[2395] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Mittwoch, den 27.8.1975, vorm. 9.05 Uhr
(30. Verhandlungstag)
Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag, mit Ausnahme von Staatsanwalt Holland.
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
Just. Sekr. Janetzko, Just. Ass. z. A. Scholze.
Die Angeklagten sind anwesend mit ihren Verteidigern Rechtsanwälte Schily, Rogge, Becker, Dr. Heldmann, von Plottnitz, Ger. Ref. Dr. Temming (als Vertreter von Rechtsanwalt Riedel), Künzel, Schnabel, Schwarz, König, Linke und Grigat. (Rechtsanwalt Eggler ist nicht anwesend.)
Vors.:
Ich bitte Platz zu nehmen. Wir setzen die Sitzung fort. Herr Rechtsanwalt Eggler hat sich für heute entschuldigt. Er ist durch eine Sitzung verhindert.
Herr Rechtsanwalt Riedel wird durch Herrn Dr. Temming vertreten, wie gehabt.
- Anlage 1 zum Protokoll -
Herr Rechtsanwalt Schlaegel hat mitgeteilt, daß er sich heute vertreten lasse, durch Herrn Rechtsanwalt Herzberg, das wird genehmigt.[1]
- Anlage 2 zum Protokoll -
Herr Rechtsanwalt Herzberg wird etwas später erscheinen, wie mir mitgeteilt worden ist. Die Verteidigung ist also gewährleistet. Wir können fortsetzen. Gestern hat die Bundesanwaltschaft zu dem Einstellungsantrag Stellung genommen. Noch irgendwelche Äußerungen hierzu.
Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.
RA Sch[ily]:
Ich möchte auf die Ausführungen der Bundesanwaltschaft nur noch kurz erwidern. Zunächst einmal zu den Ausführungen von Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder. Herr Dr. Wunder, wenn ich das richtig noch im Kopf behalten habe, dann haben Sie sich eigentlich nur zu zwei Punkten geäußert. Zu der Frage dieser Isolier- [2396][2] [2397][3] [2398] zellen in Bruchsal und zu der Frage politischer Prozeß. Hinsichtlich dieser Isolationszellen in Bruchsal[4] werden Sie sich erinnern, daß Sie meine Ausführungen unterbrochen haben und die Frage gestellt haben, welche Anhaltspunkte denn dafür bestehen. Eine solche Frage würde ich durchaus als sachgemäß anerkennen. Ich habe ja versucht, darauf einzugehen. Aber daß Sie dann innerhalb von 10 Minuten, also, eine solche Frage läßt ja den Schluß zu, daß Sie also zu dem Zeitpunkt, als Sie die Frage stellen, über den Sachverhalt nicht unterrichtet waren, denn sonst hätten Sie ja sicherlich eine andere Frage gestellt. Daß Sie dann innerhalb einer viertel Stunde oder noch, es war vielleicht eine Stunde oder eine halbe Stunde, der Zeitraum ist mir jetzt nicht mehr so bewußt, zu der Erklärung kommen, eine solche Behauptung ist Spinnerei. Da muß ich sagen, das ist für mich ein erstaunliches Faktum, daß dieser Erkenntnisprozeß dann innerhalb dieses Zeitraums bei Ihnen zustande kommt. Und ich kann eigentlich die Ausdruckswahl nur so verstehen, daß Sie einfach sich auf die Ermittlung der Tatsachen insofern einfach nicht einlassen wollen. Aber ich will mich da über Ihr Vokabular eigentlich nicht weiter beklagen, ich kann das nur so verstehen, daß Sie auf diese Weise, und es ist ja auch kein Zufall, daß ausgerechnet das Gericht an dieser Stelle meinte, meine Ausführungen unterbrechen zu müssen und da in Aufregung geriet. Ich würde verschlagen, daß wir also den Streit um diese Worte unterlassen und der Wahrheit nachgehen und beantrage insoweit, dann den Leiter der Haftanstalt in Bruchsal dazu zu vernehmen und Herr Kurt Rebmann von Justizministerium. Dann mögen die Herrn sich einmal dazu äußern, ob es nicht der Tatsache entspricht, daß diese Isolierzellen bereits fertig gestellt sind mit diesem bestimmten Zweck. Und ich habe ja gestern, daran darf ich erinnern, das möchte ich noch einmal hervorheben, das sogenannte „Dementi“[5] zitiert, das in sich eine Bestätigung unserer Darstellung ist und ich habe das vermißt, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, daß Sie einmal auf diese Frage eingehen, wie denn eigentlich diese Erklärungen zu verstehen sein sollen. Nun zum zweiten Teil Ihrer Ausführungen. Sie haben gemeint, Sie hätten das sorgfältig geprüft, den Tatbestand des Hochverrats[6] und seien also zu anderen Schlüssen gekommen und Sie hätten selbstverständlich früher auch gesagt, politische Motive [2399] könnten in aller Ausführlichkeit auch in diesen Verfahren erörtert werden. Wenn Sie mir aber richtig zugehört haben und das hoffe ich, daß das der Fall war, dann werden Sie festgestellt haben, daß ich natürlich auch diesen Sprachgebrauch, der sich da eingebürgert hat, in der man diese Wortschöpfung „politisch motivierter“ Täter, was ja jetzt so seit länger Zeit so in schwanger ist, wählt, um eigentlich auch eine politische Argumentation herauszufiltrieren aus einem Prozeß, also herauszudrängen aus einem Prozeß. Denn das ist natürlich etwas ganz anderes. Ich habe ja gesagt, das will man dann womöglich bequemerweise noch psychiatrisieren, politische Motivation so eben wieder in Anklang an ihre Wortwahl dann gerne dann als Spinnerei darstellt und das ist dann diese Form der Bewältigung, die man wählt. Im übrigen ist aber in dem Zusammenhang vielleicht nicht uninteressant, eine Erklärung von Herrn Generalbundesanwalt Buback vom 27.10.1974, der auch das Verhältnis der Bundesanwaltschaft zu der Frage des politischen Prozesses beleuchtet und ich darf daraus zitieren, es war eine Erklärung im Deutschlandfunk, ein Interview, da hat Herr Buback folgendes geäußert: „Es ist absolut unrichtig wenn behauptet wird, in der Bundesrepublik werde jemand wegen seiner politischen Gesinnung, seiner politischen Tätigkeit strafrechtlich verfolgt. Nur insofern wäre überhaupt das Wort politischer Prozeß oder politische Verfolgung angebracht. Was im Zusammenhang mit dem Baader-Meinhof-Verfahren mit dem Wort politisch verbrähmt[a] wird, ist in der Tat ein Etikettenschwindel. Man kann allenfalls sagen, es handelt sich um schwerste Kriminalität, bei der man versucht, sie politisch zu motivieren.“ Mir kommt in diesem Zusammenhang eine Karikatur in den Sinn die zwei Kinder vor einer eingeschlagenen Fensterscheibe zeigt und darunter steht, übrigens eine Karikatur aus der Springerpresse, und darunter steht: „jetzt müssen wir nur noch laut Ho Chi Minh[7] rufen, dann sind wir fein raus.“ [b] Das ist das Niveau, auf dem[c] Herr Buback meint, sich über die Frage politischer Prozeß äußern zu können und wie er versucht, die Öffentlichkeit einzustimmen in einer bestimmten Form, auf das, was sich hier in Stammheim ereignen soll. Auf der anderen Seite in demselben Interview lugt natürlich wiederum die Wahrheit hervor in den Ausführungen von Herrn Bundesanwalt Buback, in dem es da heißt: „Richtig ist, daß die Verfahren, [2400] die der Generalbundesanwalt zu führen hat,[8] sehr häufig Ausstrahlungen in den Bereich der Politik haben, das Verfahren gegen Günter Guillaume[9] und auch das Baader-Meinhof Verfahren ist ein deutliches Beispiel dafür“. Also soweit kann er ja also die Tatsachen nicht verleugnen, daß er wenigstens hier diesen Ansatzpunkt macht, Ausstrahlung in den Bereich der Politik. Soweit zu Herr Bundesanwalt Dr. Wunder und nun zu Herr Bundesanwalt Zeis. Sie haben zunächst Ihren Kollegen Holland in Schutz genommen, wenn ich das richtig erinnere, den ich erwähnt habe im Zusammenhang mit einer Durchsuchungsaktion eines Anwaltsbüros in Berlin. Ich will mit Ihnen nicht darüber streiten, ob der Herr Holland zwei, drei oder möglicherweise sogar noch länger in Berlin war, zwei oder drei Tage oder womöglich noch länger. Ich habe die Information, daß er drei Tage in Berlin war und es ist bedauerlich, daß Herr Holland sich dazu nicht selber äußern kann, weil er ja nun heute wieder nicht da ist. Aber der Kern der Behauptung ist ja, und das ist das Entscheidende und auf das gehen Sie bezeichnender Weise wiederum nicht ein, Herr Zeis, daß Herr Holland mit Sicherheit genügend Zeit hatte, sich einen Durchsuchungsbefehl, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorhanden waren, zu beschaffen. Und genau das hat Herr Holland nicht getan, sondern hat die bequeme Form gewählt zu sagen: „Gefahr im Verzug“[10], und hat diese Durchsuchungsaktion vollzogen. Aber Herr Zeis, daß Sie das verdrängen und daß Sie das nicht wahrhaben wollen, das ist ja verständlich, denn Sie selbst, Sie selbst haben ja auch einmal gegenüber Gefangenen, deren Zellen Sie persönlich durchsucht haben, gegenüber erklärt, nachdem also die Gefangenen eingewandt haben, es sei doch jetzt vielleicht, wenn man, wie Herr Kollege Dr. Heldmann sich mal ausgedrückt hat, spaßeshalber rechtstaatliche Maßstäbe anlegen wolle, doch vielleicht nützlich, ein Durchsuchungsbefehl vielleicht des Senats oder jedenfalls eines Richters zu erwirken, und das sei ja womöglich sogar durch einen telefonischen Kontakt möglich, da, sich darüber Klarheit zu verschaffen, ob ein Richter eine solche Durchsuchung anordnet oder nicht und da hieß es ja seinerzeit, das haben Sie nicht nötig, so etwa sinngemäß, was hier erforderlich ist oder nicht, das bestimmen wir. Und wiederum diese Formel „Gefahr im Verzuge.“ Eine [2401] Generalklausel, mit der sich sozusagen offenbar alles machen läßt. Sie sind dann weiter darauf eingegangen auf eine Entscheidung im 24. Band[d] des Bundesgerichtshofes, der sich auch mit der Frage beschäftigt, der Einstellung eines Strafprozesses unter Berücksichtigung einer Bestimmung innerhalb der Menschenrechtskonvention. Sie meinen, eine Entscheidung, in der es darum geht, in der es darum ging, eine Einstellung eines Strafprozesses wegen überlanger Dauer,[11] ich nehme an, daß Sie diese Entscheidung meinen, Herr Zeis, nur die Grundsätze die dort entwickelt worden sind, abgesehen davon, daß in der Tat andere Gerichte anders entschieden haben, diesen Fall.[12] Diese Entscheidung ist für unseren nicht präjudizierend, in keiner Weise, in keiner Weise. Denn hier handelt es sich ja um etwas anderes. Hier handelt es sich nicht um die überlange Dauer allein, sondern hier handelt es sich um alles, was mit der Frage des sogenannten fair trial, das [e] eigentlich auch interessant ist, daß es dafür kein deutsches Wort gibt. Hier handelt es sich um alles, was mit dem Begriff des fair trial zusammenhängt. Und wenn Sie so blankweg sagen, naja also das ist schon aus formellen Gründen zurückzuweisen, dann gehen Sie einfach an der Frage vorbei, wie soll denn ein solcher materieller Grundsatz, der ja Gesetzeskraft hat, mindestens wenn nicht sogar Verfassungsrang,[13] ein solcher Grundsatz des fair trial eigentlich verwirklicht werden. Wenn es dafür keine formelle Handhabe gibt. Das ist doch das Entscheidende. Ist denn das, daß ist nun sehr juristisch technisch gesprochen, haben wir es denn da mit dem Artikel, haben wir da in dem Artikel 6 der Menschenrechtskonvention es zu tun etwa mit einer, man könnte sagen, staatlichen Natural-Obligation. Soll das etwa eine staatliche Natural-Obligation[14] sein die man erfüllen kann oder nicht, die zwar im Gesetz steht, aber[f] die eben nicht, wenn Sie jetzt also diesen Ausdruck nicht juristisch technisch verstehen wollen, ja nicht einklagbar ist, Herr Widera nickt, das ist für mich sehr erfreulich, daß er zu diesem Punkt nickt, aber da hätte nun eigentlich die Bundesanwaltschaft inhaltlich einmal auf diese Frage eingehen müssen und dazu ist ja nun überhaupt nichts gesagt, das ist ja die Übung die Sie nun seit Beginn dieses Prozesses einhalten, daß Sie also auf den Inhalt, auf den Tatsachenvortrag überhaupt nicht eingehen. Das wollen Sie nicht. Sie können also nicht. Sie haben natürlich kein Wort darüber [2402] verloren, über die Äußerung die ich zitiert habe. Sie haben kein Wort verloren über die psychologische Vorbereitung, nichts dergleichen, überhaupt kein Wort dazu. Und Sie bedienen sich eines Kunstgriffs der nun aber eigentlich dieses Wort Kunst nicht mehr verdient, sondern eines Griffs, eines Handgriffs oder eines Faustgriffs, in der Sie nun wieder dieses Wort Prozeßverschleppung in das Verfahren einführen und meinen, Sie könnten sich damit mit einem solchen Einwand dieser inhaltlichen Argumentation entziehen. Ich meine, es ist klar, Sie haben eben keine Gegenargumente. Sie haben zu dieser Frage keine Gegenargumente, Herr Zeis, und daß Sie sich da verstecken müssen, das ist mir klar. Und das Versteck, das Sie suchen, das ist diese spanische Wand, auf der geschrieben steht, Prozeßverschleppung. Hinter der verstecken Sie sich. Weil Sie eben nichts diesen Argumentationen entgegenzusetzen haben. Aber das mag ja in manchen Phasen des Prozesses noch irgendeiner geglaubt haben, aber angesichts dieses Antrages glaubt Ihnen das keiner mehr, glaubt Ihnen das keiner mehr. Der müßte also schon sehr wenig hier von dem Prozeß gesehen haben. Da gibt’s allerdings auch Leute, die hier nie im Prozeß waren und dann meinen, sie können sich irgend ein Urteil da erlauben, wie Herr Haffner beispielsweise. Das ist der Punkt. Und wenn das Gericht, woran wir nicht glauben können, aber wenn das Gericht zurückfinden sollte zu diesen, zu der Anerkennung des fair trial, und ich habe ja so einige juristischen Hilfen auch gegeben, zumal der Herr Vorsitzender in anderen Zusammenhängen ja einmal auch auf das amerikanische Recht einen Blick geworfen hat. Ich habe ja zwei juristische Hilfen gegeben, diese beiden Rechtsinstitute der Vereinigten Staaten des misconduct of government[15] und der pretrial publicity[16], die also behilflich sein könnten, hier die richtige Entscheidung zu finden, das wäre an sich, an sich, wie gesagt, die Konsequenz. Nun noch ein letztes Wort wiederum zu der Frage der Prozeßverschleppung, das mir notwendig erscheint. Die Bundesanwaltschaft hat dieses Wort, ich darf das noch einmal unterstreichen, sehr häufig hier in diesem Prozeß verwandt, gegen die Verteidigung wie sie meint, die diese Prozeßverschleppung betreibe, nach der Behauptung der Bundesanwaltschaft. Aber sehen wir uns doch heute einmal die Situation an. Wer ist denn eigentlich dafür verant- [2403] wortlich, daß dieser Prozeß möglicherweise sehr viel länger dauern wird, als ursprünglich angenommen. Wer ist dafür verantwortlich, daß zur Zeit überhaupt nur mit einer Verhandlungszeit von drei Stunden Dauer gearbeitet werden kann. Diese Prozeßverschleppung, die durch die Zerstörung der Gesundheit der Gefangenen durch die Haftbedingungen und ihre mindestens reduzierte Verhandlungsfähigkeit[17] herbeigeführt hat, diese Umstände haben doch Sie zu verantworten, mindestens mit zu verantworten.[18] Das ist doch die eigentlich hier schwerwiegendste Prozeßverschleppung, die Sie, die Sie zu verantworten haben. Und darüber soll man doch einmal sprechen und nicht immer so tun, als ob hier von irgendeiner anderen Seite diese Prozeßverschleppung zu vertreten wäre.
Vors.:
Weitere Äußerungen von den Herrn Verteidigern. Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
Ende von Band 122
[2404] RA v[on] Pl[ottnitz]:
Ich möchte das nur ganz kurz ergänzen, was gesagt worden ist.
Der Kollege Schily hat ja zu Recht darauf hingewiesen, daß von Seiten der B. Anwaltschaft inhaltlich zu dem Tatsachenmaterial, das im Zusammenhang mit der vollständigen Suspendierung der Rechte aus Art. 6[ EMRK] hier vorgetragen worden ist, nichts gesagt hat. Die B. Anwaltschaft hat allerdings in diesem Zusammenhang, ohne auf dieses Tatsachenmaterial einzugehen, - darauf könnte sie auch gar nicht eingehen; bestreiten kann sie’s nicht - hat sie eins gemacht, was sie immer dann und bei gleichen Gelegenheiten macht, sie hat von Sicherheitsbelangen gesprochen, und zwar durch Herrn OStA Dr. Zeis. Als ob Sicherheitsbelange, Herr OStA Zeis, die Demontage, die Demontage aller Rechtsförmlichkeit, die zu einem Strafverfahren gehören würde, rechtfertigen könnten. Das ist das eine.
Zu einem andern Punkt möchte ich noch etwas sagen:
Der B. Anwalt Dr. Wunder hat ja gestern geäußert, von seiner Behörde seien die Tatbestandsvoraussetzungen des Hochverrats, der Vorschrift über den Hochverrat, eingehend geprüft worden, und mit dem Ergebnis geprüft worden, daß diese Voraussetzungen hier nicht gegeben seien, daß eine Anklage insoweit gar nicht erfolgen könne, und er hat in diesem Zusammenhang gesagt, man könne sich diese Tatbestandsvoraussetzungen nicht herbeiwünschen - so war, glaube ich, seine Formulierung. Wenn man sich die Tatbestandsmerkmale ansieht, dann ist völlig klar, daß diese Äußerung nicht zutreffen kann; wenn man die Tatbestandsmerkmale vergleicht mit dem, was Inhalt der Anklageschrift ist, dann wäre sehr wohl hier möglich gewesen, ein ... eine Anklage im Sinne der Vorschrift des § 81 StGB.[19] Das und warum das nicht geschehen ist, hat allerdings damit etwas zu tun, daß in § 81 StGB ja nun mal von der „verfassungsmäßigen Ordnung“[20] die Rede ist - das ist eines der Tatbestandsmerkmale -, und natürlich weiß auch die B. Anwaltschaft, daß die verfassungsmäßige Ordnung ohne soziale Ordnung begrifflich gar nicht zu denken ist, [2405] und insofern ist das, was gesagt worden ist in der Begründung des Antrags, nämlich der Vorwurf der Kosmetik, nach wie vor berechtigt; denn es ist gerade dieser Kunstgriff der B. Anwaltschaft, mit dem sie hier versucht oder versucht hat, zu verhindern, daß die Frage öffentlich gestellt wird - das wäre ja dann aus der Sicht einer Verteidigung wohl notwendig gewesen - wie steht es mit der Änderungsbedürftigkeit dieser verfassungsmäßigen Ordnung, und zwar grade insoweit, als sie sich als soziale Ordnung darstellt. Es ist dieser Kunstgriff, mit dem verhindert worden ... werden sollte, daß das Selbstverständnis, das die Organe der verfassungsmäßigen Ordnung, der sozialen Ordnung dieses Landes von sich selbst geben, daß das überprüft wird, daß das im Rahmen möglicherweise einer Beweisaufnahme geprüft wird ... überprüft wird; daß der Frage nachgegangen wird, ist das hier wirklich eine freiheitlich demokratische Grundordnung oder eine Grundordnung, die ganz andere Rückschlüsse zuläßt, Rückschlüsse, die im Ergebnis darauf hinauslaufen würden, daß sie nicht demokratisch ist und auch nicht freiheitlich. Statt dessen soll konzidiert werden - so haben wir’s ja gestern gehört, großzügig, muß man sagen, großzügig -, daß etwaige politische Motive durchaus zum Gegenstand der Erörterungen in der Hauptverhandlung gemacht werden können.
Vors.:
Herr Baader, Sie haben sich zu Wort gemeldet. Bitte.
Angekl. Baa[der]:
Es fällt einem natürlich immer schwerer inzwischen, auf diesen Dreck einzugehen. Aber Tatsache ist natürlich, und das ist auch jedem klar hier, daß es nicht eine Frage der politischen Motive ist, worum es hier in diesem Raum geht, sondern das, was im und um dieses Verfahren läuft, daß das Politik ist:
Die gesamte staatliche Mobilisierung schon in der Fahndung 72, die Kompetenzverlagerungen, die Zentralisierung[g], der Aufbau eines Polizeiapparats bis zum letzten Dorfpolizisten unter der Führung eines tausendköpfigen Generalstabs, könnte man schon sagen die Sonderkommissionen; das alles ist Politik.
[2406] Und wir sagen - wir haben’s damals auch gesagt - durch die konterrevolutionäre Intension, durch die konterrevolutionäre Politik des Staates, die schon in ihrer Struktur und dann auch schließlich in den Strategien, die sie gebildet hat, grundgesetzwidrige Politik ist, würde sich auf der Ebene immanenter Argumentation, die wir ablehnen, schon ein Widerstandsrecht ergeben, das diese Verfassung ja immerhin mal vorsah.[21] Also, ich würde sagen, daß sich aus der Struktur der Fahndung, aus den Verschiebungen innerhalb des Staatsapparats gegen die Verfassung, die im Zusammenhang dieser Fahndung transparent geworden sind, ein Widerstandsrecht ableiten läßt.
Und ich würde auch sagen, daß angesichts der objektiven Dimensionen der gesellschaftlichen Durchdringung, die Herold[22] ja ganz richtig und auch in den historischen Analogien des Dritten Reiches richtig begriffen hat, als zunächst wesentlich das polizeiliche[h] Projekt. Also die polizeiliche Strategie drückt das ja immer zuerst aus und hat es im Dritten Reich auch zuerst ausgedrückt, wenn es zum Schluß natürlich die Armee ist.
Angesichts dieser objektiven Dimension von politischen Motiven zu quatschen, also grade noch Motive zugestehen zu wollen in einer tatsächlich explizit politischen Konfrontation mit gesellschaftlichen Auswirkungen in alle gesellschaftliche Bereiche, das ist tatsächlich einfach dümmliche Demagogie.
Die RAF war, ist und war 72 revolutionäre Politik, und die staatliche Reaktion - ich hab das erklärt - ist als eine ihrer Transmission Politik und war Politik; inzwischen ist es geradezu Militärpolitik.
Dann muß man auch mal daran erinnern, daß Schmidt - also ich will einfach nochmals an die Erklärung, die Reg. Erklärung von Schmidt zu Stockholm[23] erinnern, in der es ja immerhin auch um uns ging - er sagte da:
Die Forderung, uns freizulassen, sei die schwerwiegendste Herausforderung dieses Staates - Rechtsstaats, sagte er - in seiner bisherigen 26jährigen Geschichte gewesen. Naja.
[2407] Oder er sagt:
„Eine Freilassung dieser Verbrecher hätte eine unvorstellbare Zerreißprobe für unser aller Sicherheit ...“
- Das will ich jetzt mal nicht kommentieren, wessen Sicherheit. -
„... und für den Staat bedeutet.“
Naja, und was ist denn der Staat? Das ist doch die Frage. Also der Staat ist doch schon immer der Inbegriff des Politischen, d. h., er ist der politische Ausdruck, die politische Vermittlung; oder anders: Er ist das politische Organ der Herrschaft einer Klasse über die Gesellschaft. Das ist aber nun wirklich in allen Definitionen. Und wir reden da allerdings angesichts des Verfalls des Wertgesetzes und der internationalen Monopolisierung dieser vom Staat als politischer Vermittlung, als politischer Agentur des internationalen Kapitals und sagen:
Seine Transformation zum Faschismus ist wesentlich bestimmt in der Tendenz zum Antagonismus zwischen internationalgesellschaftlicher, vergesellschafteter und internationaler arbeitsteilig[i] [j] organisierter[k] Produktion und privater Aneignung durch immer weniger und immer lästigere multinationale Konzerne.
Aber jedenfalls ist der Staat immer in allen rechtlichen und politökonomischen Bestimmungen die politische Vermittlung. Da würde man wirklich gern mal wissen, wie Sie auf den politischen Zusammenhang, auf den die Dimension der staatlichen Reaktion verweist, hier in diesem Verfahren, die das ganze ja verhandeln soll, die Politik raushalten wollen oder sie grade noch zugestehen wollen als Motivation, es sei denn tatsächlich durch falsche Manipulation; das, was ja jeder wirklich sieht inzwischen.
Ich glaube auch, daß der Prozeß eine explizit politische Dimension dadurch bekommen wird noch, daß versucht werden muß, ihn zu entpolitisieren. Ich sag das nur kurz, und ich werde es dann später vielleicht nochmals erklären, wenn ich kann:
Das liegt auch daran, daß in dieser Konfrontation und dem [2408] Widerspruch, den sie ausdrückt, der Begriff des Politischen selbst neu gefaßt wird, daß er neu gefaßt werden muß, weil Insurrektion den Begriff des Politischen neu definiert, neu definiert hat, existentiell in den Interaktions- und Organisationsstrukturen, in ihrer Strategie, in ihrer Taktik und in ihrer Analyse; das sagt schon Tschigi.
RA Herzberg, als Vertreter von RA Schlaegel, erscheint um 9.36 Uhr.
Und das ist[l] einfach ein[m] Gegensatz oder auch festzustellen in diesem Verfahren im Gegensatz zur Institutionalisierung der Politik im imperialistischen Staat, das[n] heißt: Der Apparat ersetzt den demokratischen, den sog. demokratischen, den öffentlichen Entscheidungsprozeß, um das mal gleichzusetzen, das Konkurrenzkapitalismus; und Politik wird oder ist im Verwaltungsakt aufgelöst. Deswegen sind auch hier nie inhaltliche Begründungen zu hören, so wird auf Tatsachen nie eingegangen; es werden hier wirklich administrative Entscheidungen gefällt, die nicht mehr begründet werden müssen; in jedem Detail ist das wirklich deutlich.
Ich meine, es gibt natürlich auch, wenn man das mal auf dieser Ebene formulieren will, es gibt natürlich einen Zwang der B. Anwaltschaft, von Leuten wie Zeis oder Widera oder Wunder oder auch von Prinzing, diesen Prozeß unpolitisch zu führen, weil sie natürlich zur inhaltlichen Initiative in diesem Verfahren gar nicht kommen können. Das wissen sie auch genau. Wenn sie sich darauf einlassen würden, wäre alles, was dabei herauskäme, daß sie an die Wand gedrückt werden, weil sie natürlich wirklich nichts drauf haben, daß sie keine Ahnung haben. Das merkt ja wirklich jeder. Es kann kein Prozeßbeobachter hier sein, dem entgeht dieses ungeheure Gefälle im Niveau der Argumentation zwischen den Verteidigern und der B. Anwaltschaft.
Und bei Prinzing ist das ja auch vollkommen deutlich. Also bei Prinzing ist ja nu völlig klar, bei den Versuchen, die er gemacht hat, seit er überhaupt in diesem Verfahren ist, [2409] daß er die Zusammenhänge gar nicht versteht, daß er auch über die Begriffe nicht verfügt und daß er sich auch darum nicht bemüht hat. Also ich würde schon sagen, auch auf dieser Ebene ist es[o] ein Zwang, diesen Prozeß zu entpolitisieren für die B. Anwaltschaft und für das Gericht.
Und dann wollte ich noch sagen,
zu der Behauptung, diese Sache mit Bruchsal ... [p] Woher hat er eigentlich diese Frechheit, Wunder, sich hinzusetzen und zu sagen, das sei Spinne, obwohl die Baupläne vorliegen, man ihm die Baupläne sozusagen rübergereicht hat und man dezidierte Berichte darüber hat, daß dieses Ding gebaut wird; und ganz wesentlich man ein Dementi des baden-württembergischen Justizministeriums hat[q], das eine Bestätigung ist. Aber man muß tatsächlich mal fragen:
Ist das denn tatsächlich alles Spinne des Justizministeriums? Ist der Trakt in Ossendorf[24][r] gesponnen? Also hat Ulrike, die ja acht Monate dringesessen hat und dann später nochmals drei, spinnt sie das? Erfindet sie das? Sind die Aktenstücke, die Aktenteile, die es zu diesen Vorgängen gibt, die ganzen offiziellen Vorgänge, ist das alles Spinne? Gab und gibt es Isolation oder ist das alles Spinne? Find ich irre! Ist Holger im Kampf gegen diese Isolation gestorben[25] oder ist das von uns alles gesponnen? Ist die Tatsache, daß es 15 von diesen Trakten inzwischen, und das ist wirklich - wie gesagt - nur das, was wir wissen, in der B. Republik gibt, und daß eben auch alles genau und dezidiert belegt und vor ein paar Tagen hat uns das nochmals jemand bestätigt, der unmittelbar im Vollzug arbeitet, daß er mit diesen Dingern dauernd konfrontiert wird, in die Gefängnisse, in die er kommt - ist das alles gesponnen?
Oder z. B. dieses Handbuch für Folterpraktiken, das jetzt in den Athener Prozessen[26] aufgetaucht ist, daß dieses Handbuch entwickelt worden ist, aufgelegt worden ist, international verteilt wird an befreundete Polizeiorganisationen, vom FBI in Amerika, also auch an das B. Kriminalamt, das in einer unmittelbaren und engen Kooperation mit dem FBI steht, wo ein Personalaustausch stattfindet, wo es gemeinsame Ausbildungsprogramme gibt; ist das alles Spinne, wo diese Praktiken genau aufgeführt worden sind?
[2410] Oder als Beispiel:
Einer der hier benannten Psychiater - ich bring jetzt noch ein paar Beispiele - Ehrhardt, dieser Text, den er über medikamentöse und chemische und psychische Mittel der Aussagestimulierung, der Aussagebeeinflussung, daß auf den Gebieten geforscht wird, ist das alles Spinne? Und das ist natürlich wieder ganz bezeichnend, daß dieser Psychiater hier auftauchen soll als Gutachter, also ein Psychiater, der sich mit diesem Komplex beschäftigt hat.
Oder Gross in Hamburg, Camera silens,[27] gigantisches Forschungsprojekt, das die NATO finanziert - das ist ja wesentlich - diese ganze Camera-silens-Forschung, die ganze Isolationsforschung, wie sie groß aufgezogen ist, wird von der NATO finanziert. Gross’ hat zuletzt vor einem Dreivierteljahr auf einer NATO-Tagung über dieses Projekt referiert in einer ganzen Reihe von Vorträgen. Ist das alles Spinne? Oder z. B., daß die B. Wehr für dieses Forschungsprojekt von Gross’ Isolationsforschung die Soldaten zur Verfügung stellt, mit denen da experimentiert wird. Das alles ist doch nur die Spitze eines Eisbergs.
Es gibt eine Folterforschung; es gibt einen Folterexport, d. h., es gibt einen Export von Foltermethodik in Ländern der dritten Welt, wie es permanent, an sich permanent aufblähende inländische Konzeption Verpolizeilichung des Krieges, Austausch und Ausbildungsprogramme in Ländern der dritten Welt gibt vom BKA. Und es wäre also wirklich absurd, anzunehmen, daß bei einer ähnlichen Problematik in der B. Republik oder bei einer ähnlichen Konfrontation in der B. Republik ausgerechnet diese Verfahren nicht angewendet werden. Sie sind natürlich angewendet worden. Ossendorf steht genau in diesem Zusammenhang.
Ich bin also der Ansicht ... Naja, zu Bruchsal ...
Man sollte tatsächlich also jetzt in Form eines Beweisantrages zu der Frage, warum dieses Ding gebaut worden ist, wozu und ob vielleicht auf den Aktenstücken, wie die Gefangenen, die dort als Bauarbeiter gearbeitet haben, mitgeteilt haben, nicht etwa die ... Baader-Meinhof stand.
[2411] Dazu sollte man meiner Ansicht nach tatsächlich hier Zeugen hören, in jedem Fall.
Das beantrage ich jetzt nochmal ausdrücklich; denn das ist ein Beweis sozusagen, also es macht das für das Gericht sozusagen auch zwingend, daß bereits vor der Verurteilung die Vollstreckungsmaschinerie institutionell geplant und sozusagen bereits architektonisch bereits aufgerichtet war. D. h., aus dieser Tatsache läßt sich bereits zwingend beweisen, wie diese Veranstaltung hier einzuschätzen ist, und daß wir bereits verurteilt sind wie aus ix anderen Details, und es könnte für Sie zwingend machen oder zumindest etwas schwieriger machen, den Antrag, das Verfahren einzustellen aufgrund der Vorverurteilung, diesen Antrag abzuweisen.
Vors.:
Will die B. Anwaltschaft erwidern? Bitte schön.
BA Dr. Wu[nder]:
Zu drei Punkten möchte ich Stellung nehmen:
Zur Sache der Prozeßverschleppung.
Das Urteil hierüber, wer den Prozeß verzögert, bzw. wer ihn systematisch verzögert, überlassen wir ganz gelassen, ganz gelassen der Öffentlichkeit, insbesondere derjenigen Öffentlichkeit, die hier tagtäglich den Prozeß beobachtet oder ihn beobachten läßt.
Wir erinnern nur noch an die Hungerstreiks, insbesondere an den letzten Hungerstreik.
Zum zweiten Punkt:
Die Tatsache, daß in Bruchsal etwas gebaut wird, sagen wir, ohne daß ich mich auf den Begriff festlegen kann und festlege lassen möchte, einen Sicherheitstrakt stelle ich nicht in Abrede.
Angekl. Baader unverständlich.
Vors.:
Bitte, Herr Baader, lassen Sie die Ausführungen ununterbrochen
BA Dr. Wu[nder]:
Herr Baader, hier möchte ich net gerne jetzt diesen Vortrag unterbrechen. Später können wir gerne mal miteinander drüber reden.
[2412] Das sind natürliche selbstverständliche Vorgänge in der Strafanstalt eines Landes, in der - wie bekannt ist - in der Regel keine Taschendiebe untergebracht sind, sondern zu hohen Strafen Verurteilte. Bekannt ist Ihnen vielleicht auch, daß ein Vorfall im vergangenen Jahr gewisse Veränderungen auch in der baulichen Struktur als notwendig erwiesen hat.[28]
Als Spinnerei, Herr RA Schily, habe ich nicht Ihre Ausführungen bezeichnet, nicht die Tatsache, daß Sie das vorgebracht haben. Das ist insoweit Ihr gutes Recht als Anwalt. Ich würde in einer Sitzung die Ausführungen eines Rechtsanwalts niemals so apostrophieren. Allein die Kombination desjenigen, der geschrieben hat, dieser Trakt würde gebaut werden, um, um dort nach einer Verurteilung diese vier Angeklagten unterzubringen, allein diese Kombination ist und bleibt in meinen Augen Spinnerei. Und zudem sollte man - wir tun’s auch nicht - ein Schlagwort nicht über Gebühr auf die Goldwaage legen.
Zum dritten:
Das Problem des Hochverrats oder Vorbereitungen. Sicher beschäftigt uns dieses Thema noch des öfteren in der Sitzung, und das kann hier an dieser Stelle nicht mit einem Satz abgetan werden. Das soll ja auch nicht geschehen.
Aber eine Frage stellt sich nun eigentlich doch:
Will ein Verteidiger, losgelöst von den rechtlichen Fragen und Möglichkeiten, nun eigentlich im Ernst die Einbeziehung eines Straftatbestandes in diese Verhandlung, eines Straftatbestandes, der auch eine lebenslange Freiheitsstrafe androht? Die Frage kann ich nicht beantworten, Herr RA Schily.
Vors.:
Gut. Der Senat wird beraten.
Ende von Band 123.
[2413] OStA Z[eis]:
Herr Rechtsanwalt Schily, Ihr stereotyper Vorwurf, die Bundesanwaltschaft würde inhaltlich nichts sagen, ist schlicht unrichtig. Daß Sie diese Behauptung auch heute wieder aufstellen, mag daran liegen, daß Sie nicht zuhören. Exakt auf gestern bezogen nicht zuhören konnten, weil Sie viel zu sehr mit Ihrer Mandantin beschäftigt waren, die offensichtlich um dreiviertel zwölf Uhr wieder den Sitzungssaal verlassen wollte. Wenn Sie nämlich zugehört hätten, dann hätten Sie auch hören können, daß sich sehr wohl die Bundesanwaltschaft mit den Dingen, die Sie vorgetragen haben, auseinandergesetzt hat. In dem Zusammenhang, Herr Rechtsanwalt Schily, hat auch die Bundesanwaltschaft vorgetragen, wie es im übrigen mit dem Wahrheitsgehalt einzelner Behauptungen bestellt ist, zeigen beispielhaft die gegen Staatsanwalt Holland im Zusammenhang mit der Aktion „Winterreise[29]“ erhobenen Vorwürfe. Heute morgen stehen Sie freiweg hier und sagen: „Na ja, ich bin eben über diese drei Tage so informiert worden“. Ja, Herr Rechtsanwalt Schily, prüfen Sie denn nicht, bevor Sie solch ungeheuerlichen Vorwürfe erheben, ein Bundesanwalt hätte sich drei Tage lang in Berlin aufgehalten und hätte dann trotzdem die Praxisräume der Rechtsanwälte Eschen und Ströbele ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht und hätte Gefahr im Verzug angenommen? Prüfen Sie denn den Wahrheitsgehalt solcher Informationen nicht nach? Behaupten Sie das dann einfach schlank weg hier drin und überlassen es dem Angegriffenen, es richtig zu stellen. Ich meine, es mag ja noch angehen, wenn solche unrichtigen Behauptungen hier drin aufgestellt werden, denn dann ist die Bundesanwaltschaft in der Lage, sie gleich richtig zu stellen, so ja auch die ständig wiederholende unrichtige Behauptung der Gegenseite, sämtliche Angeklagten säßen seit über drei Jahren in Untersuchungshaft.[30] Ich meine, das wird ja ...
RAe. Dr. Heldmann und von Plottnitz sprechen laut unverständlich durcheinander.
RA Dr. H[eldmann]:
Isolationshaft ... Sie vertuschen ja schon wieder.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann und Herr Rechtsanwalt v[on] Plottnitz, ich finde, das ist ein unmögliches Betragen. Haben Sie das [2414] Recht, hier einfach mit solchen Zwischenrufen diese Verhandlung zu stören oder wie denken Sie sich das für die Zukunft?
-RA v[on] Pl[ottnitz], RA Dr. He[ldmann] u. RA Sch[ily] sprechen unverständlich dazwischen-[s]
RA Dr. H[eldmann]:
Es muß Ihnen widersprochen werden.
Vors.:
Hören Sie zu, als Anwälte werden Sie wenigstens die Form einhalten, zuzuhören[t]. Im Rahmen der Verhandlungsleitung kann ich Ihnen folgendes sagen: Sie stellen einen Antrag, die Gegenseite nimmt Stellung, Sie können erwidern und dann hat der Antragsgegner das Recht, das letzte Wort zu haben. Ich werde nachher beabsichtigen, um das gleich voranzukünden, Herrn Rechtsanwalt Schily, weil er direkt angesprochen worden ist, die Möglichkeit geben zu erwidern, sonst aber nicht mehr. Aber das Recht, die Ausführung des Antragsgegners ...
RA. Dr. Heldmann und RA. von Plottnitz schreien unverständlich dazwischen.
Vors.:
... Jetzt fangen Sie schon wieder an mit Ihrem Geschrei ... Augenblick, Sie können, Herr Rechtsanwalt, darf ich jetzt zu Ende reden oder nicht.
RA Dr. H[eldmann]:
Bitte sehr.
Vors.:
Sie können sich nachher mit mir in diesen Formen aus ...
RA Dr. H[eldmann]:
Wenn Sie nicht zulassen ... dann werde ich mir das Wort beschaffen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, glauben Sie, daß eine Verhandlung so zu führen ist, mit Anwälten, die sich von Formen derartig lösen, wie Sie das hier tun. Ich möchte Ihnen mal raten, die Verhandlung so zu leiten, mit Leuten wie Sie das hier nun praktisch demonstrieren.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Mit so einem Vorsitzenden zu verhandeln, ist auch nicht das Leichteste.
Vors.:
Herr RA v[on] P[lottnitz], diese Bemerkung habe ich zur Kenntnis genommen, ich qualifiziere sie nicht mehr. Bitte, ich darf jetzt die [2415] Bundesanwaltschaft bitten, fortzufahren.
OStA Z[eis]:
Gestern wurde hier drin, oder war es vergangene Woche, von Herr Rechtsanwalt Schily gesagt, sämtliche Angeklagten sitzen über drei Jahre in Untersuchungshaft. Wir haben es gestern hier schon richtig gestellt, Herr Rechtsanwalt Heldmann, das wird ja nicht nur hier in diesem Sitzungssaal behauptet, diese unrichtige Tatsache, sondern auch hier publiziert. Publiziert von Ihnen und Herrn Rechtsanwalt Schily und zwar in der August-Ausgabe des Heftes „Konkret“.
- Herr Zeis hebt die Zeitschrift „Konkret“ hoch. -
Mit dem Titel „Hans Heinz Heldmann, Otto Schily, B-M-Anwälte klagen an“. Da geht es auf Seite 10 weiter mit dem weiteren anspruchsvollen Titel, so ein bißchen entlehnt von „Jenseits von Eden“: „Jenseits des Rechts“, und da steht im dritten Absatz, im dritten Absatz steht: „Seit 38 Monaten sitzt Baader jetzt in Untersuchungshaft, in Untersuchungshaft“. So gehen Sie da drüben mit der Wahrheit um.
Vors.:
... sind die beiden Herren Rechtsanwälte Schily und Dr. Heldmann angesprochen worden.
- Reg. Dir. W[idera] redet unverständlich. -
Vors.:
Bitte, Verzeihung Herr Widera, ich bitte um Entschuldigung, daß ich es übersehen habe. Die Bundesanwaltschaft darf natürlich jetzt zuerst ihre Erwiderung geben, dann dürfen die Herren ...
Reg. Dir. W[idera]:
... der ja den Art. 6 der Menschenrechtskonvention angesprochen hat und dazu noch etwas sagen. In diesem Artikel heißt es, daß jedermann ein Recht darauf habe, vor, daß seine Sache von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verhandelt werde. Und er hat ausgeführt, weil wir gesagt haben, die direkte Anwendung hier sei nicht möglich, es müsse doch einen Weg geben, diesen Anspruch jedes Angeklagten verwirklichen zu können, einen unmittelbaren, unmittelbar formell müsse man doch diesen Anspruch verwirklichen können, und an dieser Stelle, als er sagte, es müsse doch diesen Weg geben, da habe ich ihm auch zustimmend zu- [2416] genickt, wie er richtig bemerkt hat, und ich habe ihm genauso deutlich gemacht, daß ich bereit gewesen wäre, sofort zu antworten. Aber das hat er dann nicht gesehen oder er wollte entsprechend der Praxis hier in diesem Saal mir eben anschließend, warten, daß ich anschließend dazu Stellung nehme. Herr Rechtsanwalt Schily, Sie wissen ...
RA Sch[ily]:
... unterbrochen hätten, Herr Widera, tun Sie das ruhig.
Reg. Dir. W[idera]:
Ich hab Sie nicht ...
RA Sch[ily]:
Ich bin da gar nicht so empfindlich.
Reg. Dir. W[idera]:
Ich habe Sie nicht verstanden.
RA Sch[ily]:
Sie hätten mich ruhig unterbrechen können, ich bin da gar nicht so empfindlich, wie Sie; also in Zukunft, bitteschön.
Reg. Dir. W[idera]:
Sie sehen, ich auch nicht, deswegen habe ich sofort, als ich bemerkte, Sie wollten mir etwas sagen, innegehalten. Herr Rechtsanwalt Schily, Sie wissen, ich gehe jedenfalls davon aus, daß dieser Anspruch Eingang in die StPO gefunden hat. Denn, wenn ein Gericht nicht unparteiisch wäre, nicht unabhängig wäre und wenn es wahr wäre, was Sie an Tatsachenbehauptungen hier in den Raum gestellt haben, wenn das alles wahr wäre, dann wäre das Gericht eben befangen und die Regeln über die Befangenheit eines Gerichts, die sind in der StPO und die kennen Sie auch ganz genau. Wir haben nur deshalb nicht nochmal in unserer Stellungnahme darauf hingewiesen, daß auch dieser Anspruch unmittelbar in der StPO geregelt ist, weil wir das in zwei früheren Stellungnahmen bereits ausgeführt haben und weil wir es, ich betone es immer wieder, ja ich betone es immer wieder, wir gehen davon aus, daß auch dann, wenn wir sprechen, zugehört wird, und wir lehnen es ab, weil eben zugehört wird, daß wir hier ständig uns in Wiederholungen ergehen. Ich wiederhole also nochmal, auch das ist in der StPO geregelt. Und dann noch [2417] ein Wort zum Angeklagten Baader: er sei durch Äußerungen von Politikern im Zusammenhang mit dem verbrecherischen Anschlag in Stockholm bereits vorverurteilt. Auch der Angeklagte Baader, insbesondere aber seine Verteidigung wird wissen, daß in verschiedenen Urteilen ...
Angekl. B[aader]:
Das ist falsch. Das ist doch wirklich eine demagogische Verzerrung.
Reg. Dir. W[idera]:
... es bereits ...
Vors.:
Entschuldigen Sie, Herr Bundesanwalt. Herr Baader, wenn Sie weiterhin stören, ich verwarne Sie, das würde Folgen haben. Sie kennen die Folgen. Hören Sie genauso ruhig, wie man Ihnen zuhört, auch bei Ausführungen von anderen Seiten zu. Bitteschön, Herr Bundesanwalt.
Reg. Dir. W[idera]:
Es gibt bereits eine Reihe rechtskräftiger Urteile, die feststellen, daß es eine kriminelle Vereinigung gibt, der auch die Angeklagten angehören. Diese kriminelle Vereinigung ... ja Herr Rechtsanwalt Schily, ich denke zum Beispiel an das Urteil gegen Rechtsanwalt Mahler.[31] Diese kriminelle Vereinigung, deren Mitglieder sich selbst als Revolutionäre begreifen und die sich wiederholt in die Öffentlichkeit hinein, und das auch hier in diesem Gerichtssaal, dazu bekannt haben, Stadtguerilla zu sein, die mit Gewalt und Terror gegen jedermann vorgeht, um ihre politischen Vorstellungen durchzusetzen, diese kriminelle Vereinigung hat sich im Jahre 1972 in sogenannten Bekennerbriefen oder wie es die Angeklagten hier in der Hauptverhandlung bezeichnet haben, dieselben Briefe bezeichnet haben, in sogenannten Kommandoerklärungen, Massenmedien gegenüber, zum Beispiel zu den Sprengstoffanschlägen in aller Öffentlichkeit bekannt. Und deshalb ist es meines Erachtens selbstverständlich zulässig, daß der Bundeskanzler und andere Politiker anläßlich des verbrecherischen Anschlags auf die Deutsche Botschaft in Stockholm, auf die Verbrechen hinweisen, auf die Verbrechen Hinweisen, zu denen sich diese [2418] kriminelle Vereinigung selbst öffentlich bekannt hat. Das ist zulässig und es ist abwegig, deshalb von einer Vorverurteilung der Angeklagten zu sprechen, wenn diese Politiker von Verbrechen reden, zu denen sich die Angehörigen dieser kriminellen Vereinigung öffentlich bekannt haben. Das zu[u] dem Angeklagten Baader.
Vors.:
So, damit ich nicht nochmals falsch laufe, die Bundesanwaltschaft hat damit ihre Erwiderung gegeben? Kommt nichts mehr? Dann möchte ich den Herren Rechtsanwälten Schily und Dr. Heldmann und Herrn Baader, die direkt angesprochen worden sind, die Gelegenheit zu einer Erwiderung geben. Die Reihenfolge ist mir gleichgültig.
RA Sch[ily]:
Vielleicht beginne ...
Vors.:
Bitte Herr Rechtsanwalt Schily.
RA Sch[ily]:
Vielleicht in der umgekehrten Reihenfolge, wie die Herren sich geäußert haben. Herr Widera, also ich weiß ja nicht, wie Sie eigentlich über ein Problem der Rechtskraft nachgedacht haben, aber ich muß Ihnen sagen, Sie haben ein makaberes, ein wirklich makaberes Rechtsverständnis, wenn Sie hier allen Ernstes die Meinung vertreten wollen, daß etwa durch ein Urteil gegen einen Dritten etwas hier zu Lasten der hier Angeklagten rechtskräftig festgestellt worden sei.[32] Ja bitte, Sie wollen schon wieder unterbrechen, aber wir können natürlich jetzt hier so ein Disput entwickeln aber, bitteschön.
Vors.:
Wollen Sie? Bitte, es ist ja genehmigt. Ich bitte, das aber nicht zur Praxis zu machen, sonst ist es noch schwieriger.
Reg. Dir. W[idera]:
Ja. Herr Rechtsanwalt Schily, ich habe nicht davon gesprochen, daß die Angeklagten in irgendeiner Form rechtskräftig verurteilt wären. Ich habe nur von Feststellungen gesprochen, die in anderen Urteilen, die rechtskräftig sind, getroffen sind.
[2419] RA Sch[ily]:
Ja, dann, aber Herr Widera, nun verwischen Sie die Sache nicht. Sie wollen doch, es geht ja um die Angeklagten dieses Verfahrens und Sie haben davon gesprochen, von dem Urteil gegen Horst Mahler und von der kriminellen Vereinigung. Sie wollen doch insoweit wollen Sie doch der Argumentation der Verteidigung entgegentreten, die von einer Vorausverurteilung spricht und sagen, da ist nun festgestellt, rechtskräftig, kriminelle Vereinigungen, der ja auch die Angeklagten angehören. So waren Ihre Ausführungen und das kann ich nur als ein makaberes, für einen Bundesanwalt eigentlich überhaupt nicht mehr qualifizierbares Rechtsverständnis, wenn man überhaupt noch das Wort Recht in ein solches Wort unterbringen will, bezeichnen. Aber das ist genau die Form, die Sie seit Jahr und Tag anwenden und nicht Sie allein, Herr Regierungsdirektor Widera, sondern auch Herr, der oberste Ressortminister, Herr Vogel, vertritt ja solche Ansichten. Und Herr Maihofer. Das muß man sich mal vorstellen, was da eigentlich für eine vollkommene Verkehrung der rechtlichen Begriffe am Werke ist. Und wissen Sie, Ihre demagogischen Ausführungen mit Erklärung Gewalt gegen jedermann, darüber müßte eben mal hier verhandelt werden, und es ist nicht so, daß Sie jetzt hier irgend etwas, was ja Bestandteil der Akten ist, was Sie möglicherweise hier auch noch, möglicherweise in der Hauptverhandlung dann diskutieren wollen, im Rahmen der Beweisaufnahme mit den sogenannten Ordnern: Bekennerbriefen, das können Sie doch nicht sozusagen vorziehen und sagen, aus irgendeinem, über dessen Authentizität man dann zuerst mal noch zu reden hätte, ist eigentlich, steht alles schon fest. Das ist doch eine, eigentlich eine unerhörte Zumutung an jemanden, der noch rechtsstaatlich denkt. Aber es ist eigentlich auch die vollkommene, der vollkommene Zerrüttung, die da stattfindet, daß man überhaupt mit dem Begriff nicht mehr zurande kommt, sondern eben nur noch demagogisch argumentiert. Und wenn Sie ferner in dem Zusammenhang, daß ich gesagt habe, wir brauchen, wenn wir einen solchen Grundsatz anerkennen, das fair trail, dann muß es eine prozessuale Form geben, die diesem Grundsatz zur Wirkung verhilft. Dann könnten Sie doch nicht darauf hin- [2420] weisen, daß es Bestimmungen gibt, über die Ablehnung eines Richters wegen[v] Besorgnis der Befangenheit. Ich würde sagen, das sind immer noch zwei Paar Schuhe, juristisch. Das sind zwei Dinge, aber abgesehen davon, daß die Vorschriften ja hier nicht mehr angewendet werden in Stammheim,[33] das ist eine zweite Frage. Aber das sind ohnehin rechtliche unterschiedliche Mittel. Es gibt eine ganze Reihe von Vorschriften innerhalb der Strafprozeßordnung, die auch ein rechtsstaatliches. Verfahren sichern soll. Aber der Grundsatz des fair trial, das heißt, in der Öffentlichkeit nicht sozusagen diese Vorausverurteilung festgeschrieben wird, das ist etwas ganz anderes, und ich habe ja, vielleicht haben Sie es überhört, auch darauf hingewiesen, das bezieht sich ja nicht nur darauf, daß da eine Beeinflussung des Gerichts vorliegt, sondern das betrifft die gesamte, das gesamte Panorama des Verfahrens, nämlich auch zum Beispiel Zeugen und Sachverständigen. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß ich hier ausgeführt habe, wenn ein Zeuge hierher kommt, der muß sich doch im Gefecht fühlen gegen die Staatsfeinde; und was das für seine Aussagewilligkeit und seine Glaubwürdigkeit dann für Wirkungen hat, das kann man sich ausmalen und ausrechnen und vorstellen. Also diese Ausführungen, die sind in keiner Weise, diese Erklärung, die Sie abgegeben haben, die sind in keiner Weise geeignet, hier irgend etwas dem entgegen zu setzen, was die Verteidigung gesagt hat. Und nun zu Ihnen, Herr Zeis. Also Sie haben hier mit großer Verve[w] mich angegriffen und gesagt, ob ich denn nun nicht das nachgeprüft hätte, was der Herr Holland, wenn ich solche Behauptungen aufgestellt habe. Wenn ich eine solche Behauptung aufstelle, dann habe ich dazu eine Information und Sie können versichert sein, daß wenn[x] ich [y] eine solche Information habe auch auf den Informanten gucke, den ich, der mir eine solche Information gibt. Und das möchte ich dazu sagen, und Sie können versichert sein, daß Sie mir da keine Zensuren zu erteilen brauchen, wie ich und mit welcher Sorgfalt ich solche Informationen entgegennehme und nachprüfe. In der Tat habe ich allerdings keine Möglichkeiten, wie Sie etwa, nun Herrn Holland zu mir zu zitieren und zu sagen, Herr Holland, ich gebe Ihnen jetzt Gelegenheit, sich dazu zu äußern, oder ich habe auch keine [2421] Möglichkeit etwa, Verfassungsschutzbeamte hinter irgend jemand herzuschicken oder Polizeibeamte und ähnliches. Ich habe keine Möglichkeit Telefone abhören zu lassen und ich habe auch keine Möglichkeit den Schriftverkehr überprüfen zu lassen, wenn Sie das allerdings meinen, in der Tat, da sind Ihre Möglichkeiten größer als die meinigen. Und da kann es sogar mir unterlaufen, das will ich durchaus konzedieren, daß auch mal Irrtümer entstehen, wobei allerdings, wissen Sie, ich hab da gar keine so großen Bedenken, auch mal einen Irrtum einzugestehen, das würde mir keinen Zacken aus der Krone brechen, aber das Entscheidende, darauf gehen Sie wiederum nicht ein. Wiederum nicht, Herr Zeis. Sie machen da so einen Entlastungsangriff, aber das, da können nun nicht darüber hinweggehen, daß Sie auf das Entscheidende nämlich nicht eingehen. Ob nun zwei, drei oder einen Tag oder was immer oder mehr als drei Tage Herr Holland in Berlin. Das Entscheidende, ob Herr Holland zeitlich in der Lage war, sich eine Entscheidung zu beschaffen, ob Durchsuchung, eine richterliche Entscheidung, ob Durchsuchung oder nicht? Und das ist genau der Punkt, auf den Sie nicht eingehen. Und das ist bezeichnend. Und nun mit der Frage der Untersuchungshaft ist das einzige, was Sie nun hier meinen, was, auf das Sie nun inhaltlich erwidern zu, verpflichtet[z] waren, zu erwidern verpflichtet waren. Ich kann mich nicht erinnern, ich mag mich täuschen, dann mag ich mich auch versprochen haben, daß ich hier generell von drei Jahren Untersuchungshaft gesprochen habe. Das ist ja hier im Prozeß eigentlich häufig erörtert worden, daß also unterschiedliche Untersuchungshaftzeiten hier bei den Angeklagten vorliegen, und ich glaube, das Gedächtnis auch der Öffentlichkeit ist nicht so kurz, daß sie das nicht mitbekommen haben, selbst, wenn die Verteidigung vielleicht da nicht differenziert hat. Die Tatsache, daß da in einem Artikel des „Konkret“ irgend etwas vielleicht in der Tat nicht ganz in der Zeit korrekt dargestellt worden ist, spielt auch keine Rolle, denn das Entscheidende, das Entscheidende, Herr Zeis, daß Sie diese Zeit benutzt haben, die Gefangenen zu, [2422] isoliert haben, die Gefangenen zu isolieren, einerseits, und daß diese Zeit dazu benutzt worden ist, zu dieser psychologischen Vorbereitung dieses Prozesses, dazu haben Sie doch inhaltlich überhaupt nichts zu bieten. Wollen Sie denn eigentlich für den höchsten Träger der Exekutive das Recht proklamieren, Angeklagte, bevor sie, der Prozeß begonnen hat, als Verbrecher zu bezeichnen, als Banditen und so weiter. Als Gewalttäter, deren Freilassung, deren Freilassung den Staat in die höchste Zerreißprobe seit Bestehen gestellt hat, wollen Sie dieses Recht für den höchsten Träger der Exekutive proklamieren? Dann sagen Sie es doch mal deutlich. Dann wäre es doch besser, Sie sagen das mal, anstatt drumrum zu reden, das ist doch das Entscheidende. Und nun schließlich noch zu Ihnen, Herr Wunder. Herr Dr. Wunder, ich meine, was nun den Test anbelangt, den Sie meinen, ruhig entgegensehen zu können durch die Öffentlichkeit, da ist zweierlei zu sagen. Sie haben es ja geschafft, durch die Verlegung des Prozeßortes nach Stammheim, daß also die Frage der Öffentlichkeit natürlich eine besondere Färbung bekommen hat. Das haben Sie geschafft. Sie haben es aber da noch ein zweites Wort gewählt, das finde ich so außerordentlich interessant, daß Sie sagen, es gibt also die Öffentlichkeit, die beobachten läßt. So ein Feudal, ja ja die Presse meinen Sie, ja, ja, ja beobachten. Also, Herr Springer läßt beobachten. Nicht, also so eine feudalistische Geschichte, da sitzt irgend jemand und läßt durch, und schickt seinen Mann dahin und läßt beobachten. Nicht wie so, es gibt ja diesen blöden Kalauer, daß man sagt; Ich lese nicht, ich lasse lesen, nicht. Ja das ist ein Verständnis von Öffentlichkeit, das finde ich außerordentlich interessant. Aber lassen wir das, es geht ja um die Vorgänge in Bruchsal, die sind sehr ernster Natur, und Sie haben da also von natürlichen selbstverständlichen Vorgängen in der Haftanstalt Bruchsal gesprochen und haben von einem bestimmten Vorfall in der Haftanstalt Bruchsal gesprochen. Ich hätte mal ganz gern gewußt, ich weiß nicht, was Sie damit meinen, was das also dieser Vorfall in Bruchsal gewesen sein soll, das bleibt ja [2423] so ganz im Vagen. Aber ein Trakt mit 8 Isolierzellen, mit irgendeinem vage beschriebenen Vorfall, können Sie nicht darstellen. Das nimmt Ihnen[aa] keiner ab. Das nimmt Ihnen[bb] keiner ab. Und wann diese, der Zeitpunkt ist auch interessant, wann die Isolierzellen gebaut worden sind, und schließlich wiederum gehen Sie darauf nicht ein, das Dementi ist interessant. Sehen Sie, Herr Dr. Wunder, Sie sind mit keinem Wort darauf eingegangen, auf die Ausführungen, die jetzt mehrfach wiederholt worden sind, der Verteidigung, daß diese Isolierzellen nach der offiziellen Verlautbarung für: „Aufrührerische lebenslängliche Gefangene gedacht sind, die in den Gefängnissen politisch agitieren“. Und nun sagen Sie mir, wo sind denn diese lebenslänglichen aufrührerischen Gefangenen, denen man, die man verdächtigt, politisch zu agitieren? Die gibt es nicht. Die gibt es nicht, sondern da hat man genau hier die Angeklagten dieses Verfahrens im Visier und das hat man nun wahrscheinlich unbeabsichtigt mit dieser, mit diesem Dementi eingestanden. Aber es gibt ja noch mehr Erkenntnis darüber, und wie gesagt, folgen Sie doch unserem Vorschlag, folgen Sie doch unserem Vorschlag, stimmen Sie dem doch zu, daß der Herr, daß der Leiter der Haftanstalt Bruchsal und Herr[cc] Rebmann hier gehört werden, und Sie werden feststellen, vielleicht gibt es sogar noch weitere Beweismittel, die man vielleicht dann nochmals zu gegebener Zeit hier in die Verhandlung einführen kann. Und das Interessante, damit lassen Sie mich schließen, ist, daß der Trakt ja bis heute natürlich auch unbenutzt ist. Bis heute ist er unbenutzt. Wenn er also für irgendwelche anderen Zwecke gedacht worden wäre, dann hätte ich gedacht, daß er vielleicht, nun ja, das kann es ja sein, daß er morgen belegt ist, um nun irgendwie jetzt also dann vielleicht einen anderen, ein bißchen Maskerade zu betreiben, nachdem, was die Verteidigung hier in der Verhandlung dann angesprochen hat, wird man dann vielleicht ein bißchen versuchen, Schminke aufzusetzen, aber bis heute ist er unbelegt.
Ende des Bandes 124.
[2424] Angekl. B[aader]:
Ja ich meine zunächst mal zu Zeis, also man kann auf den Jargon nicht mehr eingehen, diesen Dreck ...
Vors.:
Herr Baader, würden Sie Ihre Ausführungen in Zukunft möglichst auch in Worten beginnen, die hinzunehmen sind. Niemand hat bis jetzt gegenüber Ihren Ausführungen solche Argumente vorgebracht, also unterlassen Sie es doch bitte auch. Das Sachargument ist wichtig.
Angekl. B[aader]:
Die Bundesanwaltschaft bringt das allein schon im Jargon vor, also die Art und Weise, wie diese Herrn ihre inhaltsarmen Ausführungen emotionalisieren durch den Tonfall, das ist doch schon sehr bezeichnend. Aber man muß einfach mal feststellen, wie verhöhnend das eigentlich ist, wenn er also umbiegt die Feststellungen der Verteidigung, daß wir seit dreieinhalb Jahren isoliert sind und zwar mit dieser Empörung, mit dieser aufgesetzten, in die Behauptung, wir wären seit drei Jahren in Untersuchungshaft isoliert. Ich meine, das mag sein, daß der Rechtsanwalt Heldmann sich unmittelbar, als er in dieses Verfahren hier reingekommen ist, nicht darüber klar war, daß ich schon in Strafhaft war in dieser Zeit, weil er überhaupt keine Möglichkeit hatte, sich vorzubereiten.[34] Das mag ja sein. Aber wir haben das im übrigen nie behauptet, das ist auch vollkommen gegenstandslos, daß sich der Charakter der Isolation, ihre Wirkungen die hier behauptet werden, festgestellt worden sind und werden. Das ändert ja nichts durch den Status, ob der Gefangene nun Strafgefangener ist oder ob er Untersuchungsgefangener ist. Aber implizit steckt doch einfach in dieser Verdrehung schon drin, daß Zeis rechtfertigen will, Isolation, und zwar Isolation in schallgedämpften Trakten wie in Bruchsal in der Strafhaft. Das ist doch wohl eindeutig implizit da drin und dieser Trakt in Bruchsal ist ja zur Vollstreckung gebaut worden. Das ist ja nicht ein Trakt für Untersuchungsgefangene als Beispiel, sondern das ist ein Trakt zur Vollstreckung dieses hier abgekarteten Urteils. Und man muß da auch noch mal auf das Dementi hinweisen, weil es so in seiner Struktur auch so typisch ist. Es ist immer in einem Satz und das kennt man doch schon, das kennt man doch schon aus Nord- [2425] rhein-Westfalen, aus den Dementis von Posser[35] zu dem Trakt in Ossendorf. Es ist immer in einem Satz die Bestätigung, in einem Satz das Dementi. Also da heißt es: Es gibt einen[dd] Trakt mit schallgedämpfter Decke, aber absolut unzutreffend sei die Behauptung, daß er schalldicht sei. Er ist also schallgedämpft, aber nicht schalldicht. Das ist auch eine interessante Unterscheidung, wenn man diese Anlage kennt. Dann heißt es, diese Zellen seien abgesondert, architektonisch abgesondert - und dazu muß man wirklich mal in ein Gefängnis gehen, damit einem klar wird, was das bedeutet aber keineswegs isoliert. Tatsache ist, daß das eine Doppelschleuse ist, innerhalb der Anstalt, durch die man muß, um in diesen Trakt überhaupt reinzukommen. Naja, also ich weiß nicht, wenn das keine Bestätigung ist hier, dann möchte ich wirklich einmal wissen, was eine Bestätigung sein soll. In dem Brief an Klaus Croissant vom 19.7.1974, da hat Croissant angefragt, was das denn da für ein Ding da ist. Schreibt das Justizministerium, es handele sich um eine räumlich getrennte Abteilung, um eine interne Differenzierung der Vollzugsgestaltung in Bruchsal. Naja, ich mein, das ist sowieso schon klar, wohinter sich das dann tatsächlich versteckt. Das war ja hier auch bei Wunder unheimlich deutlich. Also da wird dann plötzlich etwas gebaut, und gestern waren es Renovierungsarbeiten. Er hat gestern gesagt, das sind Renovierungsarbeiten, die da vorgenommen werden. Und heute ist er dann der Sache schon etwas näher gekommen indem er also möglicherweise von einem Sicherheitstrakt gesprochen hat. Aber ein Sicherheitstrakt, und das ist genau die Erfahrung, ist ein Isolationstrakt und das ist explizit ein schallgedämpfter Isolationstrakt. Und man muß auch einmal sehen, daß z.B. Werner Hoppe[36], der Strafgefangener ist, in Hamburg bereits in so einem Ding sitzt. Das ist allerdings zusätzlich noch mit anderen Gefangenen belegt und zu dieser Maßnahme gehört selbstverständlich, daß es möglich ist, für Strafgefangene die Verteidiger auszuschließen. Also man kann sozusagen Verteidigerbesuche nach der rechtskräftigen Verurteilung unterbinden. Es gibt dann praktisch überhaupt keine öffentlichen Kontrollen mehr. Und was sich abspielt in diesen Maschinen, das ist tatsächlich jeder Kontrollierbarkeit entzogen. Das wird auch sicher nicht lange dauern. Dann weiter [2426] zu der Empörung von Zeis im Zusammenhang mit der Anwesenheit von Holland in Berlin: Ich halte es an sich für nicht so wichtig, ob da nun Holland selbst anwesend war oder ob dieses ungeheure Kommunikationsnetz über Funk, ob das im Gang war in diesem Zusammenhang. Es gibt da ja sehr ausführliche Äußerungen davon, wie Buback unmittelbare organisatorische Verbindungen zwischen regionalen Staatsanwaltschaften und der Bundesanwaltschaft als Konzept entwickelt hat, und wie das inzwischen institutionell verankert ist. Also er hat ja sozusagen so festgelegt, daß ein Mann bei jeder regionalen Staatsanwaltschaft, und das ist, glaube ich, bei einer Tagung Ende 74, wo alle diese Staatsanwälte, diese ausgesuchten Staatsanwälte in Karlsruhe zusammengekommen sind und instruiert[ee] worden sind, ist das festgelegt worden. Ich hab das hier, na. Das ist eine Meldung aus den Schaumburger Nachrichten vom 25.3.1975. Da steht: „Der Generalbundesanwalt möchte, wie er in einem Gespräch erläuterte, vor allem eine engere Kooperation mit den Staatsanwaltschaften erreichen, die in den Ländern für die Verfolgung usw.“. Die Grauzonen möchte Buback künftig durch eine ständige Zusammenarbeit mit den betroffenen 16 Staatsanwaltschaften ausräumen, durch regelmäßige Zusammenkünfte mit denen dafür benannten Beamten. Durch fortlaufende Informationen möchte der Generalbundesanwalt die zuständigen Staatsanwaltschaften auf dem gleichen Wissenstand halten. Also was sich dahinter alles verstecken kann. Wie die Bundesanwaltschaft, er möchte ihnen die gleichen Informationsquellen zugängig machen und ihnen Vorstellungen der obersten Strafverfolgungsbehörde zu einzelnen Komplexen regelmäßig übermitteln. Er möchte die örtlichen Staatsanwaltschaften näher an sich heranziehen, hat er gesagt. Naja, das ist einfach die Struktur, aus der dann möglich ist, was Wunder hier noch versucht hat, zu dementieren, eine gleichzeitige Aktion, also die bereits institutionalisierte Struktur an gleichzeitiger Aktion gegen diese drei Anwaltsbüros. Also die Anwesenheit von Herrn Holland ist da gar nicht der Punkt, der eigentliche. Aber was soll denn das heißen, das seien ungeheuerliche Behauptungen, also da möchte ich Zeis doch direkt noch einmal ansprechen. Ist denn das nicht Tatsache, Zeis, daß Sie selbst ...
Vors.:
Herr Baader, in[ff] diesem[gg] Zusammenhang möchte ich Ihnen nochmals klar machen, damit wir uns verstehen: Ich habe nichts dagegen, wenn Sie [2427] das „Herr“ weg lassen in der indirekten Rede. Das ist bei Ihnen üblich, da wird nichts beanstandet. In der direkten Anrede ist es hier im Saale üblich, mit „Herr“ anzureden. Ich warte immer noch auf die Belegstellen, die Sie mir vorgehalten haben, wo ich das bei Ihnen mal unterlassen hätte. Ich erwarte von Ihnen ...
Angekl. B[aader]:
Ja, Sie kriegen die Belegstellen.
Vors.:
... daß Sie hier anwesende Prozeßbeteiligte mit „Herr“ direkt anreden. Sonst können Sie das „Herr“ meinethalben weg lassen.
Angekl. B[aader]:
Also ich hab damit keine Probleme, Herr Zeis. Also ist es vielleicht nicht richtig, daß Sie allein bei uns in Stammheim viermal sämtliches Verteidigermaterial eingesehen haben bis unmittelbar vor dem Prozeß, daß Sie das alles rausgetragen haben zum wesentlichen Teil und daß das ohne jede richterliche Entscheidung passiert ist. D.h. obwohl der Senat hier drüben bereits saß, sich hier bereits eingerichtet hat und Sie praktisch wirklich nur über die Straße hätten gehen müssen, um sich eine richterliche Entscheidung für diese Durchsuchungen zu beschaffen. Ist das nicht gemacht worden mit der Behauptung, es sei Gefahr im Verzug, was natürlich grotesk ist, angesichts der Tatsache, daß ein Gefangener in seiner Zelle natürlich nicht weglaufen kann, vollkommen absurd. Aber das, würde ich sagen, lag vielleicht in dieser Phase des Verfahrens noch daran, daß Sie nicht so sicher waren zunächst. Möglicherweise lag es daran, daß Sie diese Durchsuchungsbefehle bekommen würden mit den dürftigen Begründungen, die ja auch hinterher alle zerfallen sind in nichts. Oder auch einfach aus der, naja, aus dem Machtbewußtsein der Bundesanwaltschaft, die natürlich diesen Senat in seiner unmittelbar für das Verfahren essentiellen Veranlassung, wie die Beschlagnahme von Verteidigermaterial, einfach wegschieben kann. Aber zum Teil hat der Senat ja hinterher, obwohl immer noch der Zusammenhang nicht hergestellt ist, nach den Begründungen, die gegebenen worden sind, dieses Material auch beschlagnahmt und hat sich damit ja dann auch, also beschlagnahmt und hat sich damit ja auch Einblick verschafft in die Verteidigungsvorbereitung. Aber das Wesentliche daran ist doch, daß das sozusagen grundsätzlich ist bei der Bundesanwaltschaft, daß Sie sich um richterliche Beschlüsse oder um richterliche Absicherung, [2428] wo vielleicht mal grade nicht der angesprochene Mann oder der Mann, mit dem sowieso schon unmittelbare Kontakte unter den Richtern gibt, an der richtigen Stelle sitzt, daß sie dann einfach diese richterliche Entscheidungen umschifft, d.h. sie eben nicht braucht. Das war so, wenn Sie hier von ungeheuerlichen Behauptungen sprechen, das war so auch bei der letzten Durchsuchung bei der Kanzlei in Heidelberg, Becker, Laubscher, Haag, wo Sie ja auch keinen Durchsuchungsbeschluß hatten und eine ganze Kanzlei ausgeräumt haben. Und ich halte es auch vielleicht noch mal für ganz wichtig, wo Sie unter dem Vorwand kamen, nämlich Sie, Zeis, mit einer Knarre in der Tasche,[37] wo Sie unter dem Vorwand kamen, um auch diesen Senat hier möglicherweise nicht fragen zu müssen oder, wie Wunder ja so beredt dargestellt hat, um hier in diesem Verfahren vielleicht einen Skandal irgendwie etwas herunter zu mildern. Naja, gut, ich muß das korrigieren, Sie hatten also einen Durchsuchungsbefehl für die Räume Haag, aber Sie haben alle Räume durchsucht. Also Sie haben außerdem noch die Akten von Frau Becker durchsucht, Sie haben Laubschers Akten auch in anderen Verfahren durchsucht und Sie hatten einen Durchsuchungsbefehl für Haag[38], das mag ja sein. Aber immerhin ist ja wesentlich, daß Sie da ja auch vorgegeben haben und das verweist wieder auf die Struktur der Bundesanwaltschaft und auf diese ganzen ungesetzlichen Manipulationen, wie Sie gesagt haben, Sie kämen in einem anderen Verfahren, nämlich in einem Ermittlungsverfahren, zu dem Anschlag in Stockholm. Und das ist eben das Bezeichnende. Daß es da angeblich um ein anderes Ermittlungsverfahren ging, daß es aber die identischen Leute waren, d.h. daß der Mann, der hier die Anklage vertritt sich dort unter dem Vorwand, in einem anderen Verfahren zu ermitteln Unterlagen und Einsicht verschafft hat in die Verteidigungsvorbereitung in diesem Verfahren, das ist der Punkt. Das macht das doch alles sehr deutlich. Und, ich weiß ja nicht, ob das vielleicht auch hier auffällt, bzw. zu dem Sätzchen noch mal, „Gewalt gegen jedermann“ von Widera. Das ist natürlich einfach, das hat wirklich ein Niveau, wenn Sie den Satz, das ist wirklich unglaublich. Ich würd sagen, Sie sollten sich vielleicht doch [2429] mal bemühen, inhaltlich auf das einzugehen, was gesagt worden ist zu dieser Frage und zwar inzwischen drei mal hier, zuletzt gestern von mir. Aber wie Sie auch versuchen, jeden Satz, der hier gesprochen wird, uns im Mund umzudrehen und ihn demagogisch zu verzerren, tatsächlich genügt Ihnen da die Pause von eineinhalb Minuten, wird das ja auch zunehmend für jeden offensichtlicher werden. Ich würde aber trotzdem sagen, Sie haben zugehört gestern, als die Bundesanwaltschaft gesprochen hat und es mag ja sein, daß Sie nicht wissen, was man versteht unter inhaltlicher Argumentation. Aber die einzige inhaltliche Argumentation, die ich gehört hab von Ihnen, war, daß Zeis gesagt hat, die Menschen, die Verletzung der Menschenrechtskonvention sei kein Verfahrenshindernis, da irre ich mich doch hoffentlich nicht. Aber sonst hat er das wirklich genaue Niveau wie heute von Fälschung, von Manipulation, von Lüge, von wirklich emotionalisiert vorgetragenen falschen Tatsachenbehauptungen inhaltlich, d.h. auf die besondere Qualität und die besonderen Umständen dieses Verfahrens eingehend, war darin nichts. Aber jetzt Heldmann, ja.
Vors.:
Jetzt haben Sie das Wort erteilt bekommen, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, bitte.
RA Dr. H[eldmann]:
Danke nach beiden Seiten. Herr Zeis, schon wieder mal haben Sie gestern wie heut demonstriert, inhaltliche Argumentation ist nicht Ihre Sache. Inhaltliche Erwiderung auf inhaltliche Argumentation liegt Ihnen fern. Ihre Sache sind verbale Anrempeleien, mit denen Sie Ihre prozessualen Auslassungen einleiten und durchsetzen und beenden, aber um Gottes Willen, ich möchte Sie gar nicht davon abhalten, denn insoweit sind Sie sicher ein brauchbarer Gehilfe der Verteidigung, auf die wir gar nicht verzichten wollen. Aber zu wenigen Punkten.
1. Ich habe gestern vorgetragen, das Zitat, daß in einer öffentlichen Hauptverhandlung am 14.8., allerdings nicht in Stammheim, wie ich sagte, sondern in Athen, gesagt werden konnte, Isolation ist die schlimmste Form der Folter. Und das hat ein griechischer Vizeadmiral aufgrund seiner Erfahrungen von 60 Tagen in einer Isolierzelle gesagt und das heißt in jener Meldung aus der FAZ, es war so schlimm, daß er sich die Pulsadern durchzuschneiden versuchte. Darauf weiß Herr Zeis nichts anderes zu er- [2430] widern als, die Angeklagten befinden sich ja noch gar nicht 3 Jahre und etwas in Untersuchungshaft. Oder er hat gesagt, nicht alle Angeklagten. Als ob das eine Erwiderung darauf wäre, auf den[hh] Vorwurf der Angeklagten, durch die Haftbedingungen sind wir in unseren heutigen Zustand geraten. Das ist Falschspielerei in öffentlicher Hauptverhandlung.
2. Herr Zeis ist der Einfall gekommen, die Angeklagten hier als verurteilt behandeln zu dürfen, jedenfalls in seinen verbalen Äußerungen, weil nämlich, so hat er uns hier erklärt, Strafverfahren gegen Dritte bereits festgestellt hätten, Baader, Meinhof, Ensslin, Raspe gehörten einer kriminellen Vereinigung an. Eine tolle juristische Konstruktion. Eine monströse juristische Argumentation! Als ob wir etwa im Zivilrecht den Vertrag zu Lasten Dritter[39] kennten, so ist nunmehr im Strafrecht ein Verfahren für die Feststellung strafrechtlicher Anschuldigungen maßgebend, in dem diejenigen, die es angehen soll, nämlich die Angeklagten hier, als solche überhaupt nicht zu Wort kommen konnten und sich folglich dazu gar nicht haben einlassen können. Ein juristisches Monstrum serviert vom Herrn Zeis für die Bundesanwaltschaft. Aber ich meine, so uneinsichtig oder so bar jeder juristischen Kenntnis kann er gar nicht sein, als daß[ii] das nicht wieder[jj] einer seiner Taschenspielertricks gewesen sein mag.
3. Meint er, wo die Menschenrechtskonvention Ansprüche gäbe, da sei noch kein Weg eröffnet, ein prozessualer, dieser Ort durchzusetzen. Es mag bezeichnend sein, für eine Rechtsauffassung, die Grundrechte und Menschenrechte als platonische Erklärungen erkennt und mehr nicht. Mit Sicherheit ist Mitinhalt jedes materiellen Rechtsanspruchs auch die Möglichkeit seiner Durchsetzung. Und wo etwa einer der europäischen Mitgliedstaaten der Konvention solche Durchsetzungsmöglichkeiten, einem Rechtsstaat übrigens fremd, nicht vorgesehen haben sollte, so weist zumindest Artikel 13 der Menschenrechtskonvention darauf hin, wo es um Beschwerderecht geht, um so mehr also das Recht durchzusetzen, wo die Konvention den Anspruch gibt, weist also darauf hin, daß diese Ansprüche der Konvention in jedem Falle innerstaatlich durchsetzbar sein müssen, und daß es daran nach unserem Recht auch nicht mangelt, haben wir gestern dargelegt mit den Erläuterungen zur anspruchsprozessualen Grundlage des [§ ]260[ Abs. 3 StPO][40]. Bitte, Verzeihung ich bin noch nicht fertig.
[2431] Vors.:
Achso, ich dachte Sie wären zu Ende.
RA Dr. H[eldmann]:
Nein, Verzeihung. Ferner, wenn das wahr wäre, so hat Herr Zeis gesagt, was die Verteidigung hier vorgebracht hätte, in Ihren Einstellungsanträgen, dann wäre das ja Grund für eine Ablehnung wegen Befangenheit. Er hat uns also auf diesen Weg verwiesen, den er selber nicht ernst nimmt, genausowenig wie ihn der Senat ernst nimmt, genausowenig wie ihn die Verteidigung noch ernst nehmen kann, etwa hier noch Ablehnungsanträge zu stellen. Aber allein Ihre Argumentation, wenn das wahr wäre dann, das ist schlicht Palmströmlogik: „weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Damit bestreiten Sie Ihre Einlassung, Ihre Erwiderung auf eine über zwei Prozeßtage dauernde Antragsbegründung der Verteidigung.
Nächster Punkt. Er hat behauptet, Baader hätte sich hier beklagt, im Zusammenhang mit Stockholm sei er von Schmidt vorverurteilt worden. Lesen Sie die Zeitungsberichte, am ausführlichsten wohl die Frankfurter Allgemeine nach, da werden Sie erkennen oder nachlesen können, was hier zitiert worden ist, so daß das herüber und hinüber sich hier erübrigt. Es liegt schriftlich vor, was Schmidt gesagt hat.
6. Haben Sie dann schließlich noch erklärt, Herr Baader hätte zu Stockholm eine Erklärung abzugeben. Herr Baader hat nicht, aber wenn Sie es besser wissen, bitteschön dann legen Sie sie auf den Tisch.
Vors.:
Die Bundesanwaltschaft hat noch die Möglichkeit ...
RA v[on ]P[lottnitz]:
-Rechtsanwalt von Plottnitz spricht im Hintergrund ohne Mikrofon, daher unverständlich-.
Vors.:
Nein.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Warum nicht.
Vors.:
Jetzt kriegt der Antragsgegner das letzte Wort und damit ist die Diskussion beendet.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, Herr Raspe hatte sich dem Antrag angeschlossen. [2432] Ist Ihnen das nicht erinnerlich?
Vors.:
Ich habe Ihnen vorhin schon erklärt, es war die Gelegenheit gegeben gewesen für Sie zu erwidern auf die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft. Es geht nicht ständig hin und her. Sie hatten das volle rechtliche Gehör. Nur weil die übrigen Herrn, die gerade gesprochen hatten direkt angesprochen worden sind ...
RA v[on ]P[lottnitz]:
Das war genauso direkt angesprochen ...
Vors.:
... haben Sie ausnahmsweise nochmals die Möglichkeit bekommen. Bitte, die Bundesanwaltschaft.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, dann beantrage ich, Herr Vorsitzender dann beantrage ich ...
Vors.:
Fügen Sie sich jetzt bitte zunächst mal meiner verhandlungsleitenden Maßnahme, daß jetzt die Bundesanwaltschaft das Wort hat.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Nein, ich möchte den Antrag stellen, ich bitte um Gelegenheit einen Antrag zu stellen ...
Vors.:
Nein, Sie können jetzt auch keinen Antrag stellen.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Ich möchte jetzt den Antrag stellen, mir das Wort zu erteilen.
Vors.:
Nein, Sie können jetzt keinen Antrag stellen ...
RA v[on ]P[lottnitz]:
Dann beantrage ich die Maßnahme um eine Senatsentscheidung.[41]
Vors.:
... ich nehme den Antrag nicht entgegen.[42]
RA v[on ]P[lottnitz]:
Herr Vorsitzender, Sie können mich hier doch nicht daran hindern, einen Antrag zur Worterteilung zu stellen.
Vors.:
Die Bundesanwaltschaft hat das Wort. Bitte.
OStA Z[eis]:
Als Herr Rechtsanwalt Heldmann in diesen Gerichtssaal einzog, stand in einer Zeitung, mit Rechtsanwalt Heldmann ist eine neue [2433] Variante von Verteidigung in den Gerichtssaal gezogen. Wie wahr, wie wahr. Bei all der Beleidigung und Verunglimpfung, die von der Gegenseite hier gegen die Bundesanwaltschaft gerichtet war, blieb es ihm überlassen, mir vorzuwerfen, ich arbeite mit Taschenspielertricks. Ich kann mich auch noch gut erinnern, als Herr Rechtsanwalt von Plottnitz in der ihm eigenen witzigen Art mir einmal geraten hat, ich solle mir eine bessere Brille beschaffen. Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, das hätten Sie besser Ihrem Kollegen gesagt. Nicht etwa daß ich mich von irgend einem Wort des Kollegen Widera distanziere ...
-RA Schily spricht unverständlich dazwischen-
OStA Z[eis]:
... aber Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, Sie sind ja noch nicht einmal mehr in der Lage Herrn Widera und mich auseinander zu halten. Nur weil es besser in die Rolle paßt, die Sie mir zugedacht haben, nämlich die des Buhmanns. Im übrigen nur ein Wort hierzu. Diese Rolle, die Sie mir zugedacht haben, [kk] die [ll] nehme ich gerne auf mich. Noch ein Wort zum Angeklagten Baader. Herr Baader, mit Ihrer Wahrheitsliebe ist es auch natürlich nicht so zum[mm] besten bestellt. Da wird pauschal behauptet, vier Zellendurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl, alle hat natürlich der Zeis gemacht. Wahr ist ...
Angekl. B[aader]:
War nur einmal dabei ...
OStA Z[eis]:
... eine Zellendurchsuchung ohne Durchsuchungsbefehl unmittelbar im Anschluß an die Entführung des Abgeordneten Lorenz,[43] das wissen Sie genau. Aber Herr Baader, das liegt ja auf der Linie ...
Angekl. B[aader]:
Wie war’s denn mit der letzten ... und wie war’s denn mit der davor, und wie war’s denn mit der in Schwalmstadt.[44]
OStA Z[eis]:
Unterbrechen Sie mich nicht. Das liegt auf der Linie, gut daß Sie gerade Schwalmstadt ansprechen. Das liegt auf der Linie, die bei Ihnen ja doch nicht so ganz neben der Sache liegt. Großsprecherisch haben Sie mal zu mir gesagt, ich lüge nicht. [2434] Als ich Sie eine Viertelstunde später bei einer Lüge ertappte, war Ihre Antwort, das ist revolutionäre Taktik.
Angekl. B[aader]:
Ach komm. Moment mal, das ist doch ein Lehrbuch, darf ich darauf antworten.
Vors.:
Augenblick, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz ...
Angekl. B[aader]:
Kann ich darauf antworten.
Vors.:
Nein. Herr Rechtsanwalt von Plottnitz wollte ...
Angekl. B[aader]:
Was heißt „nein“. Kann dieses Arschloch hier lauter Scheiße reden. Das ist doch glatt gelogen. Kein Wort stimmt davon.
Vors.:
Wenn, Herr Baader, Sie haben gerade sich erneut störend benommen. Ich verwarne Sie zum letzten Mal und wegen dieser Beleidigung weise ich Sie auf die Zukunft darauf hin, wenn derartige Worte weiterhin fallen, dann werden wir Sie auch zusätzlich noch in Ordnungsstrafe nehmen, damit Sie sich ganz klar darüber sind: In Ordnungshaft.[45]
Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, Sie wollten einen Antrag stellen, bitte.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Ich wollte den Antrag stellen, mir das Wort zu erteilen. Und ich darf auch um eine kurze Erwiderung, die wird bestimmt nicht länger als 2 Minuten ...
Protokollführer:
Bitte Mikrofon.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Um eine kurze Erwiderung zu dem, was die Bundesanwaltschaft gesagt hat. Ich hin ja inzwischen auch direkt angesprochen worden, und zwar im Zusammenhang mit irgendwelchen Brillenfragen, glaube ich.
Vors.:
Das akzeptiere ich. Gut, Sie sagten das.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Ich möchte eins noch sagen zur Frage von Lügen und zur Frage von Tatsachenverdrehungen. Das Vertrauen der Bundesanwaltschaft in die [2435] Kräfte, die der Dr. Wunder hier zur Öffentlichkeit ernannt hat, also diejenigen, die den Prozeß beobachten lassen, scheint nicht sehr groß zu sein, sonst hätte es nämlich die Bundesanwaltschaft nicht nötig etwa, einen solch manipulativen Zusammenhang hier herzustellen von Hungerstreik und angeblicher Prozeßverschleppung. Herr Dr. Wunder, Sie wissen doch ganz genau, der Hungerstreik hat begonnen zu einer Zeit, als noch keine Terminsverfügung für diese Hauptverhandlung vorlag und nicht absehbar war, wann eine Terminsverfügung vorliegen würde. Er wurde beendet zu einer Zeit, als immer noch keine Terminsverfügung vorlag und kein Mensch wissen konnte, wann eine solche Terminsverfügung kommen würde und zu wann terminiert würde. Das zu diesem Punkt. Im übrigen, Herr Dr. Wunder, an der Anklageschrift interessiert uns natürlich nicht nur die Frage, warum Sie die Vorschrift des Hochverrats in Ihrem Zylinder gelassen haben, nicht die Vorschrift herausgezaubert haben. Es interessiert uns daran natürlich auch genauso die Frage, warum im Zusammenhang mit der Erstellung der Anklageschrift, auch in diesem Zusammenhang muß man sagen: auf elementare [nn] strafprozessuale Grundsätze verzichtet worden ist. Dem Grundsatz etwa, daß die Anklage nur dann erfolgen darf, wenn individuelle Tatbeiträge annehmbar sind.[46] Ihre Anklageschrift verdankt sich gerade dort, wo sie Eindruck zu erwecken versucht, der Annahme so einer Art kooperatistischer Generalhaftung, wie sie dem Strafrecht der Bundesrepublik bislang fremd war.
Vors.:
Schön, der Senat setzt die Sitzung um 14 Uhr fort, bis dahin wird die Sitzung unterbrochen.
Um 10.44 Uhr zieht sich der Senat zur Beratung zurück.
Ende von Band 125.
[2436] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.06 Uhr in derselben Besetzung wie am Ende der Vormittagssitzung.
Vors.:
Ich bitte, Platz zu behalten. Für diejenigen Damen und Herrn, die es noch nicht wissen: Wir legen auf diese Höflichkeit nur am Beginn des Sitzungstages, also vormittags, Wert. Zunächst ist, da wir vollzählig sind, bekanntzugeben, was der Senat beschlossen hat:
Die Anträge, das Verfahren einzustellen, werden abgelehnt.
Gründe:
Weder die von den Antragstellern vorgebrachten noch etwa von Amts wegen zu beachtende Gesichtspunkte rechtfertigen die Einstellung des Verfahrens. Art. 6 der Menschenrechtskonvention sieht eine derartige Rechtsfolge nicht vor. Sie ist auch in der Rechtsprechung bisher nicht anerkannt - vgl. zuletzt BGH in Strafsachen, Bd. 24 S. 239.[47]
Der Grundsatz des fair trial wird als verbindliche Richtlinie für die Rechtssetzung und Rechtsanwendung behandelt. Der sachliche Inhalt der Antragsbegründung läßt im übrigen keine Verletzung des Grundsatzes des fair trial erkennen.
---
Die Angeklagten erhalten hiermit die Gelegenheit, sich zu der verlesenen Anklage zu äußern. Ich frage die Angeklagten, die inzwischen über ihre Rechte belehrt sind i.S. des § 243 Abs. 4[ StPO],[48] ob sie sich zur Anklage äußern wollen. Herr Raspe, wollen Sie sich zur Anklage äußern? Wollen Sie einen Antrag stellen?
Angekl. Baa[der]:
Ich möchte mal fragen, ob das tatsächlich alles war.
Vors.:
Es war der Beschluß des Senats, wie Sie ja aus der Begründung ersehen haben. Ich habe Sie jetzt gefragt, ob Sie sich zur Anklage äußern wollen.
[2437] Angekl. Baa[der]:
Naja, hören Sie mal. Sie haben doch bisher schon mal ...
Vors.:
Herr Baader, Sie haben jetzt das Wort nicht. Ich bitte, Herrn Baader auch das Wort hier nicht zu geben durch das Mikrophon.
Herr RA v[on] Plottnitz, wollten Sie einen Antrag stellen?
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Ich will einen Antrag stellen, aber ich habe vorher eine Frage zur Klärung zunächst.
Vors.:
Darf ich fragen, um welchen Antrag es sich handelt?
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Herr Vorsitzender, wenn Sie mich so zwingen, muß ich den Antrag stellen. Vielleicht wird er sich erledigen.
Also ist es nicht gestattet, zur Aufklärung ...
Vors.:
Nein. Wir sind jetzt in der Prozeßhandlung, der Vernehmung zur Sache,[49] und dazu möchte ich erfahren, ob ein Antrag gestellt wird.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Gut, dann stelle ich meinen Antrag, Herr Vorsitzender, dann stelle ich meinen Antrag, wenn Sie’s so wünschen, und zwar beantrage ich:
die nach Informationen der Verteidigung heute morgen von Seiten des Senats ergangene Anordnung, wonach die Durchsuchungspraktiken noch verschärft werden bzw. dahingehend zu verschärfen sind, daß die Verteidiger nunmehr nicht nur beim Betreten des Prozeßgebäudes, sondern zusätzlich auch vor dem Besuch der Mandanten in den Zellen im Tiefgeschoß auf den Inhalt ihrer Behältnisse hin zu überprüfen sind, unverzüglich rückgängig zu machen.
Vors.:
Wir werden über diesen Antrag später entscheiden, aber ich nehme ihn jetzt nicht entgegen in dieser Prozeßhandlung. Es kann nachher, wenn die Antworten der Angeklagten eingegangen sind, erneut auf diesen Antrag zurückgekommen werden. Herr Raspe.
[2438] RA v[on] Pl[ottnitz]:
Dann habe ich weiterhin zu beantragen:
den Antrag jetzt nebst Begründung entgegenzunehmen.
Vors.:
Nein, er wird jetzt nicht entgegengenommen. Wir sind jetzt in einer Prozeßhandlung, da kann dieser Antrag nicht dazwischenhereingestellt werden.
Herr Raspe.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Dann beanstande ich die Maßnahme und bitte um eine Senatsentscheidung.
Vors. (nach geheimer Umfrage):
Der Senat hat beschlossen, daß der Antrag jetzt nicht entgegengenommen wird. Er wird nach der Prozeßhandlung, die eben eingeleitet ist, zur Kenntnis genommen werden.
Gelächter aus dem Saal.
Wenn die Herrschaften, die hier im Saale sich so heiter äußern, wünschen, daß sie weiterhin der Verhandlung folgen können, dann bitte ich Sie, etwas mehr Ruhe zu bewahren.
Herr Raspe, wollen Sie sich zur Anklage äußern?
Ich nehme jetzt keine Anträge entgegen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
Referendar Dr. Te[mming]:
Sie können doch nicht verhindern ...
Vors.:
Ich kann verhindern.
Herr RA Dr. Heldmann.
RA Dr. He[ldmann]:
Erlauben Sie mir eine Anfrage zur Öffentlichkeit des Verfahrens: Besteht eine Senatsanweisung oder eine Anweisung des Herrn Vorsitzenden, daß nur derjenige, der einen gültigen Personalausweis hier vorzeigt, eingelassen wird als Zuhörer?
Vors.:
Es ist selbstverständlich, daß ein gültiger Personalausweis Voraussetzung für den Zutritt ist. Das ist aber nichts Neues, das ist praktiziert seit dem ersten Tag.
[2439] RA Dr. He[ldmann]:
Jaja. Die Rechtsgrundlage würde mich nur interessieren, damit ich weiß, wie Sie die Öffentlichkeit hier machen.
Vors.:
Sie wissen genau, daß hier nur der Zutritt genehmigt ist demjenigen, der sich ausweisen kann. Ausweisen kann sich wohl nur derjenige, der einen gültigen Ausweis in Besitz hat und vorweisen kann.
RA Dr. He[ldmann]:
Ist das Hausrecht, ja?
Vors.:
Das ist sitzungspolizeiliche Verfügung;[50] es ist im übrigen auch in der Hausrechtsverfügung meines Wissens so festgehalten.
Herr Raspe, wollen Sie sich zur Anklage äußern?
Bitte das Mikrophon.
Angekl. Ra[spe]:
Wir wollen uns natürlich zur Anklage äußern, zur Sache äußern, vor allen Dingen. Allerdings nicht jetzt, und das ist das erste.
Und das zweite, worauf ich also den Senat hinweisen möchte in dem Zusammenhang ...
Vors.:
Haben Sie jetzt noch zu der Frage, ob Sie sich zur Anklage äußern wollen, etwas zu sagen?
Angekl. Ra[spe]:
Ich will den Senat im Zusammenhang dieser Frage zunächst mal darauf hinweisen auf die illegale Form und Praxis der Vernehmung zur Person neulich.
Vors.:
Ja. Da können wir noch darauf zu sprechen kommen.
Nun zunächst Frau Ensslin. Wollen Sie sich auch zur Sache äußern?
Angekl. Enss[lin]:
Sicher. Aber nicht jetzt.
Vors.:
Herr Baader?
[2440] Angekl. Enss[lin]:
Ganz sicher nicht, bevor wir uns nicht zur Person geäußert haben.
Vors.:
Herr Baader?
Angekl. Baa[der]:
Ja, das ist doch der Punkt erst mal. Was ist denn mit der Vernehmung zur Person?[51] Die gehört doch prozessual eigentlich davor, und Sie haben sie illegal verhindert, indem Sie sie so gelegt haben, d. h. in einen Zeitpunkt gelegt haben, in dem wir nach den Bekundungen dieser Gutachter schon nicht mehr verhandlungsfähig waren. Und ich würde also sagen, Sie sollten, wenn Sie schon ...
Vors.:
Wollen Sie sich äußern oder nur einen Ratschlag erteilen?
Angekl. Baa[der]:
Verdammt! Dann hören Sie mir doch zu! Was ist eigentlich mit Ihnen los? Was soll denn das?
Vors.:
Herr Baader, ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen sich zu der Frage äußern.
Angekl. Baa[der]:
Naja. Was soll ... Das ist doch hier wieder ein völlig neuer Ton. Also versuchen Sie doch wenigstens, die Leute die Sätze zu Ende reden zu lassen und die Argumentationen, wenn sie welche haben, zu Ende entwickeln zu lassen.
Das ist doch wirklich nicht zu fassen.
Vors.:
Es ist, Herr Baader, die Frage ...
Angekl. Baa[der]:
Nein. Das ist Ihre alte Taktik, Leute zu zerstören, d. h., Zusammenhänge hier zu zerreißen, indem Sie dauernd dazwischensabbeln.
Vors.:[oo]
Herr Baader, wollen Sie sich noch zu der Frage, die gestellt ist, äußern?
Angekl. Baa[der]:
Ja, das tu ich ja grade, wenn Sie’s nicht verhindern.
[2441] Vors.:
Das verhindere ich nicht.
Angekl. Baa[der]:
Na. Wir sind der Ansicht, nachdem, was wir wissen über die StPO, die hier tatsächlich gegenstandslos geworden ist, daß vor der Vernehmung zur Sache die Vernehmung zur Person kommt, und wir weisen eben nochmals darauf hin, daß Sie illegal die Vernehmung zur Person verhindert haben, indem Sie sie so terminiert haben auf nachmittags, zu einen Zeitpunkt, zu dem wir nicht mehr verhandlungsfähig waren, wie wir jetzt inzwischen festgestellt haben.
Vors.:
Frau Meinhof, bitte schön. Wollen Sie sich zur Anklage äußern?
Angekl. Me[inhof]:
Ja, wir werden uns zur Anklage äußern, wenn wir uns zur Person äußern konnten, was Sie seither verhindert haben.
Vors.:
Sie können sich selbstverständlich im Rahmen der Äußerung zur Sache auch zu Ihrer Person äußern, das nachholen.
Angekl. Baa[der]:
Es ist umgekehrt:
Wir wollen uns im Rahmen der Äußerung zur Person zur Sache äußern. Stellen Sie sich mal vor.
Vors.:
Die Vernehmung zur Person und die Verlesung der Anklage ist, wie Sie wissen, erfolgt.
Referendar Dr. Te[mming]:
Moment. Hier ist grade die Frage gestellt worden, daß die Vernehmung zur Person unzulässig war.
Vors.:
Haben Sie ... Herr Gerichtsreferendar, haben Sie das Wort im Augenblick oder was ist?
Referendar Dr. Te[mming]:
Da Sie das Wort grundsätzlich nicht erteilen, muß man in dem Moment, wo es darum geht, daß Sie eine rechts... verfahrenswidrige Maßnahme ergreifen, muß man sich’s halt selbst holen, und das tu ich hiermit.
[2442] Es geht hier ... Es wird hier angezweifelt, daß die Vernehmung zur Person rechtmäßig war.
Vors.:
Gut. Dann kann ein Antrag in dieser Richtung formuliert werden.
Referendar Dr. Te[mming]:
Lassen Sie mich doch mal bitte ausreden.
Da die StPO vorsieht, da die StPO vorsieht, daß die Vernehmung zur Person vorher ...
Vors.:
Herr Dr. Temming, Herr Dr. Temming, Herr Dr. Temming, im Augenblick, im Augenblick ... Jetzt hören Sie mal zu, Herr Dr. Temming, Sie haben das Wort bisher nicht erhalten, Sie haben auch nicht drum gebeten. Aber ich sage Ihnen, ...
Referendar Dr. Te[mming]:
Ich hab Sie die ganze Zeit drum gebeten ...
Vors.:
... ich sage Ihnen, Sie können einen Antrag formulieren, wenn Sie glauben, daß Sie überprüft haben wollen, daß diese Maßnahme damals - die Vernehmung zur Person und die Verlesung der Anklage - illegal gewesen wäre. Ich habe also ...
Referendar Dr. Te[mming]:
Dann bitte ich ...
Vors.:
Darf ich zunächst feststellen:
Ich habe die Angeklagten befragt, ob Sie sich äußern wollen. Sie haben erklärt, sie wollten das tun, aber im Augenblick nicht. Sie wollten sich zuerst zur Person äußern, und daran knüpft ja jetzt wohl Ihr Antrag.
Referendar Dr. Te[mming]:
Mein Antrag geht dahin,
daß Sie nicht versuchen sollten, das Prozeßstadium vorzuverlagern, daß wir uns jetzt bereits im Stadium der Vernehmung zur Sache befänden, sondern daß zunächst mal die damals rechtswidrig vorgenommene Vernehmung zur Person jetzt im rechtsförmlichen, rechtmäßigen Verfahren von Ihnen versucht wird, zu wiederholen.
Vorher auf jeden Fall.
[2443] Vors.:
Herr RA Dr. Heldmann, bitte.
RA Dr. He[ldmann]:
Zur selben Frage.
Ich erhebe ausdrücklich die Prozeßrüge, daß die Vernehmung durch den Senat - ganz abgesehen von den äußeren Umständen, die ich nicht zum Gegenstand dieses Antrags machen möchte - die Vernehmung zur Person der einzeln vorgeführten Angeklagten am 19. August, nachmittags um ca. 15.00 Uhr, in einem Zeitpunkt stattgefunden hat, in dem die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten nicht mehr bestanden hat. Das erhebe ich ausdrücklich als Prozeßrüge,
und damit verbinde ich den Antrag:
die rechtsunwirksam vorgenommene Vernehmung zur Person zu wiederholen.
Vors.:
Herr RA v[on] Plottnitz. Bitte das Mikrophon.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Dieser Prozeßrüge habe ich mich für den Herrn Raspe anzuschließen, ebenso der Begründung.
Vors.:
Schließt sich sonst noch jemand an. Ich sehe ... Herr RA Schily, nein?
Will die B. Anwaltschaft Stellung nehmen? Bitte schön.
BA Dr. Wu[nder]:
Nur eine ganz kurze Erklärung:
Nach der hier im Sitzungssaal damals mitgeteilten Äußerung eines Gutachters kann nicht zweifelhaft sein, daß die Angeklagten am 19.8. tatsächlich verhandlungsfähig waren. Ich hab zwar im Augenblick nicht die genaue Verhandlungszeit über diesen Tag vorliegen. Aber ich glaube, daß es sich bei der reinen Verhandlungszeit um etwa 1 ½ Stunden[52] gehandelt hat.
Dazu kommt:
Wenn Angeklagte keine Angaben zur Person machen wollen, kann - wie es geschehen ist - das Gericht ohne weiteres aufgrund freibeweislicher Würdigung[53] des Akteninhalts von den im Vorverfahren auszugehenden und dort festgestell- [2444] ten Personalien ausgehen. Dies ist geschehen.
Weiteres ist dem nicht hinzuzufügen.
Vors.:
Der Senat wird über die Frage kurz beraten.
Der Senat zieht sich um 14.18 Uhr zur Beratung zurück.
Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.27 Uhr.
Vors.:
Der Senat hat folgenden Beschluß gefaßt:
Die Anträge, wieder in den Verfahrensstand der Vernehmung zur Person im Sinne des § 243 Abs. 2 S. 2 StPO zurückzukehren, werden abgelehnt.
Gründe:
Die Anträge werden mit angeblicher Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten begründet; doch waren die Angeklagten verhandlungsfähig. Das ergab sich nicht nur aus einer mündlich eingeholten ärztlichen Äußerung, sondern folgt auch daraus, daß zum Zeitpunkt der Vernehmung zur Person erst knapp 1 ½ Stunden verhandelt worden war, nach dem inzwischen vorliegenden ärztlichen Zwischenbescheid selbst jetzt aber eine dreistündige Verhandlungszeit unter Ausschluß der Pausen unbedenklich ist.
Wenn die Angeklagten jetzt die Gelegenheit, die ihnen gegeben ist, sich zu äußern - sei es zur Person oder zur Sache - nicht ergreifen, muß ich die Frage stellen, ob irgendwelche Anträge gestellt werden sollen. Im andern Falle werden wir am kommenden Dienstag mit der Vernehmung der ersten Zeugen beginnen.
Herr RA v[on] Plottnitz.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Es sind Anträge zu stellen.
Der erste ist ja von mir schon vorhin gestellt worden; der Senat hat ihn wohl nicht entgegengenommen. Ich habe ihn also zu wiederholen. Er betrifft die Frage der weiteren Durch- [2445] suchung, der zweiten Durchsuchung der Verteidiger vor Eintritt in die Zellen der Gefangenen hier im Prozeßgebäude. Wir haben vorhin festgestellt, als wir die Mandanten besuchen wollten, daß also die Beamten, die unten eingesetzt sind, den Inhalt unserer Handtaschen bzw. Aktentaschen zu sehen wünschten, nachdem wir grade die Schleuse passiert hatten, in der ja minutiös eben dieser Inhalt auch einer Durchsuchung unterzogen wird, und wir wurden auf unsere Frage, wieso das jetzt plötzlich erforderlich sei, auf eine Anordnung des Senats verwiesen.
Daher also der Antrag:
diese Anordnung unverzüglich rückgängig zu machen.
Es ist offensichtlich so:
Nachdem wir hier in der Hauptverhandlung die Frage der Durchsuchung prinzipiell mal aufgebracht haben, hat sich der Senat veranlaßt gesehen, hier noch zu verschärfen - diskriminierende Regelungen für die Verteidiger - statt dafür Sorge zu tragen, wie es hier mal angeklungen ist, daß diese Diskriminierungen ein Ende haben.
Das ad 1. Das ist der erste Antrag, der zu stellen wäre.
Der zweite Antrag ganz kurz in dem Zusammenhang, weil er hier immer wieder eine Rolle spielt:
Schon i. S. der Aufrechterhaltung der Verhandlungsfähigkeit, soweit sie überhaupt besteht, der Gefangenen, ist es notwendig, daß die Gefangenen viel Obst zu sich nehmen - das ist Ihnen von ... zu einem früheren Zeitpunkt mal auch von dem Gefängnisarzt Dr. Henck gesagt worden.
Vors.:
Herr RA v[on] Plottnitz, bitte verzeihen Sie, wenn ich frage: Sind das Anträge, die die Hauptverhandlung berühren oder kann man die nicht außerhalb der Hauptverhandlung stellen?[54]
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Nein, Herr Vorsitzender. Ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, daß Anträge, die, wie Sie meinen, in den Bereich außerhalb der Hauptverhandlung gehören, überhaupt in der Versenkung verschwinden, man darauf keine Bescheide erhält. [2446] Schon daher sehe ich mich veranlaßt, diese Anträge in öffentlicher Sitzung zu stellen. Ich hoffe dann, daß der Senat sich veranlaßt sieht, dazu dann schlüssig zu entscheiden, zumal der Senat ja selbst gefragt hat, ob Anträge zu stellen sind.
Vors.:
Wollen Sie die Behauptung damit aufstellen, diese Anträge, die Sie außerhalb der Hauptverhandlung gestellt hätten, seien nicht beschieden worden?
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Bisher ... Es gibt z. B. Anträge zur Fernsehfrage, ich glaube, einen von den Gefangenen selbst, einen von mir, inzwischen zwei. Darüber habe ich also keine Bescheide bekommen.
Vors.:
Nein. Die sind auch noch nicht entschieden. Da ist ja noch ne Rückfrage, glaube ich, bei Ihnen im Gange?
Angekl. Baa[der]:
Seit sechs Monaten entscheiden Sie nicht.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Na gut. Ich will also jetzt trotzdem mit der chronologischen Reihenfolge diese Anträge einbringen.
Vors.:
Das ist kein Antrag für die Hauptverhandlung.
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Also der Senat will diesen Antrag nicht entgegennehmen?
Vors.:
Doch, selbstverständlich,
Vors. u. RA v[on] Pl[ottnietz] (gleichzeitig):
... aber nicht in der Hauptverhandlung.
Vors.:
So ist es. Ich möchte Sie bitten, sich wieder so im üblichen Wege schriftlich kurz zu formulieren. Er wird selbstverständlich beschieden; auch Ihre letzten Anträge, die kamen, sind alle sofort beschieden worden. Das war ja ein ganzer Stapel. Also ich bitte Sie, sich jetzt zu beschränken auf Anträge, die in die Hauptverhandlung gehören, die also hier für die Sache von Bedeutung sind.
[2447] RA v[on] Pl[ottnitz]:
Dann werde ich darauf verzichten insoweit, um einen Senatsbeschluß einzugehen ... einzukommen, weil das Ergebnis ja absehbar ist.
Aber ich will einen weiteren Antrag stellen, der betrifft die Frage der Sachverst., und zwar war es ja in der vergangenen Woche so - oder zu Beginn dieser Woche, das kann ich jetzt nicht mehr sagen -, daß der Senat mitgeteilt hat den Verfahrensbeteiligten, er sei sich überhaupt noch nicht schlüssig darüber, ob nun im Freibeweisverfahren hier die die gutachtlichen Stellungnahmen schriftlich eingeholt und verlesen werden sollten, oder ob hier die Gutachter in mündlicher - also in öffentlicher Sitzung - angehört werden sollten. Da bis da ... Da von daher keine Erklärung bisher erfolgt ist, uns also nicht mitgeteilt worden ist, daß in öffentlicher Sitzung die Sachverst. gehört werden, habe ich den Antrag für den Herrn Raspe zu stellen:
die vom Senat durch die ... durch den Beschluß vom 18.7.1975 als Sachverständige beauftragten Gutachter in öffentlicher Sitzung, und zwar zu gleicher Zeit einschließlich übrigens des Sachverständigen Prof. Feldmann, anzuhören.
Dazu ein weiterer Antrag:
Außerdem bitte ich um Mitteilung,
beantrage ich:
der Verteidigung bekanntzugeben, welche Aktenbestandteile bislang den Sachverständigen, die mit Untersuchungen beauftragt worden sind, von Seiten des Senats zur Vorbereitung des Gutachtens zur Verfügung gestellt worden sind.
Falls nicht bereits geschehen, beantrage ich:
den Sachverständigen alle Stellungnahmen der Verteidigung zur Frage der Haftbedingungen, konkreter zur Frage der Isolation der Gefangenen seit dem 1.9.1974 zur Kenntnis zu bringen.
Vors.:
Welches Datum: 1.9.1974?
[2448] RA v[on] Pl[ottnitz]:
1.9.1974.
Und drittens beantrage ich:
den Sachverständigen
- da das ja zunächst mal nicht anders möglich ist -
schriftlich zur Kenntnis zu bringen, daß die Verteidigung, also in dem Fall hier die Verteidigung des Gefangenen Raspe, die suggestive Art und Weise, wie der Senat durch Schreiben an die Sachverständigen Müller und Schröder vom 22.8.1975 die Frage des § 231a StPO[55] angeschnitten hat,[56] ausdrücklich rügt, insbesondere rügt, daß die Frage des § 231a[ StPO] den Sachverständigen gestellt worden ist, bevor überhaupt irgendwelche definitiven Befunde zur Verhandlungsfähigkeit und dem Ausmaß der Beschränktheit oder Vorhandenheit vorliegen.
Das sind die Anträge, die von uns zu stellen sind, von mir zu stellen sind zu diesem Punkt. Ich bitte im übrigen, über diese Anträge sofort zu entscheiden, weil wir Klarheit darüber haben müssen, ob wir hier in öffentlicher Sitzung eine Sachverständigenanhörung zu gewärtigen haben, oder ob wir hier vom Senat etwa auf das unzumutbare Verfahren verwiesen werden sollten, daß wir Fragen, Auskünfte, Mitteilungen, die von uns aus zu [pp] richten wären zur Überprüfung der Äußerungen der Sachverst., quasi [qq] über Vermittlung des Senats jeweils schriftlich einzubringen haben.
Vors.:
Werden weitere Anträge gestellt? Herr RA Schily, bitte sehr.
RA Sch[ily]:
Ich schließe mich den Anträgen des Kollegen v[on] Plottnitz an. Ich darf zu dem ersten Punkt, also diese Frage der Durchsuchung, vielleicht zur Illustrierung darauf hinweisen, daß vor einigen Tagen in der „Frankfurter Rundschau“ - ich weiß nicht, ob Sie diese Zeitung lesen - ein Bericht erschienen ist über ein auswärtiges Gericht, in einem ausländischen Gericht, nämlich im indischen Gerichtshof, wo die Anwälte [2449] aus Protest gegen angeordnete Leibesvisitation den Boykott erklärt haben. Es gibt also durchaus noch Kollegen, wenn auch vielleicht sehr weit entfernt räumlich, die die gleiche Auffassung haben wie die Verteidiger in diesem Verfahren, daß das eine unzumutbare diskriminierende Maßnahme ist.
Im übrigen, was die Sachverst. anlangt, teile ich die Auffassung des Kollegen v[on] Plottnitz, daß selbstverständlich eine Anhörung dieser Sachverst. in öffentlicher Verhandlung notwendig ist. Nach den bisherigen Erklärungen des Senats bin ich an sich davon ausgegangen, daß wenigstens für das Endstadium sozusagen, also für das endgültige Gutachten auch dieser Weg gewählt würde. Aber nachdem das also etwas unklar geworden ist, halte ich es auch für erforderlich, daß insoweit eine Klarstellung des Senats erfolgt, damit die Verteidigung sich da auf diese Frage dann einstellen kann.
Im übrigen ist es in jedem Falle unumgänglich, daß uns ... daß wir darüber informiert werden, welche Auswahl der Senat hinsichtlich der Aktenbestandteile getroffen hat, die den Sachverständigen zugänglich gemacht worden ist. Wenn also keine Auswahl getroffen ist, sondern vollständig, dann wäre diese Auskunft natürlich auch notwendig. Aber auf jeden Fall muß darüber Klarheit geschaffen werden, wie der Senat sich gegenüber den Sachverst. verhalten hat. Angesichts der in der Tat suggestiven Fragestellung in einem Schreiben des Senats hat die Verteidigung natürlich ernste Zweifel, ob hier in der Tat ... ob die Sachverst. in vollem Umfange diese Unterlagen, die sie benötigen, erhalten haben.
Im übrigen, weil der Kollege Dr. Heldmann hier auch auf die Frage der Öffentlichkeit eingegangen ist, möchte ich in diesem Zusammenhang auch einen Vorgang zur Sprache bringen, bei dem ich nicht weiß, ob der Senat da über Erkenntnisse verfügt. Aber ich meine, daß der Senat der Sache nachgehen sollte:
Es ist mir die Mitteilung gemacht worden, daß ein Zuhörer sich hier eingefunden hatte und einen Platz hier, weil ja sehr viele Presseplätze im Moment frei sind, auch an einem Platz, wo also [2450] eine Möglichkeit ist, auf einem kleinen Tischchen auch was zu schreiben. Und als er das getan hatte, daß sich dann mehrere Zivilisten, bei denen es sich offensichtlich um Beamte gehandelt hat, sich zu ihm gesetzt haben und offenbar also mit der Funktion, zu kontrollieren, was da aufgeschrieben wurde und worüber sich dieser Zeuge, den ich also dem Gericht auch namentlich nennen kann, mit seinen Begleitern unterhalten hat. Ich würde es für eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit halten, wenn hier eine solche - jetzt etwas grob ausgedrückt - „Bespitzelung von Zuhörern“ stattfinden würde. Ich nehme an, daß der Senat mir wenigstens in diesem kleinen Punkte einmal Recht geben würde ...
Vors.:
Tut er auch, kein Zweifel.
RA Sch[ily]:
... und schlage vor, daß dieser Frage nachgegangen wird. Wie gesagt, der Mann, der mir diese Mitteilung gemacht hat, heißt Michael Köhler. Ich bin auch gern bereit, dem Senat die Adresse dieses Zuhörers mitzuteilen.
Vors.:
Köhler oder Höhler?
RA Sch[ily]:
Köhler, Köhler, K wie Konrad.
Vors.:
Danke. Also der Senat weiß davon nichts. Selbstverständlich teilt er in diesem Punkt Ihre Auffassung. Sonstige Anträge bitte?
RA v[on] Pl[ottnitz]:
Ich habe in einer Richtung zu modifizieren kurz:
Der Antrag auf Anhörung in öffentlicher Sitzung der Sachverst. wird natürlich insoweit ... ist insofern gegenstandslos, als etwa bestimmte Sachverst. mitteilen sollten, schriftlich vorher dem Senat, daß sie sich mangels entsprechender Untersuchungsbefunde zur Erstattung von Gutachten überhaupt nicht in der Lage sehen.
Vors.:
Bitte schön, die B. Anwaltschaft.
[2451] Reg. Dir. Wi[dera]:
Zu den ersten beiden Anträgen von Herrn RA v[on] Plottnitz ...
Vors.:
Ich habe das Gefühl, Herr B. Anwalt Widera, daß Herr Baader sich der Begründung noch anschließen möchte. Ich halt’s dann für zweckmäßig, wenn wir alles zusammenkommen lassen. Es wird sich dann wohl leichter handhaben lassen.
Ich dank Ihnen schön.
Herr Baader, bitte.
Angekl. Baa[der]:
Naja. Zu den Gutachtern ist einfach zu sagen, daß wir festgestellt haben, abgesehen von der manipulativen Fragestellung des Gerichts, die also, um das nochmals zu erklären konkret, was daran manipulativ ist:
Er hat zunächst angefangen, nachdem er der Tatsache, also der Tatsache, daß wir nur noch drei Stunden verhandlungsfähig sein sollen, nicht mehr entgehen konnte, hat er zunächst, war seine erste Frage, ob das etwa zurückzuführen sei auf, oder hat er versucht, sich zurückzuverlegen auf unsere Verantwortung und hat also hier diese Frage gestellt: Ist es aus ärztlicher Sicht denkbar, daß die Angeklagten mit irgendwelchen Mitteln z. B. die Gewichtsabnahme selbst herbeiführen, also ob wir uns sozusagen selbst verhandlungsunfähig machen, obwohl doch wirklich jedem einsichtig ist, daß seine Anordnung der Haftbedingungen für die, für die eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit oder die Verhandlungsunfähigkeit verantwortlich ist.
In diesem Zusammenhang hat er die falsche Behauptung aufgestellt in der Verhandlung, hier sei gesagt worden, ich hätte innerhalb einer Woche drei Kilo abgenommen. Das ist ja auch wirklich jedem klar, was das für eine Funktion haben soll. Das ist von Heldmann korrigiert worden hier in der Verhandlung. Prinzing hat sich das aufgeschrieben und hat behauptet in der Verhandlung, er würde das den Gutachtern mitteilen. Er hat den Gutachtern nichts mitgeteilt.
Vors.:
Das ist geschehen, Herr Baader, um Sie zu unterrichten.
[2452] Angekl. Baa[der]:
Dann heißt das, daß Sie in einem Briefwechsel stehen, der den Verteidigern nicht bekannt wird.
Vors.:
Ich stehe in keinem Briefwechsel, sondern es hat mich der Herr Prof. Müller angerufen, um mitzuteilen, daß er in dieser Woche nicht greifbar sei, da er zu irgendeiner Fachtagung gehen müsse, und diese Gelegenheit habe ich benutzt, auf diesen Irrtum, der bei mir eingetreten ist, hinzuweisen.
Angekl. Baa[der]:
Wann war das?
Vors.:
Am 21.8. ist glaube ich dieser Ablehnungsantrag gestellt worden. Am 21. oder 20.8. Ich kann’s Ihnen nicht mehr genau sagen, wann das war. Jedenfalls habe ich die Gelegenheit, als er mich angerufen hat, sofort benützt, darauf hinzuweisen. Selbstverständlich, Herr Baader.
Im übrigen:
Diesem Punkt wird ein Gewicht beigemessen. Das ist falsch. Als Herr Dr. Heldmann mich darauf hingewiesen hat, habe ich gesagt, das habe ich mißverstanden, selbstverständlich. Im übrigen sehe ich nicht, daß daraus irgendeine Beeinflussung des Sachverst. entstehen könnte.
Angekl. Baa[der]:
Herr Prinzing, im Grunde wäre das Anlaß, aber das ist ja schon gegenstandslos geworden, einen Ablehnungsantrag gegen Sie zu stellen. Denn die ganze Intention dieser Briefe ist ganz eindeutig:
Sie versuchen, Sie versuchen, den Gutachtern zu suggerieren, die Verantwortlichkeit der Gefangenen, für einen Zustand, für den Sie verantwortlich sind. Das ist der Punkt. Und ’s geht ja auch noch weiter. Da steht dann z. B. unter Ziff. 4:
„Können der starke Kaffee- und Zigarettenkonsum und verordnete Abführmittel“
- also nach dreieinhalb Jahren Isolation verfällt dieser Richter auf Abführmittel; das ist wirklich das Schärfste -
„für wesentliche Ursachen sein?“
[2453] Da steckt ... da ist impliziert die Behauptung, es gebe einen starken Kaffee- und Zigarettenkonsum. Nun hat aber die Anstalt und damit Sie, Sie haben ja offenbar sogar ne unmittelbare richterliche Kontrolle der Abführmittel, die verabreicht werden, also haben Sie auch mit Sicherheit die Informationen über den Zigaretten- und Kaffeekonsum der Gefangenen, und der ist, naja, also 200 bis 300 Gramm Kaffee im Monat pro Kopf, und das ist also ziemlich wenig, d. h., das sind zwei Tassen am Tag, und das sind keinesfalls mehr als 15 Zigaretten am Tag. (oder: fünf, zehn Zigaretten). Das ist kein ungewöhnlich starker Konsum. Aber Sie haben hier implizit behauptet, es gebe starken Kaffee- und Zigarettenkonsum.
Dann war Ihre nächste Initiative in diesem Zusammenhang - noch eine Frage - also abgesehen, ...
Vors.:
Herr Baader, darf ich Sie darauf hinweisen, Sie haben schon das Recht, sich über diese Dinge zu äußern; nur haben Sie im Augenblick das Wort bekommen, um zu erklären, warum auch Sie es für notwendig halten, daß man die Sachverst. in der Sitzung anhört.
Angekl. Baa[der]:
Ja deswegen z. B., um diese doch sehr eigenartigen, na, auf der einen Seite Ihre manipulative Darstellung dessen, das haben uns die Gutachter bestätigt, was die Gutachter zu Ihnen gesagt haben; und auf der anderen Seite auch, um richtigstellen zu können, Ihre Versuche, die Gutachter zu manipulieren, und dazu gehört dieser Komplex.
Vors.:
Herr Baader, es ist ein Irrtum. Das Gericht versucht das nicht.
Angekl. Baa[der]:
Na. Lassen Sie mich das doch bitte ausführen, dann können Sie immer noch sagen, daß ich das irrtümlich oder daß ich das falsch interpretiere. Aber im Moment kommt es mir drauf an, mal den Zusammenhang, wie er sich uns darstellt, hier zu entwickeln, und zwar öffentlich.
[2454] Ihre nächste Initiative ... Also wir haben sowieso grundsätzlich diese Zusatzfragen nicht vereinbart. Also Sie machen ja damit sozusagen, mit dieser Fragestellung machen Sie ja diese Gutachter zu Polizeiärzten. Aber da wir, da wir da überhaupt keine Probleme haben, haben wir uns auch deswegen nochmals Blut abnehmen lassen usw. ... Also das ist - wie gesagt - nicht unser Problem.
Dann war aber Ihre nächste Initiative, weil Sie das natürlich wahrscheinlich durch Mikrophone oder wie immer alles mitkriegen, war Ihre nächste Initiative, zu fragen, ob die festgestellten Schäden nicht allein oder teilweise - steht hier - gegebenenfalls zu welchem Teil auf den Hungerstreik zurückzuführen sind. Das ist doch der Punkt. Das waren doch Ihre Initiativen in diesem Zusammenhang zunächst mal. Und dann - das ist ein weiterer Punkt - haben wir festgestellt, daß Sie versucht haben, die Gutachter zu manipulieren, indem Sie ihnen Gerichtsbeschlüsse zugestellt haben, diese Gerichtsbeschlüsse, mit denen angeblich die Haftbedingungen der Gefangenen geregelt sind, aber daß natürlich nicht ein einziger Antrag der Verteidigung bei diesem Material dabei war. D. h. also, die Darstellungen der Verteidigung, die ja immer sehr sorgfältig auf Fakten aufgebaut sind, die haben Sie den Gutachtern nicht zugeschickt, nicht zugänglich gemacht; zugänglich gemacht haben Sie ihnen die manipulativen und lapidaren Ablehnungen, die man hier aus der Verhandlung auch schon kennt, der Anträge der Verteidigung durch den Senat. Und da sind eben dann z. B. - und das ist schon ziemlich wichtig - da sind dann eben so Sachen drin, unre... also, wie diese Sache mit diesem Sektmeier, oder -müller oder wie er hieß, also dieser gefälschte Aufruf, der vom Senat benutzt wurde, um eine Änderung der Haftbedingungen und, also um die die Verweigerung, die Haftbedingungen zu ändern, zu begründen, dieser Aufruf: Hungerstreik, Arbeitsverweigerung, Planung, Strategie. Sie wissen genau - es steht einfach unanfechtbar fest -, daß dieser, daß dieser Aufruf nicht von uns ist, sondern von einem Gefangenen aus der Vollzugsanstalt Stammheim. Es gibt einen Schriftsatz von Croissant, [2455] in dem er das richtiggestellt hat; es gibt verschiedene Briefe von diesen Gefangenen, die das richtiggestellt haben. Wenn Sie also sozusagen diesen Gutachtern so einen Schriftsatz zustellen, also eine Entscheidung des Gerichts zustellen, in der die Änderung der Haftbedingungen abgelehnt wird mit so einem Papier, warum stellen Sie nicht die faktische Richtigstellung der Verteidigung, warum stellen Sie die nicht mit zu? Bei den Gutachtern muß doch sozusagen der Eindruck entstehen, als hätten wir diesen Aufruf verfaßt, und die Schlüsse, die der Senat daraus gezogen hat, werden damit natürlich auch für die Gutachter einleuchtend, und wir haben keine Möglichkeit, das zu dementieren - als Beispiel.
Also ich beantrage in dem Zusammenhang:
jedenfalls auch alle Anträge der Verteidigung zu der Frage der Haftbedingungen den Gutachtern zuzustellen, und zwar sofort von Seiten des Gerichts.
Vors.:
Darf ich dazu eine Bemerkung machen:
Den Herren Sachverst. ist bisher an Material - abgesehen von dem Angebot, jederzeit die gesamten Akten einzusehen, was hier vorhanden ist, was natürlich mit Schwierigkeiten verbunden wäre - an Material zugegangen eine Zusammenstellung der bisherigen Entscheidungen, die auf Haftanträge ergangen sind. Außerdem haben die Herrn Sachverst. das Protokoll, das vollständige Protokoll, mindestens zwei Herrn haben’s bis jetzt. Ich habe heute früh bei Herrn Prof. Rasch rückfragen lassen, ob er auch darauf Wert legt. Wir haben ihn heute früh nicht erreicht; er wird also heute nachmittag wahrscheinlich seinen Bescheid geben, so daß zumindest über das Protokoll alle Ausführungen, die die Verteidigung hier in der Hauptverhandlung zu den Haftbedingungen gemacht hat, einschließlich Sie selbst, Herr Baader und die Mitangeklagten, den Sachverst. bekannt werden können.
Angekl. Baa[der]:
Ich würde schon sagen, das ist ja irre. Es sind 2000 Seiten mindestens bisher. Also ich weiß nicht - wie gesagt - Protokoll sind das bisher.
[2456] Vors.:
Jaja, sicher. Das Protokoll ist inzwischen auf über 2000 Seiten gediehen.
Angekl. Baa[der]:
Und das soll ... das sollten die jetzt alles durchackern, um zu ner ärztlichen Stellungnahme zu kommen?
Vors.:
Es bleibt den Sachverst. überlassen, wo sie ihren Schwerpunkt sehen. Wir - das Gericht - stehen jederzeit zur Verfügung, darauf hinzuweisen, wo irgendwelche Entscheidungen oder Anträge usw. die Haftbedingungen betreffend, vorhanden sind. Das ist ganz selbstverständlich.
Angekl. Baa[der]:
Naja. Aber das ist doch das Mindeste, daß also grade, wenn Sie von Entscheidungen sprechen, diese Entscheidung damals - also das war unmittelbar zum Hungerstreik - die Änderung der Haftbedingungen abzulehnen, ist ja begründet mit diesem gefälschten Aufruf, wesentlich.
Ende von Band 126.
[2457] Vors.:
Das ist doch keine Frage der Haftbedingungen im Augenblick, es geht doch darum, welche Bedingungen Sie tatsächlich hatten. Welche Motive dafür vorhanden waren. Es ist für die Sachverständigen nicht sehr wesentlich. Im übrigen, das Gericht kann ...
Angekl. B[aader]:
Das mag ja[rr] ...
Vors.:
Herr Baader, wenn es Entscheidungen bekannt gibt und zusammenfaßt und mitteilt, nicht Entscheidungen in irgendeiner Form bloß bruchstücksweise mitteilen ...
Angekl. B[aader]:
Dann zitiere ich Ihne eigene Entscheidung.
Vors.:
Sie haben jetzt den Antrag gestellt, wir werden dieser Frage nachgehen, inwieweit sich das zusammenstellen läßt, vielleicht sind die Herren Verteidige r...
Angekl. B[aader]:
... in diesem Zusammenhang, weil Sie sagen, das sei nicht wesentlich. Es ist wesentlich, denn Sie haben die Frage der Behandlungsbedürftigkeit gestellt und für die Gutachter wird wesentlich sein ...
Vors.:
Welche Bedingungen Sie hatten, Herr Baader, das ist das Entscheidende.
Angekl. B[aader]:
Nein, Sie haben doch auch die Frage der Behandlungsbedürftigkeit gestellt, das heißt, Sie haben also sozusagen von dem Gutachter Therapievorschläge verlangt und dazu ist aber auch wesentlich, das haben alle drei Gutachter bisher festgestellt, das heißt, zwei von ihnen haben gesagt, sie würden zum Beispiel nicht Behandlungen der Gefangenen, die sie für dringend notwendig halten nur unter ganz bestimmten Bedingungen übernehmen und zu denen gehört eben auch, daß, also sozusagen, sie ihre Behandlungsvorschläge durchsetzen können. Und dazu sind einfach diese Stellungnahmen unmittelbar wesentlich. Da steht zum Beispiel hier: Stehen den Beantragten ungehinderten Zugang, also das ist dieser Aufruf, zu allen Gemeinschaftsveranstaltungen entgegen. Als Beispiel, es kann aber auch sein, es könnte ja [2458] nun wirklich durchaus sein, daß ein Arzt zu der Überzeugung kommt, der Zustand für Gefangene kann sich nur bessern. Eine Rekonvaleszenz ist überhaupt nur möglich, wenn sie in ein geeignetes, sagen wir mal, soziales Umfeld versetzt werden, wie es innerhalb des Vollzugs möglich ist. Und das, diese Schlüssigkeit, die manipulieren Sie, durch die Auswahl, das heißt, indem Sie ihn ausschließlich die Argumentation des Senats zugänglich machen und die Anträge der Verteidigung nicht und auch die Richtigstellung der Verteidigung in dem Zusammenhang nicht.
Vors.:
Herr Baader noch eine Frage ergänzend dazu. Hatten Sie nicht Gelegenheit, Ihre Situation den Herrn Sachverständigen wörtlich nahezubringen und möglicherweise auch gewisses Material, das Sie selbst haben, zu dieser Frage zu bringen.
Angekl. B[aader]:
Na ja, nun haben wir das etwas anders gehandhabt, als der Senat, wir haben ausschließlich wissenschaftliches Material übergeben, also und natürlich nicht so tendenziösen Kram, wie Ihre Beschlüsse.
Vors.:
Gut, Frau Meinhof. Entschuldigung Herr Dr. Heldmann ich sah gerade erst Frau Meinhof.
Angekl. M[einhof]:
Na ja, weil es daran, daß, Sie bestätigen das geradezu. Sie lehnen es ab, Verteidigungsunterlagen den Ärzten zu geben und sagen gleichzeitig, sie haben ihnen ja über 2000 Seiten Protokoll gegeben. Nachdem, wo bekannt ist, oder eine Tatsache einfach ist, daß die Protokolle in den Teilen jedenfalls wo wir hier was gesagt haben, gefälscht sind. Das ist natürlich, ist vollständig bezeichnend, weil sich daraus auch schließt und weil und ich will auch noch ergänzen zu diesem Beschluß von Ihnen vom 19. Dezember sagen, daß Sie da mit der Benutzung des Aufrufs, einer Rationalität, Ihren Beschlüssen eine Rationalität, eine Scheinrationalität geben, die vollständig verschleiert, daß diese Beschlüsse zum inhaltlichen Gegenstand einer Haftsituation haben, in der wir zwangsläufig [2459] verhandlungsunfähig werden müssen und das ist natürlich eine suggestive und manipulatives Vorgehen. Ich will aber zu den Protokollen auch ergänzend einen Antrag stellen, da es nach wie vor so ist, daß die Abschriften in allen denen Passagen, wo es um die Texte geht, die wir hier gesagt haben, nach wie vor unmittelbar gefälscht sind, stelle ich also den Antrag:
Daß die Protokolltonbänder nicht vernichtet werden und daß uns statt dessen die Möglichkeit gegeben wird, die Protokolle nach den Bändern zu korrigieren, was bisher allein deswegen nicht möglich war, weil die Bänder vernichtet waren, noch bevor wir überhaupt die Protokolle sehen konnten.
Vors.:
Frau Meinhof, es ist nur zu sagen, Ihre Mutmaßung, daß irgendwas an den Protokollen gefälscht werden würde, ist abwegig. Ich habe Ihnen den Gang der Dinge bereits geschildert, daß das Schreibkräfte sind, die die Bänder abhören und schreiben, was sie hören.
Angekl. B[aader]:
Das ist falsch ...
Vors.:
Sie haben jederzeit die Möglichkeit, von sich aus, nachdem wir Ihnen, was ein Entgegenkommen ist, wie überhaupt die Überlassung des Tonbandprotokolls an die Prozeßbeteiligten ein Entgegenkommen ist, wenn wir Ihnen also die Tonbänder zur Verfügung stellen, beziehungsweise die Protokollabschriften, sich zu melden, mitzuteilen, wo Sie Korrekturen für notwendig halten, wo Sie glauben, daß etwas falsch übertragen worden ist. Der Senat nimmt darauf nicht den geringsten Einfluß zunächst, wie es geschrieben wird, der liest es auch durch und wo dann den Beteiligten etwas auffällt beim Durchlesen, was mutmaßlich falsch ist, wird korrigiert. So ist der Gang der Dinge, von Fälschung zu reden, ist vollkommen unnötig.
Angekl. M[einhof]:
Ja, Sie machen das strukturell.
Vors.:
Ihr Antrag ist aber angekommen; über den wird dann außerhalb der Hauptverhandlung ein Bescheid ergehen.
[2460] Angekl. M[einhof]:
Aber man kann es natürlich so machen, daß man die Bänder von Leuten abschreiben läßt, die den Sinn nicht erfassen können und infolgedessen[ss] zwangsläufig falsche Sachen abschreiben. Wenn Sie sich darauf zurückziehen wollen, auf eine solche, also auf, darauf, daß hier das strukturell manipulieren, dann ändert das überhaupt nichts an der Tatsache, daß die Protokolle gefälscht sind, faktisch.
Angekl. B[aader]:
Es ist auch sehr erstaunlich, daß also mit einer außerordentlichen akriben Korrektheit immer das genau natürlich abgeschrieben wird, was die Bundesanwaltschaft, der Senat sagt, da[tt] stimmt also wirklich dann der Satzbau, da ist jedes Komma richtig, und bei dem, was wir gesagt haben, sind die Sätze und das ist eben wirklich eine besonders tückische Methode gegen einen, also sind halbe Sätze gegeneinander verschoben, sind vorgezogen als Beispiel, dadurch zerfällt natürlich die, der ganze grammatikalische Bau eines Satzes und es zerfällt natürlich auch der Sinnzusammenhang eines Satzes. Es entsteht also der Eindruck, na ja, eines absurden, [uu] wirren Gestammels, und wir können das hier überprüfen, wir können es auch belegen, an den Teilen als Beispiel, wo wir nicht frei gesprochen haben, sondern wo wir was abgelesen haben, da kann man das also sozusagen tatsächlich beweisen, wie da vorgegangen wird. Und uns liegt außerordentlich viel daran, an diesem Antrag, weil wir nicht in der Lage sind, das stelle ich hier nochmal ausdrücklich fest, weder zeitlich, noch kräftemäßig in der Lage sind, diese Berge von Protokollen zu korrigieren, das können wir nicht. Also wir würden dann schon sagen, Sie haben darauf zu dringen, daß sie von Leuten abgeschrieben werden oder daß sie so abgeschrieben werden, wie sie gesprochen werden, also sorgfältiger zumindest.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann bitte.
RA Dr. H[eldmann]:
Ich möchte mich dem Antrag des Herrn von Plottnitz anschließen, die Herren Sachverständigen hier in der münd- [2461] lichen Hauptverhandlung zu vernehmen, das scheint mir um so stärker geboten, nach Ihrem, des Herrn Vorsitzenden, Schreiben an die Sachverständigen vom 20.8. und 22.8. von denen hier bereits die Rede gewesen ist. Ferner infolge der unkontrollierbaren Materialüberlassungen an die Sachverständigen ohne Kenntnis der Verteidigung der Angeklagten und ohne etwa Mitwirkungsmöglichkeiten, Auswahlmöglichkeiten etwa der Verteidigung und der Angeklagten, und Sie selbst haben ja nun gerade Auskunft gegeben, Sie hätten in erster Linie den Sachverständigen die bisherigen Senatsentscheidungen auf Anträge der Verteidigung zu Haftbedingungen übersendet und das scheint mir doch eine höchst einseitige Auswahl zu sein, die ein neutrales Sachverständigengutachten zumindest ganz erheblich erschweren wird...
Vors.:
Herr Dr. Heldmann, darf ich vielleicht den Hinweis dazwischengeben, es beginnt bereits beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs,[57] das heißt, es sind die Entscheidungen zusammengestellt worden, die uns greifbar waren, greifbar schienen im Zusammenhang mit Haftanträgen. Es ist also keine einseitige oder irgendwie keine gezielte Auslese der bisherigen Entscheidungen des Senats. Das wäre ein Irrtum, das zu glauben.
RA Dr. H[eldmann]:
Nein, darin sehe ich die Einseitigkeit nicht, daß Sie etwa unter Ihren, unter den verschiedenen Gerichtsbeschlüssen eine Auswahl getroffen hätten, sondern ich sehe die Einseitigkeit darin, daß Sie zwar Ihre Beschlüsse oder die des Ermittlungsrichters des BGH vorgelegt haben, nicht jedoch die Anträge, die zu jenen Beschlüssen geführt haben, und auf[vv] diese selbstverständlich kommt es der Verteidigung, kommt es den Angeklagten ganz besonders an. Auf die Anträge nämlich, insofern sehe ich darin eine Einseitigkeit der Auswahl, die die Neutralität von Sachverständigengutachten zu unserer Frage gefährden könnten. Sie haben dann entweder übersendet oder jedenfalls angeboten, die vollständigen Protokolle von 2300 Seiten und meinten, es sei den Sachverständigen überlassen, wo, auf welche Teile dieser 2300 Protokollseiten ihre Interessen konzentrieren mögen. Nun das[ww] ist ein starkes ... eine starke Zumutung für die Sachverständigen. Denn ein 2300 Protokollseiten [2462] hat ein Sachverständiger, um dessen Auftragserfüllung es ja hier nun sehr schnell gehen soll, doch zwei bis drei Tage allein zu lesen. Darum meine ich, nach diesen, dem was hier vorangegangen ist und was die Verteidigung beanstandet, sei es um so dringender, daß dem Antrag stattgegeben wird, die Sachverständigen, und möglichst bald sollte das geschehen, in der Hauptverhandlung zu hören. Und da wir zunächst, darf ich Sie noch einmal darauf hinweisen auf die Rechtsgrundlagen dieses Antrags der Verteidigung, nämlich die Rechtsgrundsätze, daß die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, die aus der Verpflichtung - das[xx] ist zum Freibeweis auf den Sie sich berufen, Löwe-Rosenberg [§ ]244[ StPO], Anm. 2, Ziff. 3. Die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, die[yy] aus der Verpflichtung zu einem rechtsstaatlichen und fairen Prozeß erwachsen, gelten auch hier also im Freibeweisverfahren, insbesondere das Fragerecht nach § 240[ StPO] und insbesondere die Verpflichtung des Gerichts, nämlich, zur Gewährung des rechtlichen Gehörs. Auch im Wege des Freibeweises, und das bitte ich besonders zu beachten, dürfen keine Tatsachen verwertet werden, zu denen sich zu äußern die Verfahrensbeteiligten keine Gelegenheiten hatten. Das letzte mag sich unter anderem insbesondere Ihre Materialselektion beziehen. Tatsachen, zu denen die Verteidigung, weil sie sie gar nicht kennt, zur Äußerung keine Gelegenheit gehabt hat, um so stärker also ist der Antrag des Herr von Plottnitz begründet.
Vors.:
Herr Dr. Temming.
Referendar[zz] Dr. T[emming]:
Ich schließe mich ebenfalls den Anträgen von Herrn Rechtsanwalt von Plottnitz an und möchte noch ergänzen zu dem Antrag, die Sachverständigen hier in der mündlichen Verhandlung zu hören, die Tatsache, daß das Gericht Entscheidungen den Sachverständigen zur Verfügung gestellt hat, kann nicht aus der Welt schaffen, daß diese Entscheidung zunächst mal selbst Tatsachen selektieren, das heißt, nur einen kleinen Bereich von Tatsachen überhaupt erwähnen. Wenn ich die heutige Entscheidung über den Einstellungsantrag betrachte, so erwähnt die[aaa] nicht eine Tatsache, sondern sagt einfach rechtfertigt mich. Zweitens würde mich in dem Zusammenhang interessieren, [2463] ob zum Beispiel auch die Entscheidungen den Sachverständigen mitgeliefert wurden, die zum Beispiel bei der totalen Isolation im toten Trakt in Köln-Ossendorf[58], bei Ulrike Meinhof ergangen sind, denn gerade die frühere noch totalere, noch schlimmere, noch menschenunwürdigere Isolation der Gefangenen spielt eine wesentliche Rolle für ihren heutigen Zustand, insofern ist überhaupt nicht kontrollierbar für die Verteidigung, welche Tatsachen die Sachverständigen überhaupt zugrunde legen können auch nach dem, was das Gericht ihnen überhaupt an bereits selektierten Tatsachenmaterial vorgelegt hat.
Vors.:
Ich bitte die Bundesanwaltschaft.
RA v[on] P[lottnitz] und Dr. H[eldmann] reden unverständlich ohne Mikrophon.
Ja, wie oft noch, ich habe jetzt also der Bundesanwaltschaft versucht, zum zweiten Mal das Wort zu geben. Herr Baader bitte, aber wir sollten dann abschließen, damit die Bundesanwaltschaft noch zu Wort kommt. Ich bitte um Verständnis. Herr Baader.
Angekl. B[aader]:
Na ja, ich will nochmal Beispiel dazu bringen, also, weil ich das hier gerade gefunden hab. Da stehen so Sätze drin, das kriegen die Gutachter sozusagen, um ihre Stellungnahmen abzugeben. Da erlaubt sich dieser Senat, die Struktur der Gruppe, der gefangenen Gruppe, zu charakterisieren, zum Beispiel in so einem Satz: „wie diese Solidarität, die mittels eines inzwischen aufgedeckten“, das ist also auch wirklich diese typische Struktur, wenn hier Leute ertappt, hier wird[bbb] aufgedeckt [ccc] Dreck. Aber jeder weiß, dieses Kommunikationssystem war legal. Das ist also öffentlich seit zweieinhalb Jahren hergestellt worden ist und bis heute, da steht dann so eine Infektive „zum Teil mit Drohungen aufrechterhalten“ wird. Das ist ein, das steht da einfach, das liest dann der Gutachter.
Vors.:
Woraus zitieren Sie Herr Baader?
Angekl. B[aader]:
Das ist ein Beschluß des, gezeichnet Prinzing steht da drunter, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht.
[2464] Vors.:
Ja, von wann?
Angekl. B[aader]:
Da lehnen Sie, das ist der zentrale Beschluß zur Festlegung der Haftbedingungen durch den Senat, da lehnen Sie die Änderungen der Haftbedingungen ab.
Vors.:
6. Dezember 1974 wohl.
Angekl. B[aader]:
Nein, vorher 19. Dezember. Das ist die Antwort, die Entscheidung auf den Antrag von Croissant im Zusammenhang des Hungerstreiks, die Haftbedingungen ...
Vors.:
Gut ja, Zitat stimmt ...
Angekl. B[aader]:
... da lehnen Sie die Änderungen der Haftbedingungen ab, mit, unter Bezug auf diesen gefälschten Aufruf. Na ja, da stehen dann eben so Sätze[ddd] drin, „zum Teil mit Drohungen aufrechterhalten wird.“ Aber noch ein anderes Beispiel, ich wollte Sie, also ich halte das für wesentlich, das in der Hauptverhandlung zu klären, Professor Müller hat gesagt, daß bei diesem einen Telefonat mit Ihnen, auf das Sie sich jetzt auch beziehen, wo es um diese Frage ging, ob der Verhandlungstag, an dem wir rausgegangen sind, rausgehen mußten, weil es anfangs uns besonders schlecht ging, an dem Sie zur Vernehmung zur Person dann irgendwie kommen wollten, daß an diesem, bei diesem Telefongespräch hätte er Ihnen ausdrücklich gesagt: „Wir sind doch keine Kinder“, war glaube ich seine Formulierung, ich hab[eee] die ... daß er uns seit drei Wochen nicht gesehen hat und daß er selbstverständlich genaueres, genaues über unseren Zustand nicht sagen kann. Das halte ich für sehr wesentlich, daß ein Gespräch, das haben wir mit diesem Gutachter geführt, da haben wir ihn gefragt, wie lange sind drei Wochen. Na ja, da wird er vielleicht an seinen Fingern abgezählt haben, daß es 21 Tage sind, da wird er gesagt haben, dieser Tag gehört dazu, dann hat er Ihnen aber ausdrücklich einschränkend gesagt, genaues kann ich nicht sagen, weil ich die Gefangenen drei Wochen nicht gesehen hab. Und er fand das natürlich auch sehr unangenehm, daß Sie genau diesen Teil dieses Telefongesprächs [2465] rausgelassen haben. Sie haben ..., den haben Sie hier in der Verhandlung nicht reproduziert. Was Sie da produziert haben, das haben Sie gerade nochmal getan, wir[fff] haben von Unbedenklichkeit gesprochen, ist, daß die drei Wochen Frist rein arithmetisch diesen Tag noch einbezieht. Das ist doch eine ganz wesentliche Sache und dadurch erklärt sich auch der Satz wahrscheinlich von Herrn Professor Müller jetzt: „Wir würden es sehr begrüßen“, dieser Satz an den Senat, „wenn diese, unsere gutachtlich vorläufige Stellungnahme“ - das ist also der letzte Brief - „in vernünftiger und einsichtiger und nicht kleinlicher Weise verwertet und gehandhabt werden könnte.“ Denn genau das wird sich ja wohl inzwischen rumgesprochen haben, in wie kleinlicher Weise Sie hier verwerten, das immer. Also deswegen ist es ja auch wichtig, nicht.
Vors.:
Gut, die Bundesanwaltschaft hat nun das Wort.
Reg. Dir. W[idera]:
Zunächst zu den beiden Anträgen, die Rechtsanwalt von Plottnitz gestellt hat. Die Behandlung dieser beiden Anträge hat der Herr Vorsitzende zu Recht dorthin gewiesen, wo sie hingehören, nämlich außerhalb der Hauptverhandlung. Die Bundesanwaltschaft wird deshalb, weil sie dieselbe Auffassung hat, gegebenenfalls außerhalb der Hauptverhandlung dazu Stellung nehmen. Zu[ggg] dem Antrag des Rechtsanwalts Plottnitz und des Rechtsanwalts Heldmann auf Anhörung der Sachverständigen, die demnächst ihr Gutachten erstatten sollen: Dieser Antrag wird nach meiner Auffassung zurückzuweisen sein. Wir befinden uns, wie allgemein bekannt, in dieser Frage im Freibeweisverfahren. Das entscheidet allein der Senat darüber, ob er die Sachverständigen hier hören will sofort, oder ob er zunächst ein schriftliches Gutachten sich erstatten lassen will und es auf diese Weise durch Verlesen dann hier einführt. Das ist übrigens eine Argumentation, auf die auch Herr Rechtsanwalt Plottnitz letztlich gekommen ist in seinem Vortrag vorhin, denn er sagte ja, sein Antrag beziehe sich nicht auf alle Sachverständigen, sondern er werde sie noch benennen, wenn er den Inhalt dessen, was sie schriftlich bringen, kennen [2466] werde und das, meine ich, ist ja auch richtig so. Zunächst wollen wir erst mal hören, was die Sachverständigen schriftlich bringen, daran ändert auch nichts, was Herr Rechtsanwalt Heldmann aus dem Kommentar verlesen hat. Natürlich hat er ein Fragerecht. Er kann das Fragerecht ausüben, wie es im Freibeweisverfahren durchaus zulässig ist, indem er es schriftlich tut über den Vorsitzenden, oder indem er es so tut, wie er es auch schon getan hat, daß er direkt die Sachverständigen anschreibt. Und nun zum Antrag des Rechtsanwalts Plottnitz: Schriftsätze der Verteidigung, bestimmte Schriftsätze der Verteidigung den Sachverständigen zur Verfügung zu stellen. Die Bundesanwaltschaft hat keine Einwände, daß diese Schriftsätze zur Verfügung gestellt werden. Und dann zur Rüge, daß die Frage, die resultierte aus § 231a der Strafprozeßordnung, daß diese Frage ein Verfahrensverstoß darstellt, diese Frage, sie ist allgemein bekannt, ich brauche sie nicht zu wiederholen, ist nicht nur sachgemäß, sondern zwingend notwendig. Die Rüge wird, in welchem Verfahrensstand sie auch erhoben werden wird, ins Leere gehen müssen. Und nun zu dem weiteren Vorschlag von Rechtsanwalt Schily, zur angeblichen Bespitzelung eines Zuhörers, dazu hat er an Sachfakten lediglich vorgetragen, daß ein Zuhörer, der mitgeschrieben habe sich, daß ein Zuhörer, der mitgeschrieben habe, die Neugierde seiner neben ihm sitzenden Leute dahin ausgelegt habe, daß er sich bespitzelt fühle. Diese Fakten reichen nach meiner Auffassung nicht einmal dazu, dem nachzugehen. Und nun zu dem Vortrag von dem Angeklagten Baader und der Angeklagten Meinhof. Soweit dieser Vortrag sachliches, ein sachliches Gehalt, einen sachlichen Gehalt hatte, ist er vom Vorsitzenden behandelt worden, ich kann es mir deswegen ersparen, weiter darauf einzugehen, und schließlich die Anregung an den Senat, daß nach meiner Auffassung, nach Auffassung auch aller Sitzungsvertreter hier, diese Anträge keine sofortige Entscheidung bedürften. Die Entscheidung kann zurückgestellt werden, etwa bis morgen früh, und die weitere Anregung, deshalb mit dem Verfahren jetzt fortzufahren ohne eine Beratungsunterbrechung.
[2467] Vors.:
Dankeschön, ich bitte jetzt, im Interesse der Kürze der Zeit, die wir noch haben, sich ganz kurz zu fassen. Die Bitte werde ich wohl aussprechen dürfen.
RA Sch[ily]:
Ja, ja, das geht auch sehr kurz. Herr Widera, Sie erwidern natürlich wieder auf etwas, was überhaupt gar nicht gesagt worden ist. Ich will ja dem Kollegen von Plottnitz nicht das Wort aus dem Munde nehmen, aber Herr von Plottnitz, und ich habe mich insoweit also angeschlossen, hat nicht erklärt, daß er das also erst machen will, wie die Anhörung, wenn die schriftlichen Gutachten vorliegen, er hat nur gesagt, wenn ein Gutachter vorweg schriftlich mitteilt, daß er sich überhaupt zur Erstattung eines Gutachtens nicht in der Lage sieht, weil er nicht untersuchen konnte, daß auf die Anhörung eines solchen Sachverständigen natürlich verzichtet werden kann. Das hat der Kollege von Plottnitz gesagt. Und was nun hier diese Frage mit der Bespitzelung anlangt, Herr Widera, ich weiß nicht, warum Sie da so unruhig werden und das versuchen so ganz unter den Tisch zu kehren, vielleicht wissen Sie noch viel mehr darüber als ich. Aber jedenfalls, die Information, die ich bekommen habe, war so, daß sich gezielt zu diesem Zuhörer jemand hingesetzt hat, er saß ja an einer ganz freien Stelle, es kamen dann zwei Herren, die sich zu ihm gesetzt haben. Sie können natürlich auch sagen, wenn jetzt zwei Herren sich hinter Sie setzen und gucken da in Ihre Unterlagen, na ja, die sind ein bißchen neugierig, nicht und können dann, wenn Sie damit meinen, hier Erfolg zu haben mit solchen Einlassungen, dann haben Sie das zu vertreten, aber es war so, daß dieser Herr Köhler, dessen Adresse ich vielleicht da noch zu Protokoll gebe, falls also das gewünscht wird, daß sich da gezielt Leute da hingesetzt haben.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, es ist mir bereits gesagt worden, wir haben hier natürlich keine Kenntnis davon und wir würden es auch nicht billigen, wenn im Saal bespitzelt werden [2468] würde, das ist nicht der Sinn der Öffentlichkeit des Verfahrens ...
RA. Sch[ily]:
Das meine ich doch.
Vors.:
Insofern decken sich unsere Auffassungen. Wir werden sehen ...
RA Sch[ily]:
Ja nur, weil Herr Widera sagt, das ist also hier gar nicht schlüssig vorgetragen, um ihm das vielleicht noch zu verdeutlichen, was gemeint ist.
Vors.:
Sicherlich wird es schwer sein, nachher etwas zu finden, denn man müßte dann die Herren kennen, die sich danebengesetzt haben, und das wollen wir dann aber außerhalb der Hauptverhandlung untersuchen, ob sich das klären läßt durch den Ordnungsdienst, den wir hier haben.
RA Sch[ily]:
Ich nehme an, Herr Widera, daß er das hervorragend klären kann, zum Beispiel wieviel Beamte des Verfassungsschutzes hier im Saal sind und vielleicht der Kriminalpolizei wird sicher Herr Widera Ihnen hervorragende Auskünfte erteilen können.
Vors.:
Ja, Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.
- Beifall im Saal -
Unterlassen Sie es bitte.
Sie wollten noch etwas sagen, oder ist es dadurch erledigt.
RA v[on ]P[lottnitz]:
Das ist bereits durch Herrn RA Schily gefragt worden.
Vors.:
Gut, das ist tadellos. Dann können wir noch darüber beraten und die Entscheidung verkünden, denn das Verfahren wird dann - ich bitte Sie, sich also nachher noch darüber zu äußern, ob weitere Anträge gestellt sind - sonst morgen nicht weiter geführt werden können, da wir ja Zeugen laden müssen. Wir können natürlich die Prozeßbeteiligten jetzt, wenn die Zeugen kommen, nicht ganz kurzfristig darauf hinweisen, morgen stünden etwa die ersten da. Das heißt also, am Dienstag ginge es mit Zeugen weiter, so daß wir also jetzt zunächst mal über diesen Antrag befinden können.
Herr Dr. Heldmann.
[2469] RA Dr. H[eldmann]:
Eine Frage lediglich zu diesem Antrag. Herr Regierungsdirektor Widera verweist die Verteidigung auf schriftliche Befragung dieser Sachverständigen, die zumindest an drei verschiedenen Orten wohnen, da kann die Verteidigung nur noch fragen, behandeln wie Herr Bundesanwalt Wunder das in der vorigen Woche hervorgehoben hat und behandelt der Senat die Frage der endgültigen Äußerung der Sachverständigen unter solchen Perspektiven wirklich noch als eilbedürftig? Eine Frage lediglich.
Vors.:
Gut, der Senat wird sich beraten, die Angeklagten können im Saale bleiben.
Der Senat zieht sich um 15.16 Uhr zur Beratung zurück.
Ende des Bandes 127.
[2470] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 15.32 Uhr.
Vors.:
So, der Senat hat beschlossen:
1. Der Senat stellt die Entscheidung darüber, ob die Sachverständigen mündlich angehört werden, zurück, bis die angekündigten schriftlichen Gutachten eingegangen sind, weil er eine frühere Entscheidung für unzweckmäßig hält.
2. Der Antrag der Verteidigung, die den Sachverständigen überlassenen Unterlagen bekannt zu geben, erledigt sich durch Akteneinsicht, die den Verteidigern frei steht.
Ich darf anfügen, ich habe sie in der letzten Woche, glaube ich, auch, mindestens ein, wenn nicht zwei Mal angeboten. Wir stehen jetzt vor der Frage, wie weiter verfahren...
Angekl. B[aader]:
Moment!
Vors.:
Was heißt Moment, Herr Baader.
Angekl. B[aader]:
Ich möchte eine Gegenvorstellung.
Vors.:
Ja, dagegen gibt’s jetzt keine Gegenvorstellung,[59] Herr Baader. Es ist alles gesagt zu diesem Punkt.
Angekl. B[aader]:
Sie haben gerade eine Behauptung aufgestellt, die falsch ist.
Vors.:
Haben Sie neue Tatsache vorzubringen.
Angekl. B[aader]:
Ja, ich habe neue Tatsachen.
Vors.:
Bitte.
Angekl. B[aader]:
Sie haben gesagt, Sie haben eigenartiger Weise gesagt, das ist wieder so ein lapsus, Sie haben gesagt, den Verteidigern stünden die Akten zur Verfügung. Also ich nehme an, Sie meinen, den Gutachtern stünden die Akten zur Verfügung.
Vors.:
Nein, Sie irren sich. Die Verteidiger haben Akteneinsicht. Daraus [2471] ergibt sich, welche Aktenteile, bzw. Unterlagen den Herrn Sachverständigen übergeben worden sind, zu denen die gemacht worden sind.
Angekl. B[aader]:
Na gut, dann habe ich aber dazu nochmals ...
Vors.:
Nein, ich habe ...
Angekl. B[aader]:
Ja, aber zu dieser Frage habe ich eine neue Tatsache, die ich für außerordentlich wesentlich halte, und Sie werden mir ja erlauben, daß ich die jetzt hier ausspreche. Wichtig ist, daß z.B. Witter ein 40-seitiges Gutachten zu Ulrike damals im Zusammenhang der Zwangsszintigrafie[60] verfaßt hat, das stützt sich auf einen Satz, den sie ihm gesagt hat und auf die Kolportage von Gesprächen ...
Vors.:
Aber Herr Witter ist hier kein Gutachter.
Angekl. B[aader]:
Also lassen Sie mich doch ausreden.
Vors.:
Herr Baader, was hat das mit unserer Sache zu tun.
Angekl. B[aader]:
Ja, das sind z.B. Akten, die den Verteidigern nicht zur Verfügung stehen, die aber offensichtlich Gutachtern zur Verfügung stehen.
Vors.:
Gut, wenn Sie den Antrag stellen wollen ...
Angekl. B[aader]:
Diese Kolportage von, ja ich stelle diesen Antrag, zumindest den Verteidigern diese Akten zur Verfügung zu stellen.
Vors.:
Ja, Herr Baader, Sie können den Antrag stellen, wenn Sie hier bestimmte Wünsche haben aus den Akten, daß die den Sachverständigen bekannt gemacht werden, darauf durch einen Antrag hinzuwirken. Das ist ohne weiteres möglich. Im übrigen genügt dazu auch eine Anregung, denn wir sind bereit, das erkläre ich ausdrücklich, alles, was Aktenbestandteil ist, selbstverständlich den Herrn Sachverständigen zur Kenntnis zu bringen. Da besteht doch gar kein Grund, dem zu mißtrauen.
[2472] Angekl. B[aader]:
Aber das Erstaunliche ist doch, sehen Sie, Sie stellen doch die permanente Behauptung auf, alles, was prozeßerheblich sei, sei in den Akten, deswegen gehört es in diesem[hhh] Zusammenhang der Aktenunterschlagung.
Vors.:
Herr Baader, wirken Sie darauf hin, daß diese Bestandteile ... Nein, wir können jetzt über den bereits ergangenen Beschluß nicht neu debattieren. Wenn Sie hier Anträge haben, Ihr Herr Verteidiger wird sie sicher uns nahe bringen und Sie selbst auch.
Angekl. B[aader]:
Na, dann stelle ich das jetzt in der Form eines Antrags, konkret zu diesem Fall, den Verteidigern Einsicht zu gewähren in die Akten, auf die z.B. dieser Gutachter Witter sein Gutachten gestützt hat. Konkret die Kolportage von Gesprächen, die bei Besuchen geführt worden sind, durch anwesende Staatsschutzleute.
Vors.:
Welche Akten sind das?
Angekl. B[aader]:
Woher soll ich das wissen. Sie stehen der Verteidigung bisher nicht zur Verfügung.
Vors.:
Ja, wir wissen es offenbar dann auch nicht. Sind das Gerichtsakten, die hier das Gericht zur Verfügung hat?
Angekl. B[aader]:
Ich weiß das nicht. Ich weiß ja nicht ...
Vors.:
Gut. Herr Baader, dann ist Ihr Antrag ...
Angekl. B[aader]:
Wollen Sie jetzt unterbrechen ...
Vors.:
Ja, ich will unterbrechen. Im Augenblick ist Ihr Antrag sinnlos. Wenn Sie uns nicht benennen können, wo die Akten sind, die [iii] den Verteidigern zugänglich gemacht werden wollen, dann hat es keinen Wert.
Angekl. B[aader]:
Aber hören Sie mal, ich sitze in einer Einzelzelle seit dreieinhalb Jahren. Woher soll ich wissen, welche Kanäle die Akten [2473] nehmen, die diese[jjj] Gutachter kriegen.
Vors.:
Dann bitten Sie Ihren Herrn Verteidiger, das zu erforschen.
Dann bitten Sie die Herrn Verteidiger, das zu erforschen.
Angekl. B[aader]:
Wie sollen denn die Verteidiger - Sie haben doch hier lapidar jeden Antrag auf volle Akteneinsicht abgelehnt bisher - wie sollen dann die Verteidiger das erforschen können.
Vors.:
Ja, Herr Baader. Wir werden jetzt nicht über diesen Punkt weiter debattieren.
Angekl. B[aader]:
Der Punkt ist, daß dieser Gutachter sich auf Akten bezieht, die der Verteidigung ...
Vors.:
Stellen Sie einen Antrag.
Angekl. B[aader]:
Ja.
Vors.:
Sobald Sie wissen, wo die sind, oder wenigstens Mutmaßungen haben, dann können wir der Sache nachgehen.
Angekl. B[aader]:
Gut. Dann werde ich Ihnen meine Mutmaßungen mitteilen. Ich teile Ihnen die Mutmaßung mit, daß dieses Gutachten auf Akten gestützt, Staatsschutzakten gestützt ist, Akten des Bundeskriminalamts gestützt ist, die vielleicht unter diesen nichtvorhandenen 1800 oder hier nicht auftauchenden, also diesen Akten, die hier nicht auftauchen dürfen, diesen 1800 Akten[61] sich befinden. Es sind konkret ... es ist, wie gesagt, die Kolportage von Gesprächen, die bei Besuchen geführt worden sind. Witter bezieht sich als Gutachter ausdrücklich auf diese Gespräche ...
Vors.:
Ja, Herr Baader. Wir können jetzt also nicht die Erörterung hier durchführen, was der Sachverständige Witter gemacht hat. Sie wollen jedenfalls, daß das Gutachten, das Professor Witter abgegeben hat, Ihren Herrn Verteidigern zur Kenntnis gebracht wird, wenn ich es recht verstehe.
Angekl. B[aader]:
Nein, nicht das Gutachten, sondern die Akten, auf die sich dieses[kkk] [2474] Gutachten angeblich stützt.
Vors.:
Ja, das haben wir nicht zur Verfügung hier, und damit hat’s auch hier wirklich nichts zu tun.
Angekl. B[aader]:
Und dann wollen Sie also sagen, das sei nicht prozeßerheblich, als Beispiel. Das wären also Akten, die nicht prozeßerheblich sind, auf die psychiatrische Gutachten gestützt werden können.
Vors.:
Herr Baader, ich entziehe Ihnen jetzt das Wort, weil Sie den Sachzusammenhang nicht mehr wahren.
Angekl. B[aader]:
Das glaube ich, daß Sie mir das Wort entziehen.
Vors.:
Es geht darum, welche Unterlagen den Herrn Sachverständigen zur Verfügung zu stellen sind, nicht welche Akteneinsicht Ihre Herrn Verteidiger ausüben können. Wir sind damit am Ende dieses Punktes.
RA Sch[ily]:
Moment, Herr Vorsitzender.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, bitte.
RA Sch[ily]:
Ich habe festgestellt, daß in dem Beschluß eigentlich ein Antrag nicht befindet, über einen Antrag nicht befindet. Denn wir haben ja auch den Antrag gestellt, den Sachverständigen weitere Unterlagen zugänglich zu machen. Über den ist bisher noch nicht entschieden oder wie?
Vors.:
Es ist selbstverständlich, ich sage Ihnen ja, daß alles, was in den Akten vorhanden ist, auch den Sachverständigen zur Verfügung gestellt wird, das habe ich ausdrücklich betont.
RA Sch[ily]:
Zur Verfügung steht oder übersandt wird. Das ist ja noch ein Unterschied.
Vors.:
Selbstverständlich auch übersandt wird, wenn wir auf bestimmte Punkte hingewiesen werden, von denen Sie die Überzeugung haben, daß die Sachverständigen von diesem Aktenstand Kenntnis erlangen.
[2475] RA Sch[ily]:
Aber Herr Vorsitzender, wenn Sie - Der Antrag war doch gestellt worden, daß diese gesamten Anträge und Antragsbegründungen, die sich auf die Haftbedingungen beziehen, den Sachverständigen übersandt werden. Vielleicht ...
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, Sie werden verstehen ...
RA Sch[ily]:
Seit dem 1. September, es ist sogar ein Datum, und darüber ist nicht entschieden worden.
Vors.:
Es ist entschieden worden. Die Sachverständigen bekommen alle Unterlagen, die hier bei den Akten vorhanden sind und Bezug darauf haben, auch die, die die Verteidiger hier wünschen. Es wäre natürlich zweckmäßig, wenn Sie uns im einzelnen noch benennen würden, welche Anträge Sie haben. Sie haben sie im Zweifelsfall gesammelt. Das läßt sich dann gleich machen.
RA Sch[ily]:
Ja, vielleicht können wir dann so verfahren, um das also abzustimmen, Sie werden ja, ich nehme an, ein Begleitschreiben machen, um das den Sachverständigen zu übersenden und uns eine Abschrift dieses Begleitschreibens zusenden. Dann können wir ja vielleicht nachprüfen, ob alles darunter ist, und wenn wir noch, sagen wir mal, eine Ergänzung für notwendig halten ... Ja ist das irgendwie jetzt, ich weiß nicht, ist das komisch oder ...
Vors.:
Einen Gegenvorschlag. Sie benennen uns die Unterlagen, die Sie ... Sie haben es doch im Zweifelsfall sogar in Abschrift. Wir sind gerne bereit die zu fotokopieren und als gesammeltes Bündelchen ...
RA Sch[ily]:
Na, Sie haben es doch auch. Sie haben es doch auch. Warum sollen wir jetzt den Umweg wählen.
Vors.:
Sie wissen doch, Herr Rechtsanwalt, wie die Akten auseinandergezogen sind, durch Zwischenvorgänge. Das ist ja nicht alles in einem Ordner untergebracht. Sie können es vielleicht leichter übersehen, welche Anträge gestellt sind. Aber wir können uns über den Modus ...
RA Sch[ily]:
Bei uns ist es vielleicht sogar noch schwieriger, weil wir ja von [2476] den verschiedenen Verteidigern, verschiedene Anträge eingereicht worden sind. Sie haben es in ihren Akten von allen Verteidigern. Insofern haben Sie es, glaube ich, sogar leichter als die Verteidiger. Im übrigen möchte ich noch auf folgendes Hinweisen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt, wissen Sie, ich bin jetzt deswegen etwas in Eile, weil, Sie wissen ja ganz genau, es wird hier sehr knapp gehandelt mit den drei Stunden. Sie gehen jetzt zur Neige. Deswegen bin ich sehr interessiert, daß wir zum Ende kommen.
RA Sch[ily]:
Ich stelle den Antrag, den Gefangenen auch in dieser Woche ...
Vors.:
Es liegt hier schriftlich vor, wenn es um den Umschluß geht.
RA Sch[ily]:
Ja, ja, um diesen Umschluß. Ich will nur auf einen Zusammenhang hinweisen. Eine ausführliche Erklärung zur Sache ist nur dann möglich, wenn also die Haftbedingungen zumindestens so gehandhabt werden, daß ein, dieses Mindestmaß noch an Zusammenschluß gewahrt bleibt. Man muß sich vorstellen, daß es eben eine unmittelbare Bedeutung hat für den Zustand der Inhaftierten, und davon hängt eben sehr viel ab, ob also eine Erklärung zur Sache zustande kommt, und ich meine, der Senat sollte wenigstens insoweit da nicht kleinlich sein mit dieser Frage des Zusammenschlusses, um diese Erklärung zur Sache zu ermöglichen, wobei man sich also vergegenwärtigen muß, daß natürlich die Vorbereitung einer solchen Erklärung zur Sache auch unter der reduzierten Verhandlungsfähigkeit, also mindestens reduzierten Verhandlungsfähigkeit, sehr stark beeinträchtigt war. Also das möchte ich noch zur zusätzlichen Begründung zu diesem Antrag sagen, damit also die notwendigen Voraussetzungen da geprüft werden.
Vors.:
Soll das bedeuten, daß jetzt erst Vorbereitungen getroffen werden sollen, überhaupt sich zur Sache einzulassen.
RA Sch[ily]:
Nein, nein, aber Herr Vorsitzender, das ist, also entschuldigen Sie, aber ein kaum ernst zu nehmender Einwand, den Sie jetzt, oder kaum ernst zu nehmende Frage.
[2477] Vors.:
Ich habe es ernst gemeint.
RA Sch[ily]:
Naja, ich kann es nicht ernst nehmen, entschuldigen Sie.
Vors.:
Bitte sehr.
RA Sch[ily]:
Denn der Hauptverhandlungsbeginn liegt ja doch einigermaßen zurück. Das ist selbstverständlich, aber daß natürlich auch eine Einlassung zur Sache immer sozusagen auf den Stand gebracht werden muß, das ist ja wohl auch klar. Daß da also immer noch ein Denkprozeß und ein Formulierungsprozeß vorliegt, das ist ja wohl auch klar.
Vors.:
Gut, dann will ich jetzt aber darauf hinweisen, wir wollen in folgender Weise fortfahren. Morgen doch eine Sitzung. Entschuldigung, wollten Sie zuerst Stellung nehmen zu diesen Anträgen.
BA Dr. W[under]:
Ich habe eine ganz kurze Frage.
Vors.:
Bitte.
BA Dr. W[under]:
Herr Rechtsanwalt Schily, ich kann Ihren Antrag deswegen nicht verstehen, weil gleichzeitig ein Antrag von Herrn Raspe für alle anderen Angeklagten mit, wenn ich recht orientiert bin, vorliegt, der dahin geht, den Angeklagten täglich von 16.00 Uhr bis 22.00 Uhr das Fernsehen zu gestatten. Wann sollen die Angeklagten sich dann Ihrer Meinung nach bei dem Umschluß vorbereiten. Das verstehe ich nimmer.
Vors.:
Ich möchte aber jetzt wirklich keine endlose Diskussion.
RA Sch[ily]:
Aber nein, entschuldigen Sie mal, aber das ist dann doch wirklich wiederum, Sie werden doch wohl nicht im Ernst denken, daß ein Antrag vorliegt, daß die Gefangenen von 16.00 Uhr bis 22.00 Uhr vor dem Fernseher sitzen. Das ist doch wohl nicht der Punkt, sondern ja, Moment, der Antrag ist doch so zu interpretieren, daß man inner- [2478] halb dieses Zeitraums dann die Möglichkeit wohl der Auswahl hat ...
Vors.:
Ja, so haben wir es auch verstanden.
RA Sch[ily]:
... auf das Kinderfernsehen angewiesen ist, nicht. Und ich finde es also eigentlich ein bißchen töricht, entschuldigen Sie das Wort, Herr Dr. Wunder, aber daß Sie in der Weise einen solchen Antrag hier öffentlich falsch interpretieren wollen.
Vors.:
Ja, gut. Damit ist der Punkt auch angesprochen. Ich darf noch darauf hinweisen, daß gestern ja den Angeklagten gestattet worden ist, den Umschluß, d.h. das Zusammenkommen zu zweit an zwei sitzungsfreien Tagen, wieder auszudehnen auf die volle Zeit von 8 Stunden, meine ich, nicht?
Angekl. B[aader]:
Davon wissen wir gar nichts.
Vors.:
Ja, das ist gestern verfügt worden, das werden Sie erfahren. Dann darf ich jetzt endgültig darauf hinweisen, wir werden morgen wieder die Verhandlung hier aufnehmen und beabsichtigen für den Fall, daß keine Anträge gestellt werden oder die[lll] Angeklagten die Gelegenheit, sich zur Sache oder zur Person einzulassen, nicht wahrnehmen, zumindest mit Verlesungen[mmm] zu beginnen. Ich muß ausdrücklich darauf hinweisen, daß im jetzigen Verfahrensstadium natürlich nicht die Möglichkeit besteht, inmitten der Beweisaufnahme plötzlich zu erklären, jetzt kommen wir zu unserer Einlassung. Wir werden selbstverständlich dazu Gelegenheit geben. Aber nehmen wir an, es wäre ein Zeuge geladen, dann würde selbstverständlich die Vernehmung des Zeugen Vorrang haben und nicht etwa dazwischenrein nun plötzlich die Erklärungen der Angeklagten entgegengenommen werden können. Ich bitte also die Angeklagten zu überlegen, ob sie morgen die Gelegenheit, zumindest mit ihren Erklärungen zu beginnen, nicht ergreifen wollen. Damit ist die Sitzung beendet. Fortsetzung morgen früh um 9.00 Uhr.
Ende der Sitzung um 15.45 Uhr.
Ende von Band 128
[1] Die Bestellung von Pflichtverteidiger/innen erfolgt nur für die jeweils bestellte Person. Diese kann sich daher grundsätzlich weder durch unterbevollmächtigte, noch durch Rechtsanwält/innen derselben Sozietät vertreten lassen. Ausnahmsweise wird aber im Falle vorübergehender Verhinderung die Vertretung mit Zustimmung des/der Vorsitzenden für zulässig erachtet (KG, Beschl. v. 29.6.2005 - Az.: 5 Ws 164/05, NStZ-RR 2005, S. 327, 328). Anders ist die Situation im Falle einer amtlich bestellten Vertretung: Diese ist gemäß § 53 Abs. 7 BRAO („Dem Vertreter stehen die amtlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zu, den er vertritt.“) befugt, überall dort aufzutreten, wo auch die vertretene Person als Prozessbevollmächtigte/r auftreten könnte. Die Vertretungsbefugnis besteht in diesem Fall auch unabhängig von der Zustimmung des/der Vorsitzenden (Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn. 3554 ff.; Schwärzer, in Weyland [Hrsg.], Bundesrechtsanwaltsordnung, 10. Aufl. 2020, § 53 Rn. 42a).
[2] Anlage 1 zum Protokoll vom 27.8.75: Mitteilung des Rechtsanwalts Riedel (Vertretung durch den Gerichtsreferendar Dr. Temming).
[3] Anlage 2 zum Protokoll vom 27.8.75: Aktenvermerk: Telefonische Mitteilung des Rechtsanwalts Schlaegel (Vertretung durch Rechtsanwalt Herzberg).
[4] Rechtsanwalt Schily trug am 29. Verhandlungstag vor, es gebe Hinweise darauf, dass in Bruchsal isolierte Zellen für die spätere Vollstreckung der lebenslangen Haftstrafen der Angeklagten fertiggestellt worden seien (S. 2341 des Protokolls der Hauptverhandlung). Dies sei ein Hinweis darauf, dass das Urteil gegen die Angeklagten bereits zu diesem Zeitpunkt feststehe, was eine Verletzung der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK sei (S. 2342 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[5] Rechtsanwalt Schily führte dazu am 29. Verhandlungstag aus, nach einer Erklärung des Justizministeriums sei ein Trakt mit abgesonderten Zellen und schallisolierter Decke vorhanden für lebenslängliche aufrührerische Gefangene, die politisch agitierten; die Zellen seien allerdings nicht isoliert. Da es aber keine anderen Häftlinge in Baden-Württemberg gebe, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßten und der politischen Agitation bezichtigt würden, könne der Trakt ausschließlich für die Angeklagten bestimmt sein (s. dazu Schily am 29. Verhandlungstag, S. 2342 f. des Protokolls der Hauptverhandlung.
[6] Bundesanwalt Dr. Wunder hatte zu einem früheren Zeitpunkt ausgeführt, es handele sich schon allein deswegen um kein politisches, sondern ein „normales“ Strafverfahren, da keine Taten aus dem Ersten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB angeklagt seien (S. 1685 des Protokolls der Hauptverhandlung, 21. Verhandlungstag). Der Erste Abschnitt, der überschrieben ist mit „Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats (§§ 80-92b)“ enthält Straftaten, die in besonderem Maße politisch motiviert sind.
[7] Ho Chi Minh war das bekannteste Pseudonym eines vietnamesischen Kommunisten, Aktivisten und Politikers, der für die Unabhängigkeit und Einheit Vietnams eintrat. Ho gründete 1941, nachdem er in zahlreichen Stationen in Europa und Asien immer engere Beziehungen zur Kommunistischen Internationalen geknüpft hatte, die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams (Viet Minh). Mit dem Sieg der Viet Minh gegen das französische Kolonialregime und die während des Zweiten Weltkrieges installierte japanische Besatzung wurde Ho Chi Minh zum Staatsoberhaupt der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Der kurzen Phase der Unabhängigkeit folgte der Rückeroberungsfeldzug der Franzosen im ersten Indochina-Krieg von 1946 bis 1954, der zur Teilung Vietnams führte. Nach dem Krieg regierte Ho als Präsident bis zu seinem Tod 1969 das kommunistische Nordvietnam (Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 10. Aufl. 2016, S. 11 ff.; Großheim, Ho Chi Minh, 2011, S. 9, 13,17, 20 ff., 66 ff., 94 f., 102 ff., 110 ff., 147 f.).
[8] Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof übt als Strafverfolgungsbehörde das Amt der Staatsanwaltschaft beim BGH (§ 142 Nr. 1 GVG), sowie in den zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehörenden Strafsachen (§ 142a Abs. 1 GVG) aus. Diese Zuständigkeit des OLG für Strafsachen in erster Instanz ist nur für besondere Straftaten gegeben, etwa für Hoch- und Landesverrat (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GVG). Der Generalbundesanwalt kann zudem die Strafverfolgung für Strafsachen, die eigentlich zur Zuständigkeit der Landgerichte gehören würden, wegen der besonderen Bedeutung des Falles übernehmen, was in der Folge ebenfalls zur Zuständigkeit des OLG in erster Instanz führt (§§ 120 Abs. 2, 74a Abs. 2 GVG).
[9] Günter Guillaume war ein Spion der DDR. Unter der Angabe, am 12. Mai 1956 mit seiner Ehefrau aus der DDR geflohen zu sein, begann Guillaume eine Karriere in der SPD. 1969 wurde ihm ein Posten im Bundeskanzleramt vermittelt, 1972 wurde er Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt. Als ständiger Begleiter Brandts hatte Guillaume Zugang zu Staatspapieren der höchsten Geheimhaltungsstufe. Enttarnt wurde Guillaume schließlich über dechiffrierte Glückwünsche der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA); am 24. April 1974 wurde er verhaftet und später wegen Landesverrats zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von siebeneinhalb verurteilt. Brandt trat am 5. Mai 1974 als Bundeskanzler zurück (Schreiber, Kanzlersturz, 2003, S. 14 ff., 38 ff., 68 ff., 78, 230 ff.; „Der Fall Guillaume“, DER SPIEGEL, Ausgabe 41/1974 vom 7.10.1974, S. 161 ff.).
[10] Die Durchsuchung (Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 StPO) und Beschlagnahme (§ 98 Abs. 1 StPO) von Sachen stehen grundsätzlich unter dem sog. Richtervorbehalt, sind also nur bei richterlicher Anordnung zulässig. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt bei Gefahr im Verzug: Auch ohne richterliche Anordnung kann die Maßnahme ausnahmsweise durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamt/innen durchgeführt werden, wenn die vorige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Maßnahme aufgrund der Verzögerung gefährden würde (BVerfG, Urt. v. 20.1.2001 - Az.: 2 BvR 1444/00, NJW 2011, S. 121, 122).
[11] Im Jahr 1971 entschied der BGH, dass sich aus der Verletzung des ebenfalls in Art. 6 EMRK enthaltenen Beschleunigungsgebotes ein Verfahrenshindernis nicht herleiten lasse; eine unangemessene Verfahrensdauer sei stattdessen im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dies begründete der BGH unter anderem damit, dass „das Mittel des Verfahrenshindernisses seiner Natur nach gänzlich ungeeignet [sei], als gerechter Ausgleich gegenüber Nachteilen dieser Art zu dienen. Es kann immer nur dort eingreifen, wo in sinnvoller Weise an eine bestimmte, für das Verfahren im ganzen uneingeschränkt rechtserhebliche Tatsache angeknüpft werden kann, wie dies etwa beim Ablauf einer Frist, beim Vorliegen einer förmlichen konstitutiven Erklärung und bei der Zugehörigkeit zu einer Körperschaft der Fall ist“ (BGH, Urt. v. 10.11.1971 - Az.: 2 StR 492/71, BGHSt 24, S. 239, 240). Inzwischen ist der BGH auch von dieser sog. Strafzumessungslösung abgerückt. Stattdessen ist im Falle eines rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahrens ein Teil der verhängten Strafe zu beziffern, der bereits als vollstreckt gilt (sog. Vollstreckungslösung, BGH, Beschl. v. 7.1.2008 - Az.: GSSt 1/07, NJW 2008, S. 860).
[12] Das LG Frankfurt am Main hatte zuvor in seinem Urteil vom 5.11.1970 (Az.: 2 KLs 6/70, JZ 1971, S. 234) einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot zur Begründung eines Verfahrenshindernisses herangezogen.
[13] Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist in Art. 6 EMRK verankert. Dazu gehören u.a. der Anspruch auf den gesetzlichen Richter, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts, die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens und der Verkündung des Urteils (Abs. 1), die Unschuldsvermutung (Abs. 2) sowie einige grundlegende Verteidigungsrechte (Abs. 3). Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates. Der Bundestag stimmte der Konvention mit Gesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II, S. 685; s. auch die Neufassung vom 17. Mai 2002, BGBl. II, S. 1054) zu, sodass sie den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat (Art. 59 Abs. 2 GG); die Ratifizierung erfolgte am 5.12.1952. Das Bundesverfassungsgericht zieht den Konventionstext sowie die Rechtsprechung des EGMR allerdings auch auf der Ebene des Verfassungsrechts zur Auslegung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätzen heran. Dies sei Ausdruck der „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“, welches „nach Möglichkeit so auszulegen [sei], dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht ent[stehe]“ (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - Az. 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, S. 307, 317 f.).
[14] Als Naturalobligation wird eine unvollkommene Verbindlichkeit bezeichnet, die zwar materiell einen Leistungsgrund darstellt, nicht aber im Wege einer gerichtlichen Klage durchgesetzt und vollstreckt werden kann (Mansel, in Jauernig [Begr.], Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Aufl. 2021, § 241 Rn. 20 ff.).
[15] Rechtsanwalt Schily nimmt hier auf die us-amerikanische Rechtspraxis im Umgang mit Fehlverhalten seitens der Staatsanwaltschaft („prosecutorial misconduct“) und der Regierung („misconduct of government“) im Rahmen eines Strafprozesses Bezug. Bereits im Jahre 1935 befand der US Supreme Court im Fall Berger v. United States (295 U.S. 78 [1935]): the government’s interest in a criminal prosecution „is not that it shall win a case, but that justice shall be done“. Welche Konsequenzen „prosecutorial misconduct“ nach sich zieht ist in der anglo-amerikanischen Rechtsprechung und Literatur umstritten; in extremen Fällen entschieden Gerichte bereits, dass das Verfahren einzustellen und selbst die Wiedereröffnung nicht möglich ist (näher zu dieser Thematik Gershman, American Journal of Criminal Law, 26 (1998), S. 121 ff.; Heather, Journal of Contemporary Criminal Justice, 21 (2005) 3, S. 250 ff.; Henning, Washington University Law Quarterly, Vol. 77 1999, S. 713, 720; Joy, Wisconsin Law Review, 2006, S. 399 ff.; Keag, Vanderbilt Law Review, 72 (2019), S. 297 ff.; Thompson, Rutgers University Law Review, 96 (2017), S. 623 ff.; Ausführungen bzgl. verschiedener Typen von „prosecutorial misconduct“ finden sich bei Caldwell, Catholic University Law Review, 63 (2013), S. 51 ff.). S. auch die Ausführungen des Rechtsanwalts Schily auf S. 2286 des Protokolls der Hauptverhandlung (28. Verhandlungstag).
[16] Unter „Pretrial Publicity“ versteht man im US-amerikanischem Rechtsraum die Problematiken, die damit einhergehen, dass Informationen über einen Strafprozess noch vor dem Stattfinden der Hauptverhandlung an die breite Öffentlichkeit gelangen. Durch die intensive Berichterstattung der Medien ist es in den USA im Laufe der Geschichte häufiger vorgekommen, dass noch vor Beginn der Hauptverhandlung in einem Strafprozess die öffentliche Meinung über eine/n Angeklagte/ stark zu deren/dessen Ungunsten beeinflusst worden war. Das ist insbesondere deshalb problematisch, da die Unvoreingenommenheit der zur Entscheidung berufenen Jury dann nur noch schwer gewährleistet werden kann (statt vieler Otto/Penrod/Dexter, Law and Human Behavior, Vol. 18, 1994, S. 453 ff.). S. auch die Ausführungen des Rechtsanwalts Schily auf S. 2287 des Protokolls der Hauptverhandlung (28. Verhandlungstag).
[17] Da die vollständige Verhandlungsfähigkeit - d.h. die Fähigkeit, „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18) - der Angeklagten durch die Verteidigung seit Beginn der Hauptverhandlung immer wieder bestritten wurde, beauftragte das Gericht mit Beschluss vom 18.7.1975 eine Kommission aus Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen mit der Begutachtung der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten (zur Chronologie der Beauftragungen der verschiedenen Gutachter s. die Ausführungen des Rechtsanwalts von Plottnitz am 26. Verhandlungstag, S. 2093 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). In einem vorläufigen Gutachten nahmen die Sachverständigen Müller und Schröder eine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten an, nämlich für täglich nicht mehr als drei Stunden (S. 2169 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag).
[18] Der Senat war ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage als Gericht der Hauptsache auch zuständig für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen (§ 126 Abs. 2 StPO).
[19] § 81 StGB enthält den Straftatbestand des Hochverrats gegen den Bund: „Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt 1. den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder 2. die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“
[20] Das Tatbestandsmerkmal der verfassungsmäßigen Ordnung umfasst die wesentlichen, materiellen Grundsätze der Verfassung, nach denen sich in der Bundesrepublik auf dem Boden des Grundgesetzes das politische Leben verwirklicht (Paeffgen, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 81 Rn. 12). Dabei geht es nicht um abstrakte verfassungsrechtliche Prinzipien, sondern um die personell und institutionell verwirklichte Staatsordnung (Laufhütte/Kuschel, in Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann [Hrsg.], Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 4, 12. Aufl. 2007, § 81 Rn. 6).
[21] Art. 20 Abs. 4 GG lautet: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Das Widerstandsrecht wurde mit dem Siebzehnten Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I, S. 709) eingeführt und war Teil der von der Studentenbewegung stark kritisierten Notstandsgesetze, mit denen sich die Große Koalition für den Ausnahmezustand wappnen wollte (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 8 f.).
[22] Horst Herold war von 1971 bis 1981 Präsident des Bundeskriminalamtes (s. die vorangestellte Vita in Bundeskriminalamt [Hrsg.], Festschrift für Horst Herold zum 75. Geburtstag, 1998, S. 15, 17).
[23] Am 24. April 1975 überfiel das RAF-Kommando „Holger Meins“ die deutsche Botschaft in Stockholm und forderte die Freilassung von 26 inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Dem Kommando gehörten Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel an. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen nahmen sie zwölf Geiseln, von denen sie zwei erschossen. Anders als zwei Monate zuvor bei der Lorenz-Entführung durch die Bewegung 2. Juni lehnte die Bundesregierung nun Verhandlungen mit den Geiselnehmer/innen ab. Ihr Ende fand die Geiselnahme durch eine nicht geklärte Sprengstoffexplosion im Inneren des Botschaftsgebäudes, die sich noch vor dem Zugriff schwedischer Sicherheitskräfte ereignete. Bei der Explosion wurde Ulrich Wessel tödlich verletzt. Siegfried Hausner erlag seinen Verletzungen Anfang Mai 1975 in der JVA-Stammheim. Die übrigen vier Geiselnehmer/innen wurden verhaftet und am 20. Juli 1977 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 361 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 69).
[24] In der JVA Köln-Ossendorf befand sich der von den Angeklagten als „Trakt“, auch „Toter Trakt“, bezeichnete isolierte Trakt in der psychiatrischen Frauenabteilung, in der zunächst Astrid Proll untergebracht war, später auch Ulrike Meinhof, bevor sie nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurde (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff.). Meinhof beschrieb den Zustand im Trakt mit den Worten: „Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müsste eigentlich zerreißen, abplatzen) - das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepresst [...]. das Gefühl, die Zelle fährt [...] rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat [...]“ (Erklärung von Ulrike Meinhof, abgedruckt in: Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 103 ff.; s. auch die Ausführungen im Antrag der Angeklagten am 5. Verhandlungstag, Anlage 1 zum Protokoll vom 12.6.1975, insbes. die S. 425 ff. des Protokolls bzw. 20 ff. der Anlage; s. zu den Haftbedingungen in Köln-Ossendorf aber auch Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 95 ff.).
[25] Von September 1974 bis Februar 1975 führten insgesamt 40 Gefangene, darunter die Angeklagten, den insgesamt dritten und längsten Hungerstreik durch, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren, die sie als Isolationsfolter bezeichneten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117; die Hungerstreikerklärung ist abgedruckt in Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 14 ff.; s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.). RAF-Mitglied und ursprünglich ebenfalls Beschuldigter im Stammheimer Verfahren Holger Meins überlebte ihn nicht: Im November 1974 starb er an den Folgen der Mangelernährung (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 58).
[26] Vom 28. Juli bis zum 28. August 1975 wurde in Athen ein Strafverfahren gegen zwanzig ehemalige Führungspersonen der griechischen Militärdiktatur (sog. Junta) geführt. Angeklagt waren sie unter anderem wegen Hochverrats und Revolte. Das Verfahren stieß national wie international auf großes öffentliches Interesse (Skordos, in Ganzenmüller [Hrsg.], Recht und Gerechtigkeit, 2017, S. 253, 256 ff.).
[27] Als „Camera silens“ werden vollständig reizlose Räume bezeichnet. Während der 1960er Jahre intensivierte sich die Forschung zu den Wirkungen von Reizentzügen (sensorische Deprivation). U.a. forschte der tschechische Psychiater Jan Gross auf diesem Gebiet, der in der psychiatrischen Klinik Hamburg-Eppendorf seine Forschungen mit der dort vorhandenen „Camera silens“ verknüpfte. Im Zuge der Debatte um die gegen RAF-Mitglieder angewandte „Isolationsfolter“ wurden diese Forschungen von Unterstützern sowie der RAF als Mittel staatlicher Vernichtungspläne propagandistisch umgedeutet (Koenen, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 994 ff.; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 99, 112).
[28] Es ist nicht klar, auf welchen Vorfall sich Bundesanwalt Dr. Wunder bezieht. Offensichtlich besteht jedoch ein Zusammenhang mit der Haftanstalt Bruchsal (s. hierzu auch die spätere Bemerkung des Rechtsanwalts Schily an diesem Verhandlungstag, S. 2422 des Protokolls der Hauptverhandlung). Bereits am vorigen Verhandlungstag kamen die Umbaumaßnhamen der Haftanstalt Bruchsal zur Sprache (s. dort die Ausführungen des Rechtsanwalts Schily auf S. 2341 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Die dort vorgenommenen Umbaumaßnahmen wurden als Hinweis darauf aufgefasst, dass das auf lebenslange Freiheitsstrafe lautende Urteil gegen die Angeklagten bereits feststehe. Hinweise auf einen speziellen „Vorfall“ im Jahre 1974 sind allerdings nicht ersichtlich.
[29] Ende November 1974 führten Polizeibehörden bundesweit die Fahndungsaktion „Winterreise“ durch. Dabei durchsuchten sie zahlreiche Wohnungen, Büros und Verlagshäuser nach Unterstützer/innen krimineller Vereinigungen. Die Aktion führte zwar nicht zu großen Festnahmen, ließ jedoch einige Sympathisant/innen aufschrecken. Die Fahndung war von der Innenministerkonferenz beschlossen worden, nachdem der Hungertod von Holger Meins und die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmanns im Herbst 1974 zu einer Verschärfung des Konflikts zwischen linksterroristischen Gruppen und den Sicherheitsbehörden geführt hatten (Weinhauer, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 244, 255 f.).
[30] Die Angeklagten waren alle im Juni 1972 verhaftet worden und befanden sich zu diesem Zeitpunkt seit über drei Jahren in Haft. Dabei verbrachten nicht alle Angeklagten die gesamte Haftdauer in Untersuchungshaft. Andreas Baader saß noch bis zum 1. November 1974, Gudrun Ensslin bis zum 1. August 1974 in Strafhaft. Sie verbüßten jeweils den Rest einer dreijährigen Haftstrafe, zu der sie im sog. Frankfurter Kaufhausbrandstiftungsprozess verurteilt wurden (s. S. 2378 des Protokolls der Hauptverhandlung, 29. Verhandlungstag). Auch Ulrike Meinhof wurde vom LG Berlin mit Urteil vom 29.11.1974 wegen ihrer Beteiligung an der Befreiung von Andreas Baader aus der Haft am 14. Mai 1970 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von acht Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 95 ff.), die jedoch erst ab dem 29.1.1976 vollstreckt wurde (s. den entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 71. Verhandlungstag, S. 6396 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[31] Bereits im Februar 1973 wurde Rechtsanwalt und RAF-Mitglied Horst Mahler vom Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 12 Jahren verurteilt. Für seine Beteiligung an der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 wurde er im November 1974 vom LG Berlin unter Einbeziehung der früheren Haftstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff., 384).
[32] Ein gerichtliches Urteil erwächst in (formelle) Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen erhoben werden kann, es also im selben Verfahren unanfechtbar geworden ist. Dies ist der Fall, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/1, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27). Die sog. materielle Rechtskraft setzt die formelle voraus und betrifft den Inhalt des Urteils. Sie ist in zweierlei Hinsicht beschränkt: Zum einen bezieht sie sich nur auf die Personen, gegen die das Verfahren gerichtet war (Kudlich, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Auflage 2014, Einleitung Rn. 510). Zum anderen entsteht sie auch nur im Hinblick auf den Tenor, also die Entscheidungsformel, die im Falle einer Verurteilung den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch (sowie bestimmte Nebenentscheidungen) umfasst. Die Entscheidungsgründe entfalten daher keine Bindungswirkung für die Zukunft - weder für andere Straf- noch Zivilgerichte (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 170). Gleichwohl ist es anderen (Straf-)Gerichten nicht verwehrt, die auch in den Entscheidungsgründen dokumentierten Ergebnisse der Beweiserhebung im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung einzuführen und sie zur Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) zu machen; dies gilt sogar für nichtrechtskräftige (z.B. aufgehobene) Entscheidungen (BGH, Urt. v. 18.5.1954 - Az.: 5 StR 653/53, BGHSt 6, S. 141; Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 17).
[33] Zu diesem Zeitpunkt hatte die Verteidigung bereits - erfolglos - mehr als zehn Ablehnungen wegen Besorgnis der Befangenheit gegen Mitglieder des Senats vorgebracht (s. die Bemerkung des OStA Zeis zum „10. sog. Jubiläumsantrag“ am 23. Verhandlungstag, S. 1852 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[34] Nachdem Andreas Baader zu Beginn der Hauptverhandlung ohne Verteidiger/in seines Vertrauens dastand (s. hierzu S. 838 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 11. Verhandlungstag), übernahm ab dem 4. Verhandlungstag Rechtsanwalt Dr. Heldmann die Verteidigung Baaders. Hierzu beantragte er eine zehntägige Verhandlungsunterbrechung, um sich in die umfangreichen Akten des Verfahrens einzuarbeiten (S. 274 des Protokolls der Hauptverhandlung, 4. Verhandlungstag). Der Antrag wurde abgelehnt (S. 292 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; s. auch die hiergegen gerichtete Gegenvorstellung des Rechtsanwalts Dr. Heldmann auf S. 837 ff., 11. Verhandlungstag).
[35] Diether Posser (SPD) war von 1972 bis 1978 Justizminister in Nordrhein-Westfalen. Als solcher war er auch zuständig für die JVA Köln-Ossendorf, in der Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Astrid Proll zwischen 1971 und 1973 für unterschiedlich lange Zeiträume in Einzelhaft untergebracht waren. Die dortigen besonders harten Haftbedingungen wurden von Rechtsanwalt Ulrich Preuß als einem der ersten als „Folter“ bezeichnet. Anfang 1973 erstattete Preuß Strafanzeige gegen Posser (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 103 f.; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 96 f., 103 ff.).
[36] Werner Hoppe wurde am 15.7.1971 verhaftet. Dabei soll er versucht haben, sich seiner Festnahme durch mehrere Schüsse auf Polizeibeamte zu entziehen. Hoppe verbrachte ca. zehn Monate in Untersuchungshaft in einer isolierten Einzelzelle. Er wurde schließlich durch das LG Hamburg mit Urteil vom 26.7.1972 wegen dreifachen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt. Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wurde bereits im Ermittlungsverfahren wegen fehlender Beweise eingestellt. Das Urteil wurde insbesondere für seine Beweiswürdigung stark kritisiert (Overath, Drachenzähne, 1991, S. 54 ff., 62).
[37] Am 24. Verhandlungstag wurde im Rahmen der Diskussion über die unterschiedliche Behandlung der Verteidigung im Vergleich zur Bundesanwaltschaft, welche bei Betreten des Gerichtsgebäudes (anders als die Verteidigung) nicht durchsucht wurde, durch Rechtsanwalt von Plottnitz eingebracht, dass er OStA Zeis mit einer Faustfeuerwaffe im Gebäude gesehen habe (S. 2050, 2053 f. des Protokolls der Hauptverhandlung).
[38] Rechtsanwalt Siegfried Haag, der ursprünglich Andreas Baader als Pflichtverteidiger beigeordnet war, wurde wenige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung vorläufig festgenommen, seine Kanzlei- und Wohnräume wurden durchsucht. Der beim Bundesgerichtshof beantragte Haftbefehl wurde zunächst abgelehnt. Als er im Beschwerdeverfahren schließlich erteilt wurde, war Haag bereits untergetaucht und hatte sich der RAF angeschlossen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 212 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 69; s. auch die Presseerklärung Haags in Anlage 1 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 12 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Siegfried Haag wurde verdächtigt, Tatmittel für das Stockholm-Attentat beschafft zu haben. Das OLG Stuttgart verurteilte ihn am 19.12.1977 schließlich wegen seiner Beteiligung hieran zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 69).
[39] Ein Vertrag, durch den Pflichten einer dritten, unbeteiligten Person begründet werden sollen, kann nicht wirksam geschlossen werden (Gottwald, in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 3, 8. Aufl. 2019, § 328 Rn. 261).
[40] § 260 Abs. 3 StPO lautet: „Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.“
[41] Sachleitungsbezogene Anordnungen des/der Vorsitzenden können als unzulässig beanstandet werden (§ 238 Abs. 2 StPO). Über die Beanstandung entscheidet sodann das Gericht, in diesem Fall der Senat in voller Besetzung.
[42] Die Entscheidung, einen Antrag anzunehmen, ist Bestandteil der Verhandlungsleitung, welche durch den/die Vorsitzende ausgeübt wird (§ 238 Abs. 1 StPO). Es besteht aber keine Verpflichtung, Anträge zu jeder Zeit entgegenzunehmen. Prozessbeteiligte, die einen Antrag zu einem ungünstigen Zeitpunkt stellen, können daher auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen werden (BGH, Beschl. v. 10.6.2014 - Az.: 3 StR 57/14, NStZ 2014, S. 668, 670; Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 238 Rn. 5).
[43] Der CDU-Politiker und Spitzenkandidat bei der Wahl um das Berliner Abgeordnetenhaus Peter Lorenz wurde am 27. Februar 1975 von der Bewegung 2. Juni entführt und in einem „Volksgefängnis“ in Berlin-Kreuzberg festgehalten. Im Austausch gegen Lorenz wurde die Freilassung von sechs Gefangenen gefordert: Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann. Die Bundesregierung unter Kanzler Schmidt ging auf die Forderungen ein: Bis auf Horst Mahler, der das Angebot ablehnte, bestiegen am 3. März 1975 die anderen fünf Inhaftierten mit dem ehemaligen West-Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz als Vermittler eine Maschine der Lufthansa nach Aden im Jemen. Nach der erfolgreichen Ankunft wurde Lorenz am 4. März freigelassen (Dahlke, in Hürter/Rusconi [Hrsg.], Die bleiernen Jahre, 2010, S. 31, 36 ff.; Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 37, 250 ff.). Die Bewegung 2. Juni benannte sich nach dem Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2.6.1967 bei einer Demonstration der Studentenbewegung gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien durch einen Polizisten erschossen wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 21 f.).
[44] Nach seiner Verhaftung im Juni 1972 war Andreas Baader bis zu seiner Verlegung nach Stuttgart-Stammheim im November 1974 in der JVA Schwalmstadt untergebracht (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97).
[45] Nach § 176 GVG obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem/der Vorsitzenden. Leisten Personen einer entsprechenden Anordnung nicht Folge, ermöglicht § 177 GVG die Entfernung aus dem Sitzungszimmer. Nach § 178 GVG kann bei ungebührlichem Verhalten ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft festgesetzt werden.
[46] Aus dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip (VerfG, Beschl. v. 25.10.1966 - Az.: 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, S. 323, 323 ff.) folgt, dass eine Person nur für eigenes Verhalten strafrechtlich verantwortlich gemacht werden darf, nicht aber für „fremde Schuld“ (Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. 2020, § 19 Rn. 53i f.). Darunter fällt allerdings nicht nur die eigenhändige Tatbegehung (§ 25 Abs. 1 Alt. 1StGB); als eigenes Verhalten gilt vielmehr auch Verhalten Dritter, das nach den Regeln der mittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB), oder der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) als eigenes zugerechnet werden kann.
[47] Im Jahr 1971 entschied der BGH, dass sich aus der Verletzung des ebenfalls in Art. 6 EMRK enthaltenen Beschleunigungsgebotes ein Verfahrenshindernis nicht herleiten lasse; eine unangemessene Verfahrensdauer sei stattdessen im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dies begründete der BGH unter anderem damit, dass „das Mittel des Verfahrenshindernisses seiner Natur nach gänzlich ungeeignet [sei], als gerechter Ausgleich gegenüber Nachteilen dieser Art zu dienen. Es kann immer nur dort eingreifen, wo in sinnvoller Weise an eine bestimmte, für das Verfahren im ganzen uneingeschränkt rechtserhebliche Tatsache angeknüpft werden kann, wie dies etwa beim Ablauf einer Frist, beim Vorliegen einer förmlichen konstitutiven Erklärung und bei der Zugehörigkeit zu einer Körperschaft der Fall ist“ (BGH, Urt. v. 10.11.1971 - Az.: 2 StR 492/71, BGHSt 24, S. 239, 240). Inzwischen ist der BGH auch von dieser sog. Strafzumessungslösung abgerückt. Stattdessen ist im Falle eines rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahrens ein Teil der verhängten Strafe zu beziffern, der bereits als vollstreckt gilt (sog. Vollstreckungslösung, BGH, Beschl. v. 7.1.2008 - Az.: GSSt 1/07, NJW 2008, S. 860).
[48] § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO a.F. (heute: Abs. 5 Satz 1) schreibt vor, dass Angeklagte vor der Vernehmung zur Sache darauf hingewiesen werden müssen, dass es ihnen freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Unterbleibt diese Belehrung, so kann das Urteil mit dem Rechtsmittel der Revision angegriffen werden. Das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler, welches für eine erfolgreiche Revision erforderlich ist (§ 337 Abs. 1 StPO), ist aber ausgeschlossen, wenn sicher ist, dass die/der Angeklagte diese Rechte bereits kannte (Arnoldi, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 243 Rn. 99).
[49] Die Hauptverhandlung beginnt nach dem Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit mit der Vernehmung der Angeklagten zur Person, an die sich die Verlesung der Anklage (heute außerdem: Mitteilung über ggf. stattgefundene Erörterungen) sowie die Vernehmung der Angeklagten zur Sache anschließen. Hierauf folgt die Beweisaufnahme (§§ 243, 244 StPO).
[50] Als Sitzungspolizei wird die Ordnungsgewalt des Gerichts bezeichnet (Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 706).
[51] Die Vernehmung zur Person fand am 26. Verhandlungstag statt, allerdings in Abwesenheit der Angeklagten. Die Verteidigung vertrat die Auffassung, die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten sei durch die vorläufigen Einschätzungen der Gutachter Müller und Schröder, die zu diesem Zeitpunkt vorlagen, nicht mehr gesichert. Der darauf gestützte Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde abgelehnt. Die Verteidiger/innen Becker, Dr. Heldmann, Riedel, Schily und von Plottnitz verließen daraufhin die Hauptverhandlung mit der Erklärung, man möge ihnen Bescheid sagen, sobald das endgültige Gutachten über die Verhandlungsfähigkeit vorliege (S. 2132 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Da daraufhin auch die Angeklagten die Hauptverhandlung verlassen wollten, der Vorsitzende Dr. Prinzing dies mit dem Hinweis auf die Anwesenheitspflicht aber untersagte, störten sie solange, bis sie schließlich wegen Störung der Hauptverhandlung (§ 177 GVG i.V.m. § 321b StPO) ausgeschlossen wurden. Sodann sollte mit der Vernehmung zur Person begonnen werden. Mit Hinweis auf das überragende Interesse des rechtlichen Gehörs in dieser Prozessphase ließ der Vorsitzende die Angeklagten einzeln wieder vorführen, um sie zur Person zu befragen. Dies verweigerten die Angeklagten. Schließlich wurde die Vernehmung zur Person, nach erneuten Ausschlüssen wegen fortwährenden Beleidigungen, in Abwesenheit der Angeklagten durch Mitteilung ihre persönlichen Verhältnisse aus der Akte durchgeführt (s. dazu S. 2139 ff., 2154 des Protokolls der Hauptverhandlung, 26. Verhandlungstag).
[52] In einem vorläufigen Gutachten nahmen die Sachverständigen Prof. Müller und Prof. Schröder an, dass die Angeklagten nicht länger als drei Stunden täglich der Verhandlung folgen könnten. Der Vorsitzende Dr. Prinzing teilte den Verfahrensbeteiligten in diesem Zusammenhang mit, dass ihm auf telefonische Nachfrage, wie die Zeitangabe „drei Stunden“ zu verstehen sei, die Auskunft erteilt worden sei, dass die reine Verhandlungszeit gemeint sei. Pausen und Unterbrechungen seien nicht mitzuzählen (S. 2169 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag). Diese Mitteilung sorgte für einige Diskussion. Der Antrag der Verteidigung, die Sachverständigen zu laden, um sie in der Hauptverhandlung dazu befragen zu können, wurde abgelehnt (S. 2192 ff., 2210 des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag).
[53] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Die Vernehmung der Angeklagten zur Person nach § 243 Abs. 2 StPO dient in erster Linie der Feststellung der Identität, sowie der Klärung weiterer Prozessvoraussetzungen. Verweigern Angeklagte entsprechende Angaben, kann das Gericht die fehlenden Informationen im Wege des Freibeweises, etwa durch Würdigung des Akteninhalts, feststellen. Darüber hinausgehende Informationen über die persönlichen Verhältnisse, wie das Vorleben, familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse, beruflicher Werdegang etc., gehören zur Vernehmung zur Sache und unterliegen dem Strengbeweis. Fehlende Angaben können insbesondere durch die Vernehmung von Verwandten als Zeug/innen in den Prozess eingeführt werden (Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 243 Rn. 10 ff.).
[54] Notwendigerweise Gegenstand der Hauptverhandlung ist alles, was der Beantwortung der Schuld- und Straffrage dient, d.h. der Tathergang, die Schuld der/des Angeklagten sowie die Höhe der Strafe, da nur solche Tatsachen zur Begründung des Urteils herangezogen werden dürfen, die (prozessordnungsgemäß) in die Hauptverhandlung eingeführt wurden (§ 261 StPO).
[55] Nach § 231a StPO kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortgeführt werden, wenn diese noch nicht zur Anklage vernommen wurden, sie sich vorsätzlich und schuldhaft in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt haben und das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält. Die Norm wurde durch das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Strafverfahrensreformgesetzes vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) eingeführt. Bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Norm war eine solche Vorgehensweise zumindest für den Zeitraum nach Vernehmung der Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs. 4 StPO a.F.; heute: Abs. 5) zulässig, da das eigenmächtige Versetzen in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit mit dem eigenmächtigen Entfernen der Angeklagten aus der Hauptverhandlung gleichgesetzt wurde (so BGH, Urt. v. 22.4.1952 - Az.: 1 StR 622/51, BGHSt 2, S. 300, 304). Für diesen Fall galt schon damals § 231 Abs. 2 StPO, der die Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglichte. Die Einführung des § 231a StPO führte nur insofern zu einer Verschärfung der Rechtslage, als dass die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten nun bereits vor Abschluss der Vernehmung zur Sache möglich wurde. Für die Zeit danach ist auch heute noch § 231 Abs. 2 StPO anwendbar (Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 231 Rn. 16 und § 231a Rn. 1 f., 10; Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 231 Rn. 17 ff.).
[56] Der Vorsitzende Dr. Prinzing ließ den Sachverständigen Müller und Schröder am 28.8.1975 schriftlich ergänzende Fragen zukommen, darunter: „3. Ist es aus ärztlicher Sicht denkbar, daß die Angeklagten mit irgend welchen Mitteln die Gewichtsabnahme selbst herbeiführen?“ sowie „4. Können der starke Kaffee- oder Zigarettenkonsum und verordnete Abführmittel wesentliche Ursachen sein?“ (S. 2170 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag).
[57] Bevor die Zuständigkeit in Haftsachen auf das Gericht der Hauptsache übergeht (nämlich im Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage, § 126 Abs. 2 StPO) liegt die Zuständigkeit bei dem Gericht, das den Haftbefehl erlassen hat (§ 126 Abs. 1 StPO). Dies ist in der Regel ein/e Richter/in am Amtsgericht (§ 125 Abs. 1 StPO). Führt aber der Generalbundesanwalt beim BGH die Ermittlungen, ist der/die Ermittlungsrichter/in des BGH zuständig (§ 168a Abs. 1 Satz 2 StPO a.F.; heute § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO).
[58] S. bereits Fn. 24.
[59] Eine Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, der zwar nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen, allerdings in Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt ist. Sie beinhaltet die formlose Aufforderung, über eine getroffene Entscheidung erneut zu befinden und die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern (Hoch, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 296 ff. Rn. 39 ff.).
[60] Mit Beschluss vom 13.7.1973 gab der Untersuchungsrichter am BGH Knoblich dem Antrag der Bundesanwaltschaft statt, Ulrike Meinhof - notfalls gegen ihren Willen unter Anwendung von Narkose - auf ihre Zurechnungsfähigkeit während der Tatzeit untersuchen zu lassen. Hintergrund war, dass sie sich 1962 aufgrund eines gutartigen Tumors einer Gehirnoperation unterziehen musste, sodass der Verdacht einer Beeinträchtigung durch einen Tumor aufkam. Zu den genehmigten Behandlungen zählten Röntgenaufnahmen und eine Szintigraphie des Gehirns. In einem offenen Brief wandten sich 70 Ärzte und Medizinalassistenten direkt an den Richter am BGH Knoblich mit der Aufforderung, diesen Beschluss aufzuheben (der Brief ist abgedruckt in Komitees gegen Folter an politischen Gefangenen in der BRD, Der Kampf gegen die Vernichtungshaft, S. 133 f.). Dies geschah schließlich auch auf Antrag der Bundesanwaltschaft, allerdings mit der Begründung, die Untersuchung sei aufgrund neuer Erkenntnisse überflüssig geworden (so Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 115 f.; s. dazu auch Ulrike Meinhof am 19. Verhandlungstag, S. 1541 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[61] S. hierzu die Anträge des Rechtsanwalts Riedel auf Akteneinsicht sowie Heranziehung weiterer 1602 Stehordner am 21. Verhandlungstag (Anlage 4 zum Protokoll vom 30.7.1975, S. 1737 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung), sowie des Rechtsanwalts Schily auf Beiziehung weiterer 1602 Stehordner Akten am 24. Verhandlungstag (S. 1950 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). S. auch die Stellungnahmen des Bundesanwalts Dr. Wunder am 21. (S. 1751 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung) und 24. Verhandlungstag (S. 1968 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).
[a] Handschriftlich ersetzt: verprähmt durch verbrähmt
[b] Handschriftlich durchgestrichen: Ende des Zitats
[c] Handschriftlich ersetzt: der durch dem
[d] Handschriftlich durchgestrichen: Bandes
[e] Maschinell durchgestrichen: ist
[f] Maschinell eingefügt: aber
[g] Handschriftlich ersetzt: Filtralisieurng durch Zentralisierung
[h] Handschriftlich ergänzt: polizeiliche
[i] Handschriftlich ergänzt: arbeitsteilig
[j] Maschinell durchgestrichen: durch
[k] Handschriftlich ergänzt: organisierter
[l] Handschriftlich eingefügt: ist
[m] Handschriftlich ergänzt: ein
[n] Handschriftlich eingefügt: das
[o] Maschinell eingefügt: es
[p] Maschinell durchgestrichen: Wer hat
[q] Handschriftlich ersetzt: ... durch hat
[r] Handschriftlich ersetzt: Offendorf durch Ossendorf
[s] Maschinell eingefügt: -RA v.Pl., RA Dr.He.u. RA Sch. sprechen unverständlich dazwischen-
[t] Maschinell ersetzt: mitzuhören durch zuzuhören
[u] Maschinell ersetzt: dazu durch zu
[v] Handschriftlich eingefügt: wegen
[w] Handschriftlich ergänzt: Verve
[x] Maschinell eingefügt: wenn
[y] Maschinell durchgestrichen: nicht
[z] Handschriftlich ergänzt: verpflichtet
[aa] Handschriftlich ersetzt: ihm durch ihnen
[bb] Handschriftlich ersetzt: ihm durch ihnen
[cc] Handschriftlich ersetzt: der durch Herr
[dd] Handschriftlich ergänzt: einen
[ee] Handschriftlich ersetzt: indroktuiert durch instruiert
[ff] Handschriftlich ersetzt: im durch in
[gg] Handschriftlich eingefügt: diesem
[hh] Handschriftlich ersetzt: ob der durch auf den
[ii] Handschriftlich eingefügt: dass
[jj] Maschinell ersetzt: wir durch wieder
[kk] Maschinell durchgestrichen: nämlich
[ll] Maschinell durchgestrichen: des Buhmanns
[mm] Handschriftlich ergänzt: zum
[nn] Maschinell durchgestrichen: Grundsätze
[oo] Maschinell eingefügt: V.:
[pp] Maschinell durchgestrichen: prüfen
[qq] Maschinell durchgestrichen: jeweils
[rr] Maschinell eingefügt: ja
[ss] Maschinell eingefügt: infolgedessen
[tt] Handschriftlich durchgestrichen: das
[uu] Handschriftlich durchgestrichen: zum
[vv] Handschriftlich ersetzt: auch durch auf
[ww] Handschriftlich ersetzt: es durch das
[xx] Handschriftlich ersetzt: es durch das
[yy] Handschriftlich ersetzt: hier durch die
[zz] Handschriftlich ersetzt: RA durch GRef.
[aaa] Handschriftlich ersetzt: ihn durch die
[bbb] Maschinell ersetzt: wenn durch hier wird
[ccc] Handschriftlich durchgestrichen: wird
[ddd] Handschriftlich ersetzt: Gesetze durch Sätze
[eee] Handschriftlich eingefügt: hab
[fff] Handschriftlich ersetzt: Sie durch wir
[ggg] Handschriftlich ersetzt: So durch Zu
[hhh] Handschriftlich ersetzt: diesen durch diesem
[iii] Handschriftlich durchgestrichen: Sie
[jjj] Handschriftlich durchgestrichen: dieser
[kkk] Handschriftlich ergänzt: dieses
[lll] Handschriftlich ersetzt: den durch die
[mmm] Handschriftlich ergänzt: Verlesungen