[13721] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, 22. März 1977, 9.02 Uhr
(186. Verhandlungstag)
Das Gericht erscheint in derselben Besetzung wie am 175. Verhandlungstag.
Als Vertreter der Bundesanwaltschaft sind anwesend:
Reg. Dir. Widera und OstA Holland
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
JOS Janetzko und JAss Clemens
Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]
Als deren Verteidiger sind anwesend:
Eggler, Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Maixner (als Vertr. f. RA Grigat).
Vors.:
Ich bitte Platz zu nehmen. Die Verteidigung ist gewährleistet. Für Herrn RA Grigat Herr RA Maixner; die Vertretung wird genehmigt. Herr RA Schily fehlt ohne Entschuldigung.[2] Ich habe bekanntzugeben, daß der Senat an Herrn Justizminister Dr. Bender einen Brief geschrieben hat, am 18. März 1977, folgenden Inhalts:
[13722] Vorsitzender verliest den Brief an Justizminister Dr. Bender vom 18. März 1977.
Das Schreiben wird in Ablichtung als Anl. 1 zum Protokoll genommen.
Vors.:
Der Justizminister hat darauf folgendes geschrieben:
Vorsitzender verliest daraufhin das Antwortschreiben des Justizministers Dr. Bender vom 18. März 1977.
Dieses Schreiben wird in Ablichtung als Anl. 2 zum Protokoll genommen.
Vors.:
Der Senat entnimmt dieser Stellungnahme, daß die Abhörungen sachlich völlig unabhängig vom Verfahren geblieben sind. Prozessual freilich ist der geschehene Verstoß gegen § 148 StPO[3] nicht aus der Welt zu schaffen. Der Senat in allen seinen Mitgliedern hat von diesen Abhörungen nichts gewußt. Das erkläre ich hier in aller Form. Der Senat wird beim Ministerium nochmals darauf dringen, behält sich auch weitere Maßnahmen vor, daß § 148 StPO in Zukunft ohne jede Einschränkung beachtet wird, sozusagen ohne Hörner und Zähne.
Werden hierzu irgendwelche Stellungnahmen gewünscht oder wird eine Pause gewünscht?
RA Schw[arz]:
Ich bitte um’s Wort.
Vors.:
Bitte, Herr Rechtsanwalt Schwarz.
[13723-13724][4] [13725-13726][5] [13727] RA Schw[arz]:
Ich beantrage, die Anfrage des Herrn Vorsitzenden an den Justizminister Dr. Bender in 2 Punkten zu ergänzen und bis zum Vorliegen einer Antwort des Ministers die Hauptverhandlung erneut zu unterbrechen.
Die bisherigen Erklärungen der beteiligten Minister beziehen sich auf das Abhören von Gesprächen zwischen den Untersuchungsgefangenen und Verteidigern in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Da seit Beginn dieser Hauptverhandlung ein großer Teil der Gespräche mit den Verteidigern in diesem Haus, also im sogenannten Mehrzweckgebäude,[6] geführt wurden, mag sich der Herr Justizminister dazu äußern, ob, wenn ja wann, wie lange und in welchen Räumen dieses Mehrzweckgebäudes Gespräche abgehört wurden und welche Personen von derartigen Maßnahmen betroffen wurden. 2. Der Justizminister hat in einer öffentlichen, vor dem Fernsehen abgegebenen Erklärung behauptet, bei einem der in der JVA Stammheim zwischen einem namentlich nicht genannten Gefangenen und einem ebenfalls nicht genannten Verteidiger sei im Zusammenhang mit einer der Gefangenenbefreiung dienenden dazu geplanten Geiselnahme von einem Kinderspielplatz gesprochen worden. Rechtsanwalt Schily hat insofern für alle Gefangenen und die in Frage kommenden Verteidiger sprechend in seiner Pressekonferenz diese Behauptung des Ministers auf das entschiedenste bestritten und von einem weiteren Akt der psychologischen Kriegsführung gesprochen. Da in der Tat die Öffentlichkeit durch diese Erklärung des Ministers besonders stark emotionell bewegt wurde, besteht ein besonders dringendes Bedürfnis nach Aufklärung. Der Minister möge erklären, ob er bereit ist, dem davon betroffenen Gefangenen und dem am Gespräch beteiligten Verteidiger eine Bandaufzeichnung des von ihm geschilderten Gesprächs zur Verfügung zu stellen. Dasselbe gilt für sämtliche Gespräche, in denen angeblich Geiselnahmen als Befreiungsaktion erörtert wurden, Geiselnahmen, die aus der Haftanstalt gesteuert worden sein sollten. Nachdem der Herr Minister in der Antwort an den Senat erklärt, es seien nicht sämtliche Gespräche vernichtet worden, müssen derartige [13728] Gesprächsaufzeichnungen vorhanden sein, aus denen sich dann strafbare Aktivitäten der Gesprächsteilnehmer ergeben würden. Ich habe demgegenüber festzustellen, daß trotz bestehenden Verfolgungszwangs[7] für die abhörende Behörde bisher keine Ermittlungen gegen angeblich beteiligte Anwälte bekanntgeworden sind, ja noch nicht einmal Anträge, solche Verteidiger vom Verfahren auszuschließen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Schwarz, gestatten Sie eine Bemerkung. Sie haben ja aus meinem Schreiben an den Herrn Justizminister entnommen, daß der Senat alles tun will, um ja nicht mit irgendwelchen sachlichen Ergebnissen solcher Abhörungen in Berührung zu kommen, da das nun in der Tat den § 148[ StPO] auch sachlich verletzen würde. Habe ich Sie richtig dahin verstanden, daß es Ihnen nur darauf ankommt, daß der Herr Minister außerhalb des Senats, also völlig am Senat vorbei sozusagen ...
RA Schw[arz]:
Herr Vorsitzender, Sie haben mich durchaus richtig verstanden. Selbstverständlich kann mein Antrag nicht darauf zielen, daß dem Senat Inhalt solcher Gespräche gesetzwidrig bekanntgegeben würde. Es geht aber darum, daß der Herr Minister nicht nur unüberprüfbare Erklärungen in der Presse abgeben soll, sondern er mag die Betroffenen, das sind also die Gefangenen und die Verteidiger, die solche Gespräche geführt haben sollen, die das bestreiten, durch Vorlage seiner Aufzeichnungen in die Lage zu versetzen, seine Erklärungen zu überprüfen, dann werden wir weitersehen.
Vors.:
Mir kam es nur darauf an, insoweit Übereinstimmung festzuhalten, daß auch Sie der Meinung sind, der Senat soll also inhaltlich hier unter keinen Umständen etwas erfahren.
RA Schw[arz]:
Ist richtig.
Vors.:
Sind sonstige Wortmeldungen gewünscht? Herr Rechtsanwalt Schnabel.
RA Schn[abel]:
Ich schließe mich den Anträgen und der Begründung des Herrn Kollegen Schwarz voll inhaltlich an und möchte es insofern ergänzen, als in der Erklärung des Herrn Justiz- [13729] ministers unter C davon gesprochen wird: „Abgehört wurden Gespräche zwischen den Angeklagten und ihren Vertrauensanwälten“. Ich wäre dafür dankbar, wenn in dem Brief, der an den Herrn Justizminister noch einmal geschrieben werden sollte, auch eine Antwort auf die Frage erbeten würde, zwischen welchen Angeklagten und zwischen welchen sogenannten Vertrauensanwälten - eine etwas merkwürdige Bezeichnung in einem Schreiben des Justizministeriums, denn ich kenne keine Vertrauensanwälte, die im Gesetz normiert sind[8] - zwischen welchen „Vertrauensanwälten“ diese Gespräche geführt wurden. Nachdem im übrigen der hiesige Prozeß ja nicht nur zwischen Gericht, Bundesanwaltschaft, Verteidigern und schließlich den Angeklagten geführt wird, sondern nachdem neuerdings die Presse als weiteres „Organ der Rechtspflege“ hier auch hereinspielt, nachdem man aufgrund von Presseberichten Briefe an das Justizministerium schreibt, möchte ich auch hier für meine Person feststellen, daß ein Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, der einzig und allein seinem Gewissen verpflichtet ist. Und wenn dann informierte Kreise der Presse glauben, schreiben zu müssen, es gäbe hier eine Kollektivverteidigung[9] und es würde versucht, daß die Verteidiger zusammen dieses und jenes machen, dann frage ich, von wem wird es versucht. Ich bin einzig und allein meinem Gewissen verpflichtet und dem Interesse meines Mandanten und sonst niemand. Und nachdem es ja offensichtlich bekannt ist, daß wir hier auf dieser Bank keinen persönlichen Kontakt mit den Mandanten haben,[10] bleibt also einzig und allein nur mein persönliches Gewissen übrig, so daß diese informierten Kreise eben, wie es häufig geschieht, fehlinformiert sind.
Vors.:
Danke. Ich nehme nicht an ... doch ich frage Sie, soll sich dieser Appell irgendwie an das Gericht richten? Das Gericht führt den Prozeß hier im Saale ...
RA Schn[abel]:
Nein, das war auch eine sogenannte ex cathedra-Erklärung, um mal in die Öffentlichkeit zu sprechen, wie es andere auf anderen Podien zu belieben pflegen.
[13730] Vors.:
Danke. Eine kleine Anmerkung noch, Herr Rechtsanwalt Schnabel. Sie bitten ja darum, daß man nachforscht, welche Anwälte konkret, ich meine nach der bisherigen Erklärung wären wir möglicherweise davon ausgegangen, wenn nicht näheres erfolgt, dann sind es alle Angeklagten und alle Verteidiger, die in dieser Zeit Besuche gemacht haben.
RA Schn[abel]:
Das bitte ich eben zu klären, ob es alle sind oder nicht.
Vors.:
Das wollen Sie geklärt haben. - Herr Rechtsanwalt Eggler?
RA Eg[gler]:
Ich schließe mich dem Antrage des Herrn Rechtsanwalt Schwarz an.
RA Schl[aegel]:
Herr Vorsitzender, für mich gilt dasselbe, ich darf es auch namens des Kollegen Meixner erklären und des Kollegen Grigat. Auch der Inhalt entspricht voll meiner Überzeugung. Ich habe dann noch für mich persönlich eine Bitte. Ich habe von Ihnen, bzw. vom Senat gehört, daß Sie erklärt haben, nichts von dieser Affäre gewußt zu haben. Ich bin am Donnerstagnachmittag, als dieses Problem zur Sprache kam, nicht anwesend gewesen und hätte deshalb gerne auch von allen weiteren Prozeßbeteiligten, hier kommt für mich ja nur noch die Bundesanwaltschaft in Frage, und zwar als Behörde, sowie von allen Sitzungsvertretern persönlich die Erklärung, daß Sie auch nichts davon gewußt haben.
Vors.:
Herr RA Schlaegel, die Bundesanwaltschaft, Herr Bundesanwalt Zeis hat in der letzten Verhandlung eine Erklärung abgegeben, ich glaube für sämtliche Sitzungsvertreter.
RA Schl[aegel]:
Herr Vorsitzender, deshalb sagte ich, ich bin am Donnerstagnachmittag nicht dagewesen und das Protokoll liegt auch noch nicht vor.
Vors.:
Sonst noch Wortmeldungen bei den Herren Verteidigern? Ich sehe nicht. Will die Bundesanwaltschaft etwas dazu erklären?
Reg. Dir. Wi[dera]:
Die Bundesanwaltschaft möchte zu diesem Antrag Stellung nehmen, sie möchte aber zunächst um eine Pause bitten, um sich ihre Stellungnahme noch kurz zu überlegen.
Vors.:
Haben Sie irgendwelche bestimmten Zeitvorstellungen, wie lange Ihre Überlegungen dauern, 9.45 Uhr vielleicht.
[13731] Reg. Dir. Wi[dera]:
Das reicht sicher.
Vors.:
Ja, dann 9.45 Uhr Fortsetzung.
Pause von 9.19 Uhr bis 9.46 Uhr.
Ende des Bandes 812.
[13732] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 9.46 Uhr
Vors.:
Herr Bundesanwalt Widera, Sie wollten etwas erklären.
Reg. Dir. Wi[dera]:
Ja.
Zunächst möchte ich nochmal auf die Erklärung, die Herr Kollege Zeis hier[a] abgegeben hat, zurückkommen, wonach niemand der Sitzungsvertreter von den erfolgten Abhörmaßnahmen etwas gewusst hat und von möglichen dabei gewonnenen Erkenntnissen auch nichts erfahren hat. Diese Erklärung gilt auch für den Behördenleiter selbst und für alle Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft.
Dann zu dem Antrag, der[b] von den hier anwesenden Verteidigern gestellt wurde; wir treten dem Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens nicht entgegen.
Zu dem Anliegen, das in dem Punkt 1 des Antrags enthalten ist, eine Ergänzung darüber herbeizuführen, ob auch hier in dem Mehrzweckgebäude Abhörmaßnahmen durchgeführt worden sind, meinen wir, daß eine Ergänzung an sich nicht notwendig wäre und das deshalb nicht, weil beide Minister von Anfang an, also bereits in ihrer Presseerklärung vom 17. März 1977 nur davon gesprochen haben, daß in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim Gespräche zwischen Angeklagten und Verteidigern abgehört worden sind. Allein deshalb, um hier nicht den geringsten Anlass dafür zu bieten, es sollte irgend etwas verborgen bleiben, mag eine ergänzende Auskunft eingeholt werden. Eine Ergänzung der Erklärung des Ministers zu dem Punkt 2 des hier gestellten Antrages bedarf es unserer Auffassung allerdings nicht. Niemand von den Prozeßbeteiligten wußte bis zu der Presseerklärung der Minister von den erfolgten Abhörmaßnahmen. Es sind also mögliche dabei gewonnene Erkenntnisse auch nicht in das Verfahren eingeführt worden. Für dieses Verfahren kommt es deshalb nicht darauf an, aus welchen ausschließlich präventiv polizeilichen Anlässen oder Überlegungen diese Maßnahmen angeordnet worden sind. Vielen Dank.
Vors.:
Danke.
Will hierauf nun wieder irgend etwas gesagt werden?
Nicht.
[13733] Dann wird sich der Senat nochmals zurückziehen; er wird sich überlegen, wie die Sache jetzt weitergeführt werden soll.
Um 10.00 Uhr bitte wieder im Saal zu sein.
Pause von 9.48 Uhr bis 10.00 Uhr
Vors.:
Der Senat wird aufgrund des Antrags der Verteidigung einen weiteren Brief an den Herrn Justizminister von Baden-Württemberg schicken. Den genauen Inhalt dieses Schreibens kann ich jetzt nicht zuletzt deshalb nicht bekanntgeben, weil das Band, auf welches die Anträge gesprochen wurden, noch nicht geschrieben ist. Wir wollen natürlich den Wortlaut genau haben, bevor wir das Schreiben entwerfen.
Der abgeschickte Brief wird den Prozeßbeteiligten alsbald dann zugesandt werden, auch eine daraufhin eingehende Antwort. Wir werden das Verfahren fortsetzen, die Hauptverhandlung fortsetzen, am Dienstag, den 29. März 77, 9.00 Uhr. Damit ist die Verhandlung für heute geschlossen.
Ende des 186. Verhandlungstages um 10.02 Uhr
Ende Band 813
[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 – Az.: 1 StE 1/74 – StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).
[2] Nachdem am vorigen Verhandlungstag bekannt wurde, dass vertrauliche Verteidigungsgespräche in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim abgehört worden waren, erklärte Rechtsanwalt Schily, die Verteidigung könne es „unter keinen Umständen verantworten, hier auch nur eine Minute länger in dem Verfahren mitzuwirken, um hier noch vielleicht als eine Art Alibi aufzutreten, daß es noch so etwas gebe wie eine Verteidigung“ (S. 13713 des Protokolls der Hauptverhandlung, 185. Verhandlungstag).
[3] Aus § 148 StPO a.F. („Dem Beschuldigten ist, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet“, heute § 148 Abs. 1 StPO) wird der Grundsatz der freien Verteidigung hergeleitet, der grundsätzlich den ungehinderten und unüberwachten Verkehr zwischen Verteidiger/in und beschuldigter Person voraussetzt (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 148, Rn. 1 ff.). Deshalb sind Abhörmaßnahmen, deren Gegenstand das Gespräch zwischen Verteidiger/in und Mandant/in ist, sowohl einfachgesetzlich als auch verfassungsrechtlich unzulässig (BVerfG, Beschl. v. 18.4.2007 – Az.: 2 BvR 2094/05, NJW 2007, S. 2749, 2750). Auch Gespräche in der JVA dürfen weder akustisch noch optisch überwacht werden (dies war schon seinerzeit anerkannt, vgl. Nummer 36 Abs. 1 UVollzO; § 27 Abs. 3 StVollzG; Thomas/Kämpfer, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 2014, § 148 Rn. 12); dies wird nicht zuletzt aus Art. 6 Abs. 3 lit. c und 8 EMRK hergeleitet (EKMR, Bericht v. 12.7.1984 – 9300/81, NJW 1987, S. 563 f.; EGMR, Urt. v. 27.10.2015 – Az.: 62498/11, NJW 2016, S. 2013, 2015 f.). Heute findet sich eine ausdrückliche Regelung zur Unzulässigkeit von Maßnahmen bei zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern, zu denen gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO auch Verteidiger/innen gehören, in § 160a StPO.
[4] Anlage 1 zum Protokoll vom 22. März 1977: Schreiben des Vorsitzenden Dr. Foth an den Justizminister Dr. Bender vom 18. März 1977.
[5] Anlage 2 zum Protokoll vom 22. März 1977: Antwortschreiben des Justizministers Dr. Bender an den Vorsitzenden Dr. Foth vom 18. März 1977.
[6] Die Hauptverhandlung fand in dem sog. Mehrzweckgebäude (auch „Mehrzweckhalle“) statt, einem Gerichtsgebäude aus Stahl und Beton, das in Vorbereitung auf den Prozess unmittelbar neben dem Gefängnis für etwa 12 Millionen DM errichtet wurde (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 1. Aufl. 2017, S. 69; krit. hierzu auch Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 100 f.).
[7] Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Anklagebehörde grundsätzlich, wegen jeder ihr mit einem Anfangsverdacht bekannt gewordene Straftat zu ermitteln und bei Vorliegen der Voraussetzungen Anklage zu erheben (sog. Verfolgungs- und Anklagezwang, s. dazu Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 152 Rn. 2 ff.). Dieser Grundsatz kommt u.a. in § 152 Abs. 2 StPO zum Ausdruck: Die Staatsanwaltschaft „ist, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.“
[8] Als „Vertrauensanwälte“ bzw. „Vertrauensverteidiger“ wurden diejenigen Verteidiger/innen bezeichnet, welche von den Angeklagten frei gewählt waren (§§ 137, 138 StPO). Einige von ihnen wurden den Angeklagten als Pflichtverteidiger/innen (§ 141 StPO) beigeordnet; nach zwischenzeitlichen Entpflichtungen traf das zu diesem Zeitpunkt allerdings nur noch auf Rechtsanwalt Schily (für die Angeklagte Ensslin) zu. Mit der Bezeichnung der Vertrauensverteidiger/innen wurden sie von denjenigen Verteidigern abgegrenzt, die den Angeklagten gegen ihren Willen durch das Gericht beigeordnet wurden.
[9] Zum 1.1.1975 trat mit dem Gesetz zur Ergänzung des Ersten Strafverfahrensreformgesetzes vom 20.12.1974 (BGBl. I, S. 3686) das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) in Kraft, wodurch die bis dahin zulässige kollektive Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenslage – auch „Blockverteidigung“ genannt – abgeschafft wurde. Zulässig ist seither nur noch eine abgestimmte Verteidigung, bei der zwar eine gemeinsame Verteidigungsstrategie entwickelt werden kann, jede/r Verteidiger/in aber nur eine/n Angeklagte/n vertreten darf (s. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. vom 20.8.2002 – Az. 1 Ws 318/02, NJW 2002, S. 3267 ff.).
[10] Den Angeklagten wurden je zwei Verteidiger (gegen ihren Willen) durch das Gericht als Pflichtverteidiger zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet. Zwischen der Vertrauensverteidigung und dem Senat bestand allerdings Uneinigkeit darüber, ob die Verteidigung durch sie auch ordnungsgemäß sei (s. dazu bereits die Diskussionen am 1. Verhandlungstag, S. 90 ff., sowie den Entpflichtungsantrag der Rechtsanwältin Becker in Anlage 1 zum Protokoll vom 10.06.1975, S. 184 ff., 3. Verhandlungstag). Die Angeklagten lehnten die von ihnen sog. Zwangsverteidiger vehement ab und weigerten sich, mit ihnen zu reden. Ulrike Meinhof führte am 1. Verhandlungstag aus: „Es handelt sich bei diesen Verteidigern um Zwangsverteidiger, die als Instrumente der B. Anwaltschaft ohne jede Kompetenz, abhängige Staatsschutzverteidiger sind, d. h. ihrer Funktion in diesem Prozeß nach Vertreter der Anklagebehörden und der Staatsschutzabteilung“ (S. 85 des Protokolls der Hauptverhandlung). Die Zweiteilung der Verteidigung wurde auch räumlich sichtbar: Während die Vertrauensverteidigung bei den Angeklagten Platz nehmen konnte, saßen die von den Angeklagten abgelehnten Verteidiger ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Saales, neben den Vertretern der Bundesanwaltschaft (s. auch die Skizze in Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 185).
[a] Maschinell eingefügt: hier
[b] Maschinell eingefügt: der