannten Tübinger Strafrechtler Prof. Baumann zitiert, der große Bedenken gegen den Beschluß des Stuttgarter Oberlandesgerichts zur Frage des Verteidigerausschlusses geltend macht und sich unserer Auffassung und auch der Auffassung der Bundesanwaltschaft, die sie bisher vertreten hat, anschließt. Ich darf den Antrag auf Aussetzung hier schriftlich überreichen mit der Anlage der Beschwerde gegen den Beschluß des ersten Strafsenats.
Rechtsanwalt Schily überreicht den Antrag vom 4.6.1975, der dem Protokoll als Anlage 1 beigefügt wird.
[112-115][16] [116] Vors.:
Darf ich fragen, ist dieser Antrag, der schriftliche Text, gleich mit dem, was Sie hier vorgetragen haben.
RA Sch[ily]:
Nicht ganz, diese ergänzenden Ausführungen, die sind nicht darin enthalten.
Vors.:
Also, wird als Anlage zu Protokoll genommen.
Herr Bundesanwalt.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, darf ich zunächst um das Wort bitten.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt v[on ]Plottnitz.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Ich habe mich zunächst für den Herrn Raspe dem Aussetzungsantrag, den der Kollege Schily vorgetragen hat anzuschließen. Zur ergänzenden Begründung nur zwei Sätze.
Ich meine, wir haben nunmehr hinreichend dargelegt, daß die Entscheidung des ersten Strafsenats sich auf dieses oder jenes stützen mag und psychologisch vielleicht ein interessanter Vorgang ist, daß sie sich aber nicht stützen kann auf die Strafprozeßordnung oder auf irgendeine andere verbindliche Rechtsvorschrift, die der Gesetzgeber erlassen hat in diesem Lande. Diesen Mangel kann der zweite Strafsenat, will er klarstellen, daß in diesem Verfahren nicht Privatermessen die Grundlage ist, sondern immer noch die Strafprozeßordnung, nur abhelfen, wenn er dem Aussetzungsantrag, so wie er gestellt wurde, und mit der Begründung, mit der er gestellt wurde, entspricht.
RA R[iedel]:
Herr Vorsitzender, auch ich kündige für meine Mandantin Ulrike Meinhof an, daß eine sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des ersten Strafsenats in Stuttgart vom 3.6.1975 eingelegt wird, und stelle ebenfalls den [117] Antrag bis zur Entscheidung hierüber durch[g] das zuständige Gericht das Verfahren auszusetzen.
Vors.:
Wollen Sie Stellung nehmen, ich vermute, bitteschön.
BA Dr. W[under]:
Die eben von Herrn Rechtsanwalt Schily gemachten rechtlichen Ausführungen gehören ins Beschwerdeverfahren. Man wird sich dort gebührend mit ihnen zu befassen haben. Eine Unterbrechung bzw. Aussetzung sieht das Gesetz im § 138c Abs. 4 StPO[17] ausdrücklich nur bis zur Entscheidung über den Ausschluß vor, nicht etwa bis zur Erschöpfung des Rechtsweges.[18] Abgesehen von der nichtaufschiebenden Wirkung nach § 307 StPO.[19]
Vors.:
Bitteschön, Herr Rechtsanwalt Schily.
RA Sch[ily]:
Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, ich mein man kann sich sehr darüber streiten, ob das eigentlich eine sofortige Beschwerde, bitte, ich richte mich jetzt nach der Rechtsmittelbelehrung des ersten Strafsenats, aber man kann sich sehr darüber streiten, ob das eigentlich eine sofortige Beschwerde nach § 138d Abs. 6[ StPO] ist.[20] Darüber kann man sehr streiten, denn das ist’s ja, die sofortige Beschwerde richtet sich ja gegen eine materielle Ausschlußentscheidung. Wir haben es aber hier zu tun mit einer verfahrensrechtlichen Entscheidung, daß ein Ausschließungsantrag, den die Bundesanwaltschaft gestellt hat, nicht darüber in der Sache befunden wird, sondern es wird das Verfahren abgelehnt. Und da ist es doch sehr die Frage, wenn ohnehin der zweite Senat oder der erkennende Senat es für richtig gehalten hat, wie er jetzt zu erkennen gibt, eine Klarstellung herbeizuführen durch den ersten Senat. Ob es dann nicht auch im, und da ja das Verfahren auszusetzen ist[h] zu diesem Zweck, ob es dann nicht eigentlich folgerichtig ist, diese Klarstellung bis zum [118] BGH abzuwarten, um dann hier Grund unter die Füße zu bekommen, ob auf welcher Grundlage denn nun hier verfahren werden soll.
Vors.:
Dankeschön. Wir werden ... Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Ich habe noch nachzutragen, daß wir als Verteidiger von Herrn Raspe auch natürlich sofortige Beschwerde für Herrn Raspe gegen den Beschluß von vorgestern einlegen werden. Im übrigen noch einen ganz kurzen Antrag. In den Sitzungspausen ist es bislang so ...
Vors.:
Darf ich, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, ich kann nicht immer zulassen, daß die Anträge derart gestaffelt und ineinander verwickelt werden.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, es ist ein ganz simpler Antrag, der sich allein auf die Sitzungspause bezieht.
Vors.:
Kann man den ... d. h. jetzt auf die Sitzungspause?
RA v[on ]P[lottnitz]:
Jetzt auf die kommende Sitzungspause bezieht. Er ist einfach zu stellen. Bislang war es immer so, daß in den Sitzungspausen die Wachtmeister und zwar aufgrund einer Anweisung des Vorsitzenden, wie uns gesagt worden ist, die Mandanten jeweils in Sekundenschnelle aus dem Sitzungssaal entfernten. Deshalb der Antrag, da dies und jenes noch zu besprechen ist, die Mandanten während dieser Sitzungspause, die folgt, im Sitzungssaal zu belassen.
Vors.:
Es ist so: Meine Anordnung ging dahin, bei längeren Unterbrechungen durch Beratungen seien die Angeklagten abzuführen, bei kürzeren seien sie im Saal zu lassen. Es klappt immer noch nicht so ganz. Wir können es auch nie genau voraussehen, wie lange das dauern wird. Aber - wir meinen, dass diesmal es nicht so lange dauern wird, [119] sodaß ihrem Wunsche, daß die Angeklagten hier - bleiben können, während der jetzigen Pause stattgegeben werden kann. Wir werden jetzt wieder zu beraten haben. Ich möchte dem anwesenden Publikum sagen, das Gericht erwartet bei der Häufigkeit des Heraus- und Hereingehens nicht, daß Sie sich jeweils von den Plätzen wieder erheben. Sie können also gerne, wenn wir wieder zurückkommen, gleich Platz behalten.
Der Senat zog sich um 9.50 Uhr zur Beratung zurück.
Ende von Band 3
[120] Nach Wiedereintritt des Senats um 10.05 Uhr wurde folgendes verkündet:
Vors.:
Der Senat hat folgenden
B e s c h l u ß
gefaßt:
Der Antrag, die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung über die angekündigten Beschwerden gegen den Beschluß des 1. Strafsenats auszusetzen, wird abgelehnt.
Zur Begründung: Das[i] Gesetz[j] sieht eine Unterbrechung des Verfahrens nur bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über den Ausschließungsantrag vor. Die Beschwerde hat auch gemäß § 307 StPO keine aufschiebende Wirkung, und auch sonst geben die Darlegungen keinen Anlaß, dem Aussetzungsantrag stattzugeben.
Hierbei ist zu beachten, daß die Auslegung von Gesetzen nach dem Verfassungsauftrag an die Gerichte die ureigenste Aufgabe eines Gerichtes ist. Das Gericht hat sich bei der Auslegung nach den objektiven Gesetzeswillen zu richten, der sich aus Wortlaut, vorwiegend aus Wortlaut und Zweck einer Vorschrift ergibt.
Wenn aus dem Kreise derjenigen, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt waren, aber selber gar nicht den Gesetzgeber repräsentieren, etwa Kabinettsmitglieder oder Justizministerkonferenzen, Äußerungen zum Inhalt eines Gesetzes fallen, so können diese dann, wenn sie vor Erlaß des Gesetzes geäußert worden sind, durchaus eine nützliche Auslegungshilfe bieten. Es sind aber Meinungen. Es ist nicht, wie hier gesagt worden ist, eine authentische Gesetzesauslegung, denn das ist ureigenste Aufgabe des Gerichtes, und hier zeigt sich der Rechtsstaat, ob er [121] dafür eintritt, daß die Gerichte in der Tat in der ihnen vorgeschriebenen Unabhängigkeit über den Inhalt von Gesetzen entscheiden können.
Hätte sich der 1. Strafsenat, der bereits am 22. 4. bei seinem ersten Ausschließungs... bei seinem ersten Ausschließungsbeschluß, wie er jetzt dargelegt hat, die Auffassung vertreten wollte, daß die Ausschließung für das gesamte Verfahren wirkt, der Auffassung gebeugt, die nun vertreten worden ist in Form solcher Meinungsäußerungen, dann allerdings wären rechtsstaatliche Grundsätze verletzt worden, nämlich der Grundsatz der Gewaltenteilung, da[k] das Gericht statt seiner eigenen pflichtgemäßen Auslegung sich dem beugte[l], was aus den Kreisen der Exekutive über den Inhalt eines Gesetzes geäußert worden ist. Das wäre ein Verstoß außerdem gegen Artikel 92 des Grundgesetzes, in dem es eben heißt,
daß die Rechtsprechung allein den Gerichten anvertraut ist.
Das sind die Gründe, warum das Gericht diesem Aussetzungsantrag nicht stattgeben konnte.
RA Schily:
Ich habe ...
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Schily, bitte sehr.
RA Sch[ily]:
Ich habe folgenden weiteren Antrag zu verlesen, den ich im Wortlaut habe, vielleicht zur Erleichterung des Protokolls in diesem Falle ...
Vors.: (wirft ein)
Danke, ja das ist uns angenehm. Braucht also nicht mitge- [122] schnitten zu werden.
Rechtsanwalt Schily verlas nunmehr die Anträge und überreicht sie als Anlage zum Protokoll.
Die Anträge wurden als Anlagen 2 und 2 a zum Protokoll genommen.
Vors.:
Danke.
Herr Rechtsanwalt, zunächst zur Auslegung: Ist es gleichzeitig ein Ablehnungsantrag[21] gegen mich, weil es ja für die Besetzung bei der Entscheidung eine erhebliche Rolle[22] spielen würde?
RA Sch[ily]:
Herr Vorsitzender, Ablehnungsanträge werde ich, da ich die Klarheit liebe, immer ausdrücklich formulieren.
Vors.:
Gut.
Ich nehme an, daß die Bundesanwaltschaft zu dem Antrag Stellung nehmen will. Ich glaube aber, man sollte Ihnen etwas Zeit geben dazu. Wenn Sie den Antrag also schriftlich haben wollen, um sich zu überlegen, was dazu zu äußern ist, dann würden wir die entsprechende Pause selbstverständlich einlegen.
RA von Plottnitz:
Herr Vorsitzender, darf ich zunächst noch um das Wort bitten?
Vors.:
Bitte, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz!
RA v[on] P[lottnitz]:
Ich habe mich zunächst dem Antrag, den der Kollege Schily gestellt hat, für den Herrn Raspe anzuschließen und darüberhinaus für den Herr Raspe zu beantragen, ihn ebenfalls aus der Untersuchungshaft zu entlassen, d. h. also, den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes, der noch besteht, der seit über 3 Jahren besteht, aufzuheben.
Zur Begründung nur wenige Sätze:
Der Antrag wurde von dem Kollegen Schily gestellt, unmittelbar nachdem der Senat den Aussetzungsantrag, der zuvor gestellt [123-127][23] [128-130][24] [131] worden war, der sich bezog auf das, was der 1. Senat hier getan hat, abgelehnt hatte. Unter anderem mit der Begründung abgelehnt hatte:
Der 1. Senat habe der vornehmen Aufgabe richterlichen Tun’s, nämlich Gesetze auszulegen, lediglich entsprochen. Tatsache ist, daß der 1. Senat nicht Gesetze ausgelegt hat. Er hat sich angemaßt, selbst Gesetze zu schaffen.
Das ist, soweit ich das übersehen kann, ein beispielsloser Vorgang, daß ein Gericht sich selbst anmaßt, Gesetze zu schaffen, nicht mehr auszulegen und ein anderes Gericht den Versuch, dieses Vorgehen zu korrigieren, weil es in diesem Verfahren ja unmittelbar den weiteren Verfahrensablauf berührt, ein anderes Gericht also, den Versuch, diesen Vorgang zu korrigieren, nicht akzeptiert, zurückweist. Die Ursachen dafür, daß dem Aussetzungsantrag nicht entsprochen wurde, daß also zur Tagesordnung übergegangen wurde.
Auch vom 2. Senat sind meiner Ansicht nach in eben den Vorgängen, in eben den Faktoren zu suchen, die der Kollege Schily zur Begründung seines Einstellungsantrages vorgetragen hat.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Riedel, bitte.
RA Riedel:
Ich beantrage
für Frau Meinhof ebenfalls Aussetzung des Verfahrens und Aufhebung des Haftbefehls. Einstellung des Verfahrens und Aufhebung des Haftbefehls, der erlassen worden ist vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in diesem Verfahren.
Vors.:
Sonst noch irgendeine Wortmeldung. Ich sehe nicht.
[132] Frage an die Bundesanwaltschaft: Wie wollen wir nun weiter verfahren. Ich möchte Ihnen also gerne die Zeit, die Sie benötigen, um zu erwidern, einräumen. Wir würden Ihnen sofort diesen Antrag fotokopieren lassen und übergeben.
Wie lange würden Sie ...
BA Dr. Wunder:
Wir haben ihn.
Vors.:
Sie haben ihn schon?
BA Dr. W[under]:
Jawohl.
Vors.:
Wann glauben Sie, daß Sie im Stande sind, Ihre Erklärung dazu abzugeben?
BA Dr. W[under]:
Das ist schwer zu sagen, Herr Vorsitzender. Selbstverständlich können wir verständlicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt Stellung nehmen. Falls eine Äußerung von Ihrer Seite erfolgt, zweckmäßigerweise danach. Im übrigen aber auch nur soweit es um Ihre Bestellung als Vorsitzender dieses Senats geht. Ich möchte nur ein Wort, das vorweg, zum Prozeßort sagen. Es wäre angesichts der Vorfälle in Heidelberg[25] von der Bundesanwaltschaft töricht gewesen, ein anderes Gericht als das Oberlandesgericht in Stuttgart anzugehen.
Ich nehme an, daß etwa 1 Stunde genügen wird, Herr Vorsitzender.
[133] Vors.:
Danke sehr.
Ich habe also nicht die Absicht, eine Erklärung abzugeben, weil es sich ja um keinen Ablehnungsantrag handelt, sondern nur um einen Einstellungs- bzw. Haftentlassungsantrag.
Herr Baader, bitte schön.
Angekl. Baader:
Damit ich etwa nicht alleine hier bleibe, falls Sie dem Antrag stattgeben,
beantrage ich für mich auch das Verfahren auszusetzen und den Haftbefehl aufzuheben.
Vors.:
Ja, gut, dann werden wir jetzt eine einstündige Pause einlegen. Sollte bis dahin nicht klar sein, ob Sie zur Erklärung schon im Stande sind, würden wir das im Saale rechtzeitig bekanntgeben lassen.
Die Angeklagten sind abzuführen.
Der Senat zieht sich zurück. Pause ist ab 10.30 Uhr, Fortsetzung um 11.25 Uhr.
Vors.:
Ich bitte die Plätze einzunehmen.
Das Wort hat die Bundesanwaltschaft.
OStA Zeis:
Die Bundesanwaltschaft beantragt,
den offenbar nur auf Publikumswirkung gerichteten Antrag auf Einstellung des Verfahrens abzulehnen.
§ 260 Abs. 2 StPO gebietet die Einstellung des Verfahrens dann, wenn ein Verfahrenshindernis besteht. Ein Verfahrenshindernis haben weder die Verteidiger noch der Angeklagte Baader auf- [134] gezeigt, noch ist ein solches ersichtlich. Wenn die Verteidigung meint, das Gericht sei in Person des Vorsitzenden falsch besetzt, dann hat Sie die Möglichkeit, den Vorsitzenden abzulehnen[26] oder die falsche Besetzung mit Revision nach § 338 Nr. 1 StPO[27] geltend zu machen, wenn Sie sich von solchen Anträgen Erfolg verspricht. Im übrigen verwahrt sich die Bundesanwaltschaft gegen die aus der Luft gegriffenen Behauptungen, sie hätte direkt oder über die Bundesregierung Einfluß über die Besetzung des zuständigen Senats genommen.
Die gegen die Bundesregierung erhobenen Vorwürfe sind derartig abwegig, daß sich eine Stellungnahme hierzu erübrigt. Abschließend soll nochmals darauf hingewiesen werden, daß die Bundesanwaltschaft gemäß § 120 Abs. 1 und 2 GVG[28] beim Oberlandesgericht Stuttgart einzuklagen hatte, weil nach ihren Ermittlungen die[m] Angeklagten 3 Morde in Heidelberg begangen haben.
Vors.:
Danke.
Bitte, Herr Rechtsanwalt Schily.
RA Sch[ily]:
Ich weiß nicht, was die Bundesanwaltschaft dazu veranlaßt, in Ihrer Stellungnahme auszuführen, der Antrag sei der Publikumswirksamkeit willen gestellt worden. Wenn man davon ausgeht, von dem Sachverhalt, der hier vorgetragen worden ist, dann mag der Sachverhalt publikumswirksam sein, wenn in dem Publikum noch ein Gefühl vorhanden ist, welchen Wert fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze, und zu denen gehört ja bekanntlich doch wohl der gesetzliche Richter[29], haben. Ich vermisse in den Ausführungen der Bundesanwaltschaft, die sich sehr hoch ansiedelt mit der Stellungnahme, und sagt, es ist alles abwegig. Ich vermisse eine konkrete Stellungnahme. Es hätte doch nahe gelegen, einmal darzulegen, man kann das in den Geschäftsverteilungsplänen nachlesen. Die Geschäftsverteilungspläne sind ja auch der Bundes- [135] anwaltschaft zugängig. Ich hätte dann gern einmal gewußt und dazu eine konkrete Äußerung der Bundesanwaltschaft gehört, warum denn nun eigentlich Herr Hänle vom Vorsitz des 2. Senats, eines bekanntlich gleichrangigen Gerichts, zum Vorsitz des 1. Senats übergewechselt ist und warum eigentlich Herr Hoch, der vorher den Vorsitz im 1. Senat innehatte, warum er diesen Vorsitz geräumt hat. Dazu sind doch konkrete Behauptungen aufgestellt worden, und die Bundesanwaltschaft soll sich hier nicht hinter einen Nebel flüchten, der da mit solchen dahingesagten Bemerkungen hier ausgeworfen wird, das ist alles nur abwegig, wie gesagt, es gibt doch schon in den Geschäftsverteilungsplänen Anzeichen dafür, Indizien dafür, daß diese Tatsache, so, wie sie hier vorgetragen werden von den Angeklagten, richtig sind. Und im übrigen, wenn Sie meinen, Ihrer Sache so sicher zu sein, daß das alles falsch ist, was behauptet wird, dann hätte es vielleicht nahegelegen, Herr Bundesanwalt, sich den Beweisanträgen anzuschließen, und dann würden die Zeugen ja uns hier bekunden, daß Sie recht haben und wir unrecht.
Wir erwarten allerdings das Gegenteil. Und derjenige, der sich nun gegen die Aufklärung sträubt, ja von dem muß man dann vielleicht doch sagen, daß er offenbar Anlaß dazu hat, sich gegen eine solche Aufklärung zu sträuben. Und wenn es weiter in der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft geheißen hat: Ja, nun, Sie könnten doch die Verteidiger, die Angeklagten könnten doch von anderen Rechtsmitteln Gebrauch machen, etwa einem Ablehnungsgesuch oder von dem Rechtsmittel der Revision, wobei sich die Bundesanwaltschaft offenbar jetzt schon, bevor überhaupt über das erste Wort zu Sache gefallen ist, sicher ist, daß wir in die Revision gehen sollen. Aber davon mal ganz unabhängig scheint mir dabei ein Denkfehler vorzuliegen seitens der Bundesanwaltschaft, denn es gibt ja bekanntlich eine ganze Reihe von rechtlichen Möglichkeiten, die die [136] Strafprozeßordnung vorsieht. Und wenn in der Tat, so wie wir es behauptet haben, der gesetzlich ... die Angeklagten durch die gegenwärtige Zusammensetzung des Gerichts ihrem gesetzlichen Richter entzogen werden, dann ist es doch eigentlich eine selbstverständliche Pflicht nicht nur des Gerichts, sondern auch der Bundesanwaltschaft, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen und nicht erst die Revisionsverfahren abzuwarten. Das ist doch wohl, das ist doch wohl eindeutig. Nehmen Sie mal an, es wäre ... wir wären bei einem Gericht mit einem, einer Laienbesetzung, wo also auch Laienrichter mitwirken und der Vorsitzende stellt fest, daß da irgendwie ein Fehler passiert ist, dann wird er doch nicht das Verfahren durchführen und dann erst dafür sorgen, daß der richtige Schöffe hinzugezogen wird. Oder bei anderen Verfahrensfehlern, die vorkommen können, hinsichtlich einer Anwesenheitspflicht, der Anklagevertretung oder der Verteidigung, ist es doch selbstverständlich, eine Selbstverständlichkeit, daß man von Beginn an man nicht sagt:
Naja, kann ja später mal in der Revision gerügt werden. Und die Bundesanwaltschaft hat sich da ja in einen eklatanten Widerspruch auch begeben, zu ihrer Auffassung am ersten Verhandlungstag, wo sie auch gesagt hat, hier wird jetzt möglicherweise ein Revisionsgrund entstehen, und dem wollen wir doch vorbeugen, wir wollen das nicht erst später dann in der Revisionsinstanz klären, sondern wir wollen von vornherein dafür sorgen, daß das Verfahren in der Form abläuft, daß eben eine solche Revisionsrüge gar nicht erst dann in Betracht gezogen werden muß.
Wie gesagt, dann vermisse ich schließlich, und damit darf ich abschließen, Vorstellungen, wie denn nun eigentlich dann das Verfahren durchgeführt werden soll, wenn dieser Verfahrensfehler vorliegt. Und welche andere Möglichkeit als die Einstellung es denn dann eigentlich geben sollte. Wie gesagt, die Verteidigung vertritt die Auffassung, was ich heute vormittag zur Begründung des Antrages, der bereits ausgeführt habe, daß [137] dieser Fehler nicht mehr reparabel ist und daß aus diesem Grunde die Einstellung anzuordnen ist.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
Bitte.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Ich möchte das kurz ergänzen, der Kollege Schily hatte ja zur Begründung seines Einstellungsantrags, und zwar im Wege des Freibeweisverfahrens,[30] Zeugen benannt und zu den Zeugen bestimmte Beweisthemen benannt. Diese Beweisthemen hat die Bundesanwaltschaft pauschal als Vorwürfe bezeichnet, als Vorwürfe bezeichnet, auf die nicht näher eingegangen zu werden brauche. In der Tat ist die Frage zu stellen: Scheut die Bundesanwaltschaft das, was diese Zeugen, würden sie im Freibeweisverfahren hier gehört werden. Scheut sie das, oder wie ist es zu erklären, daß sie nicht mit einem Wort auf die Frage eingeht, warum es oder warum es nicht aus sachlichen Gründen der Vernehmung dieser Zeugen bedarf. Das ist das eine. Das zweite zur Frage, ob hier nicht ein Ablehnungsgesuch das gebotene rechtliche Mittel gewesen wäre: wenn die Behauptung hier substantiiert und das Beweisangebot aufgestellt wird, daß ein sehr wesentliches richterliches Mitglied dieses Senats gleichsam außerhalb der Legalität, aus Gründen, die politischen Exekutivorganen opportun erschienen sind, installiert worden ist, dann ist der primäre Aspekt dabei nicht die Frage, ob ein Richter, der sich zu so etwas mißbrauchen läßt oder nicht mißbrauchen läßt, befangen ist, dann ist der primäre Aspekt dabei, daß nicht ein Gericht tagt, wie es die Gesetze des Bundesrepublik Deutschland vorsehen, sondern eben ein Spruchkörper, der außerhalb der Legalität [138] zustande gekommen ist. Von daher ist also das gebotene rechtliche Mittel die Einstellung des Verfahrens zu beantragen, nicht etwa die Ablehnung des Vorsitzenden zu beantragen.
Vors.:
Die Bundesanwaltschaft wird erwidern, nehme ich an.
Bitte.
BA Dr. W[under]:
Entgegen dem, was Sie vorhin gesagt haben, Herr Rechtsanwalt Schily, Sie seien immer für Klarheit, wird Ihre Klarheit in dem Antrag vermißt. Die Bundesanwaltschaft muß dann doch etwas deutlicher werden. Ihr Antrag war offenbar nicht nur auf Publikumswirkung gerichtet, sondern ist schlichtweg unschlüßig. Eine Einstellung nach § 260 Abs. 3[ StPO] kann nur dann erfolgen, wenn ein Prozeßhindernis vorliegt. Ein Prozeßhindernis liegt nicht vor. All das, was Sie gegen den Vorsitzenden hier beantragt haben, das könnten Sie nun in einem Ablehnungsgesuch wirksam, wirksam beantragen, nicht aber hier im Rahmen der Prüfung, ob das Verfahren nach § 260 Abs. 3 StPO eingestellt werden muß.
Vors.: (nicht zu verstehen)
Bitte schön, Herr Rechtsanwalt.
RA Sch[ily]:
Sie sind im Irrtum. Ich zähle zu den Verfahrensvoraussetzungen auch die Minimalbedingungen, die[n] der Artikel 6 der Menschenrechtskonvention[31] vorsieht, und Sie werden ... vielleicht die Entscheidung kennen, die ja dann später allerdings der Bundesgerichtshof eine andere Auffassung, aber nur hinsichtlich der Begründung, vertreten hat.[32] Und Sie werden die Entscheidung [139] des Landgerichts Frankfurt[33] kennen, in dem z. B. die Frage der Dauer eines Verfahrens die Auffassung vertreten worden ist, daß es ein Verfahrenshindernis, wenn jetzt also ein Strafverfahren so lange dauert, wie gesagt, unter Bezugnahme auf Artikel 6 der Menschenrechtskonvention und dann die Einstellung daraus gefolgert hat. Also diese Auffassung wird durchaus auch von Gerichten vertreten, daß in diesem speziellen Fall dann der Bundesgerichtshof - im 24. Bande ist wohl die Entscheidung abgedruckt - eine andere Auffassung vertreten hat, in dem konkreten Fall, steht auf einem anderen Blatt. Aber hier haben wir’s mit einer ganz anderen Frage zu tun, nämlich mit der Frage des gesetzlichen Richters, und dies ist ja im Artikel 6 der Menschenrechtskonvention auch festgelegt, und ich zähle diese Tatsache zu den Verfahrensvoraussetzungen[o] und da ist auch durchaus in den Kommentierungen dazu sind dazu Meinungen nachzulesen, daß dieser Fall wie andere Details in diesem Verfahren vielleicht einmalig ist, das überlasse ich Ihrer Fantasie, sich dazu eine Meinung zu bilden, aber daß es zu den Verfahrensvoraussetzungen gehört, daß der gesetzliche Richter entscheidet, darüber dürfte meiner Meinung nach kein Streit bestehen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz. Ich würde allerdings jetzt bitten, von Seiten der Verteidigung die Argumentation möglichst abzuschließen. Wir haben dann genug Gelegenheit, zu entscheiden.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Es wird von mir nur noch wenig gesagt werden.
Herr Bundesanwalt, sei’s Sie erinnern sich, daß ich in der letzten Sitzung vom Vorsitzenden des Senats gerügt worden bin, wegen einer Empfehlung, den Senat etwa mit Militärs zu besetzen. [140] Unterstellen wir mal, der Senat wäre mit Militärs besetzt, also Personen, die im Gesetz nicht als gesetzliche Richter bezeichnet werden könnten. Sie würden doch gewiß in diesem Falle dann konsentieren[p], daß dies ein Verfahrenshindernis wäre.
Wir behaupten, daß der Vorsitzende nicht der gesetzliche Richter in diesem Falle ist. Entsprechend liegt ebenfalls ein Verfahrenshindernis vor.
Vors.:
Wollen Sie erwidern, bitte.
OStA Zeis:
Da zum letzten nur ein Wort, Herr von Plottnitz: Vergleiche hinken meistens, aber Ihrer läuft nicht mehr.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Ich verstehe sie akustisch nicht.
OStA Zeis:
Ich sagte, Vergleiche hinken meistens, aber Ihrer läuft nicht mal mehr.
Vors.:
Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.
Die Entscheidung wird etwa noch möglicherweise vor dem Mittagessen zu erwarten sein. Sie können also nicht davon ausgehen, daß die Mittagspause jetzt schon beginnen würde.
Die Angeklagten können wir hier im Saale lassen.
Der Senat zog sich um 11.40 Uhr zur Beratung zurück.
Nach dem Wiedereintritt des Senats um 11.55 Uhr wurde folgendes verkündet:
[141] Vors.:
Der Antrag auf Einstellung des Verfahrens wird abgelehnt, da der Sachvortrag der Verteidigung kein Verfahrenshindernis aufzeigt.
Hinzuzufügen ist, daß die richtige Besetzung in der Rechtsprechung nicht als eine Prozeßvoraussetzung anerkannt ist. Die falsche Besetzung wäre also auch kein Prozeßhindernis. Um die mangelnde Unabhängigkeit eines Gerichts oder Richters darzutun, stellt die Prozeßordnung andere Wege zur Verfügung. Über den Fall eines mit einem Bundeswehrgeneral besetzten Gerichts macht sich der Senat keine Gedanken. ---
Ich habe heute früh keine Gelegenheit gehabt, noch ein paar Bemerkungen dazu zu machen, daß bei Beginn oder während des Verlaufs des ersten Verhandlungstages Klagen über die Verzögerung beim Zutritt hier laut geworden sind. Ich hoffe, daß es sich gezeigt hat, daß sich das Gericht bemüht hat, im Gespräch mit allen bei der Einlaßkontrolle beteiligten Stellen einen Weg zu finden, der diese Verzögerungen so weit, wie es irgendwie möglich ist, beseitigt. Wir dürfen dabei darauf hinweisen, daß diese konsequente Handhabung der Eingangskontrolle uns andererseits die Möglichkeit gegeben hat, daß hier im Saale und auch im Vorraum kein bewaffneter Sicherungsbeamter anwesend ist, entgegen anders lautenden Meldungen; es trägt hier niemand Waffen.
Es ist letztes Mal noch ein spezieller Fall erwähnt worden, daß ein Besucher um 7.00 Uhr eingetroffen sein soll und erst um 9.20 Uhr hier Zutritt erhalten haben soll. Wir haben das selbstverständlich überprüft, da uns die Einhaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit wichtig ist. Der betreffende Besucher ist namentlich bekanntgeworden und bekanntgegeben worden. Er hatte die Einlaßnummer 74. Nach den Meldungen der [142] Polizei hat die Nummer 74 unter insgesamt 112 ausgegebenen Einlaßkarten den Eingang etwa gegen 8.30[q] Uhr passiert. Wenn sich ein Besucher dann irgendwie nicht in den Saal verfügt, sondern beispielsweise auf der Toilette oder sonst irgendwo längere Zeit aufhalten würde, dann ist es selbstverständlich, daß das Gericht darüber keine Kontrolle hat. Wir behaupten nicht, daß es so gewesen sei. Wir hoffen, daß es sich[r] hier um einen jetzt aufgeklärten Irrtum handelte.
Ich darf im übrigen noch darauf hinweisen, daß Behauptungen, die in der Presse verbreitet worden sind, daß morgen die Sitzung weiterginge, nicht stimmen.
Wenn keine Anträge im Augenblick mehr gestellt werden, dann würden wir zur Vernehmung zur Person[34] kommen. Wir würden allerdings heute früh damit nicht mehr beginnen, sondern das dann nach der Mittagspause in Angriff nehmen.
Können wir die Sitzung mit Einverständnis aller Beteiligten bis 14 Uhr unterbrechen?
14 Uhr Fortsetzung.
Pause von 12.00 Uhr bis 14.05 Uhr.
Ende des 4. Bandes
[143] Fortsetzung um 14.05 Uhr, in der gleichen Besetzung wie heute morgen.
Vors.:
Wir setzen die Sitzung fort und zwar wie angekündigt, mit der Vernehmung zur Person. Bei der[s] Vernehmung zur Person wollen wir uns ...
Bitte Herr Baader.
Angekl. B[aader]:
Das kann Ihnen ja nicht entgangen sein, daß ich keinen Verteidiger habe, bisher.[35] Und ich wollte dazu kurz was erklären und einen Antrag stellen. Wir hatten eigentlich nicht vor, auf die juristische Verpackung dieser Veranstaltung überhaupt einzugehen hier, sie ist sekundär. Und in der Entwicklung dieses Verfahrens, vermittelt es sich willkürlich selbst besser als jede Interpretation das könnte. Es ist auch, oder es war auch, wie sich gezeigt hat.
Vertr[eter] d[er] Bundesanwaltschaft:
Herr Vorsitzender, es ist nicht verständlich, was Herr Baader sagt.
Vors.:
Ich weiß nicht, ob dies an der Mikrophonanlage liegt, das bezweifle ich.
Angekl. B[aader]:
Also soll ich das nochmal wiederholen.
Vors.:
Vielleicht, Herr Baader, wenn Sie etwas größeren Abstand einhalten.
Angekl. B[aader]:
Also, wir hatten nicht vor, auf die juristische Verpackung dieser Veranstaltung hier überhaupt einzugehen. Wir halten dies für sekundär und in der Entwicklung dieses Verfahrens, vermittelte sich jetzt willkürlich selbst besser, als jede Interpretation von uns das könnte. Es ist auch, oder es war auch, wie sich gezeigt hat, unmöglich, sich in einem Verfahren auf Verteidigung einzulassen, für das permanent und kontinuierlich Gesetze geändert werden,[36] und wo der legislative Ablauf nicht nachkommt, gebeugt, bzw. von der Bundesanwaltschaft lächerlich [144] gemacht. Seit sich Zeis, der drüben sitzt, angeblich in einem anderen Verfahren, obwohl er hier die Anklage vertritt, in den Handakten[37] von Haag[38], eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung das ganze Projekt unserer Verteidigung verschafft. Wir haben die[t] Manuskripte nicht mehr, die Anklage hat sie. Dazu gibt es bis jetzt, soviel wir wissen jedenfalls, wie zu der letzten Razzia in meiner Zelle, 1 Woche vor der[u] Hauptverhandlung, die Widera geleitet hat, der auch da drüben sitzt, keinen Gerichtsbeschluß. Ich weiß nicht einmal, ob Sie darüber informiert sind. Wenn wir jetzt das anders einschätzen, dann war in dem Lehrstück, das dieser Prozeß schon durch das totale Engagement des Verfahrens durch den Staatsschutz und die Regierung sein wird. Auch auf dieser Widerspruchsebene, theoristischen[v], die eigentlich nicht unsere Sache sein kann, die Evidenz unserer Analyse und Strategie zu erklären sein wird. Dazu brauche ich einen Verteidiger. Ich habe drei Wahlverteidiger, die sich drei Jahre lange auf eine[w] als traditionell faßbare politische Verteidigung vorbereitet haben, unmittelbar vor der Hauptverhandlung ausgeschlossen worden sind. Nach Buback: dem taktisch richtigen Zeitpunkt. Das ist ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung, von einem Interview. Und der Pflichtverteidiger Haag, mit einer Konstruktion der Bundesanwaltschaft, kriminalisiert worden ist, unmittelbar vor dem Prozeß und mit Kriminalisierung jeder Verteidiger zu rechnen hat. Abgesehen von der Hetze, die er auf sich zieht, und die seine bürgerliche Existenz als Anwalt in jedem Fall gefährdet. Es ist sehr schwierig geworden, einen Verteidiger zu finden. Es war in der Woche, die Sie mir Zeit gegeben haben nicht möglich, auch weil das Gespräch unter Überwachung mit den ausgeschlossenen Anwälten, das dazu führen sollte, und daß sie zugesagt haben, nicht zustande gekommen ist. Es war also auch objektiv nicht möglich, rauszufinden, ob es einen Verteidiger gibt, der die Verfolgung [145] auf sich nimmt, die die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt mit meinem Mandat offenbar verbindet.
Ich hab deswegen jetzt zu beantragen, daß Sie
1. die Verhandlung unterbrechen, bis ich einen Verteidiger gefunden habe, mindestens aber fünf Tage. Und
2. mit den Verteidigern Heldmann, Frankfurt, Romaikart, Hamburg und Klang, Hannover, glaube ich, unüberwachte Gespräche zuzulassen, bevor das Mandat zustande kommt, in dem ich ihnen wenigstens kurz unsere Vorstellungen zur Verteidigung erklären kann.
Das ist das eine, das andere ist:
Sie wissen, daß wir auf die kollektive Anklage, nur kollektiv eingehen werden, wenn überhaupt, d. h. bei unserem Desinteresse an diesem durchgeplanten Polizeifest, wir werden für die Verhandlung hier nur verfügbar bleiben, wenn Sie in den Verhandlungspausen und zwischen den Verhandlungstagen, ausreichende Beratung zwischen uns zulassen. Das ist eine Bedingung. Nachdem die Anklage seit 3 Jahren jedes Wort zur Verteidigung dieses Prozesses kontrolliert hat, in Zellendurchsuchungen, bei der Durchsuchung der Anwaltskanzleien, durch Beschlagnahme der Post, durch Abhörgeräte in den Besuchszellen für Verteidigerbesuche, von den wir seit Sommer 73 wissen.
Der Staatsschutz hat unseren Kontakt mit den Verteidigern immer überwacht und zwar total. Das Gesetz jetzt, soll das nun legalisieren.
Wenn Sie die kollektive Arbeit, an dem was von uns in diesem Prozeß zur Anklage, wesentlich zur Anklage zu sagen ist, nicht zulassen, wovon wir ausgehen, werden wir, nachdem die Anträge der Verteidiger abgelehnt sind, was sicher ist, wenig zur Entwicklung und Bedingung der Politik, die Sie verurteilen sollen, erklären. Das wird kaum länger als einen Tag dauern und Sie werden uns dann ausschließen, bevor die Bundesanwaltschaft ihre bemühte Produktion hier vorträgt, um dann zwischen tausend Polizisten, dem Militärapparat, der sich um dieses Verfahren aufgebläht hat, ungestört zu sein. Wir sind in der Aktion, die hier möglich ist, wenig interessiert. Sie ist unwichtig. Der materielle Zweck hat den provokantistischen in sich. Er könnte hier für uns nur sein, Aufklärung, die Transparenz des Verfahrens und darüber die Transparenz der Reaktion und Strategie, die hier verfährt. Wir können das, wie ich das gesagt hab, kaum besser auf den Begriff bringen, als es sich in der Meditarisierung[x] des Verfahrens darstellt. Der Apparat kann die Dialektik seiner Selbstverstellung nicht begreifen. Er unterliegt ihr und demontiert im Versuch ihrer Behauptungen, mehr Rechtsstaatsideologie, als wir je könnten. Die absurde [146] Überdeterminierung seiner Reaktion, wird ein provokantistisches Mittel der Insurrektion (?)[y], und für seine Reaktion vermittelt Transformation und Verfall des bürgerlichen Staates und darin auch wieder Evidenz. Wir müssen, wenn es nicht anders möglich ist, d. h. wenn Sie es nicht anders wollen, dazu kann ich schon gar nicht mehr viel sagen: Die Sprache der Guerilla ist die Aktion, ihr werden Sie zuhören.
Vors.:
Herr Baader, es wird wahrscheinlich notwendig sein, daß wir uns nachher noch ein bißchen von dem Band überzeugen, was Sie im Einzelnen genau gesagt haben, es war nicht alles leicht verständlich, oder haben Sie es schriftlich? Herr Baader, haben Sie das schriftlich, die Ausführungen?
Angekl. B[aader]:
Nein, ich habe mich nicht an den Text gehalten.
Vors.:
Darf ich vielleicht noch eine Bemerkung dazu machen, Herr Baader, damit Sie sich darauf einstellen können. Das gilt für alle Angeklagten. Die Prozeßordnung schreibt uns vor, Sie zur Sache erst dann zu Wort kommen zu lassen, wenn Sie das überhaupt tun wollen, wenn die Anklage verlesen ist.[39] Sie kündigen eben an, daß Sie möglicherweise die Absicht hätten, bevor die Anklage verlesen ist, Ihre Erklärung, die Sie für wichtig halten, abzugeben. Das wäre noch in dem Stadium, in dem Sie zur Person vernommen werden sollten. Das ist prozeßordnungsgemäß nicht möglich. Bitte daran müssen Sie sich dann halten.
Angekl. B[aader]:
Ja, Sie haben aber das falsch verstanden, ich habe gesagt, die Möglichkeit, daß wir uns überhaupt zur Anklage äußern, hängt von den Bedingungen, die hier formuliert sind. Also auch von der[z] Bedingung einer kollektiven Vorbereitung dieser Äußerung.
Vors.:
Ja, das sind nun ...
Angekl. B[aader]:
Der Punkt, um den es zunächst geht, das sind wohl die allgemeinen Bedingungen des Verfahrens überhaupt. Also nicht [147] unmittelbare Äußerung zur Sache und ich würde sagen, daß das durchaus gesagt werden muß, bevor die Anklage hier verlesen wird.
Vors.:
Nein, Herr Baader, das wird nicht gehen. Sie müssen darüber belehrt sein, daß Sie sich zur Sache nicht zu äußern brauchen[40] und das ist die Grundvoraussetzung, daß Sie sich irgendwo im Zusammenhang ...
Angekl. B[aader]:
Ich sagte, es dreht sich hier nicht um die Sache, es dreht sich um das gesamte Verfahren hier, d. h. es dreht sich um die Bedingungen dieses Verfahrens und es dreht sich um das, was zu diesem Verfahren geführt hat.
Vors.:
Vielleicht sind die ...
Herr Baader, vielleicht sind Ihre Herrn Verteidiger, d. h. nicht Ihre Herrn Verteidiger, aber so wie Sie es ansehen. Wir haben hier zwei Herrn noch, die Sie verteidigen, aber auch notfalls wären sicher[aa] die anderen Herrn bereit, Sie über diese Formvorschrift, über den Gang der Hauptverhandlung, des § 243[ StPO] zu belehren.
Herr Rechtsanwalt Schily, ich weiß nicht, ob nicht zunächst die Bundesanwaltschaft als Angesprochene, wenn sie will, das Recht hat, sich äußern.
RA Sch[ily]:
Ich will nur, das ist eine reine kurze Ergänzung, dazu folgendes noch erklären.
Herr Baader hat ja hier den Antrag formuliert, daß er die Möglichkeit hat, mit drei namentlich genannten Verteidiger, zunächst einmal ein vorbereitendes Gespräch, wie es ja üblich ist, bevor ein Mandat erteilt wird, also im Wege eines Sprechscheins, der erteilt wird und dann eben die Frage erörtert wird, ob ein Mandat zustande gekommen (verbessert sich) zustande kommt. Er hat mich zusätzlich gebeten, ihm die Möglichkeit einzuräumen, mit mir nochmals ein unüberwachtes Gespräch zu führen. Sie hatten ja diese Möglichkeit [148] bereits einmal eingeräumt, aber jetzt in der neuen Situation legt Herr Baader Wert darauf, das nochmal zu wiederholen, das möchte ich als ergänzenden Antrag Ihnen noch zur Kenntnis bringen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, soll das geschehen, bevor ein evtl. Gespräch mit den drei anderen Herrn ...
RA Sch[ily]:
In irgendeinem zeitlichen Zusammenhang. Sie haben ja gehört, die Vorstellung von Herrn Baader, mindestens 5 Tage, daß man dann innerhalb dieser Frist sich entscheiden kann, wie es gehen soll. Ich hab davon Kenntnis erhalten, daß am ... (verbessert sich) Morgen also keine Möglichkeit einer Unterredung besteht.
Vors.:
Warum?
RA Sch[ily]:
Ja, da ist irgendwie die Anstalt wohl geschlossen, oder was. Am 6. Juni ist also wie am 30. Mai, sind keine Sprechmöglichkeiten.
Vors.:
So, das war mir bis jetzt nicht geläufig und das ...
RA Sch[ily]:
Ich wäre natürlich dankbar, wenn das so gehandhabt werden könnte, das ich nicht extra dann da anreisen muß, aus Berlin, also wenn das in Verbindung mit dann einem Verhandlungstag, oder jedenfalls in irgendeinem zeitlichen Zusammenhang gestattet würde.
Vors.:
Gut. Will sich die Bundesanwaltschaft dazu äußern?
BA Dr. W[under]:
Die Bundesanwaltschaft hat die Erklärungen des Herrn Baader auch nur sehr schwer verstanden. Verständlich für uns war ein Antrag auf Unterbrechung, weil sich Herr Baader nicht genügend verteidigt fühlt. Der Angeklagte Baader hat nach Auffassung der Bundesanwaltschaft zwei Pflichtverteidiger und ist damit, den gesetzlichen Bestimmungen genügend, verteidigt.[41] Es bleibt ihm unbenommen mit anderen Herrn, die er [149] evtl. zu seinen Verteidigern bestellen will, neben der Hauptverhandlung oder in den sitzungsfreien Tagen, Gespräche zu führen. Unbewacht, unüberwachte Gespräche mit den Verteidigern eines anderen Angeklagten, aus diesem Verfahren, sind nach den geänderten gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr statthaft.
Vors.:
Danke. Das Gericht meint, daß sich der Antrag gleich an das Gericht wendet, daß der Vorsitzende hier nicht allein entscheiden soll, zumal es eine Unterbrechung ist, die hier beantragt wird, die etwas längere Dauer wohl im Auge hat. Wir wollen uns darüber beraten.
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
RA v[on] P[lottnitz]:
Zunächst einmal wegen des Zusammenhangs, den die einzelnen Verfahren gegen die Angeklagten hier haben. Hoch ein Wort zu dem sagen, was die Bundesanwaltschaft gerade erklärt hat. Also zum einen, meine ich, daß so schlecht wie die Bundesanwaltschaft meinte, das gar nicht zu verstehen war, was Herr Baader gesagt hat. Die Bundesanwaltschaft hat da vielleicht vorsätzlich nicht hingehört, das ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist hier, daß ein Aspekt, der mir auffiel, der mir auch auffiel, bei dem, was der Herr Vorsitzende soeben gesagt hat und zwar im Zusammenhang mit der Frage, was die Prozeßordnung vorsieht oder nicht, wurde die Empfehlung gegeben, nachdem es zunächst geheißen hat, ihre Verteidiger, es erfolgte eine Korrektur, diese Verteidiger könnten doch den Herrn Baader darüber belehren. Und zwar gemeint waren offensichtlich die vier Verteidiger, die auf dieser Seite des Saales[42] sitzen. Wir sind natürlich jederzeit bereit, Herrn Baader zu erklären, oder was die Prozeßordnung vorsieht. Aber der Herr Bundesanwalt Wunder bezieht sich wiederum auf die legislative Novelle, wonach eine gemeinsame Verteidigung nicht mehr vorgesehen ist, das ist ja schließlich eine Lex RAF[43] gewesen, mit der das geschehen ist, mit der gezielt Einfluß genommen worden ist, auf die Art und Weise der Verteidigung in diesem Verfahren, dort wo es dann andererseits dem Rechts- [150] schein dienlich sein könnte, nämlich wenn’s um die Frage geht, wie Herr Baader sich Kenntnis schaffen könnte, vom Inhalt der Strafprozeßordnung. Da wird dann wieder gesagt, vielleicht können das die Herrn, die ansonsten als Wahlverteidiger, bzw. Verteidiger des Vertrauens[44] tätig sind, machen. Das ist ein Widerspruch, der mir hier aufgefallen ist.
Vors.:
Ich gehe davon aus, Herr Rechtsanwalt, daß dann, wenn die Angeklagten in der Pause nicht zurückgebracht werden und Gelegenheit haben, sich mit Ihnen zu unterhalten, Herr Baader nicht ausgeschlossen ist von diesen Gesprächen?
RA v[on] P[lottnitz]:
Das ist richtig.
Vors.:
Also diesen Moment habe ich gemeint. Das war der einzige Punkt. Wir werden ...
Bitte, Herr Baader.
Angekl. B[aader]:
Das ist natürlich ein bißchen kurz, gewissermaßen. Für einen Einführungskurs dieser Prozedur hier. Diese drei Minuten jeweils. Aber ich wollte Sie noch etwas fragen, wenn das möglich ist. Was ich für ziemlich wichtig halte im Zusammenhang mit der Suche nach einem Verteidiger. Sie haben nach dem Protokoll in der letzten Sitzung die Verschärfung der Haftbedingungen damit begründet, daß konkrete Hinweise an den Senat gekommen sind, die Verbindung zwischen uns bzw. dem Rechtsanwalt Haag und der Besetzung der Botschaft in Stockholm[45] bestehen.[46] Was jetzt ja auch sozusagen als Stützungsmanöver des Baden-Württembergischen Innenministeriums zu der Gesetzesinitiative, durch die gesamte Presse getrieben wird. Wir haben aber auf der anderen Seite den Beschluß des Bundesgerichtshofes im Zusammenhang des Haftprüfungstermins von Haag, wo ausdrücklich gesagt wird, daß keine Anhaltspunkte bestehen. Und wir haben, wie ich Ihnen erklärt hab; wir sind davon ausgegangen, daß ein Haftprüfungstermin natürlich sämtliches Material, das da ist, von Seiten der Ermittlungsbehörden, auf den Tisch kommt. Wenn also der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes verneint, daß irgendein Zusammenhang besteht, dann frage ich Sie, nachdem Sie mir gesagt haben, daß das Material des Haftprüfungs- [151] termins über Ihren Tisch gegangen ist, wie Sie zu diesen Behauptungen kommen? Denn das ist doch ein Beispiel dafür, daß also nicht nur die Bundesanwaltschaft systematisch die Hetze gegen die Anwälte betreibt, sondern das ist ein Beispiel, daß der Senat sich diese Praxis auch schon zu eigen gemacht hat, d. h. sich ihr anschließt. Ich würde schon sagen, daß es eine ganz wesentliche Frage ist, auch für die Verteidiger, die möglicherweise hier in dieses Verfahren jetzt noch reingehen werden, wie Sie das erklären?
Vors.:
Herr Baader, grundsätzlich wird es nicht soweit kommen im Verfahren, daß ich Ihre Fragen regelmäßig breit beantworte, aber ich bin gerne bereit, in diesem Ausnahmsfall, Sie zu unterrichten, was der Grund ist.
Erstens mal ist nicht richtig, daß der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs jeden Verdacht ausgeräumt hätte, daß Rechtsanwalt Haag ...
Angekl. B[aader]:
Sie haben nicht gesagt, er hat jeden Verdacht ausgeräumt, den Verdacht, das ist ja so ...
Vors.:
Herr Baader ...
Angekl. B[aader]:
... Spezifikum ...
Vors.:
Herr Baader ...
Angekl. B[aader]:
... dieses Begriffsverdachts ...
Vors.:
Herr Baader, über eines ...
Angekl. B[aader]:
... der nie auszuräumen ist. Und ganz sicher nicht auszuräumen ist, in diesem Zusammenhang, weil jeder verdächtig ist, das hat sich ja oft genug gezeigt, sondern der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs sagt, es bestünden keine Anhaltspunkte. Also es steht hier hinsichtlich einer Unterstützung der Täter des Anschlags auf die deutsche Botschaft in Stockholm, besteht kein dringender Verdacht. Die von der Bundesanwaltschaft vorgebrachten Indizien reichen insoweit nicht aus. Das ist doch die Feststellung des Ermittlungsrichter Wösner am Bundesgerichtshof.
Vors.:
Herr Baader, über eines müssen wir uns vorweg einigen, wenn Sie [152] Sie mit dem Gericht sprechen wollen. Sie müssen genauso, wie wir Sie ausreden lassen, dieses Recht uns einräumen. Also ich komme nochmals zurück, auf das was ich sagte. Der Ermittlungsrichter hat keineswegs den Verdacht ausgeräumt, er hat ihn nur nicht als dringlich[47] bezeichnet, Ergebnis ...
Angekl. B[aader]:
Das ist falsch. Ich habe ...
Vors.:
Augenblick - Ergebnisstand im Zeitpunkt seiner Vernehmung. In der Zwischenzeit wissen Sie, daß Rechtsanwalt Haag untergetaucht ist, wie das wohl bezeichnet wird, und daß die Ermittlungen auch fortgeschritten sind. Sie kennen Ihre eigene, (verbessert sich) diesen eigenen Kassiber, der von Ihnen ja sogar kürzlich im Spiegel veröffentlicht worden ist.[48]
Angekl. B[aader]:
Von mir, ja (Angekl. Baader lacht)
Vors.:
Das sind alles Dinge, die als konkrete Hinweise betrachtet werden müssen. Der Senat ist nicht verpflichtet, nun den Verdacht gegen Rechtsanwalt Haag im einzelnen zu begründen und im einzelnen zu überprüfen. Wir müssen das als Möglichkeit einkalkulieren. So hab’ ich’s auch ausgedrückt.
Angekl. B[aader]:
Naja, aber das ist noch nicht korrekt was Sie sagen.
Vors.:
Gut, das mag sein - Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.
RA Sch[ily]:
Ich bitte um wörtliche Protokollierung Ihrer Äußerung:
Sie kennen Ihren eigenen Kassiber, der kürzlich im Spiegel veröffentlicht worden ist.
Vors.:
Ich bitte zunächst das Protokoll die Stelle wieder zu suchen und meine Äußerung nochmals durchzuspielen.
Das Tonband wurde daraufhin auf die entsprechende Stelle zurückgespult und den Beteiligten laut vorgespielt.
Vors.:
Sind wir wieder auf dem Laufenden. Gut.
Herr Rechtsanwalt, Sie haben gehört, daß meine Äußerung [153] wortwörtlich im Protokoll aufgenommen ist, auch wortwörtlich dort erscheinen wird. Können Sie bitte begründen, warum es darauf ankommt, diesen Vorgang zusätzlich festzuhalten?
RA Sch[ily]:
Diese Äußerung könnte Grundlage für einen weitergehenden Antrag sein und ich bitte deshalb nach § 273[ StPO][49] um wörtliche Protokollierung.
Vors.:
Gewiß. Aber es ist ja, wie Sie bereits bemerkt haben, es ist eben abgespielt worden, auch wörtlich auf dem Band darauf, wird als ohnedies wörtlich im Protokoll erscheinen.
RA Sch[ily]:
Nein, mir geht es nur darum, daß Sie die Anordnung nach § 273[ StPO], daß wörtlich protokolliert ist, daß es dann übereinstimmt ... Darum geht es mir ja.
Vors.:
Diese Anordnung treffe ich aber doch nur dann, wenn ein Grund besteht, diesen Vorgang festzuhalten. Der Vorgang ist bereits festgehalten, welchen Grund sehen Sie darüber hinaus, ihn nochmals festzuhalten?
RA Sch[ily]:
Da möglicherweise diese Äußerung, Grundlage für einen weitergehenden Antrag ist.
Vors.:
Ganz gewiß, aber es ist schon festgehalten, diese Äußerung.
RA Sch[ily]:
Wenn Sie sozusagen dann die Äußerung in dem formellen Sinne, als wörtlich protokolliert ansehen, darüber können wir uns verständigen, dann bin ich damit einverstanden.
Vors.:
Gut. Ich sehe es dann so an, daß Sie hier eine wörtliche Protokollierung bereits haben und daß das auch wörtlich ...
RA Sch[ily]:
... eine wörtliche Protokollierung darstellen soll i. S. des § 273[ StPO].[50]
[154] Vors.:
Nun, es ist eine wörtliche Protokollierung. Sie können daran alle Anträge knüpfen, die Ihnen geeignet erscheinen.
RA Sch[ily]:
Herr Vorsitzender, es hat doch früher auch schon gegeben, ohne Tonbandprotokoll, daß eine Äußerung wörtlich im Protokoll erscheint ...
Vors.:
Gewiß.
RA Sch[ily]:
... daß aber, um sie formell benutzen zu können, die wörtliche Protokollierung notwendig ist, nach § 273[ StPO]. Wenn Sie jetzt erklären, das ist jetzt entsprechend meiner Anordnung wörtlich protokolliert, so nach dem Tonband, bin ich damit einverstanden.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, ich habe am 1. Verhandlungstag ja jeweils diesen Anträgen stattgegeben und zwar einfach deshalb, weil wir da noch nicht die Kontrolle darüber hatten, ob das mit dem Protokoll, mit der Übertragung, tatsächlich funktioniert. Inzwischen haben wir festgestellt, daß das, was auf dem Protokoll, auf dem Band, verständlich ist, daß das auch wörtlich übertragen werden kann. Deswegen meine ich, daß alle Folgerungen, die Sie aus der Äußerung ziehen, bereits gezogen werden können, auf Grund des Protokolls, das Ihnen an die Hand gegeben wird, so daß es darüber hinaus auf eine zusätzliche wörtliche[bb] Protokollierung i. S. des § 273[ StPO] nicht mehr ankommt.
RA Sch[ily]:
Gut, einverstanden, wenn Sie das so auffassen, dann ...
Vors.:
So fasse ich es auf. Ihre Rechte sind voll gewahrt auf diese Weise. Das ist ganz klar.
RA Sch[ily]:
Gut, ist in Ordnung.
Vors.:
Dann ...
[155] RA v[on] P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, darf ich nochmal kurz ums Wort bitten?
Vors.:
Herr Rechtsanwalt v[on] Plottnitz, bitte.
RA v[on] P[lottnitz]:
Ich habe noch einen Punkt nachzutragen, und zwar zu der Äußerung von dem Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder, der Herr Baader sei hier durch zwei Verteidiger ausreichend verteidigt. Davon kann keine Rede natürlich sein.
Vors.:
Sind Sie Verteidiger von Herrn Baader im Augenblick?
RA v[on] P[lottnitz]:
Nein, aber ich habe vorhin schon auf den Zusammenhang der einzelnen Verfahren, also auch des Verfahrens, in dem ich verteidige, hingewiesen ...
OStA Zeis:
Herr Vorsitzender ...
RA v[on] P[lottnitz]:
... dieses Zusammenhangs, entschuldigen Sie, unterbrechen Sie mich nicht Herr Dr. Zeis ...
(OStA Zeis und RA v[on] Plottnitz sprechen durcheinander)
Vors.:
Also, meine Herrn, ich darf Ihnen folgendes versichern. Es ist jetzt auf dem Band nichts verständlich, wir können also jetzt nochmals von vorn beginnen ...
RA v[on] P[lottnitz]:
Das ist auch für mich ...
Vors.:
Ich möchte zunächst, Herr Rechtsanwalt v[on] Plottnitz, die Frage an Sie stellen, in wessen Auftrag Sie jetzt diese Erklärung, die sich eindeutig auf die Verteidigung von Herrn Baader bezieht, abgeben?
RA v[on] P[lottnitz]:
Ich gebe diese Erklärung natürlich im Auftrage von Herrn Raspe und als Verteidiger von Herrn Raspe ab. Herr Raspe ist Angeklagter in einem Verfahren, in dem auch, in dem es Mitangeklagte gibt, wie wir sehen können. Dieser Zusammen- [156] hang gibt Anlaß und läßt es geboten erscheinen, auch dann Erklärungen abzugeben, wenn etwa die Verteidigungssituation nicht unmittelbar von Herrn Baader betroffen ist, aber mittelbar von Herrn Raspe betroffen ist, den ich hier verteidige.
Das ist ja eindeutig.
Vors.:
Das kann ich nicht anerkennen. Das ist eine Auslegung, die Sie treffen, aber anerkannt wird es von mir auf jeden Fall nicht. Ich kann also Ihnen das Wort nicht geben, um diesen Antrag, oder was das jetzt sein soll, zu geben.
RA v[on] P[lottnitz]:
Sie wissen doch noch gar nicht, was ich zu sagen beabsichtige. Sie haben mir vorhin das Wort ja schließlich auch nicht entzogen, als mich zur gleichen Frage äußerte.
Vors.:
Gewiß.
RA v[on] P[lottnitz]:
Das was ich jetzt vorhabe, ist ein Nachtrag zu diesem Punkt.
Vors.:
Aber, Herr Rechtsanwalt v[on] Plottnitz, bitte, werten Sie die möglichste Großzügigkeit, die wir hier walten lassen, bei Erklärungen, die abgegeben werden, nicht dazu aus, daß Sie meinen, das müßte nun sozusagen zu Ihrem Recht werden, das zu tun.
RA v[on] P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, ich nehme zur Kenntnis, was Sie sagen, aber ich bitte Sie zur Kenntnis zu nehmen, ich äußere mich hier nicht auf Grund einer Gnade grade, sondern auf Grund eines strafprozessualen Rechtes, das ich habe und von dem ich meine, daß ich ...
Vors.:
Welches prozessuale Recht haben Sie, der Sie Herrn Raspe verteidigen, hier eindeutige Erklärungen, die allein auf die Verteidigung von Herrn Baader bezogen sind, abzugeben?
[157] RA v[on] P[lottnitz]:
Weil die Verteidigungssituation von Herrn Raspe mittelbar betroffen ist, durch die Frage der Verteidigung des Herrn Baader.
Vors.:
Begründen Sie es bitte, warum Herr Raspe durch die Verteidigung von Herrn Baader betroffen ist.
(Zwischenruf nicht verständlich)
Vors.:
Es ist nun eine Frage, die Sie zwar so anschneiden, aber Herr Rechtsanwalt, soweit sollten Sie in der Prozeßordnung eigentlich Bescheid wissen, daß es dort den Begriff der kollektiven Verteidigung[51] nicht gibt, so daß Sie nicht jetzt Kraft einer eigenen Auslegung sich prozessuale Rechte zuschreiben, die Sie nicht haben.
RA v[on] P[lottnitz]:
Also Herr Vorsitzender, ich will jetzt zunächst wissen, ob ich diese Erklärung abgeben kann, als Nachtrag zu dem was ich vorhin gesagt habe, oder ob ich da einen weitergehenden Antrag dazu stellen hab.
Vors.:
Sie können durchaus Anträge stellen und Erklärungen, die die Verteidigung von Herrn Raspe betreffen, wenn ich den Eindruck bekomme, daß Ihre Erklärungen diese[cc] Voraussetzung nicht erfüllt, werde ich gezwungen sein, Sie zu unterbrechen. Das ist klar.
(Zwischenruf von Herrn Baader)
Herr Baader Sie haben das Recht ...
Angekl. B[aader]:
... ausdrücklich eindeutig klar festgestellt am 1. Verhandlungstag, daß wir uns von diesen Verteidigern nicht verteidigt sehen, daß sie uns nicht verteidigen können, daß wir sagen, sie sind Instrumente der Anklage, das wird auch noch genauer zu belegen sein, die Rolle der Bundesanwaltschaft bei der Auswahl dieser Verteidiger, d. h. bei ihrer Bestellung, die wir durchweg für eine illegale (verbessert sich) als illegal bezeichnen würden, weil die Bundes- [158] anwaltschaft außerhalb ihrer Zuständigkeit, diese Verteidiger aufgetrieben hat, bzw. Gespräche mit ihnen geführt hat, aber das ist jetzt nicht der Punkt. Und daß diese beiden Verteidiger, die da drüben als meine Zwangsverteidigen sitzen, als mir aufgezwungene Verteidiger, für mich nicht als Verteidiger zu betrachten sind. Ja, sondern als, wie gesagt, als Instrumente der Anklage.
Vors.:
Aber, das wissen wir Herr Baader, daß Sie die Dinge so betrachten, aber es geht hier nur um die Frage, welche prozessuale Rechte der Verteidiger von Herrn Raspe hat.
Angekl. B[aader]:
Ja, aber das ist doch sehr einfach darzustellen. Jan hat noch einen Verteidiger, das ist Plottnitz hier. Und wie leicht es ist, Verteidiger auszuschließen in diesem Verfahren, d. h. was für Vorwände und was für Konstruktionen dazu genügen, das ist doch ganz klar. Es kann jeden Tag diese Situation eintreten, da hat auch er keinen Verteidiger mehr. Also das ist ganz sicher interessant.
Vors.:
Diese Argumentation ist nicht im Stande, Herrn von Plottnitz weitere prozessuale Rechte einzuräumen, als ihm als Verteidiger von Herrn Raspe zustehen.
Angekl. B[aader]:
Naja gewissermaßen präsentiv.
RA Sch[ily]:
Ich möchte dazu auch einmal was sagen.
Vors.:
In welchem Auftrag, Herr Rechtsanwalt ...
RA Sch[ily]:
Natürlich immer nur im Auftrag von Frau Ensslin. Ich dachte daß an sich hier ja eindeutig ist, aber ich nehme es mit doch einigermaßen Erstaunen zur Kenntnis, daß man einerseits, wenn es darum geht, die Rechte der Angeklagten einzuschränken und ihnen ihre gewählten Verteidiger den Zutritt [159] zum Saale nicht zu gestatten, daß man dann davon sehr schnell ausgeht, daß das alles ein einheitliches Verfahren ist, daß die mittelbaren Wirkungen, usw. Das haben wir ja nun ausgiebig heute vormittag gehört, daß aber dann, wenn es darum geht, hier auf einen Punkt aufmerksam zu machen, der sicherlich in seinen Auswirkungen auch die Mitangeklagten betrifft, wenn nämlich ein Angeklagter nicht verteidigt ist, daß man da versucht nun durch formale Erwägung, nämlich das Wort also jetzt nicht zu gewähren, wiederum zu Lasten der Angeklagten, die Strafprozeßordnung anzuwenden. Also einerseits wird sie erweitert, im Wege der „erweiternden Auslegungen“ und andererseits wird es aber wieder eingeschränkt, wobei man ja nach der Fassung der Anklage weiß, daß es eben eine Kollektivanklage ist. Und der Herr Vorsitzende hatte ja seinerzeit diesem Umstand, auch vor Inkrafttreten der neuen Lex RAF diesem Umstand Rechnung getragen, indem er seinerzeit jeden Verteidiger für alle Angeklagten zum Pflichtverteidiger berufen hatte.[52] Das kann ja nur dann sinnvoll gewesen sein, wenn er eben auch diese Auffassung geteilt hat. Denn insofern sehe ich an sich jetzt nicht, daß man dem Kollegen v[on] Plottnitz nicht das Wort zu einer kurzen Bemerkung vom Standpunkt des Angeklagten Raspe erteilt.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, Sie sagen zu Recht, vor der Verkündung der neuen Gesetze haben wir das hier anerkannt, daß jeder der Verteidiger jeden Angeklagten verteidigt, aber es wäre sinnwidrig, würden wir nun die neuen Gesetze nicht anerkennen, indem wir weiterhin diesen Zustand faktisch aufrechterhielten. Das ist das erste, und das zweite: Ich hätte auch gar nichts dagegen, da Herr Baader in der Tat sich zur Zeit nicht verteidigt fühlt, von Rechtsanwälten, die sein Vertrauen genießen, daß ein anderer anderer Rechtsanwalt gelegentlich für ihn einspringt. Nur habe ich die Befürchtung, daß Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, dieser zum Beispiel, die großzügige Anwendung nun schon umwandelt, quasi in ein Recht, hergeleitet aus der doch angeblich fortbestehenden [160] Blockverteidigung. Wenn gelegentliche Erklärungen abgegeben werden, sind wir die letzten, die hier das Wort abschneiden wollen, aber wir müssen uns klar darüber sein, daß das kein Rechtszustand ist, auf den man zurückgreifen könnte, sondern daß das eben im Einzelfall genehmigt werden kann, aber nicht genehmigt werden muß.
RA Sch[ily]:
Ja, Herr Vorsitzender, wenn Sie mir noch eine Bemerkung erlauben.
Vors.:
Bitte gerne, Herr Rechtsanwalt.
RA Sch[ily]:
Ich weiß nicht, ob es da so eine Grauzone gibt, zwischen Recht und Nicht Recht, oder wie soll ich[dd] das bezeichnen; indem dann irgendwie was möglich ist, oder nicht möglich ist. Das ist also doch dann eine schwierige Frage, die sich der Senat einmal vorlegen muß, aber eines beabsichtigen wir ganz sicher nicht, hier etwa nun sozusagen als Lückenbüßer da einzutreten, in der Form, daß also jetzt der Herr Baader sozusagen von uns[ee] zu einem Viertel mitverteidigt wird, oder so. Sondern natürlich ist das prinzipielle Interesse, was ja hier nun auch artikuliert worden ist, von Herrn Baader, ein Verteidiger eigener Wahl, eigenen Vertrauens, hier zu haben. Also daß ... insofern besteht eine Übereinstimmung.
Vors.:
Ja, ich habe gar nichts dagegen, wenn Herr Baader einen Rechtsanwalt findet, dem er Vertrauen schenken kann und den er hier in die Sitzung mitbringt. Es ist keine Frage der Grauzone. Tatsache bleibt, daß Herr Rechtsanwalt von Plottnitz hier Kraft seines Verteidigerrechtes, betreffend Herrn Raspe, glaubt, Erklärungen abzugeben zu sollen, die ausschließlich Herrn Baader betreffen, und dem mußte entgegen getreten werden. Ich würde aber, da[ff] es die Zeit nicht lohnt, sich nun über diese formelle Seite ständig zu unterhalten, vorschlagen, lassen wir diese Erklärung über die Bühne gehen. [161] Wir haben unseren Rechtsstandpunkt zur Kenntnis gebracht, seitens des Gerichts. Ich glaube, daß die Bundesanwaltschaft das Entgegenkommen, hier des Gerichts, hinnehmen sollte, ohne größere Einwendungen vorzubringen.
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, bitte.
RA v[on] P[lottnitz]:
Herr Baader hat mich gebeten, nachdem inzwischen so viel Zeit vergangen ist, daß er ergänzen kann, was er zu sagen hat.
Angekl. B[aader]:
Naja, was heißt ergänzen. Ich hatte eigentlich die Vorstellung, daß Sie darauf antworten zunächst. Sie haben also, was Sie gesagt haben, ist, daß ich da ... also Sie haben ... ja Sie haben praktisch aus der Tatsache, daß Haag untergetaucht ist, haben Sie abgeleitet, einen Verdacht bezüglich einer Verbindung mit der Besetzung der Botschaft in Stockholm. Das ist natürlich niemanden klar, wieso das so sein könnte. Also das ist einfach, ich mein, das ist einfach das Muster, indem die ganze Kampagne entwickelt wird. Genauso wie das, was Sie über den Kassiber bemerkt haben. Also erstens mal ist zu sagen dazu, daß ein Kassiber vermutlich die illegale Kommunikation zwischen Gefangenen oder zwischen Gefangenen und Leuten außerhalb der Anstalt ist. Insofern ist das kein Kassiber, nachdem er angeblich, was sicher falsch ist, aus meinem Papierkorb gezogen wurde, und dann richtete er sich auch offensichtlich an Gudrun und Ulrike. Das steht ja irgendwie drüber.
Und insofern ist er nicht illegal; denn in der Zeit, in der er geschrieben wurde, gab es eine legale Kommunikation zwischen den Gefangenen. Es gab Umschluß. Und 3., in der Veröffentlichung dieses Papierfetzens, auch schon wieder deutlich, wie die Bundesanwaltschaft vorgeht. Die Bundesanwaltschaft weiß, auch nach der Veröffentlichung des Bundesministers von Verteidigermaterial und sogenannten Zellenzirkularen usw., ist der Name Hanne, der Name von Carmen Roll[53] ist, innerhalb der Gruppe. Das ist bekannt, daß die Bundes- [162] anwaltschaft, Presse usw. das anders darstellt, die Presse natürlich auf Hinweise bzw. auf Grund von Vermutungen der Bundesanwaltschaft, das ist klar. Aber das ist, wie gesagt, vier Monate oder fünf Monate bevor das Ding aufgetaucht ist, hat das Innenministerium eine Dokumentation veröffentlicht, in der werden Namen, die in der Gruppe gebraucht werden, aufgezählt und da taucht dieser Name auf für Carmen Roll. Und das ist auch plausibel, denn zu der Zeit saß sie in Stammheim. Und im übrigen läßt sich aus diesen Fetzen absolut keine Verbindung ablesen, das ist absolut idiotisch. Aus diesen Fetzen läßt sich lediglich ersehen, daß wir Interesse hatten daran, wie sich die Entführung von Lorenz[54] entwickelt hat. Und darin würde ich wirklich nichts Illegales sehen.
Vors.:
Schön, Herr Baader, wir wollen jetzt uns ...
Angekl. B[aader]:
Also, Sie haben jetzt immer noch nicht erklärt, Sie haben immer noch nicht erklärt, wie es zu dieser Behauptung kam. Sie sprechen also davon, daß die Entwicklungen inzwischen weitergegangen wären, sie können aber kaum weitergegangen sein, zum Zeitpunkt Ihrer Äußerung über Haag. Da haben Sie sich doch vermutlich auf das bezogen, auf das Material bezogen, oder ganz sicher auch auf das Material bezogen, das auf den (verbessert sich) dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorlag, oder hatten Sie andere Informationen?
Vors.:
Herr Baader, ich sage Ihnen nochmals, ich habe nicht die Absicht, mich von Ihnen hier befragen zu lassen. Das ist kein Ausweichen, aber das ist nicht der Sinn der Sache.
Angekl. B[aader]:
Der Punkt, ist ganz einfach, daß es wichtig ist, auch für mich wichtig ist, hier einfach mal festzustellen, wie das vor sich gegangen ist, die Illegalisierung von Haag?
Vors.:
Gut, Sie haben die Möglichkeit.
[163] Angekl. B[aader]:
... a) rückwirkend im Zusammenhang mit der Besetzung der Botschaft in Stockholm, bzw. Fahndung auslösen auf einen Rechtsanwalt, der keine andere Möglichkeit mehr hatte, nach der Konstruktion der Bundesanwaltschaft, als sich zu illegalisieren, weil die Beschwerdeinstanz nach dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof war der 3. Strafsenat und was der 3. Strafsenat für[gg] Kriterien anlegt, das wissen wir alle[55], d. h. mit Sicherheit wäre in der Beschwerdeinstanz ein Haftbefehl zustandegekommen.
Vors.:
Der Haftbefehl ist doch erlassen worden.
Angekl. B[aader]:
... und von nichts anderem war auszugehen.
Vors.:
Der Haftbefehl existiert unter dem dringenden Verdacht, daß Rechtsanwalt Haag an dem Waffengeschäft beteiligt gewesen sei und in Stockholm ...
(Angekl. Baader spricht dazwischen)
Vors.:
Gut, Herr Baader, wir haben alles zur Kenntnis genommen.
Wir schließen aus diesen Ausführungen, daß Sie sich sehr heftig gegen den Vorwurf einer Verbindung zwischen und dem Stockholmer Anschlag ...
Angekl. B[aader]:
Darum geht es hier in keinen einzigen Punkt. Es ging um die Tat. Das ist gar nicht die Frage. Es bestand effektiv keine Verbindung.
Vors.:
Gut, das sagten Sie mir ja schon am Telefon ...
Angekl. B[aader]:
Ach, darum geht es überhaupt nicht, es geht nicht darum, daß ich mich von der Aktion in Stockholm distanziere, das tue ich selbstverständlich nicht. Das ist nicht der Punkt. [164] Der Punkt ist, daß sie zum Anlaß genommen worden ist, einen Verteidiger, den Sie hier als Pflichtverteidiger zugeordnet haben und der zudem der letzte war, nachdem drei Verteidiger ausgeschlossen worden sind, zu illegalisieren. Das ist der Punkt hier, um nichts anderes geht es.
Vors.:
Wir werden über Ihren Antrag uns jetzt beraten.
Angekl. B[aader]:
Und die, [hh] ich stelle es nochmal fest, die Klärung dieser Frage hat eine gewisse Bedeutung, einfach dafür, um zu entscheiden, ob es überhaupt sinnvoll ist, nochmals überhaupt zu einem Mandatsverhältnis mit einem Verteidiger meiner Wahl zu kommen. Denn die Erfahrung ist bisher eigentlich wirklich die gewesen, daß alle Verteidiger, die Mandate von mir hatten, auf Grund mehr oder weniger unbeweisbaren Vermutungen, Gerüchte, Kampagnen usw. entweder illegalisiert worden sind, oder illegalisiert werden sollen, in Zukunft, oder aus dem Verfahren ausgeschlossen worden sind. Man muß also damit rechnen und jeder Anwalt muß damit rechnen, der jetzt dieses Mandat übernimmt, daß das so weitergeht. Deswegen möchte ich und wollte ich von Ihnen, ausgesprochen von Ihnen, denn Sie sind ja gewissermaßen Zuständige, in diesem Zusammenhang, also zumindest für den Verlauf des Verfahrens liegt es ja in Ihrer unmittelbaren Kompetenz. Wollte ich von Ihnen wissen, wie Sie zu den Äußerungen über Haag überhaupt gekommen sind?
Vors.:
Ich sage Ihnen nochmals, gegen Rechtsanwalt Haag existiert ein Haftbefehl des Bundesgerichtshof, unter dem dringenden Verdacht der aufgeführten Punkte. Wollen Sie sonst jetzt noch etwas ausführen dazu?
(Zwischenruf von Angekl. Baader)
Vors.:
Ich darf die Bundesanwaltschaft, die ja damals, das Beschwerde- [165] Verfahren ...
Angekl. M[einhof]:
Sie weichen doch aus ... die Frage ist, daß Sie gesagt haben, es gäbe Anhaltspunkte und wir wollen wissen, worin die bestehen.
Vors.:
Die Anhaltspunkte ergeben sich zunächst mal, ich will Ihnen die Antwort geben, mit Sicherheit daraus, daß ein solcher Haftbefehl existiert. Ich kann nicht davon ausgehen, von Ihrer Argumentation, daß sich ...
Angekl. Baader:
Stützt sich, die Frage ist doch, stützt er sich ...
Vors.:
Herr Baader, lassen Sie mich bitte das sagen. Sie wollen ja erwidern, da müssen Sie doch wissen, was ich sage. Ich kann nicht davon ausgehen, daß ein Senat des Bundesgerichtshofs, ohne die Fakten zu prüfen, in einer Beschwerdeentscheidung, irgendwelche leichtfertigen Behauptungen aufstellte. Und es ist doch so, ich darf die Bundesanwaltschaft, die das Beschwerdeverfahren betrieben haben, betrieben hat, bitten, die Bestätigung zu geben, daß ein Haftbefehl erlassen ist, gegen Rechtsanwalt Haag, [ii] entsprechend dem[jj] ursprünglich gestellten Antrag.
Angekl. B[aader]:
Ja, das ist doch die Frage, auf Grund dieses Punktes, der Verbindung, also der behaupteten Verbindung, irgendeiner möglichen Verbindung, mit dem Anschlag auf Stockholm. Das ist doch die Frage.
Vors.:
Gut, ja, Herr Baader. Ich habe es Ihnen aber nachdrücklich klargemacht, glaube ich und auch ausreichend. Es genügt für uns als Anhaltspunkt schon, daß dieser Haftbefehl wegen dringenden Verdachts, in dieser Richtung, existiert, erlassen von 3. Senat des Bundesgerichtshofs.
[166] Angekl. B[aader]:
Das Beispiel ist doch, daß die wirklich sehr belanglose, also wirklich ...
Vors.:
Gut, Sie anerkennen das nicht, daß mag ja sein ...
Angekl. B[aader]:
... auf diese Weise, rational anders aufklärbare Zufälligkeiten, Kleinigkeiten benutzen, um diesen Verdacht zu stützen. So haben Sie mir z. B. gesagt, was mir also jetzt völlig unerklärlich ist, daß wäre auch der Grund, die Verbindung wäre auch darin begründet, daß die Genossen, die an dem Anschlag in Stockholm beteiligt waren, Besuche gemacht hätten, in Stammheim. Das haben Sie mir am Telefon gesagt.
Vors.:
Da müssen Sie mich mißverstanden haben, davon weiß ich nicht das Geringste. Das stand zwar irgendwo einmal in einer Zeitung, daß die ständige Gäste hier gewesen wären. Ich weiß nur, daß der Herr Hausner[56], glaub ich, mal vor zwei oder zweieinhalb Jahren, irgend ein hier verhaftetes Mitglied aus dem SPK-Prozeß[57] besucht hat. Daß die jemals bei Ihnen einen Besuch abgestattet hätten, das ist nicht wahr und nicht richtig.
Angekl. B[aader]:
Naja, jedenfalls haben Sie damit argumentiert.
Vors.:
Ich habe es Ihnen bestimmt nicht erklärt, denn der Senat hat nicht das geringste Interesse, daß derartige Behauptungen, die hier aufgestellt worden sind, in irgendeiner Weise nun in die Öffentlichkeit kommen, weil sie falsch sind.
Angekl. B[aader]:
Aber Sie haben sie doch selbst öffentlich hier aufgestellt, so sieht’s doch aus.
Vors.:
Den Besuch meinen Sie? Schön, Herr Baader, Sie haben den Antrag gestellt, wir werden jetzt über Ihren Antrag beraten.
- Der Senat zieht sich um 14.45 Uhr zur Beratung zurück. -
- Ende Band 5 -
[167] Nach Wiedereintritt des Senats um 15.05 Uhr wurde Folgendes verkündet:
Vors.:
Auf die Anträge des Angeklagten Baader ist wie folgt entschieden worden:
1. Rechtsanwalt Schily darf ein unbewachtes Gespräch mit dem Angeklagten führen; Dauer 1 Stunde.
2. Die Entscheidung über die Besuchsgenehmigung für die vom Angeklagten benannten drei Rechtsanwälte wird getroffen, sobald diese entsprechende Anträge stellen.
3. Die Sitzung wird jetzt geschlossen. Fortsetzung am Dienstag, den 10.6.1975.
Das frühe Ende der Sitzung gibt Ihnen, Herr Rechtsanwalt Schily, Gelegenheit, dieses Gespräch jetzt mit dem Angeklagten gleich zu führen. Die Haftanstalt ist vorverständigt. Die Möglichkeit des Besuchs morgen ist in der Tat nicht gegeben, weil die Haftanstalt ihren Betriebsausflug hat. Das ist in jedem Betrieb so üblich und ist nichts, was die Haftanstalten in[kk] irgend einer Weise zu Vorwürfen bringen dürfte. Es besteht im übrigen kein Grund, vom Sitzungsplan abzuweichen. Herr Rechtsanwalt Haag hat schon geraume Zeit keinen bekannten Aufenthalt mehr. Seither bestand ausreichend Gelegenheit, mit gewünschten Verteidigern schriftlich oder sonstwie in Verbindung zu treten. Dieses Recht bleibt auch für den Fortgang der Hauptverhandlung unbeschnitten.
Angekl. Baader:
Das ist falsch. Ich hab das vorhin erklärt. Objektiv bestand so gut wie keine Möglichkeit. Ich kann keinen Verteidiger beauftragen, mit einer Verteidigung in so einem Verfahren hier, ohne mit ihm zumindest gesprochen zu haben.
Vors.:
Ja.
[168] Angekl. B[aader]:
Dann erklären Sie mir bitte, wie ich Möglichkeit gehabt haben soll 1. rauszufinden, wer überhaupt in Frage kommt, als eine Möglichkeit, und dann 2. mit ihm zu sprechen. Ich hatte vor, und ich hatte Ihnen das vorgeschlagen, in dem Telefongespräch, daß die Verteidiger, die ausgeschlossen worden sind, die Möglichkeit haben, mich überwacht in der Anstalt zu dieser Frage zu sprechen, damit sie also möglicherweise andere Anwälte suchen können oder usw. Und das ist nicht zustande gekommen. Soviel ich weiß, weil Sie diese Zusage wieder zurückgenommen haben bzw. dahingehend eingeschränkt haben, daß Sie den Besuch, der zwar überwacht sein sollte, aber natürlich nur durch einen Anstaltsbeamten, als normalen Besuch abhalten wollte, wollten, was bedeutet hätte, daß eine Verteidigerbesprechung stattfindet mit einem Beamten des Bundeskriminalamts im Raum. Das ist natürlich vollkommen unzumutbar.
Vors.:
Herr Baader, ich hatte im Telefongespräch mit Ihnen im Interesse der Verteidigung zugesagt, daß, wenn von Seiten der ausgeschlossenen Anwälte einer zu Ihnen kommen wollte, mit dem ausschließlichen Ziel, von Ihnen den Auftrag entgegenzunehmen, nach einem Anwalt Ihres Vertrauens zu suchen, daß dann ein normaler Besuch durchgeführt werden konnte. Die Folge davon war, daß sämtliche drei Herrn einen Besuch beantragten, einen unbewachten Besuch und zwar mit einem Thema, das nichts anderes bedeutet hätte, als daß sie mit Ihnen normale Verteidigergespräche geführt hätten.
Angekl. B[aader]:
Moment, wieso denn? Das stimmt doch gar nicht. Ich hab doch den Antrag hier. Also da steht, da geht das Thema nicht daraus hervor.
Vors.:
Das Thema lautet, ich kanns Ihnen wohl auswendig einigermaßen richtig zitieren, daß man besprechen [169] solle die Situation, die dadurch entstanden sei, daß Sie, was nicht zutrifft im übrigen, nicht verteidigt seien.
Angekl. B[aader]:
Naja, was konnte damit anderes gemeint sein.
Vors.:
Es ging darum, daß wir Ihnen den Besuch ermöglicht hätten, bei dem Antrag, daß Sie lediglich den Auftrag erteilen, für Sie einen Anwalt zu suchen.
Aber Herr Baader, wir wollen ja jetzt sehen, daß Herr Rechtsanwalt ...
Angekl. B[aader]:
Herr Prinzing, hier steht, die Besprechung ist zur Erörterung der Fragen notwendig, die sich aus den Tatsachen ergeben, daß der Gefangene ohne Verteidiger ist. Nichts anderes kann damit gemeint sein, als die Bemühungen, jetzt einen Verteidiger zu finden, und genau das war natürlich auch gemeint. Und was ein normaler Anwaltsbesuch unter Bewachung ist, das ist in der Anstalt zweimal praktiziert worden, das ist ein Anwaltsbesuch, im Beisein eines Anstaltsbeamten, eines Uniformierten. Da sitzt kein Polizist dabei.
Vors.:
Ihre Anwälte, die ausgeschlossen sind, können Sie nicht mehr besuchen, als Verteidiger. Sie können Sie nur als normale Besucher noch besuchen, wenn sie eine entsprechende Genehmigung bekommen. Das war damit gemeint. Diese Genehmigung hätten Sie bekommen ...
Angekl. B[aader]:
Und überdies liegt das alles erst zwei Tage zurück. Also können Sie nicht sagen, es war Zeit genug.
Vors.:
Ich habe Ihren ausgeschlossenen Anwälten inzwischen geschrieben, sie sollen den Antrag auf das mit Ihnen Besprochene reduzieren. Dann würde auch diese Genehmigung [170] erteilt. Aber Sie sehen ja, daß wir jetzt Herrn Rechtsanwalt Schily zunächst die Gelegenheit geben. Wir meinen, wenn das Gespräch zu irgendwelchen Früchten führt, daß dann vielleicht am Montag die übrigen Besuche stattfinden können. Der Senat wird das Seine dazu tun.
Damit ist die Sitzung geschlossen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, bitte sehr.
RA Sch[ily]:
Darf ich nur noch kurz eine Erläuterung ... Ich geh’ davon aus, daß ich die Rücksprache in der Haftanstalt führen kann, nicht hier unten im Keller, und daß Sie auch eine Anordnung treffen, daß also jetzt nicht da pünktlich um 16 Uhr ich da ...
Vors.:
Ist besprochen.
RA Sch[ily]:
Ja.
Vors.:
Wir haben gesagt, wenn also jetzt durch die Rückführung Zeit vergeht, Sie haben dann anschließend eine volle Stunde Gelegenheit.
RA Sch[ily]:
Gut, danke.
Vors.:
Damit ist die Sitzung beendet.
Angekl. B[aader]:
Moment, ich hab noch was zu sagen. Das war der eine Teil des Antrags, der andere Teil des Antrags betrifft, daran wollte ich Sie noch einmal erinnern, die kollektive Vorbereitung unserer Äußerung im Prozeß hier. Ja, da nehme ich an, daß Sie darüber auch noch entscheiden werden.
Vors.:
Sie hatten gestern wieder Gelegenheit, sich zu viert zu treffen. Sie werden diese Gelegenheiten wie bisher immer im Einzelfall auf entsprechende Anträge bekommen. [171] Ich glaube bisher wars ...
Angekl. B[aader]:
Nein, es ging auch darum, in den Verhandlungspausen hier, unten im Keller, das ist also nach den Gesichtspunkten, wie das da unten organisiert ist, ist das ganz mühevoll, mühelos zu arrangieren.
Vors.:
Sie meinen jetzt die Vorführzellen.
Angekl. B[aader]:
Ja, unten. Hier unten drin.
Vors.:
Weil Sie das als „Keller“ bezeichnen.
Angekl. B[aader]:
Wo wir nebeneinandersitzen in vier Zellen. Das ist überhaupt kein Problem.
Vors.:
Stellen Sie einen entsprechenden Antrag schriftlich oder lassen Sie ihn hier vorbringen. Jetzt ist die Sitzung geschlossen, wir können also darüber nicht mehr entscheiden.
Ende der Sitzung: 15.10 Uhr
Ende von Band 6
[1] Noch vor Beginn der Hauptverhandlung wurden die damaligen Verteidiger Baaders, die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, auf Grundlage des neu geschaffenen § 138a StPO wegen des Verdachtes der Tatbeteiligung (Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF) ausgeschlossen; zudem wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 156 ff., 537 ff.). Da sich die Ausschlüsse auf die Verteidigung von Andreas Baader bezogen, legitimierten sie sich am ersten Verhandlungstag für jeweils andere Angeklagte und stellten den Antrag, zur Hauptverhandlung zugelassen zu werden. Der 2. Strafsenat war allerdings der Auffassung, die Wirkung der bestehenden Ausschlussentscheidungen umfasse auch das Verbot der Mitwirkung der ausgeschlossenen Verteidiger im Hinblick auf die übrigen Angeklagten. Die Bundesanwaltschaft äußerte gegen diese Rechtsauffassung erhebliche Bedenken und beantragte, die Verteidiger auch im Hinblick auf die anderen Angeklagten auszuschließen (Anlage 5 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 65 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Diesen Antrag legte der 2. Strafsenat dem zuständigen 1. Strafsenat zur Entscheidung vor. Dieser bestätigte nun die Auffassung des 2. Senates und wies den (nach dieser Ansicht überflüssigen) Antrag auf erneuten Ausschluss zurück.
[2] Die Vorschriften über den Ausschluss von Verteidiger/innen (§§ 138a ff. StPO) wurden, wie zahlreiche weitere Reformen, durch welche die Rechte der Beschuldigten und der Verteidigung eingeschränkt wurden, erst wenige Monate vor Beginn der Hauptverhandlung durch das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3393) sowie das Ergänzungsgesetz hierzu vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) eingeführt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.).Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie u.a. als „lex RAF“ kritisiert. (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.). Sie sind überwiegend noch heute in Kraft.
[3] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig, § 141 Abs. 1 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Auch zuvor gewählte Verteidiger/innen können als Pflichtverteidiger/innen bestellt werden, was auch in diesem Verfahren geschehen war. Der Vorsitzende Dr. Prinzing bezieht sich hier aber nicht auf alle Pflichtverteidiger/innen, sondern nur auf diejenigen, die den Angeklagten zusätzlich gegen ihren Willen zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden waren. Diese Zweiteilung der Verteidigung wurde auch räumlich sichtbar: Während die Vertrauensverteidigung bei den Angeklagten Platz nehmen konnte, saßen die von den Angeklagten abgelehnten Verteidiger ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Saales, neben den Vertretern der Bundesanwaltschaft (s. auch die Skizze in Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 185).
[4] §§ 147, 148 StPO enthalten die grundlegenden Rechte der Verteidigung, etwa das Akteneinsichtsrecht sowie den Grundsatz der ungestörten Kommunikation zwischen dem/der Beschuldigten und dem/der Verteidiger/in.
[5] Das Bundeskabinett diskutierte in seiner Sitzung am 4. Juni 1975 u.a. über den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung“ (114. Kabinettssitzung am 4. Juni 1975, Bundesarchiv, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, abrufbar unter: <https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/k/k1975k/kap1_1/kap2_25/index.html>, zuletzt abgerufen am: 13.12.2020). Am 1. September 1975 wurde der Gesetzesentwurf durch die Bundesregierung in den Bundestag eingebracht. Die für § 138a StPO vorgesehene Ergänzung im neuen Absatz 5 stellte ausdrücklich fest, dass der Ausschluss auch für andere Beschuldigte im selben Verfahren gilt. In der Begründung hierzu heißt es: „In der Rechtsprechung ist die Auffassung vertreten worden, eine Ausschließung nach § 138a schließt den Verteidiger aus dem Verfahren insgesamt aus, also nicht nur von der Verteidigung des Beschuldigten, den er im Zeitpunkt der Ausschließung vertritt, sondern auch von der Verteidigung aller Mitbeschuldigten. Da diese Rechtsauffassung nicht unumstritten ist - im Zuge der parlamentarischen Beratungen zu § 138a StPO ist darauf hingewiesen worden, daß das numnehr geltende Recht keine Erstreckung der Ausschließung auf die Verteidigung von Mitbeschuldigten beinhalte - und die Erfahrung gezeigt hat, daß die Ausschließung auf die Verteidigung von Mitbeschuldigten erstreckt werden muß, um konspiratives Verhalten von Verteidigern möglichst umfassend zu verhindern, soll durch einen neuen Absatz 5 in § 138a StPO eine Regelung getroffen werden, die für voneinander abweichende Rechtsauffassungen keinen Raum läßt“ (BT-Drs. 7/4005, S. 11). Diese Regelung wurde schließlich mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18. August 1976 (BGBl. I, S. 2181) eingeführt.
[6] Eine gerichtliche Entscheidung besteht u.a. aus dem Tenor (auch: Entscheidungsformel) und den Entscheidungsgründen. Dabei umfasst der Tenor die Rechtsfolgen einer Entscheidung (Groh, Urteilsformel, in Creifelds [Begr.], Rechtswörterbuch, 24. Aufl. 2020).
[7] In Rechtskraft erwächst grundsätzlich nur der Tenor einer Entscheidung (BGH, Urt. v. 17.2.1982 - Az.: 2 StR 762/81, BGHSt 30, S. 377, 383; BGH Beschl. v. 3.6.1997 - Az.: 1 StR 183/97, BGHSt 43, S. 106, 107; Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 170). S. aber auch Kühne in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 27. Aufl. 2016, Einl. K, Rn. 91, der die Aussage, alleine der Tenor erwachse in Rechtskraft, als „zumindest unscharf“ bzw. in dieser Form nicht zutreffend bezeichnet: Die Frage, auf welches tatsächliche Geschehen sich die aus der Rechtskraft ergebenen Wirkungen beziehen, könne nur unter Heranziehung der gerichtlichen Feststellungen erfolgen.
[8] Bereits mit Verfügung vom 3. Februar 1975 hatte der Vorsitzende Dr. Prinzing die Beiordnung der Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele als Pflichtverteidiger von Andreas Baader aufgehoben, da nicht auszuschließen sei, „daß sie von den Bestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern im Strafverfahren betroffen werden könnten“ (s. dazu S. 235 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 3. Verhandlungstag).
[9] In den §§ 138a ff. StPO finden sich die Vorschriften über den Ausschluss von Verteidiger/innen.
[10] § 163 StPO benennt die Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren. Das Tätigwerden der Polizei setzt dabei einen Anfangsverdacht voraus. Hierfür genügt die Möglichkeit, dass nach kriminalistischer Erfahrung eine verfolgbare Straftat gegeben ist (Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 152 Rn.7). § 200 StPO normiert die Anforderungen an den Inhalt einer Anklageschrift. U.a. sind die beschuldigte Person und die vorgeworfenen Taten konkret zu bezeichnen. Ein einheitlicher Verfahrensbegriff lässt sich den beiden Vorschriften allerdings nicht entnehmen.
[11] Die Nichtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung ist in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen. Nichtigkeit beschreibt einen Zustand, der über bloße Rechtswidrigkeit hinausgeht. Eine nichtige Entscheidung leidet an so erheblichen Mängeln, dass von ihr keine Rechtswirkung mehr ausgeht. Eine bloß rechtswidrige Entscheidung hingegen ist zwar fehlerhaft, sie bleibt aber wirksam und in Kraft, wenn und solange sie nicht mit dem statthaften Rechtsbehelf angegriffen und schließlich aufgehoben wird (Groh/ Werner, Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen, in Creifelds [Begr.], Rechtslexikon, 24. Aufl. 2020).
[12] Gegen die gerichtliche Entscheidung, durch welche ein/e Verteidiger/in nach § 138a StPO von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen wird, ist nach § 138d Abs. 6 Satz 1 StPO die sofortige Beschwerde (§ 311 StPO) zulässig. Dies gilt allerdings nicht für den Fall, dass die Ausschließung abgelehnt wird (§ 138d Abs. 6 Satz 3 StPO).
[13] Die Revision ist ein Rechtsmittel gegen Urteile, mit welchem Rechtsfehler, d.h. die Nicht- oder Falschanwendung einer Rechtsnorm, gerügt werden können (§ 337 StPO). In der Regel muss zudem dargelegt werden, dass das Urteil gerade auf diesem Rechtsfehler beruht („relative Revisionsgründe“), dass also nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei korrekter Anwendung der Rechtsnorm eine andere Entscheidung ergangen wäre (Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 33 ff.). Anders ist dies bei den sog. absoluten Revisionsgründen, die in § 338 StPO aufgezählt sind. Die dort genannten Fehler gelten als so schwerwiegend, dass das Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist. Nach § 338 Nr. 8 StPO liegt ein solcher absoluter Revisionsgrund vor, „wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.“ Ob dieser Revisionsgrund angesichts der Formulierung „in einem für die Entscheidung wesentlichen Grund“ tatsächlich als absoluter Revisionsgrund einzuordnen ist, wird allerdings bezweifelt (s. dazu Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 338 Rn. 101 m.w.N.). Eine erfolgreiche Revision hat die (ggf. auch Teil-) Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 353 StPO).
[14] Verbundene Verfahren können nach § 4 Abs. 1 Var. 1 StPO auch nach Eröffnung der Hauptverhandlung auf Antrag oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluss getrennt werden, wenn dies zweckmäßig ist (vgl. § 2 Abs. 2 StPO). Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn sich im Hinblick auf eine/n Mitangeklagte/n besondere Verfahrensverzögerungen ergeben.
[15] Mit der Neufassung des § 146 StPO wurde durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) mit Wirkung zum 1.1.1975 das Verbot der Mehrfachverteidigung eingeführt. Die vorige Fassung des § 146 Abs. 1 Satz 1 StPO ließ die gemeinschaftliche Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch eine/n Verteidiger/in zu, „sofern dies der Aufgabe der Verteidigung nicht widerspricht.“
[16] Anlage 1 zum Protokoll vom 5.6.1975: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Aussetzung der Hauptverhandlung.
[17] § 138c Abs. 4 StPO lautet: „Legt das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, gemäß Absatz 2 während der Hauptverhandlung vor, so hat es zugleich mit der mit der Vorlage die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung durch das nach Absatz 1 zuständige Gericht zu unterbrechen oder auszusetzen. Die Hauptverhandlung kann bis zu dreißig Tagen unterbrochen werden.“
[18] Der Rechtsweg ist erst erschöpft, wenn alle Rechtsbehelfe, die gegen eine Entscheidung statthaft sind, erhoben worden sind und über sie entschieden wurde.
[19] Hat ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung, bedeutet dies, dass die Wirkung der angefochtenen Entscheidung - hier der Ausschluss der Verteidiger - bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gehemmt wird. Für die Beschwerde - auch die sofortige nach § 311 StPO - ist dies nach § 307 Abs. 1 StPO nicht der Fall, was zur Folge hat, dass die angefochtene Entscheidung trotz Einlegung der Beschwerde ihre volle Rechtswirkung entfaltet. Der Ausschluss der Verteidiger bliebe also zunächst wirksam, selbst wenn er mit der Beschwerde angegriffen und später aufgehoben würde.
[20] Nach § 138d Abs. 6 StPO ist die sofortige Beschwerde nur gegen solche Entscheidungen zulässig, durch die Verteidiger/innen von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen werden, nicht aber gegen Entscheidungen, durch die ein entsprechender Ausschließungsantrag abgelehnt wird.
[21] Gemäß § 24 Abs. 1 StPO können Richter/innen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters/einer Richterin zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).
[22] Abgelehnte Richter/innen können bei der Entscheidung über die Begründetheit der sie selbst betreffenden Ablehnung nicht mitwirken (§ 27 Abs. 1 StPO). Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit hatte nach damaliger Rechtslage zudem zur Folge, dass der/die abgelehnte Richter/in vorläufig amtsunfähig wurde und damit ab dem Zeitpunkt der Ablehnung nicht mehr an Entscheidungen mitwirken durfte; eine Ausnahme galt nur für unaufschiebbare Handlungen (§ 29 StPO a.F.). Unaufschiebbar ist eine Handlung dann, wenn sie wegen ihrer Dringlichkeit nicht aufgeschoben werden kann, bis ein/e Ersatzrichter/in eintritt (BGH, Beschl. v. 3.4.2003 - Az.: 4 StR 506/02, BGHSt 48, S. 264, 265; BGH, Urt. v. 14.2.2002 - Az.: 4 StR 272/01, NStZ 2002, S. 429, 430). Nachdem zwischenzeitliche Gesetzesänderungen weitere Mitwirkungsmöglichkeiten u.a. bei in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungen ermöglichten, wurde das Verfahren nach einer Ablehnung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2121) grundlegend neu geregelt. Nach § 29 Abs. 1 StPO sind zwar weiterhin nur unaufschiebbare Handlungen gestattet; die Hauptverhandlung wird aber nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO gesetzlich als unaufschiebbar eingeordnet. Bis zur Entscheidung über die Ablehnung (Frist: zwei Wochen, Abs. 3) findet diese nun unter Mitwirkung des/der abgelehnten Richter/in statt. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, ist der seit Anbringung des Ablehnungsgesuchs durchgeführte Teil der Hauptverhandlung zu wiederholen, es sei denn, dies ist nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand möglich (Abs. 4).
[23] Anlage 2 zum Protokoll vom 5.6.1975: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Einstellung des Verfahrens.
[24] Anlage 2a zum Protokoll vom 5.6.1975: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Zeugenvernehmung.
[25] Am 24. Mai 1972 explodierten in Heidelberg auf dem Gelände des Hauptquartiers der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) zwei zuvor dorthin verbrachte Kraftfahrzeuge. Hierbei kamen drei amerikanische Soldaten ums Leben, weitere Personen gerieten in Lebensgefahr oder wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 28 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[26] Richter/innen können nach § 24 Abs. 1 StPO nicht nur wegen Besorgnis der Befangenheit (s. dazu Fn. 21), sondern auch in den Fällen, in denen die Ausübung des Richteramtes gesetzlich ausgeschlossen ist, abgelehnt werden.
[27] Die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts ist nach § 338 Nr. 1 StPO ein absoluter Revisionsgrund. Das bedeutet, dass im Falle einer Revision stets anzunehmen ist, dass das ergangene Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht, sodass die Revision Erfolg hat (s. bereits Fn. 13).
[28] Für die örtliche Zuständigkeit sieht die Strafprozessordnung verschiedene Anknüpfungspunkte vor, insbesondere den Tatort (§ 7 StPO), den Wohnsitz oder Aufenthaltsort der beschuldigten Person (§ 8 StPO), oder den Ergreifungsort (§ 9 StPO) (näher Scheuten, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, Vor §§ 7 ff.). Bei einem erstinstanzlich tätigen Oberlandesgericht bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit zudem danach, in welchem Bezirk die Landesregierung des jeweiligen Gebiets ihren Sitz hat (§ 120 Abs. 1, 5 GVG). Zwar wurden die angeklagten Taten nicht nur in Baden-Württemberg (Heidelberg und Karlsruhe) begangen. Kommen aber für mehrere zusammenhängende Straftaten verschiedene Gerichtsstandorte in Betracht, steht der Staatsanwaltschaft ein Wahlrecht zu (§ 13 Abs. 1 StPO), das seine Grenze allerdings in dem Verbot willkürlicher Entscheidung findet (Ellbogen, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band. 1, 1. Aufl. 2014, § 7 Rn. 1; s. auch OLG Hamm, Beschl. v. 10.9.1998 - Az.: 2 Ws 376/98, StV 1999, S. 240). Denkbar wäre z.B. auch ein Verfahren in Hessen vor dem OLG Frankfurt a.M. gewesen (erster Sprengstoffanschlag in Frankfurt a.M. am 11.5.1972, regelmäßiger Aufenthaltsort verschiedener RAF-Mitglieder, Herstellungsort der Sprengstoffe, Verhaftungsort der Angeklagten Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, sowie des früheren Mitangeschuldigten Holger Meins).
[29] Das Recht auf den gesetzlichen Richter ergibt sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das zuständige Gericht wird abstrakt-generell bereits vor Beginn des Strafverfahrens festgelegt und sichert das Verfahren vor sachfremder Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Gerichts. Dadurch wird die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewahrt; auch das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Justiz soll hierdurch aufrechterhalten werden (Jachmann-Michel, in Maunz/Dürig [Begr.], Grundgesetz Kommentar, 90. Ergänzungslieferung 2020, Art. 101 Rn. 4 ff.; Fischer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, Einleitung Rn. 99 ff.).
[30] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166).
[31] Art. 6 EMRK enthält das Recht auf ein faires Verfahren. Dazu gehören u.a. der Anspruch auf den gesetzlichen Richter, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts, die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens und der Verkündung des Urteils (Abs. 1), die Unschuldsvermutung (Abs. 2) sowie einige grundlegende Verteidigungsrechte (Abs. 3).
[32] Im Jahr 1971 entschied der BGH, dass sich aus der Verletzung des ebenfalls in Art. 6 EMRK enthaltenen Beschleunigungsgebotes ein Verfahrenshindernis nicht herleiten lasse; eine unangemessene Verfahrensdauer sei stattdessen im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dies begründete der BGH unter anderem damit, dass „das Mittel des Verfahrenshindernisses seiner Natur nach gänzlich ungeeignet [sei], als gerechter Ausgleich gegenüber Nachteilen dieser Art zu dienen. Es kann immer nur dort eingreifen, wo in sinnvoller Weise an eine bestimmte, für das Verfahren im ganzen uneingeschränkt rechtserhebliche Tatsache angeknüpft werden kann, wie dies etwa beim Ablauf einer Frist, beim Vorliegen einer förmlichen konstitutiven Erklärung und bei der Zugehörigkeit zu einer Körperschaft der Fall ist“ (BGH, Urt. v. 10.11.1971 - Az.: 2 StR 492/71, BGHSt 24, S. 239, 240). Inzwischen ist der BGH auch von dieser sog. Strafzumessungslösung abgerückt. Stattdessen ist im Falle eines rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahrens ein Teil der verhängten Strafe zu beziffern, der bereits als vollstreckt gilt (sog. Vollstreckungslösung, BGH, Beschl. v. 7.1.2008 - Az.: GSSt 1/07, NJW 2008, S. 860).
[33] Das LG Frankfurt am Main zog in seinem Urteil vom 5.11.1970 (Az.: 2 KLs 6/70, JZ 1971, S. 234) einen Verstoß gegen das ebenfalls in Art. 6 EMRK enthaltene Beschleunigungsgebot zur Begründung eines Verfahrenshindernisses heran.
[34] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO). Das Verfahrensstadium zwischen dem Aufruf der Sache und der Vernehmung zur Person nimmt üblicherweise nur wenig Raum ein. In diesem Verfahren allerdings fand die Vernehmung zur Person sowie die Verlesung der Anklageschrift erst am 26. Verhandlungstag statt.
[35] Vor Beginn der Hauptverhandlung wurden die damaligen Verteidiger Baaders, die Rechtsanwälte Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, auf Grundlage des neu geschaffenen § 138a StPO wegen des Verdachtes der Tatbeteiligung - Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF - ausgeschlossen; zudem wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 156 ff., S. 537 ff.). Der vierte Verteidiger Baaders, Siegfried Haag, tauchte nur wenige Tage vor dem ersten Verhandlungstag unter und schloss sich der RAF an, nachdem er zuvor zwar vorläufig festgenommen, der Erlass eines Haftbefehls aber zunächst durch den zuständigen Richter am BGH abgelehnt worden war (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 212 f.; s. auch seine Presseerklärung in Anlage 1 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 12 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Das Verfahren, in dem ein Fall der notwendigen (d.h. zwingend erforderlichen) Verteidigung vorlag (s. bereits Fn. 3), konnte dennoch fortgeführt werden, weil den Angeklagten durch das Gericht je zwei Pflichtverteidiger gegen ihren Willen beigeordnet wurden. Diese von ihnen sog. Zwangsverteidiger lehnten die Angeklagten jedoch vehement ab (s. dazu Ulrike Meinhof am 1. Verhandlungstag, S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[36] Um die „Terroristenprozesse“ der 1970er Jahre rankte sich eine ganze Reihe von Strafrechts- und Strafverfahrensreformen. Am 1. Januar 1975 traten das Erste Strafverfahrensreformgesetz vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3393) sowie das Ergänzungsgesetz hierzu vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) in Kraft. Neben dem Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) und der Möglichkeit des Verteidiger/innenausschlusses (§ 138a StPO), wurden u.a. auch die Beschränkung auf drei Wahlverteidiger/innen pro Beschuldigte/n (§ 137 Abs. 1 S. 2 StPO) sowie die Möglichkeit, den Prozess im Falle vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit bis zum Abschluss der Vernehmung der Angeklagten zur Sache auch in ihrer Abwesenheit durchzuführen (§ 231a StPO), eingeführt. Während des Verfahrens folgten das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18. August 1976 (BGBl. I, S. 2181), sowie das Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 30. September 1977 (BGBl. I, S. 1877; sog. Kontaktsperregesetz). Nach Beendigung des Verfahrens traten schließlich noch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 14. April 1978 (BGBl. I, S. 497), sowie das Strafverfahrensänderungsgesetzt 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl. I, S. 1645) in Kraft.
[37] Eine Handakte enthält ausgewählte Bestandteile der Verfahrensakte und Schriftstücke einer Prozesspartei in einem konkreten Fall. Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen sind berufsrechtlich zur Führung einer Handakte, durch die sich „ein geordnetes und zutreffendes Bild über die Bearbeitung“ der Aufträge ergeben muss, verpflichtet (§ 50 Abs. 1 Satz 1 BRAO).
[38] Am Tag seiner vorläufigen Festnahme (dazu bereits Fn. 35) wurden auch die Büro- und Wohnräume des Rechtsanwalts Siegfried Haag durchsucht. Dabei wurden verschiedene Unterlagen, darunter wohl auch Verteidigungsmaterial, beschlagnahmt (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, 1. Neuausg. 2017, S. 523 f.).
[39] Der Gang der Hauptverhandlung ist in § 243 StPO festgelegt. Danach findet vor der Vernehmung der Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs. 4 StPO a.F.; heute: Abs. 5) die Verlesung des Anklagesatzes statt (Abs. 3).
[40] § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO a.F. (heute: Abs. 5 Satz 1) schreibt vor, dass Angeklagte vor der Vernehmung zur Sache darauf hingewiesen werden müssen, dass es ihnen freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Unterbleibt diese Belehrung, so kann das Urteil mit dem Rechtsmittel der Revision angegriffen werden. Das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler, welches für eine erfolgreiche Revision erforderlich ist (§ 337 Abs. 1 StPO), ist aber ausgeschlossen, wenn sicher ist, dass die/der Angeklagte diese Rechte bereits kannte (Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 243 Rn. 99).
[41] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (s. bereits Fn. 3). In der Literatur war lange umstritten, ob - wie es hier geschehen ist - zusätzlich zu bestehenden (Wahl-)Verteidiger/innen weitere Pflichtverteidiger/innen gegen den Willen der Angeklagten zur Sicherung des Verfahrens bestellt werden dürfen (s. dazu Thomas/Kämpfer, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Aufl. 2014, § 141 Rn. 6; erst mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 [BGBl. I, S. 2128] wurde hierfür in § 144 StPO eine gesetzliche Regelung geschaffen). Für die Beurteilung der derzeitigen Situation Baaders spielt dies jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da seine gewählten Verteidiger sämtlich vom Verfahren ausgeschlossen oder nicht verfügbar (Haag) waren.
[42] Zur räumlichen Aufteilung der Verteidigung s. bereits Fn. 3.
[43] Durch das neu eingeführte Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) wurde die bis dahin zulässige kollektive Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenslage - auch „Blockverteidigung“ genannt - abgeschafft. Durch diese und weitere Reformen, die vor Beginn der Hauptverhandlung in Kraft traten, wurden die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung erheblich eingeschränkt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.). Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie u.a. als „lex RAF“ kritisiert (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.). Sie sind überwiegend noch heute in Kraft.
[44] Als „Vertrauensanwälte“ bzw. „Vertrauensverteidiger“ wurden diejenigen Verteidiger/innen bezeichnet, welche von den Angeklagten zunächst frei gewählt waren (§§ 137, 138 StPO); einige von ihnen wurden den Angeklagten als Pflichtverteidiger/innen (§ 141 StPO) beigeordnet. Mit der Bezeichnung der Vertrauensverteidiger/innen wurden sie von denjenigen Verteidigern abgegrenzt, die den Angeklagten gegen ihren Willen durch das Gericht beigeordnet wurden.
[45] Am 24. April 1975 überfiel das RAF-Kommando „Holger Meins“ die deutsche Botschaft in Stockholm und forderte die Freilassung von 26 inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Dem Kommando gehörten Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel an. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen nahmen sie zwölf Geiseln, von denen sie zwei erschossen. Anders als zwei Monate zuvor bei der Lorenz-Entführung durch die Bewegung 2. Juni lehnte die Bundesregierung nun Verhandlungen mit den Geiselnehmer/innen ab. Ihr Ende fand die Geiselnahme durch eine nicht geklärte Sprengstoffexplosion im Inneren des Botschaftsgebäudes, die sich noch vor dem Zugriff schwedischer Sicherheitskräfte ereignete. Bei der Explosion wurde Ulrich Wessel tödlich verletzt. Siegfried Hausner erlag seinen Verletzungen Anfang Mai 1975 in der JVA-Stammheim. Die übrigen vier Geiselnehmer/innen wurden verhaftet und am 20. Juli 1977 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl 2008, S. 361 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69).
[46] Siegfried Haag wurde verdächtigt, Tatmittel für das Stockholm-Attentat beschafft zu haben. Das OLG Stuttgart verurteilte ihn u.a. wegen seiner Beteiligung hieran zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 69).
[47] Der dringende Tatverdacht ist Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls (§§ 112, 114 StPO) und erfordert eine große Wahrscheinlichkeit, dass die verdächtige Person die jeweilige Tat begangen hat, sowie dass keine Rechtfertigungs- Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgründe vorliegen, mithin eine große Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung. Die Prognose ist zum Zeitpunkt des jeweiligen Standes der Ermittlungen zu treffen (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 112 Rn. 5 f.).
[48] Im Spiegel wurden Teile eines Kassibers von Andreas Baaders veröffentlicht, welches im Februar 1974 aufgefunden wurde. Darin heißt es u.a.: „Hör ma, vorschläge sind n dreck wert. Ich habe dich so vollgestopft, damit ihr eure taktik selbst entwickeln könnt“ (Schreiber, Der Spiegel, Ausgabe 21/1975 vom 19.5.1975, S. 38). Ein Bezug zu Siegfried Haag ist dem nicht zu entnehmen.
[49] Eine wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO dann vorgeschrieben, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt.
[50] Der wörtlichen Protokollierung nach § 273 Abs. 3 StPO kommt ein besonderer Beweiswert zu: Die Beweiskraft des Protokolls bezieht sich nach § 274 StPO grundsätzlich nur auf die für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Wird aber ein Vorgang nach § 273 Abs. 3 StPO vollständig niedergeschrieben und verlesen, nimmt er an der Beweiskraft des Protokolls teil (Greger, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 274 Rn. 5). Das Verhältnis der wörtlichen Protokollierung gem. § 273 Abs. 3 StPO zum ständig mitlaufenden Tonband sorgte für manche Diskussionen (so etwa am 31. Verhandlungstag, S. 2495 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).
[51] Kollektive Verteidigung bezeichnet die bis zum Inkrafttreten des Verbots der Mehrfachverteidigung zulässige gemeinsame Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenslage (§ 146 Abs. 1 StPO a.F.), auch Blockverteidigung genannt. Sie wurde erst wenige Monate vor Beginn der Hauptverhandlung durch die Einführung des Verbots der Mehrfachverteidigung abgeschafft (s. bereits Fn. 15).
[52] Noch im Ermittlungsverfahren wurden - der damaligen Rechtslage entsprechend - die beigeordneten Vertrauensverteidiger/innen antragsgemäß allen Angeklagten gemeinschaftlich beigeordnet. Durch das Verbot der Mehrfachverteidigung wurde schließlich eine Neusortierung der Mandatsverhältnisse notwendig (s. hierzu die Ausführungen des Vorsitzenden Dr. Prinzing auf den S. 229 ff., 3. Verhandlungstag).
[53] Carmen Roll war Teil des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). Nach einem Schusswechsel mit der Polizei infolge einer Verkehrskontrolle bei Heidelberg und den anschließenden verstärkten Ermittlungen der Polizei gegen das SPK ging sie in die Illegalität zur RAF. Am 2. März 1972 wurde sie in Augsburg wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verhaftet und am 23. Juli 1973 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 80 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 f. Anm. 60).
[54] Der CDU-Politiker und Spitzenkandidat bei der Wahl um das Berliner Abgeordnetenhaus Peter Lorenz wurde am 27. Februar 1975 von der Bewegung 2. Juni entführt und in einem „Volksgefängnis“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Im Austausch gegen Lorenz wurde die Freilassung von sechs Gefangenen gefordert: Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann. Die Bundesregierung unter Kanzler Schmidt ging auf die Forderungen ein: Bis auf Horst Mahler, der das Angebot ablehnte, bestiegen am 3. März 1975 die anderen fünf Inhaftierten mit dem ehemaligen West-Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz als Vermittler eine Maschine der Lufthansa nach Aden im Jemen. Nach der erfolgreichen Ankunft wurde Lorenz am 4. März freigelassen (Dahlke, in Hürter/Rusconi [Hrsg.], Die bleiernen Jahre, 2010, S. 31, 36 ff.; Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 37, 250 ff.). Die Bewegung 2. Juni benannte sich nach dem Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2.6.1967 bei einer Demonstration der Studentenbewegung gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien durch einen Polizisten erschossen wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 21 f.).
[55] Der 3. Strafsenat des BGH war nach dem Geschäftsverteilungsplan u.a. zuständig für Beschwerden gegen Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte (Bundesanzeiger 1975 Beilage 10/75 zu Nr. 46, S. 4), sodass die Angeklagten bereits mit ihm bekannt waren; so hatte der 3. Strafsenat etwa sämtliche Beschwerden gegen die Verteidigerausschlüsse verworfen.
[56] Siegfried Hausner war Mitglied der RAF und Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm überfiel (Fn. 45).
[57] Das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) war eine 1970 gegründete Gruppe von Patient/innen des Heidelberger Arztes Wolfgang Huber. Das SPK übte Kritik an zeitgenössischen Psychiatrieformen und einer als krankmachend empfundenen kapitalistischen Gesellschaft. Dagegen setzte die Gruppe auf antiautoritäre Therapien und Forderungen nach einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. Im Sommer 1971 wurden acht Mitglieder des SPK unter dem Verdacht der RAF-Unterstützung und der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verhaftet. Ab November 1972 folgten Prozesse u.a. wegen Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung. Besondere Bekanntheit erlangte das SPK darüber hinaus durch den Übertritt einiger seiner Mitglieder in die Reihen der RAF (Brink, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 134, 137 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 90 ff.).
[a] Handschriftlich ersetzt: dargestellt durch klargestellt
[b] Handschriftlich ersetzt: Landrechtbericht durch Landrecht bricht
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[o] Handschriftlich ergänzt: Verfahrensvoraussetzungen
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[q] Handschriftlich ersetzt: 8:40 durch 8.30
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[x] Handschriftlicher Vermerk: (Militarisierung?)
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[aa] Maschinell ergänzt: sicher
[bb] Handschriftlich durchgestrichen: einer zusätzlichen wörtlichen
[cc] Maschinell ergänzt: diese
[dd] Handschriftlich ersetzt: ist durch ich
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[ff] Handschriftlich durchgestrichen: daß
[gg] Maschinell eingefügt: für
[hh] Handschriftlich durchgestrichen: (verbessert sich)
[ii] Handschriftlich durchgestrichen: in
[jj] Handschriftlich ersetzt: entsprechendem durch entsprechend dem
[kk] Maschinell eingefügt: in