31. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 28. August 1975, um 9.06 Uhr



[2479] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 28. August 1975, um 9.06 Uhr.

(31. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von Staatsanwalt Holland - erscheinen in derselben Besetzung wie am ersten Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

Just. Ass. z. A. Clemens,

Just. Ass. z. A. Scholze.

Die Angeklagten erscheinen mit ihren Verteidigern:

Rechtsanwälte Schily, Becker, Rogge, Dr. Heldmann, Rechtsreferendar Dr. Temming (als Vertreter von Rechtsanwalt Riedel), v[on] Plottnitz, Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel, König, Linke, Grigat.

Vors.:

Bitte Platz zu nehmen - und die zwei jungen Herrschaften, die hier Platz behalten haben, darf ich darauf hinweisen:

Morgens, beim Eintreffen des Gerichts, legen wir auf diese Form einen gewissen Wert aus guten Gründen.

Bevor ich die heutige Sitzung eröffne, einige kleine Hinweise:

Zunächst einmal für die Herrn Verteidiger.

Im September steht ja nochmals eine sitzungsfreie Woche bevor. Ich würde es gerne so handhaben, wie jetzt auch im August geschehen, nämlich, daß wir noch am Freitag, 12.9., vormittags verhandeln, in der übernächsten Woche dann aber nicht am Montag, wie ursprünglich vorgesehen, beginnen, sondern erst am Dienstag. Das allerdings würde dann wieder das Einverständnis voraussetzen, daß man statt, wie vorgesehen war, Montag, Dienstag, Mittwoch dann Dienstag, Mittwoch, Donnerstag verhandeln könnte. Also statt vom 22. bis zum 24. vom 23. bis zum 25.9.

Es muß nicht jetzt sofort beantwortet werden. Wenn die Herrn sich das mal durch den Kopf gehen lassen, ob da Einverständnis erzielt werden kann. [2480] Frau RAin Rogge, dieser Antrag für Herrn RA Bakker-Schut ist gestern nicht mehr entschieden worden. Der kam ja fünf Minuten vor Sitzungsbeginn. Die Frage:

Wird der Antrag aufrechterhalten, auch für einen späteren Besuchstermin?

RA’in Ro[gge]:

Ich stelle den Antrag neu.

Vors.:

Das können wir dann ... Ich wollte bloß, daß Sie drauf hingewiesen sind, daß der Antrag dann zu stellen ist. Ich möchte aber auf folgendes hier hinweisen:

Wenn Herr RA Bakker-Schut in seiner Eigenschaft als Anwalt einen Besuch machen will, bedarf es natürlich der Vollmachtsvorlage und auch einer Möglichkeit für uns, zu erkennen, daß dieses Verfahren von ihm mitbetrieben wird für Herrn Baader.

RAin Rogge spricht unverständlich.

Vors.:

Das werden wir dann anschließend nochmals überprüfen. Wir haben natürlich nicht alle Besuche ... Ich meinte, mich daran zu erinnern, war mir dessen aber nicht sicher.

Der Umschlußantrag, der gestern noch gestellt worden ist, hat sich natürlich, soweit heute die Sitzung durchgeführt wird, zunächst mal erledigt. Wir werden auf den Antrag zurückkommen, sobald die sitzungsfreie Zeit übersehbar ist.

Dann haben die Herrn Verteidiger sich gestern dagegen gewandt, daß angeordnet worden ist, daß ihre Gegenstände, die sie mitbringen, wenn sie Besuche in den hier vorhandenen Vorführzellen abstatten wollen, geprüft werden. Es ist richtig, daß diese Anordnung ergangen ist. Also analog die Handhabung zur Handhabung drüben in der Haftanstalt selbst - das hier ist ja nur als Dependance der Haftanstalt zu betrachten. Anlaß dazu wurde das eigene Verhalten von Ihnen; denn es ist selbstverständlich, daß Sie nicht befugt sind, den Angeklagten - ausgenommen Verteidigungsunterlagen - irgendwelche Gegenstande unter Umgehung der Kontrollmöglichkeiten[a] [2481] der Haftanstalt direkt zukommen zu lassen. Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit zur Kenntnis bringen, was die UntersuchungshaftvollzugsO sagt in Nr. 36 Abs. 5:

„Auch Verteidiger und Anwälte sind nicht befugt, dem Gefangenen ohne Genehmigung der zuständigen Beamten irgendwelche Gegenstände zur Mitnahme in die Anstalt zu übergeben.“

Dagegen ist in letzter Zeit - sicher nicht aus bösem Willen - aber tatsächlich verstoßen worden. Ich erinnere an den Versuch einer direkten Übergabe eines großen Beutels wohl mit Obst und Tabak. Gestern wurde nach den vorliegenden Meldungen versucht oder gar verwirklicht, Tabak und Süßigkeiten zu übergeben. Es muß einleuchten, daß dies nicht geht, auch in Ihrem eigenen Interesse nicht; denn wenn irgend etwas in die Anstalt gelangen sollte, was dann zu Bedenken später Anlaß gäbe - die Phantasie kann sich hier ja wohl leicht ausmalen, was da alles denkbar wäre - dann müßte der Verdacht zwangsläufig auch mit auf Sie fallen. Die Regelung in der UntersuchungshaftvollzugsO hat hier ihren guten Grund, und ich kann Ihnen sagen, solange Sie sich daran halten, und wenn Sie mir jetzt oder außerhalb der Sitzung versichern, daß in Zukunft unterbleibt, daß der Versuch unternommen wird, direkt irgend etwas zu übergeben, ohne das auf dem regulären Weg über die Anstalt zu machen, dann werde ich diese Anordnung sofort wieder rückgängig machen.

Herr Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Wären Sie einverstanden, Herr Vorsitzender, daß wir hier, denn unsere Hauptberührungspunkte mit unseren Mandanten finden ja hier statt, nicht drüben, daß wir hier, wenn wir solche Dinge wie neulich, z. B. eine Tüte Obst, mitbringen, daß wir sie über Sie leiten, wie wir - Sie und ich - das ja auch in diesem konkreten Fall besprochen hatten, und Sie mir zugesagt hatten, es an die Gefangenen weiterleiten zu wollen.

[2482] Vors.:

An die Anstalt. Immer den korrekten Weg über die Anstalt. Es ist der Weg vorgesehen, und des[b] muß sich auch die Anstalt vorbehalten. Das ist nicht richterliche Aufgabe, Pakete und sonstige Zuwendungen zu kontrollieren. Ganz klar ist das ne Frage der Sicherheit der Anstalt.

RA Dr. He[ldmann]:

Die sind ja draußen schon kontrolliert worden, und was ich hier gebracht habe - also dieses Obst hier - war zum Verzehr hier während der Pausen bestimmt.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich sagte Ihnen ausdrücklich, ich habe keinen bösen Willen unterstellt; ich sagte sogar ausdrücklich, es ist sicherlich nicht in schlechter Absicht.

Bloß: Es muß der Weg eingehalten werden.

Wenn Sie den Angeklagten irgendwas zukommen lassen wollen zur Stärkung, bitte geben Sie’s bei dem Beamten der Haftanstalt ab. Das ist der normale Weg. Ich kann mir nicht anmaßen, daß wir die Haftanstalt von diesem Prüfungsrecht hier aussperren und diese Aufgabe etwa selbst übernehmen.

RA Dr. He[ldmann]:

Und ginge das, Herr Vorsitzender, nicht dieses Mal mit Hausrecht hier?

Vors.:

Bitte mit ...?

RA Dr. He[ldmann]:

... mit Hausrecht hier?

Vors.:

Was hat das hier mit Hausrecht zu tun?

RA Dr. He[ldmann]:

Daß Sie, solange wir in diesem Haus sind - das ist ja bisher praktisch ganztags gewesen an den Sitzungstagen -, daß Sie da Kraft Ihres Hausrechts ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, es regelt sich nach § 119 Abs. 3 der StPO: Sicherheit und Ordnung der Anstalt; näher ausgestaltet in der gewiß nicht bindenden, aber doch als Regelerfahrung tauglichen UntersuchungshaftvollzugsO,[1] und so wollen wir’s auch hier handhaben.

[2483] RA Dr. He[ldmann]:

Tauglich?

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Herr Vorsitzender, darf ich ein Wort dazu ...

Vors.:

Ja. Wir sind also nicht in der Hauptverhandlung, und deswegen bedarf’s keiner ...

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Nein, Nein. Ein Wort dazu.

Sie sagen, es sei also Sache der Anstalt, darüber zu befinden, was oder was nicht an Genußmitteln etwa übergeben[c] werden darf anläßlich eines Verteidigerbesuchs. Das ist in letzter Instanz natürlich nicht richtig; in letzter Instanz ist das richterliche Aufgabe, weil die Anstalt ja ein Entscheidungsrecht nicht eingeräumt bekommen hat insoweit. Worum es geht, ist jetzt folgendes - ich hab’s, glaube ich, gestern schon gesagt-: Es geht insbesondere um Obst. Obst ist also eine Angelegenheit, von der auch Dr. Henck[2] gesagt hat, daß sie dringend eigentlich benötigt wird von den Gefangenen.

Wir selbst haben die Erfahrung gemacht, wenn wir - was weiß ich - sechs Pfirsiche, als Beispiel, mitbringen, dann ... und es den Beamten auch gezeigt haben kürzlich mal, dann finden wir also, wenn wir ins Beratungszimmer zurückkommen, fünf Pfirsiche und einen Kern wieder bei uns vor. Könnte man sich nicht dahingehend verständigen, daß also, was Obst angeht, man - was weiß ich - die Erlaubnis hier erhält, und zwar von Ihnen der Anstalt entsprechend mitgeteilt, je ein Kilo Obst pro Sitzungstag.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, wir haben selbstverständlich nichts dagegen, daß die Angeklagten das Obst bekommen.

Was wir beanstanden müssen, ist, wenn die Angeklagten das Obst ohne die vorgeschriebene Kontrolle durch die Anstalt oder Kontrollmöglichkeit durch die Anstalt bekommen.

Nur an den Weg sollten Sie sich halten.

[2484] RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ja. Aber die Anstalt lehnt es ja nun ab, das ist ja das Problem. Können Sie nicht eine Anordnung an das Wachpersonal geben, nach Überprüfung des Obstes und Gepäcküberprüfung durch die ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, der korrekte Weg ist eben:

Die Anstalt hat zunächst ihr Prüfungsrecht - ich weiß nicht, welche Maximen sie dabei anwendet im einzelnen - das ist ...

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Die Anstalt, Herr Vorsitzender, die Anstalt prüft doch nicht. Sie lehnt einfach ab. Die Anstalt lehnt’s ab: Das machen wir nicht.

Vors.:

Das ist ’ne Frage, ob man dadrüber sprechen kann, nicht wahr?

Im übrigen wissen Sie ja:

Für jeden Einzelfall können Sie’s beanstanden.[3] Das wird natürlich rasch entschieden werden dann.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Ja aber das nützt mir nichts, wenn ich am Dienstag wiederkomme und finde die verfaulten Pfirsiche dann im Beratungszimmer.

Vors.:

Ja, das ist zuzugeben. Aber wir werden mal mit der Anstalt drüber sprechen, wie sich das grundsätzlich handhaben läßt, welche Maximen sie da hat. Nicht wahr, der Rahmen der Gleichbehandlung setzt natürlich voraus, daß hier nicht in jedem Punkte so viele Ausnahmen gemacht werden, wie’s ja - Standpunkt des Gerichts, Sie wissen ja das ohnedies - hier bei den Haftbedingungen für die Angeklagten gemacht worden ist.

Aber wir werden sehen, daß wir hier zu einer erträglichen Regelung kommen.

RA v[on] Pl[ottnitz]:

Die Gleichbehandlung ist da gewiß kein Aspekt.

[2485] RA Sch[ily]

[d] Ist das[e] eigentlich nicht eine Sache, die Sie mit Souveränität entscheiden könnten? Müssen Sie da wirklich bei ein bißchen Obst für die Gefangenen, müssen Sie da wirklich sich auf die Haftanstalt erst nachfragen. Ist das wirklich erforderlich,

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, Sie wollen hier Stimmung machen in der Richtung, daß ...

RA Sch[ily]:

Ich möchte doch hier nicht Stimmung machen, Herr Vorsitzender; denn wenn ich so’ne Diskussion höre, um ein Paar Äpfel, um ein Paar Pfirsiche, daß Sie da erst zurückfragen müssen.

Vors.:

Darum geht’s doch nicht. Nun bleiben Sie doch beim Kern.

RA Sch[ily]:

Doch, darum geht’s. Darum geht’s, Herr Vorsitzender.

Vors.:

In einem Pfirsich kann sehr viel stecken.

RA Sch[ily]:

Wie bitte?

Vors.:[f]

In einem Apfel und in einem Pfirsich kann sehr viel stecken.

RA Sch[ily]:

Sie haben ja gesagt, jeder Detektor ... Sie können von mir aus ...

Vors.:

Deswegen wird die Kontrolle durchgeführt, und die Anstalt hat das erste Kontrollrecht. Das ist so gehandhabt worden und überall geregelt. Warum sollen wir das durchbrechen? Wir sind doch keine Kontrolleure für Obst.

RA Sch[ily]:

Nein, dagegen wendet sich ja niemand. Dagegen wendet sich doch niemand. Sie können doch alles kontrollieren, soviel Sie wollen. Aber daß es übergeben wird - darum geht es - und wenn Sie da erst wiederum bei der Haftanstalt zurückfragen, dann wirft das ein merkwürdiges Licht auf Sie, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Gut. Ist recht. Lassen Sie das merkwürdige Licht auf mir ruhen.

[2486] RA Sch[ily]:

Nee, recht ist es eben nicht; unrecht ist es.

Vors.:

Ich habe Ihnen den Weg gewiesen, den es gibt. Im übrigen habe ich bereits Herrn v[on] Plottnitz gesagt, daß ich mich mit der Anstalt darüber unterhalten will, welche Möglichkeiten es gibt, in einer möglichst kulanten Weise zu handhaben. Das ist bisher beim Senat immer so gehandhabt worden.

Wir können damit zur Hauptverhandlung kommen. (9.26 Uhr)

Ich eröffne damit die heutige Sitzung.

Die Anwesenheit scheint mir komplett zu sein.

Die Frage ist jetzt:

Kommen wir zu Verlesungen oder benützen die Angeklagten, was ihnen gestern angeboten worden ist, jetzt die Gelegenheit, sich zu äußern, und zwar zur Sache, wobei es ihnen freisteht, sich auch zur Person zu äußern.[4]

Herr RA Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Vorsitzender, die Verteidigung hat einen Antrag zu stellen.

Mein für Herrn Baader zu stellender Antrag lautet:

den Beschluß des Senats vom 27.8.[5] auf die Einststellungsanträge vom 20. und 26.8.1975[6] der Verteidigung aufzuheben.

Das wäre prozessual also eine Gegenvorstellung.[7]

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, grundsätzlich:

Das ist also die Gegenvorstellung, die Sie erheben wollen. Sind irgendwelche neuen Fakten, Tatsachen ersichtlich?

RA Dr. He[ldmann]:

Es erscheinen mir ganz erhebliche juristische Gesichtspunkte dafür.

Vors.:

Das ist eine entschiedene Sache. Die juristischen Gesichtspunkte haben wir durchaus berücksichtigt. Wir hatten viel Gelegenheit und Zeit.

[2487] RA Dr. He[ldmann]:

Selbstverständlich, Herr Vorsitzender, werde ich mich hüten, Wiederholungen aus den Einstellungsanträgen Ihnen anzubieten, sondern ich gehe ausschließlich auf Ihren Beschluß ein.

Vors.:

Ja, das mag sein. Aber wir sind nicht willens, eine Gegenvorstellung entgegenzunehmen. Das rechtliche Gehör ist gewährt worden. Es sei denn, es seien irgendwelche Tatsachen verwendet worden, irgendwelche Dinge zur Sprache gekommen, zu denen Sie sich bisher nicht hätten äußern können.

Im übrigen ist es eine entschiedene Sache, und es gibt dafür einen andern Rechtsweg,[8] wenn es sein sollte und die Situation überhaupt eintreten würde, daß Sie sich eines anderen Rechtswegs besinnen müßten, als jetzt eine Gegenvorstellung zu erheben. Ich bin also nicht willens ...

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, ich darf daran erinnern, daß Sie hier einen Beschluß zu Beginn der Sitzung verkündet haben, und dann die B. Anwaltschaft nicht etwa mit neuen Tatsachen, sondern mit neuen rechtlichen Erwägungen eine Gegenvorstellung hier geltend gemacht hat, und daß diese Gegenvorstellung, zur Vorbereitung sogar einer solchen Gegenvorstellung dann, wenn ich mich recht erinnere, eine Pause gewährt wurde, oder es wurde sogar sofort diese Gegenvorstellung erhoben. Aber der Senat hat selbstverständlich diese Gegenvorstellung entgegengenommen und hat diese Gegenvorstellung sogar zum Anlaß genommen, seine vorhergehende Entscheidung abzuändern.[9] Das liegt ja nun schon drei Monate zurück. Aber man kann sich ja auch an Geschehnisse zurückerinnern, die so weit zurückliegen, und ich würde Ihnen das als Entscheidungshilfe anbieten, ob Sie jetzt den Antrag des Kollegen Dr. Heldmann entgegennehmen wollen oder nicht.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, der Hinweis ist richtig. Dieses Verhalten des Senats am 1. Prozeßtag hat dazu geführt, daß der Senat dann in der Folge - ich darf wohl ohne Übertreibung sagen - eine Flut von Gegenvorstellungen von Seiten der [2488] Verteidiger entgegengenommen hat, gerade immer in Besinnung darauf, daß auch damals die Gegenvorstellung der B. Anwaltschaft angenommen worden ist.

Es steht selbstverständlich dem Senat frei, je nach dem Prozeßstadium[10], je nach der Bedeutung der Sache, sich eine Gegenvorstellung anzuhören und sich danach einzurichten, sich da neue Gedanken zu machen oder nicht.

Hier in diesem Fall ist die Sache entschieden worden nach sehr reiflicher[g] Überlegung, und wir befinden uns jetzt in einem Prozeßstadium, wo Gegenvorstellungen dieser Art vom Senat nicht mehr entgegengenommen werden. Es sei[h] denn, die Voraussetzungen lägen vor, nämlich die, daß zu irgendwelchen bestimmten Punkten das rechtliche Gehör nicht gewährt worden wäre.[11]

RA Sch[ily]:

Moment. Darf ich mal fragen:

Wie unterscheidet sich denn jetzt das Prozeßstadium? Ist das zu Beginn des Prozesses anders als in der Mitte oder zum Ende oder während der Beweisaufnahme oder? Das versteh ich wirklich nicht.

Vors.:

Es wäre sehr merkwürdig, wenn Sie das nicht bemerkt haben sollten, daß wir inzwischen die Anklage verlesen haben ...

RA Sch[ily]:

Ja, das hatte ich. Nur ... Nein, nein! Ich möchte nur wissen, inwiefern ...

Vors.:

Darf ich, Augenblick, darf ich Ihnen da die Antwort vollständig geben?

... daß wir gestern den Angeklagten die Frage vorlegten, ob sie sich zur Sache äußern wollten; daß gestern darauf hingewiesen worden ist, wenn die Gelegenheit jetzt nicht ergriffen wird, sich zu äußern, sich zur Sache zu äußern, wobei es auch freistehe, sich zur Person zu äußern, daß dann im Verfahren mit der Beweisaufnahme fortgefahren wird, und es dann nicht mehr in der Bestimmung der Angeklagten liegt, wann sie sich äußern können,[12] sondern daß wir dann sagen, jetzt ist die Gelegenheit gegeben, oder jetzt [2489] machen wir zunächst mal weiter in der Beweisaufnahme.

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, ...

Vors.:

Das ist der Unterschied.

RA Sch[ily]:

... das ist aber doch ganz was anderes. Inwiefern wird durch den Übergang in ein anderes Verfahrensstadium die Frage, ist die Frage anders zu beurteilen, ob ne Gegenvorstellung entgegengenommen wird oder nicht, und wenn Sie sagen, das Gewicht der Angelegenheit ist entscheidend - so haben Sie sich ja wohl ausgedrückt -, dann muß ich Ihnen sagen, also wenn es um die Einstellung des Verfahrens geht und um einen so wichtigen Grundsatz wie den des[i] fair trial[13] - vielleicht nehmen Sie ihn nicht so wichtig, den Eindruck habe ich aus Ihrer gestrigen Entscheidung ohnehin gewonnen -, dann muß ich mich doch fragen, ob Sie nicht grade diese Frage nochmals überdenken sollten, ob das nicht ein so wichtiger Verfahrensgegenstand ist, mindestens auch, wie ja jetzt Gegenstand einer Gegenvorstellung zu Beginn des Prozesses der B. Anwaltschaft war, daß Sie da nicht jetzt verschiedene Maßstäbe anlegen können.

Vors.:

Gut. Also ich mache Ihnen den Vorschlag - ich habe gesagt, wir nehmen die Gegenvorstellung jetzt nicht entgegen - Sie können beantragen, daß der Senat, nachdem ich das abgelehnt habe, über diese Frage entscheidet, ob jetzt die Gelegenheit gegeben wird, eine Gegenvorstellung gegen den gestrigen Beschluß entgegenzunehmen.[14]

RA Sch[ily]:

Na, ich stelle anheim, erst mal den Kollegen Dr. Heldmann weiterreden zu lassen.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Vorsitzender, Sie irren, wenn Sie unterstellen, daß ich mit dieser Gegenvorstellung die Thematik, die wir am 20., 21. und 26.6. hier zur Begründung dieser Einstel- [2490] lungsanträge behandelt haben, hier wiederkäuen wollte. Das ist es nicht, sondern ich möchte mit dieser Gegenvorstellung - und darum habe ich sie in den Antrag gefaßt, Ihren Beschluß aufzuheben - darlegen, daß dieser Beschluß aus rechtlichen Gründen nicht haltbar ist, und das darzulegen, bitte ich, mir das Wort hierfür zu erteilen.

Vors.:

Also ich betrachte das als Beanstandung meiner bereits geäußerten Ansicht, daß die Gegenvorstellung jetzt nicht entgegengenommen werden soll. Ich möchte jetzt mal die Meinung des Senats erfragen. Wir werden uns dazu kurz ...

RA Dr. He[ldmann]:

Dann darf ich Ihnen ...

Vors.:

... zurückziehen.

RA Dr. He[ldmann]:

Dann darf ich Ihnen dazu wenigstens dann die folgenden Stichworte geben:

Dieser Beschluß ist - ich werde das im einzelnen begründen -...

Vors.:

Das ist doch aber jetzt nicht Gegenstand der Frage. Wir wollen ja entscheiden, ob eine Gegenvorstellung entgegengenommen werden soll.

Darf ich die B. Anwaltschaft bitten, sich hierzu zu äußern?

RA Dr. He[ldmann]:

Sie kennen aber doch die ... den juristischen Kern nicht.

Vors.:

Ich habe jetzt grade die B. Anwaltschaft gebeten, sich zu äußern.

RA Dr. He[ldmann]:

Ja.

Reg. Dir. Wi[dera]:

Lediglich ein Wort dazu, weil sich vielleicht das Problem dann erledigt:

[2491] Grade wenn es nur um andere Rechtsauffassungen oder wenn es um andere Rechtsauffassungen geht, die nun sicherlich eine eingehende Begründung verlangen, dürfte sich ja vielleicht der Weg empfehlen, das schriftlich vorzutragen; denn dann - unterstellt den Fall, es käme eine positive Entscheidung für die Angeklagten dabei raus- wäre allenfalls in der Zwischenzeit sinnlose Arbeit getan worden, aber zunächst einmal hätte es weitergehen können. Und grade solche Überlegungen, meine ich, die angeboten werden sollen dem Senat, dafür dürfte sich der schriftliche Vortrag ganz besonders empfehlen.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Reg. Dir. Widera, der schriftliche Weg ist hier ausgeschlossen, sonst würde ich ihn auch vorziehen, weil schriftlich es mir möglich wäre, diesen Antrag noch sorgfältiger auszuarbeiten, als es hier in einem lockeren mündlichen Vortrag möglich ist.

Der Kern meines Antrags ist der:

Der Senat hat mit seinem gestrigen Beschluß - ich möchte Sie nur hinweisen auf die rechtlichen Gesichtspunkte, damit Sie sehen, daß Sie Wiederholungen nicht zu befürchten brauchen - der Senat hat in seinem gestrigen Beschluß zwingende Rechtsbestimmungen verletzt, nämlich:

den Begründungszwang nach § 34 StPO,[15] den Begründungszwang aus dem Rechtsstaatsprinzip[16] und die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 oder Abs. 1 des GrundG,[17] nämlich das rechtliche Gehör zu gewähren.

Das sind die Punkte, auf die ich diesen Antrag, nämlich Ihren Beschluß von gestern aufzuheben, stütze; und wo solche Rechtsmängel zu rügen sind, dann ist entweder nach verschiedener ... verschiedenen Auffassungen der Rechtsprechung entweder ein solcher Beschluß als nichtig[18] zu behandeln, oder aber, er ist aufzuheben.[19]

Vors.:

Ja. Also wir werden jetzt über den Antrag entscheiden, daß eine Gegenvorstellung gegen unseren gestrigen Beschluß hier vorgetragen werden kann.

Herr Dr. Temming.

[2492] Gerichtsreferendar Dr. Te[mming]:

Ich glaube nicht, daß Sie über diesen Antrag schon entscheiden können, weil dieser Antrag erst begründet werden muß, bevor Sie entscheiden, andernfalls machen Sie wieder das, was in diesem Antrag u. a. gerügt wird:

Sie gehen nicht nur nicht auf die Begründung ein, sondern Sie gehen jetzt noch einen Schritt weiter und blocken die Begründung von vornherein ab.

Hier geht es darum, und um das nochmals klar zu sagen, um die Rüge, daß dieser Beschluß von gestern nach unserer Auffassung - und das können Sie ja dann anschließend zurückweisen - kein Beschluß ist, kein nach meiner Auffassung - und das ist zum Teil jedenfalls auch in der Literatur belegt - keine Wirksamkeit entfaltet hat. Die Begründung möchte Herr Heldmann und anschließend ich vortragen.

Vors.:

Wir werden ja grade darüber entscheiden, ob das entgegengenommen wird.

Gerichtsreferendar Dr. Te[mming]:

Es geht nicht darum, ob Sie darüber entscheiden, ob Sie so etwas annehmen, Herr Prinzing, sondern das ist ein Antrag, und es ist mir völlig unklar, aufgrund welcher rechtlichen Befugnis Sie jetzt diesen Antrag verhindern wollen.

Vors.:

Herr Gerichtsreferendar, bemühen Sie sich vielleicht mal, die Problematik der Gegenvorstellung genau zu besichtigen, dann werden Sie sehen, daß es ein sehr weites Feld ist.

Wir werden uns jetzt ...

Gerichtsreferendar Dr. Te[mming]:

Die Problematik ist mir bekannt. Ich weiß auch, daß das ein Institut ist, was in diesem Verfahren transplantiert worden ist aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht in den Strafprozeß; nur: Es ist transplantiert worden im Zusammenhang damit, daß die Staats... die B. Anwaltschaft mit einer Entscheidung dieses Gerichts nicht einverstanden war, und zwar deshalb nicht einverstanden war, weil sie befürchtet hat, daß diese Entscheidung einen absoluten Revisionsgrund[20] ergäbe. [2493] Aus der gleichen Befürchtung und um eine mögliche Revisionsrüge nicht zu verlieren,[21] werden wir und wollen wir Ihre Entscheidung rügen. Das können Sie jetzt als Gegenvorstellung betrachten; Sie können’s auch als Prozeßrüge begreifen, eine Prozeßrüge, die ich anschließend dann als Prozeßrüge begründen werde. Auf die Formulierung Gegenvorstellung oder Prozeßrüge lege ich persönlich keinen Wert.

Vors.:

Wir werden uns ganz kurz über diese Frage beraten.

Das Gericht zieht sich um 9.30 Uhr zur Beratung zurück.

Ende von Band 129.

[2494] Nach Wiedereintritt des Senats um 9.37 Uhr wird wie folgt fortgesetzt:

Vors.:

Wir setzen fort, der Senat hat beschlossen:

Eine Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluß vom 27.8.1975 mit dem Ziel, die Aufhebung dieses Beschlusses herbeizuführen wird nicht zugelassen, da der Beschluß eine Begründung enthält und rechtliches Gehör gewährt worden ist.

Neue Tatsachen zu denen die Angeklagten nicht gehört worden wären sind im Beschluß nicht aufgeführt. Daß der Senat schon Gegenvorstellungen entgegengenommen hat, bindet ihn nicht für alle Zukunft.

Wer von Ihnen beiden hat zuerst das Recht. <Bitte, jeder von Ihnen kann sich zum Wort melden. Die Reihenfolge möchten Sie ... Bitte Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr .H[eldmann]:

Dann bitte ich Prozeßrüge zu Protokoll zu nehmen.

Vors.:

Das ist ja zu Protokoll gelangt. Sie wissen das.

RA Dr. H[eldmann]:

Die Prozeßrüge hat folgenden Inhalt und es ist unverkennbar und brauche ich Ihnen nicht zu sagen.

Vors.:

Was ist das für eine Institution die Prozeßrüge, wir müssen uns hier zunächst mal versichern, was Sie darunter verstehen.

RA Dr. H[eldmann]:

Die Rüge, eines schwerwiegenden Verfahrensverstoßes, die revisionsrechtlich erheblich[22] sein kann.

Vors.:

Ja, wir haben aber jetzt kein Revisionsverfahren, das ist doch jetzt nicht zu Protokoll zu geben.

RA Dr. H[eldmann]:

Natürlich haben wir jetzt kein Revisionsverfahren. Aber wo ich Rügen schwerwiegender Prozeßverstöße hier unterlasse, verwirke ich sie, wenn ich sie nicht alsbald vorbringe und folglich sind sie für die Revision untauglich.[23]

Vors.:

Also die Rüge ist doch bereits aktenkundig im Protokoll enthalten und auch nicht mehr aus der Welt zu schaffen, allein [2495] dadurch, daß Sie versucht haben, diese Gegenvorstellung vorzutragen.

RA Dr. H[eldmann]:

Damit ist ja doch ... Nein, daraus kann ein Revisionsgericht meine Rüge nicht erkennen.

Vors.:

Die Rüge müssen Sie ja doch, die können Sie ja nachher doch nicht aus dem Protokoll herleiten.> Die müssen Sie doch sonst, wenn Sie das tun wollen, wenn Sie überhaupt dazu kommt die Notwendigkeit, eine Revision einzulegen, dann haben Sie doch die Möglichkeit hier zu begründen und alle Prozeßrügen zu erheben.

RA Dr. H[eldmann]:

Ja, selbstverständlich habe ich die Möglichkeit Prozeßrügen zu erheben. Aber zum Beweis für Prozeßverstöße muß ich mich dann zum, auf das Protokoll, muß ich auf das Protokoll verweisen, nachdem ich die Prozeßrüge in der Prozeßbegründung dargestellt habe.[24]

Vors.:

Aber Herr Rechtsanwalt, die Form des Protokolles, die wir hier führen, die die Möglichkeit gibt, daß diese Dinge überhaupt ins Protokoll genommen werden, ist doch sonst gar nicht üblich. Wie würden Sie das bei normalen Protokoll, wo nichts als der Verfahrensgang aufgestellt ist[25] anbringen.

RA Dr. H[eldmann]:

... Vorsitzender protokollieren lassen.

Vors.:

Was?

RA Sch[ily]:

Sollte Ihnen § 273[ StPO] entfallen sein.

Vors.:

Das ist mir gar nicht entfallen.

RA Dr. H[eldmann]:

[§ ]273[ StPO] heißt: Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs - zu drei[26] - in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage, einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag eine an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Niederschreibung und Verlesung anzuordnen.

[2496] Vors.:

Ja, kommt es, worauf kommt es da an?

RA Dr. H[eldmann]:

Aber natürlich kommt es darauf an.

Vors.:

Es ist doch im Protokoll festgehalten, daß Sie das rügen wollten. Wir müssen doch jetzt den Inhalt nicht reinnehmen.

RA Dr. H[eldmann]:

Es ist aber doch der Grund meiner Rüge nicht angegeben im Protokoll und darauf kommt es an.

Vors.:

Das ist doch kein Vorgang in der Hauptverhandlung, der hier protokolliert werden müßte, daß Sie die Absicht haben etwas rügen zu wollen. Also ich weiß nicht, wie Sie diese Vorschrift, von der Sie glauben sie sei uns entfallen, auslegen, aber das müßten Sie uns schon näher begründen, wieso Sie glauben mit der Bemerkung: „Ich erhebe Prozeßrüge“, nun das vortragen zu können, was Sie offenbar bei der Gegenvorstellung vortragen wollten.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich rüge einen Prozeßrechtsverstoß. Und ich muß ihn als solchen begründen.

Vors.:

Nein, der Vorgang ist jetzt enthalten, da Sie das gerügt haben, das kommt ohnedies in das Protokoll. Aber Sie müssen den hier nicht begründen.

RA Dr. H[eldmann]:

Dann muß ich Sie bitten, da ich nicht weiß, was auf dem Tonbandprotokoll ist, das Tonbandprotokoll insoweit abspielen zu lassen.

Vors.:

Das können wir tun, wenn Sie glauben, daß das auf dem Protokoll nicht enthalten ist. Bitte zurücklaufen zu lassen, bitte nochmals vorzuspielen. Aber ich weise Sie darauf hin, das kostet Zeit von den drei Stunden, die wir haben.

RA Dr. H[eldmann]:

Darum, es wäre schneller gegangen, wenn ich Ihnen das in 6 Minuten vorgetragen hätte, Ja das wäre schneller gegangen.

Vors.:

Die Frage wird natürlich in Zukunft dann auftauchen, wenn das [2497] so weitergeht, ob, das heißt es ist ja der erste Vorfall, wo wir wirklich in dieser Richtung Schwierigkeiten haben, das Protokoll sollte hier zur Vereinfachung eingeführt werden nicht zur Komplikation. Wir wollen also jetzt die Zeit nicht damit zubringen, in Zukunft aufgrund solcher Anlässe nun das Protokoll hier nochmals abzuhören.

RA Dr. H[eldmann]:

Es ist, aber es ist doch nicht mein Betreiben das zu tun.

Vors.:

Sie können versichert sein, Herr Rechtsanwalt ...

RA Dr. H[eldmann]:

Ich wäre mit meiner Rüge ...

Vors.:

... daß das Tonband der Technik entspricht und damit das darauf ist.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich wäre mit einer Begründung meines Verfahrensstoßes bereits fertig, wenn Sie mich hätten reden lassen. Darum bitte ich Sie erneut, das ist eine Sache von 6 Minuten.

Vors.:

Sind wir soweit. Also lassen wir es vorspielen.

An dieser Stelle wird das Tonband angehalten und auf die betreffende Stelle zurückgespult.

Sodann wird die mit < > gekennzeichnete Stelle auf Seite 2494/2495 vorgespielt.

[2498] Vors.:

Herr Rechtsanwalt, genügt Ihnen das zum Vertrauen dazu, daß das alles hier auf das Tonband gekommen ist.

RA Dr. H[eldmann]:

Nein.

Vors.:

Nein. Wollen Sie dann jetzt einen Antrag formulieren, den Sie uns vielleicht bekannt geben, auf weiteres Ablaufenlassen des Tonbandes und vielleicht auch gem. § 273[ StPO]; dann wird über den Antrag entschieden werden.

RA Dr. H[eldmann]:

Dann bitte ich, meine Rüge eines Prozeßrechtsverstoßes zu Protokoll zu nehmen.

Vors.:

Will sich die Bundesanwaltschaft dazu äußern.

Reg. Dir. W[idera]:

Einfach abzulehnen. Ich wiederhol da noch mal, die Bundesanwaltschaft beantragt, den Antrag abzulehnen. Revisionsrechtlich ist es natürlich so und wahrscheinlich doch auch allgemein bekannt, daß Grundlage des Angriffs ein Beschluß ist.

Dieser Beschluß ist hier verkündet worden und damit in der Welt. Und daß er verkündet worden ist, das wird das formelle Protokoll enthalten, und deshalb besteht überhaupt kein Grund, jetzt hier über den § 273[ StPO] Protokollierung durchsetzen zu können. Der gesamte Vortrag von der Verteidigerbank ist rechtlich irrelevant.

Vors.:

Herr Dr. Temming.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich muß natürlich diese Rüge auch erheben, um die Revisionsmöglichkeit für Frau Meinhof zu bewahren. Ich möchte allerdings noch eins sagen: Das Wesentliche, der Vorgang der hier protokolliert werden soll, ist nicht die nackte Entscheidung des Gerichts, die steht schon drin. Protokolliert werden soll die Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist, daß das Gericht sich nicht bereit erklärt hat, wenigstens die Gründe anzuhören, auf die die Gegenvorstellung gestützt werden soll. Das ist der Verfahrensverstoß, der wird gerügt, der steht bisher nicht im Protokoll. Diesen Vorgang möchten wir, [2499] oder ich jedenfalls auch protokolliert haben und zwar so, wie es § 273 Abs. 3[ StPO] vorsieht, wortwörtlich.

Vors.:

Der Senat will die Frage ganz kurz beraten.

Der Senat zog sich um 9.47 Uhr zur Beratung zurück.

Nach Wiedereintritt um 9.56 Uhr wird wie folgt fortgesetzt:

Vors.:

Wir fahren fort. Der Senat hat beschlossen:

Der Antrag, die Gründe der Rüge eines behaupteten Prozeßverstoßes nach § 273 Abs. 3 StPO in das Protokoll aufzunehmen, wird abgelehnt. Es besteht kein Anlaß, die Begründung prozessualer Beanstandungen von Gerichtsbeschlüssen, die im Protokoll bereits enthalten sind, ins Protokoll aufzunehmen.

Denn diese Begründungen ihrerseits sind kein Vorgang im Sinne des § 273 Abs. 3 StPO. Die Befürchtung einer Verwirkung von Revisionsrügen ist unberechtigt.

Wir können damit fortfahren.

Herr Dr. Temming.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich muß jetzt wiederum um eine Pause bitten, weil ich aufgrund dieser Entscheidung heute, im Zusammenhang mit den Entscheidungen gestern, mit Frau Meinhof die Möglichkeit und die Notwendigkeit, die Zweckmäßigkeit, eines Ablehnungsantrags[27] erörtern muß. Das Gericht zwingt uns, leider, dauernd dadurch, ich nehme an, Sie werden jetzt wieder leise im Zusammenhang der Prüfungen der Zulässigkeitsfrage von Prozeßverschleppung[28] denken zumindest. Ich bitte trotzdem um die Pause und möchte hinzufügen, daß wir nach Ihrer eigenen Auffassung uns im Stadium befinden, der Vernehmung zur Sache, so daß eine Pause unbedingt erforderlich ist, da andernfalls die Befangenheitsgründe verwirkt würden.[29] Ich kann allerdings auch nicht aus dem Stegreif darüber entscheiden, ob ein Befangenheitsantrag gestellt werden soll oder nicht. Und es entsprach bisher der Regel und der rechtlichen Auffassung, daß eine Pause zu gewähren ist zur Überlegung dieser Frage.

[2500] Vors.:

Wie lang würden Sie denn beanspruchen, sich das zu überlegen?

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich nehme an, daß eine Erörterung dieser Frage, die ja nicht nur rechtliche, sondern auch zweckmäßige, wie Sie wissen, Fragen beinhaltet, mindestens 30 Minuten in Anspruch nimmt.

Vors.:

Will die Bundesanwaltschaft Stellung nehmen?

BA Dr. W[under]:

Nein, dazu nehmen wir nicht Stellung.

Vors.:

Eine Pause von 30 Minuten beabsichtige ich hier nicht einzulegen; wenn eine kurzfristige Pause genannt wird, die sich im Rahmen aber tatsächlich eingehaltener 10 Minuten halten würde, darüber ließe sich reden. Aber 30 Minuten wird nicht eingelegt.

RA v[on] P[lottintz]:

Herr Vorsitzender, darf ich mal ein Wort dazu sagen.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß nunmehr, sollten hier Ablehnungsgründe vorliegen, diese Ablehnungsgründe unverzüglich geltend gemacht werden müssen. Von daher gilt spätestens im jetzigen Verfahrensstadium also nun unbedingt der Grundsatz, daß zur Vorbereitung eines solchen Ablehnungsgesuchs Pausen vom Gericht zwingend zu gewähren sind, wenn nicht hier die Rechte mißachtet werden sollen. Diese Pausen müssen zeitlich so bemessen sein, daß adäquat eine Beratung möglich ist und notwendig ist. Also Ihr Satz, darüber ließe sich reden, über dieses oder jenes, der kommt, der wird der Rechtslage überhaupt nicht gerecht. Die Pause ist in dem Umfang zu gewähren, wie sie erforderlich ist, um sinnvoll ihren Gegenstand zu erörtern.

Vors.:

Ja.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Zur Ergänzung möchte ich hinzufügen, daß dieser Ablehnungsantrag möglicherweise auch von anderen Gefangenen gestellt werden wird. Daß demzufolge eine Besprechung a. der jeweiligen Verteidiger mit ihren Mandanten erforderlich ist, daß die Verteidiger selbst das besprechen müssen, und daß solche Anträge [2501] auch formuliert werden müssen. Und daß dieses Gericht und sämtliche Senate dieses Oberlandesgerichts Stuttgart ohnehin [j] bisher dadurch geglänzt haben, daß sie wie eine Maschine bisher die Anträge abgelehnt haben, d.h. wir sind notwendigerweise darauf angewiesen, so gut wie wir es können, solche Anträge zu begründen. All das bedarf mehr als 10 Minuten, es sei denn, Herr Prinzing, Sie gehen wieder davon aus, daß Sie diesen Antrag ebenfalls nicht annehmen und als unzulässig abschmettern können.

Wenn das so ist, dann sagen Sie es bitte, dann stelle ich diesen Antrag wirklich aus dem Stegreif und sage irgend etwas.

Vors.:

Herr Rechtsreferendar, ich möchte Sie nicht darauf hinweisen, daß zu gewissen Ausbildungsabschnitten auch das Betragen vor Gericht gehört und daß man da vielleicht einiges nachholen könnte.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich darf vielleicht darauf aufmerksam machen, daß hier die Rolle eines Verteidigers ...

- Beifall im Saal -

Vors.:

Ich bitte im Saal um Ruhe. Ich habe beanstandet, wenn von der anderen Seite her irgendwelcher Beifall kam, ich bitte das auch in diesem Falle zu unterlassen. Ich müßte sonst im Saal hier noch irgendwelche Maßnahmen ergreifen. Das wäre uns nicht lieb.

Ich darf Sie aber auf folgendes hinweisen: Sie haben recht, es muß unverzüglich der Befangenheitsantrag vorgebracht werden in diesem Verfahrensstadium, aber die Unverzüglichkeit wird gemessen an ihren Möglichkeiten. Auch wenn jetzt keine Pause eingelegt wird von dieser Dauer, wie Sie sie beanspruchen, wird Ihnen das Recht, einen Ablehnungsantrag zur gegebenen Zeit zu stellen, keineswegs beschnitten. Selbstverständlich bedeutet unverzüglich nicht, daß das jetzt sofort geschehen müßte. Im übrigen, es gibt keinen Grundsatz, daß ein Gericht genötigt wäre, derart lange Pausen zur Vorbereitung von irgendwelchen Befangenheitsanträgen einzulegen. Sonst könnte man, das können Sie selbst abrechnen, das Verfahren ja auf diese Weise überhaupt nicht mehr führen. Gut. Die Entscheidung habe ich Ihnen bekannt [2502] gegeben. Über 10 Minuten nicht. Wenn Sie sich mit dieser Pausenzeit begnügen, aber die muß dann auch eingehalten werden, sonst fahren wir hier im Saale fort und zwar mit dem Prozeßprogramm, wie wir es vorsehen, das können Sie bekommen, länger nicht.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Dann beantrage ich die zehn Minuten. Innerhalb dieser 10 Minuten können wir uns das überlegen.

Vors.:

Wir treffen uns in 10 Minuten wieder.

-Pause von 10.02 Uhr bis 10.14 Uhr-

-Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung waren Rechtsanwälte Dr. Heldmann, von Plottnitz, Becker, Rogge und R. Ref. Dr. Temming nicht mehr[k] anwesend.-

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Herr Rechtsanwalt Schily, darf ich Sie bitten dem Gericht wieder ...

RA Sch[ily]:

Dann bitte ich meine Kollegen zu benachrichtigen.

Vors.:

Ja, ich habe Ihnen gesagt 10 Minuten. Wir fahren jetzt fort und beginnen, wie wir vorgesehen haben ...

RA Sch[ily]:

Darf ich die Kollegen hereinrufen.

Vors.:

Ja, 10 Minuten. Ich weiß nicht, ob Sie nicht die Zeit auch selbst abschätzen können.

-Rechtsanwälte Dr. Heldmann, von Plottnitz, Becker, Rogge und R. Ref. Dr. Temming erschienen um 10.15 Uhr wieder im Sitzungssaal.-

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich dachte der Weg nach draußen und drinnen wäre nicht in den 10 Minuten.

Vors.:

Wir beabsichtigen fortzufahren, sofern nicht seitens der Verteidigung ein[l] Antrag gestellt werden soll.

[2503] Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Es wird ein Antrag gestellt, und zwar ein Ablehnungsantrag.

Vors.:

Bitte.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Hiermit lehne ich im Namen der Gefangenen Ulrike Meinhof den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Prinzing, die Richter am Oberlandesgericht Breucker, Berroth, Dr. Foth und Maier wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.

Das Gericht hat die Begründung der Rüge einer verfahrenswidrigen Entscheidung vom ... seiner verfahrenswidrigen Entscheidung vom 27.8.1975 verhindert. Es hat weiterhin verhindert, daß die Protokollierung dieser Nichtannahme des Antrags und der Nichtberücksichtigung der Begründung dieses Antrags entsprechend des § 273 Abs. 3[ StPO] durchgeführt wurde. In diesen Entscheidungen äußert sich ebenso drastisch, wie in der Begründung bzw. Nichtbegründung der Ablehnung des Einstellungsantrags in der gestrigen Sitzung, daß dieses Gericht der Vorverurteilung voll unterlegen ist, daß politische Erwägungen [m] seine Entscheidungen derart domminieren, daß das Gericht noch nicht einmal den Versuch unternimmt, seine Entscheidungen wie Recht aussehen zu lassen. Umgekehrt aber offensichtlich sich auch nicht aufraffen kann, explizit seine Unterwerfung unter die militärisch-politische, psychologische Kriegsführung offen einzugestehen. In diesem Widerspruch, der akkurat aus der Funktion dieses Gerichtes resultiert, einerseits die Politik der Staatsschutzbehörden auch in diesem Prozeß durchzusetzen, andererseits diesen militärisch-politischen Inhalt durch die Form des rechtsförmlichen Verfahrens zu verschleiern, konnte das Gericht angesichts der ungeheuerlichen Ausmaße der Vorverurteilung sowohl in quantitativer, wie in qualitativer Hinsicht entweder nur noch offen politisch argumentieren oder wie gestern schweigen oder Anträge oder Entscheidungen nicht mehr annehmen. Die Verteidigung hat die Aufgabe, dieses Schweigen zu durchbrechen, die gesetzlichen Rechte, die verfahrensmäßigen Möglichkeiten wahrzunehmen. Die heutige Nichtannahme der Rüge, ebenso wie der Hinweis auf meine Verpflichtung als Gerichtsreferendar, obwohl ich hier die Funktion eines Verteidigers erfülle, zeigt deutlich, daß das Gericht die [2504] Verteidigung nicht zum Zuge kommen lassen will. Aus diesen Gründen ist von einem vernünftigen Angeklagten her gesehen nicht mehr davon auszugehen, daß dieses Gericht unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden in der Lage ist.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz.

RA v[on] P[lottnitz]:

Ich habe mich für den Gefangenen Raspe diesem Antrag anzuschließen. Der Senat hat uns heute zunächst daran gehindert, in begründeter Weise, in juristisch begründeter Weise, darauf aufmerksam zu machen, daß das Gericht gestern den Gefangenen hier eine Entscheidung zugemutet hat, die nicht mehr begründet wurde, sondern die mit inhaltsleeren Formeln versehen wurde, und inhaltsleere Formeln, insoweit kann auf alle Kommentierungen[n] zu § 34 der StPO[30] verwiesen werden, inhaltsleere Formeln entsprechen nicht den gesetzlichen Begründungserfordernissen. Wenn auf einen Antrag hin, über den an insgesamt fast drei Sitzungstagen debattiert worden ist hier, zu dem umfangreichstes Tatsachenmaterial vorgetragen worden ist, vom Senat als einzige Antwort gesagt wird, Anhaltspunkte für eine Verletzung des Grundsatzes des fair trial liegen nicht vor, dann muß man in der Tat sagen, ist die Feststellung einer inhaltsleeren Formel „Begründung“ gerechtfertigt. Im übrigen hat es der Senat auch zu verhindern gewußt heute, daß wir die Nichtannahme dessen, was wir dazu zu Protokoll erklären wollten, oder was hier von den Kollegen zu Protokoll erklärt worden ist, auch das wurde verhindert. All das begründet hier den Ablehnungsantrag. Ein letzter Punkt wird aus der Sicht des Gefangenen Raspe ebenfalls als Tatsache zur Begründung des Ablehnungsgesuchs vorgetragen. Der Herr Vorsitzende hat hier den Kollegen Dr. Temming auf den Gesichtspunkt des Betragens hingewiesen im Zusammenhang mit der Rechtsreferendarsausbildung. Auch das war ein Vorgang, mit dem hier die Verteidigung eingeschüchtert werden sollte. Ich war mal Ausbilder von dem Dr. Temming. Dr. Temming ist jetzt nicht mehr in der Ausbildung, er ist nicht mehr in der Ausbildung der Verteidigerstation. Man kann eigentlich nur eins darauf antworten, das scheint dem Senat allerdings nicht klar zu sein, in der Verteidigerstation dient die Referendarsausbildung nicht der Ausbildung zum Untertan, sie dient der Ausbildung zum Verteidiger.

Vors.:

Herr Dr. Heldmann.

[2505] RA Dr. H[eldmann]:

Für die rechtliche Begründung dieses Antrags weise ich auf folgendes hin.

Vors.:

Zunächst die Frage, wollen Sie sich anschließen für Ihren Mandanten?

RA Dr. H[eldmann]:

Ich habe nicht mehr beabsichtigt, vor diesem Senat noch Befangenheitsanträge zu stellen, wie Sie[o] sicher sich denken können.

Vors.:

Dann haben Sie natürlich die Gelegenheit nicht, jetzt Begründungen vorzutragen.

RA Dr. H[eldmann]:

Dann zwingen Sie mich, einen Befangenheitsantrag ...

Vors.:

Ich zwinge Sie nicht. Das ist doch Ihr freier Wille, ob Sie sich anschließen wollen oder nicht.

RA Dr. H[eldmann]:

... gegen Sie, als Vorsitzenden und die Richter Dr. Breucker, Dr. Foth, Dr. Maier und Dr. Berroth zu stellen, wegen Besorgnis des[p] Angeklagten, daß Sie befangen handeln, so[q] mit diesem Beschluß hier.

Zu beurkunden sind alle Erklärungen, mit denen ein Verfahrensbeteiligter von seinem prozessualen Recht Gebrauch macht. Das haben Sie verwehrt und zwar ohne Begründung. Diese Beurkundung, die ich hier gefordert habe, ist deshalb wichtig, weil, falls ein Rechtsmittel auf die Ablehnung oder Nichtbeachtung eines Antrags gegründet wird, zunächst feststehen muß, daß der Antrag gestellt worden sei. Diese Tatsache aber nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Und schließlich, ein Vorgang ist, wenn es auf seine Feststellung ankommt, vollständig niederzuschreiben und die Niederschrift zu verlesen. Aus dem Antragsrecht des Angeklagten, das er durch seinen Verteidiger wahrnimmt, folgt, [r] daß die Verhandlungsbeteiligten auch einen Anspruch auf Protokollierung haben, wenn es auf den betreffenden Vorgang tatsächlich ankommt - und daß es hierauf ankommt, habe ich vorhin gesagt - und dafür ist der Antrag und seine prozeßrechtliche Stütze aus dem Protokoll zu entnehmen, denn nur das Protokoll kann hierüber Aufschluß geben, im Falle einer Revisionsrüge. Darum war Ihre Ablehnung, meinen Antrag überhaupt anzunehmen - Sie haben nicht mehr gehört, als daß ich den Antrag stelle, Ihren Beschluß vom 27.8. aufzuheben, mehr nicht - da- [2506] rum war er rechtswidrig. Und weil Sie diese Rechtswidrigkeit beharrlich fortgesetzt haben und in zwei Senatsbeschlüssen versucht haben, Ihre Rechtsauffassung dieser prozessualen Pflicht entzogen zu sein zu begründen, deswegen ist dieses Handeln des Senats ein Handeln zum Nachteil der Angeklagten, hier meines Mandanten.

Und deshalb muß ich mich zu meinem Bedauern diesem Befangenheitsantrag anschließen.

Vors.:

Frau Rechtsanwältin Becker.

RA’in B[ecker]:

Ich schließe mich dem Befangenheitsantrag sowie den hier vorgetragenen Begründungen für Frau Ensslin an.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich darf vielleicht noch ergänzen, mich zur Glaubhaftmachung[31] dieser offenkundigen Tatsachen auf die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter beziehen.

RA Dr. H[eldmann]:

Und auf das Sitzungsprotokoll.

RA v[on] P[lottnitz]:

Ich möchte noch unterstreichen, daß das, was der Kollege Heldmann gerade zur Beweiskraft, wenn man so will, des Protokolls gesagt hat, in diesem Verfahren seine besondere Bedeutung dadurch erhält, daß es bereits zwei Stellen in der Sitzungsniederschrift gibt, in denen ein Vermerk sich befindet, in dem es lapidar heißt, das Tonband fiel 10 Minuten aus. Und daher konnte nicht registriert werden, was in diesen 10 Minuten in der Hauptverhandlung von den Verfahrensbeteiligten getan worden ist. Von daher also um so relevanter hier, Erklärungen in der vom Gesetz vorgesehenen Weise protokollieren [s] lassen zu können.

Vors.:

Die Bundesanwaltschaft, bitte.

BA Dr. W[under]:

Naja. Wer[t] aus rechtlich irrelevanten Vorstellungen einen Ablehnungsantrag stellt, betreibt Prozeßverschleppung. Das ist hier der Fall. Zu einer anderen Beurteilung kommt man auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, daß der Herr Verteidiger Dr. Temming seine Gesamtausbildung noch nicht abgeschlossen hat. Er ist mehrfach auf die Rechtslage hingewiesen worden. Hinzugefügt hat er bei seiner Antragstellung lediglich Verbal-Injurien. Ich beantrage deshalb, [2507] diesen Antrag als unzulässig zu verwerfen.

Vors.:

Bitte, Herr Temming.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Also zunächst mal wäre für mich sehr interessant zu wissen, wo hier eine Verbalinjurie gebraucht worden ist. Aber das läßt sich ja vielleicht rekonstruieren. Zum zweiten möchte ich darauf hinweisen, daß unsere Rechtsauffassung, die Rechtsauffassung der Verteidigung, natürlich von der Bundesanwaltschaft bisher in jedem Punkt als irrelevant bezeichnet worden ist[u]. Möglicherweise liegt das daran, daß wir versuchen, den rechtsstaatlichen Gehalt der Strafprozeßordnung und der Verfassung und der gewährten Rechte durchzusetzen, während wir der Auffassung sind, daß die Bundesanwaltschaft primär daran interessiert ist, die Vorverurteilung durchzusetzen, so daß wir von einem ganz anderen Vorverständnis an die Rechtsfragen herangehen. Das Problem ist hier nur, daß ein Ablehnungsantrag gestellt werden mußte, weil das Gericht schlichterdings verhindert hat, daß hier eine Rüge angebracht wurde. Das alleine ist der Grund, warum hier ein Ablehnungsantrag gestellt wurde. Es ist das letzte, das letzte Mittel, was die Verteidigung hat, ganz bestimmte Argumentationen, die sie einführen muß, zum Schutze der Angeklagten. Das letzte Mittel, das sie einsetzen muß, um überhaupt noch durchzudringen, weil dieses Gericht alles andere nicht mehr zuläßt. Wir wären bereits seit über 1 Stunde fertig mit unserem Antrag, und das Gericht hätte ihn längst zurückweisen können, wie es alle Anträge bisher zurückgewiesen hat. Wenn hier eine Prozeßverschleppung stattfindet, dann nur, weil dieses Gericht darauf beharrt, in seiner Art und Weise dieses Verfahren durchzuziehen.

Vors.:

Wir werden um ...

Angekl. B[aader]:

Moment, ich möchte noch etwas sagen.

Vors.:

Herr Baader, Sie haben sich ja angeschlossen.

Angekl. B[aader]:

Ja, ich habe mich angeschlossen. Ich wollte nur noch einmal kurz feststellen zu dem, was Temming gesagt hat, der Frage, ich mein, das ist ja nun auf allen Ebenen klar, daß die Bundesanwaltschaft [2508] die Vorverurteilung seit 3 Jahren, dreieinhalb Jahren, steuert, gezielt, d.h. daß sie ein Kontinuum psychologischer Kriegsführung aufgebaut hat, in der tatsächlich das Urteil nicht nur feststeht, sondern auch bis ins letzte Detail durchorganisiert ist. Aber das ist vielleicht nicht so wichtig. Aber nur beispielhaft für die Art und Weise, wie das gemacht wird, ist eine Bemerkung von Widera, gestern. Wir hätten uns im Prozeß, nur mal als Beispiel, er hat also hier behauptet, oder er hat gesagt, die Vorverurteilung sei, die öffentliche Vorverurteilung durch Politiker, sei zulässig, weil wir[v] uns z.B. hier in der Verhandlung zu den sogenannten Kommandomeldungen bekannt hätten, das steht heute auch in der Zeitung, na. Das ist eine glatte Lüge. Da ist kein Wort davon wahr. Über diese Briefe ist hier weder geredet worden bis jetzt vom Gericht oder der Anklage, noch von uns, außer gestern. Aber das ist so das typische Muster der demagogischen Verhandlungsführung hier, daß Widera sich hinsetzt, eine falsche Tatsachenbehauptung aufstellt und aufgrund dieser falschen Tatsachenbehauptung ein ungesetzliches Vorgehen des Gerichts und das ungesetzliche Vorgehen der Bundesanwaltschaft absichert. Das ist wirklich ein geschlossenes System. Da kommt man nicht mehr durch. Und natürlich nimmt die Presse das so auf, als Beispiel. Naja geschenkt.

Vors.:

Der Senat wird um 11 Uhr über den weiteren Fortgang, das Notwendige bekannt geben. Ich bitte die Prozeßbeteiligten um 11 Uhr wieder hier zu sein. Auch Publikum vorsorglich - ist für diesen Fall wieder zugelassen.

Das Gericht zieht sich um 10.28 Uhr zur Beratung zurück.

Ende von Band 131

[2509] Nach Wiedereintritt des Senats um 11.08 Uhr wird wie folgt fortgesetzt.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort.

Der Senat hat folgenden Beschluß gefaßt:

Die Ablehnung der Richter

Dr. Prinzing, Dr. Foth, Maier, Dr. Berroth und Dr. Breucker

wird einstimmig als unzulässig verworfen.

Gründe:

Die Antragsteller stützen ihre Ablehnung darauf, daß der Beschluß vom 27.8.1975 keine Begründung enthalte; daß der Senat die gegen diesen Beschluß angekündigten Gegenvorstellungen nicht zugelassen und eine „Prozeßrüge“ nicht gem. § 273 Abs. 3 StPO protokolliert habe; ferner:

daß der Vorsitzende zu dem amtlich bestellten Vertreter[32] von RA Riedel, Herrn G. Ref. Dr. Temming, folgendes gesagt hat:

„Herr Rechtsreferendar, ich möchte Sie nicht darauf hinweisen, daß zu gewissen Ausbildungsabschnitten auch das Betragen vor Gericht gehört, und daß man da vielleicht Einiges nachholen könnte.“

Der Senat hat den Einstellungsantrag durch Beschluß vom 27.8.1975 aus Rechtsgründen abgelehnt. Eines Eingehens auf den Tatsachenvortrag im einzelnen bedurfte es deshalb nicht. Die heutigen Entscheidungen sind in sachlicher Form auf einer der StPO entsprechende Rechtsauffassung des Gerichts gestützt. Daß sich aus dem beanstandeten Verhalten der Richter deren Voreingenommenheit nicht herleiten läßt, liegt sowohl aus der Sicht der Verteidiger als auch - bei vernünftiger Betrachtung - aus der Sicht der Angeklagten (wie überhaupt aus der Sicht jedes vernünftigen Betrachters) so klar zutage, daß die trotzdem erfolgte Ablehnung offensichtlich nur den Zweck verfolgen kann, das Verfahren zu verschleppen - § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO.

Gleiches gilt auch für den vorsichtigen Hinweis des Vorsitzenden an Herrn Dr. Temming, der durch dessen vorhergehende Äußerungen veranlaßt war.

[2510] Wir können damit fortfahren.

Herr RA Schily.

RA Sch[ily]:

Ich stelle den Antrag:

den Beschluß über den Antrag der Verteidigung, das Verfahren einzustellen, zu begründen.

Ich stütze mich insoweit auf die Vorschrift in § 34 d. StPO und auf die sicherlich dem Senat bekannte Judikatur zu dieser Vorschrift, die u. a. sich mit der Frage beschäftigt, ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, Herr Rechtsanwalt,

RA Sch[ily]:

... daß ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich sehe, Sie wünschen nicht, daß Sie unterbrochen werden. Ich muß es trotzdem tun; denn ich sehe nicht, daß dieser Antrag etwas anderes beinhaltet als das, was mit der Gegenvorstellung vorgetragen werden sollte.

RA Sch[ily]:

Ja, es ist ein Antrag, wenn ich wohl einen Antrag stellen darf. Wenn Sie z. B. über einen Beweisantrag entscheiden und mir keine Begründung bekanntgeben, dann habe ich ja wohl als Verteidiger das Recht, eine solche Begründung zu verlangen, es sei denn, daß der § 34 d. StPO, daß der inzwischen außer Kraft getreten ist.

Vors.:

Sie kennen die Rechtsauffassung des Senats, daß der Begründungspflicht durch den gestrigen Beschluß voll genügt worden ist. Es gibt keine Gegenvorstellung gegen diesen Beschluß.

RA Sch[ily]:

Ja, nur, das ist keine Gegenvorstellung, das ist ein Antrag, die Begründung vorzunehmen, und dazu habe ich als Verteidiger das Recht.

Vors.:

Nein. Sie haben jetzt nicht das Recht, diesen Antrag zu stellen.

Wir wollen jetzt im Verfahren fortfahren.

[2511] RA Sch[ily]:

Ich habe selbstverständlich das Recht, diesen Antrag zu stellen.

Vors.:

Nein. Sie haben es selbstverständlich nicht.

RA Sch[ily]:

Ich darf den Herrn Vorsitzenden darauf hinweisen, daß ich u. a. auch insoweit neue Tatsachen einbringen werde, die diesen Einstellungsantrag betreffen. Auch das darf ich in diesem Zusammenhang Ihnen ankündigen.

Aber abgesehen davon bin ich der Meinung, daß in der Judikatur anerkannt ist, in der Rechtsprechung anerkannt ist, daß inhaltlose, sachlich inhaltlose, auf leere Redensarten beschränkte Begründungen keine Begründungen sind.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ...

RA Sch[ily]:

Und wenn ...

Vors.:

... ich nehme den Antrag nicht entgegen.

RA Sch[ily]:

Und wenn ...

Vors.:

Ich gebe Ihnen dazu das Wort nicht. Sie können diese Maßnahme beanstanden.

RA Sch[ily]:

Nein. Ich begründe jetzt meinen Antrag, und dann können Sie über den Antrag entscheiden.

Vors.:

Nein. Ihr Antrag wird nicht entgegengenommen, Herr Rechtsanwalt.

RA Sch[ily]:

Ja, wollen Sie überhaupt verteidigen lassen oder wollen Sie nicht verteidigen lassen?

Vors.:

Ich lasse verteidigen. Aber es ist Sache des Vorsitzenden ...

RA Sch[ily]:

Aber wenn wir keine Anträge mehr stellen können, Herr Vorsitzender, dann können wir nicht verteidigen.

[2512] Vors.:

Bitte, Herr Rechtsanwalt, werden Sie nicht schon wieder laut. Das wird die Sache nicht ändern.

Es geht nur darum, daß Sie jetzt nicht zur unpassenden Zeit einen Antrag stellen können, der sachlich genau in dieselbe Richtung läuft wie heute früh der Versuch, die Gegenvorstellung anzubringen.

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, ...

Vors.:

Sie haben die Möglichkeit, die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen, wenn Sie ...

RA Sch[ily]:

Eine Gegenvorstellung ist ja bekanntlich was ganz anderes. Hier stelle ich einen Antrag, eine Begründung nachzuholen.

Vors.:

Es ist sachlich genau das gleiche.

RA Sch[ily]:

Moment. Das ist Ihr Irrtum, Herr ...

Vors.:

Wie Sie das etikettieren, Herr Rechtsanwalt, ist kein Unterschied.

RA Sch[ily]:

Aber was heißt hier etikettieren, Herr Vorsitzender, ich lehne einen solchen Einwand ab! Eine Gegenvorstellung ist sogar eigentlich darauf angewiesen, die Gründe zu kennen, und dann kann ich in der Gegenvorstellung auf diese Gründe eingehen, andere Rechtserwägungen Ihnen zur Kenntnis bringen und dann möglicherweise eine Änderung der Rechtsmeinung des Senats, des erkennenden Gerichts, herbeiführen.

Hier kenne ich die Rechtsauffassung des Senats überhaupt nicht. Sie haben hier nur ein ... ein Ergebnis hier auf den Tisch geknallt und haben dazu eine leere Redensart angeführt; denn wenn Sie sagen, Anhaltspunkte, daß ein fair trial hier nicht gegeben sei, seien nicht vorhanden, ohne auf eine einzige der Tatsachen einzugehen, die die Verteidigung für diesen Einstellungsantrag - immerhin: Ich habe [2513] den Antrag über mehrere Tage, ich glaube, vier Stunden habe ich ihn begründet, wenn nicht Herr Dr. Breucker wieder seine Stoppuhr bereithält und das vielleicht, diese Zeit, gemessen hat, ein allein nach dem Manuskript 30 Seiten umfaßt, sehr viele Tatsachen. Nicht auf eine einzige Tatsache sind Sie eingegangen, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ...

RA Sch[ily]:

Nicht eine einzige Tatsache! Nicht einmal darauf sind Sie eingegangen!

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, Sie können jetzt ... Augenblick.

Ich bitte, Herrn RA Schily das Wort abzustellen.

Herr Rechtsanwalt, ich weise Sie nochmals darauf hin, daß es in meiner Prozeßleitungsbefugnis[33] liegt, ob Sie Anträge stellen können im Augenblick oder nicht. Ich kann die Anträge in dieser Reihenfolge in diesem Prozeßabschnitt entgegennehmen, oder ich kann Ihnen sagen, wir werden später zu einem solchen Antrag Stellung nehmen. Sie können’s übrigens auch schriftlich machen, wie’s heute früh schon empfohlen worden ist.

Es ist absolut falsch, daß das der tragende Satz der Entscheidung gewesen ist. Der tragende Satz ist, daß es die Rechtsfolge nicht gibt, die Sie beantragt hatten.

Ich bin aber nicht dazu willens, daß ich jetzt etwa unsere Entscheidung von gestern nachbegründe. Die Entscheidung aus sich heraus ist klar verständlich und sagt alles, was gesagt werden mußte. Jetzt wird dieser Antrag nicht gestellt. Wenn Sie der Meinung sind, daß das eine Fehlmaßnahme ist, dann haben Sie die Möglichkeit, mein Verhalten zu beanstanden, dann wird der Senat darüber entscheiden müssen.

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, dazu muß ich den Antrag auf Worterteilung ... denn sonst kann ich ja den Senat gar nicht, wird der Senat keine genügende Beurteilungsgrundlage dafür haben, was jetzt [2514] die Verteidigung beabsichtigt, wenn sie um das Wort bittet und die Möglichkeit bittet, einen Antrag stellen zu können.

Vors.:

Wir haben verstanden, Herr Rechtsanwalt, daß Sie den Antrag stellen wollen, daß der Beschluß vom 27.8. begründet werden soll.

RA Sch[ily]:

Nein. Ich möchte dann das aber auch begründen, warum ich den Antrag zum jetzigen Zeitpunkt stellen will.

Vors.:

Das wäre die Stellung des Antrags.

RA Sch[ily]:

Nein. Ich kann Ihnen den ja inhaltlich skizzieren. Ich werde das dann also nicht in der ausführlichen Form tun, wie das vielleicht sonst der Fall wäre. Aber ich werde Ihnen zunächst einmal umrißartig dann bekanntgeben, um was es sich dabei handelt.

Vors.:

Nein, Herr Rechtsanwalt. Wir wollen den Antrag ja im Augenblick nicht entgegennehmen. Sie können den Antrag später, wenn Sie meinen, daß es notwendig ist, in irgendeiner Form wiederholen, sei es schriftlich ...

RA Sch[ily]:

Aber Herr Vorsitzender, Sie können doch nicht über etwas entscheiden, wenn Sie noch nicht einmal wissen, um was es genau geht.

Vors.:

Ich habe genau verstanden, daß Sie die Begründung nachgeholt wissen wollen des Antrags vom 27.8. Das ist gesagt worden, und das ist der Gegenstand Ihres Antrags.

RA Sch[ily]:

Ja. Aber dann muß ich mich doch dazu äußern können, aus welchen Gründen ich das jetzt zum gegenwärtigen Verfahrensstadium Ihnen als Antrag präsentieren.

Vors.:

Wenn Sie sich auf diesen Punkt beschränken wollen, ...

RA Sch[ily]:

Ja.

[2515] Vors.:

... warum das jetzt notwendig sein soll, bitte.

RA Sch[ily]:

Sie haben ja den Antrag entgegengenommen auf Einstellung des Verfahrens und haben den zu Recht in dem Zeitpunkt entgegengenommen, in dem er gestellt worden ist, und es ist selbstverständlich, daß die Prozeßbeteiligten ein Recht darauf haben, in dem Verfahrensstadium, in dem über diesen Antrag entschieden wird, auch die Gründe zu hören, aus denen ein solcher Antrag abgelehnt wird. Und diese Gründe, die sind eben nicht bekanntgegeben worden. Eine blanke Formel, die nichts anderes ist, die kein Rechtsspruch, sondern nur noch ein Machtspruch ist, die sagt fair trial dafür. Das ist kein fair trial. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Und nicht eine einzige dieser Tatsachen, die in dem Antrag mitgeteilt worden sind, auch nur eine Erwähnung und Erörterung für erforderlich hält. Wenn Sie einmal daran denken ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, Sie verlassen jetzt das Thema. Sie wollten ...

RA Sch[ily]:

Ich verlasse gar nicht das Thema.

Vors.:

Doch. Sie wollten begründen ...

RA Sch[ily]:

Das ist genau das Thema.

Vors.:

Sie kommen jetzt sachlich genau ...

RA Sch[ily]:

Und dann eben auch ...

Vors.:

Warum muß jetzt darüber entschieden werden über die Begründung?

RA Sch[ily]:

Weil es notwendig ist, daß, daß wenn über einen Antrag entschieden wird, auch die Gründe im gleichen Zeitpunkt bekanntgegeben werden, denn darauf muß sich ja die Verteidigung [2516] einstellen. Die Verteidigung muß sich doch darauf einstellen können, was z. B. der Senat für Vorstellungen entwickelt über Vorausverurteilung oder nicht. Offenbar wird das hier alles zugedeckt; oder man ist eben nicht in der Lage. Ich würde sagen, Sie können dem eben an Tatsachen nichts entgegensetzen. Das ist genau der Punkt.

Vors.:

Gut. Also Sie haben jetzt ...

RA Sch[ily]:

Sie können eben nichts dagegensetzen, ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ...

RA Sch[ily]:

Bitte?

Vors.:

Es tut mir leid. Ich möchte Ihnen nicht wieder dieses auch für uns etwas bedrückende Schauspiel bieten, daß ich sagen muß, das Mikrophon muß abgestellt werden. Sie kommen zur sachlichen Begründung.

Es geht im Augenblick um das Thema allein:

Warum im Augenblick diese Begründung, von der Sie glauben, sie sei nicht abgegeben worden, warum die nachgebracht werden müßte.

Sie haben dazu wohl alle Argumente vorgetragen.

RA Sch[ily]:

Nein, Herr Vorsitzender. Ich kann doch ... Wissen Sie, Sie können ja nicht rein formal in einem solchen Zusammenhang ...

Vors.:

Es geht um die Zeitfrage. Wissen Sie, Herr Rechtsanwalt, es geht ...

RA Sch[ily]:

Es geht dann um die Zeitfrage?

Vors.:

Es geht, warum es jetzt sein müsse. Das ist das Thema. Zu dem gab ich Ihnen das Wort.

RA Sch[ily]:

Genau, genau.

[2517] Vors.:

Nicht weiter.

RA Sch[ily]:

Und dazu gehört eben auch leider - das ist Ihnen vielleicht offenbar fremd - auch die inhaltliche Begründung. Die gehört zu diesem Zusammenhang. Denn wissen Sie, wenn wir einen rein, sagen wir mal unbegründeten Antrag gestellt hätten, der vielleicht ne halbe Seite umfaßt und der auch nur Leerformeln enthalten hätte, dann wäre in der Tat vielleicht über die, nur über die Frage des Zeitpunkts ... Aber da wir das nicht gemacht haben, da ich einen Antrag über vier Stunden begründet habe mit sehr, nach meiner Überzeugung, bedeutungsvollen Tatsachen, der Tatsache beispielsweise, daß der oberste, daß der oberste Inhaber der Exekutive die Angeklagten bereits vorausverurteilt hat als Gewaltverbrecher, nicht auf ...

Vors.:

Ja, Herr Rechtsanwalt, Sie wollen’s halt doch anbringen.

RA Sch[ily]:

... eine solche Formulierung in einem solchen Beschluß eingehen, daß Ihnen das kein Wort wert ist, daß es Ihnen auch nicht mal ein Wort wert ist, auf Ihre eigene Erklärung gegenüber Herrn Österreicher[34] einzugehen. Nicht einmal darauf gehen Sie ein.

Vors.:

Ich entscheide jetzt nochmals und bitte jetzt, das Wort nochmals abzustellen.

’S tut mir leid. Herr Rechtsanwalt, ich habe Ihnen das Wort jetzt nicht weiter gegeben.

Nein. Ich habe Ihnen gesagt, der Antrag wird nicht entgegengenommen.

Sie haben zur Begründung, warum es jetzt geschehen müsse - das wollten Sie noch vortragen - nichts Weiteres mehr vorgebracht.

Es bleibt dabei:

Der Antrag wird jetzt nicht entgegengenommen.

RA Sch[ily]:

Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der Antrag Beweisanträge enthielt?

[2518] Vors.:

Auch das kann sein.

RA Sch[ily]:

Auch das kann sein? Ja, aber darüber ist wohl nicht entschieden über diese Beweisanträge. Ich habe nicht gehört, daß Sie über Beweisanträge hier entschieden haben.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich schließe daraus, daß Sie meine Maßnahme beanstanden. Ich werde mich mit dem Senat jetzt über diese Frage beraten.

RA Sch[ily]:

Ich halte es für meine Pflicht als Verteidiger - und wenn Sie mal im Handbuch des Strafverteidigers nachlesen, dann können Sie’s vielleicht auch feststellen, das ist manchmal auch für den Richter ne nützliche Lektüre -, daß, daß man als Verteidiger genötigt ist, um nicht diese, um nicht da womöglich irgend etwas zu verlieren, darauf hinzuweisen, daß über einen Beweisantrag nicht entschieden worden ist.

Sie können sich da nicht auf die Revision verlassen. Grade wenn es um Beweisanträge geht.[35]

Vors.:

Es ist kein Beweisantrag jetzt im Augenblick. Wir sind doch in einem Verfahrensstadium, wo noch[w] nicht zur Sachaufklärung was beigetragen wird.

RA Sch[ily]:

Aber hören Sie mal. Ich habe einen Beweisantrag gestellt.

Sie können doch nicht einfach sagen, es ist kein Beweisantrag! Das ist doch meine Sache!

Vors.:

Zur Frage von Prozeßvoraussetzungen, Verfahrenseinstellungen: Das ist ein Freibeweisverfahren.[36] Wir werden, Herr Rechtsanwalt ...

RA Sch[ily]:

Das, das. Ich habe einen Beweisantrag gestellt! Ob Sie dann, da müssen Sie ...

Vors.:

Sie wollen, Sie wollen offenbar ...

Ist das Wort abgestellt, ja?

[2519] RA Sch[ily]:[x]

... ob Sie den als unzulässig zurückweisen, weil Sie sagen, dafür ist es Freibeweisverfahren ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich mache jetzt dann, wenn Sie nicht imstande sind, von sich aus sich an die Regeln im Prozeßsaal hier zu halten, eine Pause, um Sie zur Besinnung zu bringen. Es geht nicht, daß Sie das Wort ständig hier behalten.

RA Sch[ily]:

Aber Herr Vorsitzender, ...

Vors.:

Sie haben zur Kenntnis genommen, daß ...

RA Sch[ily]:

... ich wollte Sie doch veranlassen, sich an die Prozeßordnung zu halten.

Vors.:

Wir machen eine Pause von zehn Minuten.

Pause von 11.23 Uhr bis 11.32 Uhr.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort

Um in die etwas verfahrene Situation Klarheit zu bringen, wie das Gericht oder ich das ansehe:

Sie beanstanden den Beschluß vom 27.8., Herr RA Schily.

Gegen diesen Beschluß gibt es kein Rechtsmittel, es sei denn, evtl. später die Möglichkeit der Revision.[37] Alles, was jetzt dagegen erhoben werden könnte, wäre eine Gegenvorstellung. Daß der Senat nicht beabsichtigt, Gegenvorstellungen gegen diesen Beschluß entgegenzunehmen, ist heute früh schon gesagt worden, wobei die Etikettierung als Antrag hier sachlich nichts ändern kann, daß es sich gegen diesen Beschluß richtet.

Ihre revisionsrechtlichen Befürchtungen, Herr Rechtsanwalt, sind allein schon deswegen beseitigt, weil ja Ihre Beanstandung an diesem Beschluß längst protokollmäßig festgehalten ist und damit diese Gefahr der Verwirkung, die Sie offenbar immer wieder sehen, überhaupt nicht zur Debatte stehen kann.

[2520] RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, Sie haben eine Rechtsmeinung jetzt kundgetan. Normalerweise in einem Strafprozeß ist es eben so, daß die Prozeßbeteiligten - auch die Verteidigung - ihre Rechtsmeinung kundtun kann, und mir geht es darum, Sie können mir nicht einfach einen Antrag hier aus der Hand schlagen, daß Sie diese Formel verwenden: „Die Etikettierung interessiert mich nicht.“

Ich habe Ihnen mal in einem früheren Verhandlungstag gesagt: Wenn ich einen Antrag stelle, dann pfle... einen Ablehnungsantrag, dann pflege ich den auch als solchen zu kennzeichnen. Also es bedarf da keiner Interpretationskünste oder irgendwo unter eine Etikettierung, eine vermeintliche, braucht man da nicht drunter zu sehen, sondern ich stelle die Anträge so, in der klaren Form, wie sie auch gemeint sind.

Und ich mache Ihnen auch keine Gegenvorstellung geltend, die auch inhaltlich etwas ganz anderes ist, Herr Vorsitzender.

Eine Gegenvorstellung ist darauf angewiesen, die Gründe kennenzulernen einer Entscheidung, daß während ...

Was haben Sie gesagt: Laß ihn ruhig reden oder wie?

Vors.:

Nein. Ich habe gesagt: Ich lasse Sie jetzt reden ...

RA Sch[ily]:

Das ist erfreulich, ja.

Vors.:

... zur Begründung, aber nicht zum Antrag.

RA Sch[ily]:

Das ist manchmal ganz schön, wenn man so hört, was für ne Parole da ausgegeben wird. Dann kann man sich ja darauf einstellen.

Vors.:

Es ist ja gut, daß Sie’s wissen.

RA Sch[ily]:

Ja. Und ich meine, daß es also erforderlich ist insofern, auch wenn Sie sagen, Sie nehmen meinen Antrag nicht entgegen und verweisen mich auf das Mittel der Beanstandung, [2521] das prozessuale Mittel der Beanstandung, daß ich als Verteidiger das Recht habe, diese Beanstandung nicht nur einfach zu rufen: Beanstandung, oder wie man das so aus verschiedenen Kriminalfilmen amerikanischer Strafprozesse hört, wo dann irgendein Verteidiger sagt: „Einspruch“; also so verfahren wir ja hier nicht, sondern wir verfahren ja doch wohl immer so, daß auch eine prozessuale, ein prozessualer Antrag begründet werden darf, und der Inhalt dieser Begründung, der ist in der Tat Sache der Verteidigung und nicht Sache des Vorsitzenden; denn das ist ja nun leider die Situation, vor die wir gestellt sind, daß da Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ich darf also, da Sie mir die Gelegenheit jetzt doch geben, darauf eingehen, daß dieser Beschluß, um den es geht, ...

Vors.:

Nein, Herr Rechtsanwalt, das wäre ein Irrtum. Herr Rechtsanwalt,

RA Sch[ily]:

... nur eine formelhafte Begründung enthält.

Vors.:

... es wäre ein Irrtum, wenn Sie glaubten, ich wiche von der Auffassung ab, daß Sie diesen Antrag, den ich als Gegenvorstellung betrachte - sachlich -, jetzt nicht stellen können, ...

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender ...

Vors.:

... und Sie haben die Möglichkeit, wenn Sie diese Maßnahme beanstanden - Sie weisen ja immer wieder auf die Art, wie verfahren wird, hin - prozeßordnungsgemäß beim Senat diese Beanstandung zu erheben, und dann muß der Senat darüber entscheiden, ob meine Auffassung richtig ist oder nicht.

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, aber jetzt bin ich dabei, meine Beanstandung zu begründen, und das können Sie mir doch nicht verwehren?

Vors.:

Ich verwehre Ihnen ja nichts. Ich sagte ja, beanstanden Sie bitte meine Maßnahme. Das dürfen Sie jederzeit.

[2522] RA Sch[ily]:

Ja eben, und ich begründe jetzt die Beanstandung der Verweigerung, Ihre Verweigerung, diesen Antrag entgegenzunehmen. Dabei bin ich im Moment, und das halte ich jetzt also für erforderlich, daß Sie sich das mal in Ruhe anhören.

Sie können - ich muß das jetzt leider wiederholen, weil Sie den Zusammenhang jetzt ja unterbrochen haben - Sie können einen Antrag nicht dadurch anders inhaltlich bestimmen, daß Sie sagen, die Etikettierung, es ist nur eine falsche Etikettierung. Es ist keine Gegenvorstellung, die ich erhebe, sondern es ist ein Antrag, eine Begründung eines ... einer richterlichen Entscheidung nachzuholen.

Und um es nun zum Überdruß noch einmal zu erläutern:

Eine Gegenvorstellung ist naturgemäß, das ist ja auch der Sinn einer Gegenvorstellung, darauf angewiesen auf Gründe, sonst kann sie nämlich überhaupt inhaltlich in der Gegenvorstellung nichts aussagen. Die B. Anwaltschaft, um das Beispiel noch einmal heranzuziehen, hätte mit Sicherheit am ersten Verhandlungstag keine Gegenvorstellung erhoben gegen Ihren Beschluß, um den es damals ging hinsichtlich der Tätigkeit von Verteidigern, sondern sie hätte dann gesagt - ich möchte das annehmen, daß die B. Anwaltschaft auch den Antrag gestellt hätte - erst mal den Beschluß zu begründen, wenn da eine Begründung gefehlt hätte. Sie hat ja seinerzeit nicht gefehlt. Da eine Begründung vorhanden war, konnte die B. Anwaltschaft eine Gegenvorstellung geltend machen und hat sich dann auch mit der Rechtsauffassung des Senats auseinandergesetzt, hat gesagt, sie hat große Bedenken gegen diese Rechtsauffassung.

Und ich als Verteidiger bin der Meinung - und nun komm ich wieder auf das zurück - wenn eine Entscheidung ohne Begründung hier verkündet wird und eine auf formelhafte Wendung oder leere Redensarten beschränkte Begründung von zwei Sätzen, länger war’s ja nicht, länger war’s nicht oder waren’s vielleicht drei, drei Sätze; das ist gleichzusetzen einer Entscheidung ohne Begründung.

Das ist dazu zu sagen.

[2523] Wenn Sie sich, wenn Sie heute vor der Pause eingewandt haben, der tragende Satz sei die Bezugnahme auf die Entscheidung des B. Gerichtshofs im 24. Bande[38] gewesen, dann werden Sie sicherlich mir zugeben, daß eigentlich zunächst einmal die Prüfung der Tatsachen stattzufinden hat, und man dann sich vielleicht über die rechtlichen Konsequenzen unterhalten muß.

Ich bleibe also dabei, daß das Gericht hier eigentlich eine Kapitulation vollzogen hat mit dieser Leerformel.

Vors.:

Ist das jetzt noch Beanstandungsgegenstand?

RA Sch[ily]:

Das ist alles noch im Rahmen der Beanstandung.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, das, glaube ich, wahrt den Zusammenhang nicht mehr.

RA. Sch[ily]:

Aber Herr Vorsitzender, ich kann doch nur die Beanstandung Ihnen verständlich machen, wenn ich Ihnen in etwa mitteile, was, was also der Antrag zum Gegenstand hat und darauf hinweisen.

Vors.:

Ich glaube, Herr Rechtsanwalt, Sie haben dargetan, es sei keine Gegenvorstellung, sondern ein Antrag, und zwar einfach deswegen, weil die Gegenvorstellung Gründe voraussetze, die fehlten in diesem Beschlusse.

RA Sch[ily]:

Ja.

Vors.:

Jetzt münden Sie wieder ein in das, was Ihr Antrag an sich sein sollte, und ich glaube, der Senat hat jetzt durch Ihre Ausführungen - so schätze ich es ein - genügend Unterlagen, um über Ihre Beanstandung zu entscheiden.

RA Sch[ily]:

Ja. Nur, nur, Herr Vorsitzender, wie Sie das einschätzen, ob der Senat damit genügend Grundlagen hat, um dann seine Entscheidung zu verkünden, das ist in der Tat für mich unerheblich, sondern erheblich ist, was ich nach pflichtgemäßem Er- [2524] messen als Verteidiger für erheblich halte, um diesen Antrag zu begründen, und das ist ja nun die Domäne der Verteidigung, eine solche ... sich da also ihr, ihren ... in ihrer Begründung selbst zu wählen und auch selbst abzustecken.

Ich will ja auch gar nicht so sehr lange Ausführungen von dem Punkt machen, sondern mir geht es eigentlich nur um die Kennzeichnung der Umstände, um die es dabei geht.

Ich sagte - das ist sehr bedauerlich, daß Sie mich nun ständig unterbrechen; dadurch muß der Zusammenhang erst immer wieder hergestellt werden -

Vors.:

Ich fürchte, Sie verlieren ihn immer wieder.

RA Sch[ily]:

Jaja. Sie stören ihn.

Vors.:

Es ging ja nur darum, daß Sie den Antrag stellen möchten, nicht?

RA Sch[ily]:

Das ist, das ist ja sicherlich richtig, Herr Vorsitzender. Weil Sie mich dauernd unterbrechen, muß ich wieder die Anknüpfungspunkte suchen, und dadurch verlängert sich die Sache in sehr unkluger Weise. Aber das haben Sie ja selber zu verantworten, daß es in dieser Weise sich hier vollzieht.

Vors.:

Ja.

RA Sch[ily]:

Und wenn Sie von Schauspiel sprechen oder gesprochen haben, ...

Vors.:

Habe ich?

RA Sch[ily]:

Jaja. Sie haben von einem Schauspiel, „das Sie bieten“, gesprochen, dann mag dieser Ausdruck ja durchaus angemessen sein.

Vors.:

Also das Recht des Vorsitzenden, Weiterungen zu vermeiden, gilt auch gegenüber Verteidigern. Ich bitte Sie jetzt, den Zusammenhang zu wahren.

[2525] RA Sch[ily]:

Was heißt Weiterungen, Weiterungen?

Vors.:

Weiterungen.

RA Sch[ily]:

Aber, aber Herr Vorsitzender ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, lassen Sie mich den Satz äußern.

RA Sch[ily]:

Ja.

Vors.:

Ich bitte, den Zusammenhang zu wahren im Zusammenhang mit Ihrer Beanstandung, daß ich der Auffassung bin, daß Sie jetzt den Antrag, den Sie stellen wollten, nicht stellen könnten, weil er sachlich nichts anderes sei als die Gegenvorstellung, die heute früh schon abgelehnt wurde.

RA Sch[ily]:

Herr Vorsitzender, ich darf Sie nochmals darauf hinweisen, um dem Senat klarzumachen, was eine Beanstandung, was die Beanstandung meint, muß ich notgedrungen und notwendigerweise darauf eingehen, was mit dem Antrag gemeint ist, die Begründung nachzuholen.

Sehen Sie mal, das ist ähnlich wie mit dem Antrag auf Protokollierung. Häufig muß man dann also inhaltlich mitteilen, obwohl Sie vielleicht die Protokollierung dann ablehnen oder abzulehnen beabsichtigen, man muß dann möglicherweise den gesamten Protokollierungsantrag ja mitteilen.

Das ist ja bekannt, daß das mitunter notwendig ist, wenn darüber unterschiedliche Meinungen bestehen.

Ich darf also noch einmal darauf ... noch einmal da anknüpfen, daß es notwendig ist, daß ein Antrag, der so viele gravierende schwerwiegende Tatsachen dargestellt hat hinsichtlich der Vorausverurteilung der Angeklagten, daß da ein Gericht, das richterliche Funktionen wahrnehmen will im bisherigen Verständnis rechtsstaatlicher Garantien, darauf eingehen muß auf solche Tatsachen, oder es muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß es auf diese Tatsachen nicht eingehen kann. [2526] Daß es beispielsweise nicht auf die Tatsache eingehen kann, daß von vornherein die Angeklagten als Verbrecher oder Terroristen abqualifiziert werden.

Und es ist ja interessant, auch noch einmal darauf hinzuweisen in diesem Zusammenhang, daß diese Wortwahl „Terroristen“ in einem Aufsatz von Erich Schwinge[39], den die B. Anwaltschaft mal in einem andern Zusammenhang zitiert hat, um die Verteidiger zu verunglimpfen, daß diese Wortwahl „Terroristen“ bereits von diesem Herrn Schwinge in einem Aufsatz, der im Januar/Februar dieses Jahres herausgekommen ist in einer Zeitschrift „Die politische Meinung“, daß diese Wortbildung da sozusagen von Herrn Schwinge schon an die Hand gegeben worden ist, und das ist dann die Quelle, auf die sich die B. Anwaltschaft bezieht. Dieser Titel dieses Aufsatzes heißt: „Terroristen und ihre Verteidiger - Blick auf den Baader-Meinhofprozeß“, und das ist der Herr Schwinge, der im Jahre 1944 noch einen Kommentar zum Reichs... zum Militärgerichts-StGB verfassen durfte und dann so bemerkenswerte Sätze damals schrieb:

„Die Gefahren, denen gegenüber der Gesetzgeber und die Strafrechtspflege auf der Hut sein müssen, drohen von ganz anderer Seite her: der Agitation im Betrieb, innerhalb der Truppe und entsprechender Gemeinschaften unpersönlicher Art, wenn es bei den erwähnten Tatbeständen des Reichsstrafgesetzbuches und des Heimtückegesetzes[40], die sämtlich dem Schutze höchstwertiger Rechtsgüter zu dienen, bestimmt sind.“

Also Herr Schwinge - das Heimtückegesetz zum Schutze höchstwertiger Rechtsgüter - das ist die Adresse, die die B. Anwaltschaft benutzt, um Verteidiger zu verunglimpfen.

Und ich hatte ja schon erwähnt den früheren Propagandaminister ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, ich kann das nun wirklich nicht mehr hinnehmen. Augenblick.

Bitte das Wort abstellen.

RA Sch[ily]:

Ich bin gleich fertig.

Vors.:

Sind Sie das? Gut. Dann lasse ich Sie zu Ende kommen.

[2527] RA Sch[ily]:

... und der diese Wortwahl „Terroristen“ und „Terrorgruppe“ und „Banden“ schon praktiziert hat und in seine Medien hat einfließen lassen,

und es ist mir doch interessant, heute einen Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ zu lesen, daß jetzt in Spanien, in Spanien auch ein Gesetz herausgekommen ist, das Terroristengesetz genannt wird und in dem es Beispielsweise heißt ...

Vors.:

Ich entziehe Ihnen hiermit das Wort, Herr Rechtsanwalt. Das hat keinen Sachzusammenhang mehr mit der Beanstandung.

Bitte, das Wort ist entzogen.

Herr Rechtsanwalt, halten Sie sich ...

RA Schily unverständlich

- Vorsitzender mahnt mit der Klingel zur Ruhe -

Wollen Sie sich jetzt an die Ordnung halten oder nicht?

RA Sch[ily]:

Was soll eigentlich das Theater mit der Bimmel?

Vors.:

Das Theater mit der Bimmel ist notwendig geworden, weil wir hier Rechtsanwälte haben, die sich an die normale Prozeßführung nicht mehr halten wollen.

RA Schily bleibt unverständlich.

Ihnen ist jetzt das Wort entzogen.

RA Sch[ily]:

Wenn Sie das als normale Prozeßführung bezeichnen, dann, dann ...

Vors.:

Lesen Sie mal § 238 nach im StGB.[41] Sie haben ja das große Buch daliegen.

RA Sch[ily]:

Aber es ist interessant, daß Sie mir gerade an der Stelle das Wort entziehen, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Ach, natürlich.

RA Sch[ily]:

Das können Sie nicht hören. Da wollen Sie sich taub stellen.

[2528] Vors.:

Das ist ne Ungehörigkeit, was Sie hier behaupten.

RA Sch[ily]:

Ungehörigkeit ist, was Sie hier machen.

Vors.:

Sie können das im Rahmen eines Sachvortrags jederzeit bringen. Aber hier geht’s um die Beanstandung meiner Maßnahme, daß der Antrag nicht gestellt werden kann.

RA Sch[ily]:

Und ich begründe meine Beanstandung so, wie ich es für nützlich halte.

Vors. (nach geheimer Umfrage):

Der Senat hat beschlossen:

Der Antrag wird nicht entgegengenommen.

Es handelt sich sachlich um nichts anderes als die Gegenvorstellung, die bereits heute früh abgelehnt worden ist.

Wir können damit fortfahren. Es rentiert aber wohl vor der Mittagspause nicht mehr. Ich weise darauf hin:

Wir haben bis jetzt wie lange?

Angekl. Baa[der]:

Ach so. Komm, jetzt mach doch was.

Vors.:

Wir haben bis jetzt eine starke Stunde verhandelt. Es wird heute die Zeit ausgenützt werden. Ich kann also keine Gewähr dafür geben, daß es heute abend um 16.00 Uhr zu Ende gehen wird, wenn es in diesem Rhythmus weiterläuft.

Ich darf auch noch darauf hinweisen, daß ich zum Ende des gestrigen Tages darauf hingewiesen habe, daß die Angeklagten die Gelegenheit hätten, heute zu beginnen mit ihren Äußerungen zur Sache und auch, wenn sie wollen, zu ihrer Person.

Wenn die Gelegenheit nicht wahrgenommen wird - das Gericht wird seinen Plan einhalten, am Dienstag mit der Beweisaufnahme zu beginnen.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Haben Sie nicht gestern auch gesagt, daß die Angeklagten diese Möglichkeit haben werden, solange nicht die Vertei- [2529] teidigung noch Anträge vorzutragen habe?

Vors.:

Aber sicher, daß die Anträge, die der Sache vorausgehen und die noch direkt entschieden werden müssen im Gegensatz zu verschiedenen heutigen Anträgen, daß die natürlich einer Beweisaufnahme im Wege stehen würden.

RA Dr. He[ldmann]:

Eben.

Vors.:

Haben Sie solche Anträge vor?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja.

Vors.:

Könnten die heute noch gebracht werden?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja.

Vors.:

Dann bitte ich um die Stellung eines solchen Antrags.

RA Dr. He[ldmann]:

Jetzt, vor der Mittagspause?

Ja, dann einen Kurzantrag bitte, Herr Vorsitzender, ehe ich zu einem längeren Antrag komme.

Zunächst wäre der Antrag nachzuholen:

den Beweisantrag des Herrn Schily zu bescheiden, was nämlich die StPO in § 244 Abs. 6 vorschreibt.

Konkludente Ablehnung von Beweisanträgen kennt die StPO nicht,[42] wenn auch derartige Methode hier schon geäußert worden ist.

Das ist der erste Antrag.

Und der zweite Antrag ist - das ist eine Bitte an Sie, Herr Vorsitzender - Ihren Umgang mit dem Kollegen Dr. Temming doch danach auszurichten, daß Herr Dr. Temming hier als Verteidiger sitzt, und sonach ist es völlig unangebracht, inadäquat, wenn Sie Herrn Temming als Gerichtsreferendar, der weitere Ausbildung bedürfte, hier, wo er Verteidigerfunktion ausübt, ansprechen.

[2530] Vors.:

Darf ich Ihnen hierzu eine Bemerkung machen?

Wir haben hier einen Herrn von der B. Anwaltschaft, der in der Funktion eines B. Anwaltes hier ist. Sie lassen keine Gelegenheit vorbeigehen, um einen Titel zu verwenden, der seiner Funktion nicht gerecht wird.

Das zweite:

Ich verstehe Herrn Dr. Temming ...

RA Dr. He[ldmann]:

Welchen Herrn meinen Sie denn?

Vors.:

Bei der B. Anwaltschaft. Das werden Sie ja wohl selber herausbekommen.

RA Dr. He[ldmann]:

Aber ich habe Herrn Dr. Wunder immer mit Herr B. Anwalt angesprochen.

Vors.:

Jaja. Ich weiß schon. Den meine ich auch nicht.

Ich habe Herrn Dr. Temming selbstverständlich als Verteidiger hier behandelt. Ich bestreite ihm auch nicht, daß er in der Funktion als Verteidiger hiersitzt. Ich sitze hier in der Funktion als Vorsitzender, und er hat mir diese Funktion nicht zugebilligt und hat mich unterbrochen und hat dazuhin Ausführungen gemacht, die rügenswert waren, und ich meine der Umgang, von dem Sie reden, ist in der mildesten Form geschehen. Sie wollen Anträge stellen? Darüber gibt’s jetzt keine Debatte.

Wollen Sie einen weiteren Antrag stellen?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja.

RA’in Ro[gge]:

... Ich will dazu was sagen.

Vors.:

Nein. Dazu wird nichts gesagt. Wir sind jetzt nicht dazu da, zu debattieren.

[2531] Angekl. Baa[der]:

Sagen Sie mal, merken Sie eigentlich gar nicht, was Sie hier machen?

Vors.:

Herr Baader, ich verwarne Sie, wenn Sie in dieser Form dazwischenschreien.

Wenn Frau Meinhof einen Antrag stellen will, sich zu einer Begründung ...

Angekl. Baa[der]:

Ich will was zu der Begründung hinzufügen.

Vors.:

Zu welcher Begründung? Zu welcher Begründung wollen Sie ...

Angekl. Baa[der]:

Von Herrn Heldmann, zu diesen beiden Anträgen.

Vors.:

Herr Dr. Heldmann hat einen Antrag gestellt, nämlich den Beweisantrag, den Herr RA Schily gestellt habe, zu bescheiden.

Das andere war eine Bitte an den Senat. Darüber wird jetzt nicht debattiert.

RA Dr. He[ldmann]:

Dann stelle ich ausdrücklich den Antrag:

Herrn Kollegen Dr. Temming als Verteidiger hier zu behandeln und nicht als Lehranweisungsempfänger des Herrn Vorsitzenden.

Vors.:

Also ich nehme den Antrag im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht entgegen.

Angekl. Baa[der]:

Ja, ich möchte ... Vielleicht krieg ich mal das Wort hier, ja?

Vors.:

Sie sollten auch noch benennen, wer über solch einen Antrag entscheiden soll.

Werden weitere, wenn möglich sinnvolle Anträge, gestellt.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Vorsitzender, das ist sicher rasch getan mit der üblichen geheimen Umfrage am Richtertisch, nicht?

[2532] Angekl. Baa[der]:

Ja vielleicht kann ich jetzt mal das Wort kriegen.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, wollen Sie ne Beanstandung haben, daß ich sagte, über diesen Antrag werde nicht entschieden, wie Herr Dr. Temming zu behandeln sei?

Angekl. Baa[der]:

Ja, kann ich vielleicht was dazu sagen?

Vors.:

Wir befinden uns doch - wenn ich’s recht sehe - in einem Strafprozeß. Oder täusche ich mich da?

RA Dr. He[ldmann]:

Ja das ist auch meine Frage: Täusche ich mich da?

RA’in Ro[gge]:

Herr Vorsitzender, Herr Baader möchte zu dieser Frage noch was sagen.

Vors.:

Nein. Wir wollen jetzt über diesen Antrag nicht mehr weiter befinden. Ich habe schon gesagt, er wird nicht angenommen.

Angekl. Baa[der]:

Ja ich hab einen Antrag zu stellen, Prinzing.

Vors.:

Das dürfen Sie, Herr Baader. Auf Anträge warten wir ja.

Angekl. Baa[der]:

Was? In diesem Zusammenhang ganz konkret habe ich den Antrag zu stellen:

den Verteidiger Temming in diesem Saal hier nicht zu bedrohen mit Berufsverbot, mit Spezialmaßnahmen, mit Disziplinarverfahren.

Vors.:

Darf ich fragen:

Herr Dr. Temming, Herr Dr. Temming ...

Augenblick, Herr Baader. Dazu haben Sie nicht das Wort.

Das ist nicht Ihr Verteidiger, Herr Baader. Sie haben das Wort dazu nicht.

Kommen irgendwelche andere Anträge?

Angekl. Baa[der]:

Das wird doch immer deutlicher hier.

[2533] Vors.:

Herr Dr. Temming.

Gerichtsreferendar Dr. Te[mming]:

Ich habe einen Antrag, und zwar:

bitte ich das Gericht, sich vielleicht dazu zu äußern, welche Art von Anträgen es noch zuläßt, welche Art von Verhalten der Verteidigung es nicht als disziplinwidrig oder sonstwie widrig bezeichnet,

da die Verteidigung sich langsam aber sicher völlig darüber im unklaren ist, welche Funktion sie in diesem Prozeß überhaupt noch erfüllen kann, wenn das Gericht so verfährt, wie es jetzt verfährt, noch nicht mal, noch nicht mal, wie in meinem Fall z. B., es für nötig befindet, zu sagen, worin es irgendeinen Verstoß sieht.

Ich persönlich kann eigentlich, könnte eigentlich, wenn ich so eingeschüchtert wäre, wie es beabsichtigt wäre, kein Wort hier mehr sagen. Und das, was hier an Anträgen abgewürgt wird, erst gar nicht angenommen wird, ist nach meinem Verständnis das, was ich gelernt habe, und ich erinnere mich, daß ich das ziemlich ausführlich gelernt habe. Es gibt auch Handbücher, wo das Recht der Anwälte, der Anwälte natürlich, behandelt wird, Anträge zu stellen. Diesem Handbuch des Strafverteidigers, vom Herrn Dahs, der leider verstorben ist, aber anerkanntermaßen eine der Koryphäen der Strafverteidiger war, diesem Handbuch entnehme ich eigentlich nur eins: Wer sich hier nicht an die StPO hält, ist nicht die Verteidigung, sind nicht die Angeklagten, sondern ist das Gericht.

Und ich stehe jetzt wirklich vor dem Problem, daß ich gar nicht mehr weiß, was ich hier noch sagen kann, welche Anträge ich noch einbringen kann, ohne daß ich befürchten muß, das Gericht sagt, Anträge werden im Strafprozeß, wenn sie von der Verteidigung kommen, nicht mehr angenommen. Ich hätte deswegen gerne eine Belehrung darüber, was das Gericht überhaupt noch beabsichtigt, zuzulassen, zumal es selbst gestern die Verteidigung aufgefordert hat, Anträge zu stellen.

[2534] Vors.:

Ich belehre Sie gerne, wenn Sie das wünschen, außerhalb der Hauptverhandlung.

Wird ein Antrag gestellt?

Gerichtsreferendar Dr. Te[mming]:

Im übrigen möchte Frau Meinhof etwas dazu sagen, da sie ja mitbetroffen ist von den ...

Vors.:

Will Frau Meinhof einen Antrag stellen?

Angekl. Baa[der]:

Ja.

Gerichtsreferendar Dr. Te[mming]:

Möglicherweise. Deshalb möchte ich Sie bitten, Frau Meinhof reden zu lassen.

Ende von Band 132.

[2535] Angekl. M[einhof]:

Also ich stelle den Antrag, daß das Gericht ab sofort es unterläßt, meinen Verteidiger Dr. Temming mit Spezialmaßnahmen, Berufsverbot, Disziplinarverfahren zu erpressen, zu bedrohen und zu versuchen, einzuschüchtern. Nachdem das Gericht hier seit dreieinhalb Monaten wie eine Stanzmaschine die Anträge, die von der Verteidigung kommen, einen nach dem anderen sozusagen guillotiniert und kein einziger Antrag das Gericht hier mit einer inhaltlichen Begründung, kein einziger Beschluß, Gerichtsbeschluß mit einer inhaltlichen Begründung ausgestattet war, d. h. Sie in Ihrer Unfähigkeit, Ihre Beschlüsse irgendwie argumentativ zu begründen, ist das, was Sie hier jetzt gemacht haben, ganz klar eine Eskalation. Und der Versuch, der Verteidigung überhaupt das Wort abzuwürgen und eine Erpressung. Und ich will mal sagen, wenn hier mal gezweifelt worden ist, daß diese Justiz in der unmittelbaren Kontinuität des dritten Reiches steht, so würde ich sagen, Sie dokumentieren es.

Vors.:

Zu dem Antrag ist nichts weiteres zu sagen, als daß die gewünschte Belehrung, die Herr Dr. Temming angeregt hat, gerne erteilt wird. Welche Form von Anträgen zulässig sind, welche nicht und in welcher Reihenfolge beschieden werden kann, daß ergibt sich aus § 238[ StPO]. Auf den Antrag, Erpressungsmethoden, wie sie hier angedeutet worden sind, oder Nötigungsversuche zu unterlassen, brauchen wir wohl nicht einzugehen. Es ist dem Gericht nicht bekannt, mir insbesondere nicht, daß hier Ihnen gegenüber von Berufsverbot oder ... habe ich von Disziplinarverfahren gesprochen?

Angekl. B[aader]:

Ja, natürlich haben Sie davon, Sie haben versucht ...

Vors.:

Herr Baader, Sie haben ein bißchen zu viel gehört, ich habe es nicht getan.

Angekl. M[einhof]:

Haben Sie nicht darauf hingewiesen, daß er sein zweites Examen noch nicht hat.

Vors.:

Auf den Antrag wird nicht weiter darauf eingegangen. Wir können die Sitzung um 14 Uhr fortsetzen.

Angekl. B[aader]:

Schwein[y].

[2536] Vors.:

Ich bitte aber dann bis dahin ...

Herr Baader, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie mich eben wieder mit Schwein bezeichnet haben ...

Angekl. E[nsslin]:

Weil Du eins bist.

Vors.:

<Wir haben die Absicht, darauf mit einer Ordnungsstrafe in Form einer Ordnungshaft zu reagieren. Sie haben die Möglichkeit sich hierzu zu äußern.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Wissen Sie, daß alle diese Absicht haben, das ist doch sehr interessant. Ich bitte das zu protokollieren.

Vors.:

Das ist eine Sache, die der Senat zu beraten hat.>

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich bitte diesen Ausspruch zu protokollieren, zu verlesen und zu genehmigen. Wir haben die Absicht, diese Beleidigung mit einer Ordnungsstrafe ...

Vors.:

Das steht längst im Protokoll, das steht längst im Protokoll.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich bitte nach § 273[ StPO], ich bitte nach § 273[ StPO] nicht nur die Niederschrift, sondern das dafür vorgesehene Recht der Verlesung und die Genehmigung durchzuführen. Oder aber ich bitte diesen Antrag abzulehnen und den wenigstens zu begründen.

Vors.:

Bitte das Protokoll zur Kontrolle ablaufen zu lassen.

An dieser Stelle wird das Tonband angehalten und auf die betreffende Stelle zurückgespult.

Sodann werden den Beteiligten die mit < > gekennzeichnete Stelle auf dieser Seite vorgespielt.

Vors.:

Da ich festgestellt habe, daß die beanstandete Äußerung auf dem Tonband enthalten ist, also auch in das Protokoll übertragen wird, lehne ich die Anordnung einer Protokollierung nach § 273 Abs. 3 [StPO] ab.

[2537] Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Herr Vorsitzenden, § 273[ StPO] sieht vor, Niederschrift im vollständigen Wortlaut, Verlesung und Genehmigung. Sie erfüllen nur eine der im § 273 Abs. 3 StPO die meines Erachtens noch gültig ist, eine der darin vorgesehenen Notwendigkeiten auf einen Antrag hin, wenn es auf diesen Vorgang ankommt, zu reagieren.

Vors.:

Ja, es kommt eben nicht an, das ist ja die entscheidende Frage.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich frage Sie jetzt wieder, ich bitte um eine Belehrung darüber, ob das Gericht der Auffassung ist, daß § 273 Abs. 3[ StPO] durch die Tatsache einer Tonbandaufnahme partiell außer Kraft gesetzt worden ist.

Vors.:

Rechtsbelehrungen gebe ich Ihnen gerne außerhalb der Hauptverhandlung. Ich habe Ihnen gesagt, ich lehne es ab, weil das enthalten ist und es deswegen der Festhaltung dieses Vorgangs nicht mehr durch diese Form bedarf, die Sie hier beantragen. Wenn Sie etwas dagegen haben, dann können Sie die Anordnung durch das Gericht verlangen.

RA v[on] P[lottnitz]:

Herr Vorsitzender, eine Frage dazu, ergibt sich das aus dem Gesetz, daß, wenn etwas auf dem Tonband enthalten ist, wir auch die Sicherheit haben dürfen, daß es in der Sitzungsniederschrift enthalten ist.

Vors.:

Wollen Sie jetzt einen Antrag stellen.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Ich habe den Antrag bereits gestellt.

Vors.:

Aber Herr Rechtsanwalt von Plottnitz habe ich gefragt, Sie waren im Augenblick nicht gefragt, Herr Dr. Temming.

Gerichtsreferendar Dr. T[emming]:

Oh, Entschuldigung.

Vors.:

Bitte.

-Nach geheimer Umfrage-

Der Senat hat entschieden:

[2538] Eine Protokollierung nach § 273 Abs. 3[ StPO] wird abgelehnt, da es auf die Feststellung des Vorgangs, der durch die Protokollierung festgehalten werden soll, nicht ankommt im Hinblick auf das mitgelaufene Tonband.

Jetzt können wir über die Frage der Ordnungsstrafe, Herr Baader, Sie können sich dazu äußern. Ich habe Ihnen vor zwei Tagen schon gesagt, daß das die Folgen sein würden.

Angekl. B[aader]:

Ja, ja, daß mag sein, aber wenn ich mich jetzt dazu äußern kann, dann lassen Sie mich doch bitte dazu auch reden. Ich wollte Sie jetzt zunächst mal fragen, ich hab also schon verschiedene Haftarten erlebt, aber mir ist nicht ganz klar, was das bedeutet: Ordnungshaft. Also ich war z.B. mal ein halbes Jahr in Beugehaft[43], weil ich mich geweigert hab, das Wort „nein“ zu sagen in Berlin.

Also da ging es um die Frage der Feststellung meiner Personalien.

Da haben die gefragt, wollen Sie also ihren Namen sagen, dann habe ich nicht geantwortet und weil ich „nein“ nicht gesagt habe, habe ich ein halbes Jahr Beugehaft bekommen. Das sind so, das war Beugehaft wie gesagt, und ich hab also dann damals erwartet, ich weiß nicht, hatte die Vorstellung, daß vielleicht diese Beugehaft vollstreckt würde, wie normale Strafhaft zumindest, was ja bei uns explizit eine Verbesserung unserer Situation bedeuten würde.[44] Deswegen wollte ich Sie mal ausdrücklich fragen, ob diese nun wirklich fürchterliche Drohung der Ordnungshaft für mich, ob die vielleicht in Aussicht stellt eine Verbesserung meiner Haftsituation.[45]

Vors.:

Herr Baader, darf ich Ihnen vielleicht zu Ihrer Orientierung, Sie können dann leichter Stellung nehmen, die Vorschrift, von der unter Umständen Gebrauch gemacht wird, bekannt geben. Es heißt hier: „Gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen usw., die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, kann vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu 2000,- DM oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden.“[46]

Angekl. B[aader]:

Ja, was versprechen Sie sich denn davon.

Vors.:

Das ist nun eine andere Frage.

[2539] Angekl. B[aader]:

Achja, daß Sie hier also dann sozusagen ohne mich verhandeln können, ist das Ihre Idee, ja. Ist das der Trick dabei.

Vors.:

Das hat damit nichts zu tun.

Angekl. B[aader]:

Ja.

Vors.:

Das hat damit nichts zu tun. Es gibt die Möglichkeit, Sie wegen Ungebühr auszuschließen oder in Ordnungshaft zu nehmen.[47]

Angekl. B[aader]:

Ich möchte Ihnen also sagen, ich finde, daß Ungebühr nicht in Frage kommt in dieser Sache und weil ich dieses Wort, und das möchte ich wirklich ausdrücklich betonen, wie Sie neulich das Wort „Prozeßverschleppung“ zu Herrn Foth mit einem Fragezeichen versehen haben. So stelle ich also ausdrücklich fest, ich habe dieses Wort „Schwein“ in diesem Zusammenhang mit einem Fragezeichen versehen.

Vors.:

Herr Baader, Sie dürften bisher bemerkt haben, daß insbesondere ich nicht sehr kleinlich bin bei den Worten, die Sie mir gegenüber gebraucht haben, mit Schimpfworten, um es deutlich zu sagen.

Angekl. B[aader]:

Es geht nicht darum, daß Sie das Muster ...

Vors.:

Ich möchte ... Augenblick, jetzt lassen Sie mich reden. Ich möchte Ihnen deshalb nochmals den Rat geben, unterlassen Sie solche Äußerungen, ich bin also keineswegs daran interessiert, daß wir hier nun die Zeit noch vertändeln mit Ordnungsstrafe oder Geldbeschlüssen. Sie haben es jedenfalls jetzt zum letzten Mal gehört, daß es in Zukunft nicht mehr hingenommen werden wird, wenn Sie irgend jemand im Gerichtssaal mit derartigen Ausdrücken belegen. Und das gilt selbstverständlich für die übrigen Beteiligten oder Angeklagten auch, denn Frau Ensslin hat sich ja diesem Ausdruck sofort angeschlossen. Gut. Damit wollen wir das bewenden lassen. Wir setzen die Sitzung um 14.00 Uhr fort.

Pause von 12.06 Uhr bis 14.05 Uhr.

[2540] Fortsetzung in der gleichen Besetzung wie heute morgen. Staatsanwalt Holland [z] ist jedoch nunmehr auch anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort in voller Anwesenheit wie ich sehe.

Es sind heute früh Anträge gestellt worden. Der Senat hat hierzu folgendes beschlossen:

Der Antrag über den von Rechtsanwalt Schily im Rahmen seines Einstellungsantrags gestellten Beweisantrag zu entscheiden, wird als unzulässig abgelehnt, weil die Anhörung des Ministerialdirektors Dr. Rebmann und des Leiters der Vollzugsanstalt Bruchsal angesichts der Gründe für die Ablehnung des Einstellungsantrags überflüssig war und es somit keiner weiteren Bescheidung bedurfte.

Die weiteren Anträge vom heutigen Vormittag auf Belehrungen und Unterlassungen und dergleichen werden als unzulässig zurückgewiesen, da sie nicht auf eine prozessuale Maßnahme gerichtet sind.

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Sch[ily]:

Darf ich auf folgendes hinweisen. Ich habe ja in einem der vergangenen Verhandlungstage einmal den Anlaß gehabt zu beanstanden, daß die Öffentlichkeit dadurch beeinträchtigt wird, daß hier bestimmte Überwachungsmaßnahmen getroffen werden. Es ist mir inzwischen zu Ohren gekommen, daß in mehreren Fällen Zuhörer die sich hier einfinden, um die Verhandlung zu beobachten, das Papier, also leere Blätter rationiert werden. D.h. also einem Zuhörer sind mal aus dem Notizblock 2 leere Blätter einfach rausgenommen worden und heute soll das auch wieder stattgefunden haben, daß man also nur eine bestimmte Anzahl von leeren Blättern mitnehmen durfte und der übrige Teil wurde weggenommen. Ich halte eine solche Maßnahme für unzulässig und für eine Beeinträchtigung Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips.[48] Und ich richte an den Herrn Vorsitzenden die Frage, ob das im Rahmen der Sitzungspolizei[49] angeordnet worden ist.

Vors.:

Ist nicht.

RA Sch[ily]:

Ja, dann stelle ich den Antrag, daß Sie eine Anordnung treffen, daß in Zukunft solche Rationierungsmaßnahmen unterbleiben.

[2541] Vors.:

Wir werden uns Gedanken darüber, d.h. ich werde mir Gedanken darüber machen und vor allen Dingen auch prüfen, obwohl ich gegen die Papiermitnahme nichts einzuwenden haben, inwieweit tatsächlich der Öffentlichkeitsgrundsatz von einer solchen Maßnahme berührt werden könnte. Aber der Anregung wird nachgegangen.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, die Verteidigung hält für notwendig und bittet den Senat darum, die sitzungsfreie Woche auf die nächstfolgende, die kommende Woche zu verlegen, damit die Angeklagten in Anbetracht Ihres reduzierten Leistungszustandes in der Lage sein werden, die Erklärung zur Sache, die der Senat ja erwartet, abzuschließen. Dazu gehörte auch die Bitte an den Senat, also der Antrag, hier ausreichenden Umschluß zwischen allen vier Angeklagten zu gestatten. Heute etwa hat es einen Umschluß nur von etwa einer halben Stunde gegeben, dabei wäre zu berücksichtigen, daß die vier Angeklagten sich einer Kollektivanklage gegenüber sehen, so daß also dieses Begehren, Umschluß zu viert, von der Sache her geboten erscheint. Soweit dieser Antrag an den Senat.

Vors.:

Das würde also, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann bedeuten, daß Sie die Vorstellung haben, wir müßten dann morgen früh unter Umständen wieder zur üblichen Fristunterbrechung eine Sitzung einschieben und könnten die Sitzung dann fortsetzen am Mittwoch, den 9. September. So hatten Sie sich das gedacht. Nun bedarf das natürlich der Rückfrage bei allen übrigen Beteiligten, denn ich kann mir denken im Hinblick auf den schon lange festliegenden Sitzungsplan, daß hier gewisse Urlaubspläne für diese Woche vorgesehen und festgelegt sind.

OStA Z[eis]:

(Zunächst unverständlich, da ohne Mikrofon).

Protokollführer:

Bitte Mikrofon einschalten.

OStA Z[eis]:

Herr Vorsitzender, die Bundesanwaltschaft ...

Vors.:

Bitte Mikrofon einschalten, es tut nicht.

[2542] OStA Z[eis]:

Ja, es ist eingeschaltet.

Vors.:

Danke.

OStA Z[eis]:

... ist selbstverständlich davon ausgegangen, daß es bei den Sitzungstagen und sitzungsfreien Tagen bleibt. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft haben entsprechende Vorkehrungen und Vorbereitungen schon getroffen. Wir bitten sehr, daß es bei der sitzungsfreien Woche, wie von Ihnen schon lange geplant, bleibt.

Vors.:

Wie sind die Herrn Verteidiger eingestellt. Liegen bei Ihnen auch schon bestimmte und festgebuchte Pläne vor, andere Termine.

RA König:

Bei mir ist jeder Tag eingeplant und ich habe an jedem Tag Hauptverhandlung nächste Woche und übernächste Woche auch.

Vors.:

Jawohl, Herr Rechtsanwalt König. Herr Rechtsanwalt Schwarz auch andere Termine wie ich sehe.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, es ist klar, daß eine Verschiebung von monatelang vorausgeplanten Abläufen nur möglich ist, wenn die Beteiligten sich in dieser Richtung einigen können. Ich habe ja deshalb auch für die übernächste Woche eine kleine Änderung zur Disposition gestellt und werde der natürlich nur dann nachgehen können, wenn tatsächlich alle Beteiligten zustimmen. Ihrer Anregung kann also mit Rücksicht auf die Stellungnahmen der übrigen Beteiligten nicht stattgegeben werden. Ich bitte aber trotzdem es im Auge zu behalten, ob wir dann die übernächste Woche in dieser Weise handhaben können, wie ich es heute früh andeutete.

RA Dr. H[eldmann]:

Also ein Sitzung auch am Freitag noch.

Vors.:

Am Freitag eine Sitzung wegen der Fristwahrung[50] und dann Fortsetzung in der übernächsten Woche am Dienstag und dafür verhandeln Dienstag, Mittwoch, Donnerstag. Denn vorgesehen waren ursprünglich aufhören ja auch, am Freitag, aber dann Montag, Dienstag, Mittwoch verhandeln. Mir wäre es lieber, wir könnten es auf Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, also den üblichen Rhythmus wieder einschlagen.

RA Dr. H[eldmann]:

Darf ich dann darum bitten, für die kommende Woche insgesamt vor- [2543] zusehen für die Erklärung der Angeklagten zur Sache. Der derzeitige Leistungszustand der Angeklagten wird nicht erlauben, länger als eine halbe Stunde im Zusammenhang zu sprechen, wobei für Frau Meinhof, wie ich informiert bin, noch die Reservation zu machen wäre, daß Sie voraussichtlich nicht länger als 10 Minuten im Zusammenhang wird sprechen können. Das bitte ich auch zu beachten, für die Planung in der nächsten Woche.

Vors.:

Das würde bedeuten, wenn wir die nächste Woche zu den Erklärungen bereit hielten, daß die Erklärungen abgegeben werden würden, allerdings dann mit diesen Unterbrechungen, die Sie eben angekündigt haben.

RA Dr. H[eldmann]:

Mit den Unterbrechungen.

Vors.:

Würde die Woche ausreichen. Die nächste Woche.

RA Dr. H[eldmann]:

Das können wir noch nicht sagen. Darf ich vielleicht mal mit Herrn Baader ...

Vors.:

Ja, ja bitte, wenn Sie vielleicht mal zurückfragen, wie lange das ...

Angekl. B[aader]:

Ja, daß läßt sich jetzt nicht sagen ohne weiteres, wie lang das dauern wird. Weil Sie wissen ja, daß Sie uns gezwungen haben, durch die permanenten Beschlagnahmeaktionen der Bundesanwaltschaft wesentliche Teile der Konzeption, der Politik, die Sie hier verhandeln wollen, nicht schriftlich niederzulegen. D.h., die haben wir im Kopf und die werden wir frei formulieren müssen, zum großen Teil zumindest. Das ist das Problem dabei. Das kann eine Woche dauern, daß kann aber auch länger dauern, es kann aber auch kürzer sein.

Vors.:

Ja, ich muß schon eine Vorstellung[aa] gewinnen können, wie das gedacht ist. Sie sagen eine halbe Stunde an einem Stück, soll dann der nächste Angeklagte eintreten, Herr Baader.

Angekl. B[aader]:

Bitte, daß hängt eben ...

Vors.:

Nehmen wir mal an, Sie würden eine halbe Stunde sprechen, nun [2544] würden Sie sagen, ich mag jetzt oder kann nicht mehr weiter.

Würde dann der nächste Angeklagte mit seiner Erklärung beginnen und so überschlägig die Sache sich abwickeln, oder wie ist das gedacht?

Angekl. B[aader]:

Ja möglicherweise, aber ich muß Ihnen mal sagen, wenn ich also noch sozusagen frei konzentriert eine halbe Stunde sprechen kann und das sind wesentlich, na ich sag das mal, das sind ja wesentliche inhaltliche Bestimmungen auf einem anderen Niveau, als man das hier in diesem Raum gewöhnt ist, ...

Vors.:

Ja, gewiß.

Angekl. B[aader]:

... sie sind also wesentlich, doch ja, was heißt denn gewiß, finden Sie das komisch. Also man weiß doch, wo Sie sich instrumentieren. Das ist doch Herr Schwinge, bzw. Jacker, das ist doch...

Vors.:

Nun also das Niveau Ihrer Ausführungen würde ich jetzt noch nicht qualifizieren im einzelnen, das können wir abwarten.

Angekl. B[aader]:

Unterbrechen Sie mich doch bitte nicht. Das ist doch die mieseste Kolportage amerikanischer politischer Prozesse.

Vors.:

Schön. Herr Baader, wir wollen die Vorstellung haben ...

Angekl. B[aader]:

Das mag ja sein wie es ist, es ist jedenfalls eine intellektuell eine ziemlich anstrengende Leistung, das frei zu entwickeln. Davon gehe ich jedenfalls aus und ich kann das jetzt nicht sagen, also wir können das jetzt nicht sagen, wie lange es für jeden Einzelnen von uns möglich ist, zu sprechen. Und das werden vermutlich auch die Ärzte bestätigen.

Vors.:

Es nützt alles nichts. Ich muß ja auch einen Überblick haben.

Ich mein, wir wollen Ihnen gerne die Möglichkeit einräumen, sich so zu äußern, wie es Ihnen angemessen erscheint.

Angekl. B[aader]:

Das ist ja erstaunlich.

Vors.:

Ich wäre auch bereit, die nächste Woche für Ihre Erklärungen [2545] zur Verfügung zu stellen, wobei es dann für uns nicht das entscheidende wäre, in welcher Reihenfolge und zeitlichem Rhythmus Sie sprechen, nur muß ich als Vorsitzender Wert darauf legen, ob ich planen kann, daß dann, d.h. die übernächste Woche wäre ja dann sowieso durch sitzungsfreie Tage nicht zur Verfügung hier. Dann aber nach dem sitzungsfreien Abschnitt, ob ich da mit Zeugen beginnen kann, das muß ich wissen.

Angekl. B[aader]:

Ja wir könnten, naja ich mein man kann das versuchen, ich würd das dann einfach für sehr viel besser halten ...

Vors.:

Achja, wir verhandeln sogar noch zwei Wochen, ja das ist richtig, bevor die sitzungsfreie Zeit kommt.

Angekl. B[aader]:

Ich würde es einfach für sehr viel besser halten, wem Sie jetzt und das kann ja sein, das kann ja sein, daß Sie mit den ärztlichen Stellungnahmen konfrontiert sind in der nächsten Woche ...

Vors.:

Sicher.

Angekl. B[aader]:

Das würde ich an Ihrer Stelle mal bedenken und das die enthalten, sozusagen die Tatsache, daß wir, obwohl wir das vielleicht machen oder zumindest versuchen, nach der Einschätzung der Ärzte, dazu eigentlich gar nicht in der Lage sind.

Vors.:

Herr Baader, wir haben gegenwärtig den Hinweis ...

Angekl. B[aader]:

Und deswegen würde ich ...

Vors.:

Augenblick, daß es drei Stunden möglich sei, mit Ihnen zu verhandeln.[51] An den halten wir uns so lange, bis wir was anderes hören.

Bitte das Wort für Herrn Baader.

Angekl. B[aader]:

Es ist ja ein wesentlicher Unterschied ob jemand spricht, Sie haben das doch neulich festgestellt. Das ist doch eine unglaubliche Brutalität. Sie haben sogar bei mir festgestellt hier, wie das absäuft nach einer halben Stunde, wie unglaublich anstrengend das ist.

[2546] Vors.:

Kommen Sie in der kommenden Woche durch. Das ist die ganz schlichte Frage hier. Wann können wir einplanen, daß wir Zeugen laden.

Angekl. B[aader]:

Ich frage Sie in dem Zusammenhang nochmal, ob Sie nicht diese 10 Tage vorverlegen wollen, oder diese Aussetzung ...

Vors.:

Das haben Sie doch schon gehört, Herr Baader. Es liegt nicht an mir. Ich kann hier nicht nach meinem Willen verfahren, wenn hier solche Dinge auf Planungen von vielen Beteiligten Auswirkungen haben.

Angekl. B[aader]:

Das wissen wir, daß Sie nicht nach Ihrem Willen verfahren.

Vors.:

Und Sie haben gehört, daß die Beteiligten der Meinung waren, daß sie sich mit ihren Planungen festgelegt haben. Dem muß ich Rechnung tragen. Das geht nicht. Also Frage ...

Angekl. B[aader]:

Also ich kann Ihnen nicht sagen, ich kann Ihnen definitiv nicht sagen, weil der Zustand der Gefangenen auch ziemlich labil ist. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir in einer Woche damit fertig werden. Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.

Vors.:

Aber wir gehen davon aus, in der nächsten Woche beginnen Sie mit Ihren Erklärungen und ich werde mit Rücksicht darauf für diese nächste Woche noch keine Zeugen laden.

Angekl. B[aader]:

Wir haben aber vorher, um Sie endlich mal aus diesem Tantalus[bb]-Verhältnis, das Sie zur Sache inzwischen haben, also Sie wirklich um jeden Preis erreichen zu müssen, um Ihnen das mal etwas zu erleichtern. Wir haben einfach noch zwei oder drei Anträge von denen wir sagen würden sie sind wesentlich für den Prozeßverlauf. Und die sind zu stellen, die werden heute wohl noch gestellt und ein Teil davon wird mit Sicherheit am nächsten Verhandlungstag gestellt werden müssen. Und ich finde das also auch sozusagen auch legitim, nach Ihren Maßnahmen sensorischer und sozialer Aushungerung um uns verteidigungsunfähig zu machen mit dem wir hier konfrontiert sind, daß wir sozusagen, oder es wäre legitim, wenn die Verteidiger oder die Verteidigung tatsächlich versucht, Ihre [2547] zwangshafte Verhandlungsführung etwas auszuhungern. Aber wir machen das ja gar nicht mal. Das ist ja gar nicht der Punkt. Es sind ja immer sehr extensiv und sehr genau begründete Anträge gewesen bisher und sind es immer noch. Und die Anträge die jetzt noch zu stellen sind ...

Vors.:

Ja, Herr Baader ...

Angekl. B[aader]:

Lassen Sie mich bitte ausreden, die Anträge, die jetzt noch zu stellen sind ...

Vors.:

Auf die warten wir dann.

Angekl. B[aader]:

... bevor wir uns zur Sache äußern, die sind für den Verlauf der ganzen Verhandlung unmittelbar wesentlich.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, habe ich das richtig verstanden, Sie wollten die nächste Woche dafür haben. Dann müßten ja die Anträge, von denen jetzt die Rede ist, heute noch kommen, sonst könnten Sie ja nicht die Absicht haben, bitte, dann wollen wir doch heute nicht mehr die Zeit verlieren, sondern möglichst rasch zu den Anträgen kommen ...

Angekl. B[aader]:

Das ist nicht ganz richtig.

Vors.:

Ja so ist das aber gesagt worden, Herr Baader.

Herr Dr. Heldmann bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, wir haben gesagt die nächste Woche jedenfalls. Aber Herr Baader hat schon eingeschränkt, daß er nicht sagen kann, ob er und die Mitangeklagten in der nächsten Woche damit fertig werden, nicht.

Vors.:

Das werden wir dann im Verlauf der Woche zu beurteilen haben auch insgesamt.

RA Dr. H[eldmann]:

So daß also die übernächste Woche ...

Vors.:

Aber die Frage wird eben sein, ob nächste Woche damit begonnen [2548] wird, denn dann haben wir Gründe, vom Beginn der Beweiserhebung durch Zeugeneinvernahmen usw. abzusehen. Das werden wir selbstverständlich vorziehen. Aber ich meine, man sollte dann jetzt zu den Anträgen kommen.

RA Dr. H[eldmann]:

Ja, meinem Antrag eine Frage vorangestellt. Hält der Senat, nachdem Herr Professor Rasch untersucht hat und wohl auch kurz vor Abgabe seines Gutachtens steht, so denke ich es mir, noch an den Psychiatern Mende und Ehrhardt fest.[52]

Vors.:

Der Senat hat den Auftrag bis jetzt nicht zurückgenommen. Und hat durchaus auch bis jetzt die Absicht nicht, das zu tun.

RA Dr. H[eldmann]:

Dann muß ich für meinen Mandanten Ablehnungsanträge hinsichtlich der Psychiater Ehrhardt und Mende stellen. Die Ablehnungsanträge im wesentlichen für beide Herren gleich, beruhen darauf, daß auf Grund recht umfangreichen Materials, was ich gestern erhalten habe, erkennbar ist, was ich in einem früheren Prozeßstadium schon einmal skizziert habe. Daß Herr Ehrhardt insbesondere und auch Herr Mende zu derjenigen Gruppe konservativer Psychiater gehören, die als forensische Psychiater die Interessen der Justiz über die Folgerungen aus Ihren fachwissenschaftlichen Einsichten stellen, [cc] daß Sie, das trifft Herrn Ehrhardt, in ihrem fachwissenschaftlichen Schrifttum sich in einen drastischen Gegensatz begeben zu der streng antifaschistischen Einstellung der Angeklagten. Zugleich, Herrn Ehrhardt betrifft das insbesondere, zugleich Herr Ehrhardt der weltanschaulichen Einstellung die Bedeutung eines Kriteriums für die Wertung abweichender fachwissenschaftlichen Richtungen liegt, daß die hier abgelehnten Psychiater Ehrhardt und Mende, so erweisen Ihre Schriften, den Menschen, den Patienten objektivieren und persönlich[dd] entmenschlichen. Und das schließlich, darauf habe ich früher schon einmal hingewiesen, daß von Ihnen zugrunde gelegte Krankheitsbild pragmatisch fixiert ist auf die Bedürfnisse der Strafrechtspflege. Dazu, wenn Sie erlauben, bitte, im einzelnen. Von beiden Psychiatern ist bekannt, daß Psychologie und psychoanalytische Wissenschaft nicht zu den Ansätzen ihres kriminalpsychiatrischen Wissenschaftsbegriffs gehören. Insbesondere aber, und darauf kommt es hier entscheidend an, so denke ich, finden sich bei ihnen keine Ansätze auf Umweltbedingungen [2549] auf soziale Ursachen für die Genese persönlichkeits-deformierende Erkrankungsprozesse zurückzugreifen. Damit bleiben insbesondere Ehrhardt und, wie wir sehen werden nachher, auch Herr Mende unter dem Standard eines international anerkannten Krankheitsbegriffes, der nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation noch die soziale Krankheit umfaßt, also jenes psychosomatische Krankheitsbild, welches die individuelle Belastung infolge krankmachender Umweltbedingungen bezeichnet. Wer es aber in unserer Schulmedizin vernebelt, wird mit dem Lehrbegriff vegetative Dystonie und folglich, und ich komme zurück auf die abzulehnenden Herrn Ehrhardt und Mende, bei Ihnen als Krankheitsbild keine Anerkennung findet. Das hat sich insbesondere schon gezeigt für Herrn Ehrhardt in seinem Gutachten aus dem Jahre 1958, das er zu kriminalpsychiatrischen Fragen und auf Fragen der Behandlung der großen Strafrechtskommission erstattet hat und das das Bundesjustizministerium Bonn 1958 im Rahmen der Materialien zur Strafrechtsreform veröffentlicht hat. Ich habe früher schon wenige beiläufig, wenige Zitate hieraus gegeben, etwa Ehrhards These, am Krankheitsbegriff sei festzuhalten, nämlich an dem biologischen Krankheitsbegriff sei festzuhalten, um einer bedenklichen Ausweitung der eingeschränkten oder aufgehobenen strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit zu begegnen. Das heißt also, eine teleologische Interpretation des Krankheitsbildes zugunsten einer effektiven Strafverfolgung. Diese Vorstellung, es gibt weitere Beispiele hier aus dem Jahre 1958., auf deren Zitierung ich hier und heute verzichte, weil spätere Äußerungen die bezeichnender sind, vorliegen. Jene Krankheitsauffassung und jene Auffassung zur Rolle der Psychiatrie innerhalb der Justiz hat Eingang gefunden dann in die Entwürfe 1960 und 1962 für ein Strafrechtsreformgesetz, also eine Totalreform des Strafgesetzbuches, die, ich glaube, heute in der Strafrechtslehre ohne wesentliches Bestreiten als Rückfälle, ich spreche über die Entwürfe 60 und 62, Rückfälle in das Strafrechtsdenken des vorigen Jahrhunderts zu würdigen sind. Sie sind darum auch verworfen worden. Ich erspare mir Einzelheiten. In einer eigenen Schrift aus dem Jahre 1972 habe ich mich kritisch gerade mit dem Entwurf 62 auseinandergesetzt und im einzeln belegt wie der Entwurf 62. Das Ergebnis also einer achtjährigen Arbeit zur großen Strafrechtsreform hinter all das zurückgeschritten ist, was bereits seit den 20 Jahren für eine Reform des Deutschen Strafrechts gefordert worden ist. Und daran ... Würden Sie ver- [2550] zeihen, wenn ich einen Moment unterbreche. Kollegin Rogge möchte zur ...

Vors.:

Frau Rechtsanwältin Rogge bitte.

RA’in R[ogge]:

(Rechtsanwältin Rogge spricht ohne Mikrofon, daher unverständlich).

Protokollführer:

Frau Rechtsanwältin, bitte Mikrofon einschalten.

RA’in R[ogge]:

Ich muß Herrn Heldmann unterbrechen aus der Erfahrung, daß, wenn Anträge am Ende der Sitzung gestellt werden, sie entweder nicht entschieden werden oder abgelehnt werden und zwar gehört zu dem Antrag, den wir vorhin gestellt haben zu der Art der Verhandlungsführung, zu der Erklärung in der nächsten Woche und vielleicht in den Tagen danach, der Antrag, den Gefangenen und zwar von Freitag bis Montag, d.h. einschließlich Sonnabend und Sonntag und für die laufende nächste Woche jeweils vier Stunden am Tag Umschluß zu gewähren und zwar ...

Vors.:

Frau Rechtsanwältin, außerhalb der Hauptverhandlung. Es ist nicht Gegenstand der Hauptverhandlung.[53]

RA’in R[ogge]:

Nein, Herr Vorsitzender, das gehört zu der Erörterung, wie die Verhandlung in der nächsten Woche zu laufen hat. Wir müssen das jetzt entscheiden, weil es die existentielle Voraussetzung dafür ist, daß diese Erklärung in der nächsten Woche gemacht wird, das ist eine kollektive Erklärung auf die kollektive Anklage, das setzt voraus, daß die Gefangenen miteinander sprechen können und diese Erklärung vorbereiten können. Das können Sie jetzt nicht außerhalb der Hauptverhandlung verlegen, das ist unmöglich, sondern das müssen Sie jetzt entscheiden. Wir haben deswegen auch Herrn Heldmann unterbrochen, das können Sie jetzt nicht damit verweisen, daß Sie es irgendwo aus der Hauptverhandlung rausschieben.

Vors.:

Ja, der Antrag ist entgegengenommen, es wird außerhalb der Hauptverhandlung darüber entschieden. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann bitte.

Angekl. R[aspe]:

Ich möchte dazu auch noch was sagen.

[2551] Vors.:

Nein, jetzt hat Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann das Wort. Dazu wird jetzt nicht mehr debattiert. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

Angekl. B[aader]:

-spricht im Hintergrund ohne Mikrofon, daher unverständlich-

Vors.:

Das, Herr Baader, wir haben jetzt den Gegenstand des Antrags gehört. Sie können außerhalb der Hauptverhandlung Ergänzungen bringen so viel Sie wollen dazu. Das steht Ihnen völlig frei. Aber jetzt wird nicht über diese Frage debattiert, noch entschieden.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, können wir dann außerhalb der Hauptverhandlung heute Ihre Entscheidung über diesen Antrag erwarten.

Vors.:

Das kann ich Ihnen nicht zusagen. Ich weiß ja nicht, wie lange die Verhandlung dauert. Aber ich werde mich selbstverständlich bemühen, die Entscheidung rasch zu treffen, hier wird sie nicht entschieden.

Angekl. B[aader]:

... und jedes Mal ist es eine Ablehnung.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

Angekl. B[aader]:

... Sie drängen Anträge aus der Hauptverhandlung ...

Vors.:

Herr Baader, ich habe Ihnen das Wort nicht erteilt. Ich muß Sie darauf hinweisen, auch das, wenn Sie sich das Wort auf diese Weise nehmen, ist eine Störung der Hauptverhandlung. Sie haben gehört, der Antrag ist bekannt gegeben worden. Er ist zur Kenntnis genommen worden. Weitere Zusätze können außerhalb der Hauptverhandlung gemacht werden und hier wird nicht darüber entschieden. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, ich bitte Sie jetzt in der Begründung Ihres Antrags fortzufahren.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, wir sollten ja nicht übersehen, daß die Entscheidung über diesen Antrag doch sehr relevant dafür ist, daß in der nächsten Woche, wie angekündigt, diese Sacherklärungen der Angeklagten auch vorliegen und vorgetragen werden können.

[2552] Vors.:

Ich versichere Ihnen, daß jetzt über diesen Antrag nicht entschieden wird. Das ist kein Gegenstand der Hauptverhandlung.

Wir haben die Möglichkeit, das außerhalb der Hauptverhandlung zu tun und das wird auch geschehen. Ich darf Sie jetzt bitten, in der Begründung fortzufahren. Die Hauptverhandlung mit ihrer drei Stunden Verhandlungszeit ist nicht dazu da, daß wir jetzt Dinge erörtern, die nicht in die Hauptverhandlung hereingehören. Ich lehne das auch ab, daß das weiterhin jetzt die Verhandlung und den Zeitablauf hier auffrißt.

RA Dr. H[eldmann]:

Herr Vorsitzender, eine ganz kurze Frage. Dürfen Verteidiger im Anschluß an die, des Ende der heutigen Sitzung zu Ihnen kommen in dieser Frage?

Vors.:

Gerne, selbstverständlich.

RA Dr. H[eldmann]:

Gut, danke.

Vors.:

Bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich habe Eingangs fünf Komplexe genannt, die diesen Ablehnungsantrag rechtfertigen. Ich belege das, was ich hier im einzelnen als die fünf Komplexe bezeichnet habe, ich belege sie mit Schriftstellen aus Publikationen der Professoren Ehrhardt und Mende, wobei ich mit Ehrhardt beginne. Ich zitiere aus der mir vorliegenden letzten Schrift zur Sache. Das ist sein Beitrag zur Festschrift zum 70. Geburtstag von Professor Bürger-Prinz, Stuttgart, 1968 erschienen.

Ende von Band 133

[2553] Da beginnt es etwa, die, wo die, die strafrechtliche Relevanz psychiatrischer Aussagen anhebt mit dem Postulat, die Notwendigkeit, die Zwischenstufe der verminderten Schuldfähigkeit zu erfassen, sei darin begründet, damit es nicht zu einer Vermehrung der Freisprüche komme, Seite 275. Seite 276 sogenannte Kern- oder Charakterneurosen, die gelegentlich einmal forensisch bedeutsam werden können, die aufgeklärte Medizin noch die forensische weiß es besser, erwachsen aber und darauf wiederum kommt es mir an, erwachsen aber in aller Regel auf dem Boden einer primärpersönlichen Abartigkeit, aus einer bestimmten konstitutionellen Bereitschaft, das heißt also die Legierung abartiger Verhaltensweisen resultieren aus Umweltsbedingungen, insbesondere in der Heranwachsende-Zeit. Weiter ebenfalls auf Seite 276: Die Vorschrift, er meint also den heutigen Paragraphen 21[StGB],[54] geht aus wohlerwogten Gründen davon aus, daß in der Regel von dem Betroffenen in dem Umfang, als die Rechtsordnung eine soziale Anpassung fordern muß, beherrscht werden können. Das heißt also, in der Tat, wo er eine Seite vorher noch eingeräumt hat, daß nicht zu leugnen sei, daß es gerade Abstufungen von Zurechnungsfähigkeit, von Schuldfähigkeit gebe, hier aber bereits diese Aussage widerrufen wird, im Interesse effektiver Strafverfolgung mit dem Postulat, das auf keine medizinische psychiatrische Grundlage sich berufen kann, nämlich des Postulats, jeder Rechtsgenosse hat die Fähigkeit, in dem Umfang, als die Rechtsordnung soziale Anpassung fordert, diese auch zu leisten. Auf Seite 277: An dem Merkmal der Erheblichkeit einer psychischen Störung wird festgehalten, um Beeinträchtigungen geringeren Grades, wie Sie zum Beispiel gerade bei Kapital-, Trieb- oder Hangverbrechen regelmäßig vorliegen, als für die Schuldfähigkeit unwesentlich zu kennzeichnen. Wie irrig, und wie längst überholt gerade eine solche Aussage ist, das hat das Schicksal des Jürgen-Bartsch-Prozesses[55] erwiesen, in dem in erster Tatsacheninstanz ein Kollege aus dieser psychiatrischen Gesellschaft des Herrn Ehrhardt begutachtet hat, Herr Bresser, und erst als Sachverständiger Tobias Brocher am Freudinstitut Frankfurt erkannt hat, inwieweit Schuldfähigkeit hier zu ver- [2554] neinen sei und wieweit ein Krankheitsbild anzunehmen sei.

Die Randbemerkung zum Stand, zur Frage, auf welchem Stand seiner Wissenschaft befindet sich der Sachverständige Professor Ehrhardt? Er schreibt weiter und das finde ich besonders bezeichnet auf Seite 279: Der Hinweis auf die Bedürfnisse der täglichen Gerichtspraxis erscheint den Verfassern des Alternativentwurfs 66[56] offenbar als eine Sünde wider den Geist. Hier setzt er sich nämlich mal kritisch mit einer anderen Richtung auseinander, das ist diejenige forensisch psychiatrische Richtung, die der Alternativentwurf der sogenannten 16 Alternativprofessoren, der Alternativentwurf 66 seinen Bestimmungen über Zurechnungsfähigkeit und verminderte Zurechnungsfähigkeit zugrunde gelegt hat, wofür Herr Professor Ehrhardt lediglich die Abqualifizierung empfindet. Alternativentwurf, für den eine Reihe junger, welches das in Anführungsstriche setzt, Strafrechtslehrer verantwortlich zeichnet. Deswegen könne man mit Rücksicht auf die Alltagspraxis des Gerichts, nicht wie jene angeblich es beabsichtigten, Störungen psychischer Art, die also nach der Auffassung der Alternativprofessoren Krankheitswert haben, im Sinne der heutigen [§§ ]20 und 21 Strafgesetzbuch, früher[§ ]51, 1 und 2[ StGB], krankhafter Art totzuschweigen, mit Rücksicht auf Alltagspraxis des Gerichts oder irgendwie unter der Hand zu lösen. Die letztgenannten, so wie der Herr Ehrhardt wörtlich, dunklen Absichten, werden vor allem den psychiatrischen Sachverständigen angekreidet. Das klingt zwar recht jugendfrisch und angriffslustig, ist aber kein ernsthafter Beitrag zur Lösung unseres Problems. Zu seinem, des forensischen Psychiaters Ehrhardt, Problem mit Sicherheit nicht. Die differenzierende Lösung, so fährt er auf Seite 280 fort - ich lese Ihnen nicht alles vor, sondern nur wenige, ausgesuchte Zitate - die differenzierende Lösung ist für die Gerichtspraxis vorteilhafter, keine Rede also davon, was fachwissenschaftliche Einsicht geböte, ist für die Gerichtspraxis vorteilhafter, weil nämlich dann nur eine verschwindend geringe Zahl von Fällen verbleibt, die Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer forensischen Beurteilung bereiten.

Das heißt, Herr Ehrhardt, wiederum eine Anmerkung, begreift sich,

- Herr Regierungsdirektor Widera verläßt um 16.28 Uhr den Sitzungssaal. -

[2555] als den Zuträger für die Strafjustiz, als der Gehilfe für die Strafverfolgung und er sagt an anderer Stelle, Seite 280, je mehr sich der juristische vom medizinischen Krankheitsbegriff entfernt, um so mehr muß er sich einem sozialen oder soziologischen Krankheitsbegriff annähern, weil das faktische Sozialverhalten, oder besser Fehlverhalten, unvermeidlich zum entscheidenden Kriterium in ihm wird. Jedes Verbrechen ist aber zweifellos Symptom einer sozialen Krankheit und das Gewaltverbrechen ebenso unzweifelbar ein Symptom für die besondere Schwere einer solchen Krankheit. Der Spielraum für den in diesen Fragen versierten Verteidiger, der die geeigneten Sachverständigen beizuziehen versteht, würde damit erheblich größer und für den Angeklagten käme es ganz entscheidend darauf an, eben diese Verteidiger und diese Sachverständigen zu gewinnen, dann sollte man doch gleich das Konzept des Schuldstrafrechts[57] ganz aufgeben. Einmal wiederum, ein Beleg dafür, welches Rollenverständnis Herr Ehrhardt für sich selbst hat, als forensischer Psychiater, und zum übrigen ist das, was er hier sagt, auch faktisch falsch, er hat nämlich keine Kenntnis genommen von den ausführlichen Ergebnissen der rechtsvergleichenden Betrachtungen, die ebenfalls seit 1954, 55, 56 als drei Bände der Materialien zur großen Strafrechtsreform in eben dieser Reihe dem Bundesjustizministerium und damit aber auch der Öffentlichkeit vorliegen. Herr Ehrhardt besonders aufschlußreich auf Seite 282: Stellen wir uns noch die Frage, ob sich dem einschlägigen Schrifttum der verschiedenen Wissensbereiche seit 1961, ich erinnere, daß eine Schrift von 68 irgendwelche neuen und für die parlamentarische Entscheidung unseres Themas maßgebliche Gesichtspunkte entnehmen lassen, so kann diese Frage mit einem glatten und klaren „Nein“ beantwortet werden. Natürlich fehlt es nicht an Publikationen, vor allem, wenn man den Blick über unseren eigenen Sprachkreis hinaus lenkt. Man darf aber nicht vergessen, daß es hier um eine kriminalpolitische Entscheidung geht. Herr Ehrhardt, so füge ich an, als Gehilfe des Straf- und Verfolgungsinteresses, im übrigen läßt er mit diesem Passus, 1968 geschrieben, eine erschreckende Unkenntnis der modernen kriminalpsychiatrischen Literatur er- [2556] kennen. Das kann man leicht in jeder einschlägigen Bibliothek feststellen. Und nun kommt von besonderen Bedeutung, so meine ich, der Passus auf Seite 283, wo Herr Ehrhardt, nämlich von dem Postulat als Zwangsläufigkeit für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung spricht, daß er dem Schuldprinzip, reiner Glaubenssatz, aus historischen Zeiten der Strafrechtswissenschaft, absolut festzuhalten sei und führte dazu aus: Die Unfreiheit ist aber keine solche Erkenntnis, deswegen glaubt ein Bekenner des elektronisch kybernetischen Menschenbildes, der Maschinentheorie des Lebens, der Unfreiheit mit allen ihren Konsequenzen und dafür zitiert er, wie zum Beispiel Fritz Bauer, als Eiferer, als Glaubenskämpfer, als Heiliger Krieger auftreten zu müssen. Bei allem Respekt, so fährt Herr Ehrhardt hier fort, wo er die Person und das Wirken des Reformjuristen Fritz Bauer[58] würdigt, bei allem Respekt vor der[ee] weltanschaulichen Überzeugung[ff] eines[gg] Menschen kann man allerdings den Versuch einer Rechtfertigung, der mit so viel Eifer und Kostenaufwand betriebenen Verfolgung von NS-Verbrechern nur noch als peinlich empfinden, zumal der Autor amtierender Generalstaatsanwalt und rastloser Motor dieser Verfolgungsaktion ist. Ihnen brauche ich nicht in Erinnerung zu rufen, wer Fritz Bauer war. Fritz Bauer war nach meiner eigenen Einschätzung, ich habe jahrelang ihn gekannt und mit ihm auch zusammengearbeitet, nach meiner eigenen Einschätzung, der glänzendste Reformjurist, den es in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat und dessen Reformstreben zu einer Humanisierung des Strafrechts und vor allem des Strafvollzugsrechts in der Bundesrepublik einmalig geblieben sind. So also der forensische Psychiater zu dem ersten Reformjuristen dieser Republik, dem er, ich denke, daß Sie es nicht überhört haben, dem er besonders ankreidet, seine Verfolgung von NS-Gewaltverbrechern, die [hh] nur noch als peinlich empfunden werden können. Auf Seite 285: Fritz Bauer und solche, die sich seiner Reformrichtung zuziehen seien, so heißt es dort weiter, sind[ii] geradezu blind hinsichtlich der revolutionären Folgen ihrer Vorstellung vom Zukunftsmenschen für die Gemeinschaftsordnung. Wie wäre es, fragt unser Sachverständiger hier, mit der Freiheit von Staaten und Völkern gestellt, wenn der einzelne Staatsbürger nicht einmal über soviel freiheitliche Selbstbestimmung [2557] verfügte, daß er Eigentum und Leben seines Nachbars respektieren kann, daß der Staat dieses Sozialverhalten fordern darf und gegebenenfalls erzwingen muß, mit welchem Recht kann man von einem Staatsbürger als konditionierter und beliebig kollationierbarer Automat, also die Rückblende auf die Qualifizierung von Fritz Bauer erwarten oder gar verlangen, daß er sich in der Wahl der Staatsform verantwortungsbewußt für die Freiheit und gegen die Tyrannis entscheidet. So als forensischer Psychiater, das heißt als Arzt, der als Sachverständiger einem Gericht dienen soll, der Sachverständige Ehrhardt. Dazu paßt, wie er in einer Laudatio zum 25jährigen Bestehen, ich glaube es war das 25jährige, seiner[jj] Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde, zum Schluß seiner Festansprache nicht umhin kommt, nicht umhinkommen konnte, auf ein dunkles Kapitel dieser forensischen Psychiatrie in der vergangenen Geschichtsepoche dieses Staates zu kommen und ich setze das in Beziehung zu seiner Qualifizierung, des Reformjuristen Fritz Bauer, dort nichts und dessen Abqualifizierung seiner NS-Verbrecherverfolgung, dort für[kk] das, was Psychiater in den Jahren der NS-Zeit verbrochen haben, nichts anderes zu sagen weiß, als: abschließend zu dieser Periode, es ist die NS-Periode, muß festgestellt werden, daß die damalige Vertretung der Psychiater trotz ihrer scheinbar weitreichenden Befugnisse ex officio niemals Aktionen wie die Euthanasie gedeckt, befürwortet oder gefördert hat. Auch deswegen sind die wiederholten Versuche, das[ll] Fehlverhalten oder die Verbrechen einzelner Psychiater dieser Zeit der Deutschen Psychiatrie anzulasten, als objektiv unbegründet zurückzuweisen. Das Verständnis des Herrn Ehrhardt von seiner Rolle, als Psychiater und von der Rolle der Psychiatrie, die beliebig jedem System zu dienen bereit ist, ich möchte für die Gegenwart keine Namen nennen, sie sind ja im ganzen Saal bekannt, das ist das Verständnis des Sachverständigen Ehrhardt und seine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seines Berufsstandes. In seinem umfangreichen Werk „Soziale[mm] und angewandte Psychiatrie“, im Springer-Verlag Berlin-Göttingen, also nicht in dem des Axel, Berlin-Göttingen, Heidelberg 1961, wie es also ein Hauptwerk der konservativen Psychiatrie gewertet wird, finden sich folgende Stellen, [2558] die ich hier zum Beleg für meine Ablehnungsgründe kurz zitieren muß. Auf der Seite 183 enthüllt sich Herr Ehrhardt abermals. Es heißt dort: „Als verständliche Reaktion auf die nationalsozialistische Ära herrscht noch heute eine ängstliche Scheu vor jedem Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Sphäre des persönlichen auf fast allen Rechtsgebieten. Die in der Rechtsprechung verbreitete Tendenz zur Verabsolutierung des Persönlichkeitsrechts, die Unterschätzung seiner Relativität und seiner notwendigen Limitierung dürfte ein zeitgebunden typischer Ausdruck der allgemeinen Unsicherheit im Bereich des ethischen und des weltanschaulich-religiösen sein.“ So Herr Ehrhardt von der Aufgabe des forensischen Psychiaters in der Bundesrepublik heute.

Seite 191: Für den Psychiater am wichtigsten ist die Möglichkeit der Durchführung diagnostischer Eingriffe, wie Lumbal- und Subokzipitalpunktion. Das sind Eingriffe, die in wiederholten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als unzulässig verworfen worden sind. Luftencephalographie und zerebrale Artereographie auch gegen den Willen des Beschuldigten gem. § 81 StPO.[59] Ist der zu Untersuchende einverstanden, kein Problem. Im Falle der Weigerung bedarf es einer besonderen Anordnung des Richters, die der Sachverständige mit einer entsprechenden Begründung beantragt. Fühlt man sich nicht hier, wie an anderer Stelle, die ich aus Ehrhardts Schriften zitiert habe, erinnert an Mitscherlichs bekannt gewordenes Werk: Medizin ohne Menschlichkeit. Herr Ehrhardt so auf Seite 191. Auf Seite 197 dieses, seines Standardwerks, finden wir folgenden Passus: Eine nähere Betrachtung zeigt aber, daß auch das Persönlichkeitsrecht kein absoluter Wert ist, weil das menschliche Individuum nur als Glied einer Gemeinschaft zu existieren vermag. Das ist also fast wortgetreu der NS-Sprachgebrauch, zu Ende gedachtes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit bedeutet das Chaos. Also auch das Selbstbestimmungsrecht des Kranken hat seine Grenzen, die der Arzt in der Regel besser überschaut als der Patient. Diese Stelle ist so stark, finde ich, daß jeder Versuch einer Kommentierung sie in ihrer Aussage nur schwächen könnte. Seite 204: Da geht es um das, was Herr Ehrhardt als seine Pflicht zur [2559] Herausgabe von ärztlichen Aufzeichnungen versteht. Und dazu sagt er: Im übrigen hat der Arzt immer aus[nn] eigener Verantwortung über die Herausgabe der Aufzeichnungen zu entscheiden. Dabei wird er sich vor den praktischen Bedürfnissen gerade auch in der Gerichtsbarkeit keineswegs verschließen. Der Arzt als Zuträger für die Justiz und der Bruch seines strafrechtlich sanktionierten Arztgeheimnisses. Der Sachverständige Professor Ehrhardt. Aus Seite 206 zitiere ich, hier spricht er zur Schweigepflicht: „Einem Arzt mit klaren ethischen Vorstellungen wird es in der Regel nicht schwer fallen, der Schweigepflicht den ihr zukommenden Platz, in dem sein Handeln bestimmenden Ordnungsgefüge der Werte zu geben“, das heißt, der Sachverständige Ehrhardt, der hat sein eigenes Ordnungsgefüge der Werte, wie die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes zu würdigen sind aus seiner Sicht hat er uns vorher schon verraten, und nach seinem eigenen Ordnungsgefüge der Werte entscheidet er selbst unabhängig etwa von § 300 des Strafgesetzbuches,[60] ob er seine Schweigepflicht einzuhalten oder etwa zugunsten der Justiz, justizieller Verfolgung oder justizieller Maßnahmen zu brechen habe. Und schließlich aus diesem Standardwerk ein letztes Zitat. Er, der Sachverständige, darf in der Begutachtung niemals von einem ihm persönlich noch so richtig und wichtig erscheinenden Konzept anderer Art, einer neuen und scheinbar überzeugenden Theorie ausgehen um nicht die für ihn entscheidende Fragestellung und die ihm zukommende Antwort zu verfehlen. Der Wortlaut und der Sinn gesetzlicher Vorschriften, wie er in Lehre und Rechtsprechung erarbeitet wurde, sind für den Gutachter maßgebend, nicht seine eigene wissenschaftliche und weltanschauliche Sicht der Probleme. Deutlicher, das soll das Schlußzitat aus diesem Elaborat sein, konnte nicht gesagt werden, wie der Sachverständige Professor Ehrhardt seine Aufgaben versteht, seine Arztpflicht, sein Beruf als Arzt ist unterzuordnen den Bedürfnissen, den Bedürfnissen einer Justiz, die er[oo] im übrigen als Gott gegeben und unfehlbar ansieht und danach bleibt für ihn als Sachverständigen zu freier Entscheidung nicht mehr die Möglichkeit, etwa sich auf seinen sogenannten hypokratischen Eid oder einfach auf normierte Berufspflichten etwa aus der Bundesärzteordnung oder solche, wie[pp] sie im Strafgesetzbuch [2560] sanktioniert sind, zurückzuziehen. In diesem Zusammenhang weise ich ferner hin auf Ehrhardts Schrift über chemische und psychische Aussagebeeinflussung, einen Vortrag vor der juristischen Studiengesellschaft in Karlsruhe, am 8. Oktober 54, in der Schriftenreihe der juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, das Heft 14 veröffentlicht. Dazu nur wenig Zitate, es geht also um die Frage, der Ehrhardt hier sich[qq] vorlegt, ob auch der Psychiater, der forensische Sachverständige, etwa gebunden sei an das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden, also an den Ausschluß sogenannter verbotener Vernehmungsmethoden nach § 136a StPO[61] zum Beispiel, befaßte[rr] sich hier mit chemische und psychische Aussagebeeinflussung unter anderem Narkoanalyse, unter anderem Hypnose, unter anderem die Eingabe chemischer Mittel, wie [ss] Evipan und anderes. Dazu wenige Zitate. Betrachten wir die Relation von Persönlichkeitsrecht und Wahrheitsfindung, dann erscheint zweifelhaft, bei einem Mörder die Prozeßsubjekteigenschaft anzunehmen, als die in jedem Fall wertvollere und unter allen Umständen zu schützende, zu schützendes Rechtsgut. Seite 23. Das heißt also, gegenüber den Grundrechten des Menschen, Grundrechtekatalog unserer Verfassung, Würde des Menschen, die Freiheit der Person, die Unantastbarkeit der körperlichen Integrität, da wägt[tt] der forensische Psychiater Ehrhardt ab, mit der Folge, Strafverfolgungsinteressen stehen höher als der Schutz der grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechte. Eine letzte Frage, die ich zu beantworten versuchen vermöchte, so breitet er sich auf Seite 26 aus, ist die nach der Berechtigung des Arztes zur Anwendung der Narkoanalyse und ähnlicher Methoden im Rahmen der Untersuchung und Beobachtung gem.[§ ]81 StPO. Wie Sie nach dem Vorangegangenen wohl kaum noch anders erwarten werden, bejaht er diese Frage, nämlich, die Tätigkeit des Sachverständigen wird dem durch das Beweisthema umgrenzenden Beweisbeschlusses gerichtsbestimmt. Innerhalb dieses Rahmens jedoch ist der Sachverständige grundsätzlich selbständig. Er spricht von der weitgehenden Freiheit und Selbständigkeit hinsichtlich der ihm zur Lösung seiner Aufgabe geeignet erscheinenden Wege. Für die forensisch psychiatrische Untersuchung von Delinquenten und Zeugen gelten prinzipiell die [2561] gleichen Gesichtspunkte, die auch sonst das verantwortungsbewußte Handeln des Arztes in Diagnostik und Therapie zu bestimmen haben, und schließt daran die Frage, wer in einem solchen Fall die Anwendung einer Narkoanalyse [uu] im Rahmen einer vom Gericht angeordneten Untersuchung nach [§ ]81a[ StPO], zu ärztlich diagnostischen Zwecken, nach geltendem Recht zulässig oder nicht, es wird Sie nicht erstaunen, daß der Sachverständige Ehrhardt diese Frage beantwortet und zwar kurzerhand. Die Beantwortung dieser Frage dürfte nicht zweifelhaft sein, die Narkoanalyse ist eine nach [§ ]136a StPO verbotene Methode zur Vernehmung eines Beschuldigten bei der Tatbestandsermittlung, genauso wie jede Form von Zwang, die für die, die für das kriminalistische Ermittlungsverfahren geltenden Grundsätze lassen sich nicht auf das forensisch psychiatrische Untersuchungsverfahren übertragen, [§ ]136 [ StPO] bezieht sich ausschließlich auf die Vernehmung des Beschuldigten durch die Strafverfolgungsbehörden. Einen entsprechenden Hinweis bezüglich der Handlungsfreiheit des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist gesetzlich nicht vorgesehen, diese Klarstellung nennt er das, diese Klarstellung erscheint mir im Interesse der Erhaltung der ärztlichen Handlungsfreiheit gerade auch im Rahmen der forensischen Begutachtung notwendig und so rechtfertigt er Narkoanalyse, Polygraph, chemische Injektionen und setzt darauf die Tendenz, die Forderung nach der absoluten Freiheit des ob und wie, der Äußerungen eines Beschuldigten im Strafverfahren, läßt sich offenbar nicht auf die Untersuchung gem [§ ]81 StPO übertragen.[62] Die Begutachtung im Rahmen des [§ ]81 StPO hat nichts mit Beweisaufnahme zu tun. Hier geht es nicht um die Prozeßsubjekteigenschaft eines Beschuldigten, beachten Sie das, Prozeßsubjekt, oder sagen wir doch schlicht, wie er es auch meint, die Subjekteigenschaft eines Patienten, weil nicht nach seiner strafbaren Handlung, sondern nach seiner Persönlichkeit, seinem Geisteszustand, seiner Zurechnungsfähigkeit gefragt ist. Danach begründet er, Seite 31 folgende, seine Auffassung, daß die Narkoanalyse keine rechtliche Sonderstellung unter den psychodiagnostischen Methoden bei der Untersuchung gem. [§ ]81 StPO zugestanden werden kann, [2562] das heißt, der forensische Psychiater sei frei, derartige Untersuchungsmethoden, wie [§ ]136a StPO sie verbietet hier, um zu einem gerichtsverwertbaren Gutachten zu kommen, anzuwenden, und aufschlußreich, die Willensentschließungsfreiheit, beziehungsweise, die Prozeßsubjekteigenschaft des Beschuldigten ist bei allen psychodiagnostischen Methoden mehr oder weniger eingeschränkt. So auch bei der Narkoanalyse. Die Möglichkeit, daß sich im Lauf einer ärztlich diagnostischen Narkoanalyse bei einem Beschuldigten Hinweise auf den Tathergang und das Tatmotiv ergeben, besteht ebenso bei den sonstigen psychologisch psychiatrischen Untersuchungen, da der Arzt mit dem Ermittlungsverfahren nichts zu tun hat, ist seine Fragestellung nicht auf den Tatkomplex gerichtet und er wird nur in Ausnahmefällen eventuell verwertbare Angaben über die auszuklärende Straftat bekommen. Diese Gefahr ist aber bei der Narkoanalyse kaum größer als bei den sonst üblichen Untersuchungen. Danach besteht keine Veranlassung, der Narkoanalyse eine Sonderstellung unter den anderen psychodiagnostischen körperlichen Untersuchungsmethoden bei der forensisch psychiatrischen Begutachtung einzuräumen, und um etwaigen Einwendungen gegen solche prähistorischen Auffassungen vom Beruf des oder der Berufung des psychiatrischen, des forensischen psychiatrisch Psychiaters zu entgehen, fügt er an, anderenfalls zeichne sich unüberwindbar die Gefahr eines schweren Einbruchs in die ärztliche Handlungsfreiheit ab. Wenn also die Vorschrift über die verbotenen Vernehmungsmethoden auch für die ärztliche Begutachtung gemäß [§ ]81[ StPO] gelten würden, wäre praktisch jede psychologische Untersuchung ausgeschlossen. Bedarf es nach diesen Zitaten, die nicht vollständig sind, noch der Anmerkung, daß selbstverständlich die Angeklagten sich jeglicher Begegnung mit Herrn Professor Ehrhardt als Sachverständigen enthalten müssen. Zu Herrn Mende. Herr Mende hat unter anderem ...

Ende Band 134.

[2563] Vors.:

Herr Dr. Heldmann

RA Dr. H[eldmann]:

Die Angeklagten sagen, sie können nicht länger folgen.

Vors.:

Ja, wir haben unsere Zeit noch nicht voll, wir haben heute insgesamt 6mal Pausen gehabt, schon 6mal oder 7mal, ich weiß nicht ganz genau. Der Senat beabsichtigt, die Zeit voll auszuschöpfen, die uns durch die ärztlichen Gutachten nach dem gegenwärtigen Stand unserer Erkenntnisse gegeben ist. Ich möchte also nicht viel von dieser Zeit verlieren. Ich bin gerne bereit, eine Pause von 10 Minuten einzulegen, wenn das etwas nützt. Darüber bitte ich aber rasch Bescheid ...

RA Dr. H[eldmann]:

Mit einer Pause von 10 Minuten ist ja angesichts dieses Zustands, wenn Sie ein bißchen näher kommen können Sie sich ja selbst überzeugen, nicht getan. Darf ich daran erinnern, daß diese Dreistundenregelung die ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt ...

RA Dr. H[eldmann]:

... begrüßen, in vernünftiger, und einsichtiger und nicht kleinlicher Weise verwertet und gehandhabt werden soll.[63]

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, der Satz wird zwar von Ihnen in Anspruch genommen, und ich bin mir nicht schlüssig, für wen er gilt. Ich habe mich auch einer Rückfrage in dieser Richtung enthalten, ich meine, ihn kann auch der Senat in Anspruch nehmen. Nun darf ich Sie also bitten, fortzufahren, es sei denn, eine kurze Pause würde zu irgendeiner Änderung führen.

RA Sch[ily]:

Ich beantrage:

Die sofortige Vorladung und Anhörung der Sachverständigen Müller und Schröder, und die Herren Sachverständigen mögen sich dann auch durch Untersuchung der, des gegenwärtigen[vv] Zustandes der Gefangenen davon überzeugen, daß es keine Möglichkeit mehr gibt, zu diesem Zeitpunkt weiter der Verhandlung zu folgen.

[2564] Vors.:

Herr Dr. Heldmann, wie lange würde Ihr Antrag noch dauern?

RA Dr. H[eldmann]:

Der würde noch eine Dreiviertelstunde dauern.

Vors.:

Das heißt also, der Antrag wird wieder in den nächsten, in die nächste Verhandlungswoche hineinragen, obwohl uns gesagt worden ist, daß diese Verhandlungswoche dazu dienen soll, daß die Angeklagten sich äußern können.

RA Sch[ily]:

Herr Baader hat ja gesagt, wenn die Anträge, wenn heute für den, der Zeitraum nicht mehr ausreichen kann für die Anträge, daß dann eben notfalls der Beginn des ersten Verhandlungstages ... Also ich sehe nicht, warum das nun also die Komplikation sein soll.

RA Dr. H[eldmann]:

Darf ich Ihnen einen Kompromiß vorschlagen.

Vors.:

Ja, bitte.

RA Dr. H[eldmann]:

Daß ich meinen heutigen Antrag auf die Ablehnung von Professor Ehrhardt beschränke und damit wäre ich allerdings am Ende.

RA Sch[ily]:

Ja, der Kompromiß ist insofern also nicht ganz möglich, weil ich natürlich auch beabsichtige, hier für meine Mandantin noch dazu Stellung zu nehmen und ich im übrigen darauf bestehen muß, wenn hier in der Tat jetzt also sich[ww] ein Zustand abzeichnet, wäre ein weiteres, also über einen längeren Zeitraum, Dreiviertelstunde hat der Kollege Heldmann, ich weiß nicht, wie lange ich noch da zu reden hätte, daß das nicht möglich ist. Wobei nun wirklich also auch in der[xx] kommenden Woche nicht, ich nicht mehr vorstellen kann, daß das dann allzuviel Zeitraum noch in Anspruch nehmen kann. Ich könnte mir vorstellen, wenn ich jetzt nur noch die Dreiviertelstunde höre, am Dienstag meinethalben von Herrn Kollegen Heldmann, daß ich vielleicht[yy] einiges sogar von den Ausführungen, die ich jetzt im Kopf habe, noch erübrigen könnte. Aber ...

[2565] Vors.:

Aber Herr Rechtsanwalt, vielleicht wäre das ein Gegenvorschlag, nachdem zunächst mal der Antrag sich nur auf Herrn Professor Dr. Ehrhardt bezieht, könnten Sie, soweit ist der Antrag bereits vollständig gestellt, gleich Stellung nehmen, wenn Sie sich anschließen wollen. Herr Dr. Temming.

Gerichtsreferendar[zz] Dr. T[emming]:

Ja, ich möchte darauf hinweisen, daß möglicherweise auch die Gefangenen dazu Stellung nehmen wollen und ich merke[aaa] weiterhin an, daß das für Sie offenbar nicht mehr möglich ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß das selbst für einen Menschen, der im Vollbesitz seiner Gesundheit sich befindet, anerkannter und wissenschaftlich fungierter Maßen kaum möglich ist, länger als 1 Stunde an einem Vortrag konzentriert zuzuhören, daß selbst also einer, der nicht unter den Bedingungen, den Isolationsbedingungen steht[bbb], wie die Gefangenen, größte Schwierigkeiten hätte, eine weitere Dreiviertelstunde bewußt und aufnahmefähig zuzuhören, so daß die, der, also daß gerade dieses Schriftstück der Sachverständigen daraufhin untersucht werden muß, was die eigentlich unter Verhandlung verstehen. Ich kann mir schlichterdings nicht vorstellen, daß die Sachverständigen von der Verhandlung zum Beispiel verstanden haben, auf den drei, etwa dreistündigen Vortrag eines[ccc] ganz bestimmten Antrages, das schafft kein Mensch, da konzentriert die ganze Zeit[ddd] zuzuhören.

Vors.:

Herr Dr. Heldmann, bitte das Wort.

RA Dr. H[eldmann]:

Dann bitte ich das Gericht doch, die Fortsetzung meines Ablehnungsantrages am Dienstag vorlesen zu können.

Vors.:

Ja, aber wir hätten jetzt noch die Möglichkeit, wenigstens einen Teil ihrer Stellungnahme entgegenzunehmen, die drei Stunden sind nicht erschöpft. Es war ein Antrag gestellt, soweit ich weiß, die Sachverständigen jetzt sofort beizuziehen und zu untersuchen.

RA v[on] P[lottnitz]:

Darf ich dazu auch noch Stellung nehmen.

[2566] Vors.:

Herr Rechtsanwalt von Plottnitz, ich meine, wir haben natürlich auf diese Weise, auch das sieht das Gericht, das will es auch gar nicht verhehlen, jetzt[eee] das Bild, daß es heißt, entweder macht ers und[fff] macht Schluß oder wir reden vollends so lange bis die Zeit vorbei ist, nicht.

Denn es ist ganz klar, daß wir so nicht weiterkommen können, wenn jetzt die ganzen Stellungnahmen zu solchen Anträgen gar nicht auszuführen sind. Ich meine, den Antrag von Herrn Rechtsanwalt Schily, jetzt die Sachverständigen beizuzitieren[ggg] und eine Untersuchung durchzuführen, kann natürlich innerhalb des heutigen Tages noch auf keinen Fall entsprochen werden.

RA v[on] P[lottnitz]:

Herr Vorsitzender ...

RA Sch[ily]:

... folgendes sagen. Was würde den eigentlich eintreten, wenn jetzt hier einer der Gefangenen am Boden läge. Könnten Sie dann auch sagen, na ja das, wir haben jetzt diese Dreistundenregelung hier und ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt wollen wir uns mit Hypothesen jetzt doch ...

RA Sch[ily]:

Nein, nein, nein ich spreche ja von der Realität. Ich spreche von der Realität, daß die ...

Vors.:

Das ist keine Realität, im Augenblick ist die Realität ...

RA Sch[ily]:

Nein, ja vielleicht, wenn Sie aber in Ihrem Vorstellungsvermögen es auch unterbringen, daß ein Gefangener, selbst wenn er nicht am Boden liegt, nicht mehr verhandlungsfähig[64] ist.

Vors.:

Ja, das kann ich unterbringen.

RA Sch[ily]:

Ja sehen Sie. Und die Gefangenen sagen, Sie können der Verhandlung nicht länger folgen und da muß notfalls eben ein Sachverständiger herbeigeholt werden, wenn Sie es so nicht entgegennehmen wollen, diese Erklärung. Es mag ja überprüft werden, dazu sind die Sachverständigen ja da.

[2567] Vors.:

Es dreht sich noch um 20 Minuten.

RA Sch[ily]:

Ja eben. Deshalb finde ich das ein bißchen, also ich weiß nicht ...

Vors.:

Ja, das mit dem Kleinlichen wie gesagt, wir wissen nicht für wen das gilt. Ich meine, jetzt wäre Gelegenheit gewesen, noch Stellung zu nehmen, zu dem Antrag betreffend Herrn Professor Ehrhardt, zumindest zu beginnen damit. Wollen Sie das partout nicht haben, weil Sie meinen, die Angeklagten haben Ihnen erklärt, Sie können nicht, wie wohl wir als Realität die Äußerung der Ärzte haben, drei Stunden könne unbedenklich verhandelt werden.

- Reg. Dir. Widera erscheint um 15.08 Uhr wieder im Sitzungssaal.-

RA Sch[ily]:

Diese Dreistundenregelung ist ja kein ...

RA v[on] P[lottintz]:

... haben keine endgültige Stellungnahme der Ärzte, daß die Gefangenen regelmäßig drei Stunden verhandlungsfähig sind. Sie haben einen vorläufigen Zwischenbescheid, in dem davon ausgegangen wird, daß zunächst bis zur Erstellung der abschließenden Gutachten von einer Regelverhandlungsfähigkeit von drei Stunden täglich auszugehen ist. Daß das mit Vorbehalt zu genießen ist, zeigt bereits der verlesene Hinweis, daß insoweit nicht kleinlich vorgegangen werden soll. Der Hinweis richtet sich ja schließlich an den Senat. Das Schreiben wurde an den Senat geschickt. Und von daher ist ganz eindeutig, wenn hier von den Gefangenen gesagt wird, es ist jetzt am heutigen Tage eine Situation eingetreten, in der es uns nicht mehr möglich ist, als Prozeßsubjekte hier teilzunehmen, dann ist das ein Gesichtspunkt, der insbesondere nach dem angeschlagenen Gesundheitszustand bereits bestätigt worden ist, von Sachverständigen, vom Senat zur Kenntnis genommen werden muß, und den gestellten Anträgen stattgegeben werden sollte.

Vors.:

Will sich die Bundesanwaltschaft dazu äußern, bitteschön.

[2568] BA Dr. W[under]:

Herr Vorsitzender, ich will die Frage, ob 3 oder 2 ½ Stunden verhandelt werden kann, nicht präjudizieren, aber vielleicht ist die Haltung, die die Bundesanwaltschaft zu dem Antrag von Herrn Dr. Heldmann einnehmen wird, für Ihre Dispositionen vielleicht von Interesse. Es werden ganz erhebliche Vorwürfe gegenüber einem Sachverständigen erhoben bevor dieser auch nur ein Wort gesagt hat. Wir müssen dazu einige Überlegungen anstellen. Nach den ersten Eindrücken ...

RA v[on] P[lottnitz]:

Darf ich mal unterbrechen ...

BA Dr. W[under]:

... erscheint es zwar so zu sein, daß die vorgetragenen Bedenken schon deswegen nicht durchgreifen können, weil hier nicht Untersuchungen im Rahmen des § 51 StGB[65] geht, sondern um Beurteilungen ...

(einige Rechtsanwälte reden unverständlich durcheinander)

BA Dr. W[under]:

... sondern, sondern um ...

Vors.:

Herr Dr. Wunder hat erklärt, er hat erklärt, daß das, was die Bundesanwaltschaft hier zu äußern habe, zu dem, was bisher vorgetragen ist, Dispositionen des Senats beeinflussen könne bezüglich Ihres Wunsches, jetzt die Sitzung abzubrechen, deswegen hat er das Wort; bitteschön weiter.

RA Sch[ily]:

Nein, Herr Vorsitzender, es geht um die Frage, und die ist sofort zu entscheiden, daß Sachverständige zugezogen werden, weil die Angeklagten nicht mehr verhandlungsfähig sind und selbstverständlich ...

Vors.:

Dazu kann sich die Bundesanwaltschaft äußern, zum Antrag.

RA Sch[ily]:

Ja, genau und da soll sich ...

BA Dr. W[under]:

Herr Rechtsanwalt ...

Vors.:

Und das tut sie eben auch, weil ...

RA Sch[ily]:

... nur dazu äußern und nicht zu der Frage des Ablehnungsgesuches [2569] des Kollegen Dr. Heldmann.

BA Dr. W[under]:

Herr Rechtsanwalt, warten Sie doch noch 2 Sätze ab von mir. Ich weiß nicht, warum Sie es[hhh] jetzt im Augenblick so hurtig haben.

RA Sch[ily]:

Ja, weil für mich das eine ... ich habe es gar nicht hurtig ...

Vors.:

Bitte, Sie haben jetzt das Wort, ich bitte vollends zu Ende zu führen.

(RA Schily spricht unverständlich dazwischen).

BA Dr. W[under]:

Ich habe im Augenblick erklärt, daß es nach den 1. Eindrücken so zu sein scheint, daß die vorgetragenen Bedenken bereits deshalb nicht durchgreifen, weil es hier nicht um Untersuchungen im Rahmen des § 51 StGB geht, sondern um etwas ganz anderes, um die Beurteilung evtl. partieller Verhandlungsfähigkeit. Wir müssen die Fragen und das, was hier behauptet wurde, aber eingehend erörtern. Wir kommen heute und das ist das Entscheidende, was ich sagen wollte, nicht mehr zu einer abschließenden Stellungnahme. Wir wollen bei unserer Stellungnahme, die wir dann erst am Dienstag abgeben können, auch Stellung nehmen zu dem Antrag, ob die Sachverständigen jetzt schon beigezogen werden sollten.

Vors.:

Gut, es setzt aber voraus, daß wir also am Dienstag, das kann die Konzeption, schon mit den Zeugen zu beginnen, nicht verwirklichen können. Wir werden zunächst mal abwarten, ob am Dienstag diese Anträge vollends zu Ende gebracht werden und sehen vor, daß dann diese Woche in der Tat, wie heute angedeutet worden ist, zur Verfügung steht für die Anhörung der Angeklagten.

Damit beenden wir die heutige Sitzung.

Fortsetzung Dienstag, 9.00 Uhr.

- Ende der Sitzung um 15.14 Uhr -

Ende Band 135


[1] Grundlage für Anordnungen im Rahmen der Untersuchungshaft war § 119 Abs. 3 StPO a.F. in Verbindung mit der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO). Die UVollzO ist kein förmliches Gesetz, sondern eine Verwaltungsvorschrift des Bundes zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft, die sich an die Leitungen der Haftanstalten richtet. Für Gerichte ist sie nicht bindend (BVerfG, Beschl. v. 19.2.1963 - Az.: 1 BvR 610/62, BVerfGE 15, S. 288, 294). Trotz der spätestens nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG zur Strafhaft (BVerfG, Beschl. v. 14.3.1972 - Az.: 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, S. 1) aufkommenden Zweifel an einer zureichenden rechtsstaatlichen (nämlich gesetzlichen) Grundlage scheiterten alle Bemühungen um ein Bundesuntersuchungshaftvollzugsgesetz. Erst nachdem mit der Föderalismusreform 2006 die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder überging, machten diese sämtlich von ihrer Ersetzungskompetenz (Art. 125a Abs. 1 GG) Gebrauch und erließen entsprechende Landesgesetze (Höflich/Schriever/Bartmeier, Grundriss Vollzugsrecht, 4. Auf. 2014, S. 229 f.; Laubenthal, Strafvollzug, 6. Aufl. 2011, Rn. 929, 933). Der UVollzO kommt daher mittlerweile keine Bedeutung mehr zu.

[2] Dr. Henck war während des Prozesses als Anstaltsarzt in Stuttgart-Stammheim tätig. Er wurde als erster Sachverständiger zur Frage der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten angehört. Zur Vernehmung des Herrn Dr. Henck s. S. 357 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (5. Verhandlungstag), S. 937 ff. (12. Verhandlungstag) und S. 1725 ff. (21. Verhandlungstag).

[3] Nach Nr. 75 der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) kann gegen Anordnungen der Anstaltsleitung Beschwerde vor Gericht erhoben werden (Abs. 1) oder - wenn die Zuständigkeit des Gerichts nach § 119 Abs. 6 StPO a.F. (heute § 119 Abs. 5 StPO) nicht gegeben ist - Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden, wenn die inhaftierte Person geltend macht, durch die Maßnahme (oder Ablehnung bzw. Unterlassen einer Maßnahme) in ihren Rechten verletzt zu sein (Abs. 3). Zuständig für die Entscheidung ist ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage das Gericht der Hauptsache (§ 126 Abs. 2 StPO).

[4] Nachdem aufgrund einer Vielzahl vorrangiger Anträge der Verteidigung die Anklageschrift erst am 26. Verhandlungstag verlesen werden konnte, steht als nächster Prozessabschnitt die Vernehmung der Angeklagten zur Sache bevor (§ 243 Abs. 4 StPO a.F.; heute: Abs. 5).

[5] S. 2436 des Protokolls der Hauptverhandlung (30. Verhandlungstag).

[6] Zum Antrag des Rechtsanwalts Schily s. S. 2244 ff. (27. Verhandlungstag), 2275 ff. (28. Verhandlungstag), sowie 2335 ff. (29. Verhandlungstag) des Protokolls der Hauptverhandlung. S. auch den Antrag und die ergänzende Begründung durch Rechtsanwalt Dr. Heldmann auf S. 2326 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung (29. Verhandlungstag).

[7] Eine Gegenvorstellung ist ein Rechtsbehelf, der zwar nicht in der Strafprozessordnung vorgesehen, allerdings in Rechtsprechung und Literatur überwiegend anerkannt ist. Sie beinhaltet die formlose Aufforderung, über eine getroffene Entscheidung erneut zu befinden und die Entscheidung aufzuheben oder abzuändern (Hoch, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 296 ff. Rn. 39 ff.).

[8] Gegen gerichtliche Beschlüsse und Verfügungen ist grundsätzlich das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 304 StPO). Ist allerdings - wie hier - das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug zuständig, ist die Zulässigkeit der Beschwerde bis auf wenige Ausnahmen ausgeschlossen (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO). Die Entscheidung, mit der eine Einstellung des Verfahrens abgelehnt wird, ist kein solcher Ausnahmefall. Nach heute herrschender Auffassung ist aus diesem Grund auch eine Anfechtung im Rahmen einer späteren Revision gegen das Urteil nach § 336 StPO ausgeschlossen (Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 336 Rn. 6; kritisch aber Franke, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Strafprozeßordnung, Band 7/2, 26. Aufl. 2013, § 336 Rn. 16, sowie Frisch, in Wolter [Hrsg.], Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 7, 5. Aufl. 2018, § 336 Rn. 21). § 336 Satz 2 StPO, der die Überprüfung im Rahmen der Revision für solche Entscheidungen ausschließt, die ausdrücklich für unanfechtbar erklärt werden, wurde zwar erst durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 10. Oktober 1978 (BGBl. I, S. 1645) eingeführt; der BGH entschied jedoch bereits mit Beschl. v. 5.1.1977 (Az.: 3 StR 433/76, BGHSt 27, S. 96), dass der Ausschluss der Beschwerde für Beschlüsse des OLG in erster Instanz nach § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO dazu führe, dass die Entscheidung auch im Rahmen einer späteren Revision nicht mehr anfechtbar sei. Zum Zeitpunkt dieses Verhandlungstages gab es die Entscheidung des BGH jedoch noch nicht, sodass wohl in der Praxis die Möglichkeit der Revision durchaus bestand. Sollte allerdings das (nicht behebbare) Verfahrenshindernis, das dem Einstellungsantrag zugrunde lag, auch im Zeitpunkt des Revisionsverfahrens noch vorliegen, wäre das erstinstanzliche Urteil auch nach heutiger Auffassung nach § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben und das Verfahren nach § 354 Abs. 1 StPO einzustellen (Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 354 Rn. 6).

[9] Nachdem die drei Verteidiger Baaders, Dr. Croissant, Groenewold und Ströbele, wegen des Verdachts der Tatbeteiligung von der Mitwirkung im Verfahren nach § 138a StPO ausgeschlossen worden waren, legitimierten sie sich am ersten Verhandlungstag für jeweils andere Angeklagte und stellten den Antrag, zur Hauptverhandlung zugelassen zu werden. Dies geschah mit dem Argument, die Ausschlussentscheidungen hätten sich nur auf die Verteidigung von Andreas Baader beziehen können. Der 2. Strafsenat war der Auffassung, die Wirkung der bestehenden Ausschlussentscheidungen umfasse auch das Verbot der Mitwirkung der Verteidiger im Hinblick auf die übrigen Angeklagten und erließ einen Beschluss, wonach die Rechtsanwälte aus Rechtsgründen keine/n der Angeklagten verteidigen dürften (S. 49 f. des Protokolls der Hauptverhandlung). Die Bundesanwaltschaft äußerte gegen diese Rechtsauffassung erhebliche Bedenken (so Bundesanwalt Dr. Wunder auf S. 50 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag) und beantragte daher, die Verteidiger auch im Hinblick auf die anderen Angeklagten auszuschließen (Anlage 5 zum Protokoll vom 21.5.1975, S. 65 ff., ebenfalls 1. Verhandlungstag). Den Antrag legte der 2. Senat dem zuständigen 1. Senat zur Entscheidung vor, welcher die ursprüngliche Auffassung des 2. Senates bestätigte und die (nach dieser Ansicht überflüssige) Durchführung eines (erneuten) Ausschlussverfahrens ablehnte.

[10] Zu diesem Zeitpunkt befindet sich das Verfahren im Stadium zwischen der Verlesung des Anklagesatzes und der Vernehmung der Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs. 3 und 4 StPO a.F.; heute Abs. 3 und 5).

[11] Gegenvorstellungen sind grundsätzlich nur zulässig, wenn das Gericht auch befugt wäre, die eigene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben, so z.B. in den Fällen, in denen eine ordentliche Beschwerde zulässig wäre (die Abänderungsbefugnis ergibt sich für diesen Fall aus § 306 Abs. 2 StPO). Da die Beschwerde gegen Beschlüsse des OLG in erster Instanz in der Regel ausgeschlossen ist (Fn. 8), kommt auch eine Gegenvorstellung in diesen Fällen grundsätzlich nicht in Betracht. Ausnahmen sollen aber für Fälle gelten, in denen eine Grundrechtsverletzung (auch in Form der Verletzung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht wird (Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Vor § 296 Rn. 25) oder die Beseitigung groben prozessualen Unrechts anders nicht behoben werden kann (Allgayer, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 296 Rn. 14). Diese Ausnahmen sind durchaus umstritten (ablehnend etwa Allgayer, a.a.O. Rn. 15). Das Bundesverfassungsgericht entschied mit Beschl. v. 8.1.1959 (Az.: 1 BvR, 396/55, BVerfGE 9, S. 89, 107), dass das Gericht auch im Falle eines unanfechtbaren Beschlusses des OLG auf die Möglichkeit der Gegenvorstellung hinweisen muss, wenn zuvor rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht gewährt wurde.

[12] Außerhalb der Vernehmung der Angeklagten zur Sache sind die Erklärungsrechte der Angeklagten auf vorangegangene Beweiserhebungen beschränkt (§ 257 Abs. 1 StPO). Ein umfassendes Erklärungsrecht ist daher nur im Rahmen der Vernehmung der Angeklagten zur Sache vorgesehen. Die hier erwähnte (erneute) Äußerungsmöglichkeit zur Person resultiert daraus, dass die - zeitlich eigentlich vor der Verlesung der Anklageschrift stattfindende - Vernehmung zur Person (§ 243 Abs. 2 StPO) in Abwesenheit der Angeklagten stattgefunden hatte, nachdem sie wegen fortgesetzter Störung der Hauptverhandlung von dieser nach § 177 GVG i.V.m. § 231b StPO ausgeschlossen worden waren (S. 2137 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 26. Verhandlungstag).

[13] Die Verteidigung stützte den Einstellungsantrag auf eine Verletzung des Anspruchs der Angeklagten auf ein faires Verfahren, welcher in Art. 6 EMRK verankert ist. Dazu gehören u.a. der Anspruch auf den gesetzlichen Richter, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts, die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens und der Verkündung des Urteils (Abs. 1), die Unschuldsvermutung (Abs. 2) sowie einige grundlegende Verteidigungsrechte (Abs. 3). Eine Verfahrenseinstellung bei Verletzung des Grundsatzes sieht Art. 6 EMRK nicht explizit vor; Rechtsanwalt Schily argumentierte aber, dass das Verfahren eingestellt werden müsse, da die Durchführung eines fairen Verfahrens aufgrund der massiven Vorverurteilung der Angeklagten im gesamten Gebiet der Bundesrepublik nicht mehr möglich sei (S. 2244 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag, fortgeführt ab S. 2275 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 28. Verhandlungstag).

[14] Die Entscheidung, einen Antrag anzunehmen, ist Bestandteil der Verhandlungsleitung, welche durch den/die Vorsitzende ausgeübt wird (§ 238 Abs. 1 StPO). Es besteht aber keine Verpflichtung, Anträge zu jeder Zeit entgegenzunehmen. Prozessbeteiligte, die einen Antrag zu einem ungünstigen Zeitpunkt stellen, können daher auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen werden (BGH, Beschl. v. 10.6.2014 - Az.: 3 StR 57/14, NStZ 2014, S. 668, 670; Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 238 Rn. 5). Werden sachleitungsbezogene Anordnungen des/der Vorsitzenden als unzulässig beanstandet, entscheidet hierüber der das Gericht (§ 238 Abs. 2 StPO), in diesem Fall der Senat in voller Besetzung.

[15] § 34 StPO lautet: „Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen.“

[16] Der Anspruch auf rechtliches Gehör, der in Art. 103 Abs. 1 GG ausformuliert ist, ist eine Ausprägung sowohl des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG als auch der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschl. v. 8.1.1959 - Az.: 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, S. 89, 95). Er ist zudem einfachgesetzlich in § 33 Abs. 1 StPO normiert: „Eine Entscheidung des Gerichts, die im Laufe einer Hauptverhandlung ergeht, wird nach Anhörung der Beteiligten erlassen.“

[17] Art. 103 Abs. 1 GG lautet: „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.“ Davon umfasst ist die Pflicht des Gerichts, Vorbringen einer Partei nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschl. v. 19.5.1992 - Az.: 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, S. 133, 145). Aus dieser Erwägungspflicht folgt auch die Pflicht, gerichtliche Entscheidungen zu begründen, da nur so die Einhaltung dieser Grundsätze überprüft werden kann (Pieroth, in Jarass/Pieroth [Begr.], Grundgesetz, 16. Aufl. 2020, Art. 103 Rn. 32). Nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG lässt sich allerdings die Pflicht entnehmen, dass sich Gerichte auch in ihren Entscheidungsgründen mit sämtlichem Vorbringen einer Prozesspartei auseinandersetzen müssen. Aus dem Umstand, dass ein Gericht in den Gründen nicht explizit auf solches Vorbringen eingeht, kann daher nicht geschlossen werden, es habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht diese Vorgaben eingehalten hat (BVerfG, Beschl. v. 27.5.1970 - Az.: 2 BvR 578/69, BVerfGE 28, S. 378, 384 f.). Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist aber anzunehmen, „wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, daß das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat“ (BVerfG, Beschl. v. 15.4.1980 - Az.: 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, S. 86, 92).

[18] Auch fehlerhafte gerichtliche Entscheidungen sind grundsätzlich wirksam, wenn sie auch mit dem statthaften Rechtsbehelf angefochten werden können (statt vieler Kindhäuser/Schumann, Strafprozessrecht, 5. Aufl. 2019, § 24 Rn. 41). Ob gerichtliche Entscheidungen darüber hinaus mit solchen Mängeln behaftet sein können, dass sie ausnahmsweise als nichtig anzusehen sind, wird im Schrifttum nicht einheitlich beantwortet; die Strafprozessordnung enthält hierzu keine Regelung. Die Rechtsprechung (und ihr folgend Teile der Literatur) ging - und geht wohl noch immer - davon aus, dass Urteilen und anderen gerichtlichen Entscheidungen in seltenen Ausnahmefällen der Makel der Nichtigkeit anhaften kann, sofern sie an einem derart schweren Mangel leiden, dass es bei Berücksichtigung der Belange der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus schlechthin unerträglich wäre, sie als verbindlichen Richterspruch anzuerkennen und gelten zu lassen (s. nur BVerfG, Beschl. v. 12.11.1984 - Az.: 2 BvR 1350/84, NJW 1985, S. 125 f.; BGH, Beschl. v. 16.10.1980 - Az.: StB 29/80, StB 30/80, StB 31/80, BGHSt 29, S. 351, 352; BGH, Beschl. v. 16.1.1985 - Az.: 2 StR 717/84, BGHSt 33, S. 126, 127; deutlich krit. aber BGH, Beschl. v. 19.2.2009 - Az.: 3 StR 439/08, NStZ 2009, S. 579, 580; weitere Nachweise bei Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 103). Ein Großteil des Schrifttums wendet sich hingegen mit gegen die Anerkennung einer Kategorie von nichtigen Urteilen neben den beiden Kategorien bloß anfechtbarer Urteile und sog. „Nicht-Urteile“ (Kudlich, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Aufl. 2014, Einl. Rn. 340; Kühne, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 27. Aufl. 2016, Einl. K Rn. 116 f.; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 104).

[19] Die fehlende (oder unzureichende) Begründung eines gerichtlichen Beschlusses stellt in der Regel einen Aufhebungsgrund dar (BGH, Beschl. v. 7.11.2002 - Az.: 2 BJs 27/02 5 StB 16/2, NStZ 2003, S. 273, 274). Dies gilt aber nur, soweit der Beschluss überhaupt mit der Beschwerde anfechtbar ist. Das trifft auf den hier diskutierten Beschluss nicht zu (s. Fn. 8). Für die begrenzten Möglichkeiten einer Gegenvorstellung bei Verletzung des rechtlichen Gehörs oder zur Beseitigung erheblichen prozessualen Unrechts s. Fn. 11.

[20] Die Revision ist ein Rechtsmittel gegen Urteile, mit welchem Rechtsfehler, d.h. die Nicht- oder Falschanwendung einer Rechtsnorm, gerügt werden können (§ 337 StPO). In der Regel muss zudem dargelegt werden, dass das Urteil gerade auf diesem Rechtsfehler beruht („relative Revisionsgründe“), dass also nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei korrekter Anwendung der Rechtsnorm eine andere Entscheidung ergangen wäre (Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 33 ff.). Anders ist dies bei den sog. absoluten Revisionsgründen, die in § 338 StPO aufgezählt sind. Die dort genannten Fehler gelten als so schwerwiegend, dass das Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist. Nach § 338 Nr. 8 StPO liegt ein solcher absoluter Revisionsgrund vor, „wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.“ Ob dieser Revisionsgrund angesichts der Formulierung „in einem für die Entscheidung wesentlichen Grund“ tatsächlich als absoluter Revisionsgrund einzuordnen ist, wird allerdings bezweifelt (s. dazu Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 338 Rn. 101 m.w.N.). Eine erfolgreiche Revision hat die (ggf. auch Teil-) Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 353 StPO).

[21] Soll die Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG im Rahmen einer späteren Revision gerügt werden, sollte der Anspruch grundsätzlich bereits in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden. Andernfalls wird z.T. angenommen, dass die betroffene Person nicht in ihren Rechten verletzt bzw. das Rügerecht verwirkt sei (Dahs, Die Revision im Strafprozess, 9. Aufl. 2017, Rn. 115, 404 ff.; a.A. zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung aber Kleinknecht, Strafprozessordnung, 32. Aufl. 1975, § 34 Anm. 5). Dies soll allerdings nicht gelten, wenn sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs aus einer konkreten Normverletzung ergibt (Dahs, Die Revision im Strafprozess, 9. Aufl. 2017, Rn. 115). Da hier die Verletzung des § 34 StPO gerügt wird, käme es auf die Geltendmachung in der Hauptverhandlung nicht an. Zu den weiteren Schwierigkeiten im Rahmen einer Revision s. aber die Fn. 8 und 22.

[22] Anders als bei Urteilen führt die Verletzung der Begründungspflicht bei Beschlüssen nicht zur Annahme eines absoluten Revisionsgrundes (vgl. § 308 Nr. 7 StPO). Für eine erfolgreiche Revision müsste daher dargelegt werden, dass das spätere Urteil auf der Verletzung der Begründungspflicht bei Erlass des Beschlusses beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Deutlich einfacher wäre daher grundsätzlich die Anfechtung mittels Beschwerde, welche jedoch in diesem Fall - Beschluss des OLG in erster Instanz - ausgeschlossen ist; aus demselben Grund wäre nach heutiger Auffassung auch die Überprüfung im Rahmen einer späteren Revision ausgeschlossen (s. bereits Fn. 8).

[23] In der Rechtsprechung hat sich der Grundsatz entwickelt, dass eine Verfahrensrüge durch Rügeverzicht, Verwirkung oder arglistiges Verhalten unzulässig werden kann (Dahs, Die Revision im Strafprozess, 9. Aufl. 2017, Rn. 404 ff). Empfehlenswert ist es daher in jedem Fall, bereits während der Hauptverhandlung im Rahmen der prozessualen Möglichkeiten auf Verfahrensfehler hinzuweisen und ihre Korrektur zu erwirken (Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. 2015, Rn. 796).

[24] Über Verfahrensverstöße, die im Rahmen der Revision geltend gemacht werden, wird im sog. Freibeweisverfahren Beweis erhoben. Dabei ist das Protokoll der Hauptverhandlung das wichtigste Beweismittel. Nach § 274 StPO bezieht sich die Beweiskraft des Protokolls zwar grundsätzlich nur auf die für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Wird aber ein Vorgang nach § 273 Abs. 3 StPO vollständig niedergeschrieben und verlesen, nimmt er an der Beweiskraft des Protokolls teil (Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. 2015, Rn. 542; Greger, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 274 Rn. 5).

[25] Die Anfertigung eines Wortprotokolls ist in deutschen Strafverfahren unüblich. Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO).

[26] Gemeint ist Absatz 3 des § 273 StPO. Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO lediglich dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Sie wird durch den/die Vorsitzende/n auf Antrag oder von Amts wegen angeordnet; die protokollierte Stelle ist im Anschluss zu verlesen.

[27] Gemäß § 24 Abs. 1 StPO können Richter/innen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters/einer Richterin zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).

[28] Die Ablehnung ist nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig zu verwerfen, wenn „durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“.

[29] Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit musste nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO a.F. ab dem Zeitpunkt der Vernehmung der Angeklagten zur Sache unverzüglich, also „ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung“ (BGH, Urt. v. 10.11.1967 - Az.: 4 StR 512/66, BGHSt 21, S. 334, 339) erfolgen (heute gilt dies bereits ab der Vernehmung der/des Angeklagten über die persönlichen Verhältnisse); andernfalls wäre sie nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO wegen Verspätung als unzulässig zu verwerfen. Zulässig ist allerdings, zunächst noch abzuwarten, ob sich der Eindruck der Befangenheit verfestigt (OLG München, Beschl. v. 22.11.2006 - Az.: 4 St RR 182/06, NJW 2007, S. 449, 451).

[30] S. Dünnebier, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 34 Anm. 3 mit Verweis auf BayObLG, Beschl. v. 4.12.1952 - Az.: Beschw(W)Reg. 1 St 55/52, sowie Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 32. Aufl. 1975, § 34 Anm. 4 f.; heute s. Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 34 Rn. 4.

[31] Der Grund, aus welchem Richter/innen abgelehnt werden, muss nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).

[32] Die amtliche Bestellung allgemeiner Vertreter/innen erfolgt nach § 53 BRAO in Fällen längerer Abwesenheit oder im Voraus für alle Verhinderungsfälle in einem bestimmten Zeitraum. Dem/der amtlich bestellten Vertreter/in stehen nach § 53 Abs. 7 BRAO die gleichen anwaltlichen Befugnisse wie der vertretenen Person zu. Nach § 53 Abs. 3 Satz 2 BRAO a.F. konnte die Landesjustizverwaltung auch Referendar/innen, die seit mindestens 12 Monaten im Vorbereitungsdienst beschäftigt waren, zu allgemeinen Vertreter/innen bestellen (heute § 53 Abs. 4 Satz 2, wobei die Bestellung inzwischen nicht mehr durch die Landesjustizverwaltung erfolgt, sondern durch die Rechtsanwaltskammer).

[33] S. bereits Fn. 14.

[34] Rechtsanwalt Schily trug im Rahmen des Antrags vor, der Vorsitzende Dr. Prinzing habe einem privaten Gespräch mit dem englischen Theologen Paul Oestreicher geäußert, dass ein faires Verfahren gegen die Angeklagten nicht mehr möglich sei und ein amerikanischer Richter sie freisetzen müsse (S. 2247 des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag).

[35] Nach der Rechtsprechung ist es Sache der Verfahrensbeteiligten, das Gericht darauf aufmerksam zu machen, wenn Missverständnisse über die Stellung oder Reichweite von Beweisanträgen auftreten. Geschieht dies nicht, ist eine spätere Rüge des Verfahrensverstoßes, etwa wegen eines unzureichendes Beweisbeschlusses oder fehlender Bescheidung, unzulässig (BGH, Urt. v. 17.2.1987 - Az.: 5 StR 552/86, juris; BGH, Urt. v. 28.1.2003 - Az.: 5 StR 378/02, NStZ 2003, S. 381, 382).

[36] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166).

[37] S. dazu bereits Fn. 8.

[38] Im Jahr 1971 entschied der BGH, dass sich aus der Verletzung des ebenfalls in Art. 6 EMRK enthaltenen Beschleunigungsgebotes ein Verfahrenshindernis nicht herleiten lasse; eine unangemessene Verfahrensdauer sei stattdessen im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Dies begründete der BGH unter anderem damit, dass „das Mittel des Verfahrenshindernisses seiner Natur nach gänzlich ungeeignet [sei], als gerechter Ausgleich gegenüber Nachteilen dieser Art zu dienen. Es [könne] immer nur dort eingreifen, wo in sinnvoller Weise an eine bestimmte, für das Verfahren im ganzen uneingeschränkt rechtserhebliche Tatsache angeknüpft werden kann, wie dies etwa beim Ablauf einer Frist, beim Vorliegen einer förmlichen konstitutiven Erklärung und bei der Zugehörigkeit zu einer Körperschaft der Fall“ sei (BGH, Urt. v. 10.11.1971 - Az.: 2 StR 492/71, BGHSt 24, S. 239, 240). Inzwischen ist der BGH auch von dieser sog. Strafzumessungslösung abgerückt. Stattdessen ist im Falle eines rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahrens ein Teil der verhängten Strafe zu beziffern, der bereits als vollstreckt gilt (sog. Vollstreckungslösung, BGH, Beschl. v. 7.1.2008 - Az.: GSSt 1/07, NJW 2008, S. 860).

[39] Der Marburger Strafrechtsprofessor Erich Schwinge (1903-1994) prägte während des Nationalsozialismus als maßgeblicher Autor des führenden Kommentars zum Militärstrafgesetzbuch das nationalsozialistische Wehrstrafrecht. Gesetzgeberische Verschärfungen, die zur Ausweitung der Todesstrafe führten, begrüßte er. In Wien, wo er 1940 eine Professur antrat, wirkte er zudem als Kriegsrichter bei der Division Nr. 177 an mehreren Todesurteilen mit. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er seine Karriere an der Universität Marburg fort, wurde Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät und später Rektor der Universität. In ca. 150 Strafverfahren war er als Verteidiger von Angehörigen der Waffen-SS und Wehrmachtsoffizieren vor überwiegend französischen Gerichten tätig. Kritiker, die ihm Nähe zum Nationalsozialismus vorwarfen, verklagte er erfolgreich auf Unterlassung. Bemühungen, ihn für die Verhängung eines (aufgrund eines Gnadenerweises Himmlers nicht vollstreckten) Todesurteils wegen Rechtsbeugung und versuchten Mordes einem Strafverfahren zuzuführen, scheiterten (s. die Beiträge von El Bathich/Landrón de Guevara/Stute sowie von Garbe, in Kirschner [Hrsg.], Deserteure, Wehrkraftzersetzer und ihre Richter, 2010, S. 97, 99 f., sowie 109 ff., 121 ff.).

[40] Mit dem „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20. Dezember 1934 (RGBl. I, S. 1269) stellten die Nationalsozialisten u.a. „gehässige“ oder „böswillige“ Äußerungen über leitende Personen des Staates oder die NSDAP, sowie missbräuchliche Nutzung der Parteiuniformen und Abzeichen unter Strafe.

[41] Gemeint ist wohl § 238 StPO, welcher die Verfahrensleitung des/der Vorsitzenden regelt: „Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden“ (Abs. 1). „Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht“ (Abs. 2).

[42] § 244 Abs. 6 StPO a.F. (heute § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO) schreibt vor, dass Beweisanträge stets durch Beschluss abzulehnen sind. Diese Vorschrift bezieht sich jedoch auf das sog. Strengbeweisverfahren, während die Voraussetzungen der Verhandlungsfähigkeit im Freibeweisverfahren (s. bereits Fn. 36) festzustellen sind. Im Rahmen des Freibeweisverfahrens entscheidet das Gericht über den Umfang der Beweisaufnahme nach pflichtgemäßem Ermessen (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 17; s. auch Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 46, wonach Beweisanträgen im Freibeweis lediglich die Qualität einer Beweisanregung zukomme). § 244 Abs. 6 StPO findet keine Anwendung.

[43] Beugehaft dient nach § 70 Abs. 2 StPO „der Erzwingung des Zeugnisses“ und kann für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten angeordnet werden, wenn Zeug/innen Angaben verweigern, obwohl sie hierfür keinen gesetzlichen Grund anführen können (etwa ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO, oder Zeugnisverweigerungsrechte aus §§ 52, 53 StPO).

[44] Für den Vollzug von Untersuchungshaft und Strafhaft gelten unterschiedliche Vorschriften (Untersuchungshaft: zum damaligen Zeitpunkt § 119 Abs. 3 StPO a.F. i.V.m. der Untersuchungshaftvollzugsordnung; heute: Landesgesetze; Strafhaft: damals noch geregelt durch die Dienst- und Vollzugsordnung von 1961, die durch das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht als ausreichende Rechtsgrundlage angesehen wurde [BVerfG, Beschl. v. 14.3.1972 - Az.: 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, S. 1]; ab dem 1.1.1977 daher: Strafvollzugsgesetz; seit der Föderalismusreform 2006 zu einem großen Teil ersetzt durch Landesgesetze). Im Unterschied zur Strafhaft gibt es bei der Untersuchungshaft gerade noch kein rechtskräftiges Urteil, sodass weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Aus diesem Grund ist die Anordnung von Untersuchungshaft als Ausnahmeregelung an strenge Voraussetzungen geknüpft und muss stets mit dem Zweck der Sicherung des Strafverfahrens abgewogen werden (BVerfG, Beschl. v. 15.12.1965 - Az.: 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, S. 342, 347; Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 425 ff.).

[45] Für die Vollstreckung der angeordneten Ordnungshaft - in Rede steht hier die Anordnung einer Ordnungshaft wegen Ungebühr vor Gericht nach § 178 Abs. 1 S. 1 GVG - gab es zum damaligen Zeitpunkt (wie auch für die Vollstreckung von Straf- oder Untersuchungshaft) keine gesetzlichen Vorgaben. Es entspricht wohl der Tradition, dass die sog. Zivilhaft in Ziviljustizanstalten vollzogen wird (Jehle, in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 2020, 15. Kapitel Rn. 2). Heute sieht § 171 StVollzG vor, dass die §§ 3 bis 49 sowie §§ 51 bis 121b StVollzG entsprechende Anwendung finden, soweit nicht in den nachfolgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist oder die Eigenart und der Zweck der Haft entgegenstehen. Nr. 1 der Verwaltungsvorschriften zu § 171 StVollzG zudem vor, dass über den bloßen Freiheitsentzug hinausgehende Maßnahmen nur angeordnet werden dürfen, „soweit dies zur Abwendung einer Gefahr für Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist. Dies gilt allerdings ausdrücklich nicht, wenn die Zivilhaft in Unterbrechung einer anderen Haftform, etwa Untersuchungshaft, vollzogen wird. In diesem Fall gelten wohl die Maßstäbe der unterbrochenen Haftform fort (Arloth, in Arloth/Krä, Strafvollzugsgesetze, 4. Aufl. 2017, § 171 Rn. 3). Eine Verbesserung seiner Haftbedingungen hätte Andreas Baader daher durch die Vollstreckung einer Ordnungshaft wohl nicht zu erwarten gehabt, zumal die bestehenden Einschränkungen im Rahmen der Untersuchungshaft mit dem Erfordernis der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt sowie der Verhinderung der Flucht und damit der Sicherung des Strafverfahrens begründet wurden; beide Aspekte hätten wohl entsprechende Einschränkungen auch im Rahmen der Zivilhaft ermöglicht.

[46] § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG.

[47] § 231b StPO ermöglicht die Fortführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten, wenn diese auf Grundlage des § 177 GVG wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt oder für bis zu 24 Stunden zur Ordnungshaft abgeführt wurden, das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält und zu befürchten ist, dass die Anwesenheit der Angeklagten den weiteren Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde. Die Verhängung von Ordnungshaft nach § 178 GVG genügt also grundsätzlich nicht; die Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten setzt einen Beschluss nach § 177 GVG voraus (Grube, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020, § 178 Rn. 1). Beide Ordnungshaftarten unterscheiden sich auch in ihren Zwecken: § 178 GVG dient der Ahndung der Ungebühr, während die Ordnungshaft im Rahmen des § 177 GVG der Durchsetzung sitzungspolizeilicher Anordnungen des/der Vorsitzenden und damit der ungestörten Durchführung der Hauptverhandlung dient; sie ist auch vor Ablauf von 24 Stunden bei Schluss der Sitzung aufzuheben (Wickern, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 10, 26. Aufl. 2010, § 177 GVG Rn. 25 f.). Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass Ungehorsam, der die (grundsätzlich zeitlich unbegrenzte) Entfernung aus dem Sitzungszimmer nach § 177 GVG ermöglicht, zugleich eine Ungebühr darstellt, die nach § 178 GVG mit Ordnungshaft sanktioniert werden kann (Wickern, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 10, 26. Aufl. 2010, § 177 GVG Rn. 27). Liegen neben dem Beschluss nach § 177 GVG auch die weiteren Voraussetzungen des § 231b StPO vor, so kann in diesem Fall auch in Abwesenheit der Angeklagten weiterverhandelt werden.

[48] § 169 Satz 1 GVG normiert für die ordentliche Gerichtsbarkeit den Grundsatz, dass die Verhandlungen öffentlich sind. Dieser Grundsatz ist auch Bestandteil des Rechtsstaats- sowie des Demokratieprinzips, womit ihm Verfassungsrang zukommt. Die Öffentlichkeit soll zum einen dem Schutz der Angeklagten dienen, indem die öffentliche Kontrolle der Verfahren einer Geheimjustiz entgegenwirkt. Zum anderen trägt sie dem Interesse der Bürger/innen Rechnung, von dem gerichtlichen Geschehen Kenntnis zu erlangen. Die Öffentlichkeit wird nicht unbegrenzt gewährleistet. Ihr gegenüber stehen andere gewichtige Interessen, die miteinander abgewogen werden müssen, insbesondere die Persönlichkeitsrechte der am Verfahren Beteiligten, das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren, sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege (BVerfG, Urt. v. 24.1.2001 - Az.: 1 BvR 2623/95, BVerfGE 103, S. 44, 63 f.). Grundsätzlich umfasst der Grundsatz der Öffentlichkeit auch die Befugnis zur Anfertigung von Notizen und Zeichnungen; dies gilt nicht nur für die Prozessbeteiligten, sondern ebenso für Zuschauer/innen und Medienvertreter/innen (BGH, Urt. v. 15.1.1963 - Az.: 5 StR 528/62, BGHSt 18, S. 179; Pfeiffer, StPO, 4. Aufl. 2002, § 169 GVG Rn. 6; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 15). Ausnahmsweise kann die Anfertigung von Notizen aus sitzungspolizeilichen Gründen (§ 176 GVG) untersagt werden, etwa wenn aufgrund konkreter Tatsachen zu befürchten ist, dass noch nicht vernommene Zeug/innen unzulässig über Aussagen oder sonstige Vorgänge der Hauptverhandlung unterrichtet werden sollen (BGH, Urt. v. 13.5.1982 - Az.: 3 StR 142/82, NStZ 1982, S. 389; vgl. auch Nr. 124 Abs. 2 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren [RiStBV] in der Fassung v. 1.12.1970, heute Nr. 128 Abs. 2 RiStBV: „Auf Vorgänge, welche die Erforschung der Wahrheit vereiteln oder erschweren können, hat der Staatsanwalt das Gericht unverzüglich hinzuweisen, z.B. wenn ein Zuhörer Aufzeichnungen macht und der Verdacht besteht, dass er sie verwenden will, um noch nicht vernommene Zeugen über den Verlauf der Verhandlung zu unterrichten“). Fehlen hierfür konkrete Anhaltspunkte, darf das Mitschreiben nicht untersagt werden (Wickern, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 10, 26. Aufl. 2010, § 176 GVG Rn. 19).

[49] Als Sitzungspolizei wird die Ordnungsgewalt des Gerichts bezeichnet (Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, Rn. 706). Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem/der Vorsitzenden (§ 176 GVG).

[50] Nach § 229 Abs. 1 StPO a.F. durfte die Verhandlung grundsätzlich nur für maximal zehn Tage unterbrochen werden (heute: drei Wochen), im Falle von zehn vorher stattgefundenen Verhandlungstagen aber immerhin einmal auch für 30 Tage (§ 229 Abs. 2 Satz 1 StPO a.F.). Bei Überschreitung der Frist hätte mit der Hauptverhandlung von neuem begonnen werden müssen (§ 229 Abs. 3 StPO a.F.).

[51] Da die vollständige Verhandlungsfähigkeit - die Fähigkeit, „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18) - der Angeklagten durch die Verteidigung seit Beginn der Hauptverhandlung immer wieder bestritten wurde, beauftragte das Gericht mit Beschluss vom 18.7.1975 eine Kommission aus Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen mit der Begutachtung der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten (zur Chronologie der Beauftragungen der verschiedenen Gutachter s. die Ausführungen des Rechtsanwalts von Plottnitz am 26. Verhandlungstag, S. 2093 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). In einem vorläufigen Gutachten nahmen die Sachverständigen Prof. Dr. Müller und Prof. Dr. Schröder eine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten an, nämlich für täglich nicht mehr als drei Stunden (S. 2169 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag).

[52] Prof. Dr. Mende und Prof. Dr. Erhardt wurden als Sachverständige bestellt, um die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten aus psychiatrischer Sicht zu begutachten. Rechtsanwalt Dr. Heldmann hatte bereits am 19. Verhandlungstag die Neubestellung der psychiatrischen Sachverständigen beantragt (S. 1505 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[53] Notwendigerweise Gegenstand der Hauptverhandlung ist alles, was der Beantwortung der Schuld- und Straffrage dient, d.h. der Tathergang, die Schuld der/des Angeklagten sowie die Höhe der Strafe, da nur solche Tatsachen zur Begründung des Urteils herangezogen werden dürfen, die (prozessordnungsgemäß) in die Hauptverhandlung eingeführt wurden (§ 261 StPO). Für den Vollzug der Untersuchungshaft liegt die gerichtliche Zuständigkeit zwar auch beim Gericht der Hauptsache (§ 126 Abs. 2 StPO); allerdings erfolgt eine Erörterung der Fragen üblicherweise außerhalb der Hauptverhandlung, weil sie zur Beantwortung der Schuld- und Straffrage nicht von Belang sind.

[54] § 21 StGB behandelt die sog. verminderte Schuldfähigkeit und lautet: „Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.“ Diese Vorschrift wurde erst mit dem Zweiten Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) mit Wirkung zum 1.1.1975 im Rahmen einer Neustrukturierung des Allgemeinen Teils des StGB eingefügt. Damit wurde der frühere § 51 StGB, der eine vergleichbare Regelung für den Fall fehlender oder verminderter Zurechnungsfähigkeit enthielt, ersetzt.

[55] Jürgen Bartsch stand 1967 vor Gericht, weil er als Jugendlicher und Heranwachsender vier Jungen sexuell missbraucht und auf sadistische Weise ermordet hatte. Der Prozess gegen ihn fand nicht nur wegen der Grausamkeit seiner Taten große Aufmerksamkeit, sondern auch weil er eine intensive Debatte über den Umgang mit psychisch kranken Gewalttäter/innen entfachte. An dieser Debatte beteiligte sich auch Ulrike Meinhof in einem Artikel in der Zeitschrift konkret. Bartsch, der in seiner Kindheit und Jugend selbst schwer misshandelt worden war, wurde zunächst zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Nach erfolgreicher Revision hob der Bundesgerichtshof das Urteil jedoch auf. Nach erneuter Hauptverhandlung wurde er 1971 schließlich zu einer Jugendstrafe in Höhe von zehn Jahren und anschließender Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung verurteilt (Brückweh, Mordlust, 2006, S. 207 ff., 235 ff., 303 ff.).

[56] Im Jahr 1962 legte die Bundesregierung einen Entwurf für ein Strafgesetzbuch vor (E 1962, BT-Drs. IV/650). Aus der Auseinandersetzung mit dem Entwurf und der Kritik daran bildete sich ein Arbeitskreis aus 12 deutschen und 2 schweizerischen Strafrechtsprofessor/innen. 1966 legten sie einen Alternativ-Entwurf für den Allgemeinen Teil vor, der von der FDP-Fraktion in den Bundestag eingebracht wurde (BT-Drs. V/2285). Später wurden noch weitere Alternativ-Entwürfe zu Teilen des Besonderen Strafrechts vorgelegt. Durch das Erste Strafrechtsreformgesetz vom 15. Juni 1969 (BGBl. I, S. 645) und das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717, welches allerdings erst mit Wirkung zum 1.1.1975 in Kraft trat) wurde versucht, einen Kompromiss zwischen den beiden verschiedenen Ansätzen umzusetzen (näher dazu Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 17 ff.). Der Allgemeine Teil des StGB wurde so mit Wirkung zum 1.1.1975 vollständig neu gefasst.

[57] Unser Strafrechtssystem beruht zentral auf der Grundannahme, dass Strafe Schuld voraussetzt („nulla poena sine culpa“; sog. Schuldprinzip). Die Strafe, mit der einer Person ein Rechtsverstoß zum Vorwurf gemacht wird, setzt die Vorwerfbarkeit des Verhaltens voraus. Nicht bestraft werden darf nach § 20 StGB, wer, aufgrund einer „krankhaften seelischen Störung [...] unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder hiernach zu handeln“ (zum Zeitpunkt der zitierten Publikation ähnlich in § 51 Abs. 1 StGB a.F.: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“). Das Bundesverfassungsgericht leitet das Schuldprinzip aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen her (BVerfG, Beschl. v. 25.10.1966 - Az.: 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, S. 323, 323 ff.).

[58] Fritz Bauer war ein deutscher Jurist, der als Generalstaatsanwalt maßgeblich die Strafverfolgung und Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen vorantrieb. Bauer, der als Jude und Sozialdemokrat 1936 nach Dänemark und Schweden geflohen war, arbeitete nach Kriegsende zunächst als Generalstaatsanwalt in Braunschweig am Wiederaufbau des Justizwesens. Er engagierte sich außerdem für eine Strafrechtsreform und die Resozialisierung von Gefangenen. Bekanntheit erlangte Bauer vor allem durch den ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963-1965), bei dem der Gesamtkomplex nationalsozialistischer Verbrechen in den Konzentrationslagern verhandelt wurde. Er trug zudem maßgeblich zur Ergreifung Adolf Eichmanns durch den Mossad in Argentinien bei (Bengsch, „Fritz Bauer“, in Fischer/Lorenz [Hrsg.], Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland, 3. Aufl. 2015, S. 144 f.; Foljanty/Johst, in Dies. [Hrsg.], Fritz Bauer, Band 1, 2018, S. 19, 21 ff.; Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, 2013, S. 13 ff., 99 ff., 178 ff.).

[59] § 81a StPO ermöglicht die Anordnung ärztlicher (körperlicher) Untersuchungen von Beschuldigten (auch gegen deren Willen). Hinsichtlich einer Lumbalpunktion, z.B. zum Zwecke einer Liquorentnahme, geht das BVerfG nicht grundsätzlich von ihrer Unzulässigkeit aus, allerdings müsse der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis auch zu der Schwere der Tat stehen (Verhältnismäßigkeitsprinzip), s. BVerfG, Beschl. v. 10.6.1963 - Az.: 1 BvR 790/58, BVerfGE 16, S. 194. Auch eine Pneumoenzephalographie sieht das BVerfG als schweren Eingriff an. Zwar ist ist auch diese nicht per se unzulässig, es sind aber hohe Anforderungen an den Grad des Tatverdachts und die Schwere der zu Last gelegten Straftat zu stellen (BVerfG, Beschl. v. 25.7.1963 - Az.: 1 BvR 542/62, BVerfGE 17, S. 115). Für eine Einordnung verschiedener Untersuchungen und Eingriffe s. auch Krause, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 2, 27. Aufl. 2018, § 81 Rn. 38 ff.

[60] Bis zum 31.12.1974 befand sich in § 300 StGB a.F. der Straftatbestand der Verletzung des Berufsgeheimnisses. Die Vorschrift war bereits mit Wirkung zum 1.1.1975 durch das Einführungsgesetz zum StGB vom 2. März 1974 (BGBl. I, S. 469) gestrichen worden. Die Tathandlungen des § 300 StGB a.F. wurden fast wortgleich in den neu eingeführten § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) integriert.

[61] § 136a StPO enthält eine Auflistung von verbotenen Methoden bei der Vernehmung von Beschuldigten. Diese sind: die Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Täuschung, Quälerei oder Hypnose, sowie die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme oder das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (Abs. 1). Ferner untersagt sind Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten beeinträchtigen (Abs. 2). Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verbote enthält § 136a Abs. 3 Satz 3 StPO ein Verwertungsverbot für die so zustande gekommenen Aussagen. Die Rechtsprechung betont aufgrund der systematischen Stellung der Vorschrift im Abschnitt der StPO über Vernehmungen des Beschuldigten, dass § 136a StPO grundsätzlich nur in Vernehmungssituationen greife (auch die nicht amtliche Überschrift spricht von „verbotenen Vernehmungssituationen“, BGH, Urt. v. 30.4.1987 - Az.: 4 StR 30/87, NJW 1987, S. 2524). In sehr engen Grenzen hat sie den Schutz aber auch bereits auf Situationen außerhalb von amtlichen Vernehmungen erweitert. Dabei handelte es sich um Situationen, in denen private Dritte den Beschuldigten befragen (Aushorchung durch einen gezielt auf den Beschuldigten angesetzten Mithäftling in der Untersuchungshaft: BGH, Urt. v. 28.04.1987 - Az.: 5 StR 666/86, NJW 1987, S. 2525). Neben den Strafverfolgungsorganen zählen nach überwiegender Ansicht auch Sachverständige zu den Adressat/innen der Norm, sofern sie Beschuldigte im Rahmen ihrer Gutachtertätigkeit befragen und untersuchen (BGH, Urt. v. 4.3.1958 - Az.: 5 StR 7/58, BGHSt 11, S. 211, 112; Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 136a Rn. 5; Gleß, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 4/1, 27. Aufl. 2019, § 136a Rn. 8; a.A. Fincke, ZStW 1974, S. 656, 658 ff.). Eine entsprechende Anwendung von § 136a StPO auf § 81a StPO lehnt der BGH aufgrund der unterschiedlichen Zweckrichtungen der Vorschriften allerdings ab, s. Fn. 62.

[62] Der Bundesgerichtshof verneinte die Anwendung des Verbots bestimmter Vernehmungsmethoden aus §136a StPO auf § 81a StPO im Jahr 1971 explizit: Zwangsmaßnahmen nach § 81a StPO zielten auf die passive Duldung von körperlichen Eingriffen, während § 136a StPO Beschuldigte davor schütze, dass sie gegen ihren Willen zu Aussagen oder sonstigen Erklärungen genötigt würden (vgl. BGH, Beschl. v. 17.3.1971 - Az.: 3 StR 189/70, NJW 1971, S. 1097).

[63] Rechtsanwalt Dr. Heldmann spielt auf ein Schreiben des Prof. Dr. Müller an den Vorsitzenden Dr. Prinzing an. Dem ging Folgendes voraus: Die Internisten Prof. Dr. Müller und Prof. Dr. Schröder gaben in einem am 21. Verhandlungstag eingereichten (ersten) Zwischenbescheid an, ihrem Eindruck nach sei die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten für die nächsten zwei bis drei Wochen zu bejahen. Eine abschließende Beurteilung stehe noch aus, sei aber vor dem anstehenden Urlaub beider Gutachter nicht mehr zu realisieren (Anlage 3 zum Protokoll vom 30.7.1975, 21. Verhandlungstag, S. 1710 des Protokolls der Hauptverhandlung). Am 26. Verhandlungstag entstanden Uneinigkeiten zwischen der Verteidigung und dem Gericht: Nach der Berechnung der Verteidigung waren die drei Wochen bereits abgelaufen, nach Auffassung des Senats fiel der Tag noch gerade in die Frist. Letzteres bestätigte Prof. Dr. Müller wohl auf Nachfrage (s. hierzu S. 2114 des Protokolls der Hauptverhandlung). Kurz darauf nahmen die Sachverständigen Prof. Dr. Müller und Prof. Dr. Schröder in einem vorläufigen Gutachten eine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten, nämlich für täglich nicht mehr als drei Stunden, an (S. 2169 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 27. Verhandlungstag). Auch hier herrschte über die konkrete Auslegung des Zeitfensters (ab- oder zuzüglich kurzer Verhandlungsunterbrechungen, die nicht der Erholung dienen) Uneinigkeit zwischen Senat und Verteidigung. Erneut fragte der Vorsitzende Dr. Prinzing bei Prof. Dr. Müller nach, wie die Zeitangabe zu verstehen sei. Als Reaktion auf eine dieser Nachfragen ist wohl ein Schreiben des Prof. Dr. Müller an den Vorsitzenden Dr. Prinzing zu sehen, in welchem die Formulierung auftaucht: „Wir würden es sehr begrüßen wenn diese, unsere gutachtlich vorläufige Stellungnahme in vernünftiger und einsichtiger und nicht kleinlicher Weise verwertet und gehandhabt werden könnte“ (vgl. dazu die Ausführungen des Angeklagten Baader am 30. Verhandlungstag, S. 2464 f. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[64] Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Die Verhandlungsunfähigkeit bildet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO). Eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit kann durch die Anordnung besonderer Maßnahmen (ärztliche Unterstützung, Einlegung von Erholungspausen o.ä.) begegnet werden (s. dazu auch Rechtsanwalt Dr. Heldmann auf S. 1255 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 15. Verhandlungstag). Bei vorsätzlicher und schuldhafter Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des/der Angeklagten durchgeführt werden (§ 231a StPO).

[65] § 51 StGB a.F. enthielt eine Regelung für den Fall fehlender oder verminderter Zurechnungsfähigkeit. Diese Vorschrift wurde mit dem Zweiten Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) mit Wirkung zum 1.1.1975 im Rahmen einer Neustrukturierung des Allgemeinen Teils des StGB durch die heutigen §§ 20, 21 StGB (Folgen der Schuldunfähigkeit bzw. verminderter Schuldfähigkeit) ersetzt.


[a] Maschinell ergänzt: irgendwelche Gegenstande unter Umgehung der Kontrollmöglichkeiten

[b] Handschriftlich ergänzt: des

[c] Handschriftlich ergänzt: Genußmitteln etwa übergeben

[d] Handschriftlich durchgestrichen: Das

[e] Handschriftlich eingefügt: das

[f] Maschinell ersetzt: RA Sch.: durch V.:

[g] Handschriftlich ersetzt: reichlicher durch reiflicher

[h] Handschriftlich durchgestrichen: seien

[i] Handschriftlich eingefügt: des

[j] Handschriftlich durchgestrichen: sich

[k] Maschinell eingefügt: mehr

[l] Handschriftlich durchgestrichen: einen

[m] Handschriftlich durchgestrichen: und

[n] Handschriftlich ergänzt: Kommentierungen

[o] Handschriftlich eingefügt: Sie

[p] Handschriftlich ersetzt: das durch des

[q] Maschinell durchgestrichen: also

[r] Handschriftlich durchgestrichen: und

[s] Maschinell durchgestrichen: zu

[t] Maschinell eingefügt: Wer

[u] Handschriftlich ersetzt: sind durch ist

[v] Handschriftlich ersetzt: Sie durch wir

[w] Maschinell eingefügt: noch

[x] Handschriftlich eingefügt: RA Sch.:

[y] Handschriftlich ergänzt: Schwein

[z] Handschriftlich durchgestrichen: war anwesend

[aa] Handschriftlich durchgestrichen: Vorstellungen

[bb] Handschriftlich ersetzt: Tondalos durch Tantalus

[cc] Maschinell durchgestrichen: Die Folgerungen

[dd] Handschriftlich durchgestrichen: persönlichen

[ee] Handschriftlich ersetzt: oder durch vor der

[ff] Handschriftlich durchgestrichen: Überzeugungen

[gg] Handschriftlich ersetzt: des durch eines

[hh] Handschriftlich durchgestrichen: hier

[ii] Handschriftlich eingefügt: sind

[jj] Handschriftlich ergänzt: seiner

[kk] Handschriftlich eingefügt: für

[ll] Handschriftlich ersetzt: als durch das

[mm] Handschriftlich durchgestrichen: Sozialer

[nn] Handschriftlich ersetzt: auf durch aus

[oo] Handschriftlich ersetzt: ja durch er

[pp] Handschriftlich ersetzt: die durch wie

[qq] Handschriftlich ersetzt: nicht durch sich

[rr] Handschriftlich ersetzt: verfaßte durch befaßte

[ss] Handschriftlich durchgestrichen: eine

[tt] Handschriftlich ersetzt: daselbst durch da wägt

[uu] Handschriftlich durchgestrichen: zu

[vv] Maschinell ersetzt: gegenseitigen durch gegenwärtigen

[ww] Maschinell eingefügt: sich

[xx] Maschinell eingefügt: der

[yy] Maschinell ersetzt: schlecht durch vielleicht

[zz] Handschriftlich ersetzt: RA. durch RRef.

[aaa] Handschriftlich ersetzt: möchte durch merke

[bbb] Handschriftlich durchgestrichen: ersteht

[ccc] Handschriftlich ersetzt: einen durch eines

[ddd] Maschinell eingefügt: die ganze Zeit

[eee] Maschinell eingefügt: jetzt

[fff] Maschinell ersetzt: oder durch und

[ggg] Maschinell ersetzt: beizuziehen durch beizuzitieren

[hhh] Maschinell eingefügt: es