[2091] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 19. August 1975, um 9.08 Uhr.
(26. Verhandlungstag)
Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen, mit Ausnahme von Staatsanwalt Holland, in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
Just. Sekr. Janetzko,
Just. Ass. z. A. Clemens.
Die Angeklagten sind anwesend mit ihren Verteidigern:
Rechtsanwälte Schily, Becker, Dr. Heldmann, Riedel, v[on] Plottnitz, Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, König, Linke, Grigat.
Vors.:
Wir setzen die Sitzung fort.
Mit Ausnahme von Herrn RA Schlaegel ist alles da. Herr RA Schlaegel hat sich entschuldigt.
Herr RA Herzberg ist nicht zufällig im Saal, der als Vertreter kommen sollte? Wir werden’s dann später noch sehen. Zunächst ist bekanntzugeben, daß die Gegenvorstellungen[1] der Verteidiger v[on] Plottnitz, Riedel, Dr. Heldmann und Schily keinen Anlaß geben, die am 8.8.75 verkündete Verfügung[2] betr. Ziff. III der sitzungspolizeilichen Verfügung vom 17.4.1975 abzuändern. Rechtsgrundlage für die angeordneten Maßnahmen sind § 176 des Gerichtsverfassungsgesetzes[3] und, soweit Besuche der Angeklagten in den Vorführzellen in Frage stehen, die §§ 119 Abs. 3[4] und 148 der StPO[5]. Ich hätte gerne jetzt noch die Frage gestellt, ob sich die Angeklagten inzwischen schlüssig geworden sind wegen der Untersuchung durch Prof. Rasch, denn er sollte im Interesse der Beschleunigung dieser Untersuchungen möglichst frühzeitig verständigt werden können.
Ist hier schon eine Erklärung möglich?
Herr Baader.
[2092] Angekl. Baa[der]:
Ich wollte erst mal fragen, was den Pressesprecher des 2. Senats bzw. des OLG dazu gebracht hat, öffentlich verbreiten zu lassen, wir hätten uns von Mende[6] psychiatrisch untersuchen lassen. Das wollt’ ich hier zunächst mal fragen. Denn das ist nicht der Fall. Es hat keine psychiatrische Untersuchung stattgefunden; im Gegenteil: Die psychiatrische Untersuchung durch Mende lehnen wir nach wie vor ab, und wir werden das auch noch ausführlich begründen.
Vors.:
Gut. Also über den Vorgang bin ich nicht unterrichtet.
Ich weiß nichts. Ich hab auch nichts davon gelesen.
Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Frage aber:
Wie ist es mit Prof. Rasch? Können Sie dazu schon ne Auskunft geben?
Angekl. Baa[der]:
Ja. Wir haben gesagt, daß wir zunächst bereit sind, mit Herrn Rasch zu sprechen,
Vors.:
... so daß er also hier anreisen kann, ohne Gefahr zu laufen, daß Sie dann nicht bereit sind, mit ihm ein Gespräch zu führen. Darauf kommt es uns an.
Angekl. Baa[der]:
Wir haben gesagt, wir würden mit ihm reden.
Vors.:
Gut.
Angekl. Baa[der]:
Also hier steht:
„Nach Auskunft eines Sprechers des Stuttgarter Oberlandesgerichts sprach der Münchner Psychiater Prof. Mende bereits zwei Stunden lang...“
„und damit[a] ist jetzt mit der psychiatrischen Untersuchung begonnen worden“
ist die Formulierung.
[2093] Das hat also das OLG bekanntgegeben. Das war in sämtlichen Zeitungen.
Vors.:
Ja? Ich hab’s nicht gelesen, aber mag sein. Ich kann auch nicht Ihnen sagen, wer es publiziert hat, wer es veröffentlicht hat. Ich bin über das Gespräch unterrichtet worden, daß es ein Informationsgespräch war. Keine Untersuchung. Das kann ich bestätigen. Gut.
Herr Baader, damit sollten wir jetzt zur Vernehmung zur Person[7] kommen. Es wird mit Ihnen begonnen.
Herr RA v[on] Plottnitz.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Herr Vorsitzender, ich darf vorher ums Wort bitten.
Ich habe mir gedacht, daß heute die Sachverständigen, die vom Senat bestellt worden sind, hier zur Anhörung über die Frage der Verhandlungsfähigkeit[8] der Gefangenen anwesend sein würden. Und da das nicht der Fall ist und da offensichtlich auch noch nicht mal vorgesehen ist, wann hier etwa die Internisten als Sachverständige sich zu ihrem Gutachterauftrag äußern sollen, habe ich zunächst mal zu beantragen:
die Hauptverhandlung zu unterbrechen, bis die vom Senat durch Beschluß vom 18.7.1975[9] als Gutachter bestellten Sachverständige ihre Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Gefangenen erstattet haben.
Diesen Antrag möchte ich ganz kurz folgendermaßen begründen:
Die Frage der Verhandlungsfähigkeit ist ja von der Verteidigung der Gefangenen von Anbeginn der Hauptverhandlung an, kann man sagen, also vom 21.5.1975 an, immer wieder und immer wieder hier zum Gegenstand der Erörterungen gemacht worden, vor allem auch zum Gegenstand von Anträgen. Die Chronologie der Ereignisse läßt sich danach wie folgt schildern:
Der Senat hat sich zunächst mal den Gefängnisarzt Dr. Henck[10] kommen lassen. Dr. Henck hat ja, ohne daß er sich auf irgendwelche Befunde hätte stützen können, relativ umstandslos die Verhandlungsfähigkeit aller vier Gefangenen bejaht mit [2094] der Einschränkung, daß hin und wieder Pausen einzulegen seien. Dem Senat selbst war wohl nicht wohl bei der Art und Weise, wie hier gutachtlich Stellung genommen worden ist von dem Sachverständigen Henck. Er hat ergänzend den Sachverständigen Prof. Rauschke[11] gehört, und zwar am 8. Juli, und der Sachverständige Prof. Rauschke war am 8. Juli sehr viel vorsichtiger als der Sachverständige Henck. Er hat also gesagt: Ohne Befunde kann man Gesichertes überhaupt nicht annehmen. Er hat darüber hinaus angeregt die Bildung - beim Senat - eines Sachverständigengremiums. Er hat also dem Senat zur Kenntnis gebracht, daß seiner Auffassung nach die Untersuchung und die Begutachtung der Gefangenen zur Frage der Verhandlungsfähigkeit notwendig sei, und er hat mit allem Vorbehalt dann als letztes festgestellt - am 8.7.1975, wohlbemerkt -, daß seinem Eindruck zufolge eine weitere Verhandlungsfähigkeit von drei Wochen - das war der Zeitraum, den der Sachverständige genannt hat - anzunehmen sei.
Der Senat hat im Anschluß an die Anhörung des Sachverständigen Prof. Rauschke ein Sachverständigengremium berufen, und zwar durch Beschluß vom 18.7.1975. Zwei der Sachverst., die er berufen hat, nämlich die Sachverst. Prof. Müller und Prof. Schröder haben dem Senat mit einem Schreiben, das entweder vom 30.7.1975 datiert oder vom 29.7.1975 datiert, ein Schreiben, das in jedem Fall den Verfahrensbeteiligten hier am 30.7.1975 in öffentlicher Sitzung zur Kenntnis gebracht wurde, mitgeteilt, daß eine Verhandlungsfähigkeit der Gefangenen von wörtlich „zwei bis drei Wochen“ zunächst mal anzunehmen sei.[12]
Sie haben weiterhin mitgeteilt, daß sie sich auf diesen Zeitraum geeinigt haben am Abend des 29.7.1975, als sie sich zusammengesetzt haben, um erste Befunde - erste Befunde, wohlgemerkt -, um erste Befunde gemeinsam zu debattieren und Rückschlüsse daraus zu ziehen.
Zum Zeitpunkt, als die beiden Sachverst. Schröder und Prof. Müller zu diesem vorläufigen Ergebnis gekommen sind, waren we- [2095] sentliche internistische Untersuchungen, die auch von beiden Sachverständigen für notwendig und erforderlich gehalten werden und wurden, noch nicht durchgeführt worden. Es war ein Teil von Untersuchungen zwar durchgeführt worden. Aber so wesentliche Untersuchungen, wie etwa die Durchführung eines Elektrokardiogramms bzw. Durchführung von Röntgenaufnahmen der Lunge waren noch nicht durchgeführt worden.
Und was ist bislang geschehen? Die drei Wochen - man muß rechnen vom 29.7.1975 an - die sind heute, nämlich am 19.7., am 19.8.1975, abgelaufen. D. h., wenn in der Vergangenheit sozusagen der Senat noch gedeckt gewesen ist durch diese überaus vage Mitteilung, daß, gerechnet vom 29.7.1975 an, die Verhandlungsfähigkeit der Mandanten, eine vorläufige Verhandlungsfähigkeit der Mandanten von zwei bis drei Wochen zu bejahen sei, so ist ab heute in der Tat davon auszugehen, daß, wird weiterverhandelt, auf der Grundlage einer Fiktion der Verhandlungsfähigkeit der Mandanten weiterverhandelt wird.
Wir sind der Auffassung, daß hier nicht weiterverhandelt werden darf und nicht weiterverhandelt werden kann, solange nicht jetzt endgültig, endgültige Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Mandanten in öffentlicher Sitzung erstattet werden mit definitiven Befunden. Es dürfte ohnedies in der Tat ein beispielloser Vorgang sein, daß auf der einen Seite begründete Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit bestimmter Angeklagter bestehen, auf der andern Seite rechnet man den Zeitpunkt, 8.7.1975, über 6 Wochen verhandelt wird - also Vernehmung von Prof. Rauschke - über 6 Wochen verhandelt wird, ohne daß in irgendeiner Weise hier definitive Untersuchungsergebnisse zur Grundlage einer Begutachtung gemacht werden konnten. Jedermann weiß, das herkömmliche Verfahren in einem Strafverfahren ist, gibt es Zweifel, gibt es begründete Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten, Zweifel, die ein Gericht dazu veranlassen, hier eine Sachverst.-beauftragung vorzunehmen, dann wird nicht eher weiterverhandelt, als bis diese Frage geklärt ist.
[2096] Und ich möchte dem Senat in diesem Zusammenhang einen weiteren Aspekt zur Kenntnis bringen:
Nachdem wir wieder und wieder die Frage der Verhandlungsfähigkeit angeschnitten haben, nachdem wir uns an einem bestimmten Tage - ich erinnere mich gar nicht mehr, welcher Sitzungstag es war - von dem Dr. Wunder etwa haben sagen lassen müssen, als wir die Frage angeschnitten haben, wir würden hier gegen die Uhr kämpfen[13] - so ist das hier genannt worden -, nachdem ab heute überhaupt keine Grundlage mehr da ist, die in irgendeiner Weise mehr decken könnte den Fortgang der Hauptverhandlung ohne Erkenntnisse darüber, wie steht’s mit der Verhandlungsfähigkeit, sehe ich mich hier als Verteidiger nicht in der Lage, sehe ich mich nicht in der Lage, weiterzuverhandeln, bis diese Gutachten erstattet sind. Sonst wird wieder geschehen, was in der Vergangenheit geschehen ist:
Wir würden zu bestimmten aktuellen Zeitpunkten hier mitteilen müssen, die Mandanten sind nicht verhandlungsfähig. Herr Wunder würde sagen:
Hier wird nur ein Kampf gegen die Uhr geführt.
Um hier klarzustellen, daß wir noch nie einen Kampf gegen die Uhr geführt haben, daß es uns mit dieser Frage ernst ist, daß wir als Verteidiger - wir können ja gar nicht anders - die Frage der Prozeßvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit ernst nehmen, kann ich hier als Verteidiger nicht sitzen, bis diese Frage nicht endgültig geklärt ist.
Ich darf das dem Senat gleich in diesem Zusammenhang zur Kenntnis bringen.
RA Rie[del]:
Ich möchte mich zunächst dem Antrag anschließen, und erkläre ebenfalls ...
Just. Sekr. Ja[netzko]:
Herr Rechtsanwalt, bitte Mikrophon einschalten.
RA Rie[del]:
... daß ich mich ebenfalls außerstande sehe, eine Verteidigung wahrzunehmen, solange nicht endgültig Klarheit darüber ge- [2097] schaffen worden ist, in welchem Umfang und unter Umständen, mit welchen Einschränkungen hier eine Verhandlungsfähigkeit der Mandanten vorliegt.
Vors.:
Herr RA Dr. Heldmann.
RA Dr. He[ldmann]:
Ich schließe mich für Herrn Baader diesem Antrag an. Ich halte es für unverständlich, daß in den vergangenen drei Wochen nicht möglich gewesen sein sollte, daß die wesentliche Untersuchung der Internisten, nämlich das EKG zumindest, was ja keine Professorenqualifikation erfordert, zumindest anstellen zu lassen.
Ich erinnere den Senat:
Am 8.7. - das ist Bl. 1149 des Protokolls - hat Prof. Rauschke als Sachverst., den Sie berufen haben, Ihnen erklärt, zwei bis drei Wochen noch könne Verhandlungsfähigkeit angenommen werden, und wörtlich weiter:
„... sofern das derzeitige Bild erhalten bleibt.“
Dazu eine Bemerkung, die Herrn Baader betrifft:
Am selben Tag - das ist Bl. 1110 des Protokolls - hat Herr Rauschke als Sachverst. festgestellt, daß am 8.7. Herr Baader ein Untergewicht von 22 Kilogramm hatte bei einem seinerzeit von Herrn Dr. Henck gemessenen Gewicht vom Vortag, dem 7.7., von 56 kg bei einer Größe von 1,79 m.
Am 18.8. hat das Gewicht des Herrn Baader noch 53 kg betragen, d. h., es hatte sich um 3 weitere kg vermindert und beträgt heute ... und das Untergewicht beträgt heute einen halben Zentner.
So ist also bereits schon nicht einmal mehr von der Voraussetzung zu sprechen, die Herr Rauschke Ihnen angegeben hat. Wir können von einer Verhandlungsfähigkeit noch von zwei bis drei Wochen ausgehen - das war am 7. - mit der Voraussetzung, sofern das derzeitige Bild erhalten bleibt.
Ferner:
Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß die Angeklagten ihre scheinbare Verhandlungsfähigkeit, genauer die Fähigkeit, [2098] hier noch auf dem Stuhl sitzenzubleiben mit einigen Ausnahmen, die dann zur Entfernung geführt haben, wo Verhandlungsunfähigkeit vorgelegen hatte, dem Umstand verdanken, daß sie mit vier verschiedenen und zum Teil starken Medikamenten täglich gedopt werden.
Eine prozessualrechtliche Anmerkung:
Die Verhandlungsfähigkeit ist Verfahrensvoraussetzung. Sie ist in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen. Die Verteidigung hat vom Beginn dieser Hauptverhandlung an eingewendet, daß eine Verhandlungsfähigkeit in dem Umfang, in dem zeitlichen Maß, wie der Senat das diagnostiziert hat, nicht vorliege.
Nachdem aber zwei Sachverständigenäußerungen - die des Herrn Rauschke habe ich Ihnen zitiert; die der Herren Müller und Schröder hat Kollege v[on] Plottnitz Ihnen zitiert, nämlich die vom 29.7., noch auf drei Wochen - nachdem zwei Sachverständigenäußerungen jedenfalls für die Zeit vom heutigen Tage an zwingend erhebliche Zweifel begründen an der vom Senat angenommenen Verhandlungsfähigkeit für diese Prozeßdauer pro Woche, ist es nach meiner Auffassung ein Gebot aus der StPO, den hier gestellten Antrag auf Unterbrechung bis zur Ausräumung dieses Zweifels - [b] sei es eine positive, sei es eine negative Ausräumung dieses Zweifels - anzuordnen. Im Zweifel für den Angeklagten gilt - ich habe das früher schon einmal ausgeführt unter Hinweis auf die Kommentarstellen bei Löwe-Rosenberg[14] - gilt auch für die Prozeßvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit. Wir wissen, daß diese Frage nicht ganz unumstritten ist.[15] Der dieser Tage erschienene Kurzkommentar meint, in dubio pro libertate gelte für die Verfahrensvoraussetzung nicht.[16]
Das kann aber nicht richtig sein, ohne daß man nun im einzelnen den Meinungsstreit, den Löwe-Rosenberg ausführlich in den Kap. 10 ihrer Einleitung und ferner auf den S. 87 ff und 1108 d. 1. Bandes, letzte Auflage erörtern mit eigenem positivem Ergebnis und Wiedergabe des positiven Ergebnisses [2099] der herrschenden Meinung in der Literatur. Ich meine, daß es darauf nicht ankommt, sondern daß einfaches Nachdenken zu diesem von mir vertretenen positiven Ergebnis führen muß, nämlich:
Mangelnde Verhandlungsfähigkeit bedeutet mangelnde Verteidigungsfähigkeit, und damit ist die Frage schon beantwortet. Was wir rügen, nämlich:
Es bestehen begründete starke Zweifel an der von Ihnen - dem Senat - angenommenen Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten bedeutet: Die Verteidigungsfähigkeit der Angeklagten ist in Zweifel zu ziehen, und das wiederum gebietet - und da braucht man gar nicht so sehr wie etwa Eberhard Schmidt[17] zu rekurrieren auf Rechtsstaatsprinzip und Gerechtigkeitspostulat; das ist ganz einfach eine prozessuale Regel:
Es darf nicht verhandelt werden gegen einen Angeklagten, der zu seiner eigenen Verteidigung körperlich, psychisch, nämlich, wie Herr Rauschke sagte, mangels Leistungsfähigkeit nicht in der Lage ist.
Zum Schluß lediglich noch eine Anmerkung:
Obgleich ich mich bisher anders als dieser Senat, anders auch als die Bank der B. Anwaltschaft für meinen Prozeßvortrag nicht auf Presseverlautbarungen berufen habe, möchte ich nach vorangegangener Erfahrungen der Verteidiger zur Behandlung unserer Frage, Verhandlungsfähigkeit ja oder nein und wenn ja, dann unbeschränkt oder beschränkt, doch einmal verweisen, wie anders als der Senat seine ... die Presse ihre Blickdiagnosen gefunden hat. Z.B. als letztes, soweit mir bekannt, nicht nur in den letzten Wochen, sondern schon seit Wochen etwa Herr Schüler in der „Zeit“, dessen Beschreibung der Angeklagten hier nun eine jedenfalls nichtmedizinische Umschreibung offenbar totaler Verhandlungsunfähigkeit wiedergeben. Aber wie gesagt, ich stelle nicht ab auf die Äußerungen der Medien zu diesem Prozeßgeschehen. Aber vielleicht kann ich dem Senat mit einem solchen Hinweis helfen.
[2100] Vors.:
Frau Becker.
RA’in Be[cker]:
Ich schließe mich dem Antrag und den hier vorgetragenen Begründungen für Frau Ensslin an.
Vors.:
Herr RA Schily.
RA Sch[ily]:
Ich schließe mich ebenfalls den Anträgen der ... des Kollegen v[on] Plottnitz und der übrigen Kollegen an.
Möchte noch kurz folgende Anmerkung dazu machen:
Der Senat selbst, das hat ja der Kollege v[on] Plottnitz ausgeführt, hat ja sicherlich nicht ohne Grund Anlaß gesehen, einen Auftrag an Sachverst. zu erteilen, die Verhandlungsfähigkeit zu überprüfen.
[2101] RA Sch[ily]:
Und sicherlich nicht ohne Grund sind ... hat man sich auch, hat man den Versuch gemacht in der Zwischenzeit, sich mit einer vorläufigen Anhörung von Herrn Dr. Henck und Herrn Prof. Rauschke zu behelfen. Und man hat ferner sicherlich nicht ohne Grund versucht, eine Überbrückung dadurch herzustellen, daß man hier ein Schreiben in die Verhandlung eingeführt hat, in dem Herr Prof. Müller und Herr Prof. Schröder gesagt haben, naja also Anhaltspunkte für diesen Zeitraum, der ja schon gekennzeichnet wurde, von 3 Wochen, daß Verhandlungsunfähigkeit vorliege, war nicht vorhanden. Aber alle diese Mittel der Überbrückung, diese Behelfsmittel, die sind ja nun durch Zeitablauf in jedem Falle erschöpft. Und das ist ja einer der wichtigsten Gesichtspunkte, die hier zu beachten sind, daß, wenn eine solche Überbrückung, die das Gericht, ich darf das noch einmal hervorheben, selbst für erforderlich gehalten hat, wenn diese Mittel der Überbrückung erschöpft sind, dann muß die klare Konsequenz, prozessuale Konsequenz lauten: „Unterbrechung des Verfahrens“. Wobei, und das hat der Kollege Dr. Heldmann unterstrichen, das kann ich hier für mein Mandat ebenfalls unterstreichen, ja bestimmte Umstände vorliegen, die den Gesundheitszustand noch also verschlechtert erscheinen lassen, also ist das Beispiel „Untergewicht“ erwähnt worden. Und ein Untergewicht von einem halben Zentner, wie er hier, wie es hier genannt wurde, ist ja doch wohl keine quantite negligeable, also keine Größe, die man vernachlässigen könnte. Das würde Ihnen jeder praktische Arzt sagen, daß das etwas ist, was für den körperlichen, für das körperliche und psychische Leistungsvermögen eine ganz erhebliche Bedeutung hat und ich meine, ich halte den Vergleich zu unzulässig, weil natürlich die Situation von Prozeßbeteiligten, die auf freiem Fuß sind und von Gefangenen, die jahrelang isoliert sind, ohnehin ein Vergleich ist, der nicht möglich ist. Aber ich möchte einmal ein Mitglied des Senats vor mir sehen, der also mit einem halben Zentner Untergewicht hier noch die Verhandlung durchführen will.
Ich könnte mir vorstellen, daß dann doch die Notbremse gezogen würde. Aber wie gesagt, ich halte den Vergleich für vollkommen un- [2102] zulässig, weil ja die Situation gar nicht vergleichbar ist. Wenn man alles einmal nochmal eingedenk bleibt, was die Verteidigung vorgetragen hat an harten Fakten über jahrelange Isolation und über den gegenwärtigen Zustand, dann kann das Gericht über diesen Antrag nicht hinweggehen. Und für die Verteidigung ist es eine Notwendigkeit und eine Selbstverständlichkeit, daß sie wenigstens auf diesem minimalen Mindestrecht, ich weiß gar nicht mehr, welche Verkleinerungsform man da noch gebrauchen soll, daß sie auf dem wenigstens beharrt und sagt, hier kann eine Verhandlung mit den Verteidigern nur weitergehen, wenn diese Frage in angemessener Form geklärt ist. Und ich kann auch für meine Person erklären, daß ich nicht die Absicht habe, die Verhandlung fortzusetzen, ohne daß eine solche Klärung herbeigeführt worden ist.
Vors.:
Bitte, die Bundesanwaltschaft.
BA Dr. W[under]:
Den Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung, bitte ich zurückzuweisen.
RA Sch[ily]:
Herr Bundesanwalt, darf ich Sie korrigieren, aber ... Unterbrechung[18].
BA Dr. W[under]:
Den Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung, bitte ich zurückzuweisen. Von einer totalen Verhandlungsunfähigkeit sprachen bislang die Angeklagten selbst nicht. Die als Sachverständigen bestellten Internisten haben sich in einem vorläufigen Gutachten dahingehend erklärt, daß die Angeklagten vorerst verhandlungsfähig sind und zwar ausgehend vom damaligen Verhandlungsrhythmus. Selbstverständlich kann die Zeit, für die die Sachverständigen die Angeklagten für verhandlungsfähig halten, nicht auf den Tag genau abgezählt und abgegrenzt werden. Es ist richtig, wie Rechtsanwalt Schily ausführt, daß hier eine gewisse Überbrückung stattfindet. Ich bin im Gegensatz zu ihm, jedoch der Meinung, daß diese Überbrückung nicht erschöpft ist. Auch die Bundesanwaltschaft bedauert, daß [2103] die Gutachten noch nicht vorliegen. Sie geht allerdings davon aus, daß diese nun alsbald erstattet sein werden. Auch heute sind keine konkreten Anhaltspunkte für Krankheiten, für schwere körperliche oder seelische Mängel, das ist die Voraussetzung, angegeben worden. Zunächst meine ich deshalb, daß weiterverhandelt werden kann [c] unter der Voraussetzung, daß auf eine Beschleunigung bei der abschließenden Gutachtenerstattung hingewirkt wird. Auf den Verhandlungsrhythmus, der durch das Gericht festzulegen ist und der dem Gericht auch notfalls, notfalls einen gewissen Spielraum einräumt, wird die Bundesanwaltschaft keinen Einfluß nehmen.
RA Sch[ily]:
Ich möchte kurz erwidern.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.
RA Sch[ily]:
Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, Sie haben erklärt, die Frage ... Sie haben versucht zu differenzieren zwischen beschränkter und vollständiger Verhandlungsunfähigkeit. Die Frage, die sich aber doch stellt ist, wie soll denn ohne sachkundige Mithilfe der bestellten Sachverständigen hier eine Beurteilung vorgenommen werden, welche zeitliche Grenze in Betracht kommt. Wollen wir das nun hier so über den Daumen wieder nach Sichtgutachten oder wie soll denn das beurteilt werden. Das ist doch vollkommen unmöglich eine Abgrenzung hier vorzunehmen, die nicht vollkommen in der Luft hängen bleibt, das ist doch, das ist doch eine Frage die nicht möglich ist, in der Form zu beantworten. Und wie gesagt, man hat hier schon eine ganze Menge von Überbrückungsversuchen und Behelfsversuchen unternommen, um nun in der Verhandlung voranzukommen, aber ein sachliches Kriterium heute, wo die zeitliche Grenze eigentlich liegen soll, ohne daß wir eine, eine Anhörung von Sachverständigen mindestens aus dem Bereich der internistischen Untersuchung haben, das ist nach meiner Meinung unmöglich. Wo wollen Sie denn, wo wollen Sie denn dann sozusagen den Horizont bilden, bei [2104] dem Sie dann sagen, also jetzt, ab jetzt gehts nicht mehr, oder zumal ja die Vergangenheit gelehrt hat, daß wenn wir einmal in, auch in der früheren Zeit hier geltend gemacht haben, daß man darüber mit Bravour hinweggegangen ist und gesagt hat, das interessiert nicht und irgendwelche Eindrücke ins Spiel gebracht hat, oder sich wiederum auf diese Überbrückungsgutachten bezogen hat. Und wenn Sie nun sagen, auf den Tag genau läßt sich das nicht feststellen wie lange nun diese vorläufige Gutachten ihre Gültigkeit behalten, das mag sein, auf den Tag genau, aber immerhin haben ja die Sachverständigen einen Zeitraum genannt. Da werden ja diese, diese Zeiträume genannt von 2 - 3 Wochen, oder Herr Prof. Rauschke von 3 Wochen. Diese Zeiträume sind doch genannt, da müssen wir doch wenigstens davon ausgehen und können nun nicht sagen, naja vielleicht sinds auch 4, vielleicht sinds auch 5, vielleicht sinds auch 6 Wochen. Das ist eine Form die Verhandlungsfähigkeit oder bzw. die Verhandlungsunfähigkeit hier beurteilen zu wollen, die doch schroff abgelehnt werden muß.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.
RA Dr. H[eldmann]:
Auch ich, vier Worte bitte zur Erwiderung. Es kommt nicht darauf an, ob Krankheiten im organischen Sinne festzustellen sind, so wie Sie, Herr Bundesanwalt Wunder, dies offenbar unterstellen, sondern es kommt darauf an, wie uns hier etwa der Sachverständige Rauschke schon gesagt hat, ob die Leistungsfähigkeit ausreicht, einen solchen Hauptverhandlungsturnus durchzuhalten. Sie selbst ... Senat und rüstig stets die Bundesanwaltschaft, werfen den Angeklagten, wo sie Prozeßerklärungen abgeben vor, sie hielten den Sachzusammenhang nicht. Sind Sie einmal darauf gekommen, daß die Angeklagten für größere Prozeßerklärungen auf Manuskripte angewiesen sind und wo Sie sie von diesen Manuskripten anzubringen versuchen, möglicherweise der Sachzusammenhang leiden kann. Das ist genau das, was ich vorhin umschrieben habe, mit „Verteidigungsfähigkeit“. Was in den gesamten Erörterungen der Ärzte bisher nicht aufgetaucht ist, [2105] ist das, worauf die Verteidigung und insbesondere die Gefangenen selbst immer wieder hingewiesen haben, nämlich daß eine wesentliche Rolle spielt für die Beurteilung der vollen Verhandlungsfähigkeit, die zurückliegende dreijährige Isolation. Und da bedarf es nach meiner Meinung gar nicht einmal zwingend spezieller Isolationsforscher, obgleich die sehr wünschenswert wären, weil nämlich die Deprivationsforschung eigentlich weitgehend bereits in deutscher Sprache bekanntgeworden ist und bekanntgeworden ist, daß Deprivation soziale, sensorische, die Leistungsfähigkeit, die Kommunikationsfähigkeit weitestgehend herabsetzt und die Forschungen, die wir in deutscher Sprache haben, zeigen als die Gefahr einer langdauernden sozialen und ... sozialen und sensorischen Deprivation gerade hin auf die Gefahr des psychischen Todes oder etwa, wie Reni Spitz[19] es ausgedrückt hat, des psychischen Verhungerns. Das ist die Situation über die hier, ich meine sagen zu dürfen, ganz bewußt immer wieder hinweggewischt wird. Ich verweise z. B. auf wenige Arbeiten in deutscher Sprache zur Frage der sozialen und sensorischen Deprivation etwa von Tobias Brocher, von Anna Freudt, von Annemarie Dürsen, von dem ... Amerikaner Reni Spitz und von den Schweizern Keller und Meier. Da haben wir genau dort in deren empirischen Untersuchungen, das, was die Angeklagten immer vorbringen: Drei Jahre einer totalen Isolation haben uns unfähig gemacht, in dem Rhythmus, wie der Senat das von uns verlangt, hier zu verhandeln.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
RA v[on] P[lottnitz]:
Ja, ich möchte auch noch erwidern. Ich meine der Bundesanwalt Dr. Wunder hat einen aufschlußreichen Satz getan in seiner Stellungnahme, als er nämlich gesagt hat, „die Hauptverhandlung kann und muß fortgesetzt werden“. Das Wort „muß“ ist interessant. Ich meine, wenn man diesen Satz überprüft, analysiert, dann heißt er im Klartext, die Hauptverhandlung kann fortgesetzt werden, weil sie fortgesetzt werden muß. Nur dies „muß“ mag hier Motiv und Interesse der Verfolgungsbehörde sein, sie läßt [2106] sich nicht, sie läßt sich nicht aus der Strafprozeßordnung ableiten. Ein „muß“ gibt es hier allenfalls in entgegengesetzter Richtung. Wenn Sachverständige eine vorläufige Verhandlungsdauer bei einer Sitzung von diesem Ausmaß von 2 bis äußerstenfalls 3 Wochen annehmen, dann darf nach dem Ablauf dieser 3 Wochen nicht weiterverhandelt werden, bis klargestellt wird, bis klargestellt ist: Daß ob und gegebenenfalls das Ausmaß der Verhandlungsfähigkeit eines Angeklagten. Alles andere würde darauf hinauslaufen hier die Verteidigungsrechte, weil die Verhandlungsfähigkeit ist ja etwas, was die Verteidigungsrechte von Angeklagten sichern soll, die Verteidigungsrechte von Angeklagten zu suspendieren.
(RA Dr. Heldmann spricht ins abgeschaltene Mikrophon)
Vors.:
Ja, aber jetzt würde ich doch bitten, daß Sie langsam dann auch abschließen, nicht ständig wiederholen.
(RA Dr. Heldmann spricht ins abgeschaltene Mikrophon)
Protokollführer Janetzko:
Herr Rechtsanwalt, bitte das Mikrophon einschalten.
RA Dr. H[eldmann]:
Dankeschön.
Ich will lediglich darauf hinweisen, Herr Prof. Müller hat von dem Ergebnis der Beratung mit Herrn Schröder am 29.7. geschrieben, „daß Verhandlungsfähigkeit bei allen vier Untersuchungsgefangenen in den nächsten 2 - 3 Wochen noch besteht“, so wörtlich das Zitat.
2. Ich bitte Sie, den Antrag in der Weise ergänzen zu dürfen, daß nun die Unterbrechung, die von uns beantragt ist, sofort genutzt wird, um die Angeklagten einer intensiven Behandlung durch Ärzte ihres Vertrauens zuzuführen, denn sicher ist es nicht damit weiter getan, daß sie täglich, wie es jetzt geschieht, hier gedopt werden, damit sie hier nicht von den Stühlen fallen.
Vors.:
Bitte, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.
BA Dr. W[under]:
Ich möchte meine Stellungnahme nur noch ergänzen. Ich bitte vor- [2107] sorglich, bis zum Vorliegen der abschließenden Gutachten, einen Anstalts- oder Amtsarzt zuzuziehen, der zumindest die Möglichkeit der fachkundigen Beobachtung der Angeklagten während der Hauptverhandlung hat.
(RA v[on] Plottnitz spricht ins abgeschaltene Mikrophon)
Vors.:
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
RA v[on] P[lottnitz]: (Anfang unverständlich)
... Wort zu diesem Ergänzungsantrag oder Hilfsantrag der Bundesanwaltschaft. Der Senat selbst hat in dem Beschluß, durch den er die Sachverständigen bestellt hat, festgestellt, daß er die Untersuchung der Gefangenen durch justizabhängige Ärzte, so hieß es wohl damals in dem Beschluß, für notwendig hält. Dieses Prinzip jetzt, nur weil definitive Sachverständigenäußerungen noch nicht vorliegen, rückgängig zu machen, besteht nicht der geringste Anlaß.
Vors.:
Die ganzen Prämissen sind ja[d] nicht richtig, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz. Der Senat hat nicht gesagt, was er für notwendig halte, er hat gesagt, er wolle dem Mißtrauen der Angeklagten begegnen.
RA v[on] P[lottnitz]:
Soll ich zitieren, Herr Vorsitzender?
(RA Schily spricht ins abgeschaltene Mikrophon)
Vors.:
Dem Mißtrauen der Angeklagten sollte begegnet werden.
RA Sch[ily]: (Anfang unverständlich)
... Antrag ...
Vors.:
Aber, darf ich jetzt fragen, kommt ein neuer zusätzlicher Antrag, oder was geschieht jetzt im Augenblick?
RA Sch[ily]:
Ja, ich möchte mich nämlich dem, dem Antrag des Kollegen Dr. Heldmann, dem Zusatzantrag anschließen und diesen Antrag auch noch dadurch unterstreichen. Es ist gar nicht im Sinne, es wird ja mitunter die Behauptung aufgestellt, wollen wir [2108] ja ruhig mal offen aussprechen, es sei seitens der Angeklagten oder der Verteidigung, würde die Taktik verfolgt hier das Verfahren dadurch zu sprengen, daß man sagt, „Verhandlungsunfähigkeit“. Aber gerade dieser Antrag auf Hinzuziehung von Ärzten des Vertrauens zielt ja darauf ab, die Verhandlungsfähigkeit wieder herzustellen und warum gibt man den Angeklagten nicht diese Chance der Wiederherstellung der Verhandlungsfähigkeit, da ohnehin die Hinzuziehung von Vertrauensärzten ein Recht, was einem Untersuchungsgefangenen, wir haben das mehrfach hier dargestellt, ohne weiteres zusteht und auch in anderen Bereichen der Bundesrepublik praktiziert wird, auch bei politischen Gefangenen. Und die Frage ist, warum eigentlich der Senat sich dann dagegen sperren, weiterhin sperren will, daß hier Ärzte des Vertrauens hinzugezogen werden. Wie gesagt, dann wird vielleicht diese Frage, die hier eine Rolle spielt, ein ganz anderes Gesicht bekommen. Also die Tatsache der Hinzuziehung von Ärzten des Vertrauens ist sozusagen auch ein prozessuales Interesse.
(RA Dr. Heldmann will sich zu Wort melden)
Vors.:
Nein, ich möchte jetzt abschließen. Die Bundesanwaltschaft kann jetzt noch Stellung nehmen, zu dem neuen Antrag, Ärzte des Vertrauens hinzuzuziehen.
(Mehre RAe reden durcheinander ins abgeschaltene Mikrophon)
Vors.:
Ja, was ist jetzt? Wer von Ihnen spricht im Augenblick? Zunächst darf jetzt die Bundesanwaltschaft ihre Stellungnahme abgeben zu dem neuen Antrag, Ärzte des Vertrauens hinzuzuziehen.
BA Dr. W[under]:
Über den Zusatzantrag bitte ich außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden. Die Bundesanwaltschaft wird dazu auch außerhalb der Hauptverhandlung Stellung nahmen.
Vors.:
So, wollten Sie noch ...
RA R[iedel]:
Ja, ich möchte jetzt diesem Zusatzantrag anschließen und noch [2109] einmal darauf hinweisen, daß bei anderen Gerichten in der Bundesrepublik derartige kein Problem darstellen. Ich verweise auf das Gericht in Hamburg, das in einem jetzt laufenden Verfahren Ärzte des Vertrauens zur Behandlung zugelassen hat und den zugelassenen Arzt sogar gerichtlich zum Sachverständigen bestellt hat. Der Arzt wäre auch hier ein in Frage kommender Arzt des Vertrauens, es handelt sich um Dr. Stöwesandt aus dem Rot-Kreuz-Krankenhaus in Hamburg. Die genau ladungsfähige Anschrift, genaue[e] Adresse kann zu den Akten gegeben werden.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
RA v[on] P[lottnitz]:
Ich darf mich auch dem Zusatzantrag anschließen und nur noch mit einem Wort darauf hinweisen, daß das Verfahren, von dem der Kollege Riedel gesprochen hat, nicht irgendein Verfahren ist, sondern es ist ein Parallelprozeß wenn man so will, es ist das Verfahren nämlich gegen Irmgard Möller,[20] und in diesem Verfahren hat das Gericht den Arzt, der bereits genannt worden ist. Ich würde ihn ausdrücklich für Herrn Raspe als weiteren Arzt des Vertrauens zusätzlich zu den Ärzten, die auf Blatt 450 der Sitzungsniederschrift bereits benannt worden sind, benennen. Die Anschrift ist, Dr. med. Stöwesandt, Rot-Kreuz-Krankenhaus Hamburg - 13, im Schlump. Der Senat hat ja bisher diesem Antrag auf Hinzuziehung von Vertrauensärzten eigentlich mit zwei Erwägungen immer widersprochen. Einmal wurde gesagt, die Gefangenen ließen sich nicht durch die Ärzte, die von staatlicher bzw. Justizseite angeboten seien, untersuchen. Daß dem nicht so ist, zeigt die Tatsache, daß die Gefangenen sich durchaus etwa Untersuchungen unterzogen haben bei den beiden Sachverständigen Prof. Müller und Prof. Schröder. Die zweite Überlegung war ja immer das Sicherheitsargument. In Hamburg kann ich mir nicht vorstellen, daß irgendein Gericht real oder mutmaßlich Sicherheitsbelange weniger ernst nimmt, als[f] ein Oberlandesgericht in Stuttgart. Von daher meine ich, daß dieser Gesichtspunkt durch die Hamburger Praxis ausgeräumt [2110] ist, so daß auch insoweit die ursprüngliche Entscheidung korrigiert werden sollte und die Ärzte, die auf Blatt 450 der Sitzungsniederschrift bereits namentlich angeführt sind, zusätzlich und zusätzlich der Arzt Dr. Stöwesandt zur Untersuchung der Gefangenen und zwar zur Betrauung während der Untersuchungshaft und Untersuchung zugelassen werden sollte.
[2111] RA Dr. H[eldmann]:
Zusatzantrag, bitte Herrn Baader.
Vors.:
Herr Baader.
Angekl. B[aader]:
Ja, ich habe noch einmal festzustellen, warum wir die Behandlung durch Gefängnisärzte ablehnen und ablehnen werden. Es ist auch so, daß die Wirkung der Isolation jedesmal festgestellt worden ist, psychisch und physisch, wenn unabhängige Ärzte an Gefangene, die längere Zeit isoliert waren, rangekommen sind. Und das ist natürlich auch der Grund, warum wir, oder ein wesentlicher Grund, warum wir die Untersuchung durch unabhängige Ärzte fordern und warum die Bundesanwaltschaft sie um jeden Preis verhindern will. Ich halt das tatsächlich für eine Infamie, von uns zu verlangen, wir sollen uns freiwillig der Untersuchung und Veranlassung von Gefängnisärzten ausliefern, nachdem uns 1. diese Ärzte während der Zwangsernährung mit Magenschleusen, bzw. Tropfsonden während des Durststreiks in einer Riemen-Konstruktion bis zu fünf Stunden gefesselt haben und gefoltert haben, hier in Stammheim. 2. Diese Ärzte Zwangsnarkosen durchgeführt haben, von denen Anästhesisten gesagt haben, wie Bräutigam hier in Stuttgart, es würde sich in der ganzen Bundesrepublik kein Anästhesist finden, der eine Zwangsnarkose macht, durchführen würde, wegen der vitalen Gefährdung. Und es ist wahrscheinlich auch tatsächlich so, daß sich außerhalb des Vollzugs in ganz Deutschland kein Arzt finden würde, der die Zwangsnarkose durchführt. Die Bundesanwaltschaft hat allerdings damals bereits versucht 1973 diese Zwangsnarkotisierung durchzusetzen über den Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof[21] und sie hat auch einen Arzt, einen Psychiater bereitgestellt, der die Zwangsnarkosen durchführen sollte. 3. Diese Ärzte während des Hungerstreiks[22] der politischen Gefangenen drei Gefangenen das Wasser entzogen haben als medizinische Maßnahme. D. h., mir zum Beispiel ist als medizinische Maßnahme 8 Tage lang das Wasser entzogen worden.[23] 4. Diese Ärzte adäquate Funktion von KZ-Ärzten bei Holger und Siegfrieds und Kat Hammerschmidts Tod eine Schlüsselfunktion gehabt haben.[24] Sowohl bei der Durchführung, als auch bei der Vertuschung. 5. Diese Ärzte politischen Gefangenen unter Zwang Psychopharmaka gespritzt haben. 6. Diese Ärzte, wie Götte in Köln, das ist der Psychiater in Köln, sich dazu herge- [2112] geben haben, das wissenschaftliche Programm zur Gehirnwäsche Ulrikes durchzuführen, jedenfalls zu überwachen. Götte hat erst Angst bekommen, nachdem an Astrid offensichtlich geworden war, daß die physische Tortur auch den Körper zerstört und damit sichtbar wird.[25] Er war dann wie Henck hier plötzlich der Ansicht, die Haftbedingungen müßten geändert werden. Ich erinnere auch noch mal, Henck hat gesagt, daß die Haftbedingungen für den Zustand der Gefangenen unmittelbar verantwortlich sind. Wir glauben allerdings nicht, wie er sagt, daß mildere Haftbedingungen jetzt noch so ohne weiteres ein besseres Befinden bewirken können, weil die Erfahrung ist, daß Deprivationsschäden unter den Bedingungen gelockerter Deprivation dann nicht mehr reversibel sind, wenn sie schon einmal voll auf den psychischen Zustand durchgeschlagen haben, wie bei uns. Ich habe auch noch ein paar Zitate aus dem wörtlichen Protokoll der Vollzugsärztekonferenz in München am 27.6. Da sagt einer der Ärzte, der die Zwangsernährung durchgeführt hat, es kommt nicht darauf an, man kann nicht sagen, ich würde fast sagen, also es ist wörtlich, es ist makaber zu sagen, sie können und dürfen sterben, aber sie dürfen nicht verhungern. Dann sagt er, ein Unglücksfall kann jederzeit passieren, ob gewollt oder ob ungewollt, steht jetzt auf einer ganz anderen Seite. Das ist die Formulierung eines Vollzugsarztes zu den politischen Gefangenen. Dann kommt Herr Friedland, der die Rolle des Vollzugsarztes so definiert, das ist der leitende Vollzugsarzt in Hamburg, der die Zwangsernährung sechs Monate lang mit einem Magenschlauch und nicht mit einer Magensonde durchgeführt hat, d.h. als bewußte Tortur der Gefangenen. Der stellte also zunächst mal fest, daß die gesamte Veranlassung während des Hungerstreiks in einem Konsilium, d.h. einem gemeinsamen Gespräch beschlossen wurde, zwischen Richter und Staatsanwälten und Ärzten. Und dann sagt er zu uns, es handelt sich hier um Angehörige der sogenannten Roten Armee Fraktion, zu deren Kampf gegen den Rechtsstaat nicht nur Bomben gehören, nicht nur Maschinenpistolen sondern auch der Hungerstreik, wenn sie in Haft kommen. Es ist also eine Fortsetzung des Kampfes gegen den Rechtsstaat den wir auch als beamtete Ärzte mit zu vertreten haben, mit anderen Mitteln. Das möchte ich einmal ganz klar sagen. Ich meine auch sagen zu müssen, wenn jemand anderer Auffassung sein sollte, hat meines Erachtens [2113] als beamteter Arzt im Dienste des Staates, bezahlt von den Steuergeldern unserer Bürger, nichts zu suchen. Da muß er die Konsequenzen ziehen. Dies hier ist ein Kampf und die Fortsetzung eines Kampfes den wir mit zu vertreten haben. Ich wiederhol das noch einmal. Dieser Vollzugsarzt definiert seine Funktion gegenüber Gefangenen folgendermaßen. Er sagt, dies ist ein Kampf und die Fortsetzung eines Kampfes, den wir mit zu vertreten haben. Das sind die Ärzte, von denen die Bundesanwaltschaft natürlich gerne möchte, daß sie uns traktieren können, möglicherweise noch mit unserer Einwilligung. Aber ich stelle dazu noch einmal fest, wir lehnen das ab und wir werden uns auch in Zukunft von Vollzugsärzten nicht behandeln lassen
Vors.:
Der Senat wird sich zur Beratung zurückziehen. Wir müssen einige Auskünfte wohl einholen. Es wird also etwas längere Zeit in Anspruch nehmen. Die Angeklagten sind zurückzubringen.
Das Gericht zog sich um 9.56 Uhr zur Beratung zurück.
Ende von Band 98
[2114] Nach Wiedereintritt des Senats um 11.17 Uhr wurde die Hauptverhandlung wie folgt fortgesetzt:
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft erscheinen nunmehr[g] in folgender Besetzung: Bundesanwalt Dr. Wunder, Regierungsdirektor Widera, Staatsanwalt Holland.
RA. Künzel war nicht mehr[h] anwesend.
Vors.:
Es ist folgender Beschluß zu verkünden. Ich sehe, Herr Rechtsanwalt Künzel ist nicht anwesend. Aber die Verteidigung ist ja gewährleistet. Folgender Beschluß ist zu verkünden:
Die Verhandlung wird fortgesetzt. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, daß die Angeklagten verhandlungsfähig sind ...
- Pfiff eines Besuchers im Zuschauerraum. -
... na ja, wir hoffen, daß sich das nicht wiederholt.
Die bisherigen Untersuchungen der beteiligten Ärzte haben nichts Gegenteiliges erbracht. Soweit im Zwischenbescheid der Internisten vom 30.7.1975 von einem Zeitraum von 2 bis 3 Wochen die Rede ist, handelte es sich um eine Überbrückungszeit bis zur Fortsetzung der Untersuchungen. Die Untersuchungen werden nunmehr fortgesetzt. Ein weiterer Zwischenbescheid ist bis morgen zu erwarten. Professor Dr. Müller hat bestätigt, daß der im Zwischenbescheid genannte Zeitraum jedenfalls den heutigen Tag noch einschließt. Dabei sind die Internisten bei der Benennung dieses Zeitraums von einer durchgehenden Verhandlung ausgegangen. In Wirklichkeit war die letzte Woche verhandlungsfrei. Daß die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, beruht auf dem Verhalten der Angeklagten. Durch Beschluß vom 18.7.1975 hat der Senat die Sachverständigen bestellt. Schon am 19.7.1975 suchten die Internisten die Angeklagten auf, doch gestatteten diese keine Untersuchung. Eine erste internistische Untersuchung war deshalb erst am 26.7.1975 möglich. Als Professor Dr. Müller noch vor seinem Urlaub am 31.7.1975 ein EKG abnehmen wollte, lehnten die Angeklagten dies ab. Diese [2115] Untersuchung kann deshalb erst jetzt stattfinden. Auf eine psychiatrische Untersuchung haben sich die Angeklagten bisher nicht eingelassen, obwohl auch diese Sachverständigen schon am 18.7.1975 benannt worden waren. Selbst Professor Dr. Rasch, der auf eigenen Wunsch der Angeklagten am 29.7.1975 zusätzlich bestallt wurde, haben die Angeklagten bis heute im Ungewissen gelassen, ob er mit ihnen auch nur sprechen kann. Wer sich so verhält, zeigt, daß er selbst keine akuten Bedenken gegen seine Verhandlungsfähigkeit hat. Einer Entscheidung über eine ärztliche Behandlung der Angeklagten bedarf es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Auch der Antrag auf Beiziehung eines Anstaltsarztes hat sich durch die telefonische Auskunft von Professor Dr. Müller erledigt. Der Senat möchte, das gehört nicht mehr zur Begründung, keine Zweifel daran lassen, daß er sich durch die Androhung der Verteidiger, an dem Verfahren bis zum Abschluß der Untersuchungen möglicherweise nicht mehr teilzunehmen, bei seinen Entscheidungen nicht beeinflussen läßt. Es ist dabei der Hinweis geboten, daß es natürlich nicht ohne Konsequenzen für das Verfahren bleiben könnte, wenn sich Pflichtverteidiger gerichtlichen Entscheidungen nicht beugen.[26]
Wir können damit mit der Sitzung fortfahren und kommen zur Personenvernehmung von Herrn Baader.
RA Sch[ily]:
Herr Vorsitzender, ich habe zunächst eine Frage an den Senat, ob Sie auch mit Herrn Professor Schröder Kontakt aufgenommen haben. Sie haben also erwähnt, einen Telefonanruf, ein Telefongespräch mit Professor Müller, und gibt es darüber einen Vermerk, dann würde ich beantragen, den Vermerk einmal in Augenschein, also lesen zu können, und im übrigen die Frage, ob Sie auch mit Herrn Professor Schröder Verbindung aufgenommen haben?
Vors.:
Ja, die Dauer dieser Beratungspause beruht weitgehend darauf, daß sich Herr Müller und Herr Schröder gegenseitig verständigt haben. Daß sie sich auch über die Fortsetzung der Verhandlung ... der Untersuchungen verständigt haben. Es ist also so, daß uns Herr Professor Dr. Müller das bekanntgab, was [i] auch im Einvernehmen mit Professor Schröder zu sagen ist.
[2116] RA Sch[ily]:
Ja, Sie haben doch, wenn ich das richtig in der Begründung gehört habe, gemeint, Herr Professor Müller habe erklärt, diese Frist von 2 bis 3 Wochen umfasse noch den heutigen Verhandlungstag.
Vors.:
Ja. Mit der Begründung, sie hätten sich am Dienstag vor drei Wochen getroffen und damit sei noch einbezogen auch der Dienstag, der heutige Tag.
RA Sch[ily]:
Und ist das, diese Erklärung, auch im Namen von Herrn Professor Schröder abgegeben worden.
Vors.:
Nach Besprechung mit Professor Schröder.
RA Sch[ily]:
Dann bitte ich um eine Pause im Hinblick auf diese Mitteilung, die Sie uns eben gegeben haben[j] dazu brauche ich also etwa 6 Minuten Pause.
Vors.:
Gut, die Pause wird genehmigt.
Pause von 11.23 Uhr bis 11.30 Uhr.
Vors.:
Wir können, nehme ich an, fortsetzen. Herr RA. Dr. Heldmann.
RA Dr. H[eldmann]:
Ich bitte um eine Richtigstellung zum Senatsbeschluß, ja. Die von Ihnen wiedergegebene Äußerung des Internisten Müller entspricht nicht seinem Brieftext vom 30.7., der sich auf eine Konsultation der beiden Internisten am 29.7. bezogen hat. Es ist also eine gewaltsame Interpretation zu sagen, der heutige Tag jedenfalls sei noch gedeckt. 2. Gedeckt nämlich von der Aussage noch verhandlungsfähig. 2. Kein Wort hat der Senatsbeschluß darüber verloren, wann denn die Untersuchungen fortgesetzt und nunmehr hin zu der Beantwortung der vom Gericht, dem Sachverständigen gestellten Frage beendet werden würden. Kein Wort darüber. Statt dessen das Diktat vom Richtertisch, der Senat hält an seiner Auffassung fest, daß die Angeklagten verhandlungsfähig sind. Natürlich, [2117] nur kann ich Ihnen dann die Frage nicht ersparen, warum haben Sie eigentlich erst an Ärzte hier scheinbare Rollen verteilt, wenn es der Senat doch bereits weiß? 3. Morgen seien weitere Überbrückungsbescheide[k] zu erwarten. Mit Überbrückungsbescheiden ist zu Beginn des 3. Monats oder sogar mitten im 3. Monat der Hauptverhandlung nun nicht weiter getan, das haben wir schon oft genug gesagt, das tun wir nicht heute zum ersten Mal. Was wir brauchen, ist die Ausräumung des Zweifels, daß die Angeklagten verhandlungsfähig und damit verteidigungsfähig sind. 4. Sie haben das Argument einfließen lassen, ob es das Ihre war, ob es das der Internisten war, scharf herauszuhören war es nicht ganz, in der letzten Woche sei doch verhandlungsfrei gewesen und infolgedessen könne hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit die letzte Woche hinsichtlich der von den Internisten genannten 3 Wochen-Frist außer Betracht bleiben. Tatsache hingegen ist, daß die Verteidiger, alle Verteidiger, erst durch die Beobachtungen in der letzten Woche, ich selbst bin am Freitag in Stammheim gewesen, vergangenen Freitag, zu der Auffassung gekommen bin, daß es unverantwortlich ist, die Verhandlung vor Beantwortung der Frage der Verhandlungsfähigkeit fortzusetzen, denn gerade in der letzten Woche, die dem Senat und anderen Prozeßbeteiligten möglicherweise der Erholung im Freien gedient haben mag, gerade in der letzten Woche hat sich das gesundheitliche Befinden der Angeklagten rapide weiter verschlechtert, und in der letzten Woche nämlich am, das ist der Datum vom 17. gewesen, ist mein Mandant Baader schließlich bei einem Untergewicht von 50 Pfund angekommen [l]. Sie haben weiter gesagt, die Angeklagten hätten sich selbst, durch ihr Verhalten nämlich, zuzuschreiben, daß das erwünschte Gutachten noch nicht vorliege[m], denn so zum Beispiel am 19.7. bereits hätten die Internisten mit den Untersuchungen beginnen wollen. Diese Behauptung ist falsch. Am 19.7. haben die Internisten Müller und Schröder mit den Angeklagten ein Kontaktgespräch geführt und während dieses Kontaktgesprächs die erste internistische Untersuchung für den 26.7. vereinbart. Am 29.7., am Tag, an dem Professor Schröder [2118] in Urlaub gegangen ist, ist zwar ein EKG vorgesehen gewesen, jedoch haben die behandelnden[n] Ärzte den Angeklagten selbst geraten, die EKG-Untersuchung bis nach ihrer, der Ärzte, Urlaub zurückzustellen, weil nämlich die EKG-Befunde in der Zwischenzeit doch nicht ausgewertet werden könnten. Sie haben behauptet, in Ihrem soeben verkündeten Beschluß, Professor Rasch hätten die Angeklagten bis heute im Unklaren darüber gelassen, ob sie überhaupt sich zu einer Untersuchung durch ihn bereit fanden. Diese Behauptung ist falsch. Die Angeklagten haben von Anfang an erklärt, daß sie, und zwar ohne eine zeitliche Befristung, Bedingung, ohne also Aufschub, zu dem Gespräch mit Professor Rasch bereit sind. Ich habe im Namen der Verteidigung folgendes zu erklären. Es ist ...
Vors.:
Wollen Sie einen Antrag stellen, oder ist das eine Gegenvorstellung,[27] weil für Erklärungen ist jetzt kein Raum.
RA Dr. H[eldmann]:
Herr Vorsitzender, ich habe bisher keine Gegenvorstellung noch einen Antrag vorgetragen, sondern ich habe richtiggestellt, und jetzt gebe ich für die Verteidiger noch eine Erklärung ab ...
Vors.:
Nein, ich kann Ihnen für Erklärungen jetzt keinen Raum geben, wir haben jetzt ein Verfahrensstadium, wo keine Erklärungen prozessual vorgesehen sind,[28] verbunden mit Gegenvorstellungen, Anträgen, ja. Das ...
RA Dr. H[eldmann]:
Sollte - ...
Vors.:
... das haben wir bisher immer entgegengenommen, Herr Rechtsanwalt.
RA Dr. H[eldmann]:
Herr Vorsitzender, sollten sich die Verteidiger nach Ihrem Vorbild richten und Erklärungen vielleicht konkludent abgeben.
Vors.:
Das stelle ich anheim. Abgesehen davon, ich meine, ich müßte mich ja mit Ihrer Richtigstellung in den Einzelpunkten aus- [2119] einandersetzen, was soll die Erklärung, das tun wir nicht. Ich kann zum Beispiel schon den letzten Punkt aufgreifen, die Herren RAe Schily und Herr v[on] Plottnitz waren noch am letzten Tag, bevor die Pause eintrat, bei mir im Zimmer; wir haben darüber gesprochen, wann Herr Professor Rasch Bescheid bekommen würde, ob er kommen kann oder nicht; da wurde ausdrücklich vereinbart, erst nach dieser Prozeßpause, die heute zu Ende geht, würden wir die entsprechenden Erklärungen der Angeklagten bekommen können, weil die sich noch nicht schlüssig seien. So könnte man zu jedem Punkte was sagen. Aber das wollen wir jetzt im einzelnen nicht tun. Herr Rechtsanwalt, Frage, wollen Sie ...
RA Dr. H[eldmann]:
Wenn es dem Verfahrensfortgang hilft, dann folgende zwei Punkte noch. Nennen Sie es Gegenvorstellungen, wenn es dem Verfahrensfortgang helfen sollte nach Ihrer Auffassung.
Vors.:
Nein, es ist prozessual korrekt, nur aus diesem Grunde ist es von uns gewünscht.
RA Dr. H[eldmann]:
Wir begründen also nach dem, was ich soeben gesagt habe, diese Gegenvorstellung damit, daß der Senat sehenden Auges auch im 3. Verhandlungsmonat dieser Hauptverhandlung die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten oder ihre[o] zumindest zeitlich beschränkte[p] Verhandlungsfähigkeit in Kauf nimmt. Das bedeutet, in Kauf nimmt mit verteidigungsunfähigen Angeklagten hier zu verhandeln und daß er etwa das bei ihm Liegende ausdrücklich unterlassen hat, nämlich die Haftbedingungen so zu gestalten, daß von daher, von den Umweltbedingungen her, eine Besserung im Befinden der Angeklagten hätte eintreten können.[29] Bis die Gutachten über die Verhandlungsfähigkeit nicht vorliegen werden, werden Angeklagte und Verteidiger nicht weiter verhandeln, und am Rande noch weise ich abermals darauf hin, daß die Verteidigung für die Angeklagten trotz Ihres Stillschweigens, zunächst negativen Beschlusses, darauf besteht, daß endlich behandelnde Ärzte des Vertrauens der Angeklagten und zwar unverzüglich herangezogen werden.
[2120] Vors.:
Herr RA. Schily.
RA Sch[ily]:
Ich darf zunächst einmal auf Ihre Erklärung eingehen, hinsichtlich des Gespräches in der letzten Verhandlungswoche, also der vorigen Woche, vorausgehenden Woche, ist richtig, daß wir Ihnen gegenüber erklärt haben, der Kollege v[on] Plottnitz und ich, daß die Angeklagten nur beabsichtigen, innerhalb der Hauptverhandlung eine Erklärung abzugeben, ob sie eine Untersuchung durch Herrn Professor Dr. Rasch akzeptieren. Das ist aber eben ein Unterschied. Zu der Frage eines Vorgespräches, ob ein Vorgespräch stattfindet dazu, sind die Angeklagten jederzeit bereit gewesen, um einmal mit Herrn Professor Rasch überhaupt eine Klärung herbeizuführen, nach welchen Kriterien [q] solche Untersuchungen überhaupt möglich sein könnten. Das Beispiel mit Herrn Professor Mende lehrt ja, daß ein solches Gespräch, das ja dann eben auch die Entscheidung beschleunigen würde, ob man den Sachverständigen akzeptieren kann oder nicht, daß ein solches Gespräch durchaus nicht verweigert wird. Man kann sich natürlich die Frage stellen, wenn jetzt hier eine solche nachträgliche, etwas gewaltsame Interpretation der Frist vorgenommen wird, wie das zu beurteilen ist, aber morgen, selbst am morgigen Verhandlungstag werden [r] Ergebnisse, die in irgendeiner Weise eine verläßliche Beurteilung des Zustandes der Angeklagten erlauben, nicht vorliegen. So habe ich doch die Mitteilung sicherlich richtig verstanden. Und wenn die Verteidigung ihre Aufgaben wahrnehmen will, pflichtgemäß wahrnehmen will, dann kann sie einfach auf diese Frage nicht verzichten, auf diese Erklärung nicht verzichten, und ich schließe mich der Erklärung des Kollegen Dr. Heldmann an, daß wir solange, ich betone solange, hier nicht weiter verhandeln werden, bis die Ergebnisse der Sachverständigen, mindestens die Ergebnisse der internistischen Untersuchungen vorliegen. Das ist keine Drohung, sondern das ist eine Konsequenz der Tatsache, daß ein Verteidiger seinen Aufgaben nur dann nachkommen kann, wenn sein Mandant in seiner Leistungsfähigkeit in [2121] körperlicher und psychischer Hinsicht so ausgerüstet ist, daß er den Mindeststandard hier, der für eine Verhandlung notwendig ist, erfüllen kann, und die Konsequenz ist deshalb ganz eindeutig, daß wir, wie gesagt, für diesen Zeitraum, in dem die, diese Ergebnisse noch nicht auf dem Tisch liegen, daß wir in diesem Zeitraum dann nicht weiterverhandeln können.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, ich möchte dazu Ihnen folgendes sagen, da ich davon ausgehe, daß es Ihnen wirklich um diese Frage speziell allein geht. Selbstverständlich haben wir gefragt, ob die bisherigen Ergebnisse irgendwelche Bedenken gegen unsere Auffassung von der Verhandlungsfähigkeit erbringen. Das soll ja aber das Ergebnis einer schriftlichen Äußerung dieser Sachverständigen sein, die telefonische Auskunft lautete nein. Es sollen heute noch, es soll heute noch das EKG nachgeholt werden ...
[2122] RA Sch[ily]:
Ja, das versteh ich nicht.
Vors.:
Also morgen früh beabsichtigen die Ärzte nochmals mit den Angeklagten zu sprechen. Das möchte ich hier jetzt bekanntgeben. Wir wollten das ursprünglich nicht hier in der Verhandlung noch zur Sprache bringen. Aber bevor ein weiterer Zwischenbescheid ergeht, selbstverständlich kommen noch weitere Ergebnisse hinzu. Die bisherigen Ergebnisse stützen unsere Auffassung, daß keine Bedenken bestehen.
RA Sch[ily]:
Ja aber die Ergebnisse, das kann doch, da ist doch offenbar, die Herrn waren ja auch im Urlaub, hat sich doch offenbar überhaupt nichts geändert. Auch an, sagen wir mal an Erkenntnismaterial. Und ich verstehe eigentlich den Senat nicht, warum die Frage also jetzt an der Frage zugespitzt werden soll, zumal es offenbar nur darum geht, zunächst einmal bis morgen zu klären, wenn da also vielleicht neue Ergebnisse vorliegen, das EKG heute gemacht wird. Sie sagen, es soll noch eine Exploration stattfinden. Bitte dann kann man, und dann eine vorläufige Auswertung, dann wäre es natürlich nützlich, daß auch die Verteidiger dann vielleicht einmal, wir können ja nicht mit Herrn Professor Müller und Herrn Professor Schröder, ich habe jedenfalls nicht die Absicht, mit ihnen zu telefonieren, da würde ich es doch für nützlich halten, daß auch die Herrn hier mal erscheinen würden, damit also alle sich einmal mit den Herrn beschäftigen können und nicht also wir darauf angewiesen sind, auf das Telefongespräch, die Mitteilung über Telefongespräche, die der Herr Vorsitzende mit den Herrn geführt hat, bitte, dann kann man weitersehen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, ich habe das nur deswegen eingeführt, um Ihren Entschluß, bzw. das, was Sie als Ankündigung bezeichnen, vielleicht in den richtigen Weg zu lenken. Es wäre nicht gut, ich habe es Ihnen angedeutet, wenn hier nun die Verteidigung eine Haltung einnehmen würde, die sich mit den prozessualen Anforderungen, die an Pflichtverteidiger zu stellen sind, nicht vereinbaren lassen.
RA Sch[ily]:
Herr Vorsitzender, ich kann dazu nur sagen ...
[2123] - Rechtsanwalt Dr. Heldmann spricht dazwischen -
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, ich habe Ihnen jetzt das Wort nicht ... Ich bin im Augenblick im Gespräch mit Herrn Rechtsanwalt Schily.
RA Sch[ily]:
... an einen Pflichtverteidiger ist, daß er nur verteidigt, wenn die Mindestvoraussetzungen vorhanden sind. Und wenn das nicht geklärt ist, bitteschön, wenn Sie das meinen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, wir wollen uns einmal grundsätzlich über diesen Sprachgebrauch einigen. Sie meinen immer, Sie vertreten die Mindestanforderung, die an ein Verfahren zu stellen sind. Wir stellen nicht nur Mindestanforderungen, wir stellen die vollen Anforderungen, die an ein Verfahren zu stellen sind. Hier in diesem Senat. Auch wenn das von Ihrer Seite immer wieder in Zweifel gezogen wird. Das ist Ihr gutes Recht, das in Zweifel zu ziehen. Aber ich versichere Ihnen, daß es so ist.
Angekl. R[aspe]:
Das steht in Ihrem Beschluß, den Sie rausgaben.
RA Sch[ily]:
Herr Vorsitzender, wissen Sie, darüber brauchen wir uns jetzt wirklich nicht zu unterhalten. Für mich, da haben wir ja nun wirklich genügend ...
Vors.:
Verschiedene Auffassungen. Ich würde aber jetzt bitten, Anträge zu stellen ...
RA Sch[ily]:
... dazu vorgetragen, aber daß die Verhandlungsfähigkeit nun ein wirkliches Minimum dessen ist, was man überhaupt für ein rechtstaatliches Verfahren als Voraussetzung haben kann, das ist für uns die Frage. Und wie gesagt, bis das geklärt ist, werden wir an der Verhandlung nicht teilnehmen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, die Konsequenzen müssen Sie dann tragen.
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Ich habe mich auch den Gegenvorstellungen zunächst anzuschließen und zwar für den Herrn Raspe. Ich möchte auch noch mal eingehen, auf das, was hier im Zusammenhang mit der angeblichen Drohung der [2124] Verteidigung in der Äußerung des Vorsitzenden des Senates gesagt worden ist. Um das noch einmal klipp und klar zu sagen: Wir drohen hier nicht, wir haben jedoch keinerlei Anlaß, uns hier dem Anschein auszusetzen, als ob wir im Zusammenhang mit der Frage der Verhandlungsfähigkeit uns als eine Art Winkeladvokaten hier verhalten, die sich dann von der Bundesanwaltschaft gegenüber den Vorwurf gefallen lassen müssen, es ginge uns darum, das Verfahren zu verschleppen. Wir haben Sie in der Begründung des Unterbrechungsantrags eindringlichst darauf hingewiesen, daß es ein Vorgang, der wirklich in der Geschichte der Nachkriegszeit ohne Beispiel sein dürfte, ist, daß seit sechs Wochen, daß seit nunmehr 6 Wochen, nämlich seit dem 8.7.1975, manifeste Zweifel am Ob und Ausmaß der Verhandlungsfähigkeit der Mandanten bestehen und daß so getan worden ist, daß mit der Fiktion dieser Verhandlungsfähigkeit weiter operiert worden ist, obwohl selbst der Senat sich dazu verstanden hat, dann schließlich am 18.7.1975 ein Sachverständigengremium eben zur gutachterlichen Äußerung zu dieser Frage zu berufen. Das normalste der Welt wäre es gewesen und das was nach der Strafprozeßordnung unerläßlich gewesen wäre, überhaupt erst mit der Hauptverhandlung fortzusetzen, wenn diese Frage definitiv geklärt ist. Was jetzt geschehen soll, das hat der Senat klargestellt, es soll wiederum mit Provisorien gearbeitet werden, es soll wiederum mit sogenannten Zwischenbescheiden gearbeitet werden, mit anderen Worten, es soll weiterhin mit der Fiktion einer Verhandlungsfähigkeit gearbeitet werden. Wieso würden denn Ärzte einen Bescheid als Zwischenbescheid bezeichnen, wenn sie nicht selbst damit die Einschränkung verbinden würden, daß sie definitive Äußerung zum Ob und Ausmaß der Verhandlungsfähigkeit noch nicht machen könnten?
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, darf ich Ihnen dazu zur Unterstützung noch sagen. Die Internisten werden natürlich ihre Ergebnisse fest berichten können. Das ist ganz klar. Wenn von Zwischenbescheid die Rede war, so war das aus unserer Sicht das Zusammenwirken der psychiatrischen Untersuchung und der Internistischen und des HNO Arztes, nichtwahr. Das ist damit gemeint, daß die Internisten zu einem Abschlußergebnis kommen können, was Ihre Untersuchung erbringt; das dürfte wohl klar sein.
[2125] RA v[on ]P[lottnitz]:
Bleibt die Tatsache, daß die Verteidigung hier auf telefonische Auskünfte, die sie zu überprüfen überhaupt nicht in der Lage ist, verwiesen wird. Daß der Senat sich sogar wehrt bis zum morgigen Zeitpunkt, bis zu dem Zeitpunkt also, wo wir dann feststellen könnten im Rahmen einer nach dem Unmittelbarkeitsprinzip übrigens gebotenen Anhörung dieses Sachverständigen, ob es sich um einen Zwischenbescheid handelt oder um eine definitive Begutachtung. Ich gehe nach wie vor davon aus, daß hier mit der Fiktion der Verhandlungsfähigkeit gearbeitet werden soll. Als Pflichtverteidiger ist natürlich meine Aufgabe, mich an derartigen Operationen nicht zu beteiligen und die Maßnahme, die hier angekündigt worden ist, die ich auch für mich persönlich hier erkläre, von der würde ich mich auch nicht abbringen lassen, durch das was Sie hier als Konsequenzen gemeint haben.
Vors.:
Sie müssen es wissen.
RA R[iedel]:
Ich schließe mich den abgegebenen Erklärungen ebenfalls an. Es mag einsehen wer will, ich jedenfalls kann es nicht einsehen, warum das Gericht mit Gewalt und das muß man betonen, mit Gewalt heute verhandeln will, obwohl der Senat selbst ankündigt, daß morgen unter Umständen Material zur Verfügung steht, daß eine genauere Beurteilung zuläßt. Ich jedenfalls kann nicht gegen den Willen der Mandantin mich der Gewalt des Gerichts anschließen. Ich erkläre auch, daß ich die Konsequenzen ziehen muß, die angekündigt worden sind.
Vors.:
Bitte, die Bundesanwaltschaft.
BA Dr. W[under]:
Die Ausführungen, daß die Herrn Verteidiger vor dem Vorliegen der Gutachten nicht weiter verhandeln werden, sprechen deutlich für sich, nachdem es hier ganz offensichtlich nur noch um einen einzigen Tag der Überbrückung geht. Es ist durch die fernmündliche Rücksprache des Herrn Vorsitzenden mit einem der Gutachtern geklärt, daß derzeit kein Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit besteht. Ich beantrage daher die Zurückweisung der Gegenvorstellungen aus den überzeugenden Gründen des verkündeten Senatsbeschlusses und den ergänzenden Erklärungen des Herrn [2126] Vorsitzenden.
Vors.:
Wir werden dann die Sitzung um 14.00 Uhr fortsetzen.
Der Senat zog sich um 11.50 Uhr zur Beratung zurück.
[2127] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.05 Uhr.
Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung[s] wie am 1. Verhandlungstag.
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
Just. Sekr. Janetzko,
Just. Ass. z. A. Clemens.
Die Angeklagten sind anwesend mit ihren Verteidigern:
Rechtsanwälte Schily, Becker, Dr. Heldmann, Riedel, v[on] Plottnitz, Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Herzberg (in Untervollmacht für RA Schlaegel), König, Linke, Grigat.
Vors.:
Ich bitte, Platz zu behalten, soweit jemand aufgestanden ist. Es hat auch in dieser Beziehung Zuhörer und Beteiligte gegeben, die das gemacht haben, wobei ich nochmals wiederholen darf: Der Senat legt nur zu Beginn des Sitzungstages auf diese Form einen gewissen Wert.
Es ist zunächst der Beschluß, d. h. die Entscheidung bekanntzugeben, die auf die Gegenvorstellungen ergangen ist.
Sie lautet:
Die Gegenvorstellungen gegen den Beschluß, die Verhandlung fortzusetzen, werden zurückgewiesen
Daß die Verhandlungsfähigkeit Prozeßvoraussetzung ist, versteht sich von selbst. Eines besonderen Hinweises bedarf es dazu nicht. Diese Prozeßvoraussetzung liegt bei den Angeklagten jedoch vor, wie der Senat in dem beanstandeten Beschluß dargelegt hat. Diese Auffassung stützt sich u. a. auf die heutige Auskunft des Sachverst. Dr. Müller, daß jedenfalls auch am heutigen Tag aus ärztlicher Sicht verhandelt werden kann.
Die zur Gegenvorstellung aufgestellten Behauptungen treffen nicht zu.
[2128] So haben z. B. die Internisten am 20.7.1975 entgegen den Darlegungen des RA Dr. Heldmann mitgeteilt; Zitat:
„Die Angeklagten konnten sich nicht dazu entschließen, uns, wie es für eine ordnungsgemäße internmedizinische Untersuchung notwendig ist, ihre gesundheitliche Vorgeschichte und ihre Beschwerden zu schildern und eine körperliche Untersuchung zuzulassen.“
Die Behauptung, die Angeklagten seien stets zu einem Gespräch mit Prof. Rasch bereit gewesen, ist ebenfalls unzutreffend. Bei dem Gespräch zwischen den Verteidigern und dem Vorsitzenden stand die Frage im Mittelpunkt, welche Antwort dem Sachverst. auf seine Anfrage vom 4.8.1975 gegeben werden könne. Darin hatte Prof. Rasch ausgeführt:
„Wie ich in dem Telefongespräch mit dem Herrn Vorsitzenden Richter am 28.7.75 dargelegt habe, kann ich den Gutachterauftrag nur ausführen, wenn die Angeklagten mit der Untersuchung einverstanden sind bzw. bereit, bei der Untersuchung mitzuwirken. Ich bitte, zu klären, ob wenigstens im Grundsätzlichen diese Bereitschaft besteht. Da ich derzeit terminlich sehr stark belastet bin, möchte ich mir ersparen, vergeblich nach Stuttgart zu reisen.“
Der Bescheid der Verteidiger nach Rücksprache mit den Angeklagten lautete:
Eine Antwort, ob eine Reise Prof. Rasch’s nach Stuttgart Sinn habe, könne erst in der heutigen Sitzung erwartet werden.
Soweit wieder einmal geltend gemacht wird, die Angeklagten seien einer deprivierenden Isolationshaft unterworfen, kann nunmehr zusätzlich zu den schon in früheren Senatsbeschlüssen getroffenen Feststellungen auch auf die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 30.5.1975[30] verwiesen werden, die auf Beschwerden von Andreas Baader, Holger Meins, Ulrike Meinhof und Wolfgang Grundmann ergangen ist. Darin heißt es u. a.:
[2129] „Mit Bezug auf die Behauptung der Beschwerdeführer, daß sie als „politische Gefangene“ der Isolationsfolter unterworfen seien, erkennt die Kommission vor allem, daß nach der unangefochtenen Darstellung der beklagten Regierung allen Beschwerdeführern schwere Straftaten, einschließlich Mord, Mordversuch, Raub und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung zur Last gelegt sind. Die Beschwerdeführer befinden sich deshalb nicht wegen ihrer politischen Überzeugung in Haft, sondern weil sie gemeingefährlicher Straftaten verdächtig sind. Aus diesem Grunde können sie nicht als politische Gefangene betrachtet werden.“
- und die Kommission ist ferner der Auffassung, -
„... daß die im vorliegenden Fall angeordneten Beschränkungen
- gemeint sind hier Haftbeschränkungen -
der durch Art. 9 und Art. 10 der Konvention garantierten Rechte zulässige Maßnahmen sind, die zur Verteidigung (Aufrechterhaltung) der Ordnung und Verhinderung von strafbaren Handlungen im Sinne der Absätze 2 von Art. 8 und 10 notwendig waren. Die Prüfung der eingereichten Beschwerden durch die Kommission läßt aus den oben angeführten Gründen nicht den Anschein einer Verletzung der Art. drei
- das betrifft die körperliche Unversehrtheit; Verbot seelischer und körperlicher Mißhandlung -
sechs
- das betrifft die Unschuldsvermutung -
acht
das betrifft die Achtung vor dem Privatleben und Postverkehr -
oder zehn
- das betrifft die Meinungsfreiheit -
der Konvention erkennen. Daraus folgt, daß die Beschwerde im Sinne von Art. 27 Absatz 2 der Konvention offensichtlich unbegründet ist.
Aus diesen Gründen erklärt die Kommission die Beschwerde für unzulässig.“
[2130] Wir setzen somit die Verhandlung fort.
Ich darf feststellen zunächst, daß Herr RA Peter Herzberg wieder anwesend ist. Entsprechend dem Antrag von Herrn RA Schlaegel
genehmige ich Ihre Anwesenheit als Vertreter[31] für Herrn Schlaegel während dessen Urlaubsabwesenheit.
Das gilt ja wohl im Augenblick nur für diese Woche. Uns ist schriftlich zugesichert, daß Sie eingearbeitet seien in die Akten, die ja in Ihrem Büro vorhanden sind und auch den Gang der Verhandlung aus den Protokollen kennen.
RA Herzberg:
Ja.
Siehe Anl. 1 zum Protokoll.
RA Sch[ily]:
Darf ich fragen, wann die Sachverst. heute erwartet werden?
Vors.:
Was verstehen Sie unter den Herrn Sachverst., die erwartet werden?
RA Schily unverständlich.
Vors.:
Die Sachverst. werden ihre Untersuchungen, wie ich heute früh bereits mitgeteilt habe, zum Abschluß bringen in absehbarer Zeit. Sie werden uns dann einen schriftlichen Bescheid geben; von dem schriftlichen Bescheid werden Sie Kenntnis erlangen, und es wird sich zeigen, ob es erforderlich ist, da wir uns hier im Wege des Freibeweises[32] unsere Grundlagen verschaffen über die Vorstellungen hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit, daß diese Sachverst. hier noch mündlich gehört werden. Der Senat ist sich darüber in keiner Weise schlüssig, ob das geschehen muß. Zunächst einmal erwartet er wie gesagt einen schriftlichen Abschlußbericht der untersuchenden Ärzte.
[2131][33] [2132] RA Sch[ily]:
Ich stelle den Antrag:
mir bekanntzugeben, wann das schriftliche Gutachten vorliegt;
und zu diesem Zeitpunkt werde ich mich dann hier wieder einfinden.
Vors.: (Zu dem seine Unterlagen zusammenpackenden Rechtsanwalt)
Augenblick, Herr Rechtsanwalt.
Es scheint so, daß die übrigen Herrn Rechtsanwälte dieselbe Stellung einnehmen oder täusche ich mich, Herr RA v[on] Plottnitz?
Ich möchte dann nur ein Wort noch dazu sagen. Deswegen würde ich Sie bitten, vielleicht noch so lange zuzuwarten.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Ja, ich möchte den Antrag ergänzen, und zwar dahingehend ergänzen, daß natürlich die Anhörung der Sachverst. in öffentlicher Sitzung erfolgen muß. Alles andere würde dem Unmittelbarkeitsprinzip[34] widersprechen, und ich möchte insoweit bitten, also hier Mitteilung zu geben, wann die Sachverst. hier in öffentlicher Sitzung ein definitives Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit abgeben werden. Ich werde dann wieder pünktlich hier sein.
Vors.:
Will sich einer der übrigen Herrn Verteidiger noch äußern?
Das wäre also Herr RA Schily und Herr RA v[on] Plottnitz. Sie wollen die Sitzung verlassen?
Sämtliche vier Angeklagte stehen auf, packen ihre Unterlagen zusammen und drängen aus der Anklagebank.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Ich habe eine kurze Erklärung dazu, Herr Vorsitzender:
Wir haben gesagt heute früh, und wir haben das nicht ohne Grund gesagt, daß wir nicht in der Lage sind, zu verteidigen, solange unter der Fiktion, unter der Fiktion eine Verhandlungsfähigkeit hier weiterverhandelt werden soll. [2133] Das haben wir ernst gemeint. Wir werden hier erst wieder verteidigen, wenn nicht mit Provisorien gearbeitet wird, sondern auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse.
Beifall im Saal.
Vors.:
Ich bitte im Saal um Ruhe. Wenn Sie der Verhandlung weiterfolgen wollen, dann bitte ich Sie, das zu unterlassen. Ich darf auf folgende Konsequenz hinweisen oder Konsequenzen, die denkbar sind, die die Herrn Verteidiger natürlich auch voraussehen:
Die Verhandlung wird fortgeführt, auch wenn Sie abwesend sind.[35]
Rechtsanwältin Becker und Rechtsanwalt Schily stehen auf, packen ihre Unterlagen zusammen und bleiben vor der Verteidigerbank stehen.
Das zweite:
Es muß natürlich dann, wenn Sie sich beharrlich weigern, Ihrer Pflichtverteidigung hier nachzukommen, auch gedacht werden, ob die Pflichtverteidigung aufrechterhalten werden kann.[36]
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Von beharrlicher Weigerung kann hier nicht die geringste Rede sein. Wir weigern uns beharrlich, solange die Frage der Verhandlungsfähigkeit nicht geklärt ist.
Vors.:
Herr RA v[on] Plottnitz, das wird sich zeigen, wie lange das dauert.
Ich weise Sie nochmals nachdrücklichst darauf hin, daß laut ärztlicher Auskunft, die wir heute früh eingeholt haben, völlig ohne unser Zutun nur auf die Frage hin, ob die angegebenen Fristen eine Verhandlungsmöglichkeit heute noch zulassen, die Antwort gegeben wurde:
Es ist so aufzufassen, daß der heutige Tag zumindest noch inbegriffen ist.
Das heißt, im Gegensatz zu Ihrer Auffassung ist es nicht so, daß eine Frist, die es hier übrigens gar nicht gegeben [2134] hat - es ist ja keine gesetzliche Frist - abgelaufen gewesen wäre. Sie entziehen sich Ihrer Verteidigung obwohl ärztlicherseits ausdrücklich bestätigt worden ist, daß heute verhandelt werden kann. Bitte seien Sie sich dessen bewußt.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Den Verteidigern ist das nie bestätigt worden.
RA Sch[ily]:
Wir haben noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, Herrn Prof. Müller auch nur ein Wort zu fragen. Ich versteh das auch nicht. Mit Herrn Dr. Henck ist das so gemacht worden; mit Herrn Prof. Rauschke. Wir konnten die beiden Herrn noch nicht mal ...
RA v[on] Plottnitz steht auf, packt seine Unterlagen zusammen und bleibt vor der Verteidigerbank stehen.
Vors.:
Protokoll mitschreiben.
RA Sch[ily]:
... ein Telefongespräch. Ich stelle anheim, so zu verfahren.
Vors.:
Herr RA Dr. Heldmann.
Ich bitte die Protokollführer, die Vorgänge, die außerhalb des Gesprochenen vorgehen, genau festzuhalten.
RA Schily verläßt um 14.17 Uhr den Sitzungssaal.
Also im Augenblick scheint, daß Herr RA Schily den Saal verläßt.
RA Dr. He[ldmann]:
Zur Sache.
Vors.:
Frau RAin Becker das gleiche. Herr RA v[on] Plottnitz ebenfalls. Herr RA Riedel ebenfalls.
Die RAe Becker, v[on] Plottnitz und Riedel verlassen ebenfalls um 14.17 Uhr den Sitzungssaal.
Einige Prozeßbesucher stehen auf und bleiben vor der Ausgangstür stehen.
[2135] RA Dr. He[ldmann]:
Zur Sache habe ich bereits alles gesagt.
Ich verwahre mich gegen Ihre Vorhaltung, wir verletzten Verteidigerpflichten. Ich halte entgegen:
Wir nehmen Verteidigerpflichten ernst, wo wir uns wehren, mit Angeklagten verhandeln zu lassen, die möglicherweise - wo[t] nicht voraussehbar - verhandlungsunfähig sind. Das ist unsere Verteidigerpflicht.
Ich schließe daran die Bitte an den Senat, mich zu benachrichtigen, sobald
1. die Gutachten vorliegen und
2. die Anhörung der Sachverst. in der Hauptverhandlung stattfindet.
RA Dr. Heldmann verläßt um 14.18 Uhr den Sitzungssaal.
Vors.:
Herr RA Dr. Heldmann verläßt ebenfalls den Saal.
Die Angeklagten stehen. Was soll das bedeuten?
Angekl. Ra[spe]:
Daß Sie uns ausschließen sollen.
Vors.:
Herr RA Dr. Heldmann, wir wollen, daß das keine Konfusion gibt. Ich möchte mich jetzt noch mit den Angeklagten befassen. Sie haben den Wunsch, ausgeschlossen zu werden oder?
Angekl. Baa[der]:
Ganz richtig, ja.
Vors.:
Sie wissen, daß der Angeklagte und das Gericht die Pflicht hat, für die Anwesenheit der Angeklagten zu sorgen.[37]
Angekl. Baa[der]:
Ja, was heißt das?
Vors.:
Sie sollen sich setzen ...
Alle vier Angeklagte bleiben trotz Aufforderung des Vorsitzenden weiterhin stehen.
[2136] und an der Verhandlung weiterhin teilnehmen.
Angekl. Baa[der]:
Nein. Wir werden nicht weiter an der Verhandlung jetzt teilnehmen. Lassen Sie uns ausschließen.
Vors.:
Wenn Sie hier weiterhin stehenbleiben in dieser Form und nicht[u] bereit sind ...
Angekl. Baa[der]:
Ja was wollen Sie denn? Daß wir hier rumbrüllen oder was? Lassen Sie doch diese albernen ...
Vors.:
Sie sollen sich setzen und an der Verhandlung in Ruhe teilnehmen.
Angekl. Baa[der]:
Wir werden an der Verhandlung nicht teilnehmen.
Vors.:
Herr Baader, Sie haben das erklärt. Sie weigern sich, sich zu setzen.
Angekl. Ra[spe]:
Wollen Sie erreichen, daß wir hier formal stören sollen oder was soll das.
Vors.:
Herr Raspe erklärt dasselbe. Ich muß Sie beide ...
Angekl. Me[inhof] und Enss[lin]:
Schließen Sie uns aus.
Vors.:
Frau Ensslin, Frau Meinhof, das gleiche.
Ich muß Sie darauf hinweisen, daß das, was Sie jetzt machen, eine Störung der Hauptverhandlung ist. Wenn Sie das fortsetzen, müssen Sie ausgeschlossen werden.[38]
Angekl. Baa[der]:
Ja, hoffentlich.
Ja mach schon, alter Affe!
Vors.:
Gilt das für alle Beteiligten?
Angekl. Enss[lin]:
Ja.
[2137] Vors.:
Sie weigern sich also, hierzubleiben?
Geheime Senatsumfrage.
Vors. (zu den an der Ausgangstür stehenden Prozeßbesuchern):
Das Publikum soll sich entweder setzen oder den Saal verlassen. Hier gibt es kein Stehen.
Angekl. Baa[der]:
Ja was denn nun?
Vors.: (zum Publikum)[v]
Nehmen Sie bitte Platz.
Oder lassen Sie das Publikum rausgehen aus dem Saal. (zum Wachpersonal)
Ein am Ausgang stehender Prozeßbesucher:
Es geht darum, daß hier draußen ...
Vors.:
Wir haben jetzt mit dem Publikum keine Diskussion.
Derselbe am Ausgang stehende Prozeßbesucher:
... ohne daß vom Vorsitzenden dieses Strafsenats eine Störung ...
Vors.:
Ich bitte, diese Leute aus dem Saal gehen zu lassen, wenn sie wollen. Wenn sie sich nicht setzen, werden die Leute aus dem Saal entfernt werden müssen.
Die am Ausgang stehenden Prozeßbesucher verlassen daraufhin den Sitzungssaal.
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Die Angeklagten werden für die heutige Sitzung ausgeschlossen.
Sie weigern sich, sich zu setzen, geordnet an der Verhandlung teilzunehmen. Sie haben auf Hinweis, daß sie ausgeschlossen werden müßten bei Fortsetzung dieses Verhaltens erwidert: „Mach schon.“ Alle haben sich angeschlossen. Erklärungen, die klar erkennen lassen, daß sie nicht bereit sind, sich weiterhin an der Verhandlung geordnet zu beteiligen. Bitte die Angeklagten abzuführen. Ich bitte, die Angeklagten aber in den Zellen zu belassen, also in den Vorführzellen im [2138] Hause; nicht zurückzubringen.
Alle vier Angeklagten werden um 14.20 Uhr aus dem Sitzungssaal abgeführt.
Vors. (nach geheimer Senatsumfrage):
Will die Bundesanwaltschaft zu der jetzt entstandenen Situation eine Erklärung bzw. einen Antrag stellen?
BA Dr. Wu[nder]:
Ich beantrage:
die Verhandlung ohne die Pflichtverteidiger, die sich entfernt haben, fortzuführen.
Die Angeklagten sind auch ohne diese ordnungsgemäß durch die weiteren Herrn Anwälte verteidigt.
Wenn sich Verteidiger entfernen, ist dies von der Sache her zu bedauern, letztlich aber ihre Angelegenheit, die sie zu vertreten haben.
Nach der Darstellung des Herrn Vorsitzenden über sein Gespräch mit einem der Gutachter haben sie keinen berechtigten Anlaß zu ihrem Verhalten. Sie zeigen sich nicht imstande und willens, ihren Pflichten als vom Gericht bestellte Verteidiger nachzukommen, so daß ich den Antrag stellen muß:
die Rechtsanwälte v[on] Plottnitz, Riedel, Dr. Heldmann und Schily sowie Frau Rechtsanwältin Becker als Verteidiger der Angeklagten zu entpflichten.
Ich bitte, zur Vernehmung zur Person zu schreiten, die auch in Abwesenheit der Angeklagten erfolgen kann.
Vors.:
Der Senat will sich über den Antrag, die Verteidiger zu entpflichten, kurz unterhalten.
Ganz kurze Pause.
Pause von 14.22 Uhr bis 14.32 Uhr.
Ende von Band 101.
[2139] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.32 Uhr
Vors.:
Wir setzen die Sitzung fort. Zunächst möchte ich bekanntgeben, daß die Entscheidung über den Antrag, die Verteidiger zu entpflichten, außerhalb der Hauptverhandlung ergehen wird.[39]
Wir beabsichtigen, nun mit der Verhandlung fortzufahren und zwar ...
Sind Sie bloß noch allein da oder ... (zu den Vollzugsbeamten) Die übrigen Herren sind drüben ja, ist gut.
Danach teilt der Vorsitzende folgende Senatsentscheidung mit:
Der Senat geht davon aus, daß die Störung der Ordnung durch die Angeklagten nach wie vor fortdauert, so daß der Ausschluß der Angeklagten auch nach wie vor wirksam ist.
Da wir aber jetzt zur Phase zur Vernehmung zur Person kommen, glauben wir, daß der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ein so überragendes Interesse hat, daß wir dazu die Angeklagten wieder vorführen lassen und zwar einzeln.
Die Verfahren brauchen nicht abgetrennt werden, sondern wir können beginnen zunächst mit dem einem, dem anderen, weil ja alle an sich noch ausgeschlossen sind. Und wir werden dann den Angeklagten die Gelegenheit geben, sich zur Person zu äußern. Wo das nicht geschehen sollte, so könnte dann, oder müßte dann zur Verlesung der Anklage geschritten werden.
Deswegen bitte ich zunächst den Angeklagten Raspe vorzuführen. Wielange wird das etwa dauern? Notfalls mit Gewalt, das läßt sich nicht umgehen.
Unruhe im Saal
Ich bitte die Herrn, die von Ordnungskräften hier sind, den Zuschauerraum genau im Auge zu behalten, damit wir die Störer nachher kennen. Wenn irgendwelche weiteren Störungen stattfinden, bitte ich mir die betreffenden Störer zu bezeichnen, damit die entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden können.
[2140] - Der Angeklagte Raspe wurde um 14.36 Uhr wieder in den Sitzungssaal vorgeführt, in dem er von 2 Beamten festgehalten werden mußte -
Vors.:
Bitte, nehmen Sie Platz.
Angekl. R[aspe]:
Ich nehme nicht Platz.
Vors.:
Dann darf ich Sie auf folgendes hinweisen. Wir beabsichtigen, jetzt zur Vernehmung zur Person zu kommen.
Angekl. R[aspe]:
Ja, das interessiert mich nicht.
Vors.:
Sie haben die Gelegenheit ...
Angekl. R[aspe]: (Anfang unverständlich)
... mir mal zu erklären ...
Vors.:
Sie haben jetzt die Gelegenheit - hören Sie mal bitte zu -
Angekl. R[aspe]:
Ach hören Sie auf.
Vors.:
Sie haben jetzt Gelegenheit sich zu äußern, zu Ihrer Person. Wenn Sie das nicht tun, ist die Konsequenz, daß wir in der Verhandlung fortschreiten müssen. Wir werden dieselbe Frage an alle anderen Angeklagten richten und daß es[w] dann zur Verlesung der Anklage kommt und dann nur noch übrigbleibt, daß Sie sich zur Sache im Rahmen natürlich auch der Sachvernehmung zur Person äußern können. Aber die Verhandlung können Sie durch dieses Verhalten nicht aufhalten.
Angekl. R[aspe]:
Ich habe hier nur zu erklären, daß ich hier hochgeschleppt worden bin ...
Vors.:
Würden Sie freundlicherweise ein Mikrophon benützen.
Angekl. R[aspe]:
Ich habe Ihnen im Augenblick nur zu erklären, daß ich gewaltsam hochgeschleppt worden bin ...
[2141] Vors.:
Das ist ausdrücklich notwendig, wenn Sie nicht bereit sind, freiwillig mitzugehen.
Angekl. R[aspe]:
... bevor, ausdrücklich, bevor ich überhaupt dazu eine Erklärung abgegeben habe unten, das ist der erste Punkt. Und der zweite Punkt ist der, daß ich unter den Bedingungen, die dieser Senat in den 3 Monaten Hauptverhandlung jetzt und in seinen Beschlüssen, seit er zuständig ist, hergestellt hat und wie sie sich hier in diesem Tag heute und in den Entscheidungen heute, die der Senat getroffen hat, und mit den Begründungen heute einen konzentrierten Ausdruck finden, daß ich unter diesen Bedingungen, ganz abgesehen davon, daß wir also jedenfalls ohnehin nicht in der Form uns zur Person erklären, wie dieses Gericht das vielleicht erwartet, keine Erklärung zur Person abgebe.
Vors.:
Ja. Wir haben keine bestimmten Erwartungen, in welcher Form Sie sich erklären wollen. Sie wollen also auf keinen Fall sich zur Person äußern?
Angekl. R[aspe]:
Ich habe das eben gesagt, was ich dazu zu sagen habe. Unter diesen Bedingungen ...
Vors.:
Herr Raspe ...
Angekl. R[aspe]:
... werde ich keine Erklärung zur Person abgeben.
Vors.:
... dann nehmen Sie Platz. Wir werden dann ...
Angekl. R[aspe]:
Nein, ich gehe jetzt wieder runter und Sie werden natürlich das Schauspiel nochmal durchziehen ...
- Der Angeklagte Raspe klopft mehrmals auf die Anklagebank -
Vors.:
Herr Raspe, ich wäre dankbar, wenn Sie das Mikrophon benützen würden, sonst versteht man Sie schlecht. Was sagten Sie eben?
Angekl. R[aspe]:
Naja, Sie haben mich natürlich ganz genau verstanden. Ich nehme nicht Platz und Sie werden mich jetzt wieder runterschaffen und wenn Sie das nicht von vornherein machen ... [2142] ...dann werden Sie also hier nochmal, nochmal so ein Schauspiel haben können.
Vors.:
Sie sind jetzt durch diese Vorführung wieder zugelassen und haben das Recht hierzubleiben. Damit ist ihr Ausschluß von vorhin rückgängig gemacht.
Angekl. R[aspe]:
Naja, es ist fein, die Rechte, auf die Sie hinweisen.
Vors.:
Sie haben auch die Pflicht, hier zu bleiben, als Angeklagter.
Angekl. R[aspe]:
Also, ich gehe jetzt runter und wenn Sie also, wenn Sie es nicht von sich aus machen, daß Sie mich ausschließen wieder, dann werde ich hier eben irgendwie über die Brüstung steigen.
Vors.:
Nehmen Sie ruhig Platz, Herr Raspe.
Angekl. R[aspe]:
Nein, also Sie machen es nicht.
Vors.:
Sie wollen es nicht tun.
- Der Angeklagte Raspe drängt aus der Anklagebank und muß vom Wachpersonal daran gehindert werden, den Saal zu verlassen -
Vors.:
Ich stelle fest, daß der Angeklagte sich ...
Angekl. R[aspe]:
Wollen Sie denn das hier haben? Verdammt noch mal!
Vors.:
Es geht nicht um die Frage des Wollens ...
Angekl. R[aspe]:
Arschloch.
Vors.:
... Herr Raspe, was ich will ist, daß Sie möglichst an der Verhandlung teilnehmen ...
Angekl. R.:
Ich will jetzt ausgeschlossen werden.
[2143] Vors.:
Ich stelle fest, daß der Angeklagte weder bereit ist, sich zu setzen, noch bereit ist, in der Bank der Angeklagten zu bleiben, daß er sich nach außen gedrängt hat, gegen die Wachtmeister, auf den Tisch klopft und sagt, „ich will ausgeschlossen werden, verdammt noch mal.“
Vors. (nach geheimer Umfrage) verkündet den Beschluß:
Der Senat schließt Sie erneut von der heutigen Sitzung aus.
Der Angeklagte ist aus den eben angegebenen Gründen abzuführen, da er trotz Abmahnung nicht bereit war, geordnet an der Verhandlung teilzunehmen.
Ich bitte dann zugleich Frau Meinhof vorzuführen.
- Der Angeklagte Raspe wurde um 14.40 Uhr wieder aus dem Sitzungssaal abgeführt -
Vors.:
Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.
BA Dr. W[under]:
Darf ich nicht anregen, jetzt vielleicht gleich die Personalien von Herrn Raspe aus der Anklageschrift zu verlesen.
Vors.:
Das würden wir gern, wenn die Vorführungen insgesamt abgeschlossen sind, in einem Zuge machen.
Der Senat hat, sofern es notwendig wird im Lauf der Verhandlung, natürlich die Absicht, zu der Person auch Beweise zu erheben. Über die Identität der Angeklagten sind wir uns ja im Klaren.[40] Das geschah schon durch den Anhörungstermin, ich glaube vom 12. Februar dieses Jahres, so daß der Senat alle Ermittlungen, die zur Person zu machen sind, zurückstellen möchte ans Ende der Beweisaufnahme. Wir wollen nicht in der Personengeschichte herumwühlen, bevor nicht sich die Notwendigkeit dafür abzeichnet. Deswegen erscheint es uns an sich nicht sehr zweckmäßig jetzt über das hinaus, daß wir den Angeklagten Gelegenheit geben, sich zu äußern, etwas zu tun.
Herr Bundesanwalt Widera.
[2144] Reg. Dir. W[idera]:
Wir haben lediglich gemeint, daß die Daten über das Leben der Angeklagten und Haftdauer und solche Dinge aus den Ermittlungen im Vorverfahren hier eingeführt werden könnten und dann aus Zweckmäßigkeitsgründen ...
Vors.:
Ich denke bei der Verlesung der Anklage wird das automatisch zu machen sein. Das ist ja derselbe Satz. Das kann ja durch Sie praktisch miteingeführt werden.
Die Angeklagte Meinhof wurde um 14.43 Uhr von vier Beamten an Händen und Füßen in den Sitzungssaal getragen.
Vors.:
Bitte, Frau Meinhof zu setzen.
- Die Angeklagte Meinhof blieb während der ganzen Vernehmung stehen -
Vors.:
Frau Meinhof, bitte nehmen Sie Platz.
Angekl. M[einhof]:
Ich denke nicht daran.
Vors.:
Sie denken nicht daran.
Würden Sie, Frau Meinhof, Augenblick. Würden Sie wenigstens das Mikrophon benutzen, damit wir verstehen, was Sie zu sagen haben.
Ich muß Sie zunächst darauf hinweisen, daß in Ihrer Abwesenheit Herr Raspe vorgeführt wurde und ihm wurde genau dasselbe gesagt, was ich Ihnen jetzt sage, so daß ...
Angekl. M[einhof]:
Ich will das gar nicht[x] hören. Ich bin nicht in der Lage, mich zu verteidigen und kann natürlich auch nicht verteidigt werden.
Vors.:
Ja, hören Sie jetzt aber zunächst mal zu, bevor Sie mit Ihrer Argumentation kommen.
Frau Meinhof, zunächst mal die Frage: Ist es richtig, daß Sie [2145] bis heute früh um 5.30 Uhr mit der Schreibmaschine gearbeitet haben?
Angekl. M[einhof]:
Was?
Vors.:
Daß Sie bis heute morgen ...
Angekl. M[einhof]:
Ich habe gesagt, daß ich nicht in der Lage bin ...
Vors.:
... um halb sechs geschrieben haben.
Angekl. M[einhof]:
Ich hab gesagt, daß ich nicht in der Lage bin, mich zu verteidigen ...
Vors.:
Ja nun, wenn Sie bis halb sechs Uhr heute früh geschrieben haben, ist das richtig?
Angekl. M[einhof]:
Was soll das denn?
Vors.:
Bitte?
[Angekl. Meinhof:]
Was soll das denn?
Vors.:
Ja können Sie uns die Frage beantworten?
Nun, Frau Meinhof, hören Sie also zu, es geht um folgendes: Wir haben jetzt Ihren Ausschluß rückgängig gemacht und zwar deswegen, weil wir zur Vernehmung zur Person kommen und Ihnen hiermit die Gelegenheit geben, das wurde eben auch Herrn Raspe gesagt ...
Angekl. M[einhof]:
Unter diesen Umständen natürlich nicht.
Vors.:
... sich zur Person zu äußern.
- Die Angeklagte Meinhof drängt wiederholt aus der Anklagebank und muß vom Wachpersonal am Verlassen des Saales gehindert werden -
[2146] Vors.:
Wollen Sie sich zur Person äußern?
Angekl. M[einhof]:
Unter diesen Umständen äußere ich mich nicht zur Person.
Vors.: (zu den Protokollf.)
Kommt das mit auf das Protokoll?
Frau Meinhof, Sie haben, nach dem dieser Ausschluß rückgängig gemacht worden ist, die Pflicht ...
Angekl. M[einhof]:
Also jetzt hör doch auf, ich will ja wieder gehen.
Vors.:
... hierzubleiben. Was sagten Sie eben?
Angekl. M[einhof]:
Ich will gehen.
Vors.:
Sie wollen gehen.
Angekl. M[einhof]:
Ja.
Vors.:
Aber sie haben die Pflicht als Angeklagte hierzubleiben. Sie müssen der Verhandlung folgen. Sie wissen ganz genau ...
Angekl. M[einhof]:
Ich laß mich doch nicht zwingen, Du Arschloch.
Vors.:
Frau Meinhof, ich stelle fest, daß Sie mich eben mit „Arschloch“, mit „Du Arschloch“ angesprochen haben ...
Angekl. M[einhof]:
Nimmst Du vielleicht mal zur Kenntnis ...
Vors.:
Sie wissen zu welchen Konsequenzen das führen kann.
Nach geheimer Beratung wird folgender Beschluß verkündet:
Die Angeklagte wird für den heutigen Verhandlungstag ausgeschlossen, weil sie den Vorsitzenden „Du Arschloch“ genannt hat.
Sie hat sich geweigert sich zur Person zu äußern.
- Die Angeklagte Meinhof wurde um 14.45 Uhr wieder aus dem Sitzungssaal geführt -
[2147] Vors.:
Bitte Herrn Baader.
Daß Frau Meinhof sich auch geweigert hat sich zu setzen, daß sie auch immer wieder aus der Anklagebank drängte, daß muß also mitaufgenommen werden für das Protokoll. Sich zur Person zu äußern, gehört natürlich nicht zur Beschlußbegründung beim Ausschluß, sondern ist nur eine Feststellung, daß keine Vernehmung möglich war.
- Der Angeklagte Baader wurde um 14.47 Uhr in den Sitzungssaal vorgeführt. Er blieb ebenfalls während der ganzen Vernehmung stehen -
Vors.:
Herr Baader, bitte nehmen Sie Platz und bedienen sich vor allen Dingen des Mikrophons.
Ich habe Sie darüber zu belehren, was in Ihrer Abwesenheit geschehen ist.[41] Gleichzeitig ist es eine Unterrichtung darüber, was jetzt vor sich geht, für Sie persönlich.
Frau Meinhof und Herr Raspe wurden auch einzeln vorgeführt. Es ist ihnen gesagt worden, wie das jetzt auch für Sie gilt, daß zwar die Ordnungsstörungen, die Sie begangen haben nach Auffassung des Senats, an sich fortdauert, daß wir aber diesen Ausschluß rückgängig machen mit Rücksicht darauf, daß wir jetzt in die Phase der Vernehmung zur Person eintreten. Und es erscheint uns im Hinblick auf das Gewicht des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs von überragendem Interesse, daß Sie die Möglichkeit haben, sich jetzt zur Person zu äußern.
Angekl. B[aader]:
Das entdecken Sie auch erst seit, nach 3 Monaten.
Vors.:
Ich darf Sie noch darauf hinweisen, daß Herr Raspe und Frau Meinhof, nach dem sie hier sich[y] wieder der Ungebühr schuldig gemacht haben, wieder ausgeschlossen worden sind.
Angekl. B[aader]:
Naja, ich sage Ihnen kurz, ich bin der Ansicht, daß Sie[z] in diesem Verfahren den Begriff der Person überhaupt nicht mehr legitim [2148] einsetzen können, denn was ihn kennzeichnet, den Begriff der Rechtsperson, eine Vermittlung zwischen Staat und Gesellschaft oder zwischen Gesellschaft und Staat, das[aa] sind seine Rechte. Und die elementaren Grundrechte der Person verletzen Sie in diesem Verfahren permanent. Ich würde mich zur Person äußern, wahrscheinlich jeder von uns, aber unter diesen Bedingungen ist es unmöglich. Ich kann mich hier nicht verteidigen im Moment, und ich bin auch nicht verteidigt.[42] Also schließen Sie mich aus.
Vors.:
Das heißt, Sie weigern sich, sich zur Person zu äußern?
Angekl. B[aader]:
Das haben Sie doch wohl verstanden?
Vors.:
Ja, so haben es auch Herr Raspe und Frau Meinhof gemacht. Trotzdem haben Sie jetzt, nach dem dieser Ausschluß rückgängig gemacht worden ist, die Pflicht, als Angeklagter wieder anwesend zu sein und das Gericht die Pflicht, für Ihre Anwesenheit zu sorgen.
Ich bitte ...
Angekl. B[aader]:
Ja, schließen Sie mich aus.
Vors.:
Ich bitte nunmehr Frau Ensslin vorzuführen.
- Der Angeklagte drängt an der Anklagebank und muß von dem Wachpersonal am Verlassen des Sitzungssaal gehindert werden -
Vors.:
Was ist Herr Baader, wollen Sie nicht [bb] teilnehmen.
Angekl. B[aader]:
Nein, ich will nicht hierbleiben, natürlich nicht.
Vors.:
Ja, das ist aber keine Frage Ihres Willens.
Angekl. B[aader]:
Ja, was erwarten Sie jetzt von mir?
Vors.:
Ich erwarte, daß Sie hier ...
[2149] Angekl. B[aader]:
Ich sage Ihnen, daß ich ausgeschlossen werden will ...
Vors.:
... daß Sie hier ordentlich ...
Angekl. B[aader]:
... und daß ich diese Verhandlung, so lästig das ist, stören werde, bis Sie mich ausschließen, genügt Ihnen das?
Vors.:
Das heißt also, Sie wollen dieser Verhandlung nicht geordnet teilnehmen?
Angekl. B[aader]:
Nein.
Vors.:
Herr Baader, ich bitte Sie nochmals, nehmen Sie Platz und bleiben Sie im Sitzungssaal.
Angekl. B[aader]:
Ich nehme nicht Platz, schließen Sie mich ...
Vors.:
Dann müssen Sie eben der Verhandlung im Stehen folgen.
Angekl. B[aader]:
Nein, aber jetzt schließen Sie mich doch gefälligst aus.
Vors.:
Herr Baader, das ist keine Frage Ihres Wunsches.
Angekl. B[aader]:
Dann legen Sie doch bitte mal einen Katalog von Störungen fest, oder muß ich Sie erst mal beschimpfen. Das fällt mir sehr schwer.
Vors.:
Ich bitte jetzt, soweit Sie frei sind, die Herrn, Frau Ensslin vorzuführen.
Angekl. B[aader]:
Das heißt, Sie wollen mich zwingen, hier zu bleiben?
Vors.:
Ich muß Sie zwingen, nicht ich „will“ Sie zwingen, sondern Sie sind verpflichtet hier zu bleiben.
Angekl. B[aader]:
Na, was erwarten Sie, wollen Sie Beschimpfungen provozieren, oder was?
[2150] Vors.:
Ich will gar nichts provozieren. Mir ist sympathischer, wenn Sie keine Beschimpfungen aussprechen.
Angekl. B[aader]:
Naja, dann schließen Sie mich doch aus. Ich sage Ihnen, ich werde ...
Vors.:
Das ist keine Frage Ihres Wunsches und keine Frage unseres Wollens.
Angekl. B[aader]:
Ich werde die Verhandlung stören. Das ist doch ein ganz dreckiges Manöver, was Sie hier machen.
Vors.:
Das ist kein dreckiges Manöver. Es legt mir die Prozeßordnung die Pflicht auf, mich so zu verhalten, wie ich es tue.
Angekl. B[aader]:
Ja, was wollen Sie. Wollen Sie unbedingt, daß es hier zu physischer Gewalt kommt, oder was?
Vors.:
Sie sollen sich setzen und geordnet teilnehmen.
Angekl. B[aader]:
Das was Sie provozieren ... Ich werde mich nicht setzen, ich werde nicht geordnet an der Verhandlung teilnehmen.
Vors.:
Gut, dann müssen Sie eben im Stehen an der Verhandlung teilnehmen.
Angekl. B[aader]:
Naja, das ist doch ein ganz dreckiger, ein ganz dreckiger Versuch hier. Sie haben die anderen beiden auch ausgeschlossen und Sie werden mich auch ausschließen müssen.
Vors.:
Herr Baader, wenn Sie in dieser Weise fortfahren von „dreckigen Versuchen“ zu[cc] sprechen außerdem durch Ihr Stehen und so weiter die Verhandlung zu stören ...
Angekl. B[aader]:
Es ist eine dreckige Manipulation, daß Sie[dd] mich hier zwingen, ver- [2151] dammt noch mal, fünf Minuten lang darauf[ee] zu beharren, daß Sie mich endlich ausschließen. Ich will hier raus, sehr einfach.
Vors.:
Es ist ... Es ist keine Frage Ihres persönlichen Wunsches. Sie haben die Pflicht, als Angeklagter hierzubleiben.
Angekl. B[aader]:
Naja schön ... Naja, dann machen Sie eben diese lächerliche Prozedur. Ich werde stören, solange ich hier drin bin.
Vors.:
Bis jetzt stören Sie noch nicht.
Angekl. B[aader]:
Na schön ...
Vors.:
Sie können auch im Stehen mit solchen Erklärungen an der Verhandlung teilnehmen. Wenn’s dann störend wird, dann werden wir schon weitersehen, aber jedenfalls weise ich Sie darauf hin, daß wissen Sie ja, im Falle von Störungen müßten Sie erneut ausgeschlossen werden.
Angekl. B[aader]:
Naja, ich weise Sie darauf hin, Prinzing, daß Sie mich jetzt ausschließen werden, sonst sehe ich mich gezwungen, Sie zu beschimpfen, so wirklich [ff] lapidar das ist.
Vors.:
Herr Baader ...
Angekl. B[aader]:
Ja wollen Sie es unbedingt hören? Also Sie können das hören, Sie können das in verschiedener Form haben.
Vors.:
Ich will es nicht hören.
Angekl. B[aader]:
Naja, Sie können auch von mir hören, daß Sie ein faschistisches Arschloch sind.
- Die Angeklagte Ensslin wurde um 14.52 Uhr[gg] in den Sitzungssaal geführt und vom Wachpersonal vor der Anklagebank festgehalten. -
[2152] Vors.:
Aha, ein faschistisches Arschloch.
Angekl. B[aader]:
Schließen Sie mich jetzt aus, ja?
Angekl. E[nsslin]:
Und mich gleich mit, altes Schwein.
Vors.:
Frau Ensslin, ich darf Sie auf folgendes hinweisen - Moment - daß sowohl Herr Raspe wie Frau Meinhof, wie Herr Baader darüber unterrichtet worden sind, daß Sie jetzt unter Aufhebung des vorherigen Ausschlusses die Möglichkeit haben ...
Angekl. B[aader]:
Ich stelle nochmal ausdrücklich fest, Prinzing, Sie sind ein faschistisches altes Arschloch.
Vors.:
Herrn Baader bitte das Wort abzustellen.
(An die Angekl. E[nsslin]): Daß Sie die Gelegenheit haben, sich zur Person zu äußern.
Angekl. E[nsslin]:
Wir sind verteidigungsunfähig, infolge dessen werden wir auch nicht teilnehmen, alte Sau.
Vors.:
Es haben sich die anderen Angeklagten - ja -, Frau Ensslin, es haben sich die anderen Angeklagten geäußert dahin, daß sie sich nicht zur Person einlassen wollen ...
Angekl. E[nsslin]:
Ich habe das eben gesagt ...
Vors.:
Sie haben gestört. Ich habe vernommen, Sie haben mich, glaube ich, eine „alte Sau“, habe ich es richtig gehört? Oder täusche ich mich. Ich möchte das festgestellt haben, trifft es zu? Und, Herr Baader, Sie haben mich ein „faschistisches Arschloch“ geheißen.
Vors.:
Frau Ensslin, an Sie noch das letzte Wort. Wollen Sie sich zur Person äußern?
Angekl. E[nsslin]:
Altes Schwein.
[2153] Vors. (nach geheimer Beratung) verkündet den Beschluß:
Gut. Der Senat hat aufgrund der Äußerungen gegenüber dem Vorsitzenden „faschistisches Arschloch“ ...
Angekl. B[aader]:
Kriegen Sie das Wort noch richtig raus.
Vors.:
... und „alte Sau“ und „altes Schwein“, die Angeklagten wieder von der heutigen Verhandlung ausgeschlossen.
Sie sind abzuführen.
Die Angeklagten können jetzt rübergebracht werden in die Haftanstalt.
- Die Angeklagten Baader und Ensslin wurden um 14.53 Uhr wieder aus dem Sitzungssaal abgeführt. -
Vors.:
Wollen sich die Herren Verteidiger in irgendeiner Weise zu diesem Vorgang äußern?
Ich sehe nicht. Wir können damit zur Verlesung der Anklage kommen.
Dürften wir um eine kurze Pause bitten, weil wir nun durch diese Entwicklung auch etwas überrascht wurden. Wir würden uns gern unsere Exemplare der Anklage beschaffen.
Wir treffen uns wieder um 3.00 Uhr.
- Pause von 14.54 Uhr bis 15.08 Uhr -
Ende Band 102
[2154] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 15.08 Uhr
Vors.:
Bevor ich der Bundesanwaltschaft das Wort erteile zur Verlesung der Anklageschrift wollen wir aus den Akten nur wenige Daten feststellen. Zunächst, daß der Angeklagte Baader die Vornamen Andreas Bernd hat, berufslos ist, geboren am 6. Mai 1943 in München, zuletzt ohne festen Wohnsitz war, deutscher Nationalität und ledig ist. Er befindet sich zur Zeit in Untersuchungshaft in dieser Sache. Die Einzelheiten bezüglich der Haft werden später dann gründlicher festgestellt werden. Die Verhältnisse liegen ja bei allen Angeklagten mit Ausnahme wohl von Herrn Raspe etwas kompliziert.[43] Bei der Angeklagten Ensslin ist festzustellen: Vorname Gudrun, geb. 15.8.1940 in Bartholmä, Kreis Schwäbisch Gmünd, zuletzt ohne festen Wohnsitz, deutsche, ledig, auch in dieser Sache in Untersuchungshaft. Frau Meinhof hat die Vornamen Ulrike Marie, sie ist geboren am 7. Oktober 1934 in Oldenburg, Land Oldenburg also, auch zuletzt ohne festen Wohnsitz, deutsche, geschieden, zur Zeit in Untersuchungshaft in dieser Sache. Herr Raspe heißt mit Vornamen Jan-Carl Stefan, ist von Beruf Diplomsoziologe, geb. am 24.7.1944 in Seefeld/Tirol, war zuletzt ohne festen Wohnsitz, ist Deutscher, ledig, auch in Untersuchungshaft in dieser Sache. Ich darf nun die Bundesanwaltschaft bitten, den Anklagesatz zu verlesen.
BA Dr. W[under]:
Im Strafverfahren gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe wegen Mordes, Vergehens nach § 129 StGB verlese ich den Anklagesatz mit der Maßgabe, daß die Hauptverhandlung im Gegensatz zur Anklageschrift nur mehr gegen die Angeklagten Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe stattfindet.[44]
-Der Vertreter der Bundesanwaltschaft Dr. Wunder verlas den Anklagesatz aus der Anlage 2 zum Protokoll.
Vors.:
Danke. Es bleibt dann festzustellen, daß das Verfahren durch Beschluß vom 4. Februar 1975 eröffnet worden ist.[45] Wir sind damit am Ende der heutigen Sitzung. Die Fortsetzung morgen soll erst um 10.30 Uhr sein aus folgenden Gründen. Zunächst einmal sollen die Herrn Verteidiger, die den Saal verlassen haben, die Sitzung verlassen haben, Gelegenheit haben, sich zu äußern [2155-2166][46] [2167] zu dem Antrag der Bundesanwaltschaft auf Entpflichtung und zwar bis 10 Uhr. Wir sind eben dabei das telefonisch zu bewirken, daß alle Verteidiger davon erfahren. Zugleich soll den Angeklagten, da wir beabsichtigen, morgen die Angeklagten zur Sache zu hören, die Gelegenheit haben, sich mit den Verteidigern, die nicht mehr anwesend sind, vorher zu beraten. Das ist also der Grund, warum wir morgen erst 10.30 Uhr in diesem Saale fortsetzen. Schluß der heutigen Sitzung.
Ende der Sitzung 15.30 Uhr
Ende von Band 103
[1] Eine Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, der zwar nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen, allerdings in Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt ist. Sie beinhaltet die formlose Aufforderung, über eine getroffene Entscheidung erneut zu befinden und die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern (Hoch, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 296 ff. Rn. 39 ff.).
[2] Mit dieser Verfügung wurde die Abänderung einer früheren sitzungspolizeilichen Verfügung abgelehnt, die die Durchsuchung der Verteidiger/innen bei Betreten des Gerichtsgebäudes zum Inhalt hatte (S. 2063 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 25. Verhandlungstag). Zum Antrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann s. S. 2040 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (24. Verhandlungstag).
[3] § 176 StPO lautet: „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.“
[4] § 119 Abs. 3 StPO a.F. lautete: „Dem Verhafteten dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert.“ Zweck der Untersuchungshaft ist die Sicherung des Verfahrens, sodass alle Maßnahmen der Untersuchungshaft hieran auszurichten sind (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 347; Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 448).
[5] § 148 StPO a.F., heute § 148 Abs. 1 StPO, beinhaltet den Grundsatz der freien Verteidigung: „Dem Beschuldigten ist, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet.“ Als Rechtsgrundlage für Durchsuchungen kommt diese Vorschrift damit nicht in Betracht. Allerdings führte der BGH in einem Beschluss aus dem Jahr 1973 aus, dass § 148 StGB einer Durchsuchung vor Betreten einer Haftanstalt immerhin nicht entgegenstehe: „Eine Durchsuchung, die sich darauf beschränkt, zu prüfen, ob der Besucher Waffen oder Werkzeuge mit sich führt, die zu einem Ausbruch aus der Vollzugsanstalt verwendet werden können, beeinträchtigt die Verteidigung aber nicht. Sie kann ohne einen Einblick in die für die Verteidigung in Betracht kommenden Unterlagen vorgenommen werden. Ihre Rechtfertigung kann sie finden sowohl unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Anstaltsordnung wie namentlich unter dem einer Verhinderung von Fluchtvorbereitungen. Danach muß sich ein Verteidiger insoweit wie jeder andere Besucher behandeln lassen und sich den für diesen geltenden Ordnungsmaßnahmen unterwerfen“ (BGH, Beschl. v. 18.7.1973 - Az: 1 BJs 6/71/StB 29/73, NJW 1973, S. 1656, 1657).
[6] Prof. Dr. Mende wurde als Sachverständiger bestellt, um die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten aus psychiatrischer Sicht zu begutachten. Rechtsanwalt Dr. Heldmann beantragte bereits am 19. Verhandlungstag die Neubestellung der psychiatrischen Sachverständigen, zu denen neben Prof. Dr. Mende auch Prof. Dr. Ehrhardt zählte (S. 1505 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Da das Gericht an der Bestellung beider Gutachter festhielt, lehnte Dr. Heldmann sie am 31. Verhandlungstag ab (S. 2548 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Die ergänzende Begründung der Angeklagten dauerte vier Tage (vom 32. bis zum 35. Verhandlungstag, S. 2594 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Das Gericht wies die Ablehnungen schließlich am 35. Verhandlungstag zurück (S. 2898 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).
[7] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO).
[8] Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Die Verhandlungsunfähigkeit bildet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO). Eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit kann durch die Anordnung besonderer Maßnahmen (ärztliche Unterstützung, Einlegung von Erholungspausen o.ä.) begegnet werden (s. dazu auch Rechtsanwalt Dr. Heldmann auf S. 1255 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Bei vorsätzlicher und schuldhafter Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des/der Angeklagten durchgeführt werden (§ 231a StPO).
[9] Mit Beschluss vom 18.7.1975 beauftragte das Gericht eine Kommission aus Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen mit der Begutachtung der Angeklagten im Hinblick auf ihre (möglicherweise eingeschränkte) Verhandlungsfähigkeit. Der Beschluss selbst ist nicht im Protokoll enthalten, vgl. aber den ergänzenden Beschluss in Anlage 2 zum Protokoll vom 29.7.1975 (S. 1570 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 20. Verhandlungstag).
[10] Der Anstaltsarzt Dr. Henck wurde als erster Sachverständiger zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten angehört. Zur Vernehmung des Herrn Dr. Henck s. S. 357 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (5. Verhandlungstag), S. 937 ff. (12. Verhandlungstag) und S. 1725 ff. (21. Verhandlungstag).
[11] Prof. Dr. Rauschke war Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart und ebenfalls beauftragt worden, zur Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten Stellung zu nehmen. Zur Vernehmung des Prof. Dr. Rauschke s. S. 1102 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (14. Verhandlungstag). Eine Untersuchung durch ihn, ebenso wie eine durch den Anstaltsarzt Dr. Henck, lehnten die Angeklagten ab.
[12] Die Internisten Prof. Dr. Müller und Prof. Dr. Schröder gaben in einem am 21. Verhandlungstag eingereichten Zwischenbescheid an, ihrem Eindruck nach sei die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten für die nächsten zwei bis drei Wochen zu bejahen. Eine abschließende Beurteilung stehe noch aus, sei aber vor dem anstehenden Urlaub beider Gutachter nicht mehr zu realisieren (Anlage 3 zum Protokoll vom 30.7.1975, 21. Verhandlungstag, S. 1710 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[13] So Bundesanwalt Dr. Wunder am 21. Verhandlungstag, S. 1719 des Protokolls der Hauptverhandlung.
[14] Für die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ im Rahmen von Verfahrensvoraussetzungen bzw. -hindernissen s. Schäfer und Kohlhaas in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, Einl. Kap. 10, A 7 lit. d bzw. § 206a Anm. 3.
[15] Bis 1963 ging die Rechtsprechung davon aus, der Grundsatz „in dubio pro reo“ gelte nicht bei der Prüfung von Verfahrensvoraussetzungen. In einem Beschluss vom 19.2.1963 stellte der BGH allerdings klar, dass dies nicht für alle Verfahrensvoraussetzungen oder -hindernisse „schablonenhaft“ beantwortet werden könne. Stattdessen sei eine Entscheidung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu treffen (BGH, Beschl. v. 19.2.1963 - Az.: 1 StR 318/62, BGHSt 18, S. 274, 277). Seit 2009 nimmt der BGH für Verfahrensvoraussetzungen grundsätzlich an, dass sie nicht erfüllt seien, wenn Zweifel an ihrem Vorliegen bestünden (und entsprechend ein Verfahrenshindernis immer dann schon anzunehmen sei, wenn es möglicherweise vorliege). Dabei bleibt offen, ob dies durch Anwendung des Zweifelssatzes oder durch die Einordnung der Verfahrensvoraussetzungen als Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachurteils erfolgt (BGH, Urt. v. 30.7.2009, Az.: 3 StR 273/09, NStZ 2010, S. 160 f.); s. auch Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 964 ff.).
[16] Kleinknecht, Strafprozessordnung, 32. Aufl. 1975, § 206a, Anm. 1 D und § 261, Anm. 8 B lit. a.
[17] Eberhard Schmidt war ein Strafrechtswissenschaftler und Rechtshistoriker. Als jüngster Schüler von Franz von Liszt durchlief er nach seiner Habilitation im Jahr 1921 eine erfolgreiche Karriere. Er lehrte Strafrecht, Strafprozessrecht und preußische Rechtsgeschichte unter anderem in Breslau, Kiel, Hamburg, Leipzig und schließlich als Nachfolger Gustav Radbruchs in Heidelberg. Am 11. November 1933 hielt er eine der Ansprachen beim Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat. Von 1939 bis1945 war er zudem nebenamtlich als Militärjurist am Kriegsgerichtsrat in Dresden und Leipzig tätig, bevor er 1945 kurzzeitig in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Nach 1945 beschäftigte er sich auch mit der Rolle des Richters im Rechtsstaat und dem Wiederaufbau der Strafjustiz nach dem nationalsozialistischen Unrechtsregime. Die Stellung der Strafjustiz war für Schmidt dabei der Gradmesser, inwieweit sich ein Staat zum Rechtsstaatsprinzip bekennt. Er betonte, durch seine Erfahrung im Nationalsozialismus den Wert des Rechtsstaats und seine Fragilität verstanden zu haben und wollte sich deshalb mit Wegen beschäftigen, wie dieser effektiv zu schützen sei. Sein heute bekanntestes Werk ist die „Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege“ (Hardenberg, Eberhard Schmidt (1891-1977), 2009, S. 159 ff., 381, 542 ff.; Koch, „Eberhard Schmidt“, in Historische Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften [Hrsg.], Neue Deutsche Biographie, Band 23, 2007, S. 181 f.).
[18] Die Strafprozessordnung unterscheidet zwischen (kürzeren) Unterbrechungen und der Aussetzung des Verfahrens. Während die Unterbrechung der Hauptverhandlung für einen kürzeren Zeitraum (§ 229 Abs. 1 StPO a.F.: zehn Tage; heute: 3 Wochen) durch den/die Vorsitzende/n angeordnet werden kann (§ 228 Abs. 1 Satz 2 StPO), ist für die Entscheidung über die Aussetzung sowie über für bestimmte Situationen vorgesehene längere Unterbrechungen (z.B. nach § 229 Abs. 2 StPO) das Gericht - hier wäre das der Senat in voller Besetzung - zuständig (§ 228 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine Aussetzung hat stets die Folge, dass mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist; gleiches gilt für eine die Frist des § 229 Abs. 1 StPO überschreitende Unterbrechung (§ 229 Abs. 3 Satz 1 StPO a.F.; heute Abs. 4 Satz 1 StPO; s. zu den grundlegenden Unterschieden zwischen Aussetzung und Unterbrechung auch Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 228 Rn. 3 ff.).
[19] Gemeint sein dürfte René Spitz, ein österreichisch-amerikanischer Psychoanalytiker, dessen Schwerpunkt im Bereich der Hospitalismusforschung lag. Dabei konzentrierte er sich überwiegend auf die soziale Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern in Abhängigkeit von der (fehlenden) Beziehung zu ihren Müttern (s. etwa Spitz, The First Year of Life, 1965).
[20] Am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen Irmgard Möller und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Die Anklagevorwürfe betrafen u.a. das Geschehen um die versuchte Festnahme des RAF-Mitglieds Margrit Schiller, in deren Verlauf ein Polizeibeamter erschossen, ein weiterer verletzt wurde. Der getötete Polizeibeamter Norbert Schmid war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Irmgard Möller wurde später mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, Gerhard Müller u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beteiligung an Bombenanschlägen und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29).
[21] Mit Beschluss vom 13.7.1973 gab der Untersuchungsrichter am BGH Knoblich dem Antrag der Bundesanwaltschaft statt, Ulrike Meinhof - notfalls gegen ihren Willen unter Anwendung von Narkose - auf ihre Zurechnungsfähigkeit während der Tatzeit untersuchen zu lassen. Hintergrund war, dass sie sich 1962 aufgrund eines gutartigen Tumors einer Gehirnoperation unterziehen musste, sodass der Verdacht einer Beeinträchtigung durch einen Tumor aufkam. Zu den genehmigten Behandlungen zählten Röntgenaufnahmen und eine Szintigraphie des Gehirns. In einem offenen Brief wandten sich 70 Ärzte und Medizinalassistenten direkt an den Richter am BGH Knoblich mit der Aufforderung, diesen Beschluss aufzuheben (der Brief ist abgedruckt in Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 133 f.). Dies geschah schließlich auch auf Antrag der Bundesanwaltschaft, allerdings mit der Begründung, die Untersuchung sei aufgrund neuer Erkenntnisse überflüssig geworden (so Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 115 f.; s. dazu auch Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1541 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[22] Die inhaftierten RAF-Mitglieder bezeichneten ihre Haftbedingungen als „Isolationsfolter“ (s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere S. 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.). Um ihre Forderungen, u.a. die Zusammenlegung aller RAF-Häftlinge, durchsetzen zu können, traten sie ab 1973 mehrfach in Hungerstreik. Der dritte und längste Hungerstreik dauerte von September 1974 bis Februar 1975. RAF-Mitglied und ursprünglich ebenfalls Beschuldigter im Stammheimer Verfahren Holger Meins überlebte ihn nicht: Im November 1974 starb er an den Folgen der Mangelernährung (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 58).
[23] Während des zweiten Hungerstreiks, in den inhaftierte RAF-Mitglieder von Anfang Mai bis Ende Juni 1973 traten, wurde Andreas Baader, zu dieser Zeit in der JVA Schwalmstadt untergebracht, zeitweise das Trinkwasser entzogen. Auf Nachfrage der Presse bestätigte das hessische Justizministerium dies, wies allerdings darauf hin, dass ihm stattdessen Milch zur Verfügung gestellt werde (Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 171 f.; Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 121).
[24] Gemeint sind Holger Meins, Siegfried Hausner und Katharina Hammerschmid. Siegried Hausner und Holger Meins starben, während sie sich in Untersuchungshaft und damit in Obhut des Staates befanden. Holger Meins, ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.). Siegfried Hausner erlag Verletzungen, die er während der Geiselnahme in der Deutschen Botschaft in Stockholm im April 1975 erlitten hatte (Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80). Auch Katharina Hammerschmidt befand sich zunächst noch in Untersuchungshaft. Dort traten schon bald erste Symptome einer Krebserkrankung auf. Die von Hammerschmidt geäußerten gesundheitlichen Probleme wurden von den Gefängnisärzten aber nur unzureichend untersucht, weshalb der Tumor lange Zeit unerkannt blieb. Aufgrund der fortschreitenden Erkrankung wurde sie im Januar 1974 entlassen und starb schließlich Ende Juni 1975 in West-Berlin (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 196 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 329). Für alle drei Tode machten die Angeklagten staatliche Akteure verantwortlich (s. dazu auch die Ausführungen von Andreas Baader auf S. 586 f., 6. Verhandlungstag). Ein direkter Bezug zu den Ärzten Dr. Henck und Prof. Rauschke ist im Fall Siegfried Hausner gegeben: Noch im Stockholmer Krankenhaus soll eine Schädelfraktur bei ihm festgestellt worden sein, angeblich entstanden durch Polizeigewalt während der Verhaftung Hausners (s. die Ausführungen von Andreas Baader auf S. 1233 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Auch der Anstaltsarzt Dr. Henck soll diese Verletzung in Stuttgart-Stammheim attestiert haben. Bei der späteren Obduktion durch Herrn Prof. Rauschke soll sie hingegen nicht entdeckt worden sein, was durch die Angeklagten als „Unterschlagung“ gewertet wurde; den Tod Hausners bezeichneten sie als Mord (Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1544 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[25] Astrid Proll war seit ihrer Verhaftung im Mai 1971 in der JVA Köln-Ossendorf untergebracht, zunächst im Hafthaus für weibliche erwachsene Gefangene, ab dem 22. November 1971 mehrfach im als „toter Trakt“ bezeichneten isolierten Bereich in der psychiatrischen Frauenabteilung der JVA. Im Herbst 1973 musste das Verfahren gegen Astrid Proll vor dem LG Frankfurt unterbrochen werden. Sie wurde im Februar 1974 wegen Haftunfähigkeit aufgrund ihres sich stark verschlechterten Gesundheitszustandes entlassen (Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 97 ff., 125 f.).
[26] Da die Beiordnung als Pflichtverteidiger/in dem öffentlichen Interesse dient, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242), gehen mit ihr besondere Pflichten einher. Darunter fällt auch die Anwesenheitspflicht während der Hauptverhandlung, und zwar unabhängig davon, ob weitere (Pflicht-)Verteidiger/innen anwesend sind (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 - Az: 2 Ws 203/15, NStZ 2017, S. 436, 437 f.). Über die Gewichtung der Interessen, denen der Beschuldigten und dem Interesse an der Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrens, gab es im Prozess häufige Auseinandersetzung, so etwa an diesem Verhandlungstag (2132 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung), sowie am 41. Verhandlungstag (S. 3176 des Protokolls der Hauptverhandlung). Eine mögliche Konsequenz pflichtwidrigen Verhaltens ist die Zurücknahme der Bestellung als Pflichtverteidiger/in (Entpflichtung). Diese war zwar ausdrücklich nur für den Fall vorgesehen, dass demnächst ein/e andere/r Verteidiger/in gewählt wird und diese/r die Wahl annimmt (§ 143 StPO a.F.; heute: § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO). Überwiegend wurde aber angenommen, dass die Zurücknahme der Bestellung auch über diesen Fall hinaus aus einem wichtigen Grund zulässig ist (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 - Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 244). Als wichtiger Grund wurde auch die grobe Pflichtverletzung nach voriger Abmahnung gesehen; bloßes prozessordnungswidriges oder unzweckmäßiges Verhalten reicht hingegen nicht aus, da es nicht Aufgabe des Gerichts ist, die ordnungsgemäße Erfüllung der Verteidigungspflichten zu überwachen (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 25 ff.; s. auch Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 32. Aufl. 1975, § 143 Anm. 3). Seit dem 13.12.2019 enthält § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO (eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128) ausdrücklich die Möglichkeit der Entpflichtung, wenn „aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist“. Darunter fällt nun auch der Fall der groben Pflichtverletzung (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 26).
[27] S. bereits Fn. 1.
[28] Die Hauptverhandlung befindet sich in diesem Zeitpunkt im Stadium zwischen der Feststellung der Anwesenheit und der Vernehmung der Angeklagten zur Person (§ 243 Abs. 1 und 2 StPO). Dieser Verfahrensabschnitt ist nicht gesondert geregelt und nimmt üblicherweise nur wenig Raum ein. Die Erklärungsrechte der Verteidigung sind nach § 257 Abs. 2 StPO zeitlich und inhaltlich in den Zusammenhang mit vorangegangenen Beweismitteln gestellt.
[29] Der Senat war ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage als Gericht der Hauptsache auch zuständig für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen (§ 126 Abs. 2 StPO).
[30] Abgedruckt in EuGRZ 75, S. 455 ff.
[31] Die Bestellung von Pflichtverteidiger/innen erfolgt nur für die jeweils bestellte Person. Diese kann sich daher grundsätzlich weder durch unterbevollmächtigte, noch durch Rechtsanwält/innen derselben Sozietät vertreten lassen. Ausnahmsweise wird aber im Falle vorübergehender Verhinderung die Vertretung mit Zustimmung des/der Vorsitzenden für zulässig erachtet (KG, Beschl. v. 29.6.2005 - Az.: 5 Ws 164/05, NStZ-RR 2005, S. 327, 328). Anders ist die Situation im Falle einer amtlich bestellten Vertretung: Diese ist gemäß § 53 Abs. 7 BRAO („Dem Vertreter stehen die amtlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zu, den er vertritt.“) befugt, überall dort aufzutreten, wo auch die vertretene Person als Prozessbevollmächtigte/r auftreten könnte. Die Vertretungsbefugnis besteht in diesem Fall auch unabhängig von der Zustimmung des/der Vorsitzenden (Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn. 3554 ff.; Schwärzer, in Weyland [Hrsg.], Bundesrechtsanwaltsordnung, 10. Aufl. 2020, § 53 Rn. 42a).
[32] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166).
[33] Anlage 1 zum Protokoll vom 19.8.1975: Bitte um die Bestellung des Rechtsanwalts Herzberg als Vertreter für Rechtsanwalt Schlaegel.
[34] Der Unmittelbarkeitsgrundsatz findet seine Grundlage in der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO sowie der Vorschrift des § 261 StPO, wonach das Gericht nur auf der Grundlage der von ihm selbst (unmittelbar) in der Hauptverhandlung wahrgenommenen Umstände entscheiden darf (sog. formeller Unmittelbarkeitsgrundsatz, Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn 914). Dieser Grundsatz gilt jedoch nur im sog. Strengbeweisverfahren (auch „förmliche Beweisaufnahme“), das in den §§ 244 bis 256 StPO geregelt ist und Anwendung findet zum Beweis aller Tatsachen, die die Straf- und Schuldfrage betreffen, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe. Für die Frage der Verhandlungsfähigkeit als Prozessvoraussetzung findet jedoch das Freibeweisverfahren (Fn. 30) Anwendung. Einschränkungen ergeben sich hier weder aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, noch aus dem Prinzip der Mündlichkeit (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 16).
[35] In dem hier vorliegenden Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StPO) darf die Hauptverhandlung gegen unverteidigte Angeklagte zwar nicht fortgeführt werden. Den Angeklagten wurden allerdings je zwei Verteidiger (gegen ihren Willen) durch das Gericht als Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet, die weiterhin anwesend waren. Zwischen der Verteidigung und dem Senat bestand Uneinigkeit darüber, ob die Verteidigung durch sie auch ordnungsgemäß sei (s. dazu bereits die Diskussionen am 1. Verhandlungstag, S. 90 ff., sowie den Entpflichtungsantrag der Rechtsanwältin Becker in Anlage 1 zum Protokoll vom 10.06.1975, S. 184 ff., 3. Verhandlungstag). Auch in der Literatur war diese Vorgehensweise - die Beiordnung von Pflichtverteidiger/innen gegen den Willen der Angeklagten neben vorhandenen Wahlverteidiger/innen - lange umstritten (s. dazu Thomas/Kämpfer, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 141 Rn. 6). Die Rechtsprechung lässt diese sog. Sicherungsverteidigung zu (BVerfG, Beschl. v. 28.3.1984 - Az.: 2 BvR 275/83, BVerfGE 66, S. 313, 321; BGH, Urt. v. 11.12.1952 - Az.: 3 StR 396/51, BGHSt 3, S. 395, 398; s. auch EGMR, Urt. v. 25.9.1992 - Az.: 62/1991/314/385, EuGRZ 1992, S. 542, 545 f.). Erst mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2128) wurde hierfür in § 144 StPO auch eine gesetzliche Regelung geschaffen.
[36] Zu den Möglichkeiten der Entpflichtung s. bereits Fn. 24.
[37] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Neben der Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten im Falle ordnungswidrigen Verhaltens (§ 177 GVG i.V.m. § 231b StPO) gibt es in der ersten Instanz allerdings weitere Ausnahmen: § 231 Abs. 2 StPO ermöglicht eine Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten, wenn sie über die Anklage bereits vernommen worden sind, trotz Hinweises in der Ladung auf der Möglichkeit der Verhandlung in Abwesenheit eigenmächtig der Hauptverhandlung fernbleiben und das Gericht die Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Werden nur geringe Strafen erwartet, kann unter bestimmten Voraussetzungen nach § 232 StPO in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt werden, oder sie können nach § 233 StPO auf Antrag vom Erscheinen entbunden werden. Schließlich ist nach § 231a StPO unter bestimmten Voraussetzungen die Verhandlung in Abwesenheit gegen verhandlungsunfähige Angeklagte möglich, die sich selbst vorsätzlich und schuldhaft in diesen Zustand versetzt haben.
[38] § 177 GVG eröffnet die Möglichkeit, Angeklagte wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer zu entfernen. Nach § 231b Abs. 1 StPO kann die Hauptverhandlung sodann in Abwesenheit der Angeklagten fortgeführt werden, wenn das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält und solange weitere schwerwiegende Störungen zu befürchten sind.
[39] Notwendigerweise Gegenstand der Hauptverhandlung ist alles, was der Beantwortung der Schuld- und Straffrage dient, d.h. der Tathergang, die Schuld der/des Angeklagten sowie die Höhe der Strafe, da nur solche Tatsachen zur Begründung des Urteils herangezogen werden dürfen, die (prozessordnungsgemäß) in die Hauptverhandlung eingeführt wurden (§ 261 StPO).
[40] Die Vernehmung der Angeklagten zur Person nach § 243 Abs. 2 StPO dient in erster Linie der Feststellung der Identität, sowie der Klärung weiterer Prozessvoraussetzungen. Verweigern Angeklagte entsprechende Angaben, kann das Gericht die fehlenden Informationen im Wege des Freibeweises (Fn. 30), etwa durch Würdigung des Akteninhalts, feststellen. Darüber hinausgehende Informationen über die persönlichen Verhältnisse, wie das Vorleben, familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse, beruflicher Werdegang etc., gehören zur Vernehmung zur Sache und unterliegen dem Strengbeweis. Fehlende Angaben können insbesondere durch die Vernehmung von Verwandten als Zeug/innen in den Prozess eingeführt werden (Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 243 Rn. 10 ff.).
[41] Nach §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO sind Angeklagte, wenn sie zuvor wegen ordnungswidrigen Verhaltens nach § 177 GVG i.V.m. § 231b StPO ausgeschlossen waren, bei ihrer Rückkehr über den wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in ihrer Abwesenheit verhandelt worden ist.
[42] Die Angeklagten lehnten die von ihnen sog. Zwangsverteidiger, die ihnen gegen ihren Willen durch das Gericht beigeordnet wurden, vehement ab und weigerten sich, mit ihnen zu reden. Ulrike Meinhof führte am 1. Verhandlungstag aus: „Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind, d. h. ihrer Funktion in diesem Prozeß nach Vertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung“ (S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[43] Die Angeklagten waren alle im Juni 1972 verhaftet worden und befanden sich zu diesem Zeitpunkt seit über drei Jahren in Haft. Dabei verbrachten nicht alle Angeklagten die gesamte Haftdauer in Untersuchungshaft. Andreas Baader saß noch bis zum 1. November 1974, Gudrun Ensslin bis zum 1. August 1974 in Strafhaft. Sie verbüßten jeweils den Rest einer dreijährigen Haftstrafe, zu der sie im sog. Frankfurter Kaufhausbrandstiftungsprozess verurteilt wurden (s. S. 2378 des Protokolls der Hauptverhandlung, 29. Verhandlungstag). Ulrike Meinhof wurde vom LG Berlin mit Urteil vom 29.11.1974 wegen ihrer Beteiligung an der Befreiung von Andreas Baader aus der Haft am 14. Mai 1970 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von acht Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 95 ff.). Die Freiheitsstrafe wurde allerdings erst ab dem 29.1.1976 vollstreckt (s. den entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 71. Verhandlungstag, S. 6396 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[44] Holger Meins war ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb aber noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Für seinen Tod machten die Angeklagten staatliche Akteure, u.a. den Vorsitzenden Dr. Prinzing sowie die Bundesanwaltschaft verantwortlich (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.).
[45] Grundsätzlich entscheidet das zuständige Gericht, dem die Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft übermittelt wurde, in einem Zwischenverfahren, ob die Voraussetzungen für ein Hauptverfahren erfüllt sind (sog. hinreichender Tatverdacht, § 203 StPO). Bejaht es diese Frage, ergeht der Beschluss, das Hauptverfahren zu eröffnen; andernfalls stellt es das Verfahren (ggf. auch nur vorläufig) ein (§ 199 ff. StPO). Zum damaligen Zeitpunkt sah § 178 StPO a.F. darüber hinaus in den Fällen, in denen die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts in erster Instanz begründet war, noch eine gerichtliche Voruntersuchung vor, die dem Zwischenverfahren vorgeschaltet war (s. auch die Bemerkung des Bundesanwalts Dr. Wunder auf S. 328 des Protokolls der Hauptverhandlung, 4. Verhandlungstag ). In diesem Fall richtete sich die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 198 StPO a.F. Die gerichtliche Voruntersuchung wurde zwar durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9.12.1974 (BGBl. I, S. 3393) abgeschafft; war jedoch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens (1.1.1975) eine gerichtliche Voruntersuchung bereits eröffnet, so galten die bisherigen Vorschriften für das weitere Verfahren fort (BGBl. I, S. 3393, 3414).
[46] Anlage 2 zum Protokoll vom 15.8.1975: Anklagesatz.
[a] Handschriftlich ersetzt: die durch damit
[b] Handschriftlich durchgestrichen: es ist
[c] Handschriftlich durchgestrichen: und muß
[d] Maschinell eingefügt: ja
[e] Handschriftlich ergänzt: genaue
[f] Handschriftlich durchgestrichen: also
[g] Maschinell eingefügt: nunmehr
[h] Maschinell eingefügt: mehr
[i] Handschriftlich durchgestrichen: er
[j] Maschinell eingefügt: haben
[k] Handschriftlich ergänzt: Überbrückungsbescheide
[l] Handschriftlich durchgestrichen: ist
[m] Handschriftlich durchgestrichen: vorliegen
[n] Handschriftlich ergänzt: behandelnden
[o] Handschriftlich durchgestrichen: ihrer
[p] Handschriftlich durchgestrichen: beschränkten
[q] Handschriftlich durchgestrichen: er
[r] Handschriftlich durchgestrichen: wir
[s] Maschinell eingefügt: in derselben Besetzung
[t] Handschriftlich durchgestrichen: wohl
[u] Handschriftlich eingefügt: nicht
[v] Handschriftlich eingefügt: (zum Publikum)
[w] Handschriftlich eingefügt: es
[x] Maschinell eingefügt: nicht
[y] Maschinell eingefügt: sich
[z] Maschinell eingefügt: Sie
[aa] Maschinell eingefügt: das
[bb] Maschinell durchgestrichen: hierbleiben
[cc] Maschinell eingefügt: zu
[dd] Maschinell eingefügt: Sie
[ee] Maschinell eingefügt: darauf
[ff] Maschinell durchgestrichen: (Gelächter im Saal)
[gg] Maschinell eingefügt: um 14.52 Uhr