67. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 22. Januar 1976, 9.09 Uhr



[5900] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Donnerstag, den 22. Januar 1976, 9.09 Uhr

(67. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von BuAnw. Dr. Wunder und OStA Holland - erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend: JOS Janetzko und

JAss. Clemens.

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als Verteidiger sind anwesend:

RAe Dr. Heldmann, Becker (als amtl. bestellter Vertreter von RA Schily), Schlaegel, König, Linke, Grigat, Schnabel und Schwarz.

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen. Die Verteidigung ist gewährleistet. Wie gesagt, soll der heutige Tag nur der Verlesung von insgesamt drei Urteilen dienen.

Herr RA Künzel hat sich entschuldigt, er wird etwas später kommen.

Wir beginnen mit der Verlesung des Urteils gegen den ehemaligen Angeklagten Mahler.[2]

- Es wird festgestellt, daß das Urteil laut Rechtskraftvermerk vom 3.12.1973 seit dem 23.11.1973 rechtskräftig[3] ist. -

Sodann wird gemäß § 249 StPO[4] das Urteil gegen Horst Mahler des Kammergerichts Berlin vom 26.2.1973 - Az.: (1) 1 StE 1/72 (10/72) - ohne Teil A.I - bis zum Ende des Abschnitts A. Seite 26 des Urteils verlesen.

Das Urteil befindet sich im Ergänzungsband Urteile Teil I Seite 255/1 bis 318.

Während der Verlesung erscheint RA Dr. Augst (als amtl. bestellter Vertreter von RA Eggler) um 9.12 Uhr im Sitzungssaal.

[5901] Richter Dr. Br[eucker]:

Es folgen nun die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung.

Vors.:

Sind sicherlich überflüssig. Legt einer der Beteiligten Wert darauf, daß das auch verlesen wird aus dem Urteil?

Strafzumessung interessiert gleichfalls nicht.

Die Beteiligten legen keinen Wert auf die weitere Verlesung des Urteils.

Damit wären wir am Ende der Verlesung des Urteils gegen Horst Mahler.

Es kommt als weiteres Urteil zur Verlesung das Urteil gegen den ehemaligen Angeklagten Jansen.

Es wird zunächst festgestellt, daß das Urteil laut Rechtskraftvermerk vom 23.10.1974 seit dem 3.9.1974 rechtskräftig ist.

Gemäß § 249 StPO wird nunmehr das Urteil gegen Heinrich Jansen[5] des Schwurgerichts beim LG Berlin vom 22.11.1973 - AZ.: (500) 1 P Ks 1/72 (50/72) - ohne Teil A.I. - bis zum Ende des Teils B.I. auf Seite 11 des Urteils verlesen.

Das Urteil befindet sich im Ergänzungsband Urteile Teil III Seite 4 - 37.

Während der Verlesung verläßt OStA Zeis um 10.02 Uhr den Sitzungssaal.

RA Künzel erscheint um 10.14 Uhr im Sitzungssaal.

Richter Dr. Be[rroth]:

Es folgen nun die Beweiswürdigung, rechtliche Würdigung und die Strafzumessung.

Vors.:

Es darf wohl auch hier davon ausgegangen werden, daß niemand Wert darauf legt, daß das zusätzlich verlesen wird. Dann wären wir am Ende mit diesem Urteil. Es ist beabsichtigt, noch ein weiteres Urteil einzuführen. Es handelt sich um das Urteil gegen die früheren Angeklagten Mohnhaupt und Braun.

Zunächst wird festgestellt, daß das Urteil bzgl. beider laut Rechtskraftvermerk vom 7.7.1975 seit dem 6.6.1975 rechtskräftig ist.

[5902] Gemäß § 249 StPO wird nunmehr das Urteil gegen

1. Brigitte Mohnhaupt,[6]

2. Bernhard Braun,[7]

der großen Strafkammer 2 a des Landgerichts Berlin vom 30.8.1974 - Az.: (502a/502) 1 P KLs 11/73 (13/73) bis zum Ende des Abschnitts I auf S. 42 des Urteils verlesen.

Das Urteil befindet sich im Ergänzungsband Urteile Teil IV Seite 2-33.

Während der Verlesung:

RA Schnabel verläßt um 10.37 Uhr den Sitzungssaal.

OStA Zeis erscheint um 10.47 Uhr im wieder im Sitzungssaal.

RA Becker verläßt von 10.57 - 11.02 Uhr den Sitzungssaal.

Richter Dr. Br[eucker]:

Es folgen jetzt die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung, die ja wohl nicht verlesen werden sollen.

Vors.:

Ich gehe davon aus, daß in der Richtung kein Antrag gestellt wird. Soll irgend etwas bemerkt werden zu der Verlesung?

Ich sehe nicht, dann sind wir ... Herr RA Becker.

RA Be[cker]:

Zu dem Urteil gegen Horst Mahler würde ich mir vorbehalten, zu einem späteren Zeitpunkt doch noch die Beweiswürdigung vorzulesen.

Vors.:

Anträge auf Verlesung von vorhandenen Urkunden können ja jederzeit gestellt werden. Damit wären wir am Ende der heutigen Sitzung. Fortsetzung am Dienstag, 9.00 Uhr, mit der Vernehmung des Zeugen Hoff.

Ende der Sitzung um 11.15 Uhr

Ende des Bandes 325


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] Rechtsanwalt Horst Mahler war ein führendes Mitglied der ersten RAF-Generation. Seine zentrale Rolle bei der Entstehung der RAF ist jedoch gegenüber den hier Angeklagten Baader, Ensslin und Meinhof in den Hintergrund gerückt. Er war maßgeblich an der Vorbereitung der als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichneten Befreiung Baaders aus der Haft im Mai 1970 beteiligt. Im September 1970 überfiel er u.a. zusammen mit Andreas Baader und Irene Goergens eine Bank in West-Berlin; bereits eine Woche später wurde er verhaftet. Im Jahr 1972 begann der Prozess gegen ihn vor dem Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Im Februar 1973 wurde er zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 12 Jahren verurteilt. Unter Einbeziehung dieser Strafe wurde er im November 1974 aufgrund seiner Beteiligung an der Baader-Befreiung zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt. Zwischen Mahler und dem Führungsduo Baader/Ensslin ergaben sich immer wieder Differenzen. Spätestens mit der Ablehnung seiner Freilassung im Austausch gegen den im Februar 1975 entführten Politiker Peter Lorenz sagte er sich endgültig von der RAF los. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 1980 durchlief Mahler eine radikale politische Kehrtwende. Ende der 90er Jahre bekannte er sich erstmals öffentlich zum Rechtsradikalismus, im Jahr 2000 trat er in die NPD ein. Wegen antisemitischer Hetze wurde er mehrfach wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 40 ff., 53, 67 f.).

[3] Ein gerichtliches Urteil erwächst in (formeller) Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen erhoben werden kann, es also im selben Verfahren unanfechtbar geworden ist. Dies ist der Fall, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3.1, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27). Die sog. materielle Rechtskraft, setzt die formelle voraus und betrifft den Inhalt des Urteils. Sie ist in zweifacher Hinsicht beschränkt: Zum einen bezieht sie sich nur auf die Personen, gegen die das Verfahren gerichtet war (Kudlich, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Auflage 2014, Einleitung Rn. 510). Zum anderen entsteht sie auch nur im Hinblick auf den Tenor, also die Entscheidungsformel, die im Falle einer Verurteilung den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch (sowie bestimmte Nebenentscheidungen) umfasst. Die Entscheidungsgründe entfalten daher keine Bindungswirkung für die Zukunft - weder für andere Straf- noch für Zivilgerichte (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 170). Gleichwohl ist es anderen (Straf-)Gerichten nicht verwehrt, die auch in den Entscheidungsgründen dokumentierten Ergebnisse der Beweiserhebung im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung einzuführen und sie zur Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) zu machen; dies gilt sogar für nichtrechtskräftige (z.B. aufgehobene) Entscheidungen (BGH, Urt. v. 18.5.1954 - Az.: 5 StR 653/53, BGHSt 6, S. 141; Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019 § 249 Rn. 17).

[4] Urkunden wurden zum damaligen Zeitpunkt ausschließlich durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt (§ 249 Satz 1 StPO a.F.). Heute ist zu diesem Grundsatz eine weitere Möglichkeit des Urkundenbeweises hinzugetreten: Anstelle der Verlesung kann die Urkunde in einigen Fällen mittels Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt werden (§ 249 Abs. 2 StPO), was eine Ausnahme zum sonst im Strengbeweis geltenden Mündlichkeitsgrundsatz darstellt (Kudlich, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, Einl. Rn. 185, 189).

[5] Heinrich Jansen war ein frühes Mitglied der RAF. Nach der militärischen Ausbildung im Nahen Osten war er mit Meinhof und Ruhland u.a. verantwortlich für die Beschaffung von Waffen, Geld und Pässen. Darüber hinaus nahm er an den Berliner Banküberfällen vom 29. September 1970 teil. Im Dezember desselben Jahres wurde Jansen nach einem gescheiterten Autodiebstahl verhaftet. Da er sich seiner Festnahme durch Schüsse auf zwei Polizeibeamte entziehen wollte, wurde er 1973 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 254 ff., 274 f.; Straßner, in Ders. [Hrsg.] Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 218).

[6] Bevor Brigitte Mohnhaupt ab Frühjahr 1971 zur ersten RAF-Generation in den Untergrund ging, war sie bereits in verschiedenen linken Organisationsformen in München wie den Tupamaros und der Kommune Wacker Einstein vernetzt. Innerhalb der RAF konzentrierte sie sich gemeinsam mit Bernhard Braun auf Aktivitäten in Berlin, wo sie im Juni 1972 zusammen verhaftet wurden. Am 30.8.1974 wurde sie vom Landgericht Berlin wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Einen Teil ihrer Haftstrafe verbrachte sie zusammen mit den Stammheimer Gefangenen. Diese Nähe zu den führenden Mitgliedern ließ sie nach ihrer Entlassung im Februar 1977 selbst zu einer Führungsperson der zweiten RAF-Generation aufsteigen. Als solche war sie auch für die Gewalttaten während des sogenannten Deutschen Herbstes 1977 mitverantwortlich. Bis zu ihrer erneuten Festnahme 1982 war sie an weiteren Aktionen der Gruppe beteiligt. Sie blieb bis zum Jahr 2007 in Haft (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 92 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt[Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99, 100., 105, 111 f., 118 f.; Wunschik, Baader-Meinhofs Kinder, 1997, S. 196 f., 248 ff., S. 367 ff.).

[7] Der Kfz-Schlosser Bernhard Braun war seit 1971 Mitglied der RAF. Gemeinsam mit Brigitte Mohnhaupt war Braun vor allem in Berlin aktiv. Im Juni 1972 lösten in einer von ihnen genutzten Wohnung gelagerte Sprengstoffe eine Explosion aus. Eine Woche später wurden sie in West-Berlin festgenommen. Die Polizei konnte in der Wohnung Chemikalien und Anleitungen zur Herstellung von Bomben sicherstellen. Mohnhaupt und Braun wurden wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von je vier Jahren und sechs Monaten verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 54, 92 ff., 250; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 112 f.).