166. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 7. Dezember 1976, um 9.03 Uhr



[12832] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 7. Dezember 1976, um 9.03 Uhr.

(166. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft, mit Ausnahme von Reg. Dir. Widera, erscheinen in derselben Besetzung wie am ersten Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

Just. Ass. Scholze und

Just. Ass. Clemens.

Die Angeklagten sind nicht anwesend;[1]

als deren Verteidiger sind erschienen:

RAe Künzel, Schnabel, Schwarz und Grigat.

Als Zeugen sind erschienen:

KHK Rolf Schneider und

Dieter Hartmann.

Vors.:

Ich bitte, Platz zu nehmen.

Wir setzen die Sitzung fort:

Herr RA Eggler wird durch Herrn Dr. Augst vertreten werden - Herr Augst kommt - wie bekannt - wenige Minuten später; und von Herrn RA Schily können wir annehmen, daß er kommen wird - er hat vorhin angerufen und möchte heute noch was abholen; es liegt wahrscheinlich am Flugzeug.

Von Herrn RA Dr. Heldmann ist ein Telegramm eingegangen:

„Morgen wegen Fristsachen verhindert,

Vertretung nicht mehr möglich.“

Dieses Telegramm ist gestern um 16.10 Uhr eingegangen.

Das von RA Dr. Heldmann übersandte Telegramm wird als Anlage 1 zu Protokoll genommen.

(in Ablichtung).

[12833] Dem ist vorauszuschicken, daß der Senat Herrn Dr. Heldmann am 3. Dezember angeschrieben hat, ihn aufgrund seines überaus häufigen Fehlens - unentschuldigten Fehlens - in der Sitzung nochmals drauf hingewiesen hat, daß er als Pflichtverteidiger[2] die Pflicht habe, an der Hauptverhandlung teilzunehmen.[3] Es ist ihm aufgeführt worden, in welchen Fällen er unentschuldigt gefehlt hat, ganztägig; es ist drauf hingewiesen worden, daß die Fälle unentschuldigten verspäteten Erscheinens so häufig sind, daß sie überhaupt nicht mehr im einzelnen aufgeführt werden können; und es ist ihm nochmals bedeutet worden, daß der Sinn der Pflichtverteidigung, nämlich im öffentlichen Interesse für Beistand zu sorgen und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf[a] zu gewährleisten,[b] verfehlt sei, wenn der Pflichtverteidiger zur Hauptverhandlung nicht erscheint. Nun ist Herr RA Dr. Heldmann heute[c] wieder nicht erschienen, obwohl sowohl heute wie auch an dem vergangenen Tag, an dem er gefehlt hat, Zeugen vernommen werden, die er beantragt hat, ausschließlich er.

Es wird nun zu überlegen sein, ob es sinnvoll ist und man muß auch sagen, zumutbar ist, einen Pflichtverteidiger weiter im Verfahren zu belassen, der derart konstant und auffällig gegen seine Pflichten verstößt. Jedenfalls eine Pflichtverteidigung, die so aufgefaßt wird, daß man bei Gelegenheit hier bei der Sitzung vorbeikommt, hat keinen Wert und[d] ist auch aus Rechtsgründen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Konsequenzen[4] werden also überlegt werden müssen.

Ich darf dann jetzt noch gleich drauf hinweisen, daß der Zeuge Collisi heute nicht kommen kann, er ist gleichzeitig in Kaiserslautern[5] als Zeuge geladen - ich weiß nicht, ob das ein Synchron-Beweisantrag gewesen ist sowohl hier als auch in Kaiserslautern; wir werden ihn morgen vernehmen. Morgen ist auch der Zeuge Habekost - vormittags - zu vernehmen, so daß davon ausgegangen werden kann, daß am Donnerstag voraussichtlich keine Sitzung ist und sich möglicherweise auch die Sitzung beschränkt auf den morgigen Vormittag.

[12834][6] [12835] Heute haben wir die Herrn Hartmann und KHK Schneider.

Die Zeugen KHK Schneider und Hartmann werden gemäß § 57 StPO[7] belehrt.

Während der Belehrung der Zeugen erscheint RA Dr. Augst (als Vertreter von RA Eggler) um 9.06 Uhr im Sitzungssaal.

Die Zeugen KHK Schneider und Hartmann erklären sich mit der Aufnahme ihrer Aussage auf das Gerichtstonband einverstanden.[8]

Der Zeuge KHK Schneider wird um 9.07 Uhr in Abstand verwiesen.

Der Zeuge Hartmann macht folgende Angaben zur Person:

Zeuge Ha[rtmann]:

Dieter Hartmann, Student,

 31, Bonn-Bad Godesberg;

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert;

wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Sie sind von der Verteidigung als Zeuge benannt worden, und zwar sollen Sie Auskünfte geben können über ein Zusammentreffen mit Ingeborg Barz zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Kennen Sie Frau Barz?

Zeuge Ha[rtmann]:

Mir ist weder Frau Barz bekannt - ich habe Frau Barz nie gesehen; ich kenne Frau Barz nur von den Fahndungsplakaten her und aus öffentlichen Berichterstattungen -, ich bin weder mit Frau Barz zusammengekommen, noch habe ich Frau Barz persönlich gesehen, noch habe ich über Dritte[e] Kontakt zu ihr gehalten.

Vors.:

Es ist erstaunlich. Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte, wieso man zur Annahme gelangen konnte, Sie hätten Frau Barz getroffen?

Zeuge Ha[rtmann]:

Ich bin wohl am meisten überrascht, daß ich hier sitze, weil ich ganz einfach nicht sagen kann, was ich hier soll; denn ich kenn weder Frau Barz ... Ich kann es nur so erklären: Im Wege eines Ermittlungsverfahrens wurden seinerzeit mal Vernehmungen [12836] geführt und da wurden Personen aus dem Bereich Frankfurt Lichtbilder vorgehalten, und da hat eine dieser Personen angegeben, die in meiner Begleitung sich[f] befindliche Frau könnte Frau Barz gewesen sein. Soweit ich unterrichtet bin: Ich meine, auf eine Frage ans BKA, welches die Ermittlungen geführt hat, hat sich das eben rausgestellt; und ich meine, der Nachweis ist zu führen, daß es eben nicht Frau Barz war, sondern eine Frau, die namentlich[g] benannt werden kann.

Vors.:

Wenn Sie sagen, Sie sind nie mit Frau Barz zusammengetroffen, dann ist der konkrete Termin, den die Verteidigung benannt hat, 21.1.74 da eingeschlossen? Am 21.1.74 sollen Sie mit Frau Barz zusammengetroffen sein.

Zeuge Ha[rtmann]:

Ich hab nie bewußt erlebt, daß eine ... von den Fotografien her könnte ich nicht sagen, daß ich mit Frau Barz zusammengetroffen bin.

RA Schlaegel erscheint um 9.10 Uhr im Sitzungssaal.

Vors.:

Es geht also hier nicht um irgendeine Frau Barz, sondern um Ingeborg Barz, deren Schicksal[9] ja gewisses Interesse gefunden hat durch Bekundungen des Zeugen Müller.[10]

Zeuge Ha[rtmann]:

Jaja, sicher. Ich meine, ich hab viele Leute kennengelernt während dieser Zeit im Jahre 74; aber ich kann aus eigener Erfahrung nichts sagen, daß ich einer Ingeborg Barz begegnet bin, auch nicht einer Frau, daß man sagen könnte aufgrund ihrer Aktivitäten und so, daß sie eben identisch sei.

Vors.:

Weitere Fragen an den Herrn Zeugen? Ich sehe, beim Gericht nicht. Die Herrn der B. Anwaltschaft, keine Fragen?

Die Herrn Verteidiger, keine Fragen?

Wir wollen den Herrn Zeugen vereidigen und entlassen.

Einwendungen? Keine.

Der Zeuge Dieter Hartmann wird vorschriftsmäßig vereidigt und im allseitigen Einvernehmen um 9.11 Uhr entlassen.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender ...

Vors.:

Bitte sehr.

BA Dr. Wu[nder]:

... ich weiß nicht, ob eine Erklärung nach § 257 StPO[11] veranlaßt wäre; jedenfalls eine kurze Erklärung möchte ich dazu abgeben.

[12837] Vors.:

Bitte, Herr B. Anw. Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender, gerade diese Zeugenvernehmung beweist meiner Meinung nach eindeutig, daß es schier unglaublich ist, mit welcher Leichtfertigkeit hier jetzt in dieser Prozeßphase die Angeklagten Beweisanträge stellen lassen. Das gibt jedenfalls der B. Anwaltschaft Anlaß, noch mehr darüber nachzudenken, wie hier offensichtlich mit Prozeßverschleppung gearbeitet wird. Danke schön.

Vors.:

Danke sehr.

Der Zeuge KHK Schneider erscheint um 9.12 Uhr im Sitzungssaal.

Der Zeuge KHK Schneider macht folgende Angaben zur Person:

Zeuge Schn[eider]:

Rolf Schneider, 38, Kriminalhauptkommissar, Bonn;

mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert;

wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.

Vors.:

Herr Schneider, die Aussagegenehmigung[12] haben Sie vorgelegt.

Sie ist so erteilt worden, wie wir sie erbeten haben, nämlich: daß Sie aussagen über Ihr Wissen betr. die Angaben des Zeugen Müller vom 8.5.1975 zum „Ensslin-Kassiber“. Diese Aussagegenehmigung umreißt zugleich das Thema, über das wir heute auf Antrag der Verteidigung mit Ihnen sprechen sollen. Die Herrn Verteidiger, die den Antrag gestellt haben, sind allerdings nicht anwesend. Deshalb müssen wir’s eben selber machen.

Die vom Zeugen KHK Schneider vorgelegte Aussagegenehmigung wird als Anlage 2 zu Protokoll genommen.

Zunächst: Ist Ihnen der sog. „Ensslin-Kassiber“[13] ein Begriff?

Zeuge Schn[eider]:

Der „Ensslin-Kassiber“ ist mir ein Begriff. Wenn’s natürlich in Detailfragen geht, bitte ich doch vielleicht um Zurverfügungstellung meiner Niederlegungen oder Darlegungen vom 8.5., weil ich das nicht mehr so präzise im Gedächtnis habe.

[12838] Vors.:

Das ging jetzt nur so ganz allgemein.

Sie wissen also, von was die Rede ist, wenn man vom „Ensslin-Kassiber“ spricht. Ist es richtig, daß es sich hier um ein Schriftstück handelt, das bei einer der Angeklagten - der früheren Angeklagten, muß man in dem Falle sagen - bei der Festnahme sichergestellt worden ist?

Zeuge Schn[eider]:

Dieser sog. „Ensslin-Kassiber“ ist am 15. Juni bei der verstorbenen Ulrike Meinhof[14] sichergestellt und beschlagnahmt worden, und aufgrund dieser Tatsache, daß - sagen wir mal, mit der Meinhof festgenommen worden ist der Gerhard Müller - lag bei uns die Vermutung 72 bereits hier, daß - sagen wir mal, beide sehr eng mit diesem Kassiber in Beziehung stehen und daß auch vielleicht der Gerhard Müller etwas darüber wissen könnte, insbesondere über diese - sagen wir mal, ausgeprägte konspirative Form.

Und uns lag natürlich nahe, daß wir zumindest mal einen Aufschluß darüber gewinnen können gerade über die konspirativen Abkürzungen, weil wir vermutet haben oder zumindest davon ausgegangen sind, auch in der späteren Analyse, daß da noch einige Brisanz drinstecken würde. Und nachdem eben kundgetan worden ist, daß der Gerhard Müller bereit ist, einiges zu sagen, bin ich natürlich nach Hamburg gefahren und habe versucht, mit Gerhard Müller ein Gespräch zu führen, und es ist insoweit auch gelungen, und er ist auch belehrt worden zeugenschaftlich, weil er ja selbst in diesem Gesamtverfahren ja Beschuldigter war.[15] Und aufgrund dieser Tatsache kam ich mit Herrn Müller ins Gespräch und habe [h] den „Ensslin-Kassiber“ abgehandelt, insbesondere hinsichtlich der Abkürzungen. Im einzelnen weiß ich nicht mehr, was die einzelnen Abkürzungen waren. Ich kann eben nur sagen die Art der Gegenüberstellung, Abkürzungen und Erläuterungen des Gerhard Müller.

Dem Zeugen wird das Protokoll vom 8.5.1975 aus Ordner 128 Bl. 85 - 93 mit der Bitte um Erklärung vorgelegt, ob das die Niederschrift sei, die damals aufgrund des Gespräches zustande gekommen ist und ob es sich um seine Unterschrift handelt.

[12839][16] [12840] Zeuge Schn[eider]:

Das ist meine von mir selbst maschinenschriftlich gefertigte Niederschrift vom 8.5., und ich nehme grad vorweg mal Einblick: Am 6.5. und 7.5. habe ich mit Herrn Müller das Gespräch in Hamburg geführt. Dies ist von mir selbst gefertigt worden am 8.5.

Vors.:

Wer hat an dem Gespräch teilgenommen?

Zeuge Schn[eider]:

Gesprächsführer - ich möchte so sagen: Absoluter Gesprächsführer mit Herrn Müller war ich. Zeitweilig war zugegen ein Beamter von Hamburg, der aber sich am Gespräch nicht beteiligt hat; das war der Überführungsbeamte von der JVA zum Polizeipräsidium.

Vors.:

Also mehr ...

Zeuge Schn[eider]:

... Bewachungsfunktion.

Vors.:

Ist im Zusammenhang mit den Erörterungen dieses Kassibers auch der Name Susanne Mordhorst[17] ins Gespräch gekommen?

Zeuge Schn[eider]:

Bei der Niederlegung der einzelnen Abkürzungen - Tarnnamen, Decknamen, sei es „Ha“, „Erwin“ - kam auch „Elsa“ zur Sprache, und da sagte der Gerhard Müller - da kann ich mich noch gut erinnern - spontan, es handle sich hier um die Susanne Mordhorst.

Vors.:

Hat er den Namen aufgrund der Abkürzung oder des Decknamens an sich ...?

Zeuge Schn[eider]:

Also meine Vermutung, aufgrund der Abkürzung „Elsa“; denn es kam sofort raus, das ist die Susanne Mordhorst.

Vors.:

Es ist hier in

B. 87

der von Ihnen soeben besichtigten und als Ihr eigenes Produkt erkannten Niederschrift vermerkt: „El“ und dann kommt auf der rechten Spalte die Erläuterung „Susanne Mordhorst“ und dann ist vermerkt: „Nach Wahllichtbildervorlage“ - wird dann auch sogar ’ne Nummer angegeben.

Zeuge Schn[eider]:

Ich habe ein Bild angefordert von der Susanne Mordhorst, und dieses Lichtbild ist mit verschiedenen Lichtbildern weiblicher Personen vorgelegt worden; und er hat also die Susanne Mordhorst identifiziert. Identifiziert, also nicht so sicher, also es war immer etwa so - na, ich möchte sagen, von der [12841] Wertung her. Man kann nie sagen absolut, gerade, weil ja die Gefahr besteht bei Wahllichtbildvorlagen, daß, wenn einer einen sehr großen Umgang hat mit Personen, die in diesem Kreis tätig waren, daß er sagte: Ja, die könnte ich gesehen haben oder die habe ich gesehen; und dann geht natürlich die Frage von uns aus oder von mir aus: Welche besondere Merkmale liegen vor oder an was erkennen sie besonders daran, daß es die sein könnte oder jener sein könnte - und das wird dann niedergelegt; also insgesamt ist es immer mit einer Einschränkung verbunden. Eine absolute Identifizierung könnte man bei Wahllichtbildvorlagen nie erreichen.

Vors.:

Also das war nun schon die vorweggenommene Frage dieser Identifizierung.

Hier ging es primär um die Frage: Hat er den Namen Susanne Mordhorst schon ins Gespräch gebracht, bevor er ein Bild bekommen hat?

Zeuge Schn[eider]:

Vor Lichtbildvorlage; denn als ich die Frage gestellt habe: Wer ist „Elsa“?, genauso wie mit „Liesel“ - das ist die Ulrike Meinhof - wer ist „Elsa“? sagte er spontan: „Susanne Mordhorst“.

Vors.:

Kann man dann davon ausgehen: Die Anforderung dieses gezielten Fotos erfolgte deswegen, weil Herr Müller bereits den Namen genannt hatte?

Zeuge Schn[eider]:

Ja, um das noch etwas abzusichern; denn manchmal ist schnell was gesagt, um abzusichern. Später wäre ja noch ’ne Gegenüberstellung dazugekommen auch.

Vors.:

Die Verteidigung stellt nun in Ihr Wissen in dem Antrag, daß Müller bei seinen Erläuterungen gesagt habe, er kenne keine Verbindungen von Susanne Mordhorst zur „RAF“. Wir wollen das mal so stehenlassen:

Was können Sie zu dem Thema sagen?

Zeuge Schn[eider]:

Mein Eindruck vom Mai 1975 war: Er sagte wohl, er kenne im Moment keine echte oder konkrete Beziehung zu ... der Susanne Mordhorst zum „RAF“-Geschehen oder hinsichtlich einer Unterstützung. Es ist auch von mir so dargelegt worden, daß es also zum gegenwärtigen Zeitpunkt er nichts sagen kann. Mein persön- [12842] licher Eindruck war: Er wußte etwas, er wollte aber noch nicht so mit diesem Wissen herausrücken. Ich möchte auch dazu noch ausführen, daß ich auch nicht letztlich Wert drauf legte, zu jeder Person genau ein exaktes Bild jetzt zu haben. Es ging ja darum, was steckt in dem Kassiber drin; was ist noch zu verhindern. Mehr präventiven Charakter hatte diese zeugenschaftliche Anhörung.

Vors.:

Es heißt in der Tat, weil Sie das Wort „im Moment“ in Ihrem Protokoll verwenden - das möchte ich Ihnen zur Gedächtnisstütze vorhalten, Susanne Mordhorst:

„Er könne jedoch keine Zusammenhänge/Verbindungen zur Bande zur Zeit erkennen ...“

Jetzt ist also die Bemerkung „zur Zeit“, die hier enthalten ist zunächst mal: Ist die Ihnen noch geläufig in diesem Sinne, daß da nun eine Einschränkung gemacht worden ist?

Zeuge Schn[eider]:

Ja, weil er wohl etwas ausdrücklich hier „Hamburger Bereich“, also wie ich schon sagte hier von meinem Eindruck her, weiß er etwas, aber er kann’s zur Zeit nicht sagen.

Vors.:

Ja nun, das ist jetzt gerade die zweite Frage: Wenn Sie dann formulieren „zur Zeit erkennen“, dann klingt das anders als wenn hier stünde: „kann ich zur Zeit nicht benennen“ beispielsweise.

Zeuge Schn[eider]:

Ja, das ist in der Formulierung etwas unglücklich.

Vors.:

„Erkennen“ sieht so aus, als ob er tatsächlich überhaupt keine Anhaltspunkte zum damaligen Zeitpunkt gehabt habe, die überhaupt ihn in den Stand gesetzt hätten, Ihnen das mitzuteilen. Und jetzt die Frage: Wenn Sie das hier in dem Zusammenhang hören, er könne das also „zur Zeit“ nicht erkennen, und so, wie Sie’s schildern, müßte es eigentlich „benennen“ heißen oder er wolle „zur Zeit“ nichts angeben dazu - also wie man’s nehmen will ...

Zeuge Schn[eider]:

Ich kann heute ... also ich sage es zurückschauend, wenn ich mich nochmals zurückversetze in den Stand der Befragung, so will ich das heute sagen, daß er also seinerzeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts darüber sagen wolle.

[12843] Vors.:

Haben Sie später nach dieser Anhörung des Herrn Müller speziell zu diesem Punkte noch irgendwelche Kontakte durch Vernehmung u. dergl. mit Herrn Müller gehabt?

Zeuge Schn[eider]:

Ich habe mit Herrn Müller nach dieser zeugenschaftlichen Anhörung keine Vernehmung mehr geführt.

Vors.:

Vier Wochen später - das möchte ich Ihnen vorhalten - hat Herr Müller Einzelheiten schon im Rahmen dieser Vernehmung, die wir unter dem Az. 3 ARP[18] kennen, über Susanne Mordhorst angegeben, die er dann später wiederholt hat in einem weiteren Aktenvorgang, der bei uns unter dem Az. 1 B Js 7/76[19] läuft.

Frage:

Ist Ihnen das zu Ohren gekommen, daß er im Gegensatz zu Ihrer Vernehmung oder Anhörung später über Mordhorst Näheres angegeben hat?

Zeuge Schn[eider]:

Soweit ich das noch weiß, ist mir mal - Sie wissen ja, bei einer Behörde gibt es auch Flurgespräche; man unterhält sich mal über das eine oder andere - gesagt worden, er macht Angaben über diesen oder jenen Komplex. Ob’s nun speziell in Richtung Susanne Mordhorst war, das kann ich heute nicht mehr sagen.

Vors.:

Können Sie zu diesem Thema sonst noch irgend etwas beitragen?

Es geht also der Verteidigung speziell um die Äußerung, die Herr Müller damals im Zusammenhang mit Susanne Mordhorst gemacht hat.

Zeuge Schn[eider]:

Kann ich nichts mehr sagen.

Vors.:

Sonstige Fragen an den Herrn Zeugen seh’ ich bei den Herrn des Gerichts nicht.

Bitte, Herr B. Anw. Zeis.

OStA Zeis:

Herr Vorsitzender, Sie haben grade dem Zeugen den Vorhalt gemacht, daß Herr Müller vier Wochen später sich ausführlicher geäußert hätte. Könnte es sein, daß es ein Mißverständnis ist?

Sie meinen doch: 1 B Js 7/76.

Vors.:

Nein, Bl. 132 von 3 ARP - Vernehmung vom 3.6. ...

OStA Zeis:

Danke.

Vors.:

Bitte schön.

Also da taucht das Thema 30.000,-- DM usw. schon auf.

OStA Zeis:

Das war dann ein Mißverständnis bei mir.

Herr Schneider, der Herr Vorsitzende hat Sie grade eben gefragt, ob Sie noch Weiteres wüßten in dem Zusammenhang.

[12844] Mich interessiert: Haben Sie Herrn Müller damals im Mai 75 gefragt, wie die Frau Meinhof in den Besitz dieses Schriftstücks gekommen sein könnte, was er dazu weiß.

Zeuge Schn[eider]:

Es ist auch in dieser Richtung ein Gespräch geführt worden, weil wir ja natürlich brennend daran interessiert waren, wie kommt nun plötzlich die verstorbene Ulrike Meinhof in ... zu einem Papier, das also etwas darüber aussagt, was also nach der Festnahme führender Mitglieder nun gelaufen oder geschehen ist. Nun ist’s wieder ein Jahr her. Soweit ich noch sagen kann, sagte mir Gerhard Müller: Er - ob’s nun ’ne Schlußfolgerung von ihm war oder ’ne Mutmaßung; er sagte zumindest: Der Treff habe in Hamburg stattgefunden. Die Übergabe des Kassibers sei in Hamburg erfolgt, und er wisse, daß zumindest der Überbringer - er konnte ihn ja nicht klar identifizieren, das war ihm eben nicht möglich -, daß der Überbringer mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Berlin angereist sei mit dem Flugzeug.

OStA Zeis:

War in dem Zusammenhang mal von einem Berliner Rechtsanwalt die Rede?

Zeuge Schn[eider]:

Das ist mehr oder weniger ’ne Mutmaßung gewesen von Herrn Müller.

OStA Zeis:

Ist mal der Name Schily[20] gefallen?

Zeuge Schn[eider]:

Der ist von mir natürlich ins Gespräch gebracht worden, aber er konnte es nicht bejahen, absolut nicht bejahen.

OStA Zeis:

Danke. Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

Vors.:

Herr RA Künzel, bitte schön.

RA Kü[nzel]:

Herr Zeuge, wissen Sie, was im Kassiber die Abkürzung „Ha“ bedeutet?

Zeuge Schn[eider]:

Auch da ist der Herr Müller zeugenschaftlich befragt worden, und er hat ganz klar zu erkennen gegeben, das sei er, das sei die Abkürzung seines Decknamens „Hardy“ bzw. auch „Harry“.

RA Kü[nzel]:

Danke schön.

Vors.:

Sonstige Fragen an den Herrn Zeugen? Seh ich nicht.

Herr Schneider, Sie haben hier schon den Eid abgelegt. Wenn Sie die Richtigkeit der heutigen Aussagen versichern unter Bezugnahme auf den früher geleisteten Eid, dann gilt das als neue Vereidigung.

[12845] Der Zeuge KHK Schneider versichert die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf seinen früher bereits geleisteten Eid (§ 67 StPO)[21] und wird im allgemeinen Einverständnis um 9.28 Uhr entlassen.

Wie gesagt, wir haben erst für morgen die zwei weiteren beantragten Zeugen - sie waren für heute schlechterdings nicht erreichbar.

Wir machen jetzt eine kurze Pause. Im Anschluß daran wird der Senat noch ein paar Beschlüsse bekanntgeben, die die weiteren Beweisanträge bzw. einen Teil der weiteren Beweisanträge betreffen.

Fortsetzung um 9.45 Uhr.

Pause von 9.28 Uhr bis 9.47 Uhr

Ende von Band 759.

[12846] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 9.47 Uhr.

RA. Weidenhammer ist nunmehr auch anwesend.

Vors.:

Wir können die Sitzung fortsetzen. Zunächst ist gem. § 251 Abs. 3[ StPO][22] zu der Frage, ob ein Beweismittel erforderlich ist, bekanntzugeben, daß uns Frau Barz, die Mutter der Ingeborg Barz, im Anschluß an ihr Entschuldigungsschreiben wegen Krankheit noch ein weiteres Schreiben geschickt hat.

Gem. § 251 Abs. 3 StPO wird das Schreiben von Frau Irmgard Barz vom 28.11.76 verlesen.

Eine Ablichtung dieses Schreibens wird als Anl. 3 zum Protokoll genommen.

Vors.:

Die Frage ist nun zu stellen, nachdem die Zeugin erkrankt ist, ob wir auf einer Vernehmung zu bestehen hätten; der Senat beabsichtigt das nicht. Ich sehe, es wird jedenfalls gegenwärtig auch in dieser Richtung kein Antrag gestellt.

Dann ist beabsichtigt, das Schreiben des Bundesministers der Justiz zu verlesen, das er in Beantwortung unserer Anfrage hinsichtlich des Beweisantrags der Verteidigung dem Senat mitgeteilt hat.[i] Keine Einwendungen.

Gem. § 256 StPO[23] wird das Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 24.11.76 verlesen.

Eine Ablichtung dieses Schreibens wird als Anl. 4 zu Protokoll genommen.

Vors.:

Über den weitergehenden Antrag - er stammt ja von Ihnen, Herr RA Weidenhammer - wird dann noch eine Entscheidung ergehen. Es ist wahrscheinlich morgen damit zu rechnen. Dann ist folgender Beschluß zu verkünden:

Beschluss:

Der von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Herrn Hans- Peter Konieczny als Zeugen zu vernehmen, wird abgelehnt.

[12847] Gründe:

Der Antragsteller hat, was die Anschrift der benannten Person angeht, lediglich erklärt, sie befinde sich nach den Informationen der Verteidigung in Haft; die Haftanstalt solle über die Bundesanwaltschaft festgestellt werden.

Doch ist Hans-Peter Konieczny nicht in Haft, sondern unbekannten Aufenthalts. Nach Mitteilung des Landeskriminalamts Baden-Württemberg wird wegen Verdachts des Betruges nach ihm gefahndet. Der Senat sieht sich daher nicht in der Lage, Hans-Peter Konieczny zu laden. Der Zeuge ist unerreichbar (§ 244 Abs. 3, Satz 2 StPO).

- - -[j]

Weiterer

Beschluss:

Der von Rechtsanwalt Weidenhammer gestellte Antrag, Herrn Rolf Mauer als Zeugen zu laden, wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antragsteller hat lediglich Namen und Vornamen der als Zeugen benannten Person angegeben und hinzugefügt, er sei „zu laden über das Bundeskriminalamt“; Anschrift oder sonstige nähere Angaben zur Person fehlen. Dem Bundeskriminalamt ist jedoch die Anschrift von Herrn Mauer nicht bekannt, auch die Bundesanwaltschaft kennt sie nicht. Der Senat sieht sich daher nicht in der Lage, den Zeugen zu laden, und lehnt den Antrag - dessen Wirksamkeit als Beweisantrag[24] mangels hinreichenden Tatsachenvortrags über die zu ladende Person schon bezweifelt werden könnte - jedenfalls wegen Unerreichbarkeit des Zeugen ab.

- - -[k]

Weiterer

Beschluss:

Der von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Zelle als Zeugen zu vernehmen, wird abgelehnt.

Gründe:

Die in das Wissen des Zeugen gestellte Beweisbehauptung (betr. Aussage[l]des KHK Wolf vor dem Kammergericht) wird so behandelt, als wäre die behauptete Tatsache wahr.[25]

- - -[m]

[12848][26] [12849][27] [12850] Und ein letzter

Beschluß:

Die von Rechtsanwalt Schily gestellten Anträge, die Herren Eimecke, Liepe, Becher und Gehlen als Zeugen zu vernehmen, werden abgelehnt.

Gründe:

Ob Herr Ruhland[28] nach Haftentlassung auf die in den Beweisanträgen genannte Art Geldzahlungen in der genannten Höhe erhalten hat, berührt das hiesige Verfahren nicht unmittelbar. Herr Ruhland hat hier weder Aussagen gemacht, noch wurden frühere Angaben von ihm, die sich mit den Anklagevorwürfen befassen, in die Hauptverhandlung durch Vernehmung von Verhörspersonen eingeführt.

Offenbar zielt der Antragsteller mit den Beweisanträgen hierauf auch nicht ab. Er will vielmehr - das ist seinem sonstigen Prozeßverhalten zu entnehmen - möglicherweise daraus, daß Ruhland die genannten Zuwendungen erhalten habe, Schlüsse darauf ziehen, Ruhland sei auf unerlaubte Weise vernommen worden, und hieraus wiederum folgern, der im hiesigen Verfahren als Zeuge vernommene Gerhard Müller sei auf unlauterem Wege (§ 136a StPO)[29] zur Aussage veranlaßt worden.[30]

Ob bei Gerhard Müller verbotene Vernehmungsmittel im Sinne von § 136a StPO angewandt wurden, ist vom Senat im Wege des Freibeweises[31] zu prüfen (vgl. Sarstedt bei Löwe-Rosenberg, 22. Aufl., 8 und 10 zu § 136a[ StPO], mit weiteren Nachweisen[32]); Maßstab ist die Pflicht zu umfassender Aufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO).[33] Sie gebietet die Anhörung der Zeugen Eimecke, Liepe, Becher und Gehlen nicht.

In der Hauptverhandlung hat die Prüfung, ob Gerhard Müller bei Vernehmungen Zusagen oder Versprechungen gemacht wurden, schon breiten Raum eingenommen. Gerhard Müller selbst wurde eingehend hierzu befragt, ferner zahlreiche Zeugen, insbesondere seine Vernehmungsbeamten, seine Eltern, der Generalbundesanwalt und ein Bundes- [12851] anwalt, Rechtsanwälte, die Müller früher verteidigt hatten, Journalisten, die Müller interviewt hatten, ein früherer Mithäftling. Der Senat hat darüber hinaus auf Antrag der Verteidigung Karl Heinz Ruhland geladen (dieser[n] hat im Hinblick auf eine gegen ihn erstattete Anzeige wegen Falschaussage die Auskunft gem. § 55 StPO[34] umfassend verweigert), schließlich die mit ihm - Ruhland -[o] zusammenlebende Freundin und frühere Mithäftlinge Ruhlands vernommen.

Dagegen könnten die jetzt aufgestellten Beweisbehauptungen zur Überzeugungsbildung nichts beitragen. Aus dem bloßen Umstand, Ruhland habe nach Haftentlassung über die Sicherungsgruppe[35] und seinen Verteidiger Geldunterstützung aus einem „Spionage-Fond“ erhalten, lassen sich keine - auch keine mittelbaren - Schlüsse darauf ziehen, dem Zeugen Gerhard Müller seien vor oder während der Vernehmung unlautere Versprechungen gemacht worden. Beweisaufnahme in dieser Richtung würde vom hiesigen Verfahren wegführen. Letzteres gilt erst recht für die Behauptung, die Zeugin Fisch sei Mitglied von Geheimdiensten gewesen und habe deshalb zu Ruhland Verbindung aufgenommen.

Soweit die Beweisanträge möglicherweise auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller zielen, gilt zwar Strengbeweis.[36] Indes sind die Tatsachen, die bewiesen werden sollen, für das hiesige Verfahren ohne Bedeutung (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Ob Ruhland nach Haftentlassung auf die bezeichnete Weise Geld erhalten hat, berührt die Frage, ob Müllers Angaben glaubhaft sind, in keiner Weise; beides hat miteinander nichts zu tun.

Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, es gehe dem Antragsteller hier nicht um die Glaubwürdigkeit Müllers und das hiesige Verfahren, sondern vielmehr um das Verfahren gegen Horst Mahler[37] und die Glaubwürdigkeit Ruhlands. Gegen ihn - der im Verfahren gegen Mahler zur Sache ausgesagt hat - hat der Antragsteller Strafanzeige wegen Falschaussage erhoben mit dem erklärten Ziel, die [12852] Voraussetzungen für ein Wiederaufnahmeverfahren[38] gegen den rechtskräftig verurteilten Mahler zu schaffen. Die hier gestellten Anträge könnten in die gleiche Richtung deuten.

- - -

Vors.:

Sind weitere Anträge zu stellen? Herr Rechtsanwalt Weidenhammer.

RA Wei[denhammer]:

Danke. Die Ablehnung meiner Bestellung als Pflichtverteidiger vom 1.12.1976, sowie die Vorgänge anläßlich einer Zellendurchsuchung am 1.12.1976 sind für den Angeklagten Raspe Anlaß,

den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Der Vorsitzende Richter hat seine Ablehnungsgründe hinsichtlich meiner Bestellung als Pflichtverteidiger auf ermessensfehlerhafte Erwägungen gestützt, was unzulässig ist. 1. Es ist gerichtsbekannt, daß der Angeklagte Raspe seit Monaten ohne einen Pflichtverteidiger seines Vertrauens ist. Die Entpflichtung seines letzten Pflichtverteidigers des Vertrauens[39] ist ihm schon deswegen nicht zuzurechnen, weil die Entpflichtung vom Vorsitzenden bewirkt worden ist. Auf diesen Umstand hatte der Gefangene keinen Einfluß. 2. Durch die Ablehnung meiner Beiordnung werden der mittellose Gefangene und sein Wahlverteidiger fortgesetzt unter Kostendruck gesetzt.[40] Trotz mehrfachen Hinweises, daß eine regelmäßige Teilnahme an der Hauptverhandlung nur gewährleistet sein kann, wenn mich der Vorsitzende unverzüglich beiordnet, ist dies nicht geschehen. Die erst[p] zum 1.12.1976 erfolgte Entscheidung über meinen Beiordnungsantrag ist[q] daher ursächlich für die unregelmäßige Teilnahme an der Hauptverhandlung. Hätte mich der Senatsvorsitzende sogleich am 9.11.1976 zum Zeitpunkt der Antragstellung als Pflichtverteidiger des Vertrauens dem Gefangen Raspe beigeordnet, so wäre meine regelmäßige Teilnahme an der Hauptverhandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch gewährleistet gewesen. 3. Der ferner ange- [12853] führte Grund, die Bestellung sei vom Verfahrensstand dergestalt abhängig, daß ein Strafverfahren von völlig unabsehbarer Dauer und der Ungewissheit abhängig sei, ob zwei Pflichtverteidiger ausreichten, um die notwendige Präsenz zu gewährleisten, geht fehl, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung am 9.11.1976 während des erneuten Eintritts in die Beweisaufnahme[41] der künftige zeitliche Ablauf ebenfalls nicht absehbar war. Im übrigen geht es jetzt darum, dem Gefangenen die Vorbereitung seines Plädoyers durch einen Verteidiger seines Vertrauens zu gewährleisten. Ein Umstand, auf den bereits mehrfach hingewiesen worden ist. 4. Die Tatsache, daß ich die Schlußvorträge der Bundesanwaltschaft als Verteidiger nicht habe in der Sitzung wahrnehmen können, reicht für sich nicht hin. Der Senatsvorsitzende hätte, soweit er diesen Punkt zum Gegenstand seiner Ablehnungsbegründung hat machen wollen, zuvor vorsorglich die Bundesanwaltschaft um eine Ablichtung ersuchen können. Dieser Mangel ist demzufolge sogar augenblicklich noch heilbar. 5. Fehlerhaft ist ferner die Erwägung, in Fällen notwendiger Verteidigung könnte der Gefangene dem gewählten Pflichtverteidiger das Vertrauen jederzeit entziehen, um eine Neubestellung zu erzwingen. Die Zwangsverteidiger[42] genießen bis heute nicht das Vertrauen des Angeklagten und sind gleichwohl nicht entpflichtet worden. Im übrigen hat nicht der Angeklagte, sondern der Senat hierüber Entscheidungsgewalt. 6. ...

Vors.:

Herr RA, ich unterbreche Sie ungern bei einem Antrag, der unverzüglich[43] gestellt werden muß. Aber über eines müssen Sie sich im Klaren sein: Die Verantwortung dafür, daß Sie hier Rechtsanwälte, die ihrer Pflichtaufgabe nachkommen, als Zwangsverteidiger - Sie - bezeichnen, die müssen Sie selbst tragen und auch die Konsequenzen, die dadurch entstehen können.

RA Wei[denhammer]:

Herr Vorsitzender, darf ich das so erläutern ...

Vors.:

Sie dürfen es dahin erläutern, daß ich das ausdrücklich rüge, daß Sie hier tätige Verteidiger in dieser Form abqualifizieren wollen. Jetzt können Sie fortfahren.

[12854] RA Wei[denhammer]:

Ich nehme die Rüge zur Kenntnis. 6. Der Umstand, daß ich am 9.7.1976 einen Beiordnungsantrag gestellt und wieder zurückgezogen habe, kann für die Entscheidung über den Beiordnungsantrag vom 9.11.1976 nicht entscheidend sein, soweit Folgerungen - wie geschehen - daran geknüpft werden, die - wie[r] regelmäßige Teilnahme an der Sitzung - lediglich für[s] den bestellten Pflichtverteidiger, nicht aber bereits für den Wahlverteidiger gelten. Insoweit ist auch nicht erkennbar, wieso der geordnete Verfahrensablauf gestört werden könnte. Der auf den Gefangenen Raspe und seinen Wahlverteidiger ausgeübte Kostendruck, der ein fiskalisches Interesse des Vorsitzenden erkennen läßt, so wie die folgende Ablehnungsverfügung vom 1.12.1976, welche den Gefangenen Raspe ungleich schlechter stellen[t], als die übrigen Gefangenen, die Pflichtverteidiger ihres Vertrauens besitzen, rechtfertigen die dringende Besorgnis, daß der Senatsvorsitzende seine prozessualen Fürsorgepflichten gegenüber dem Gefangenen Raspe nicht ernst nimmt und verletzt. Weiterer Grund, der geeignet ist, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters zu rechtfertigen, ist die am 1.12.1976 von ihm gestattete Durchsuchung der Haftzellen ohne die Anwesenheit der Untersuchungsgefangenen, des Untersuchungsgefangenen Raspe und/oder seiner Verteidiger zu gestatten. Wie allgemein bekannt, war am 1.12.1976 der zuständige Senatsvorsitzende zum Zeitpunkt der Durchsuchung unerreichbar, die zunächst unzuständige Leitung der Justizvollzugsanstalt zunächst erreichbar. Späterhin erfolgte ein als rechtlich zu qualifizierender fliegender Zuständigkeitswechsel oder auch eine Kompetenzrotation, die weder in der Strafprozeßordnung noch in der Untersuchungshaftvollzugsordnung vorgesehen ist. Gegen Mittag am 1.12.1976 wurde die persönliche Habe und die Verteidigerpost der Gefangenen von Bediensteten des LKA durchsucht bzw. Einsicht genommen. Eine Begründung für diese Maßnahme wurde trotz Verlangens nicht abgegeben, vielmehr ließ der Vollzugsanstaltsbedienstete Nusser, nachdem der [12855] Gefangene Raspe auf einer Auskunft und einer[u] Begründung bestand, diesen gewaltsam aus dem Haftraum bringen. Die bei dieser Maßnahme organisierte Abwesenheit der Verteidiger und der Gefangenen, der bereits erwähnte fliegende Kompetenzwechsel - wonach zuständig ist, wer unerreichbar, unzuständig, wer erreichbar ist - lassen erkennen, daß der Senatsvorsitzende auch in diesem Fall seine prozessuale Fürsorgepflicht nicht wahrzunehmen gewillt ist. Die Begründung für die Durchsuchungsmaßnahme, so wurde von Anstaltsbediensteten verbreitet, sei der Umstand, daß es einen Fotoapparat gebe, der zu suchen sei. Wie inzwischen bekanntgeworden ist, hat die Bundesanwaltschaft in der Presse - im „Spiegel“ dieser Woche nämlich - lanciert, es habe Lichtbildaufnahmen, wörtlich heißt es hier: „Motive von der Anstalt gegeben, die im Zusammenhang mit geplanten Befreiungsaktionen von Belang seien“. Richtig ist, und das ist auch der für den Untersuchungshaftvollzug Verantwortlichen bekannt, daß Frau Schubert, wie sie bereits der Anstaltsleitung mitteilte, eine Minox-Kamera von Frankfurt/Main nach Stuttgart-Stammheim mitgebracht hat. Die Lichtbilder wurden ausschließlich zum Zwecke der Beweissicherung für die Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung der Todesumstände Ulrike Meinhofs[44] gefertigt. Und auch dieser Umstand kann festgestellt werden, da er jederzeit nachzuprüfen ist. Dennoch läßt es der Vorsitzende Richter geschehen, daß die Isolationsmaßnahmen verstärkt und die Verteidiger menschenunwürdiger Durchsuchungen unterworfen werden. Ich mußte heute früh beispielsweise erneut[v], wie gestern, die Schuhe ausziehen, ehe ich die Vollzugsanstalt betreten durfte. Der Gefangene Raspe muß demnach den Eindruck gewinnen, daß ihn der Vorsitzende Richter als Staatsfeind behandelt, demgegenüber rechtswidrig vorgegangen werden kann.

Vors.:

Es wäre noch wichtig zu erfahren, wann haben Sie diesen ablehnenden Bescheid bekommen, Herr Rechtsanwalt? Meines Wissens ist er am Donnerstag an Sie abgeschickt worden, und gleichzeitig auch Herrn Raspe zugegangen.

RA Wei[denhammer]:

Am 4. Dezember, das war am Samstag.

[12856] Vors.:

Können Sie uns sagen, wann Herr Raspe das Schreiben zur Kenntnis bekommen hat?

RA Wei[denhammer]:

Das ist mir leider nicht bekannt.

Vors.:

Sie sind also nicht von ihm extra informiert worden?

RA Wei[denhammer]:

Nein, nein, ich habe die Ablehnungsverfügung bekommen. Und er hat ein anderes Exemplar über die Untersuchungshaftanstalt bekommen.

Vors.:

Soll sofort Stellung genommen werden, zum Antrag oder ... Die Bundesanwaltschaft? Herr Bundesanwalt Zeis.

OStA Ze[is]:

Die Bundesanwaltschaft beantragt, das gegen[w] Vorsitzenden Richter Dr. Prinzing [x] gerichtete Ablehnungsgesuch als unzulässig zurückzuweisen. Abgesehen davon, daß es an der[y] Glaubhaftmachung[45] fehlt, ist das Ablehnungsgesuch nach unserer Vorstellung deswegen schon unzulässig, weil es verspätet vorgebracht worden ist. Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs ist der Ausdruck „unverzüglich“ so auszulegen, daß bei einer mehrtätigen Unterbrechung auch die Ablehnungsanträge dann wegen Gründen, die vor dieser Unterbrechung lagen, während der Unterbrechungszeit geltend zu machen sind, das heißt - die Zellendurchsuchung hat ja bereits schon am 1. Dez. stattgefunden - unterstellt einmal, Sie sind damit irgendwie befaßt gewesen, als Vorsitzender Richter -, der Ablehnungsgrund hätte also, heute haben wir den 7.12., schon längst geltend gemacht werden können. Ähnlich verhält es sich mit der Ablehnung, Herrn RA Weidenhammer als Pflichtverteidiger zu bestellen. RA Weidenhammer hat ja auf[z] Frage eingeräumt, daß er diese ablehnende Verfügung vom 1. Dez. am 4.12. erhalten hat. Man geht wohl kaum fehl in der Annahme, daß der Angeklagte Raspe sie schon zu einem weit früheren Zeitpunkt erhalten hat. Zusammengefaßt darf ich es nochmals wiederholen, schon deswegen muß das Ablehnungsgesuch als unzulässig zurückgewiesen werden, weil es nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist. Im übrigen darf ich auf folgendes hinweisen: Die Ablehnung von RA Weidenhammer als Pflichtverteidiger entspricht dem Gesetz. Es gibt nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß der Vorsitzende bei der Ablehnung in irgendeiner Weise von seinem [12857] Ermessen mißbräuchlich Gebrauch gemacht haben könnte. Wie wenig im übrigen die Bestellung von RA Weidenhammer zum Pflichtverteidiger angemessen gewesen wäre, zeigt sein heutiges Verhalten, als[aa] er seine Mitverteidiger mit der Bezeichnung „Zwangsverteidiger“ diffamiert hat. Zusammengefaßt [bb] darf ich auf folgendes hinweisen: Mit[cc] dem heutigen Ablehnungsgesuch - wir nähern uns ja rapide der Zahl 80 - soll nichts anderes betrieben werden, als mit den meisten vorangegangenen: Prozeßverschleppung. Die Bundesanwaltschaft beantragt deshalb, das Ablehnungsgesuch gem. § 26a Abs. 1, Ziff. 3[ StPO][46] zurückzuweisen.

Vors.:

Dann setzen wir die Sitzung um 11.00 Uhr fort.

Publikum wird zur Fortsetzung vorsorglich zugelassen.

Pause von 10.09 Uhr bis 11.01 Uhr.

Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung ist RA Schily nunmehr auch anwesend.

Vors.:

Der Senat hat folgenden Beschluß gefaßt:

Beschluss:

Die Ablehnung des Vorsitzenden Richters Dr. Prinzing wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

Die Ablehnung ist verspätet, mithin unzulässig (§ 26a Abs. 1, Nr. 1 StPO[47]). Die Zellendurchsuchung fand am 1.12.76 statt. Das beanstandete Verhalten des abgelehnten Richters fiel auf denselben Tag. Von beidem haben der Angeklagte und sein Verteidiger während der Durchsuchung Kenntnis erlangt. Die beanstandete Ablehnung des Antrags, Rechtsanwalt Weidenhammer zum Verteidiger zu bestellen, ging dem Angeklagten Raspe am Vormittag des 3.12., RA Weidenhammer am 4.12.76 zu.

Die Ablehnung konnte und musste daher, wenn nicht schon am gestrigen sitzungsfreien Montag (6.12.76), so doch spätestens zu Beginn der heutigen Sitzung um 9.00 Uhr vorgetragen werden. Die Antragstellung erst nach Einvernahme zweier Zeugen, einer Sitzungspause und der anschließenden in Gegenwart des Verteidigers vorgenommenen Verlesung zweier Schriftstücke sowie der Ver- [12858] kündung mehrerer Beschlüsse ist auf jeden Fall verspätet. Daran ändert nichts, dass RA Weidenhammer den Angeklagten heute von 9.-9.35 Uhr in der Anstalt besucht hat. Dazu hätte gestern, notfalls auch heute vor Sitzungsbeginn bei Einhaltung der Besuchszeit ab 8.00 Uhr ausreichend Gelegenheit bestanden.

Auf den Gesichtspunkt der Prozeßverschleppung - der in Anbetracht der offensichtlichen Unbegründetheit des Ablehnungsvorbringens naheliegt - kommt es daher nicht an.

- - -

Vors.:

Wir sind am Ende des Sitzungsprogramms. Ich möchte fragen, sind heute Anträge zu stellen? Zunächst Herr RA Weidenhammer, Sie haben ja schon in der letzten Woche Anträge angedeutet zumindest wollten noch eine Überlegungsfrist haben.[dd] Ist das[ee] inzwischen so weit gediehen?

RA Wei[denhammer]:

Ich bedauere, heute doch den Antrag nicht stellen zu können, aber ich denke, daß es in dieser Woche noch[ff], morgen, möglicherweise übermorgen geht.

Vors.:

Übermorgen ist, das haben Sie nicht erfahren, weil Sie nicht anwesend waren, keine Sitzung voraussichtlich. Also müßten Sie bis morgen sich den Antrag überlegen. Aber ich darf wiederum darauf hinweisen, und[gg] ich unterlasse das nicht, auch wenn es dann von Ihrer Seite beanstandet wird: Es ist eben auffällig, wenn immer auf den letzten Tag des auslaufenden Beweisprogramms[hh] wieder Anträge gelegt werden. Es wäre natürlich wünschenswert, es früher zu machen. Herr RA Schily, bitte.

RA Schi[ly]:

Herr Vorsitzender, ich habe eine Reihe noch von Beweisanträgen, ich wäre auch bereit, sie heute zu stellen. Nur das Problem ist, ich würde gerne vorher noch mit meiner Mandantin ganz kurz sprechen.

Vors.:

Wie lange glauben Sie? Halbzwölf, würde Ihnen das dienen.

RA Schi[ly]:

Also eine ½ Stunde würde sicher ausreichen. Sie müßten dann vielleicht freundlicherweise Sorge dafür tragen, daß ich in die Haftanstalt reinkomme, denn da ist irgendwie eine Begrenzung ...

Vors.:

Sind die Angeklagten heute nicht im Prozeßgebäude?

[12859] RA Schi[ly]:

Nein, die sind drüben.

Vors.:

Herr RA Schily, was ist der Anlaß, warum Sie jetzt erst zur Sitzung kommen?

RA Schi[ly]:

Ich bin heute morgen etwas aufgehalten worden, durch eine leichte Unpäßlichkeit, wenn Sie gestatten.

Vors.:

Dann würden wir um ½ zwölf fortsetzen, uns jedenfalls auf diesen Zeitpunkt mal ausrichten. Ich werde anrufen, daß die Formalitäten rasch abgewickelt werden.

11.30 Uhr.

Pause von 11.05 Uhr bis 11.45 Uhr

Ende des Bandes 760.

[12860] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 11.45 Uhr

Vors.:

So bitte, wenn Anträge gestellt werden sollen, jetzt ist die Gelegenheit.

RA Schi[ly]:

Also die ersten vier Anträge liegen schriftlich vor und den fünften werde ich zu Protokoll diktieren.

RA Schily verliest nunmehr den aus Anlage 5 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und in Ablichtung dem Protokoll beigefügt wird.

RA Schi[ly]:

Und dann wird ferner beantragt - das ist der Antrag, der nicht schriftlich vorliegt -

den Elektromeister Hans Weis, wohnhaft in Heidelberg, [Anschrift] als Zeugen zu vernehmen. Der Zeuge wird bekunden, daß der Zeuge Gerhard Müller längere Zeit auf dem Gelände des US-Hauptquartiers von Europa in Heidelberg gearbeitet hat, insbesondere in den Gebäuden Nr. 12, Nr. 7 n, Nr. 1 Nr. 5 und Nr. 31.

Dann wird ferner beantragt:

RA. Schily verliest nunmehr den aus Anlage 6 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und in Ablichtung dem Protokoll beigefügt wird.

Dann wird beantragt:

RA Schily verliest nunmehr den aus Anlage 7 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und in Ablichtung dem Protokoll beigefügt wird.

Dann wird ferner beantragt:

RA Schily verliest nunmehr den aus Anlage 8 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und in Ablichtung dem Protokoll beigefügt wird.

[12861] Vors.:

Weitere Anträge? Wie sieht es aus? Das Gericht muß ja langsam auch einen Überblick bekommen. Hat die Verteidigung noch Vorstellungen, wie das weitergehen soll mit den Anträgen? Bitte Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Ich würde vorschlagen, daß ich dann vielleicht außerhalb der Hauptverhandlung nochmal auf Sie zukomme.

Vors.:

Gerne, da wäre ich dankbar.

Wenn dazu gewünscht wird, die Bundesanwaltschaft kann auch teilnehmen. Hätten Sie nichts dagegen?

RA Schi[ly]:

Ja, Herr Dr. Wunder vielleicht.

Vors.:

Gut, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder. Könnten wir das gleich im Anschluß an die Sitzung machen? Schön, dann treffen wir uns nach der Sitzung, - die jetzt, wie mir scheint, zu Ende ist -, soweit in dieser kleinen Gesprächsgruppe in meinem Dienstzimmer. Will sonst jemand - natürlich, selbstverständlich haben Sie Gelegenheit, die Herrn Verteidiger, wenn Sie selbst mit teilnehmen wollen. Ich lade also jeden, der an diesem Gespräch Interesse hat, in mein Dienstzimmer - jetzt gleich im Anschluß an die Sitzung - ein. Wenn nichts mehr vorgetragen wird: Morgen früh Fortsetzung der Sitzung um 9 Uhr mit den Zeugen Habekost und Collisi.

Bis 9 Uhr morgen.

Ende der Sitzung 11.51 Uhr.

Ende von Band 761 [12862][48] [12863][49] [12864-12865][50] [12866][51]


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 – Az.: 1 StE 1/74 – StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] In den Fällen der notwendigen Verteidigung ist die Mitwirkung eines Verteidigers oder einer Verteidigerin gesetzlich vorgeschrieben (§ 141 StPO a.F.; seit dem 13.12.2019 [Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128] ist die Bestellung in manchen Fällen von einem Antrag des/der Beschuldigten abhängig, § 141 Abs. 1 StPO). Die notwendige Verteidigung ergab sich in diesem Verfahren daraus, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht stattfand (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO) und dem Vorwurf eines Verbrechens (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; ein Verbrechen liegt vor bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, § 1 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 StGB), sowie der Inhaftierung der Beschuldigten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F.; heute ist die zeitliche Vorgabe entfallen). Auch zuvor gewählte Verteidiger/innen können als Pflichtverteidiger/innen bestellt werden. Für einige der sog. Vertrauensverteidiger/innen war das auch in diesem Verfahren geschehen; nach zwischenzeitlichen Entpflichtungen traf das zu diesem Zeitpunkt nur noch auf die Rechtsanwälte Dr. Heldmann (für den Angeklagten Baader) und Schily (für die Angeklagte Ensslin) zu.

[3] Die Beiordnung als Pflichtverteidiger/in dient dem öffentlichen Interesse, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 – Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242). Daher gehen mit ihr besondere Pflichten einher, darunter die Anwesenheitspflicht während der Hauptverhandlung, und zwar unabhängig davon, ob weitere (Pflicht-)Verteidiger/innen anwesend sind (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 – Az: 2 Ws 203/15, NStZ 2017, S. 436, 437 f.). Da den Angeklagten neben ihren Vertrauensverteidiger/innen je zwei weitere Verteidiger zur Sicherung des Verfahrens (gegen ihren Willen) beigeordnet worden waren, konnte die Hauptverhandlung trotz zwischenzeitlicher Abwesenheit der Vertrauensverteidigung fortgesetzt werden. Die Angeklagten weigerten sich jedoch, mit den von ihnen sog. Zwangsverteidigern zu reden. Ulrike Meinhof führte am 1. Verhandlungstag aus: „Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind, d. h. ihrer Funktion in diesem Prozeß nach Vertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung“ (S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[4] Eine mögliche Konsequenz pflichtwidrigen Verhaltens ist die Zurücknahme der Bestellung als Pflichtverteidiger/in (Entpflichtung). Diese war zwar als Reaktion auf pflichtwidriges Verhalten gesetzlich nicht vorgesehen, es war allerdings in Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass dies im Falle eines Fehlverhaltens von besonderem Gewicht und nach voriger Abmahnung ausnahmsweise zulässig ist (Willnow, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 143 Rn. 4). Bloßes prozessordnungswidriges oder unzweckmäßiges Verhalten reicht hingegen nicht aus, da es nicht Aufgabe des Gerichts ist, die ordnungsgemäße Erfüllung der Verteidigungspflichten zu überwachen (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 25 ff.; s auch Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 32. Aufl. 1975, § 143 Anm. 3). Seit dem 13.12.2019 enthält § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO (eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I, S. 2128) ausdrücklich die Möglichkeit der Entpflichtung, wenn „aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist“. Darunter wird auch der Fall der groben Pflichtverletzung gefasst (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 143a Rn. 26).

[5] Vor dem LG Kaiserslautern fand zu dieser Zeit die Hauptverhandlung gegen die RAF-Mitglieder Manfred Grashof, Wolfgang Grundmann und Klaus Jünschke statt. Vorgeworfen wurden ihnen neben der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verschiedene Straftaten im Zusammenhang mit einem Banküberfall in Kaiserslautern am 22. Dezember 1971, bei dem der Polizeiobermeister Herbert Schoner erschossen wurde, sowie im Zusammenhang mit der Verhaftung von Grundmann und Grashof am 2. März 1972, bei der der Kriminalhauptkommissar Eckhart durch einen Schuss durch Grashof schwer verletzt wurde und schließlich am 22. März 1972 seinen Verletzungen erlag; dem Angeklagten Jünschke ferner die Beteiligung an der Herbeiführung der Explosion in Frankfurt am Main am 11.5.1972. Jünschke und Grashof wurden am 2.6.1977 je zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, Grundmann zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff., 322; s. zu den Tatvorwürfen und späteren Verurteilungen auch DER SPIEGEL, Ausgabe 24/77 vom 6.6.1977, S. 104).

[6] Anlage 1 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Telegramm des Rechtsanwalts Dr. Heldmann.

[7] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Im Unterschied dazu ist die Vereidigung von Zeug/innen heute nur noch die Ausnahme (§ 59 StPO).

[8] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt. Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 – Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 – Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).

[9] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820).

[10] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die Behauptung, Baader habe Barz erschossen, von Gerhard Müller aufgestellt worden sei, um Baader wahrheitswidrig zu belasten (s. den Beweisantrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 142. Verhandlungstag, S. 11467 des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Beweis der Unwahrheit dieser Tatsache sollte die Glaubwürdigkeit des Zeugen insgesamt erschüttert werden (s. dazu etwa die Diskussion um den am 147.Verhandlungstag gestellten Beweisantrag, S. 11684 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den Angaben, die Müller über in diesem Zusammenhang gemacht haben soll, s. auch die Ausführungen des Vernehmungsbeamten KHK Opitz am 152. Verhandlungstag (S. 11855 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[11] Der Verteidigung sowie der Staatsanwaltschaft ist auf Verlangen nach § 257 Abs. 2 StPO nach jeder einzelnen Beweiserhebung die Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären.

[12] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.). § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.

[13] Gemeint ist hier das bei der Festnahme von Ulrike Meinhof gefundene und offenbar von Gudrun Ensslin stammende Schreiben, in welchem sich Schilderungen konkreter Geschehnisse im Zusammenhang mit Ensslins Verhaftung befanden (das Schreiben wird am 59. Verhandlungstag thematisiert, S. 5396 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; Auszüge finden sich im Urteil auf S. 152). Da es nur wenige Tage nach der Verhaftung Ensslins außerhalb der Haftanstalt aufgefunden wurde, wurde schnell der Verdacht geäußert, Rechtsanwalt Schily habe diesen Kassiber im Rahmen eines Anwaltsbesuches illegal aus der Haftanstalt herausgeschmuggelt. Sichere Beweise hierfür gab es allerdings nicht (s. hierzu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 65 ff.).

[14] Am Morgen des 9. Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof tot in ihrer Zelle aufgefunden. Die Umstände ihres Todes – offiziell Suizid durch Erhängen – wurden, nicht zuletzt durch die Vertrauensverteidigung, erheblich angezweifelt. Meinhofs Tod wurde zu einem medial breit diskutierten Ereignis (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 394 ff.; Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 268 ff.; März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 159 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 398 ff.). Der Angeklagte Raspe erklärte am 109. Verhandlungstag: „Wir glauben, daß Ulrike hingerichtet worden ist; wir wissen nicht, wie, aber wir wissen, von wem“ (S. 9609 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[15] Die Eigenschaft einer Person als Beschuldigte/r wird ab der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens angenommen (BGH, Urt. v. 18.10.1956 – Az.: 4 StR 278/56, BGHSt 10, S. 8, 11; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 76 f.) Die Beschuldigteneigenschaft hat u.a. zur Folge, dass die Person nicht mehr als Zeug/in, sondern nur als Beschuldigte/r unter Wahrung der Beschuldigtenrechte vernommen werden darf. Hierzu gehört, dass sie zu Beginn der (ersten) polizeilichen Vernehmung über ihre Rechte zu belehren ist; ihr ist zu eröffnen, welche Tat ihr zur Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen (§§ 163a, 136 StPO). Da die Frage, in welcher Rolle eine Person im Strafverfahren auftritt (Mitbeschuldigte/r oder Zeug/in), von erheblicher Bedeutung für die Rechte und Pflichten, insbesondere für die Wahrheitspflicht, ist, gibt es große Uneinigkeit über die strafprozessuale Einordnung von Personen, gegen die in derselben Sache ermittelt wird. Während manche unabhängig von den prozessualen Gegebenheiten auf eine materielle Sachbeziehung zu dem Anklagegegenstand abstellen, wird wohl überwiegend ein rein formaler Beschuldigtenbegriff vertreten, der lediglich danach fragt, ob eine äußere Einheit mehrerer Verfahren mit dem gleichen Verfahrensstand besteht (zum Meinungsstand s. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017, Rn. 927 ff.; Lenckner, in Baumann [Hrsg.], Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag, S. 333, 334 ff.).

[16] Anlage 2 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Aussagegenehmigung für KHK Schneider.

[17] Susanne Mordhorst arbeitete bei der italienischen Zeitschrift „Controinformazione“, die dem Umfeld der italienischen Terrorgruppe Rote Brigaden zugerechnet wird. Mordhorst spielte als Kontaktperson eine wichtige Rolle bei der Kommunikation und Organisation zwischen den deutschen und italienischen Sektionen des Internationalen Komitees zur Verteidigung politischer Gefangener in Westeuropa (IVK). Als Mordhorst 1976 als mutmaßliches RAF-Mitglied eine Verhaftung in Italien und die Auslieferung in die Bundesrepublik drohten, heiratete sie kurz vorher den italienischen Staatsbürger Michele Stasi und entging damit einer Auslieferung (Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 189, 393 ff.).

[18] Die auch als „Geheimakte“ bezeichnete Akte „3 ARP 74/75 I“ enthielt Aussagen des Belastungszeugen und ehemaligen RAF-Mitglieds Gerhard Müller. Für diese Akte hatte der damalige Bundesjustizminister Vogel zunächst eine umfassende Sperrerklärung nach § 96 StPO („Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“) abgegeben. Die Verteidigung bemühte sich lange darum, Einblick in die Akte zu erhalten. Nachdem die Prüfung und Entscheidung darüber, die Sperrerklärung wieder aufzuheben, der Bundesanwaltschaft anvertraut wurde (s. die Mitteilung des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 157. Verhandlungstag, S. 12215 des Protokolls der Hauptverhandlung), gab diese schließlich am 158. Verhandlungstag nach erneuter Prüfung einen Großteil der Akte heraus (S. 12262 des Protokolls der Hauptverhandlung; s. zu den Vorgängen und Vermutungen rund um diese Akte auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 368 ff.). Am 159. Verhandlungstag wurde ein Schreiben des Bundesjustizministers bekanntgegeben, in welchem die letzten noch geheimhaltungsbedürftigen Passagen konkretisiert wurden (s. Anlage 2 zum Protokoll vom 9.11.1976, S. 12306 des Protokolls der Hauptverhandlung, 159. Verhandlungstag).

[19] Die Akte 1 BJs 7/76 enthielt weitere Protokolle über Vernehmungen des Zeugen Müller in einem Verfahren, das offiziell gegen „Unbekannt“ geführt wurde. Nachdem bereits ein Teil der Akte übergeben worden war, beantragte Rechtsanwalt Schily am 159. Verhandlungstag, die noch fehlenden Seiten beizuziehen (S. 12307 f. des Protokolls der Hauptverhandlung). Diese konnten schließlich nach Herausgabe durch die Bundesanwaltschaft am 161. Verhandlungstag an die übrigen Prozessbeteiligten verteilt werden (s. S. 12347 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[20] Trotz des Fehlens eines sicheren Beweises wurde Rechtsanwalt Schily zunächst auf Antrag der Generalbundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Tatbeteiligung als Verteidiger von Gudrun Ensslin ausgeschlossen (s. hierzu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 65 ff.). Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der BGH zurück: Zwar gebe es in der Strafprozessordnung keine explizite Regelung mit einer solchen Rechtsfolge, die Möglichkeit eines Ausschlusses ergebe sich aber „aus Sinn und Zweck einer Reihe von Bestimmungen in der Strafprozessordnung sowie der BRAO; sie wäre überdies über gewohnheitsrechtliche Übung gedeckt“ (BGH, Beschl. v. 25.8.1972 – Az.: 1 BJs 6/71, NJW 1972, S. 2140, 2141). Das Bundesverfassungsgericht hielt das Fehlen einer Rechtsgrundlage allerdings für ausreichend, um eine Verletzung der Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG anzunehmen und beurteilte den Ausschluss damit als verfassungswidrig (BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 – Az.: 2 BvR 667/72, BVerfGE 34, 293 f.). Es dauerte nicht lange, bis durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) – noch rechtzeitig für eine Anwendung im Stammheimer Verfahren – mit den §§ 138a ff. StPO eine gesetzliche Grundlage für den Ausschluss von Verteidiger/innen geschaffen wurde. Der neue § 138a StPO hatte vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand (BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschl. v. 4.7.1975 – Az.: 2 BvR 482/75, NJW 1975, S. 2341).

[21] § 67 StPO ermöglicht das Berufen auf einen früheren Eid, wenn Zeug/innen im selben Hauptverfahren erneut vernommen werden.

[22] § 251 Abs. 3 StPO enthält eine Ausnahme von dem Verlesungsverbot bestimmter Schriftstücke aus § 250 Satz 2 StPO. In der damals gültigen Fassung lautete er: „Soll die Verlesung anderen Zwecken als unmittelbar der Urteilsfindung, insbesondere zur Vorbereitung der Entscheidung darüber dienen, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen sollen, so dürfen Vernehmungsniederschriften, Urkunden und andere als Beweismittel dienende Schriftstücke auch sonst verlesen werden.“ Seit dem 1.1.2018 bezieht sich die Vorschrift auf „Protokolle und Urkunden“, womit jedoch keine inhaltliche Änderung bezweckt war; die sprachliche Neufassung sollte vielmehr auch elektronische Dokumente umfassen und Überflüssiges streichen (so die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 236/15, S. 59, 63).

[23] § 256 StPO benennt bestimmte Arten von Erklärungen, die entgegen § 250 Satz 2 StPO verlesen werden können, darunter die „ein Zeugnis oder Gutachten enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden“ (§ 256 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. StPO a.F.; heute: § 256 Abs. 1 Nr. 1 a) StPO).

[24] Ein Beweisantrag erfordert grundsätzlich die hinreichende Konkretisierung sowohl der zu beweisenden Tatsache, als auch des Beweismittels (früher bereits ständige Rechtsprechung, s. etwa BGH, Urt. v. 23.1.1951 – Az.: 1 StR 37/50, BGHSt 1, S. 29, 31; BGH, Urt. v. 7.5.1954 – Az.: 2 StR 27/54, BGHSt 6, S. 128, 129; BGH, Urt. v. 12.8.1960 – Az.: 4 StR 48/60, NJW 1960, S. 2156, 2157; heute definiert in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO). Ein Beweisermittlungsantrag liegt hingegen vor, wenn entweder die Beweistatsache oder das Beweismittel nicht hinreichend konkretisiert ist. Die Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, da § 244 Abs. 3-6 StPO begrenzte und abschließende Ablehnungsgründe für Beweisanträge enthält. Liegt keiner dieser Ablehnungsgründe vor, ist dem Beweisantrag zu entsprechen. Beweisermittlungsanträge berücksichtigt das Gericht hingegen nur nach § 244 Abs. 2 StPO im Rahmen seiner allgemeinen Aufklärungspflicht, die Ablehnung eines Beweisermittlungsantrags ist nicht auf die Gründe des § 244 Abs. 3-6 StPO beschränkt. Die unzureichende Individualisierung des Beweismittels kann dazu führen, dass kein Beweisantrag, sondern nur ein Beweisermittlungsantrag angenommen wird. Ist der/die Antragsteller/in nicht in der Lage, eine ladungsfähige Anschrift anzugeben, so kann ausnahmsweise auch die Angabe weiterer Anhaltspunkte genügen, wenn diese eine hinreichende Individualisierung ermöglichen; die Rechtsprechung scheint hier in den letzten Jahren zunehmend strenge Maßstäbe anzulegen (s. hierzu Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl 2016, § 244 Rn. 15 ff.).

[25] § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. (heute: § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) ermöglicht die Wahrunterstellung für erhebliche Tatsachen, die zur Entlastung der Angeklagten bewiesen werden sollen.

[26] Anlage 3 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Schreiben von Frau Barz vom 28.11.1976.

[27] Anlage 4 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Erklärung des Bundesministers der Justiz vom 24.11.1976.

[28] Der Schlosser Karl-Heinz Ruhland wurde im Dezember 1970 verhaftet. Erst wenige Monate zuvor hatte Ruhland wohl aus Geldsorgen begonnen, die RAF mit dem Frisieren gestohlener Autos zu unterstützen. Am 29. September 1970 beteiligte sich Ruhland an den Berliner Banküberfällen. Bis zu seiner Verhaftung kundschaftete er u.a. gemeinsam mit Meinhof und Jansen mögliche Einbruchsziele aus und beging Diebstähle. In mehreren Verfahren gegen RAF-Mitglieder fungierte Ruhland, der sich von der RAF losgesagt hatte, als umstrittener Belastungszeuge. Mit Urteil vom 15.3.1972 wurde er vom OLG Düsseldorf wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; nach nur zweieinhalb Jahren wurde er vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann begnadigt. Im Laufe seiner verschiedenen Aussagen verstrickte er sich in zahlreiche Widersprüche (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 243 ff., 253 ff., 260, 271 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 243 ff.). Rechtsanwalt Heinrich Hannover bezeichnete ihn auch als „berühmtesten oder richtiger ruhmlosesten aller bisherigen Kronzeugen“ (Hannover, Terroristenprozesse, 1991, S. 140).

[29] § 136a StPO enthält eine Auflistung von verbotenen Methoden bei der Vernehmung von Beschuldigten. Diese sind: die Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Täuschung, Quälerei oder Hypnose, sowie die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme oder das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (Abs. 1). Ferner untersagt sind Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten beeinträchtigen (Abs. 2). Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verbote enthält § 136a Abs. 3 Satz 3 StPO ein Verwertungsverbot für die so zustande gekommenen Aussagen.

[30] Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die umfassende Aussage Müllers, mit denen er die Angeklagten schwer belastete, durch Versprechungen und Drohungen unzulässig beeinflusst worden sei (s. hierzu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 4 bis 19 zum Protokoll zum 20.7.1976, S. 10643 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; zur Vernehmung Müllers s. die Verhandlungstage 124 bis 127; s. zu den Vorwürfen der Verteidigung auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 305 ff.).

[31] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 – Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 – Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Für die Prüfung der Voraussetzungen des § 136a StPO wurde zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung wohl überwiegend das Freibeweisverfahren (auch für die Tatsacheninstanz) für ausreichend angesehen (BGH, Urt. v. 28.6.1961 – Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166; s. etwa Sarstedt, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 136a Anm. 8). Die Rechtsprechung vertritt diesen Standpunkt weiterhin (BGH, Urt. v. 21.7.1994 – Az.: 1 StR 83/94, NJW 1994, S. 2904, 2905; BGH, Urt. v. 21.7.1998 – Az.: 5 StR 302/97, BGHSt 44, S. 129, 132; siehe auch Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 136a Rn. 32). Im Schrifttum mehren sich aber die Stimmen, die die teilweise oder sogar vollständige Anwendung des Strengbeweises fordern (für eine vollständige Anwendung des Strengbeweises s. Gleß, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 4/1, 27. Aufl. 2019, § 136a Rn. 77; für eine Anwendung des Strengbeweises in den Fällen, in denen die Aussage letztlich für die Straf- oder Schuldfrage verwertet werden soll s. Schuhr, in Knauer/Kudlich/Schneier [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 136a Rn. 99).

[32] In der genannten Kommentarstelle heißt es bei Anm. 8: „Beim Beweis des Verstoßes gegen § 136 a geht es um Verfahrensfragen; deshalb handelt es sich um einen „Freibeweis“ im Sinne von Ditzen, Dreierlei Beweis (1926). Demnach gilt insoweit das förmliche Beweisrecht, insbesondere das Beweisantragsrecht nicht. Beweisanträge, mit denen Verstöße gegen § 136 a bewiesen werden sollen, brauchen nicht ausdrücklich beschieden zu werden und können auch aus anderen Gründen als denen des § 244 StPO abgelehnt werden (der notwendige Ausgleich besteht darin, daß das Revisionsgericht diese Tatfrage selbst nachprüfen kann, und zwar ebenfalls im Wege des Freibeweises, s. u. 10)“ (Sarstedt, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 136a Anm. 8). Anm. 10 lautet: „Ob die Voraussetzungen des § 136 a vorgelegen haben, stellt das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises [...] fest. Das gilt ganz allgemein für alle Verfahrensrügen [...] und so auch für diese (Sarstedt, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 136a Anm. 10).

[33] Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO).

[34] Nach § 55 Abs. 1 StPO steht Zeug/innen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

[35] Die Sicherungsgruppe ist eine Abteilung des Bundeskriminalamtes. Die SoKo B/M (Sonderkommission Baader/Meinhof) wurde 1971 als Teil der Sicherungsgruppe für Ermittlungen betreffend die RAF eingerichtet (Klaus, Sie nannten mich Familienbulle, 2008, S. 23).

[36] Das Strengbeweisverfahren (auch „förmliche Beweisaufnahme“) ist in den §§ 244 bis 256 StPO geregelt. Es findet Anwendung zum Beweis aller Tatsachen, die die Straf- und Schuldfrage betreffen, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, und zeichnet sich u.a. durch eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel (Zeugenbeweis, Sachverständigenbeweis, Urkundenbeweis und Inaugenscheinnahme) aus. Die Tatsachen müssen zudem Eingang in die Hauptverhandlung gefunden haben (§ 261 StPO) und grundsätzlich mündlich vorgetragen und erörtert worden sein (sog. Mündlichkeitsprinzip, s. dazu Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 261 Rn. 7).

[37] Bereits im Februar 1973 wurde Rechtsanwalt und RAF-Mitglied Horst Mahler vom Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt. In einem weiteren Verfahren wurde er für seine Beteiligung an der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 im November 1974 vom LG Berlin unter Einbeziehung der früheren Haftstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 1980 durchlief Mahler eine radikale politische Kehrtwende. Ende der 90er Jahre bekannte er sich erstmals öffentlich zum Rechtsradikalismus, im Jahr 2000 trat er in die NPD ein. Wegen antisemitischer Hetze wurde er mehrfach wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff., 384; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 40 ff., 53, 67 f.).

[38] Mit Ablauf der Rechtsmittelfrist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist, erwächst das Urteil in (formeller) Rechtskraft. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/1, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27). Die §§ 359 ff. StPO enthalten eng begrenzte Wiederaufnahmemöglichkeiten. So ist zugunsten des/der Beschuldigten eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 2StPO zulässig, wenn sich ein/e Zeug/in einer uneidlichen Falschaussage oder eines Falscheides zuungunsten des/der Verurteilten schuldig gemacht hat.

[39] Mit Verfügung vom 7.11.1975 wurde die Bestellung des Rechtsanwalts von Plottnitz zum Pflichtverteidiger für Jan-Carl Raspe aufgehoben (die Verfügung ist abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 70 ff.; s. auch den auf diese Verfügung gestützten und am 43. Verhandlungstag im Namen des Angeklagten Raspe vorgetragenen Befangenheitsantrag des Rechtsanwalts Mairgünther, S. 3308 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[40] Da die Beiordnung dem öffentlichen Interesse dient, dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfG, Beschl. v. 8.4.1975 – Az.: 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, S. 238, 242), hat sie u.a. zur Folge, dass der/die beigeordnete Verteidiger/in einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse erhält (damals § 97 BRAGO, inzwischen ersetzt durch § 45 Abs. 3 RVG). Dies ist bei Wahlverteidiger/innen nicht der Fall, weshalb aufwendige und lang andauernde Prozesse gegen mittellose Mandant/innen mit einem Wahlmandat kaum zu bewältigen sind.

[41] Der Vorsitzende Dr. Prinzing hatte die Beweisaufnahme bereits am Ende des 148. Verhandlungstages geschlossen (S. 11767 des Protokolls der Hauptverhandlung) und die Bundesanwaltschaft ab dem 149. Verhandlungstag plädiert. Auch nach Schließung der Beweisaufnahme bleibt jedoch ein Wiedereintritt möglich. Die Verfahrensbeteiligten haben bis zum Beginn der Urteilsverkündung das Recht, Beweisanträge zu stellen, das Gericht ist zur Entgegennahme verpflichtet (BGH, Urt. v. 3.8.1966 – Az.: 2 StR 242/66, BGHSt 21, S. 118, 123). Der Wiedereintritt wird – auch konkludent – angenommen, sobald Verfahrensvorgänge durchgeführt werden, die für die Sachentscheidung des Gerichts von Bedeutung sein können; dies sind insbesondere Prozesshandlungen, die in den Bereich der Beweisaufnahme fallen, aber auch wenn sonst der Wille des Gerichts erkennbar wird, es wolle mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortführen. Dies kann bereits bei der Erörterung von Anträgen der Fall sein (BGH, Beschl. v. 5.2.2019 – Az.: 3 StR 469/18, NStZ 2019, S. 426 f. m.w.N.).

[42] S. bereits Fn. 3. In der Literatur war die Beiordnung von Pflichtverteidiger/innen gegen den Willen der Angeklagten neben vorhandenen (Wahl-)Verteidiger/innen lange umstritten (s. dazu Thomas/Kämpfer, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 141 Rn. 6). Die Rechtsprechung ließ diese sog. Sicherungsverteidigung zu (BVerfG, Beschl. v. 28.3.1984 – Az.: 2 BvR 275/83, BVerfGE 66, S. 313, 321; BGH, Urt. v. 11.12.1952 – Az.: 3 StR 396/51, BGHSt 3, S. 395, 398; s. auch EGMR, Urt. v. 25.9.1992 – Az.: 62/1991/314/385, EuGRZ 1992, S. 542, 545 f.). Erst mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2128) wurde hierfür in § 144 StPO auch eine gesetzliche Regelung geschaffen.

[43] Die Ablehnung von Richter/innen wegen Besorgnis der Befangenheit muss in diesem Stadium der Hauptverhandlung unverzüglich, also „ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung“ (BGH, Urt. v. 10.11.1967 – Az.: 4 StR 512/66, BGHSt 21, S. 334, 339) erfolgen; andernfalls wäre sie nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO wegen Verspätung als unzulässig zu verwerfen. Zulässig ist allerdings, zunächst noch abzuwarten, ob sich der Eindruck der Befangenheit verfestigt (OLG München, Beschl. v. 22. 11. 2006 – Az.: 4 St RR 182/06, NJW 2007, S. 449, 451).

[44] Nach der öffentlichen Bekanntgabe, Ulrike Meinhof habe Selbstmord begangen, entstanden in mehreren deutschen Städten Proteste. In anderen europäischen Ländern wurden deutsche Einrichtungen angegriffen. Die übrigen RAF-Insass/innen sowie weitere Sympathisant/innen und Unterstützer/innen gingen von einem Mord aus. Meinhofs Tod wurde damit zu einem auch medial breit diskutierten Ereignis. Auf Druck u.a. von Meinhofs Angehörigen wurde schließlich eine Nachobduktion durchgeführt, die jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis führte. Außerdem nahm sich eine internationale Untersuchungskommission des Falls an. Sie bestand überwiegend aus Jurist/innen, Ärzt/innen und Journalist/innen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark; unter den Mitgliedern befanden sich auch bekannte Persönlichkeiten wie etwa Simone de Beauvoir. In ihrem Bericht aus dem Jahr 1978 kam die Kommission zu dem Schluss, dass ein Selbstmord Meinhofs nicht erwiesen sei. Gegenteilige Beweise erbrachte die Kommission allerdings ebenfalls nicht. Die genauen Umstände von Meinhofs Tod blieben weiterhin umstritten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 394 ff.; Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 268 ff.; März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 159 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 398 ff.; zum Bericht der Kommission s. Internationale Untersuchungskommission zum Tode Ulrike Meinhofs, Der Tod Ulrike Meinhofs: Bericht der Internationalen Untersuchungskommission, 1979).

[45] Die Voraussetzung des rechtzeitigen (unverzüglichen) Vorbringens muss, ebenso wie der Grund der Ablehnung, nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).

[46] Die Ablehnung ist nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig zu verwerfen, wenn „durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“.

[47] S. Fn. 43.

[48] Anlage 5 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Beweisantrag des Rechtsanwalts Schily auf Vernehmung des KOK Burkart als Zeugen.

[49] Anlage 6 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Beweisantrag des Rechtsanwalts Schily auf Vernehmung von Herrn Pelz als Zeugen.

[50] Anlage 7 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Beweisantrag des Rechtsanwalts Schily auf Vernehmung des KHM Kleinwort als Zeugen.

[51] Anlage 8 zum Protokoll vom 7. Dezember 1976: Beweisantrag des Rechtsanwalts Schily auf Vernehmung des OStA Dr. Bell als Zeugen.


[a] Maschinell ersetzt: Verfahrensverlauf durch Verfahrensablauf

[b] Maschinell eingefügt: zu gewährleisten,

[c] Maschinell eingefügt: heute

[d] Maschinell eingefügt: und

[e] Maschinell ersetzt: Frau Barz persönlich gesehen noch durch über Dritte

[f] Maschinell eingefügt: sich

[g] Maschinell ersetzt: deren Name nicht durch die namentlich

[h] Maschinell durchgestrichen: die

[i] Maschinell ersetzt: hat mitgeteilt? durch mitgeteilt hat.

[j] Handschriftlich eingefügt: - - -

[k] Handschriftlich eingefügt: - - -

[l] Maschinell ergänzt: Aussage

[m] Handschriftlich eingefügt: - - -

[n] Handschriftlich ersetzt: er durch dieser

[o] Maschinell eingefügt: - Ruhland -

[p] Maschinell eingefügt: Die erst

[q] Maschinell ersetzt: Bis durch ist

[r] Maschinell ersetzt: die durch wie

[s] Maschinell ersetzt: über durch für

[t] Handschriftlich durchgestrichen: stellten

[u] Maschinell eingefügt: einer

[v] Maschinell eingefügt: erneut

[w] Maschinell ersetzt: den durch das gegen

[x] Maschinell durchgestrichen: abge

[y] Handschriftlich ersetzt: ihrer durch der

[z] Maschinell eingefügt: auf

[aa] Maschinell ersetzt: des durch als

[bb] Maschinell durchgestrichen: auf

[cc] Maschinell ersetzt: In durch Mit

[dd] Maschinell eingefügt: wollten noch eine Überlegungsfrist haben.

[ee] Handschriftlich ersetzt: es durch das

[ff] Maschinell eingefügt: noch

[gg] Maschinell eingefügt: und

[hh] Maschinell ersetzt: Beweisantrags durch Beweisprogramms