[11062] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, 3. August 1976, um 9.04 Uhr
(133. Verhandlungstag)
Gericht und Bundesanwaltschaft - mit Ausnahme von Reg. Dir. Widera - erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
JOS Janetzko, Just. Ass. Clemens
Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]
Als deren Verteidiger sind anwesend, RAe.:
Schnabel, Schwarz, Grigat, Künzel und Eggler.
Als Zeuge ist anwesend:
Ronald Augustin
- vorgeführt aus der Strafhaft -
Als Dolmetscher ist anwesend:
Alfred Borgsteedel, Aldingen.
Vors.:
Ich bitte, Platz zu nehmen.
Wir setzen die Sitzung fort.
Für heute ist vorgesehen die Vernehmung der Zeugen Augustin - zuerst - dann des Zeugen Hoppe, Zeugin Möller und heute Nachmittag der Zeugin Roll.
Als Dolmetscher ist erschienen Herr Borgsteedel.
Wir haben Sie sehr kurzfristig hier hergebeten. Sie sind Dolmetscher für die holländische Sprache.
[11063] Dann darf ich zunächst um Ihre Personalien bitten.
Der Dolmetscher Borgsteedel machte folgende Angaben zur Person:
Alfred Julius Borgsteedel, geb. [Tag].[Monat].1910,
wohnhaft: 7141 Aldingen, [Anschrift],
Mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert; wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.
Der Dolmetscher Borgsteedel wird gem. § 189 Abs. 1 GVG[2] belehrt.
Der Dolmetscher Borgsteedel beruft sich auf seinen allgemein geleisteten Eid.[3]
Der Zeuge Augustin erklärt, daß er für seine Aussagen keinen Dolmetscher benötige.
Der Dolmetscher Borgsteedel bleibt weiterhin anwesend.
Der Zeuge Augustin wird gem. §§ 57, 55 StPO[4] belehrt.
Vors.:
Wir haben für Gerichtszwecke hier ein Tonbandgerät[5] eingeschaltet. Sind Sie damit einverstanden.[6]
Zeuge Aug[ustin]:
Nein, es soll, abgestellt werden.
In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet, solange sich der Zeuge äußert.
[11064] Die Personalien des Zeugen werden wie folgt festgestellt:
Ronald Augustin,
geb. [Tag].[Monat].1949 in Amsterdam,
Graphiker,
z.Zt. JVA Hannover
mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert; wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.
Der Angeklagte Raspe erscheint um 9.07 Uhr im Sitzungssaal.
Angekl. R[aspe]:
Kann ich mal den Ton haben?
Vors.:
Bis jetzt habe ich noch keine Wortmeldung von Ihnen gehört oder bemerkt. Sie wollen sich zu Wort melden.
Um was geht es, Herr Raspe?
Angekl. R[aspe] (zum Zeugen):
Ne, ich wollte Dir nur sagen, also daß ich hier oben sitze ...
Vors.:
Bitte das Mikrophon abstellen. Es sind keine Gespräche zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen vor der Vernehmung erlaubt. Herr Raspe, es macht auch nur den Eindruck, als solle der Zeuge beeinflußt werden. Das ist ja nicht der Sinn und Zweck ...
Angekl. R[aspe]:
Quatschen Sie doch nicht so dämlich.
Vors.:
... eines Zeugen, der von Ihnen selbst vorgeladen werden soll oder vorgeladen worden ist auf Ihren Antrag.
Rechtsanwalt Dr. Heldmann erscheint um 9.08 Uhr im Sitzungssaal.
Vors.:
Herr Augustin, die Verteidigung hat beantragt, Sie zu folgenden zwei Punkten zu vernehmen: ...
Zeuge Aug[ustin]:
Ich habe schon gesagt, ich werde was zur Struktur und zur Politik der RAF sagen.
Vors.:
Ich werde trotzdem die Beweisthemen benennen. Das handelt sich ja um das, was Sie andeuten, daß es nämlich in der RAF keine hierarchische Struktur oder ein sonstiges Verhältnis der Über- [11065] und Unterordnung gegeben habe, auch nicht rein tatsächlich; und 2.) daß die Gruppe nicht offen gewesen sei, sondern in kleinen, zahlenmäßig eng begrenzten Gruppen organisiert gewesen wäre, wobei sich der Informationsaustausch auf die jeweilige Gruppe und deren Mitglieder beschränkt habe.
Rechtsanwalt Schlaegel erscheint um 9.09 Uhr im Sitzungssaal.
Sind das Aufschriebe, die Sie hier zu Ihren Ausführungen benutzen wollen?
Zeuge Aug[ustin]:
Ich habe nur so ein paar Notizen gemacht.
Vors.:
Sie können zu Ihrer Aussage Notizen verwenden, soweit sie zur Gedächtnisstütze dienen, aber nicht verlesen.
Zeuge Aug[ustin]:
Also diese Formalienshow können Sie lassen.
Vors.:
Ich sage Ihnen dazu, Sie können nicht verlesen. Sie können Ihre Unterlagen verwenden. Wir müssen aber den Eindruck haben, daß Sie Ihr Wissen hier bekanntgeben und nicht nur verlesen, sonst wären wir gezwungen, Ihnen die Unterlagen wegnehmen zu lassen ...
Der Zeuge Augustin macht daraufhin Angaben zur Sache.
Er wird vom Vorsitzenden wie folgt unterbrochen:
Vors.:
Herr Augustin, hören Sie bitte zu.
Es entsteht der Eindruck, als ob Sie hier ablesen würden. Ich habe Ihnen schon mitgeteilt, das ist nicht zulässig.
Und das 2.: Ich möchte Sie bitten, bei Ihrer Schilderung, nicht beim Lesen, etwas langsamer zu sprechen.
Zeuge Aug[ustin]:
Nach drei Jahren Folter kann ich nicht frei sprechen ... Ich lese hier keine Erklärung, ich kann auch Fragen beantworten.
[11066] Vors.:
Ich möchte Ihnen, Herr Augustin, die Möglichkeit geben, auch wenn Sie meinen, nicht frei vortragen zu können, Ihr Konzept zu benutzen. Wir wollen es mal sehen. Ich bitte Sie aber, etwas langsamer zu sprechen, Sie sind kaum sonst verständlich. Bitte, fahren Sie mal fort.
Zeuge Aug[ustin]:
Du wolltest was fragen. (zu dem Angekl. Raspe)
Angekl. Ra[spe]:
Ich wollte mal ein paar Sachen vorlesen.
Vors.:
Nein. Ich habe Ihnen jetzt das Wort nicht erteilt und wenn Sie das Wort erteilt haben wollen, dann geben Sie bitte an, um was es Ihnen geht.
Angekl. Ra[spe]:
Ich will einfach Teile vorlesen aus der Müller-Aussage,[7] die Sie hier produziert haben.
Vors.:
Herr Raspe, Sie können jetzt gar nichts vorlesen ...
Angekl. Ra[spe]:
Und er kann was dazu sagen.
Vors.:
Sie können jetzt gar nichts vorlesen. Sie haben jetzt das Wort nicht. Sie haben nachher das Wort ...
Angekl. Ra[spe]:
Dann tun Sie vielleicht das mal.
Vors.:
... wenn Sie die Vernehmung gehört haben, um evtl. Fragen an den Zeugen zu stellen. Vorher können Sie nicht zu Wort kommen.
Angekl. Ra[spe]:
Ich möchte wissen, ob ich ein paar Fragen stellen kann.
Vors.:
Bitte fahren Sie fort, Herr Augustin.
Zeuge Aug[ustin]:
Ich habe begriffen, daß Jan ein paar Fragen stellen wollte. Ich wollte zur Struktur der Gruppe eingehen. Ich möchte auf Fragen eingehen - von Jan und der Verteidigung.
Vors.:
Herr Raspe hat keine Fragen gestellt. Er ist auch gar nicht imstande, jetzt Fragen zu stellen.
Angekl. Ra[spe]:
Ja, ich will aber Fragen stellen.
Vors.:
Wenn Sie weiterhin stören, Herr Raspe, hat es nur die Folge ...
Angekl. Ra[spe]:
Was hat das mit einer Störung zu tun?
Vors.:
... die Sie bereits kennen.[8]
Die Prozeßordnung sieht die Vernehmung des Zeugen - das wissen Sie so gut wie ich - vor durch das Gericht.[9] Und danach können die Prozeßbeteiligten Fragen stellen. Und das läuft nicht anders, auch wenn Sie meinen, Sie müßten etwas anderes wollen.
Bitte, Herr Augustin, fahren Sie jetzt fort.
[11067] Angekl. Ra[spe]:
Du, mach es doch kurz mit dem Gericht. Also ich meine, erzähle ein paar Sachen und dann ...
Vors.:
Herr Raspe, ich verwarne Sie jetzt letztmalig. Wenn Sie weiterhin stören, hat das Ihren Ausschluß zur Folge.
Zeuge Aug[ustin]:
Also ich möchte sagen, daß zwangshaft versucht worden ist, meine Aussagen zu beeinflussen, weil nach der Ladung von Prinzing mein Radio geklaut worden ist und sämtliche Besuche verhindert worden sind. Das geht auf Ihr Konto.
Vors.:
Ich habe von den Maßnahmen - selbst wenn sie stimmen sollten - nicht die geringste Ahnung. Auf mein Konto geht, was Ihre Haftbedingungen anlangt, überhaupt nichts. Unterlassen Sie solche unsinnigen Bemerkungen.
Angekl. Ra[spe]:
Ja aber Sie haben eine Terminierung der Ladung vorgenommen ...
Vors.:
Herr Raspe, ich beabsichtige jetzt, Sie zu fragen, was Sie zu Ihrem Ausschluß aus der heutigen Verhandlung zu äußern haben.
Angekl. Ra[spe]:
Ach ja, das ist ja wirklich interessant, was Sie hier ...
Vors.:
Wollen Sie sich dazu äußern?
Sie haben jetzt nachdrücklich wiederholt gestört ...
Angekl. Ra[spe]:
Das heißt, Sie haben also jetzt wieder ... Ich äußere mich dazu ...
Vors.:
Wollen Sie sich jetzt äußern dazu.
Angekl. Ra[spe]:
Unterbrechen Sie mich doch mal nicht, verdammt nochmal. Dieses rabiate Schwein, wirklich.
Zeuge Aug[ustin]:
Wie soll ich hier was entwickeln, wenn Sie ständig dazwischen quatschen. (zum Vorsitzenden)
Vors.:
Ich habe, Herr Raspe, bei Ihnen, bei den Angeklagten, bisher stets von Ordnungsstrafen abgesehen. Das ist auch weiterhin so. Es hat Gründe, warum das so ist.
Zeuge Aug[ustin]:
Diese morbide[a] Show können Sie lassen.
Weitere unverständliche Zwischenrufe des Angeklagten Raspe.
u.a.: Ich möchte jetzt Fragen stellen.
[11068] Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Der Angeklagte Raspe wird für die heutige Sitzung ausgeschlossen.
Er hat durch wiederholtes Dazwischenrufen gestört. Er hat außerdem sich nicht belehren lassen, daß es nicht möglich ist, ihn jetzt Fragen stellen zu lassen, daß das prozeßordnungswidrig ist.
Er hat bei der Gelegenheit, sich zu der Frage seines Ausschlusses zu äußern, den Vorsitzenden als ein „rabiates Schwein“ beschimpft, hat keine Stellung genommen, obwohl ihm Gelegenheit dazu gegeben war, sondern beharrte lediglich darauf, er wolle jetzt Fragen stellen.
Sein Verhalten hat nachdrücklich gestört.
Ich bitte ihn zu entfernen.
Der Angeklagte Raspe steht auf und bleibt vor der Anklagebank stehen.
Er wird von den Vollzugsbeamten aufgefordert, seine schriftlichen Unterlagen zusammenzupacken.
Nachdem er dieser Aufforderung nur zögernd nachkommt, wird er unter Anwendung von Zwang um 9.16 Uhr aus dem Sitzungssaal abgeführt.
Vors.:
Herr Augustin, fahren Sie bitte fort.
Zeuge Aug[ustin]:
Ich möchte zuerst Heldmann fragen, ob er was zu dem, was Müller gesagt hat, zu fragen hat.
Vors.:
Ich übernehme das. In der Form - selbstverständlich - hat der Herr Zeuge jetzt keine Möglichkeit, mit Ihnen ein Gespräch anzufangen. In der Form, wie es gerade geschieht.
Zeuge Aug[ustin]:
Ich bin ein Zeuge der Verteidigung.
Vors.:
Ich gehe davon aus, daß Sie (RA Dr. Heldmann) dem Herrn Zeugen mitteilen werden, daß Sie nicht imstande sind, ihm die Müllerprotokolle zu vermitteln. Das haben Sie ja auch als unmögliche Bedingung, soweit ich richtig verstanden habe, bezeichnet.
[11069] RA Dr. He[ldmann]:
Ich werde mich im Anschluß an Ihre Äußerung im Sachzusammenhang dann durch Fragen und Vorhalte auch mit den Aussagen des Zeugen Müller befassen.
Vors.:
Ja, das ist der korrekte Weg.
Zeuge Aug[ustin]:
Soll ich versuchen, trotz dieser Unterbrechung etwas zu entwickeln?
RA Dr. He[ldmann]:
Es ist sicher richtig, wenn Sie jetzt zunächst mal Ihre eigene Aussage im Zusammenhang machen und anschließend Fragen beantworten.
Zeuge Aug[ustin]:
Ich habe mir ein paar Notizen gemacht und ich bin davon ausgegangen, daß ich grundsätzlich was[b] zur Struktur sage, und was die Verteidigung von mir wissen will.
Vors.:
Die Verteidigung will das wissen, was ich Ihnen vorgelesen habe. Das sind nicht meine Formulierungen, sondern die der Verteidigung, nämlich die Frage, ob es in der RAF eine hierarchische Struktur oder ein sonstiges Verhältnis der Über- oder Unterordnung gegeben habe. Und dazu können Sie sich jetzt äußern.
Der Zeuge macht weiter Angaben zur Sache.
Rechtsanwälte Schily und Thieme (als amtl. bestellter Vertreter für RA Dr. Hoffmann) erscheinen um 9.30 Uhr im Sitzungssaal.
Vors.:
Darf ich bei der Gelegenheit fragen, ich glaube, wir sehen ein neues Gesicht. Herr Rechtsanwalt ...?
RA Thieme:
Mein Name ist Thieme. Ich komme als amtlich bestellter Vertreter von Dr. Hoffmann.
Vors.:
Das war ja schon angegeben. Ist die Bestallungsurkunde dem Gericht zugänglich?
RA Thieme:
Ja.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, bitte.
RA Dr. He[ldmann]:
Eine kurze Frage. Würden Sie bitten, Frau Speitel, Herr Wackernagel ist heute verhindert, Frau Speitel zuzulassen, um das Tonbandgerät zu bedienen.
Frau Speitel ist draußen in der Schleuse.
Vors.:
Ist Frau Speitel irgendwie Gehilfin in irgendeinem der hier vertretenen Anwaltsbüros?
RA Dr. He[ldmann]:
Sie vertritt Herrn Wackernagel.
[11070] Vors.:
Bei 0,50 DM, wie uns mitgeteilt worden ist, die Herr Wackernagel bezieht,[10] wird er wohl kaum imstande sein, noch eine Substitutin davon zu bezahlen.
RA Dr. He[ldmann]:
Er tritt voll ab. Es ist sein Arbeitseinkommen ...
Vors.:
Er war ja beschäftigt beim Anwaltsbüro Dr. Temming, soweit ich weiß. Da Herr Dr. Temming hier nicht vertreten ist, kann er ja nicht übernommen werden ohne Zustimmung oder kann Frau Speitel nicht übernommen werden ohne Zustimmung von Herrn Dr. Temming.
RA Dr. He[ldmann]:
Sie haben bereits zugelassen, daß Herr Wackernagel in der letzten Hauptverhandlung auch ohne Anwesenheit von Herrn Temming ...
Vors.:
Hat er damals ein Arbeitsverhältnis mit Ihnen abgeschlossen? Ich glaube, es war so etwas im Gange.
RA Dr. He[ldmann]:
Ja, wir nannten es ein „Wanderarbeitsverhältnis“.
Vors.:
Wir wollen aber Frau Speitel auch darauf hinweisen: Tonband ohne die Auflage des Mikrophons am Zeugentisch.
RA Dr. He[ldmann]:
Da ist sie schon informiert.
Vors.:
Ich bitte sie zuzulassen.
Jetzt, Herr Augustin.
Der Zeuge macht weiter Angaben zur Sache.
Dazwischen wird er zu gemäßigter Sprache ermahnt.
Die Gehilfin des RA Dr. Heldmann, Frau Speitel, erscheint um 9.36 Uhr im Sitzungssaal.
Vors.:
Ich habe keine Fragen mehr. Sind seitens des Gerichts Fragen? Ich sehe nicht. Die Herren der Bundesanwaltschaft?
Herr Bundesanwalt Zeis.
OStA Zeis:
Wir stellen die Frage vorläufig zurück, Herr Vorsitzender.
Zeuge Aug[ustin]:
Ich möchte noch eines sagen: Da ist in der „Zeit“ diskutiert worden über die Aktion in Hamburg.[11] Wir tragen die Verantwortung. Wir haben sie nicht gemacht, wir wußten nichts davon. Mit ihrem Ablauf waren wir nicht einverstanden, daß Zivilisten getroffen wurden. Wir distanzieren uns aber nicht von dieser Aktion.
RA Dr. He[ldmann]:
Ich knüpfe an an das, was Sie zuletzt gesagt haben. [11071] Bitte können Sie kurz, soweit Ihnen das möglich ist - Sind Sie in Untersuchungshaft?
Zeuge Aug[ustin]:
Nein.
RA Dr. He[ldmann]:
Bitte, Frage vorweg, wann sind Sie festgenommen worden?
Zeuge Aug[ustin]:
Juni 1973.
RA Dr. He[ldmann]:
Juni 73.
Zeuge Aug[ustin]:
Als die Aktionen liefen in Frankfurt[12] und Heidelberg[13] war ich in Berlin.
RA Dr. He[ldmann]:
Wann sind Sie verurteilt worden?
- keine Antwort des Zeugen -
RA Dr. He[ldmann]:
Was mich näher interessiert, ist Ihr Urteil rechtskräftig?[14]
Zeuge Aug[ustin]:
Ja, ja.
RA Dr. He[ldmann]:
Meine Frage zielt dahin: Welches ist - soweit Sie das wissen, soweit Sie es wissen können - welches ist die Motivation der RAF oder von RAF-Gruppen gewesen für die Anschläge?
Zeuge Aug[ustin]:
Ich habe das schon angetippt. Es war die strategische Linie, die strategische Bestimmung der RAF, auszugehen vom US-Imperialismus, sich im totalen Antagonismus zu setzen. Ich kann zu den einzelnen Leuten sagen: Es ist die Freiheit des einzelnen Kämpfers zu kämpfen. Daß eben nichts unter Zwang läuft. Es ist klar, daß die BRD das europäische Zentrum des US-Imperialismus ist.
Meine Motivation: Die BRD ist das europäische Zentrum des US-Imperialismus, ein einheitlich strukturierter Machtblock in Europa. Jede Guerillaorganisation in Europa ist unmittelbar mit der BRD konfrontiert.
RA Dr. He[ldmann]:
Waren bestimmte Handlungen, bestimmte Kriegshandlungen der USA Anlaß für Aktionen der RAF.
Zeuge Aug[ustin]:
Ja, es ist eine strategische und taktische Bestimmung. Es ist keine Reaktion darauf. Sie stellt sich von vorneherein in den Antagonismus zu dem Weltsystem, unmittelbar auf Aktionen gegen den US-Imperialismus. Es ist keine Reaktion auf Untaten. Der Anschlag in Frankfurt war damals gegen die Verminung von Hei-Fong[15] und die Bombardierung in Vietnam.[16]
[11072] RA Dr. He[ldmann]:
Gingen Aktionen der RAF, politische Diskussionen zu dieser Thematik voran?
Zeuge Aug[ustin]:
Ja, es ist so - das ist die Organisationsstruktur der RAF - daß das selbständige Einheiten sind, die selbständig und autonom handeln nach einer gemeinsamen Ausarbeitung einer Linie, einer Konzeption. Es ist so, daß operationell nicht jede Gruppe weiß, was die andere Gruppe macht. Die Strategie wird kollektiv durch Arbeitsgruppen diskutiert und in einem langen Prozeß, praktischen Prozeß, entwickelt. Es entwickelt sich dialektisch aus der Praxis. Das ist von vornherein der Entstehungsprozeß der RAF. Totale Negation des US-Weltsystems. Es ist niemals eine Entscheidung von Stunden oder von einer Person. Das hat jeder gewußt, daß wir hauptsächlich Aktionen machen, die den US-Imperialismus treffen. Die BRD ist Stellvertreter für den US-Imperialismus.
RA Dr. H[eldmann]:
Als Müller hier von der Willensbildung innerhalb der RAF gesprochen hat, da sprach er von einer Entscheidungsebene. Meint er damit einen sog. „engeren Kern“, bestehend aus Baader, Ensslin, Meinhof, Raspe, Meins? Lokalisiert er diesen „engeren Kern“ nach der Personalisierung auf Inheidener Straße in Frankfurt? Darf ich Sie um Ihre Stellungnahme zu dieser Darstellung bitten?
Zeuge Aug[ustin]:
Das ist schon widerlegt durch das, was ich gesagt habe. Er stellt das dar, daß es Leute gibt, die etwas entscheiden und etwas ausführen. Es läuft so, daß jeder frei entscheidet und daß das ein kollektiver Diskussionsprozeß ist.
Es ist absolut unmöglich.
RA Dr. H[eldmann]:
Gab es einen Schießbefehl?
Zeuge Aug[ustin]:
Nein.
RA Dr. H[eldmann]:
Gab es eine Anweisung, Waffen zu tragen?
Zeuge Aug[ustin]:
Es gab einen Diskussionsprozeß, was in welchen Fällen notwendig ist. Es gab keine Anweisung. Wenn einer sich entschließt, bewaffnet zu kämpfen, wird er sich nicht unbewaffnet da reinbegeben. Das ist ganz klar, daß wir bewaffnet sind. Das ist seine freie Entscheidung.
RA Dr. H[eldmann]:
Gab es individuelle Anweisungen einer bestimmten Person an andere oder an alle?
Zeuge Aug[ustin]:
Nein. Es gab einen kollektiven Diskussionsprozeß.
RA Dr. H[eldmann]:
Sie erwähnten vorhin einen gewissen Plan, Stadtkommandanten in Berlin als Geiseln zu nehmen. Gab es einen Plan oder gab es eine bestimmte Vorstellung, Geiseln zu nehmen zu dem Zweck, Geld zu erpressen?
[11073] Zeuge Aug[ustin]:
Nein, es war eine ganz klare Linie gegen den US-Imperialismus. Das wurde zu dem Zeitpunkt vorbereitet. Zum Schießbefehl noch: Ich habe in den Zeitungen so eine perverse Bemerkung von Müller gelesen, wir hätten die Absicht gehabt, Siegfried Hausner[17] zu töten.
Es gab konkret zu Hausner überhaupt keinen Anlaß, den zu töten. Er wollte nicht aus der RAF, wir wollten ihn nicht loshaben. Es war auch nie eine Diskussion da. Das ist genau die Projektion von den Typen. CIA, CID machen das permanent in der BRD. Es ist die Projektion von seiner (Müllers) Angst. Hausner war kein Verräter. Er war in der Gruppe drin. Diese ganze Sache zielt auch dadrauf, daß Leute, die diesen Job in der RAF ...
Vors.:
Herr Augustin, Sie haben die Antwort gegeben, ohne eigentlich danach gefragt zu sein. Mit dem Schießbefehl hat das auch nichts zu tun, wie Sie die Dinge einleiteten.
Wenn Sie jetzt Ihre Meinung kundtun wollen, auf was bestimmte Maßnahmen gerichtet seien - um mehr kann es sich nicht handeln - so darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie als Zeuge danach nicht gefragt sind. Sie sollen Ihr Wissen bekanntgeben. Man hat Ihnen bis jetzt ausreichend Gelegenheit gegeben.
Bitte, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.
RA Dr. H[eldmann]:
Wissen Sie, daß es einen Plan, Hausner zu töten, nicht gegeben hat oder vermuten Sie das?
Zeuge Aug[ustin]:
Nein, ich weiß es eindeutig und zwar habe ich mit der Einheit gesprochen. Es war nach Ulrikes Verhaftung.
RA Dr. H[eldmann]:
Müller hat vor seiner Vernehmung hier einmal geäußert und auch veröffentlichen lassen, Baader hätte Ingeborg Barz[18] erschossen? Wissen Sie dazu etwas?
Zeuge Aug[ustin]:
Ich weiß dazu nichts konkret. Es ist einfach so, das zielt dadrauf, daß weiß ich eindeutig, daß Leute, die das nicht bringen in der RAF, aber schon vom Staat illegalisiert und kriminalisiert worden sind, daß das keine Frage ist zu töten. Es gibt die Möglichkeit, daß sie in ein Land gehen mit einigermaßen guten Papieren, von dem sie nicht ausgeliefert werden. Das Problem gibt es, ich weiß nicht, ob es mit Ingeborg Barz so war.
RA Dr. H[eldmann]:
Hatten Sie ein Lebenszeichen von Ingeborg Barz aus der Zeit nach dem 1.6.1972?
Zeuge Aug[ustin]:
Nein, ich kenne sie nicht.
[11074] RA Dr. H[eldmann]:
Gab es zu einem Hungerstreik[19] einen Befehl?
Zeuge Aug[ustin]:
Es gab keinen Befehl. Wir haben ihn gemeinsam angefangen. Es entspricht unserer Politik zu draußen, es ist kein Unterschied. Man muß immer kämpfen. Kampf im Knast ist eine Überlebensfrage. Wir bestimmen einen Hungerstreik auch dadran, daß es den Kampf insgesamt weiterbringt. Befehle hat es niemals gegeben. Es wurde in der Diskussion kollektiv entwickelt. Jeder hat gewußt, was der Hungerstreik bedeutet, jeder kannte die Konsequenz. Wenn so eine Struktur zwanghaft wäre, bringt keiner Interesse auf, so eine Aktion durchzuführen, wie wir sie durchgeführt haben.
RA Dr. H[eldmann]:
Eine Anschlußfrage genau an das: Gab es während des Hungerstreiks Zwangsmaßnahmen, entweder bestimmter Gruppenmitglieder oder durch Anwälte auf Gruppenmitglieder, den Hungerstreik fortzusetzen? Wissen Sie etwas davon?
Zeuge Aug[ustin]:
Also Du meinst nicht Zwangsmaßnahmen von Bullen?
Oder von den Anwälten oder Gruppenmitglieder?
RA Dr. H[eldmann]:
Nach Müllers Darstellung hätte insbesondere Baader Druck ausgeübt auf Gruppenmitglieder, den Hungerstreik fortzusetzen.
Zeuge Aug[ustin]:
Nein. Der Zusammenhang der einzelnen Fighter ist drinnen derselbe wie draußen.
Ich würde dazu sagen, daß die Funktion der Anwälte in absolutem Antagonismus steht zu dem, was wir machen. Die Funktion der Rechtsanwälte bezieht sich auf den Rechtsstaat.
Wir haben die Funktion der Anwälte nur so bestimmt, daß sie nur eine sein kann. Wer das behauptet, daß die Anwälte der Zusammenhang der Gruppe wären, der soll mir erklären, wenn ich 7 Monate keinen Verteidiger sprechen konnte. Das lief gleichzeitig mit 5 Monaten Trakt.[20] Es ist eine Bullenkonstruktion vom Zusammenhalt der Gruppe durch Rechtsanwälte.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, ist die Frage damit beantwortet?
RA Dr. H[eldmann]:
Der Herr Zeuge wollte soeben erklären, wie kam Müller zu derartigen Aussagen, wie sie in meiner Frage liegt, nämlich: Haben Anwälte etwa Zwang ausgeübt auf Gruppenmitglieder, den Hungerstreik fortzusetzen und er hat erklärt: „Das gab es nicht, das wäre auch bei mir zumindest über die Zeit von 7 Monaten ausgeschlossen gewesen, gleichwohl bin ich über diese 7 Monate hinweg in der Gruppe geblieben, habe mich ihr zugehörig gefühlt“ und nun hat er soeben begonnen, darzulegen, warum Müller zu jenen anderslautenden gegenteiligen Aussagen gekommen ist.
[11075] Vors.:
Ist das richtig, daß Sie Wissen darüber haben, warum Müller andere Aussagen gemacht hat?
Zeuge Aug[ustin]:
Das will ich jetzt sagen: Das sind keine Behauptungen von Müller. Das wird über Müller verbreitet. Es sagt Genaues über das Projekt aus, was hier abläuft: Vernichtung der Gefangenen ...
Vors.:
Es zeigt sich, daß der Herr Zeuge, jetzt unter dem Gewande einer Fragenbeantwortung etwas völlig anderes darstellen will, nämlich Ansichten und Meinungen preisgeben ...
Zeuge Aug[ustin]:
Naja, Ihr kriminalisches Interesse ...
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, Sie haben die Möglichkeit, weitere Fragen zu stellen.
RA Dr. H[eldmann]:
Haben Sie tatsächliche Anhaltspunkte für Ihre Aussage?
Zeuge Aug[ustin]:
Ja.
RA Dr. H[eldmann]:
Hier ginge es darum, die Zellen dicht zu machen. Sie haben offensichtlich eigene Erfahrungen.
Zeuge Aug[ustin]:
Es ist so, daß natürlich jetzt Croissant - Croissant ist mein Anwalt - in dem Moment verhaftet wird,[21] wo er den Mord an Ulrike[22] aufgedeckt hat ...
Vors.:
Weitere Antworten in dieser Richtung lasse ich nicht mehr zu. Haben Sie weitere Fragen. Sie sehen, das handelt sich hier nun wirklich nicht um Wissen, sondern um Mutmaßungen des Herrn Zeugen, selbst wenn er überzeugt ist, es sei so. Aber das ist kein Wissen.
Bitte weitere Fragen.
RA Dr. H[eldmann]:
Welche Rolle hat eigentlich Müller innerhalb der Gruppe gespielt?
Zeuge Aug[ustin]:
Ich kann nur zu seinem Verhalten im Knast was sagen, daß er einen ziemlichen Technikus drauf hatte. Dieser Prozess der Regression war schon absehbar an einem bestimmten Punkt. Er hat Andreas am meisten gehaßt.
RA Dr. H[eldmann]:
Kennen Sie Dierk Hoff?
Zeuge Aug[ustin]:
Nein.
Vors.:
Weitere Fragen? Ich sehe nicht.
Die Herren Verteidiger nicht. Die Herren der Bundesanwaltschaft? Herr Rechtsanwalt Grigat.
RA Gri[gat]:
Ich habe nur eine Frage, Herr Augustin. Wissen Sie, ob sich auch Herr Raspe zur Zeit der Sprengstoffanschläge in Heidelberg und Frankfurt in Berlin aufhielt.
[11076] Zeuge Aug[ustin]:
Wer spricht da jetzt?
Mit Ihnen rede ich nicht. Ich helfe Ihnen kriminalistisch nicht weiter.
Vors.:
Sie haben selbstverständlich, wenn der Herr Verteidiger auf die Antwort jetzt noch Wert legt, die Frage zu beantworten, sonst müßten Zwangsmaßnahmen[23] durchgeführt werden.
Aber ich weiß nicht ...
Zeuge Aug[ustin]:
Ich habe keine einzige Verpflichtung.
Ich habe nur die Verpflichtung, die Revolution zu transformieren ...
Vors.:
Das fällt dann auch unter den § 55 StPO[24] u.U. wenn die Aussage verweigert wird.
RA Gri[gat]:
Ich bin der Auffassung, da drüben sitzt auch ein Verteidiger des Herrn Raspe.[25] Er könnte vielleicht diese Frage stellen.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Thieme?
RA Thieme:
Ich übernehme die Frage nicht.
Vors.:
Dann, Herr Augustin ...
RA Dr. H[eldmann]:
Bitte noch eine Anschlußfrage?
Vors.:
Nein, jetzt wollen wir zunächst mal fragen, ob dort drüben weitere Fragen sind. Nichts?
Bitte, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, können Sie die Frage übernehmen. Sie soll ja wohl der Entlastung von Herrn Raspe möglicherweise dienen. Ich weiß es nicht, warum sich Rechtsanwalt Thieme weigert. Die Interessen des Verteidigers sind nicht unterschieden von den seinen. Er verteidigt Herrn Raspe.
RA Dr. H[eldmann]:
Ich habe eine andere Frage und zwar nach der Entstehung und dem Zweck des sog. „Info“[26] oder „Info-Systems“.
Ist Ihnen der Begriff klar?
Zeuge Aug[ustin]:
Wir haben das Info bestimmt als eine Möglichkeit, Kommunikation eben durch kollektive Diskussion zu führen. Das hat mit Hierarchie nichts zu tun. Ich weiß nicht genau, was Du wissen willst.
RA Dr. H[eldmann]:
Was sind die Gründe gewesen, dieses Info einzurichten? Welche Situation der Gefangenen ...
Zeuge Aug[ustin]:
Es galt konkret, die kollektive Verteidigung vorzubereiten. Wir haben das bestimmt als Lernprogramm. Revolutionsbegriff - es war eine Diskussionsmöglichkeit. Die kollektive Verteidigung war damals noch legal.[27]
Vors.:
Keine Fragen mehr? Bitte die Herrn der Bundesanwaltschaft, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder!
[11077] BA Dr. W[under]:
Wir haben einige Fragen, Herr Zeuge. Haben Sie miterlebt, wie es in der Gruppe vor sich ging, wie es mit der Selbständigkeit ...
Zeuge Aug[ustin]:
Auf Ihre Fragen antworte ich sowieso nicht. Sie können Sie vergessen.
Vors.:
Ich möchte darauf hinweisen, daß dieses überhebliche Verhalten ...
Zeuge Aug[ustin]:
Das brauchen Sie nicht.
Vors.:
... das Sie zeigen, nichts anderes ist als eine Ungebühr. Ich verwarne Sie
Zeuge Aug[ustin]:
Also diese Formalien-Show können Sie lassen.
Du altes Schwein. Sie wissen genau, daß ich[c] nicht darauf eingehe.
Vors.:
Ich habe die Absicht zu fragen, was Sie zu sagen haben, wenn eine Ordnungsstrafe[28] gegen Sie vorgesehen wird. Sie haben mich im Augenblick als ein „altes Schwein“ bezeichnet.
Zeuge Aug[ustin]:
Ja, das bist Du auch.
Vors.: (Nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Gegen den Zeugen wird eine Ordnungshaft von
1 Woche
festgesetzt.
Er hat den Vorsitzenden soeben als „altes Schwein“ bezeichnet, und auf die Frage, was er dazu zu äußern habe, wiederholt, das sei der Vorsitzende auch.
Jetzt darf ich Sie darauf hinweisen, Herr Augustin. Sie haben die Möglichkeit, gegenüber der Bundesanwaltschaft zu erklären, daß Sie Fragen nicht zu beantworten gedenken im Hinblick auf § 55[ StPO]. Das ist Ihr gutes Recht. Das dürfen Sie auch tun.
Zeuge Aug[ustin]:
Ich berufe mich nicht auf Ihre Paragraphen.
BA Dr. W[under]:
Herr Vorsitzender, die Erklärungen, die der Zeuge eben abgegeben hat, die sprechen für seine Qualität. Den Großteil seiner Aussage haben wir im übrigen in der vergangenen Woche von anderen Zeugen bereits mehrfach gehört.
Ich verzichte auf weitere Fragen.
Vors.:
Dann ist die Vernehmung des Herrn Zeugen abgeschlossen.
Der Zeuge Augustin bleibt unbeeidigt gem. § 60 Ziff. 2 StPO[29] wegen Tatbeteiligung und wird i.a.E. um 10.15 Uhr entlassen.
[11078] Der Dolmetscher Borgsteedel wird ebenfalls um 10.15 Uhr entlassen.
Fortsetzung in einer Viertelstunde mit der Vernehmung des Zeugen Hoppe.
Pause von 10.15 - 10.33 Uhr
Ende von Band 642
[11079] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.33 Uhr
Der Zeuge Werner Hoppe
- vorgeführt aus Untersuchungshaft -
ist anwesend.
Vors.:
Wir können die Sitzung fortsetzen.
Als Zeuge ist nunmehr anwesend Herr Werner Hoppe.
Der Zeuge Hoppe wird gem. §§ 57, 55 StPO belehrt.
Während der Belehrung ruft der Zeuge öfters dazwischen:
„Lassen Sie doch den Quatsch. Hören Sie auf, das reicht jetzt!“
Wir haben für Gerichtszwecke ein Tonbandgerät hier eingeschaltet. Sind Sie bereit, daß Ihre Aussagen auf das Tonbandgerät aufgenommen werden?
Zeuge Ho[ppe]:
Nein, das Tonband kommt aus.
In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet solange sich der Zeuge äußert.
Die Angeklagte Ensslin erscheint um 10.34 Uhr im Sitzungssaal.
Rechtsanwalt Thieme verläßt um 10.34 Uhr den Sitzungssaal.
Die Personalien des Zeugen werden wie folgt festgestellt:
Werner Arthur Hoppe,
geb. [Tag].[Monat].1949 in Hamburg, ohne Beruf, z.Zt. JVA Hamburg;
mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert,
wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.
[11080] Vors.:
Die Themen der Verteidigung lauten, Sie sollen Aussagen dazu machen können, daß es in der RAF keine hierarchische Struktur oder ein sonstiges Verhältnis der Über- und Unterordnung, auch nicht in tatsächlicher Hinsicht gegeben haben und 2. daß die RAF nicht als offene Gruppe sondern in kleinen, zahlenmäßig eng begrenzten Gruppen organisiert gewesen sei, wobei sich der Informationsaustausch auf die jeweilige Gruppe und deren Mitglieder beschränkt habe.
Also Punkt 1. Struktur, Punkt 2. Informationsaustausch.
Zeuge Ho[ppe]:
Ich will erstmal feststellen, weswegen ich aussage. Es geht nicht darum, irgendwas zu beweisen. Jeder weiß, was es mit dieser Figur Müller auf sich hat.
Ich habe zu erklären, warum ich aussage.
Vors.:
Herr Hoppe, Ihr Wissen interessiert und Ihre Erklärungen voraus sind von geringerer Bedeutung.
Zeuge Ho[ppe]:
Durch eine Figur wie Müller - durch den Gehirnwäschetrakt - soll das[d] erreicht werden, was notwendig ist, um zu dem zu kommen, was sie Bundesanwaltschaft, Herold[30] und Buback[31] versuchen: Die politische Vernichtung der RAF.
Vors.:
Herr Hoppe kommen Sie zur Sache und erklären Sie ...
Zeuge Ho[ppe]:
Ich bin bei der Sache.
Vors.:
Nein ...
Zeuge Ho[ppe]:
Ich bin bei der Sache. Müller ist die zentrale Figur.
Vors.:
Herr Hoppe, ich bitte Sie jetzt zunächst, keine Vorträge zu halten, sondern sich zu der von der Verteidigung an Sie im Beweisantrag gerichteten Frage ...
Zeuge Ho[ppe]:
Die Sache, um die es hier geht, ist, daß Müller behauptet, die RAF habe eine faschistische Struktur.
Vors.:
Sie sollen Wissen kundtun, Herr Hoppe. Bitte halten Sie sich daran.
Zeuge Ho[ppe]:
Ich stelle mal fest, daß ...
Vors.:
Als Zeuge stellen Sie nichts fest, sondern Sie haben nur Ihr Wissen bekanntzugeben.
Zeuge Ho[ppe]:
Ich stelle hier mal fest, weil hier von Tatsachen geredet wird, daß Müller exakt den Inhalt runterspult.
Angekl. Enssl[in]:
Sie sollen Fragen stellen und nicht Befehle erteilen an den Zeugen.
[11081] Vors.:
Frau Ensslin, Sie haben wahrscheinlich gehört von Herrn Raspe. Ich bin jetzt im Augenblick daran, den Herrn[e] Zeugen dazu zu bringen, daß er sich zum Beweisthema ...
Zeuge Ho[ppe]:
Halt die Fresse, damit ich jetzt zur Sache kommen kann.
Vors.:
Jetzt darf ich Sie zunächst fragen, ob Sie sich äußern wollen, wenn vom Senat überlegt werden muß, ob eine Ordnungsmaßnahme wegen Ungebühr gegen Sie verhängt wird.
Zeuge Ho[ppe]:
Mach schon, los.
Vors.:
Wollen Sie sich dazu äußern?
Keine Äußerung.
Angekl. Ens[slin]:
Man muß das mal interpretieren, was hier läuft ...
Vors.:
Zunächst, Frau Ensslin, verwarne ich Sie. Wenn Sie weiterhin durch Zwischenbemerkungen stören, wird es zu Ihrem Ausschluß führen.
(Nach geheimer Umfrage)
Es ist beschlossen:
Gegen den Herrn Zeugen wird wegen Ungebühr eine
Ordnungshaft von 1 Woche
verhängt.
Er hat dem Vorsitzenden nach mehrfachen Ermahnungen zugerufen: „Halt die Fresse!“
Jetzt können Sie zur Sache kommen.
- Der Zeuge macht Angaben zur Sache -
Die Angeklagte Ensslin verläßt um 10.40 Uhr den Sitzungssaal.
Nach längeren Ausführungen des Zeugen während einer der häufigen, auffällig langen Überlegungspausen bemerkt der Vorsitzende:
Vors.:
Am besten, Sie halten ...
Zeuge Ho[ppe]:
Halt die Fresse.
Vors.:
Wiederum Frage, Herr Hoppe, zur Ordnungsstrafe ...
Zeuge Ho[ppe]:
Prinzing, Ihre Methode ist doch bekannt, daß Sie die Zusammenhänge seit einem Jahr zerstören.
[11082] Vors.:
Ich wollte Sie daran erinnern, daß Sie möglichst nichts auswendig Gelerntes vortragen, sondern Ihr Wissen bekanntgeben sollen. Im Augenblick bitte ich ...
Zeuge Ho[ppe]:
Ich möchte dazu noch was sagen, zu Ihrer schmierigen Behauptung, wir würden hier was ablesen.
Vors.:
Sie haben gesagt: „Halt die Fresse!“. Es ist wieder an eine Ordnungsstrafe zu denken. Wollen Sie sich dazu äußern?
- Der Zeuge schweigt -
Vors.: (Nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Gegen den Zeugen wird erneut eine
Ordnungshaft von 1 Woche
verhängt,
weil er erneut dem Vorsitzenden zugerufen hat: „Halt die Fresse!“ und von „schmierigen“ Bemerkungen sprach.
Er hat sich auf die Gelegenheit hin, sich dazu zu äußern, nicht geäußert.
Zeuge Ho[ppe]:
Ich möchte noch was sagen zu der Behauptung, wir würden hier auswendig Gelerntes vortragen. Das ist hier die zentrale Projektion von dieser Veranstaltung ...
Vors.:
Nein, Herr Hoppe, Sie können nicht mit Prämissen arbeiten, die nicht stimmen. Ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, Sie würden Auswendiges vortragen. Ich habe Ihnen nur empfohlen, einfach sich am Wissen festzuhalten.
Jetzt dürfen Sie weiter berichten, was Sie wissen.
- Der Zeuge fährt mit Angaben zur Sache fort -
Nach längeren Ausführungen fordert der Zeuge:
Ich möchte eine Pause.
Vors.:
Wir haben im Augenblick keine Fragen mehr, wie ich sehe. Die Bundesanwaltschaft?
BA Dr. W[under]:
Im Moment haben wir auch keine Fragen mehr.
Vors.:
Wollen die Herren Verteidiger - ich mache gerne eine Pause, wenn der Herr Zeuge eine benötigt.
[11083] Dann setzen wir fort mit der Vernehmung mit den Fragen der Herren Verteidiger. 10 Minuten Pause.
Zeuge Ho[ppe]:
Ich habe noch mehr zu sagen. Ich möchte jetzt eine Pause haben.
Vors.:
Sie werden danach gefragt werden, dann wollen wir sehen, was für Antworten gegeben werden. Wir sind hier nicht dazu da, um Sie Vorträge halten zu lassen. Sie haben bis jetzt Fragen beantwortet. Sie reichen, soweit Sie sie beantwortet haben, für das Gericht. Jetzt haben die Herrn Verteidiger dann das Fragerecht.
10 Minuten Pause.
Pause von 11.00 Uhr bis 11.12 Uhr
Vors.:
Wir setzen die Sitzung fort.
Bitte die Herren Verteidiger.
Zeuge Ho[ppe]:
Moment, hören Sie zu, Prinzing, Sie sind doch ganz einfach eine Ratte, wenn Sie mir verbieten wollen, weiterzureden. Ich habe nach 5 Jahren Haft Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren.
Vors.:
Ich möchte jetzt an Sie die Frage stellen, ob Sie was dazu zu äußern haben, daß der Senat erneut eine Ordnungsmaßnahme erwägen muß. Sie haben mich im Augenblick mit „Ratte“ angesprochen.
Zeuge Ho[ppe]:
Ich möchte von Ihnen wissen, was Sie dazu zu sagen haben, wenn ich jetzt weiterreden will.
Vors.:
Außerdem darf ich darauf hinweisen, ich benütze bei Ihnen auch das Wort „Herr“, und ich habe es an sich ganz gern, wenn ich auch mit „Herr“ angeredet werde. Das ist so üblich.
Zeuge Ho[ppe]:
Mörder[32] reden wir nicht mit „Herr“ an.
Vors.:
Jetzt kommt noch der „Mörder“ dazu als zweite weitere Ordnungsmaßnahme. Sie können sich zu beiden gleich äußern.
- Der Zeuge schweigt -
Vors.: (Nach geheimer Umfrage)
Senatsbeschluß:
Gegen den Zeugen wird erneut eine
Ordnungshaft von 1 Woche
[11084] verhängt,
weil er den Vorsitzenden als „Ratte“ und „Mörder“ bezeichnet hat.
Herr Hoppe, es ist nichts[f] zerhackt worden, sondern Sie haben eine Pause erbeten. Ich habe Sie darauf hingewiesen, so, wie die Fragen an Sie gestellt waren im Auftrag der Verteidigung, die ja diesen Beweisantrag gestellt hat, haben Sie nach Auffassung des Gerichts beide Punkte angeschnitten und beantwortet. Das Gericht betrachtet Ihre Antwort insoweit als gegeben und möchte jetzt der Verteidigung Gelegenheit geben, weitere Fragen an Sie zu richten.
Zeuge Ho[ppe]:
Es gibt hier noch ein paar dreckige Sätzchen von Müller, zu denen ich noch was zu sagen habe.
Vors.:
Haben Sie bestimmte ... Das dürfen Sie tun, wenn Sie konkrete Einzelheiten uns noch zu diesen Themen mitteilen können, dann bitte.
- Zeuge fährt mit seinen Aussagen fort -
Als der Zeuge ausführt:
„Im Besonderen ist etwas zu sagen zum Schießbefehl. Das sind schweinische Behauptungen von Mördern, wie es Buback und Herold sind,“
unterbricht der Vorsitzende:
Vors.:
Herr Hoppe, jetzt ist wieder eine Ordnungsstrafe in Erwägung zu ziehen. Sie haben im Augenblick weitere Personen mit der Bezeichnung „Mörder“ belegt. Wollen Sie sich dazu äußern?
Zeuge Ho[ppe]:
Ich sage die Wahrheit.
[11085] Vors.: (Nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Es wird gegen den Zeugen
1 weitere Woche Ordnungshaft
verhängt,
weil der den Generalbundesanwalt Buback und den Präsidenten Dr. Herold als „Mörder“ bezeichnet hat und auf die Gelegenheit, sich dazu zu äußern, erklärte, er sage die Wahrheit.
Vors.:
Jetzt können Sie fortfahren.
Ich will Ihnen noch dabei sagen, Herr Hoppe. Es hat Grenzen ...
Zeuge Ho[ppe]:
Lass mich jetzt ausreden.
Vors.:
Herr Hoppe, auch zu Ihnen sage ich „Sie“. Ich bin nicht gewohnt, an sich von Leuten, wie Sie jetzt im Augenblick sich aufführen, per „Du“ angeredet zu werden. Wenn Sie jetzt bitte zur Kenntnis ...
Zeuge Ho[ppe]:
Wir sind es nicht gewohnt, mit Leuten wie Ihnen zu reden, sondern auf Leute wie Sie zu schießen.
Vors.:
Ich nehme das zur Kenntnis, Herr Hoppe.
Zeuge Ho[ppe]:
Das ist gut, daß Sie es wissen.
Vors.:
Ich nehme das zur Kenntnis.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß auch ein Zeuge Ausführungen machen kann, die es nicht mehr weiter möglich machen, ihm das Wort zu lassen, wenn es zum eklatanten Mißbrauch gemacht wird ...
Zeuge Ho[ppe]:
Ach hör doch auf mit diesem Gequatsche.
Vors.:
... und Sie sind auf dem besten Wege dabei.
Jetzt können Sie weiterreden.
- Zeuge fährt mit seinen Aussagen fort -
Als der Zeuge sagt:
„Man muß das klar machen, was diese Behauptung „Schießbefehl“ beinhaltet, was dieses Schwein [11086] wie Buback ausdrücken kann, daß Andreas an die Front schicken würde ...
unterbricht der Vorsitzende:
Vors.:
Herr Hoppe, ich entziehe, außerdem schon weil es weitschweifig ist und nicht mehr zur Sache gehört, das Wort.
Ich gebe Ihnen Gelegenheit, sich weiter zu äußern zu der Frage einer Ordnungsmaßnahme. Sie haben im Augenblick den Generalbundesanwalt als Schwein bezeichnet. Wollen Sie sich dazu äußern?
Zeuge Ho[ppe]:
Soll das heißen, daß ich jetzt nicht mehr weiterreden kann.
Vors.:
Wollen Sie sich jetzt im Augenblick zu der Frage der Ordnungsmaßnahme äußern?
Zeuge Ho[ppe]:
Ich habe hier noch eine Menge zu sagen.
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Der Senat hat beschlossen:
Gegen den Zeugen wird erneut eine
Ordnungshaft von 1 Woche
verhängt,
weil er den Generalbundesanwalt als „Schwein“ bezeichnet hat. Er hat sich bei der Gelegenheit nicht dazu geäußert.
Vors.:
Sie haben jetzt Ausführungen gemacht. Das Gericht hat keine weiteren Fragen mehr an Sie. Diese Ausführungen, die Sie jetzt gemacht haben, sind unterbrochen wegen Weitschweifigkeit, wegen mangelnder [11087] Sachzusammengehörigkeit.
Die Herrn Verteidiger haben jetzt Gelegenheit, noch Fragen zu stellen.
Zeuge Ho[ppe]:
Jetzt muß eine Pause gemacht werden.
Vors.:
Nein, Sie haben erst vor 20 Minuten eine Pause gehabt. Herr Rechtsanwalt Schily, bitte.
RA Schi[ly]:
Herr Hoppe, Sie haben ja bereits Ausführungen gemacht zu der Frage der „offenen Gruppe“ oder einer anderen Gruppenstruktur. Und da möchte ich Ihnen gerne mal vorhalten aus der polizeilichen Aussage von Herrn Müller, das ist auf Seite 175 des polizeilichen Protokolls, hier heißt es, daß Ensslin eine mündliche Anweisung erteilt habe, nach der innerhalb der RAF jeder jeden zu unterrichten hatte.
Und dann heißt es hier in dieser Aussage wörtlich weiter von Herrn Müller: „Dieses Prinzip des Nachrichtenaustausches war von Baader, Ensslin bestimmt worden, weil sich beide für das Prinzip der „offenen Gruppe“ entschieden hatten. Demnach sollten alle RAF-Vollmitglieder und auch Sympathisanten vollen Zugang zur RAF-Führung haben, so daß alle RAF-Angehörigen über die Vorgänge innerhalb der RAF informiert waren. Das Prinzip der Zellenstruktur wurde von Baader, Ensslin abgelehnt, weil nach ihrer Meinung der Lernprozeß innerhalb der RAF behindert würde. Damit standen sie im Gegensatz zur Theorie Marighellas,[33] nach der die Zellenstruktur aus Sicherheitsgründen vorgeschlagen wird.“ Soweit das Zitat aus der Aussage von Herrn Müller. Wenn ich Ihnen das vorhalte, können Sie da vielleicht etwas dazu sagen.
Zeuge Ho[ppe]:
Das ist Dreck, was der behauptet.
Diese Sache, daß Information in der Gruppe als Herrschaftsmittel gebraucht worden wäre, ist vollkommen absurd. Es gab natürlich Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen in den [11088] verschiedenen Städten. Das ist eine Notwendigkeit, um in jeder Stadt zum Begriff der Gesamtsituation kommen zu können, um Einschätzungen machen zu können. Der konkrete Punkt bei der Sache ist ganz einfach, daß es nicht um das ging, was Müller behauptet, Gequatsche breittreten, Dreck, also das, was Herold im Kopf hat, und daher stammt es auch, was er behauptet. Die Informationspflicht hat es nicht gegeben. Es geht um den Austausch von funktionellen Informationen. Die Behauptung von der „offenen Gruppe“ ist falsch. Kann ich den Satz zu Marighella nochmal hören?
RA Schi[ly]:
Also der Satz zuvor heißt: „Das Prinzip der Zellenstruktur wurde von Baader, Ensslin abgelehnt, weil nach ihrer Meinung der Lernprozeß innerhalb der RAF behindert würde. Damit standen sie im Gegensatz zur Theorie Marighellas, nach der die Zellenstruktur aus Sicherheitsgründen vorgeschlagen wird.“
Zeuge Ho[ppe]:
Ich möchte am Rande bemerken, daß es Dreck ist, da Marighella reinzuziehen, weil es das Gegenteil von dem ist, was in Brasilien gemacht wird. Da hat der Staatsschutz nicht ganz durchgeblickt, als er das geschrieben hat.
RA Schi[ly]:
Dann einen Vorhalt aus der Aussage von Herrn Müller - das ist S. 204 - da heißt es folgendermaßen: „Ich bin der Meinung, daß es Baader nur um diese taktisch-technische Seite des Terrors ging. Politisch war er nur insofern interessiert, als sich das für seine Pläne eignete. So kann ich mich an einen Ausspruch Baaders erinnern, Lenin[34] gäbe für die RAF nichts her. Andere RAF-Angehörige wie Meinhof, Ensslin, Raspe, Meins vertraten innerhalb der RAF eher eine politische Linie. Auf einen Nenner gebracht, handelte es sich dabei um eine provokatorische Linie gegenüber dem Staat, der dazu gebracht werden sollte, auf die RAF-Aktion mit Terror gegenüber der Bevölkerung zu reagieren.“ Und dann eine Passage weiter: „Gegenüber den letztgenannten setzte sich jedoch Baader mit seinem Konzept fast immer durch.“ ...
Zeuge Ho[ppe]:
Ich muß mal unterbrechen. Mir ist das zu viel auf einmal, vielleicht abschnittsweise ...
RA Schi[ly]:
Vielleicht die beiden Sätze nebeneinander.
Ich lese nochmal vor: „Ich bin der Meinung, daß es Baader nur um diese taktisch-technische Seite des Terrors ging. Politisch [11089] war er nur insofern interessiert, als sich das für seine Pläne eignete. So kann ich mich an einen Ausspruch Baaders erinnern, Lenin gäbe für die RAF nichts her. Andere RAF-Angehörige wie Meinhof, Ensslin, Raspe, Meins vertraten innerhalb der RAF eher eine politische Linie.“
Also einerseits politische Linie und Baader nur - wie sagt er - „taktisch-technische Seite des Terrors“.
Zeuge Ho[ppe]:
Das ist genau dieser Versuch, diese dreckige Version über Andreas, er sei der Bandenboß gewesen, die nur rational wirkt, nachdem, was in den 1 ½ Jahren hier gelaufen ist, Andreas als einen unpolitischen Typ darzustellen, gekippt ist.
Vors.:
Ich bitte um Verständnis ...
Zeuge Ho[ppe] - mit lauter Stimme -:
Unterbrechen Sie mich doch nicht.
Vors.:
... Ich möchte mit diesem etwas rauen Zeugen nicht allzuviel mehr herumdiskutieren. Aber vielleicht weisen Sie ihn doch darauf hin - Ihrerseits -, daß es darauf ankommt, daß er sein Wissen mitteilt. Diese Meinungen, die er hier verbreitet, kann ich nicht zulassen. Auch als Antwort nicht.
Sie können Ihre Ausführungen machen, aber als Wissen.
RA Schi[ly]:
Herr Hoppe, wir wollen von Ihnen Ihre Kenntnisse aus dem damaligen Zusammenhang, die Sie haben oder nicht haben, über das, was Sie dann an Tatsachen gegenüber dem, was der Herr Müller hier auch allerdings als Meinung ...
Zeuge Ho[ppe]:
Ich komme ja gleich dazu.
RA Schi[ly]:
Darf ich mal schnell zuende bringen - ... der Herr Müller ja auch als Meinungsäußerung, er schreibt: „Ich bin der Meinung...“ Insofern ist es interessant, daß da mitunter etwas unterschiedliche Maßstäbe angestellt werden, wer was sagen darf.
Aber hier ist also auch von einer Meinung, die aber vielleicht der Herr Müller behauptet aus bestimmten Beobachtungen dann als Resultat gezogen zu haben. Und vielleicht können Sie Ihre Beobachtungen, die Sie gemacht haben, und dann also auch das Resümee in Form einer Meinung uns dann berichten.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt ...
Zeuge Ho[ppe]:
Ich möchte diesen Satz hier kurz zum Punkt bringen.
Vors.:
Nein, Sie bringen jetzt nichts zum Punkt.
Herr Rechtsanwalt, wir haben nach der Meinung des Herrn Müller auch nicht gefragt. Die Frage ist nicht gestellt worden. Sie be- [11090] nützen zum Vorhalt, was zulässig ist, aus den Akten das Polizeiprotokoll Müller; aber ich darf Sie daran erinnern, der Senat hat sich um die Meinungen des Herrn Müller auch nicht gekümmert.
RA Schi[ly]:
Gut, also hier steht etwas von der Meinung „Ich bin der Meinung ...“.
Zeuge Ho[ppe]:
Jedenfalls diese Behauptung, daß es Spannungen zwischen Ulrike und Andreas gegeben habe, hat die Funktion, die Hinrichtung von Ulrike zu legitimieren ...
Vors.:
Herr Hoppe, ich darf Sie darauf hinweisen ...
Zeuge Ho[ppe]
Halt die Fresse!
Vors.:
Sie können sich jetzt wiederum äußern ...
Herr Hoppe, Sie werden langsam bemerken müssen, daß Ihre Vernehmung dadurch nicht sehr glücklich verläuft, und zwar für Sie nicht sehr glücklich. Es wäre wünschenswert, daß ein Zeuge einen Eindruck hinterläßt, der ihm wenigstens noch ein bißchen Substanz gibt. Wenn Sie sich weiterhin so wehren, wenn ich Sie darauf hinweise, pflichtgemäß, daß uns Ihre Meinungen nicht interessieren, sondern Ihre Kenntnisse und zwar ausschließlich, dann machen Sie eben den Eindruck, als hätten Sie hier nichts als Meinungen zu verbreiten und in Wirklichkeit keine Kenntnisse. Und das ist doch nicht zu Ihrem Vorteil. Auf das weise ich Sie ausdrücklich hin. Wenn Sie noch einmal wiederholen, Meinungen über Ermordungen von irgendwelchen RAF-Mitgliedern und dergleichen, dann können Sie sich sicher sein, daß Sie nicht weiterreden werden.
Zeuge Ho[ppe]:
Das wollen Sie natürlich nicht hören, Prinzing. Die Wahrheit wollen Sie nicht hören.
Vors.:
Reden Sie keinen Unsinn ... daß Sie Ihre Kenntnisse bekanntgeben. Herr Rechtsanwalt Schily hat Sie deswegen zu Recht nach Ihren Beobachtungen gefragt, die dahin gehen, ob Herr Baader ein politischer Mensch war oder nicht.
Beobachtungen, nicht Meinungen.
RA Schi[ly]:
Ich möchte das der Korrektur halber sagen: Ich habe eigentlich nicht gefragt, ob Herr Baader ein politischer Mensch sei, sondern ob es da eine Differenzierung gab, ob also der Herr Baader sich nur die taktisch-technische Seite des [11091] Terrors - wie sich Herr Müller ausdrückt - interessierte[g] und die anderen, die hier genannt werden Meinhof, Ensslin, Raspe, Meins, eine politische Linie, vertraten. Ob es diese Art Spaltung - oder wie man das nennen will - gab, eine solche Differenzierung.
Ist die Frage verständlich?
Zeuge Ho[ppe]:
Es ist erstmals festzustellen, seit ich in der RAF organisiert bin, hat es diese Sachen nicht gegeben. Es ist einfach mal die Funktion von Andreas klarzumachen, um die Beziehung unter uns zu erklären, wie sie bestand, wie sie heute besteht. Andreas konnte diese vielfertigen Möglichkeiten in einem Diskussions-, Lern- und Arbeitsprozeß koordinieren und, organisieren, da er von Anfang an der Typ gewesen ist, der am meisten das war, was wir heute sind. Er hat die Funktion der Besitzlosigkeit an sich gebracht, die Funktion, die wir kennen. Die Funktion, immer zu kämpfen, und sich restlos, am Ziel zu orientieren, d.h. Vernichtung des Imperialismus, hier Angriff gegen die US-Präsenz. Diese Bedingungen sind Voraussetzungen. Er hat sie uns vermittelt und möglich gemacht, daß bei allen dieser Prozeß in Gang kommt, daß sich jeder selbst befähigt, die Politik, die Strategie der RAF in die Praxis umzusetzen, d.h. selbst Führung zu werden.
Ich würde sagen, die Behauptung von Andreas als einen unpolitischen Typ ist eine totale Umformierung seiner Persönlichkeit. Er ist nichts von dem gewesen. In keinem Moment in den 5 Jahren des Krieges. Es ist auch so, diese Trennung unpolitische und politische Typen zu behaupten, weil es unmöglich ist, in der Illegalität, in der es für jeden notwendig ist, diese Politik in die Praxis umzusetzen. Wenn jemand nicht überzeugt ist, dann ist es unmöglich, eine Knarre in die Hand zu nehmen und diesen Staat anzugreifen. Das heißt auch, weil in diesem Staat, in der Metropole, es einfach eine Bedingung von jedem ist, sich von diesem Dreck zu befreien und das ist im Prozeß der Gruppe eine wesentliche Funktion von Andreas, daß er uns eine wesentliche Struktur gezeigt und vermittelt hat, die frei ist. Er hat eine Abneigung gegen jede Herrschaft. Er hat sofort den Kampf dagegen[h] entwickelt. Die Fähigkeit von Andreas, die Sache zu ticken und den Prozeß offenzuhalten, daß Kenntnisse vermittelt werden können, so, daß jeder von jedem lernen konnte. Es ist sicher die Funktion in 5 Jahren der RAF von Andreas.
[11092] Von Andreas reden heißt, von uns selbst reden, weil jeder an dem Punkt angelangt ist.
RA Schi[ly]:
Es ist vielleicht für Sie schon beantwortet, aber ich will es Ihnen nochmal vorhalten hier aus der Aussage von Herrn Müller - auch S. 204 der pol. Aussage -, da spricht Herr Müller von einer Befehlsgewalt Baaders und sagt dazu: „Die Befehlsgewalt Baaders stützte[i] sich auch auf Drohungen gegenüber anders denkenden RAF-Mitgliedern. Anfangs drohte Baader mit dem Ausschluß aus der RAF und somit indirekt mit einem Ausliefern an die Polizei, später ganz offen mit Liquidierung.“ Soweit das Zitat aus der polizeilichen Aussage von Herrn Müller. Können Sie etwas dazu sagen?
Zeuge Ho[ppe]:
Es ist absurd.
RA Schi[ly]:
Ich habe keine Frage mehr.
Vors.:
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann auch keine Fragen? Die Herren der Bundesanwaltschaft? Die Herren Verteidiger? Keine Fragen mehr.
Die Vernehmung des Herrn Zeugen ist abgeschlossen.
Der Zeuge Hoppe bleibt unbeeidigt wegen Tatbeteiligung gem. § 60 Ziff. 2 StPO und wird im allseitigen Einvernehmen um 11.43 Uhr entlassen.
RA Schi[ly]:
Herr Vorsitzender, ich habe ja festgestellt, daß verschiedenen Beweisanträgen der Verteidigung entsprochen worden ist. Es sind aber auch eine Reihe von Beweisanträgen gestellt worden, bei denen ich nicht erkennen kann, ob die Ladung der benannten Zeugen vorgesehen ist oder wie sich der Senat zu den Beweisanträgen stellt. Mein Vertreter, der Herr Kollege Geulen, hat mir berichtet, daß man noch wegen der Adresse von Herrn Ruch ihn angesprochen habe. Ich kann zu Herrn Ruch nichts anderes als die mögliche ladungsfähige Anschrift mitteilen, als mögliche Anschrift die Redaktion der Zeitung „Bild am Sonntag“. Ich weiß aber nicht, ob er über diese Adresse zu laden ist.
Vors.:
Es ist für uns ein Anhaltspunkt. Anhaltspunkten gehen wir nach. Die anderen Journalisten konnten aufgrund der gegebenen Hinweise tatsächlich ermittelt werden.
RA Schi[ly]:
Und, wie gesagt, ein weiterer Anhaltspunkt ist ja, daß er in Heidelberg wohnhaft sei und ich nehme an, daß sich über [11093] eine Einwohnermeldeamtsanfrage vielleicht auch in Heidelberg dann ...
Vors.:
Steht Ihnen offen, das Einwohnermeldeamt.
RA Schi[ly]:
Wenn ein Beweisantrag gestellt wird - ich darf wieder meine Berliner Erfahrungen ...
Vors.:
Das ist Ihre Sache. Sie haben ja den Zeugen benannt und müssen natürlich, das Ihnen Mögliche tun, um die Adresse des Zeugen dem Gericht mitzuteilen.
RA Schi[ly]:
Das will ich gerne tun ... an sich ist es doch so, wenn ein Beweisantrag gestellt wird, der vielleicht der Aufklärung dienen könnte, auch Sache des Gerichts, von den Möglichkeiten nach § 244[ StPO][35] Gebrauch ... wie bitte, Herr Dr. Foth, Sie wollten sich dazu äußern?
Vors.:
Der Herr Dr. Foth hat soeben zu Recht bemerkt, das ist Sache des Verteidigers, wenn er ein Beweismittel benennt, das Thema und die ladungsfähige Anschrift mitzuteilen[36] und zumindest das Mögliche in dieser Richtung zu tun.
RA Schi[ly]:
Ja, das tue ich. Aber vielleicht darf meine Frage beantwortet werden, wie es mit den weiteren Beweisanträgen ist. Sie wissen, daß ich da - auch meine Mitverteidiger hier - noch weitergehende Beweisanträge gestellt haben. Ich würde gerne erfahren, ob sich der Senat über diese inzwischen schlüssig geworden ist.
Vors.:
Nein. Sonst hätte er die Entscheidung schon bekannt gegeben. Wir werden in dem Zeitpunkt, in dem wir uns schlüssig geworden sind, die Entscheidung sofort verkünden.
RA Schi[ly]:
Dürfen wir fragen, wann wir da mit der Entscheidung des Senats rechnen können.
Vors.:
Das kann ich Ihnen im Augenblick noch nicht mit Sicherheit sagen. Der Senat ist allerdings bemüht, es möglichst rasch zu machen, so wie er auch hier bei den meisten Beweisanträgen möglichst rasch entschieden hat durch Ladung.
RA Schi[ly]:
Ich könnte mir vorstellen, daß an sich, um über diese Beweisanträge entscheiden zu können, doch der Zeitraum, der jetzt inzwischen verflossen ist, ausreicht. Aber ich will natürlich nicht insoweit in das Ermessen des Senats eingreifen ...
Vors.:
Nein, das sind keine Geheimnisse. Es ist ja beispielsweise [11094] noch bei einzelnen Zeugen zu klären, ob Aussagegenehmigungen[37] erteilt werden und dergleichen und so fort. Das ist im Gange.
RA Schi[ly]:
Ist da ein Ersuchen des Senats gestellt worden auf Erteilung einer Aussagegenehmigung?
Vors.:
Ich habe das ausdrücklich hier sogar verlesen. Ich bedaure, daß offenbar weder Sie noch Ihr Vertreter anwesend gewesen sind, z.B. betreffend den Herrn Bundesjustizminister. Eine ähnliche Anfrage läuft betreffend Herrn Generalbundesanwalt Buback. Wir sind bis jetzt noch nicht beschieden worden.
RA Schi[ly]:
Wäre es möglich, mir über die Geschäftsstelle den Wortlaut dieser Anfrage zu übermitteln.
Vors.:
Es ist auch im Protokoll dann enthalten. Es mag als Anlage zum Protokoll gekommen sein.
Aber Sie können es jederzeit selbstverständlich einsehen. Ich gehe davon aus, daß wir uns um 13.45 Uhr, um die Zeit zu sparen, wenn je Frau Roll, wie wir hoffen, als Zeugin kommt, wieder treffen können.
RA Dr. H[eldmann]:
Frau Roll kann nicht kommen. Ich sagte es schon.
Vors.:
Was heißt, sie kann nicht kommen.
RA Dr. H[eldmann]:
Ich sagte es mit meinem Antrag, Ihren Vernehmungstermin zu verlegen, daß es ihr nicht möglich ist, zwischen dem 2.8. und dem 20.8.1976 in die Bundesrepublik zu reisen.
Vors.:
Also die Gründe, die Sie angegeben haben, zeigen zwar nicht auf, daß es nicht möglich sei. Aber wir nehmen es jetzt mal zur Kenntnis.
Dann können wir um 14.00 Uhr fortsetzen mit der Vernehmung der Zeugin Möller.
Pause von 11.43 Uhr bis 14.03 Uhr
Ende des Bandes 643
[11095] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.03 Uhr
Als Zeugin ist Irmgard Möller
- vorgeführt aus der Untersuchungshaft -
anwesend.
Vors.:
Wir setzen die Sitzung fort.
Als Zeugin ist anwesend Frau Irmgard Möller.
Die Zeugin Möller wird gem. §§ 57, 55 StPO belehrt.
Wir haben ein Tonband hier laufen. Sind Sie damit einverstanden?
Zeugin Mö[ller]:
Nein.
In der Folge wird das Tonbandgerät ausgeschaltet, solange sich die Zeugin äußert.
Die Personalien der Zeugin werden wie folgt festgestellt:
Irmgard Maria Elisabeth Möller
geb. [Tag].[Monat].1947, früher Studentin,
z.Zt. JVA Hamburg.
Mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert; wegen Eidesverletzung nicht vorbestraft.
Vors.:
Wir haben Sie geladen auf Antrag der Verteidigung. Die Verteidigung hat folgende Beweisthemen für Sie benannt, die ich Ihnen bekanntgeben möchte und dann können Sie im Zusammenhang sich dazu äußern. [11096] Sie sollen bekunden können, daß es in der RAF keine hierarchische Struktur oder ein sonstiges Verhältnis der Über- oder Unterordnung, auch nicht in tatsächlicher Hinsicht, gegeben habe. Ferner, daß die RAF nicht als „offene Gruppe“, sondern in kleinen, zahlenmäßig eng begrenzten Gruppen organisiert gewesen sei, wobei sich der Informationsaustausch auf die jeweilige Gruppe und deren Mitglieder beschränkt habe. Also Struktur und Informationsaustausch.
Bitte, wenn Sie dazu was sagen können?
Zeugin Mö[ller]:
Ich will erstmal erklären, daß ich auf Fragen von Ihnen und der Bundesanwaltschaft nicht antworte. Das Verhältnis ist Krieg.
Sie brauchen keine Fragen zu stellen.
Die Funktion, warum ich mich bereit erkläre, ist die, daß ich selber darstellen kann, wie es wirklich war.
Die Zeugin macht Angaben zur Sache.
Die Angeklagte Ensslin erscheint von 14.07 Uhr bis 14.12 Uhr im Sitzungssaal.
Nach Beendigung ihrer Angaben fährt der Vorsitzende fort:
Vors.:
Ich habe keine Fragen mehr.
Zunächst stelle ich fest ...
Zeugin Mö[ller]:
Also Ihre Fragen werde ich überhaupt nicht beantworten.
Vors.:
„Geschenkt“. Da muß ich Ihren Ausdruck verwenden.
Wir haben auch keine Fragen, jedenfalls ich nicht.
Ich sehe beim Gericht sonst auch keine Fragen.
Die Bundesanwaltschaft?
BA Dr. Wu[nder]:
Wir vorerst auch keine.
Vors.:
Bitte, die Herren Verteidiger.
Herr Rechtsanwalt Schily.
RA Schi[ly]:
Frau Möller, ich wollte Ihnen einen Vorhalt machen aus [11097] der Aussage von Herrn Müller, die polizeiliche Aussage, und darf daraus zitieren - das ist wiederum aus Bl. 175 -: Da spricht Herr Müller von einer mündlichen Anweisung von Frau Ensslin, nach der innerhalb der RAF jeder jeden zu unterrichten hatte, und es heißt dann in dieser Aussage weiter: „Dieses Prinzip des Nachrichtenaustausches war von Baader, Ensslin bestimmt worden, weil sich beide für das Prinzip der „offenen Gruppe“ entschieden hatten. Demnach sollten alle RAF-Vollmitglieder und auch Sympathisanten vollen Zugang zur RAF-Führung haben, so daß alle RAF-Angehörigen über die Vorgänge innerhalb der RAF informiert waren. Das Prinzip der Zellenstruktur wurde von Baader, Ensslin abgelehnt, weil nach ihrer Meinung der Lernprozeß innerhalb der RAF behindert würde. Damit standen sie im Gegensatz zur Theorie Marighellas, nach der die Zellenstruktur aus Sicherheitsgründen vorgeschlagen wird.“
Können Sie dazu etwas sagen?
Zeugin Mö[ller]:
Zum großen Teil habe ich das schon erklärt.
Entscheidend daran ist, daß er nichts wußte darüber.
Er wußte nur, was ihn betraf. Das, was er machen wollte. Es ist unmöglich, eine offene Gruppe zu haben in der Illegalität. Das ist vollkommen disfunktional. Wir sind ja eine politischmilitärische Organisation. Das ist vollkommen irrig, sich vorzustellen, wenn jeder hin- und herlaufen kann.
RA Schi[ly]:
Ich möchte Ihnen einen weiteren Vorhalt machen, ebenfalls aus der Aussage des Herrn Müller und wiederum Seite 204. Da heißt es in der Aussage: „Ich bin der Meinung“, sagt Herr Müller, „daß es Baader nur um diese taktisch-technische Seite des Terrors ging. Politisch war er nur insofern interessiert, als sich das für seine Pläne eignete. So kann ich mich an einen Ausdruck Baaders erinnern, Lenin gäbe für die RAF nichts her. Andere RAF-Angehörige wie Meinhof, Ensslin, Raspe, Meins vertraten innerhalb der RAF eher eine politische Linie.“
Also er sagt, Baader auf der einen Seite „taktisch-technische Seite des Terrors“ und dann eine andere Fraktion sozusagen, Meinhof, Ensslin, Raspe, die eher eine politische Linie vertraten.
[11098] Zeugin Mö[ller]:
Ich kann mal sagen zu Andreas - ich rede nicht über alles -: Eine Grundlage von allen ist, wie wir zum Kampf kommen, ist, daß sich jeder freiwillig entschließt, zu kämpfen. Jeder muß die ganze Politik wollen. Es ist nicht möglich, daß jemand für Technik zuständig ist, weil jeder das ganze will. Andreas ist gerade ein Beispiel dafür, wie das gelaufen ist. Die Funktion, die er hat, ist wirklich die, daß er eine Führungsfunktion hat für die Gruppe.
Führung heißt konkret: Konkreter Begriff der Situation.
Rechtsanwalt Schlaegel verläßt um 14.30 Uhr den Sitzungssaal.
Er muß den Lernprozeß offenhalten. Jeder muß Kader werden. Andreas hat diesen Prozeß und diese Entwicklung geführt, weil er die Fähigkeiten dazu hatte. Er hat die Besitzlosigkeit an sich gebracht. Funktion der Besitzlosigkeit im Kampf gegen den US-Imperialismus. Wir sind als Fighter für die proletarische Politik alle proletarisiert. Jeder hat nichts außer seinen Erfahrungen. Das ist ein Antagonismus zum Besitz. Andreas ist sehr sensibel gegen alles, was Herrschaft bedeutet.
Die ganze Gruppe hat die Politik bestimmt. Das haben alle. Weil es nur kollektiv möglich ist und weil es Sache von jedem ist.
Es ist absurd, das zu trennen. Es hat die Funktion, die ganze Struktur vom Imperialismus in die RAF zu bringen, um sie zu vernichten.
RA Schi[ly]:
Ich habe noch eine Frage. Sie sagten, daß die RAF Kontakte zu illegalen GI’s hatte. Ist es auf diese Weise auch gelungen, Informationen über die Zweckbestimmung bestimmter amerikanischer Einrichtungen zu erhalten?
[11099] Zeugin Mö[ller]:
So genau will ich das gar nicht erzählen. Wir hatten auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges die Möglichkeiten, um Informationen zu bekommen.
RA Schi[ly]:
Dann habe ich keine Frage. mehr, danke.
Vors.:
Weitere Fragen? Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, bitte.
RA Dr. He[ldmann]:
Sie sagten uns, der Herr Müller hat Briefe an Sie geschrieben. War das während Ihrer beiderseitigen Haft? Briefe an Sie auch persönlich?
Zeugin Mö[ller]:
Das war während der Haft. Es gab Briefe vom Dezember 1974, von denen ich geredet habe. Der Brief, den ich vorgelesen habe, war vom März 1975.
Er hat erzählt, wie die Rache, und Zuordnung zustande kommt. Das ist nur eine Besonderheit an den Brief. Das Muster war abzusehen.
RA Dr. He[ldmann]:
Haben Sie den Brief heute zur Hand?
Zeugin Mö[ller]:
Ja. Ich habe aber keine Lust, ihn vorzulesen. Er hat mir vermittelt, was er überhaupt will.
Er droht mir damit, wie er am Schluß durchblicken lässt, daß er anfängt auszupacken.
RA Dr. He[ldmann]:
Er bedroht Sie persönlich? Weswegen hat er Sie bedroht?
Zeugin Mö[ller]:
Was er wollte, war ein Besitzverhältnis wie im Imperialismus.
RA Dr. He[ldmann]:
Was hat er von Ihnen gewollt?
Zeugin Mö[ller]:
Ich sollte rausbrechen.
RA Dr. He[ldmann]:
Kann es sein, daß Sie vorhin einmal geäußert haben, er hätte versucht, Sie aus der RAF zu pressen?
Zeugin Mö[ller]:
Rauszubrechen.
RA Dr. He[ldmann]:
Hat er Ihnen in diesem Zusammenhang in einem solchen Brief angeboten, er könnte etwas für Sie tun?
Zeugin Mö[ller]:
Das weiß ich nicht. Die Hauptsache, daß das klar wird, daß er sich rächen will. Die Hauptsache von der ganzen Konstruktion ist die Bundesanwaltschaft. Sein kleines Interesse kommt darin voll zum Zuge.
Er wird[j] instrumentalisiert.
RA Dr. He[ldmann]:
Wollte er sich an anderen rächen?
Zeugin Mö[ller]:
Er will sich an allen rächen.
[11100] RA Dr. He[ldmann]:
Wofür wollte er sich rächen?
Zeugin Mö[ller]:
Daß das nicht gelaufen ist, daß er mich nicht rausbrechen konnte.
RA Dr. He[ldmann]:
Haben Sie festgestellt, gab es Anhaltspunkte, gab es Tatsachen, wonach Müller ein besonderes Rachebedürfnis gegenüber Baader geäußert hat?
Zeugin Mö[ller]:
Sein persönlicher Haß auf Andreas liegt darin, daß er überhaupt nicht zum Zuge kam. Daß Andreas sofort gesagt hat, das läuft nicht, oder vermittelt hat, wie das läuft. Andreas war das Beispiel für Befreiung. Die ganze psychologische Kriegsführung, die sich gegen Andreas richtet, hat zum Ziel, Andreas er ermorden. Die Konzentration der psychologischen Kriegsführung schlägt um. Er ist zum Symbol geworden.
RA Dr. He[ldmann]:
Gab es ein Konkurrenzverhältnis zwischen Herrn Baader und Frau Meinhof?
Zeugin Mö[ller]:
Ganz sicher gab es überhaupt kein Konkurrenzverhältnis. Es wäre totaler Antagonismus. Die Verhältnisse der Beziehungen in der Gruppe ist was ganz anderes. Das ist die Negation von Konkurrenzverhältnis. Die Gruppe hatte dieselben[k] Ziele. Es ist nicht möglich, daß es Widerspruch auf der Ebene gab.
RA Dr. He[ldmann]:
Ist etwas bekannt davon - in Müllers Aussage lautet das so, Frau Meinhof sei nach Hamburg abgeschoben worden.
Zeugin Mö[ller]:
Ich das vorher schon erklärt, wie das abgelaufen ist.
RA Dr. He[ldmann]:
Ist etwas bekannt davon, Frau Meinhof hätte eine eigene Gruppe gründen wollen?
Zeugin Mö[ller]:
Es ist auf derselben Linie. Das hat es nie gegeben. Ulrike ist RAF. Das ist dasselbe mit dem Konkurrenzverhältnis. Das ist nur eine Legitimation davon, daß der Staatsschutz Ulrike ermordet[38] hat.
RA Dr. He[ldmann]:
Hat Baader einmal angeordnet oder durch Handlungen, Äußerungen bewirkt, daß Sie oder ein anderer Angehöriger der Gruppe an einer bestimmten Aktion teilnehmen, damit Sie sich rehabilitierten für etwa ein früheres Versagen?
[11101] Zeugin Mö[ller]:
Das ist ein Witz. Andreas hat nie etwas angeordnet. Die Grundlage war die freie Entscheidung von jedem einzelnen und der Wille. Das ist eine Projektion der psychologischen Kriegsführung. Es ist absurd. Natürlich gab es Fehler. Wenn jemand Fehler gemacht hat, dann sind die aufzulösen. Es ist ein kollektiver Lernprozeß. Jeder ist in der Lage, dem anderen seine Erfahrungen zu vermitteln. Die Basis ist, daß jeder will und jeder wirklich selber freiwillig Entscheidungen getroffen hat, zu kämpfen. Der Guerilla materialisiert sich in der Aktion. Rehabilitierung setzt voraus, daß es notwendig ist. Die RAF ist institutionelle Politik. In jedem einzelnen Satz ist das ganze Konzept der psychologischen Kriegsführung aufzulösen.
Zum Befehl: Die Sache ist, daß ein Befehl in der Organisation der RAF eine kollektive Entscheidung in der Phase der Vorbereitung der Aktion ist. Befehl ist nicht mehr. Was es voraussetzt ist die Freiwilligkeit von jedem einzelnen Guerilla in der Gruppe. Es laufen keine Befehle. Es laufen nur Befehle in der Phase der Durchführung.
RA Dr. He[ldmann]:
Gab es so etwas wie einen Schießbefehl? Eine Schießanordnung, eine Weisung, bei Gefahr der Festnahme zu schießen?
Zeugin Mö[ller]:
Das ist dasselbe. Ich weiß nicht, wie er das sagt. Wir sind eine bewaffnete Organisation. Natürlich hat jeder eine Waffe. In der Situation von einer Verhaftung ist es so, daß wir nicht schießen, wenn ein Bulle nicht schießt.
Das ist eine Projektion, was das wesentliche ist bei der psychologischen Kriegsführung.
RA Dr. He[ldmann]:
Herr Hoppe hat als Zeuge ausgesagt: „Wer auf uns nicht schießt, auf den schießen wir auch nicht.“ Können Sie sich dazu äußern?
Zeugin Mö[ller]:
Das ist dasselbe, was ich schon gesagt habe. Das bezieht sich auf die konkrete Situation bei der Festnahme. Es geht darum, sich nicht festnehmen zu lassen. Wir schießen natürlich nicht, wenn die Bullen nicht schießen.
RA Dr. He[ldmann]:
Ist Ihnen etwas bekanntgeworden, von einem Plan, Siegfried Hausner zu liquidieren?
[11102] Zeugin Mö[ller]:
Das habe ich jetzt in der Zeitung gelesen.
Es gab niemals den Plan, daß jemand liquidiert werden sollte. In der Gruppe gibt es zwei Ebenen, wo Leute sich trennen möchten. Das eine ist, daß sich einer trennen will und daß die Gruppe sich von jemand trennen will. Das hat mit Siegfried nichts zu tun. Wenn sich jemand trennen will, dann ist das ein Rückschritt. Es wird diskutiert. Es ist keine Frage von Zwang. Dem Typen wird die Identität nicht genommen.
Wenn die Gruppe sich von einem trennt, dann ist das ein kollektiver Entscheidungsprozeß, wo die Einheit hergestellt wird. Das hat mit Siegfried nichts zu tun, weil es bei ihm keinen Grund gab.
RA Dr. He[ldmann]:
Sie haben berichtet, um den 10. Mai 1975 herum seien Sie mit Frau Meinhof zusammen in Stuttgart gewesen und Sie hätten dort ein Telefonanruf von Baader aus Berlin bekommen.
Zeugin Mö[ller]:
Ja.
RA Dr. He[ldmann]:
Wissen Sie, wo um jene Zeit Herr Müller sich aufgehalten hat?
Zeugin Mö[ller]:
Nein, das weiß ich nicht genau. Ich weiß, daß er weiß, daß diese Aktion in Hamburg von einer autonomen Gruppe in Hamburg durchgeführt worden ist. Er wußte auch, daß Ulrike in Stuttgart war. Auf der Ebene will ich nichts weiter sagen.
RA Dr. He[ldmann]:
Ich habe keine Fragen mehr.
Vors.:
Sonst keine Fragen mehr?
Die Bundesanwaltschaft? Herr Bundesanwalt Zeis.
Zeugin Mö[ller]:
Die Bundesanwaltschaft braucht gar nicht fragen, weil sie keine Antwort kriegen wird.
OStA Zeis:
Herr Vorsitzender, wir haben nur noch eine Frage. Die anderen hat uns Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann dankenswerter Weise schon abgenommen.
Zeugin Mö[ller]:
Sie brauchen keine Fragen zu stellen.
Es gibt noch was ganz anderes zu sagen.
Vors.:
Sie sind jetzt im Augenblick mal still, Frau Möller.
OStA Zeis:
Frau Möller, haben Sie sich der Verteidigung als Zeugin angeboten oder ist die Verteidigung an Sie wegen Ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung herangetreten?
Zeugin Mö[ller]:
Ich habe schon erklärt, daß ich keine Fragen beantworte. Ich habe auch erklärt warum.
[11103] OStA Zeis:
Falls die Zeugin bei Ihren Weigerung bleiben sollte, beantrage
ich ein Ordnungsgeld von 500,-- DM im Unbeibringlichkeitsfall 10 Tage Ordnungshaft.[39]
Vors.:
Ja, Frau Möller, darauf sind Sie hinzuweisen, ein Zeuge, der ohne gesetzlichen Grund ...
Zeugin Mö[ller]:
Ich bin noch nicht fertig. Ich will noch was sagen.
Vors.:
Frau Möller, lassen Sie bitte mich reden und Sie müssen nicht denken, daß das Verfahren nach Ihren Vorstellungen ablaufen könnte, sondern das Gesetz bestimmt das.
Wenn Sie ohne gesetzlichen Grund - ich sehe nicht, daß Sie sich hier auf § 55 StPO berufen könnten - die Aussage verweigern, die Frage ist zulässig, dann würde das in der Tat dazu führen können, daß gegen Sie ein Ordnungsgeld und Ordnungshaft festgesetzt werden müßte.
Zeugin Mö[ller]:
Ich habe noch etwas ganz anderes zu sagen.
Vors.:
Die Frage ist im Augenblick an Sie gerichtet gewesen, ob Sie sich der Verteidigung von sich aus angeboten haben oder ob Sie ...
Zeugin Mö[ller]:
Ich habe schon erklärt, daß ich keine Fragen beantworte.
Unruhe im Sitzungssaal
Vors.:
Ich bitte um Ruhe im Saal.
Ich bitte Sie jetzt, sich zu erklären, ob Sie die Frage der Bundesanwaltschaft - das Gericht hat gar keine - beantworten wollen? Bitte, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.
RA Dr. He[ldmann]:
Die Zulässigkeit dieser Frage hängt nach dem bekannten Beschluß des Senats sicher zumindest auch davon ab, ob über die Frage, hier auszusagen, die Frau Zeugin sich mit Ihrer Anwältin beraten hat.[40] Und dann ergäbe sich eine neue Perspektive für die Zulässigkeit dieser Frage.
Vors.:
Das hat damit sicher nichts zu tun.
Die Frage ist jetzt zu beantworten. Ich halte die Frage für völlig zulässig. Wenn Sie das beanstanden[41] wollen, dann können Sie es tun. Keine Beanstandung?
Frau Zeugin, Sie müssen die Frage beantworten.
Zeugin Mö[ller]:
Ich wollte noch was sagen.
[11104] Vors.:
Nein, Frau Zeugin, zunächst ist die Frage an Sie gestellt und die Antwort ist noch offen. Wollen Sie die Antwort geben. Ich halte das für keine Frage, die Ihnen irgendwelche Schwierigkeiten bereiten könnte im Hinblick auf die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung und deswegen müssen Sie die Frage beantworten. Geben Sie die Antwort?
Ich möchte es Ihnen empfehlen, sonst, wie gesagt, müßte das Gericht ...
Zeugin Mö[ller]:
Hören Sie doch auf.
Vors.:
Sie wollen nicht.
Zeugin Mö[ller]:
Ich wollte noch was sagen.
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Frau Möller, da Sie sich weigern, diese Frage zu beantworten - § 55 StPO Ihnen hier nicht zur Seite steht - ist der
Beschluß
zu verkünden,
daß Ihnen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt werden
und außerdem wird gegen Sie ein Ordnungsgeld wegen Nichtbeantwortung der zulässigen Frage festgesetzt
in Höhe von DM 300,--
und für den Fall, daß dieses Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft von 10 Tagen ausgesprochen.
Sind weitere Fragen?
Keine weiteren Fragen mehr. Die Vernehmung ist damit abgeschlossen.
Zeugin Mö[ller]:
Ich wollte noch was sagen. Ich bin noch nicht fertig.
RA Dr. He[ldmann]:
Die Frau Zeugin wollte Ihre Aussage ergänzen.
Vors.:
Sie haben doch keine Fragen mehr.
RA Dr. He[ldmann]:
Nein, aber unabhängig davon wollte die Frau Zeugin Ihre Aussage ergänzen.
Vors.:
Frau Möller, wollen Sie noch Ergänzungen abgeben?
[11105] Zeugin Mö[ller]:
Ich wollte noch was sagen zu der Konzeption, Andreas hätte einen Führungsanspruch gehabt. Das ist ein wesentliches Moment. Die Funktion, eine Notwendigkeit zu vermitteln, wie Andreas, das die ganze Gruppe durch einen Lernprozeß offenhält.
Der Begriff dafür ist: Kader sein.
Vors.:
Keine Fragen mehr.
Die Zeugin Möller bleibt unbeeidigt gem. § 60 Ziff. 2 StPO wegen Verdachts der Tatbeteiligung und wird im allseitigen Einvernehmen um 14.57 Uhr entlassen.
Vors.:
Ist die Zeugin Roll erschienen?
Gerichtswachtmeister:
Die Zeugin Roll ist nicht erschienen.
Vors.:
Es wird festgestellt, daß die Zeugin nicht erschienen ist. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann hat heute früh bekanntgegeben, sie werde nicht erscheinen. Dazu ist noch folgendes zu bemerken:
Am Mittwoch, 28.7., hat Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann mitgeteilt, die Zeugin habe ihn informiert, sie sei auf den 3.8. geladen und sie bitte darum, diese Ladung aufzuheben und erst in der Woche vom 21.8. anzuladen. Als Begründung wurde angegeben, sie nähme zurzeit vom 1.8. - 20.8. an einem Kurs im Rahmen ihrer Ausbildung als Krankenpflegerin teil und das Versäumnis, das länger als 1 Tag[l] bedeute, wäre sehr schwerwiegend für sie. Es ist dann Herrn Rechtsanwalt Dr. Heldmann gesagt worden, darüber müsse noch Bescheid ergehen. Nach der Mittagspause ist darauf hingewiesen worden - wörtlich -: „Wir sind leider wegen des Terminplans, wie er festliegt, nicht imstande, darauf Rücksicht zu nehmen“, nämlich auf die vorgetragenen Entschuldigungsgründe von Frau Roll, „ich bitte also, die Zeugin bleibt vorgeladen auf den 3.8. zur angegebenen Zeit“. Die Zeugin ist nicht erschienen. Nachdem das ausdrücklich bekanntgeworden ist, kann sie nicht als genügend entschuldigt angesehen werden.
Will sich dazu jemand äußern?
[11106] BA Dr. Wu[nder]:
Die übermittelte Erklärung der Zeugin kann nicht als ausreichende Entschuldigung angesehen werden. Auch ihr sind die durch ihr unentschuldigtes Fernbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen. Das beantrage ich.
Außerdem beantrage ich
Ordnungsgeld in Höhe von DM 500,--
ersatzweise 10 Tage Haft.
Vors.:
Will sich sonst jemand dazu äußern?
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.
RA Dr. He[ldmann]:
Ich trete diesen Anträgen entgegen.
Sie setzten voraus, daß wir wissen, daß der Zeugin Roll die Mitteilung, die Entscheidung des Gerichts, es sei nicht imstande, auf die Entschuldigungsgründe der Frau Zeugin Rücksicht zu nehmen, bekannt geworden ist. Meines Wissens ist ihr diese Entscheidung nicht bekannt geworden. Ich weiß nur, daß man vergeblich versucht hat, sie telefonisch zu unterrichten, aber ohne Erfolg. Sie ist also nicht telefonisch erreicht worden. Die von Ihnen zitierte Entscheidung des Senats ist ihr nicht bekanntgegeben worden, so daß also die Voraussetzung für die Verhängung eines Ordnungsgelds[42] nicht vorliegen.
Im Übrigen ist oder soll Frau Roll auch, ist Frau Roll auch noch hingewiesen darauf, daß sie eine schriftliche Bescheinigung über die hier genannten Entschuldigungsgründe dem Senat vorlegen möchte. Ob diese Aufforderung an sie gelangt ist, kann ich nicht beurteilen. Ich kann also nicht mehr sagen, als der Versuch, telefonisch mit ihr Kontakt zu bekommen, ist bisher nicht gelungen.
Vors.: (nach geheimer Umfrage)
Es ist folgender
Beschluß
zu verkünden:
Der Zeugin Roll, z.Zt. nach Auskunft der Verteidigung in Triest/Italien, die nicht genügend entschuldigt ist, werden die durch ihr Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt.
Zugleich wird gegen sie ein
Ordnungsgeld von DM 300,--
festgesetzt,
an deren Stelle im Falle der Nichtbetreibbarkeit 10 Tage Ordnungshaft treten.
[11107] Die Zeugin ist geladen worden.
Sie selbst hat sich nicht entschuldigt. Sie hat lediglich über Herrn Rechtsanwalt Dr. Heldmann dem Gericht mitteilen lassen, daß sie z.Zt. einen Krankenpflegekurs mitmache.
Sie hat auf keinen Fall, wie Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann hier bekundet, mitgeteilt bekommen, daß das Gericht diese Entschuldigung nicht hinnimmt, sondern auf ihrem Erscheinen besteht. Sie konnte also auch nicht davon ausgehen, daß die über Herrn Dr. Heldmann übermittelte Entschuldigung vom Gericht angenommen werden würde. Die Ladung bestand.
Sie ist nicht genügend entschuldigt durch[m] die Auskunft, die die Zeugin über Herrn Dr. Heldmann mitgeteilt hat.
Daher war die Zeugin in diese Maßnahmen zu nehmen.
Wir sind heute ... Herr Rechtsanwalt Schily.
RA Schi[ly]:
Herr Vorsitzender, ich habe die Mittagspause dazu benützt, um von ihrem Angebot Gebrauch zu machen, und mir diese Anfragen an den Herrn Bundesjustizminister und, also die beiden Anfragen an den Herrn Bundesjustizminister anzusehen und ich habe dabei festgestellt, daß, soweit hier der Beweisantrag gestellt worden ist von Herrn Kollegen Dr. Hoffmann, Sie möglicherweise da einem Mißverständnis unterlegen sind gleicher Art, was früher vielleicht auch schon mal aufgetreten ist bei der Benennung von Herrn Buback als Zeugen. Ich habe mich dem Beweisantrag wohl angeschlossen, notfalls tue ich es heute, wenn das im Protokoll nicht vermerkt sein sollte. Der Inhalt des Beweisantrags ist die Benennung von Herrn Dr. Vogel, Bundesminister der Justiz, als Zeugen und nicht etwa ist Inhalt des Beweisantrages die Einholung einer Erklärung oder einer Auskunft des Bundesjustizministeriums. Ich habe Anlaß zu dieser Bemerkung deshalb, weil sich hier in Ihrem Anschreiben, das auch an einen Herrn Dr. Schneider, wobei ich um Aufklärung bitten würde, wieso es eigentlich an einen Herrn Dr. Schneider gerichtet worden ist, weil dieses Schreiben sich auf die Bestimmung in § 256 StPO[43] bezieht. Diese Bestimmung könnte ja nur angewendet werden, wenn also dieser Irrtum aufgetreten wäre bei dem Senat, daß Sie hier eine Auskunft einholen wollen einer Behörde. Das ist also nicht [11108] der Fall, sondern der Bundesjustizminister als Person, als Herr Dr. Vogel, soll als Zeuge über sein Wissen Bekundungen machen und insofern verbietet sich dann eine Anwendung des § 256 StPO.[44] Ich bitte also den Senat, davon Kenntnis zu nehmen und doch dann auch eine entsprechende Berichtigung dem Herrn Bundesjustizminister mitzuteilen, damit dann vielleicht der Herr Bundesjustizminister selbst sich um eine entsprechende Aussagegenehmigung bemühen kann.
Vors.:
Danke für den Hinweis.
Die Anschrift des Ministerialdirigenten Schneider rührt daher, daß dieser Herr zuständig gewesen war im Zusammenhang mit den Akten III ARP 74/75 und dadurch von dem Vorgang Kenntnis hatte, so daß das gleich in die richtigen Kanäle geleitet werden konnte, um Zeit zu sparen.
Wir haben für morgen vorgesehen die Zeugen RA von Plottnitz, die Zeugin Frau RAin. Becker - ob hier die Ladung geklappt hat, wird sich zeigen müssen - und nachmittags die Zeugen Boyer, Thorer, Rieber und von Nagy, wobei ich darauf hinweisen möchte, daß diese Zeugen sich möglicherweise aufteilen auf vormittags und nachmittags. Sie sind als Redakteure wohl etwas behindert, wenn sie alle gleichzeitig hier sein müßten. Es könnte also sein, daß der eine oder andere von diesen vier für den Nachmittag genannten Herrn schon morgens hier als Zeuge mitgehört werden könnte.
Damit sind wir am Ende der Sitzung.
Morgen früh um 9.00 Uhr Fortsetzung.
Ende der Sitzung 15.07 Uhr
Ende von Band 644.
[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).
[2] § 189 Abs. 1 GVG lautet: „Der Dolmetscher hat einen Eid dahin zu leisten: daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Gibt der Dolmetscher an, daß er aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten wolle, so hat er eine Bekräftigung abzugeben. Diese Bekräftigung steht dem Eid gleich; hierauf ist der Dolmetscher hinzuweisen.“
[3] § 189 Abs. 2 GVG lautet: „Ist der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art allgemein vereidigt, so genügt die Berufung auf den geleisteten Eid.“
[4] § 57 StPO a.F. schrieb für die Belehrung von Zeug/innen vor: „Vor der Vernehmung sind Zeugen zur Wahrheit zu Ermahnen und darauf hinzuweisen, daß sie ihre Aussage zu beeidigen haben, wenn keine im Gesetz bestimmte oder zugelassene Ausnahme vorliegt. Hierbei sind sie über die Bedeutung des Eides, die Möglichkeit der Wahl zwischen dem Eid mit religiöser oder ohne religiöse Beteuerung sowie über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage zu belehren.“ Nach § 55 Abs. 1 StPO steht Zeug/innen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.
[5] Zu den Besonderheiten dieses Verfahrens gehörte es, dass sich die Prozessbeteiligten darauf einigten, ein gerichtliches Wortprotokoll als Arbeitsgrundlage anzufertigen (s. dazu S. 4 des Protokolls der Hauptverhandlung, 1. Verhandlungstag). Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich ein sog. Ergebnisprotokoll, in welchem der Gang und die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden (§§ 272, 273 StPO). Die wörtliche Protokollierung ist nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann vorgesehen, wenn es auf die Feststellung des Wortlauts einer Aussage oder Äußerung ankommt.
[6] Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 - Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).
[7] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die umfassende Aussage Müllers, mit der er die Angeklagten schwer belastete, u.a. durch das Versprechen diverser ungesetzlicher Vorteile unzulässig beeinflusst worden war (s. hierzu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 4 bis 19 zum Protokoll zum 20.7.1976, S. 10643 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag; s. zu den Vorwürfen der Verteidigung auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 305 ff.).
[8] § 177 GVG eröffnet die Möglichkeit, Angeklagte wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer zu entfernen. Nach § 231b Abs. 1 StPO kann die Hauptverhandlung sodann in Abwesenheit der Angeklagten fortgeführt werden, wenn das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält und solange weitere schwerwiegende Störungen zu befürchten sind. Dies war in der Vergangenheit bereits häufig geschehen, wobei die Dauer der beschlossenen Ausschlüsse stetig ausgedehnt wurde. Die letzten Ausschlüsse erfolgten für die Dauer eines Monats (zuletzt am 86. Verhandlungstag betr. Ulrike Meinhof, S. 7739 des Protokolls der Hauptverhandlung).
[9] Nach § 238 Abs. 1 StPO erfolgt die Beweisaufnahme durch den/die Vorsitzende/n. Fragen der anderen Verfahrensbeteiligten sind nach § 240 StPO ebenfalls zuzulassen, allerdings grundsätzlich erst im Anschluss an die Befragung durch den/die Vorsitzende/n (Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgericht, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 238 Rn. 11). Etwas anderes ist nur für die Fälle des § 239 StPO (Kreuzverhör) vorgesehen; dafür erforderlich ist aber ein übereinstimmender Antrag von Verteidigung und Staatsanwaltschaft.
[10] Am 129. Verhandlungstag hatte Rechtsanwalt Dr. Temming kurzfristig einen Arbeitsvertrag mit Herrn Wackernagel (Vergütung: 50 Pfennig pro Stunde) geschlossen, da der Vorsitzende seine Zulassung zur Hauptverhandlung als Gehilfen zuvor mit dem Argument abgelehnt hatte, er sei bei keinem der anwesenden Verteidiger oder in einem ihrer Büros angestellt (S. 10688 ff., 10698 des Protokolls der Hauptverhandlung, 129. Verhandlungstag).
[11] Im zwölfstöckigen Verlagshaus Springer in Hamburg detonierten am 19. Mai 1972 zwei Sprengkörper; drei weitere Bomben, die nicht zündeten, wurden am Abend und am nächsten Tag gefunden. Mehrere Personen wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 18 ff.; Peters, RAF, 1991, S. 121). Der Vorgang war ab dem 100. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[12] Am 11. Mai 1972 detonierten im sog. I.G.-Farben-Hochhaus, dem Hauptquartier des 5. US-Corps, in Frankfurt a.M. 3 Sprengkörper. Dabei wurde eine Person getötet und eine andere in nahe Lebensgefahr gebracht; weitere Personen wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977, 2 StE 1/74, S. 1 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 65. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[13] Am 24. Mai 1972 explodierten in Heidelberg auf dem Gelände des Hauptquartiers der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) zwei zuvor dorthin verbrachte Kraftfahrzeuge. Hierbei kamen drei amerikanische Soldaten ums Leben, weitere Personen gerieten in Lebensgefahr oder wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 28 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[14] Ein gerichtliches Urteil erwächst in (formeller) Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen erhoben werden kann, es also im selben Verfahren unanfechtbar geworden ist. Dies ist der Fall, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/1, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27). Im Bereich des Strafrechts garantiert Art. 103 Abs. 3 GG („Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“), dass nach rechtskräftigem Abschluss eines Strafverfahrens eine erneute Befassung mit der Tat, die Gegenstand des früheren Verfahrens war, grundsätzlich ausgeschlossen ist (zur Anwendung des Art. 103 Abs. 3 GG auf andere Verfahrensabschlüsse als eine Verurteilung s. Remmert, in Maunz/Dürig [Begr.], Grundgesetz-Kommentar, 91. Ergänzungslieferung, April 2020, Art. 103 Abs. 1 Rn. 65 f.).
[15] Gemeint ist die nordvietnamesische Hafenstadt Hải Phòng.
[16] Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und mit dem Ziel, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien einzudämmen, führten die USA in Vietnam von 1964 bis 1973 einen Luft- und Bodenkrieg gegen die südvietnamesische Befreiungsfront und nordvietnamesische Truppen. Trotz wachsender Proteste in der amerikanischen Bevölkerung und entgegen den Einschätzungen und Warnungen hochrangiger Berater, entschieden sich mehrere US-Präsidenten für die Fortsetzung der Kämpfe. Während dieses Krieges griff das US-amerikanische Militär auf Methoden zurück, die darauf ausgerichtet waren, möglichst viele Gegner/innen auszuschalten und deren Strukturen zu zerschlagen (Fischer, Die USA im Vietnamkrieg, 2009, S. 104 ff.; Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 83 ff.; 126 ff.; 144 ff.; 187 ff.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 56 ff.). Am 13. Mai 1968 begannen die Pariser Friedensverhandlungen zur Beendigung des Vietnamkriegs. Die zähen Friedensverhandlungen wurden immer wieder von der Kompromisslosigkeit der amerikanischen Regierung beeinflusst und nahezu weitere fünf Jahre von Kämpfen in Vietnam begleitet. Nordvietnam reagierte am 30. März 1972 auf die schwierigen Friedensverhandlungen in Paris mit der sogenannten Oster-Offensive, bei der ca. 120.000 Soldaten nach Südvietnam vordrangen. Dies veranlasste wiederum die USA zu schweren Bombardierungen. Am 8. Mai erging eine Anordnung von Präsident Nixon zur Verminung nordvietnamesischer Häfen, um Nordvietnam durch die Unterbrechung von Versorgungswesen weiter unter Druck zu setzen und damit neue Verhandlungen zu erzwingen. Bei der „Operation Linebacker“ wurden innerhalb von sechs Monaten Bombenangriffe im Umfang von 155.000 Tonnen geflogen (Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 173 ff., 205 ff.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 72 f.).
[17] Siegfried Hausner war als Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) im Juni 1971 nach einer Verkehrskontrolle in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt, weshalb er bis zum Sommer 1974 er eine Jugendstrafe absaß. Nach seiner Entlassung schloss er sich der RAF an. Er war Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 bei dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwölf Geiseln nahm, zwei Menschen tötete und die Freilassung von 26 RAF-Gefangenen, darunter der Angeklagten Baader, Ensslin und der früheren Angeklagten Meinhof, forderte. Aus weiterhin unbekannten Gründen explodierte kurz vor der Stürmung des Gebäudes durch schwedische Spezialkräfte im Inneren der Botschaft ein Sprengsatz, infolgedessen Hausner schwer verletzt wurde. Trotz dieser Verletzungen wurde Hausner wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stuttgart-Stammheim verlegt. Hausner starb dort Anfang Mai 1975 (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512. 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80).
[18] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die Behauptung, Baader habe Barz erschossen, von Gerhard Müller aufgestellt worden sei, um Baader wahrheitswidrig zu belasten (s. den Beweisantrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 142. Verhandlungstag, S. 11467 des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Beweis der Unwahrheit dieser Tatsache sollte die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Müller insgesamt erschüttert werden (s. dazu etwa die Diskussion um den am 147. Verhandlungstag gestellten Beweisantrag, S. 11684 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den Angaben, die Müller über in diesem Zusammenhang gemacht haben soll, s. auch die Ausführungen des Vernehmungsbeamten KHK Opitz am 152. Verhandlungstag (S. 11855 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).
[19] Die inhaftierten RAF-Mitglieder bezeichneten ihre Haftbedingungen als „Isolationsfolter“ (s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.). Um ihre Forderungen, u.a. die Zusammenlegung aller RAF-Häftlinge, durchsetzen zu können, traten sie ab 1973 mehrfach in Hungerstreik. Der dritte und längste Hungerstreik dauerte von September 1974 bis Februar 1975. RAF-Mitglied und ursprünglich ebenfalls Beschuldigter im Stammheimer Verfahren Holger Meins überlebte ihn nicht: Im November 1974 starb er an den Folgen der Mangelernährung (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 58).
[20] Mit „Trakt“, auch „Toter Trakt“, bezeichneten die Angeklagten einen isolierten Trakt innerhalb einer JVA. Die Formulierung wurde häufig für einen vom regulären JVA-Betrieb isolierten Bereich in der psychiatrischen Frauenabteilung der JVA Köln-Ossendorf verwendet (s. zu den dortigen Haftbedingungen Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 95 ff.) Augustin wurde im Mai 1974 in die JVA Hannover verlegt, wo er in strenger Einzelhaft saß. Seine Haftbedingungen wurden mit denen in Köln-Ossendorf verglichen, auch die Bezeichnung „Toter Trakt“ wurde hierfür verwendet. Die Hauptverhandlung in Bückeburg wurde, ähnlich wie die in Stuttgart-Stammheim, in einer eigens dafür eingerichteten Mehrzweckhalle durchgeführt. Der Prozess wurde nicht nur deshalb von manchen als „Generalprobe“ für das Verfahren in Stuttgart angesehen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 108 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 206; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 367 ff.).
[21] Rechtsanwalt Dr. Croissant wurde die Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF vorgeworfen, u.a. durch die Beteiligung am sog. INFO, einem Informations- und Kommunikationssystem, welches die Verteidigung entwickelt hatte, um den Austausch von Rundbriefen, Zeitungsartikeln etc. unter den inhaftierten RAF-Mitgliedern zu ermöglichen. Nachdem ein bereits im Sommer 1975 erlassener Haftbefehl gegen den Dr. Croissant nach einigen Wochen Haft außer Vollzug gesetzt worden war, entschied das LG Stuttgart am 16.7.1976, ihn erneut in Untersuchungshaft zu nehmen. Er wurde noch am selben Tag verhaftet. Am 19.8.1976 wurde er (unter denselben Auflagen wie vorher) aus der Haft entlassen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 222 ff., 410 ff.). Am 16.2.1979 wurde er schließlich vom LG Stuttgart zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zweieinhalb Jahren verurteilt, zudem wurde gegen ihn ein vierjähriges Berufsverbot verhängt. Die Verurteilung wurde allerdings nicht auf das INFO an sich gestützt, sondern auf die Weiterleitung ganz bestimmter Unterlagen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 531 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52; s. auch die Interviews mit Groenewold und Ströbele, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 58 f., 70 f. sowie S. 121, 132 f.).
[22] Am Morgen des 9. Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof tot in ihrer Zelle aufgefunden. Nach der öffentlichen Bekanntgabe, Ulrike Meinhof habe Selbstmord begangen, entstanden in mehreren deutschen Städten Proteste. In anderen europäischen Ländern wurden deutsche Einrichtungen angegriffen. Die übrigen RAF-Insass/innen sowie weitere Sympathisant/innen und Unterstützer/innen gingen von einem Mord aus. Meinhofs Tod wurde damit zu einem auch medial breit diskutierten Ereignis. Auf Druck u.a. von Meinhofs Angehörigen wurde schließlich eine Nachobduktion durchgeführt, die jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis führte. Außerdem nahm sich eine internationale Untersuchungskommission des Falls an. Sie bestand überwiegend aus Jurist/innen, Ärzt/innen und Journalist/innen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark; unter den Mitgliedern befanden sich auch bekannte Persönlichkeiten wie etwa Simone de Beauvoir. In ihrem Bericht aus dem Jahr 1978 kam die Kommission zu dem Schluss, dass ein Selbstmord Meinhofs nicht erwiesen sei. Gegenteilige Beweise erbrachte die Kommission allerdings ebenfalls nicht. Die genauen Umstände von Meinhofs Tod blieben weiterhin umstritten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 394 ff.; Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 268 ff.; März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 159 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 398 ff.; zum Bericht der Kommission s. Internationale Untersuchungskommission zum Tode Ulrike Meinhofs, Der Tod Ulrike Meinhofs: Bericht der Internationalen Untersuchungskommission, 1979).
[23] Zeug/innen sind grundsätzlich zur Aussage vor Gericht verpflichtet (seit 2009 explizit in § 48 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelt; zuvor war dies bereits als allgemeine staatsbürgerliche Pflicht angesehen, s. BVerfG, Beschl. v. 10.10.1978 - 2 BvL 3/78, BVerfGE 49, S. 280, 284). Nach § 70 Abs. 1 StPO können Zeug/innen, die sich ohne gesetzlichen Grund weigern auszusagen, die hierdurch verursachten Kosten auferlegt werden, außerdem wird ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, gegen sie festgesetzt. Nach § 70 Abs. 2 StPO kann zur Erzwingung des Zeugnisses auch die Haft von bis zu 6 Monaten angeordnet werden.
[24] § 55 StPO gibt Zeug/innen das Recht, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.
[25] Die Verteidigung bestand aus zwei „Lagern“: Zum einen den Vertrauensverteidiger/innen, die von den Angeklagten ursprünglich frei gewählt (§§ 137, 138 StPO) und ihnen z.T. als Pflichtverteidiger/innen beigeordnet worden waren (§ 141 StPO); zum anderen den von den Angeklagten sog. Zwangsverteidigern, die ihnen durch das Gericht gegen ihren Willen zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden waren. Zu diesem Kreis gehörte auch Rechtsanwalt Grigat. Die Zweiteilung der Verteidigung wurde auch räumlich sichtbar: Während die Vertrauensverteidigung bei den Angeklagten Platz nehmen konnte, saßen die von den Angeklagten abgelehnten Verteidiger ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Saales, neben den Vertretern der Bundesanwaltschaft (s. auch die Skizze in Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 185).
[26] Das INFO war ein Informations- und Kommunikationssystem, das einen Austausch von Rundbriefen, Zeitungsartikeln etc. unter den inhaftierten RAF-Mitgliedern ermöglichte. Über die Verteidigerpost, die im Vergleich zu anderer Post vollzugsrechtlich privilegiert ist (§§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO), konnte Material ohne vorherige Zensur ausgetauscht werden. Den Rechtsanwälten Ströbele, Groenewold und Dr. Croissant wurde später vorgeworfen, durch die Beteiligung am „Info-System“ dazu beigetragen zu haben, dass die inhaftierten RAF-Mitglieder auch aus der Haft heraus ihre kriminelle Vereinigung hätten fortführen können. Dabei ging es nicht um das INFO an sich, sondern um die Weiterleitung ganz bestimmter Unterlagen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 521 ff.; s. auch die Interviews mit K. Groenewold und H.-C. Ströbele, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 58 f., 70 f. sowie S. 121, 132 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52).
[27] Zum 1.1.1975 trat mit dem Gesetz zur Ergänzung des Ersten Strafverfahrensreformgesetzes vom 20.12.1974 (BGBl. I, S. 3686) das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) in Kraft, wodurch die bis dahin zulässige kollektive Verteidigung mehrerer Angeklagter bei gleicher Interessenslage - auch „Blockverteidigung“ genannt - abgeschafft wurde. Durch diese und weitere Reformen wurden die Rechte der Angeklagten sowie der Verteidigung erheblich eingeschränkt (Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 72 ff.). Da viele der Vorschriften im Hinblick auf das anstehende Stammheimer Verfahren beschlossen wurden, wurden sie u.a. als „lex RAF“ kritisiert (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 132 ff.). Sie sind überwiegend noch heute in Kraft.
[28] § 178 GVG ermöglicht bei ungebührlichem Verhalten die die Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft.
[29] Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung war die Vereidigung von Zeug/innen nach § 59 f. StPO a.F. grundsätzlich vorgeschrieben. Ausnahmen galten nur für wenige Vereidigungsverbote, darunter bei Personen, die selbst wegen der Beteiligung der gegenständlichen Tat verdächtig oder bereits verurteilt worden waren (§ 60 Nr. 2 StPO). Darüberhinaus hatte das Gericht die Möglichkeit, in bestimmten Fällen von der Vereidigung abzusehen (§ 61 StPO a.F.). Im Unterschied dazu bestimmt der heutige § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO, dass eine Vereidigung nur dann erfolgt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält.
[30] Horst Herold war von 1971 bis 1981 Präsident des Bundeskriminalamtes (s. die vorangestellte Vita in Bundeskriminalamt [Hrsg.], Festschrift für Horst Herold zum 75. Geburtstag, 1998, S. 15, 17).
[31] Siegfried Buback war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung Generalbundesanwalt und damit Leiter der Strafverfolgungsbehörde „Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof“, welche das Amt der Staatsanwaltschaft beim BGH (§ 142 Nr. 1 GVG), sowie in den zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug gehörenden Strafsachen (§ 120 Abs. 1 und 2 GVG) ausübt (§ 142a Abs. 1 GVG).
[32] Der Vorwurf des Mordes wurde dem Vorsitzenden Dr. Prinzing immer wieder im Zusammenhang mit dem Tod des früheren Mitbeschuldigten Holger Meins gemacht. Dieser starb noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Da zu diesem Zeitpunkt der Senat als Gericht der Hauptsache zuständig für den Vollzug der Untersuchungshaft und damit auch für Entscheidungen über die Haftbedingungen war (§ 126 Abs. 2 StPO), machten die Angeklagten den Senat, insbesondere den Vorsitzenden Dr. Prinzing, unmittelbar verantwortlich für den Tod von Holger Meins. Gegen ihn (und weitere) erstattete Rechtsanwalt von Plottnitz im Namen von Meins’ Angehörigen sowie im eigenen Namen Strafanzeige wegen Mordes (Auszüge der Strafanzeige sind abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 195 ff.; vollständig, aber schlecht lesbar, befindet sich die Strafanzeige auch im Anhang zu Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975, 7. Verhandlungstag, S. 644 ff.). Eine auf die Ereignisse um den Tod Holger Meins’ gestützte Ablehnung des Vorsitzenden Dr. Prinzing durch die Angeklagte Ensslin findet sich in Anlage 1 zum Protokoll vom 19. Juni 1975 (7. Verhandlungstag, S. 620 ff.). Die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden Dr. Prinzing befindet sich auf S. 677 ff. (ebenfalls 7. Verhandlungstag).
[33] Der brasilianische Revolutionär Carlos Marighella (1911-1969) kämpfte ab 1967 mit der von ihm gegründeten Ação Libertadora Nacional (ALN) gegen die brasilianische Militärdiktatur. Die ALN verstand sich als Stadtguerilla. Ihr theoretisches Fundament wurde von Marighella selbst aufgestellt. Es fand seinen Niederschlag vor allem in dem 1970 veröffentlichten „Minihandbuch des Stadtguerilleros“. Diese Schrift wurde international unter anderem von der RAF rezipiert. In der Bundesrepublik fanden daneben auch die Tupamaros München und West-Berlin Anleihen für ihre Organisation und Aktionen bei Marighella (Rübenach, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 411 f., 424 ff., 433 f.).
[34] Wladimir Iljitsch Lenin (eigentlich Uljanow, 1870-1924) war ein marxistischer Theoretiker und Revolutionär, der die Lehren von Marx und Engels fortentwickelte. In zahlreichen Schriften setzte er sich u.a. mit Themen der Entwicklung des Kapitalismus in Russland sowie einer wissenschaftlichen Analyse des Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus auseinander. Nachdem er auf dem II. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands seine Parteikonzeption durchsetzen konnte, spaltete sich die Partei; unter seiner Führung entstanden die Bolschewiki. Lenin trat u.a. für einen bedingungslosen Kampf gegen den Zaren und die Beendigung des Ersten Weltkriegs ein. Nachdem im Jahr 1917 die sog. Februarrevolution zum Rücktritt des Zaren und zur Beendigung der Monarchie geführt hatte, kündigte die Übergangsregierung für Herbst 1917 eine verfassungsgebende Versammlung an, die über die künftige Regierungsform entscheiden sollte. Dem kamen die Bolschewiki durch die sog. Oktoberrevolution zuvor und übernahmen unter Lenins Führung die Macht im russischen Reich. Es schloss sich ein mehrjähriger Bürgerkrieg an, nach dessen Ende 1922 die Sowjetunion unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei Russlands gegründet wurde.
[35] § 244 StPO enthält Vorgaben zur Beweisaufnahme, darunter in Absatz 2 die umfassende gerichtliche Aufklärungspflicht: „Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.“
[36] Ein Beweisantrag erfordert grundsätzlich die hinreichende Konkretisierung sowohl der zu beweisenden Tatsache, als auch des Beweismittels (früher bereits ständige Rechtsprechung, s. etwa BGH, Urt. v. 23.1.1951 - Az.: 1 StR 37/50, BGHSt 1, S. 29, 31; BGH, Urt. v. 7.5.1954 - Az.: 2 StR 27/54, BGHSt 6, S. 128, 129; BGH, Urt. v. 12.8.1960 - Az.: 4 StR 48/60, NJW 1960, S. 2156, 2157; heute definiert in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO). Ein Beweisermittlungsantrag liegt hingegen vor, wenn entweder die Beweistatsache oder das Beweismittel nicht hinreichend konkretisiert ist. Die Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, da § 244 Abs. 3-6 StPO begrenzte und abschließende Ablehnungsgründe für Beweisanträge enthält. Liegt keiner dieser Ablehnungsgründe vor, ist dem Beweisantrag zu entsprechen. Beweisermittlungsanträge berücksichtigt das Gericht hingegen nur nach § 244 Abs. 2 StPO im Rahmen seiner allgemeinen Aufklärungspflicht, die Ablehnung eines Beweisermittlungsantrags ist nicht auf die Gründe des § 244 Abs. 3-6 StPO beschränkt. Die unzureichende Individualisierung des Beweismittels kann dazu führen, dass kein Beweisantrag, sondern nur ein Beweisermittlungsantrag angenommen wird. Ist der/die Antragsteller/in nicht in der Lage, eine ladungsfähige Anschrift anzugeben, so kann ausnahmsweise auch die Angabe weiterer Anhaltspunkte genügen, wenn diese eine hinreichende Individualisierung ermöglichen; die Rechtsprechung scheint hier in den letzten Jahren zunehmend strenge Maßstäbe anzulegen (s. hierzu Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl 2016, § 244 Rn. 15 ff.).
[37] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.).
[38] S. Fn. 22.
[39] S. Fn. 23.
[40] Am 126. Verhandlungstag verkündete der Vorsitzende Dr. Prinzing den Senatsbeschluss, wonach dem Zeugen Müller ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe für Umstände, die Gegenstand der Gespräche mit seinem Rechtsanwalt gewesen seien. Nach § 53 Abs. 1 StPO steht dieses Zeugnisverweigerungsrecht grundsätzlich nur den zur Verschwiegenheit verpflichteten Angehörigen bestimmter Berufsgruppen (hier: Rechtsanwält/innen) zu, nicht jedoch der jeweiligen Person, deren Geheimnis hierdurch geschützt werden soll. Der Senat leitete das Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG her (S. 10452 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 126. Verhandlungstag).
[41] Die/Der Vorsitzende kann ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen nach § 241 Abs. 2 StPO zurückweisen. Wird die Zurückweisung abgelehnt, kann hiergegen die Entscheidung des Gerichts eingeholt werden. Ob dies auf Grundlage von § 242 StPO („Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet in allen Fällen das Gericht“) oder von § 238 Abs. 2 StPO („Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht“) geschieht, wird nicht einheitlich beantwortet (§ 242: Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 242 Rn. 1; § 238 Abs. 2: Gaede, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 242 Rn. 1). In beiden Fällen ist jedoch das Gericht für die Entscheidung zuständig, sodass im Ergebnis kein Unterschied zwischen beiden Auffassungen besteht.
[42] § 51 StPO enthält die Folgen des Ausbleibens von Zeug/innen. Wurden sie ordnungsgemäß geladen, so werden ihnen die durch das Ausbleiben entstandenen Kosten auferlegt; zudem wird ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft festgesetzt. Wird das Ausbleiben genügend entschuldigt, so unterbleiben diese Anordnungen oder werden wieder aufgehoben (Abs. 2). Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes sind somit die ordnungsgemäße Ladung sowie die fehlende Entschuldigung.
[43] § 250 StPO enthält den Grundsatz der persönlichen Vernehmung. Nach § 250 Satz 2 StPO darf die Vernehmung einer Person über Tatsachen, die sie wahrgenommen hat, nicht durch die Verlesung einer früheren Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. Die §§ 251 ff. StPO enthalten enge Ausnahmen von diesem Grundsatz. § 256 StPO benennt bestimmte Arten verlesbarer Erklärungen, darunter die „ein Zeugnis oder Gutachten enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden“ (§ 256 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. StPO a.F.; heute: § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StPO).
[44] Nach der h.M. ist in § 256 StPO eine Einschränkung des Beweisantragsrechts zu sehen: das Gericht kann auch bei beantragter Zeugenvernehmung einen „Austausch“ des Beweismittels vornehmen, indem es sich zur Verlesung nach § 256 StPO entschließt. Das Gericht bleibt allerdings weiter an die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gebunden, sodass die Verlesung nach § 256 StPO die Vernehmung in der Hauptverhandlung dann nicht ersetzen kann, wenn hiervon eine bessere Sachaufklärung zu erwarten ist (Krüger, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 256 Rn. 4).
[a] Handschriftlich ersetzt: Text unleserlich durch Morbide
[b] Maschinell eingefügt: was
[c] Handschriftlich eingefügt: ich
[d] Maschinell eingefügt: das
[e] Maschinell eingefügt: Herrn
[f] Handschriftlich ergänzt: nichts
[g] Handschriftlich ergänzt: interessierte
[h] Maschinell ergänzt: dagegen
[i] Handschriftlich ergänzt: stützte
[j] Handschriftlich ersetzt: ist durch wird
[k] Handschriftlich ergänzt: dieselben
[l] Handschriftlich eingefügt: 1 Tag
[m] Handschriftlich ersetzt: entschuldigend durch entschuldigt durch