148. Verhandlungstag

Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 28. September 1976, 9.03 Uhr



[11689] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 28. September 1976, 9.03 Uhr

(148. Verhandlungstag)

Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.

Als Urkundsbeamte sind anwesend:

Just. O. Sekr. Janetzko, Just. Ass. z. A, Scholze

Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]

Als deren Verteidiger sind anwesend Rechtsanwälte Schily, Dr. Heldmann, Schnabel, Künzel und Grigat.

Vors.:

Ich bitte Platz zu nehmen.

Wir setzen die Sitzung fort. Entschuldigt sind Herr Rechtsanwalt Schwarz für den heutigen Vormittag. Herr Rechtsanwalt Eggler wird durch Herrn Rechtsanwalt Augst vertreten. Die Vertretung wird genehmigt.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, eine Frage an Sie zu dem gestellten Beweisantrag im Zusammenhang mit Ingeborg Barz.[2] Sie haben im Beweisantrag davon gesprochen, daß die Rechnung über diesen Kauf dieser Chemikalien im November 1973 entstanden sei, haben aber andererseits davon gesprochen, dieser Vorgang sei passiert ein halbes Jahr nach der Verhaftung von Herrn Baader. Das würde auf November 72 hindeuten. Können Sie uns sagen, was gemeint ist, 73, 72?

RA Dr. H[eldmann]:

Das letztere ist ein Versprecher. Es müßte heißen 1 ½ Jahre nach der Festnahme des Herrn Baader. November 73 ist richtig.

Vors.:

Dankeschön.

Dann ist folgender Beschluß zu verkünden:

Die von Rechtsanwalt Dr. Heldmann gestellten Anträge

[11690] 1. Herrn Heinz Schwarz aus Mainz und Herrn Ottmar Bergmann aus Frankfurt als Zeugen zu hören

2. die Firma Walter KG in Kiel aufzufordern, Original oder Fotokopie eines Zahlkartenabschnitts über DM 3977,- der zur Bezahlung einer Rechnung vom November 1973 über 250 kg Hexametylentetramin und 300 kg rauchende Salpetersäure gedient hat, dem Senat vorzulegen,

werden abgelehnt.

Gründe:

Die Behauptung, die mit dem Zeugnis von Herrn Schwarz bewiesen werden soll, wird im anhängigen Verfahren so behandelt, als wäre die behauptete Tatsache wahr.[3] Da die Polizei - was auf Grund der öffentlich ausgehängten Fahndungsplakate offenkundig ist - weiterhin nach Ingeborg Barz fahndet, ist nicht zu erwarten, daß die Beweisaufnahme im anhängigen Verfahren dazu führen könnte, die Behauptung, Ingeborg Barz sei am Leben und habe im November 1973 Chemikalien gekauft und bezahlt, zu widerlegen (vgl. Gollwitzer bei Löwe-Rosenberg 22. Aufl., 208 zu § 244 StPO).

Mit der Wahrunterstellung erledigt sich auch der Antrag auf Zuziehung des Zahlkartenabschnitts. Dieser sog. „Beweisantrag“ enthält keine eigene Beweisbehauptung. Der Senat faßt ihn dahin auf, daß der Zahlkartenabschnitt die in das Wissen von Herrn Schwarz gestellte Behauptung bestätigen soll.

Auch die Behauptung, die mit dem Zeugnis von Herrn Bergmann bewiesen werden soll, wird so behandelt, als wäre die behauptete Tatsache wahr. Eine Erwartung, die Beweisaufnahme werde widerlegen, daß namentlich nicht bekannte Polizeibeamte im Herbst 1975 die behauptete Äußerung gegenüber Herrn Bergmann getan haben, besteht nicht.

- - -[a]

Vors.:

Ferner ist der Beschluß zu verkünden:

Der von Rechtsanwalt Dr. Heldmann erneut gestellte Antrag, Herrn Dr. Kahnamui als sachverständigen Zeugen zu hören, wird abgelehnt.

[11691] Gründe:

Es handelt sich um die Wiederholung eines schon am 8.9.1976 gestellten und am 14.9.1976 abgelehnten Beweisantrags. Daß jetzt die Rede von einer „Körperstelle“ ist, „deren Schußverletzung regelmäßig zum Tode führt“ während der Antrag damals von einer „Körperstelle“ sprach, „an der eine Hauptschlagader verläuft“, ändert nichts.

Rechtsanwalt Dr. Heldmann stellt daher keine neue Beweisbehauptung auf, sondern will dartun, daß die zu beweisenden Tatsachen - entgegen der im Beschluß vom 14.9.76 geäußerten Ansicht des Gerichts - doch von Bedeutung für die Entscheidung seien, insofern nämlich, als damit die Unrichtigkeit von Aussagen der Zeugen Honke und Knut Müller zu erweisen sei.

Jedoch ändert das neue Vorbringen nichts daran, daß die Tatsachen, die durch das Zeugnis von Dr. Kahnamui bewiesen werden sollen, für die hier zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung sind. Die Angaben, die beide Zeugen über „Anlaß, Zweck und Rechtfertigung“ (so der Beweisantrag) des Schusses[4] gemacht haben, werden von den Beweisbehauptungen nicht berührt. Übrigens ist es dem Zeugen Honke gelungen, was er nach seinen Angaben und den Angaben des Zeugen Müller vor hatte: Der Angeklagte Baader war nach dem Schuß angriffs- und fluchtunfähig, offenbar aber - andererseits - noch in einem Gesundheitszustand, der es ihm gestattete, über längere Zeit ärztliche Versorgung zurückzuweisen (vgl. hierzu die[b] insoweit übereinstimmenden Angaben des Zeugen Prof. Dr. Hirsch und des Angeklagten Baader), ohne daß dies zu ernsteren nachteiligen Folgen für seine Gesundheit geführt hätte. Die Schlagader war - hiervon geht auch der Beweisantrag aus - nicht verletzt, die Schußverletzung führte nicht zum Tode.

- - -[c]

Vors.:

Wir hatten heute früh die Absicht und gestern ist es auch noch dem anfragenden Büro von Herrn Rechtsanwalt Schily mit- [11692] geteilt worden, daß heute der Zeuge Wolf zur Verfügung stünde. Dem lag folgendes zugrunde: Der Zeuge Wolf, der sich ja in Italien aufgehalten hat, ist gestern vorzeitig aus dem Urlaub wegen [Gesundheitsdaten] zurückgekehrt. Hat sich, als er davon erfahren hat - es lagen wohl Nachrichten in seinem Briefkasten vor -, mit dem Gericht in Verbindung gesetzt und zugesichert, daß er heute früh erscheinen werde, pünktlich um 9 Uhr. Es ist ihm zugesichert worden, daß er alle Möglichkeiten beanspruchen dürfe, die bei seinem Krankheitszustand für ihn eine Erleichterung bedeuten. Das Gericht mußte also davon ausgehen, daß der Zeuge heute zur Verfügung stünde. Gestern abend um 18.10 Uhr wurde ich durch die Wache hier des Gebäudes verständigt, daß der Zeuge Wolf angerufen habe, er habe sich sofort ins Krankenhaus begeben müssen, er sei inzwischen vom Arzt untersucht worden - richtig war, daß er mir das auch schon am morgen angedeutet hat, daß er sich zuerst noch untersuchen lassen müsse - der Arzt habe seine sofortige Einweisung ins Krankenhaus angeordnet, und er werde jetzt dort zunächst-mal mindestens 10 bis 14 Tage beobachtet. Es ist also nicht möglich, den Zeugen heute zu vernehmen.

 - Rechtsanwalt Dr. Augst (als Vertreter für Rechtsanwalt Eggler) erscheint um 9.10 Uhr im Sitzungssaal. -

Vors.:

Nun hat der Zeuge Wolf ja bereits im Zusammenhang mit dem Zeugen Schneider die Aussagegenehmigung[5] erhalten. Wir kennen deren Umfang; und es ergibt sich aus den Beweisthemen, zu denen sich der Zeuge äußern kann nach der Aussagegenehmigung, daß er dartun soll, es seien bei der Vernehmung des Zeugen Müller unzulässige Vernehmungsmittel angewendet worden im Sinne von § 136a[ StPO].[6] In welchem Umfang und welcher Art hier Beweis zu erheben ist, kann das Gericht bestimmen, und wird allein vom Gebot der Aufklärungspflicht begrenzt. Ich habe heute früh per Fernschreiben das Polizeipräsidium in Bonn gebeten, Herrn Wolf im Krankenhaus zu vernehmen unter Bekanntgabe des Beweisthemas, das die Verteidigung angegeben hat.

[11693] Der Vorsitzende gibt den Inhalt des Fernschreibens vom 28.9.1976, dessen Durchschlag dem Protokoll als Anlage 1 beigefügt wird, bekannt.

Vors.:

Ich habe gebeten, die Anhörung, das Ergebnis der Anhörung, fernschriftlich umgehend dem Gericht heute zurückzuübermitteln. Und wir können - nach den Erfahrungen mit den Fernschreiben - davon ausgehen, daß wir heute Mittag imstande sind, die Ergebnisse hier einzuführen, sofern der Senat dazu sich entschließt, dieses fernschriftliche Protokoll hier zu verlesen.

Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Also ich bin äußerst erstaunt über diese Verfahrensweise, Herr Vorsitzender. Es ist ein Zeuge benannt worden. Wenn ich das richtig sehe, dann ist der Zeuge für die heutige Sitzung geladen worden, und aus dieser Ladung ziehe ich den Schluß, daß dem Beweisantrag stattgegeben worden ist. Und nun höre ich, zu meinem großen Befremden, daß Sie offenbar durch einen Polizeibeamten im Wege des fernschriftlichen Auftrages den Herrn Zeugen vernehmen lassen wollen und dann prüfen wollen, ob diese Vernehmung dann hier verlesen werden kann. Ich weiß eigentlich nicht, soll jetzt wieder der Zeuge auch als Behörde gelten[7] oder soll das eine Art Freibeweisverfahren[8] sein oder was wird denn jetzt eigentlich für eine strafprozeßuale Vorschrift dafür bemüht. Ich darf vielleicht darauf aufmerksam machen, daß für den Herrn Wolf in jedem Fall das Strengbeweisverfahren[9] gilt, um das einmal[d] zu klären, auch soweit es sich um die Fragen der Vernehmungsmethoden handelt. Denn mindestens ist der Herr Wolf dann insoweit ein Zeuge, der die Glaubwürdigkeit von Herrn Müller[10] betrifft. Denn der Herr Müller, das können Sie aus Protokollseite 10466 ff. entnehmen, hat ja bestritten, daß also Vorteile in Aussicht gestellt bzw. Nachteile angedroht worden sind. Und das ist ja also wohl einhellige Meinung, daß, wenn es sich darum handelt, daß ein bestimmtes Beweisthema sowohl seine Bedeutung hat, also [11694] für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit und andererseits vielleicht auch für eine Verfahrensfrage nach [§ ]136a[ StPO], daß dann das Strengbeweisverfahren vorgeht.

Rechtsanwalt Schlaegel erscheint um 9.15 Uhr im Sitzungssaal.

RA Schi[ly]:

So jedenfalls meine Erkenntnisse aus der letzten und jüngsten Auflage von Löwe-Rosenberg.[11] Also ich widerspreche entschieden der Verfahrensweise, die Sie hier vorzeichnen, und stelle den Antrag,

daß Sie fernschriftlich den Auftrag auf Vernehmung des Herrn ... polizeiliche Vernehmung von Herrn Wolf zurückziehen und daß eben durch die entsprechenden prozeßualen Maßnahmen dann gewährleistet wird, daß der Herr Wolf hier in der Hauptverhandlung vernommen werden kann.

Ich meine, selbstverständlich ist es überhaupt niemanden und auch nicht dem Herrn Wolf, erst recht nicht dem Herrn Wolf vorzuwerfen, wenn er nun erkrankt ist, das kann ja niemand verhindern. Wenn man jetzt hört, 14 Tage wird die Krankenhausbehandlung dauern, ist das auch keine Frist, die nun sozusagen seine Vernehmung auf den Sankt-Nimmerleinstag hinausschieben muß, sondern das ist ja durchaus noch im Bereich, was sich prozeßual bewältigen läßt. Und insofern meine ich, daß durchaus die Möglichkeit besteht, den Herrn Wolf hier in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Ich darf im übrigen ankündigen, daß ich mich natürlich nicht mit dieser, was ich nur jetzt[e] von den Berichten des Kollegen Dr. Heldmann weiß aus der vergangenen Woche, mich nicht damit zufrieden geben werde mit dieser Art von, ja Aussagegenehmigung kann man das ja gar nicht mehr benennen, das ist ja nur noch eine Aussagebeschränkung. Also da wird das ja eigentlich auf den Kopf gestellt, was man normalerweise so kennt. Nämlich da wird eine Aussage... normalerweise wird eine Aussagegenehmigung erteilt; und da werden für bestimmte Fragen wird dann gesagt, dafür gibt es keine. Da wird die [11695][12] [11696] Aussage beschränkt. Das haben wir ja hier schon bei vielen Zeugen so auch[f] kennengelernt, wenn auch in sehr weitem Umfange diese Aussagebeschränkung auch schon bei anderen Zeugen vorgenommen worden ist. Aber immerhin, daß man nun noch sagt, also nur noch für diese Spezialfrage darf der Zeuge überhaupt aussagen, das halte ich für außerordentlich ungewöhnlich.

Und vielleicht gestatten Sie mir bei dieser Gelegenheit auch dem Gericht bekannt zu geben, weil das ja nun unmittelbar in den Zusammenhang gehört, und vielleicht darf ich Ihre Erlaubnis dafür voraussetzen, weil ja ohnehin jetzt zeitlich eine Pause eintreten würde, das hat also jetzt nicht unmittelbar was mit Herrn Wolf zu tun, sondern mit der anderen Frage des von der Verteidigung benannten Zeugen Herrn Generalbundesanwalt Buback.

Vors.:

Verzeihung, Herr Rechtsanwalt Schily, nichts dagegen. Nur die Frage zu den Ausführungen, die Sie gemacht haben im Zusammenhang mit dem Zeugen Wolf: Ich hab ja angedeutet, daß jedenfalls bis jetzt es[g] die Auffassung des Senats ist, daß es sich um eine Erhebung im Freibeweis handelt. Sie sind hier anderer Auffassung, aber daraus erklärt sich jedenfalls das bisher angewandte Verfahren. Die Tatsache, daß das Gericht den Zeugen hier unmittelbar gehört hätte, bedeutet nicht, daß das Gericht deswegen eine andere Auffassung auch bei dieser unmittelbaren Anhörung im Saale vertreten hätte. Ich möchte die Bundesanwaltschaft fragen, ob Sie zu diesem Punkte irgend etwas erwidern will, bittesehr.

RA Dr. H[eldmann]:

Darf ich mich zunächst, wenn Sie erlauben ...

Vors.:

Zweckmäßigerweise wollen wir dann, wenn Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann dazu Ausführungen machen will ...

RA Dr. H[eldmann]:

... diesem Antrag anschließen. Ich halte das Freibeweisverfahren in Abweichung von dem Beweisbeschluß des Senats hierfür nicht zulässig. Der hier als Zeuge vernommene Gerhard Müller hat in seinem eigenen Prozeß[13] am 13.9.1975 beantragt, Beweisthema: „Der Beamte Wolf von der Sicherungsgruppe Bonn[14] hat ihm - also Müller - bedeutet, er würde auch finanziell gut wegkommen, wenn er aussagen würde. Beweismittel: Zeugnis von Herrn Wolf, BKA Sicherungsgruppe.“ So hieß es damals. Es gilt also hier Widersprüche aufzuklären. Das ist eine Frage, die in erster Linie die Glaubwürdigkeit des hier als Zeugen vernommenen Gerhard Müller betrifft. Und insoweit ist wohl, denke ich, un- [11697] streitig, daß ein Freibeweisverfahren nicht Platz ergreifen darf.

Vors.:

Bitte die Bundesanwaltschaft. Herr Bundesanwalt Zeis.

OStA Z[eis]:

Das Beweisthema, zu dem der Zeuge Wolf vernommen werden soll oder[h] besser gesagt, das eingeschränkte Beweisthema betrifft ausschließlich Fragen, die im Zusammenhang mit § 136a StPO stehen. Es ist anerkannt in Rechtssprechung und Lehre, daß solche Fragen im sogenannten Freibeweis, d.h. also nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, in welchem Umfang von den angebotenen Beweismitteln Gebrauch gemacht werden soll, nachgegangen werden kann.[15] Die Bundesanwaltschaft hält deswegen das vom Senat hier praktizierte Vorhaben, nämlich den Zeugen Wolf zunächst durch die Polizei am Krankenbett vernehmen zu lassen, für zulässig und für zweckmäßig.

Vors.:

Dankeschön. Herr Rechtsanwalt Schily, darf ich nun Ihnen das Wort zu den weiteren Ausführungen geben.

RA Schi[ly]:

Ich wollte an sich noch kurz erwidern, denn Herr Bundesanwalt Zeis geht ja nun überhaupt nicht auf die Frage ein, daß die Frage, dieses Beweisthema auch einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit hat.[i] Wenn ...

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, das haben Sie ja bereits ausgeführt. Das Gericht hat diese Ausführungen verstanden. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann hat sich dieser Ansicht angeschlossen, hat auch auf diesen Punkt abgehoben. Es bedarf also keiner Erwiderung[j].

RA Schi[ly]:

Gut, [k] dann darf ich also nur ausdrücklich auf die Protokollseiten 10466 ff. verweisen, in denen sich also die Aussagen von[l] Herrn Müller befinden, der also ausdrücklich im Widerspruch sein ... früheren Beweisantrag in seinem eigenen Verfahren bestritten hat, daß also solche Vorteile in Aussicht gestellt, bzw. Nachteile angedroht worden sind.

Nun Sie gestatten mir, daß ich jetzt[m] zu der anderen Frage übergehe. Ich glaube es ist nützlich, vielleicht auch die Begründung kennenzulernen, dieser beiden Entscheidungen. Also das Verwaltungsgericht Köln[16] hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. September 1976 in zwei Entscheidungen, also zwei Entscheidungen getroffen, die mir jeweils am 27. September dieses Jahres zugestellt worden [11698] sind; und ich nehme auch an, daß dem Herrn Bundesminister[n] der Justitz[o] am gleichen Tage die Zustellung zugegangen ist. Und zwar ist es eine einstweilige Anordnung die folgenden Tenor enthält:

„Die Antragsgegnerin“ - das ist also die Bundesrepublik Deutschland, vertr. durch den Bundesminister der Justiz -

„Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.“

Vors.:

Herr Rechtsanwalt, verzeihen Sie, nur ein Hinweis vielleicht für Ihre Ausführungen.

RA Schi[ly]:

Ja.

Vors.:

Das Gericht ist also über das Ergebnis unterrichtet. Es liegt uns auch bereits eine Ablichtung vor. - vgl. hierzu Anlage 1 a des Protokolls -[p] Sie können selbstverständlich vortragen, was Sie hier für Ausführungen oder eventuell für Anträge für notwendig halten, bloß nicht etwa vortragen zu dem Zweck, das Gericht zu unterrichten. Das Gericht kann es selbst dann lesen.

RA Schi[ly]:

Ja nun, ich weiß nicht, ob alle Prozeßbeteiligten die Entscheidung kennen; und ich glaube, daß es auch nützlich ist ... Ich werde also nun nicht den ganzen, die ganze Entscheidung vielleicht vorlesen, aber mindestens auszugsweise, weil ich meine, daß es hier doch in die öffentliche Verhandlung gehört. Also im übrigen hat man den Antrag abgewiesen. Und das Urteil lautet in gleicher Weise:

„Der Bescheid des Bundesministers der Justiz vom 22.7.1976 wird aufgehoben.

Die Beklagte - also wiederum die Bundesrepublik - wird verpflichtet die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.“

Wobei ich gleich sagen darf, die Klageabweisung bezieht sich ja auf den Antrag meiner Mandantin, die Sperrerklärung, also die Bundesrepublik zu verpflichten, die Sperrerklärung nach § 96[ StPO][17] des Bundesministers der Justiz hinsichtlich der Akte 3 ARP 74/73 I[18] aufzuheben. Insoweit wird die Klageabweisung darauf gestützt, daß ein unmittelbarer Antrag von Frau [zu Bl. 11698][19][11699] Ensslin noch nicht vorliegt.[20] Man hat es also nicht gelten lassen, ob das hier für dieses Verfahren praktisch diese Sperrerklärung ausgedehnt worden ist. Und er hat es auch als eine Klageerweiterung angesehen. Abgesehen davon, daß sich natürlich da auch prozeßuale Fragen stellen, ob diese Erklärung überhaupt anfechtbar ist. Aber jedenfalls, ich habe vorsorglich, das darf ich dem Gericht auch bekannt geben, mit Schreiben vom 27. September einen ausdrücklichen Antrag gestellt bei dem Herrn Bundesjustizminister auf Aufhebung dieser genannten Sperrerklärung.

Die beiden verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gehen in ihrer Begründung davon aus, daß die pauschale Verweigerung der Aussagegenehmigung für Herrn Generalbundesanwalt Buback nicht gerechtfertigt ist. Und ich glaube es ist sinnvoll, daraus einiges zu zitieren.

Also es[q] wird die Zuständigkeit bejaht. Das ist ja auch eine Frage, die in der Literatur, in der Rechtssprechung nicht ganz unstreitig ist, ob überhaupt die verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit gegeben ist.[21] Die wird hier bejaht. Das Urteil setzt sich mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Berlin in einem ähnlich gelagerten Fall auseinander. Und dann kommt es also zu der Frage, inwieweit also hier eine Entscheidung in der Sache, und das möchte ich zitieren unter Ziffer 3 der Urteilsbegründung:

„Das Gericht kann die von der Klägerin beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aussagegenehmigung an den Herrn Generalbundesanwalt gem. § 113 Abs. 4 VwGO nicht aussprechen, denn die Sache ist insoweit noch nicht spruchreif.[22] Allerdings ist die pauschale Ablehnung der beantragten Aussagegenehmigung rechtswidrig, der ablehnende Bescheid des Bundesministers der Justiz vom 22.7.1976 ist mithin aufzuheben.

Es ist in Rechtssprechung und Lehre grundsätzlich anerkannt, daß nicht nur der betroffene Beamte sondern auch ein Dritter auf Erteilung der Aussagegenehmigung gem. den in §§ 61 ff BBG normierten Grundsätzen klagen kann. Das gilt insbesondere, wenn der Angeklagte in einem Strafverfahren einen Beamten gem. § 220 StPO[23] unmittelbar als Zeugen präsentieren will. Zur Vermeidung von Wiederholung kann insoweit auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in Urteil vom 2.12.1969 Bezug genommen werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann das Rechtssschutzinteresse für eine [11700] entsprechende Klage nicht davon abhängig gemacht werden, ob damit zu rechnen ist, daß der Beamte zu den genannten Themen auch tatsächlich in dem Strafverfahren gehört wird. Es reicht vielmehr aus, wenn der Fragenkomplex, zu dem die Aussagegenehmigung beantragt wird, erkennbar in einem Sachzusammenhang zu dem Strafverfahren steht. Die Frage, inwieweit der gem. § 220 StPO geladene Zeuge vernommen werden soll, muß dem Strafrichter überlassen bleiben. Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 2.12.1969.

Das Gericht läßt in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob der Antrag der Klägerin auf Erteilung der Aussagegenehmigung am 28.6.1976 bereits in allen Punkten hinreichend konkret gefaßt war, um den Bezug zu dem in Stuttgart anhängigen Strafverfahren erkennen zu lassen, und ob eventuelle Unklarheiten auf Seiten der Beklagten bei verständiger Würdigung des von der Klägerin gestellten Antrags gar nicht erst entstanden wären. Das Gericht versagt sich auch eine Stellungnahme zu der Frage, ob es nicht selbstverständliche Pflicht einer Verwaltungsbehörde ist, bei vermeintlicher Unklarheit eines bei ihr gestellten Antrages zunächst den Antragsteller um eine Klärung zu bitten, anstatt den Antrag pauschal abzulehnen. Jedenfalls bestehen nach den im Verlauf dieses Verfahrens von der Klägerin gegebenen Erläuterungen keine Zweifel an der Sachbezogenheit des Antrags. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Inhalt und Umfang der gegen die Klägerin geführten Ermittlungen, auf mögliche Einflußnahmen im Rahmen der Durchführung des Strafverfahrens und auf die Zeugen gegenüber angewandten Vernehmungsmethoden. Alle diese Fragenkomplexe stehen in engem Zusammenhang zu dem in Stuttgart gegen die Klägerin durchgeführten Strafverfahren und können mithin Gegenstand einer von der Klägerin beantragten Aussagegenehmigung sein.

Der Antrag der Klägerin ist unter diesem Blickwinkel auch bestimmt genug, um der Beklagten die nach § 62 Abs. 1 BBG gebotene Prüfung zu ermöglichen, ob die Aussage des Generalbundesanwalts dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde, damit gegebenenfalls die Aussagegenehmigung ganz oder teilweise versagt werden könnte.

Bereits nach den dem Gericht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Erkenntnissen besteht kein Zweifel, daß die von der Klägerin beantragte Aussagegenehmigung nicht in vollem Umfang abgelehnt werden darf. Eine Ablehnung kann nur auf die in § 62 Abs. 1 BBG genannten Gründe der Gefährdung des öffentlichen Wohls bzw. der Erfüllung öffentlicher Aufgaben gestützt werden. Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt eine Erteilung der Aussagegenehmigung unter den besonderen Voraussetzungen gem. § 62 Abs. 3 BBG[24] nicht in Betracht, da der Generalbundesanwalt nicht Partei in dem gegen die Klägerin anhängigen Strafverfahren ist.“

Also das ist eine Frage, die hier, eine Spezialfrage ...

[11701] „Bei den in § 62 Abs. 1 BBG genannten Versagungsgründen handelt es sich nach der in Literatur und Rechtssprechung herrschenden Meinung um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Anwendung durch die Verwaltungsbehörden der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.[25]

Daß Gefährdung i.S.v. § 62 Abs. 1 BBG nicht bei jeglicher Aussage zu den von der Klägerin genannten Beweisthemen auftreten können, erhellt bereits aus dem Umstand, daß offenbar keine Bedenken bestanden haben, dienstliche Äußerungen der Bundesanwaltschaft in dem Stuttgarter Strafverfahren zu einzelnen dieser Fragen vorzulegen. Auch im übrigen ist nicht ersichtlich, daß alle von der beantragten Aussagegenehmigung umfaßten Themenbereiche gem. § 62 Abs. 1 BBG geheimhaltungsbedürftig sind. Es muß vielmehr grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Klärung von Zweifeln über Form, Inhalt und Umfang von Ermittlungstätigkeiten in einem anhängigen Strafverfahren bzw. über Einflußnahmen auf den Ablauf dieses Verfahrens nicht die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gefährdet, sondern im öffentlichen Interesse liegt.

Allerdings ist es entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht ausgeschlossen, daß Teilbereiche oder Einzelfragen aus den von der beantragten Aussagegenehmigung umfaßten Komplexen der Geheimhaltung bedürfen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Beeinträchtigungen laufender Ermittlungsverfahren oder die Interessen polizeilicher Gefahrenabwehr. Ebenso ist es denkbar, daß Identität oder Aufenthaltsort von Informanten unbekannt bleiben müssen. Mithin kann das Gericht die von der Klägerin beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer unbeschränkten Aussagegenehmigung nicht aussprechen, denn die Sache ist insoweit noch nicht spruchreif. Das Gericht sieht auch keine Veranlassung, die Sache in diesem Verfahren spruchreif zu machen. Zwar ist es gem. § 86 Abs. 1 VwGO Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Diese Aufklärungspflicht findet ihre Grenze jedoch dort, wo das Gericht bei der Erforschung des Sachverhalts unangemessen die Aufgaben der Verwaltungsbehörden wahrnehmen würde. Dies wäre hier der Fall.“

Ich überschlage jetzt einige Sätze.

„Die Beklagte ist mithin zu verpflichten, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Bei dieser Bescheidung wird die Beklagte im Einzelnen prüfen müssen, wo im konkreten Fall die Grenzen der Geheimhaltungsbedürftigkeit bei den von der Klägerin genannten Themenkreisen liegen. Dabei kann entgegen der Ansicht der Beklagten die Sperrerklärung nach § 96 StPO bezüglich einer Akte nicht in jedem Fall die gänzliche Versagung einer Aussagegenehmigung über den Inhalt dieser Akte rechtfertigen.“

[11702] Auch das, meine ich, das darf ich als Anmerkung machen, außerordentlich interessant.

„Die umfassende Sperre gem. § 96 StPO wird im Hinblick auf die Vorlage der Akte und eine eventuelle Einsichtnahme durch Dritte erklärt, wohingegen es möglicherweise denkbar ist, eine Aussagegenehmigung über den Inhalt diese Akte so einzuschränken, daß gerade die Wiedergabe der geheimhaltungsbedürftigen Passagen der Akte ausgespart wird. Dies kann im vorliegenden Fall insbesondere dann gelten, wenn Aussagen von Zeugen, die in der Akte protokolliert oder in Form von Vermerken wiedergegeben sind, konkrete Fragen betreffen, die bereits Gegenstand des gegen die Klägerin anhängigen Strafverfahrens sind.

Schließlich weist das Gericht darauf hin, daß es entgegen der Ansicht der Beklagten allein in dem Umstand, daß der Generalbundesanwalt persönlich zu einer Zeugenvernehmung erscheinen müßte, keine Gefährdung der Erfüllung von Aufgaben der Bundesanwaltschaft zu erkennen vermag.“

Soweit das Zitat aus dem Urteil. Zugleich ist[r] diese einstweilige Anordnung, die ich zitiert habe, ergangen, die es also ermöglicht, auch relativ rasch hier zu einer neuen Entscheidung des Bundesjustizministers zu gelangen.[26] Ich habe an den Herrn Bundesminister der Justiz zu Händen des Sachbearbeiters, Herrn Dr. Korves, ein Schreiben, ebenfalls unter dem 27. September 76, gerichtet und ihn gebeten, dieser einstweilige Anordnung innerhalb kürzester Frist nachzukommen. Und ich nehme an, daß also noch im Verlauf dieser Woche der neue Bescheid des Bundesjustizministers vorliegt, und werde dann erneut eine unmittelbare Ladung vornehmen von Herrn Generalbundesanwalt Buback, aufgrund der dann neu vorliegenden Entscheidung. Es sei denn, daß die Entscheidung wieder so ausfällt, daß es einer erneuten Überprüfung des Verwaltungsgerichts bedarf. Im übrigen wiederhole ich aber auch den Beweisantrag in einer etwas verkürzten Form hinsichtlich des genannten Zeugen in der Weise ... Ich darf es hier verlesen, ich habe es schriftlich da. Der Beweisantrag hat folgenden Wortlaut:

Rechtsanwalt Schily verliest nunmehr den aus Anlage 2 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und dem Protokoll (in Ablichtung)[s] beigefügt wird, bis zum Ende des 1. Absatzes „... angedroht worden sind.“

Rechtsanwalt Schily führt weiter aus:

[11703] Ich darf in dem Zusammenhang auch in gleicher Weise, also es ist eine Parallele zu dem Fall Wolf insoweit, darauf hinweisen, daß eben der Herr Generalbundesanwalt Buback insoweit nicht nur für die Frage der Prüfung der Frage eben von Bedeutung ist, die Aussage von Herrn Buback nicht allein für die Frage von Bedeutung ist, ob hier ein Verstoß gegen § 136a StPO vorliegt, sondern auch von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Herrn Müller und aus den gleichen Gründen, wie sie hier bei Herrn Wolf vorgetragen worden sind.

Vors.:

Will sich die Bundesanwaltschaft sofort dazu äußern? Bitte Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. W[under]:

Ganz kurze Stellungnahme dazu. Aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln ergibt sich ganz klar, daß es selbstverständlich dem Strafrichter überlassen bleibt, ob der Zeuge, wenn ihm Aussagegenehmigung erteilt wäre, im Strafverfahren auch zu vernehmen sei. Der Senat hier hat in seinem Beschluß, nachdem Fortgang und Beendigung der Beweisaufnahme nicht als vom verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Köln abhängig angesehen wird, ausgeführt, daß ihm insbesondere die vom Generalbundesanwalt abgegebenen Erklärungen nach § 256 StPO[27] ausreichen. Daran hat sich auch durch die eben genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Köln schon deshalb nichts geändert, weil derzeit noch fraglich ist, ob es dabei bleibt, ob Rechtsmittel[28] eingelegt wird, gegebenenfalls wie auf ein eventuelles Rechtsmittel hin entschieden werden würde. Die prozeßuale Situation ist also nicht anders als vor dem Spruch des Verwaltungsgerichts in Köln.

Vors.:

Nun wäre ich dankbar, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann ... Überhaupt würde ich jetzt an die Herrn Prozeßbeteiligten die Bitte richten, soweit weitere Anträge gestellt werden sollen, sie jetzt noch anzubringen. (zu RA Schily)[t] Wir haben schon von Herrn Rechtsanwalt Dr. Heldmann gehört, als Sie offensichtlich noch in Griechenland waren, daß Ihrem Büro jedenfalls bekannt sei, daß noch Anträge gestellt werden sollten. Ich habe darauf hingewiesen, daß das im Widerspruch stünde zu dem, was Sie vor der Abreise nach Griechenland gesagt [11704-11704a][29] [11705] haben, Sie hätten keine Anträge mehr. Vielleicht läßt sich das klären. Aber jedenfalls noch wichtiger scheint mir zu sein, wenn Anträge zu stellen sind, sind sie jetzt zu stellen. Bitteschön.

RA Dr. H[eldmann]:

Ich habe im Zusammenhang mit dem Verwaltungsgerichtsverfahren noch folgendes dem Gericht und der Bundesanwaltschaft mitzuteilen. Das Verwaltungsgericht Hamburg[30] ist der besonderen Erwähnung deswegen wert, weil die Aussage des Herrn Opitz als Zeugen hier ja vom Gericht beschlossen worden ist und nur die bisher verweigerte Aussageerlaubnis entgegen gestanden hat. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat am Freitag, 24.9. beschlossen, die Antragsgegnerin, also der Polizeipräsident in Hamburg, wird auf folgendes hingewiesen: „Im Strafverfahren mag gem. § 96 StPO die bloße Erklärung, das Bekanntwerden des Akteninhalts würde dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten ausreichen [u]. Im vorliegenden Verfahren, in dem es um die gerichtliche Überprüfung der Versagung der Aussagegenehmigung nach § 64 Hamburger Beamtengesetz geht, kommt es demgegenüber darauf an, ob tatsächlich Nachteile der beschriebenen Art entstehen würden. Damit das Gericht diese Fragen prüfen kann, ist zumindest in dem in der Verfügung vom 21.9.76 gekennzeichneten Umfang die Angabe der materiellen Gründe erforderlich, aus denen die Aussagegenehmigung versagt worden ist. Der Antragsgegnung wird deshalb erneut aufgegeben, bis Mittwoch 29.9. 12 Uhr eingehend auf der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts entsprechende Gründe darzulegen. Gegebenenfalls möge sich die Antragsgegnerin von dem Generalbundesanwalt unterrichten lassen. Im übrigen fällt dem Gericht auf, daß die Ablehnung der Aussagegenehmigung auf andere, als im § 96 StPO genannten Nachteile[31] gestützt ist, nämlich wie das Fernschreiben vom 9.9.1976 zeigt, auf eine erhebliche Erschwerung und Erfüllung öffentlicher Aufgaben.“

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily?

Rechtsanwalt Schily verliest nunmehr den aus Anlage 3 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend mit einer Übersetzung des Urteils des Oberlandesgerichts Athen vom 20. August 1976 übergeben und dem Protokoll beigefügt wird (in Ablichtung).

[11706] Vors.:

Ich darf davon ausgehen, wenn Prozeßbeteiligte zu den gestellten Anträgen sofort Stellung nehmen wollen, daß dann Wortmeldungen erfolgen. Sonst gebe ich später Gelegenheit, sich geschlossen dazu zu äußern.

RA Schi[ly]:

Dann habe ich den Antrag zu stellen ...

Ich stelle den Antrag

den Beschluß der 2. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 12. Dez. 1974 in der Strafsache gg. Jünschke u.a. [32] zu verlesen.

Rechtsanwalt Schily übergibt dem Gericht eine Ablichtung des Beschlusses des Landgerichts Kaiserslautern vom 12. Dez. 1974 Az.: 1 AK 34/74 in der Strafsache gg. Klaus Jünschke u.a. (siehe Anlage Nr. 6 [v] des heutigen Sitzungsprotokolls).

Vors.:

Es müsste natürlich im Grunde genommen noch angegeben werden, zu welchem Zwecke die Verlesung erfolgen soll.

RA Schi[ly]:

Es ist ein präsentes Beweismittel, Herr Vorsitzender. Und bei der Urkunde zunächst mal der Antrag auf Feststellung des Inhalts.

Und dann beantrage ich:

Rechtsanwalt Schily verliest nunmehr den aus Anlage 4 des Sitzungsprotokolls ersichtlichen Antrag, der anschließend übergeben und dem Protokoll in Ablichtung beigefügt wird.

Und dann, das habe ich an sich in einem Anschreiben an Sie, Herr Vorsitzender. Da geht es nur um die Terminierung. Ich überreiche Ihnen anliegend eine Ladung des AG Tiergarten, in der ich als Angeklagter in einem Beleidigungsverfahren für morgen und jeweils den folgenden Mittwoch, 6. und 13. Oktober, vor das Schöffengericht Tiergarten geladen bin und ich stelle den Antrag

an diesen Sitzungstagen keine Hauptverhandlung hier in Stammheim stattfinden zu lassen.

[11707-11720][33] [11721-11722][34] [11723] Rechtsanwalt Schily übergibt dem Gericht das Anschreiben an den Vorsitzenden und eine Ladung des Amtsgerichts Tiergarten.

Das Schreiben und die Ladung werden [w] als Anlage 5 dem Protokoll beigefügt.

Vors.:

Sonstige Anträge? Herr Rechtsanwalt Künzel.

RA Kü[nzel]:

Ich beantrage

aus der Erklärung der Astrid Proll[35] vor dem Schwurgericht in Frankfurt - Überschrift: „Der Hauptwiderspruch in den Metropolen“ bis „... Potenz heißt Kraft. Wir werden sehen.“ - aus Ordner 125 Band 2 die Seiten 267 - 270 zu verlesen. Die Erklärung enthält Erkenntnisse über die Selbstdarstellung der RAF.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich beantrage

die Ermittlungsakten des Bundeskriminalamts in der Sache Ingeborg Barz beizuziehen und zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen.

Ende von Band 687

[11724-11725][36] [11726] Vors.:

Sonstige Anträge? Sehe ich nicht. Darf ich davon ausgehen, daß damit auch keine weiteren Anträge mehr vorhanden sind?

RA Schi[ly]:

Erst mal nicht.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Schily, sollten solche jedenfalls schon ins Auge gefasst sein, vielleicht noch nicht formuliert sein, dann wäre natürlich Gelegenheit gegeben durch die Pause, die jetzt zwangsläufig eintritt, vielleicht diese Sachen vorzubereiten. Ich weise also nochmals darauf hin, daß das Verfahren sich auf diese Weise natürlich endlos in die Länge zieht, wenn Anträge nicht in dem Zeitpunkt gestellt werden, wo sie tatsächlich schon sozusagen vor dem geistigen Auge der Antragsteller stehen. Denn im allgemeinen bedarf ja die Formulierung keiner größeren Künste, so daß das rasch geschehen kann. Ich muß großen Wert darauf legen. Es ist schon mal angedeutet worden, je länger sich die Sache hinzieht, um so eher wird der Gesichtspunkt der Verschleppung[37] in Betracht zu ziehen sein. Das ist bis jetzt noch nicht zu behaupten, aber sollte etwa erkennbar werden, daß Anträge verzögerlich gestellt würden, so müßte natürlich dieser Gesichtspunkt zunehmend an Gewicht gewinnen.

Will die Bundesanwaltschaft zu den gestellten Anträgen sich gleich äußern?

RA Schi[ly]:

Bei uns hier noch ...

Vors.:

Darf ich zunächst mal der Bundesanwaltschaft das Wort geben jetzt zu den Anträgen, dann wieder Herr Rechtsanwalt Schily.

OStA Zeis:

Zuerst, Herr Vorsitzender, meine Herrn Richter, zu dem Antrag, morgen und am folgenden Mittwoch keine Hauptverhandlung hier abzuhalten, weil Herr Rechtsanwalt Schily eine Ladung vom Amtsgericht Tiergarten wohl bekommen hat. Es wäre doch interessant, zu erfahren, seit wann Herr Rechtsanwalt Schily als Angeklagter zu dieser Hauptverhandlung geladen worden ist. Da ich annehme ...

RA Schi[ly]:

Das kann ich Ihnen gleich sagen, Herr Zeis, am 23. August bin ich geladen. Aber ich bin auch kein Prophet und ich konnte nicht voraussehen, wie lange diese Hauptverhandlung hier dauern wird. Und im übrigen ...

OStA Zeis:

Nun, Herr Rechtsanwalt Schily, wenn ich gleich darauf antworten darf. Wenn jemand hier voraussehen kann, wie lange die Hauptverhandlung dauert, doch dann mit Sie, der Sie immer wieder neue Beweisanträge stellen. Ich meine, wenn Herr Rechtsanwalt Schily am 23. August diese Ladung bekommen hat, dann hätte er genug Zeit [11727] gehabt, darauf den Senat hinzuweisen. Wenn er jetzt einen Tag zuvor darauf hinweist, daß er[x] morgen und folgenden Mittwoch hier nicht erscheinen kann, dann meine ich, es sei kein Grund, hier die Hauptverhandlung nicht stattfinden zu lassen. Die Angeklagte Ensslin ist durch die Herren Pflichtverteidiger zur Rechten[38] ausreichend vertreten. Gerade das scheint mir auch mit eine Voraussetzung dafür gewesen zu sein, daß ab und an der eine Verteidiger nicht kann, daß man hier für die einzelnen Angeklagten zwei beziehungsweise drei Pflichtverteidiger bestellt hat.

Zum Antrag, die Ermittlungsakten Ingeborg Barz hier beizuziehen: Diesen Antrag ist unzulässig, weil es nicht angeht, daß man einfach einen Antrag auf Beiziehung von Ermittlungsakten stellt, ohne das Beweisthema zu benennen.

Zum Antrag, Frau Noelle-Neumann vom Allensbacher Institut zu diesen unter Beweis gestellten Behauptungen als Zeugin zu laden, folgendes: Ein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO liegt nur dann vor, wenn sich das Beweisthema mit der[y] Straf- und Schuldfrage befasst.[39] Das ist nach unserer Auffassung hier nicht der Fall.

Zu den übrigen Anträgen gilt folgendes: Auch bei präsenten Urkunden kann man[z] nicht einfach diese Urkunden hier präsentieren und vom Gericht verlangen, daß sie vorgelesen werden müssen, denn auch § 245 StPO[40] geht davon aus, daß die Urkunden in[aa] einem Sachzusammenhang mit den hier anstehenden Themen stehen.

Vors.:

Dankeschön. Herr Rechtsanwalt Schily, Sie hatten noch um das Wort gebeten, bitte.

RA Schi[ly]:

Also zunächst mal möchte ich zwei Sätze noch zu dem sagen, was der Herr Zeis hier erwidert hat. Ich ergänze meine Verlesungsanträge dahingehend, daß sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Athen, aus der Verlesung des Urteils des Oberlandesgerichts Athen ergeben wird, daß das Oberlandesgericht Athen die Auffassung vertreten hat, daß es sich bei den Delikten, für die Herr Pohle[41] von einem Münchner Gericht zur Verantwortung gezogen worden ist, um politische Delikte handelt. Und es darf in dem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß Herrn Pohle auch die Zugehörigkeit zur Baader-Meinhof-Gruppe oder Roten-Armee-Fraktion zum Vorwurf gemacht worden ist. Und die Verlesung des Beschlusses des Landgerichts Kaiserslautern wird ergeben, daß das Landgericht Kaiserslautern von dem naheliegenden rechtlichen Gesichtspunkt des Hochverrates[42] im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Baader-Meinhof-Gruppe gesprochen hat. Nun, was die Frage anbelangt zu meiner morgigen [11728] Verhinderung, finde ich es einigermaßen erstaunlich, daß die Bundesanwaltschaft es offenbar für richtig hält, da einfach darüber hinwegzugehen. Selbst wenn mir da ein Versäumnis der rechtzeitigen Benachrichtigung vorzuwerfen wäre, heißt das ja noch nicht, daß man hier unter Ausschaltung des gewählten Verteidigers[43] dann eine Hauptverhandlung durchführen soll oder mich der Gefahr aussetzt, daß ich womöglich noch einen Haftbefehl wegen Beleidigung, wegen des dringenden Verdachts der Beleidigung bekomme oder einen Haftbefehl nach § 230[ StPO],[44] was ja alles denkbar wäre. Ich meine, daß Herrn Zeis das vielleicht - naja, ich verkneife mir die Bemerkung. Im übrigen habe ich aus der Presse entnommen, daß der Herr Müller, der ja hier bereits als Zeuge vernommen worden ist, inzwischen vom Untersuchungsgefängnis in Hamburg nach Koblenz transportiert worden ist, um weitere Aussagen im Zusammenhang mit der Roten-Armee-Fraktion zu machen. Er hatte ja mal hier auch in seiner Vernehmung vor dem hiesigen Gericht angedeutet, daß seine Vernehmung, die da am 31. März begonnen hatte, eigentlich noch nicht abgeschlossen sei und ich stelle ausdrücklich den Antrag,

diese Aussagen, die von Herrn Müller jetzt offenbar zu Protokoll gegeben werden, auch hier für das hiesige Verfahren beizuziehen, da sich möglicherweise doch da neue Gesichtspunkte ergeben für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Herrn Müller.

Es versteht sich ja von selbst, daß die Aussagen des Herrn Müller zu der Roten-Armee-Fraktion als eine Einheit aufgefasst werden müssen und es geht nicht an, daß er zunächst mal also portionsweise etwas hier erklärt und dann hinterher dann da noch Fußnoten dazu macht, die vielleicht seine Aussage noch in einem wieder ganz neuen Licht erscheinen lassen. Jedenfalls muß sich das Gericht meiner Meinung nach dafür sogar von Amts wegen[45] interessieren und auch den Prozeßbeteiligten die entsprechende Aktenvorgänge zugänglich machen, wobei ich auch hier dem Gericht meine Information weitergeben will, die das Gericht prüfen mag, inwieweit das für das Verfahren von Bedeutung ist. Nach meinen Informationen hat Herr Müller durch seinen Verteidiger die von ihm gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg eingelegte Revision zurücknehmen lassen, so daß dieses Urteil rechtskräftig[46] ist. Wie gesagt, welche rechtlichen Folgerungen das Oberlandesgericht, hier der 2. Strafsenat, [11729] daraus zieht, das überlasse ich der Prüfung des hohen Senats.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich ergänze - dank der Anregung des Herrn Oberstaatsanwalts Zeis - meinen Beweisantrag, die Ingeborg Barz-Akten des Bundeskriminalamts beizuziehen, um die Wiederholung des bekannten Beweisthemas, nämlich, daß aus jenen Akten sich ergibt:

a) daß der Zeuge Gerhard Müller Andreas Baader verdächtigt hat, Ingeborg Barz erschossen zu haben und

b) daß die daraufhin angestellten Ermittlungen die Unhaltbarkeit, [bb] die Unwahrheit dieser Verdächtigung ergeben haben.

Und dabei weise ich besonders auch auf einen Gesichtspunkt noch hin. Durchaus kann die Beiziehung jener Akten gerade auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller insgesamt ergeben, wenn sich nämlich das hier aufgestellte Beweisthema nicht bestätigen sollte. Denn mittlerweile wissen wir alle und ist gerichtsbekannt, daß Ermittlungsbehörden in einer bestimmten Presse, von einem bestimmten Journalisten, der offenbar einen erweiterten Zugang gegenüber seinen Kollegen zu jenen Kreisen hat, heißt es vornehm umschrieben: „Gut unterrichtete Justizkreise“, daß also solche „gut unterrichtete Justizkreise“ offenbar planmäßig, gezielt über einen bestimmten Journalisten Falschmeldungen in die Presse lancieren, so daß also nicht ohne weiteres die Möglichkeit von der Hand zu weisen wäre, daß auch jene Pressemeldungen vom April 1974 unrichtig waren, die ebenfalls auf Justizkreise, auf Ermittlungsbehörden zurückgeführt worden sind. Jedoch wissen wir dort, in jenem Fall, im Gegensatz zu hier, wo sich die Unwahrheit sozusagen auf der Hand liegend ergibt, etwa in der „Frankfurter Rundschau“ vom vergangenen Samstag oder in der „Frankfurter Rundschau“ vom 24. Juli, unwahre Nachrichten offenbar gezielt, „gut unterrichtete Justizkreise“, im Gegensatz zu hier jedoch dort die tatsächlichen Ermittlungstätigkeiten, die offenkundig geworden sind. Nämlich nach Angaben des Zeugen Müller haben im April 1974 Beamte des Kriminalamts der Stadt Hamburg zusammen mit Beamten des Bundeskriminalamts Teile des Rheinufers umgebaggert, um an der von Müller bezeichneten Stelle die angeblich ermordete Ingeborg Barz aufzufinden. Ich meine also so oder so, in jedem Fall ist dieser [11730] Beweisantrag, die Akten Ingeborg Barz nun selbst heranzuziehen, von erheblicher Bedeutung für die Beweiswürdigung in diesem Verfahren.

Vors.:

Sonst keine Wortmeldung mehr? Dann setzen wir die Sitzung um 14.30 Uhr fort.

Pause von 10.00 Uhr bis 14.33 Uhr

Ende von Band 688.

[11731] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.33 Uhr.

RA Schlaegel ist nicht mehr anwesend.

RA Schwarz ist nunmehr auch anwesend.

Vors.:

Wir setzen die Sitzung fort. Es ist über die gestellten Anträge entschieden worden.

Der Vorsitzende verliest aus dem Beschluß des LG Kaiserslautern (Az.: 1 AK 34/74) vom 12. Dez. 1974 gg. Klaus Jünschke u.a.

- Anl. 6 zum Protokoll -

den Tenor und von S. 6 den letzten Absatz, jeweils gekennzeichnet mit éû.

Anträge auf weitere Verlesungen aus dem Beschluß werden nicht gestellt.

Vors.:

Dann wird antragsgemäß, auszugsweise, so wie der Antrag von Herrn Rechtsanwalt Künzel lautet, verlesen:

Es wird die Prozeßerklärung von Astrid Proll vom 2.10.1973 vor dem Schwurgericht Frankfurt/M.

-abgelegt in Fotokopie im Ordner 125 Bl. ff. d.A.-

wie folgt verlesen:

Bl. 267 d.A. von „Der Hauptwiderspruch ...“ bis

Bl. 270 d.A. „... Wir werden sehn“.

Vors.:

Die Herren Prozeßbeteiligten haben inzwischen die fernschriftlich eingegangene Aussage des Zeugen Wolf vorgelegt bekommen. Ich nehme an, sie ist Ihnen inzwischen bekannt geworden, da der Senat beabsichtigt, sich jetzt schlüssig zu werden über die Verlesung. Wollen Sie sich nochmals dazu äußern?

RA Schi[ly]:

Ja, also ich widerspreche ausdrücklich einer Verlesung dieses Fernschreibens und darf bei dieser Gelegenheit, ich glaube, ich habe das heute morgen versäumt, ankündigen, daß ich auch hinsichtlich dieser fernschriftlich erteilten Aussagebeschränkung verwaltungsgerichtliche Maßnahmen ergreifen werde. Wobei ich dem Senat dankbar wäre, wenn Sie mir bekanntgeben würden - ich kann das hier aus diesem Fernschreiben nämlich nicht entziffern -, von wann dieses Fernschreiben datiert ...

[11732] Vors.:

Das Ihnen als Antwort vorliegende Fernschreiben ...?

RA Schi[ly]:

Ja, das ist dies Schreiben von dem Dr. Hartkopf, in dem also sich das Bundesinnenministerium zu der Frage der Aussagegenehmigung für die Herren Geisler, Wolf und Schneider äußert, und hat ... Da steht oben drüber: „Eingang: 12 64,“ aber das ist offenbar nur so eine Eingangsnummer oder was.

Gespräch zwischen dem Vorsitzenden und RA Schily über das Datum des Fernschreibens.

Vors.:

Ich glaube, Herr Bundesanwalt Dr. Wunder hat das Schreiben gegenwärtig, vielleicht ...

BA Dr. Wu[nder]:

Fernschreibnummer 3790 vom 23.9., 9.50 Uhr.

RA Schi[ly]:

Achso, das ist der 23.9. gut, Dankeschön.

Vors.:

Sonstige Äußerungen?

RA Schi[ly]:

Ja, und dann möchte ich den Beweisantrag; zunächst einmal möchte ich anregen, daß der Senat sich doch vielleicht von Amts wegen auch noch einmal darum bemühen sollte, eine Erweiterung der Aussagegenehmigung, insbesondere auch zu meinem Beweisantrag vom - Moment bitte, den ich in der letzten Sitzungswoche gestellt habe. Und zwar ich nehme an - das ist hier Anl. 8 zum Protokoll vom 21. Sept. 1976 -, daß Sie das dann nummeriert haben, und das die Nr. 1 ist und das andere Nr. 2. Weil ja das aufgegliedert ist, die Beweisanträge Wolf, Geisler und Schneider ...

Vors.:

Es waren drei Anträge und ...

RA Schi[ly]:

Es waren zwei Anträge, die mit den gleichen Zeugen ...

Vors.:

Drei insgesamt ...

RA Schi[ly]:

Oder 3 sogar.

Vors.:

Und hier hat die Genehmigungsbehörde ...

RA Schi[ly]:

Nur zu der Nr. 2 Abs. 3 ...

Vors.:

Das ist nicht nummeriert worden, sondern im Grunde genommen ist ja der Text angegeben worden.

RA Schi[ly]:

Also ich würde anregen, diese Anl. 8 zum Protokoll vom 21. Sept. 1976, der sich nochmal mit den Aussagen von Herrn Müller zu Herrn Hoff beschäftigt; denn ich sehe da beim besten Willen nicht, inwieweit das nun irgendwie Nachteile oder öffentliche Aufgaben gefährden sollte, daß sich der Herr Wolf dazu äußert, was der Herr Müller früher über den Herrn Hoff[47] gesagt hat. Aber ich erweitere also den Beweisantrag be- [11733-11734][48] [11735] züglich dem Herrn Wolf noch dahingehend. Es wird beantragt:

Herrn Kriminalhauptkommissar Hans Wolf, zu laden über das Bundeskriminalamt in Wiesbaden,

zusätzlich zu folgendem Beweisthema zu vernehmen: Der Zeuge wird bekunden, daß der Zeuge Gerhard Müller mit seinen Aussagen versucht hat, andere Personen durch wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen zu belasten, insbesondere auch den Zeugen Dierk Hoff, und daß die von dem Zeugen Wolf und anderen Ermittlungsbeamten angestellten Ermittlungen die Unrichtigkeit zahlreicher von dem Zeugen Gerhard Müller aufgestellter Tatsachenbehauptungen[cc] ergeben haben.

Vors.:

Ja, das ist also ein neuer Beweisantrag.

RA Schi[ly]:

Und verknüpft mit dem Widerspruch gegen die Verlesung dieses Fernschreibens und dem Antrag abzuwarten, bis hier das Verwaltungsgericht entschieden hat. Ich kann versichern, daß ich noch versuchen werde, morgen im Laufe des Tages, den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung insoweit an das zuständige Verwaltungsgericht abzusenden. Und Sie wissen ja aus dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln, daß relativ rasch dort entschieden werden kann. Und im übrigen die Anregung, von Amts wegen sich nochmal zu der Frage der Erweiterung der Aussagegenehmigung auf die Beweisthemen Anl. 8 zum Protokoll vom 21. Sept. 1976 zu bemühen.

RA. Schily übergibt seinen handschriftlich vorbereiteten Antrag, der als Anl. 7 (in Ablichtung) dem Protokoll beigefügt wird.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Das hier fernschriftlich vorliegende Vernehmungsprotokoll für den Zeugen Wolf halte ich nicht für verlesbar, weil die Voraussetzungen des § 251 Abs. 2[ StPO][49] nicht vorliegen. Es liegt also nicht der Tatbestand vor, daß der Zeuge in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden könnte. Deswegen haben wir es hier hinsichtlich dieses fernschriftlichen Protokolls mit einem Verlesungsverbot zu tun. Und selbst, wenn wir uns einverstanden erklärten, hülfe das nicht aus dem Rechtsmangel. Das Protokoll ist also nach meiner Rechtsauffassung nicht verlesbar.

[11736] Vors.:

Sonstige Äußerungen? Bitte Herr Bundesanwalt Zeis.

OStA Ze[is]:

Wir beantragen die Verlesung. Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann übersieht, daß sich’s hier nicht um ein Strengbeweisverfahren, sondern um ein Freibeweisverfahren handelt, also nicht die Vorschriften der [§§ ]244[ ff. StPO][50] insbesondere und nicht die Vorschrift des § 251[ StPO] hier Anwendung finden kann.

Vors.:

Der Senat wird sich ...

RA Dr. He[ldmann]:

Glaubwürdigkeit!

Vors.:

Der Senat wird sich nochmals über die jetzt aufgeworfenen Fragen schlüssig werden. Insbesondere da ja auch ein erweiterter Antrag gestellt worden ist. 10 Minuten nach drei Fortsetzung der Sitzung.

Pause von 14.53 Uhr bis 15.17 Uhr.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, Sie haben schriftlich noch eine Ergänzung des Antrags Wolf nachgereicht.

Der Vorsitzende verliest die von Rechtsanwalt Dr. Heldmann in der Pause übergebene Ergänzung zum Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen Wolf.

Die übergebene Ergänzung wird als Anl. 8 dem Protokoll beigefügt. (in Ablichtung)

Rechtsanwalt Dr. Heldmann erklärt, daß die schriftlich übergebene Ergänzung des Beweisantrags als mündlich in der Hauptverhandlung gestellt behandelt werden soll.

Dann ist zunächst folgender Beschluß zu verkünden:

Der Antrag, Herrn Kriminalhauptkommissar Hans Wolf als Zeugen zu vernehmen, wird abgelehnt.

Die fernschriftlich übermittelte Aussage des Zeugen vom 28.9.76 ist zu verlesen.

Gründe: Rechtsanwalt Schily hat KHK Wolf zu verschiedenen Beweisthemen benannt. Die von der zuständigen Behörde Herrn Wolf erteilte Aussagegenehmigung bezieht sich nur auf die Behauptung:

[11737-11738][51] [11739][52] [11740] „daß dem Zeugen Gerhard Müller von den Ermittlungsbehörden als Gegenleistung für eine Aussage u.a. angeboten worden sind 50 % Straferlaß sowie Pressekontakte mit entsprechenden Honoraren und daß ihm, dem Zeugen Müller, andererseits bedeutet wurde, er habe sonst mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen.“

Soweit Herr Wolf zu anderen als der vorstehend wiedergegebenen Behauptung benannt ist, darf er mangels Aussagegenehmigung nicht vernommen werden (§ 54 StPO[53]).

Die Behauptung, zu der Herr Wolf aussagen darf, soll dartun, es seien bei der Vernehmung des Zeugen Gerhard Müller unerlaubte Vernehmungsmittel im Sinne von § 136a StPO angewandt worden. Ob das zutrifft, ist vom Senat im Wege des Freibeweises zu klären (BGHSt 16, 164;[54] Meyer bei Löwe-Rosenberg 23. Aufl., 53 zu § 136a StPO[55]). In welchem Umfang und auf welche Art dieser Beweis zu erheben ist, wird allein vom Gebot der Aufklärungspflicht bestimmt; die Vorschriften über den Strengbeweis gelten hier nicht.

Die Ausführungen der Rechtsanwälte Dr. Heldmann und Schily, die Vernehmung des Zeugen Wolf solle zugleich der Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller dienen, weil dieser bei seiner Vernehmung solche unerlaubten Vernehmungsmittel verneint habe, geben zu keiner anderen Beurteilung Anlaß, machen insbesondere die Frage, ob solche Vernehmungsmittel benutzt worden sind, nicht zur „doppelrelevanten“ Tatsache[56] mit der Folge, daß die Grundsätze des Strengbeweises anzuwenden wären. Der Senat sah sich, nachdem die Verwendung verbotener Vernehmungsmittel behauptet worden war, veranlaßt, dieser Frage nachzugehen. Er hat in diesem Zusammenhang auch den Zeugen Müller hierzu befragt. Der bloße Umstand, daß Gerhard Müller auch zur Schuld- und Straffrage gehört wurde, stellt noch nicht jede weitere Ermittlung zur Frage des § 136a StPO unter Strengbeweis, auch nicht, wenn die Aussage des Zeugen Müller zu dieser Verfahrensfrage in Zweifel gezogen wird.

Der Senat berücksichtigt bei seiner Entscheidung es bei der Verlesung bewenden zu lassen, daß die von einigen [11741] Verteidigern immer wieder aufgestellte Behauptung, es seien hier unerlaubte Vernehmungsmittel benutzt worden, bisher in der Beweisaufnahme keinerlei Bestätigung gefunden hat. So haben die zu diesem Zweck von der Verteidigung benannten und in der Hauptverhandlung gehörten Zeugen Müller (Sohn, Vater und Mutter), Rieber, van Nagy, Thorer, Nouhuys, Stuberger, Gottschalk-Solger, der schriftlich gehörte Generalbundesanwalt und die Zeugen Schneider und Geisler entsprechende Behauptungen nicht bestätigt.

Herr KHK Wolf ist beim Bundeskriminalamt tätig wie die Zeugen Schneider und Geisler. Er hat zum Teil mit diesen Zeugen zusammen Gerhard Müller vernommen. Beide Zeugen haben dargelegt, daß solche Angebote oder Drohungen bei Vernehmungen oder Gesprächen, an denen der Zeuge Wolf beteiligt war, nicht erfolgt sind. Es ist nicht ersichtlich, warum er bei anderer Gelegenheit derartiges getan haben sollte, was nach der Bekundung der Zeugen ohnehin völlig ungewöhnlich wäre. Tatsächlich ergeben die schriftlichen Aussagen des Zeugen Wolf im Vergleich zu den Aussagen der Zeugen Schneider und Geisler vor Gericht nichts Neues. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass die mündliche Anhörung des Zeugen Wolf zu einem anderen Ergebnis führen würde.

Übrigens ist nach dem gesamten Vorbringen der Verteidigung - insbesondere dem immer wieder vorgehaltenen Beweisantrag des Zeugen Müller in seinem Hamburger Verfahren - nicht zu ersehen, welcher Zusammenhang zwischen einer angeblichen Beeinflussung im Sommer 1972 bis Anfang 1973 und den frühestens ab Ende 1974 gemachten Aussagen des Zeugen Müller bestehen soll.

Nach Auffassung des Senats gebietet daher die Pflicht zu umfassender Aufklärung über die Verlesung hinaus eine Vernehmung von KHK Wolf nicht.

- - -[dd]

Damit wird dieses Vernehmungsprotokoll, das fernschriftlich übermittelt worden ist, verlesen. Bitte, Herr Dr. Breucker.

[11742] RA Schi[ly]:

... Ich bitte um eine Pause von 7 Minuten, weil ich prüfen muß, ob ich im Hinblick auf diese soeben verkündete Entscheidung einen unaufschiebbaren Antrag stellen muß.

Vors.:

Wir werden jetzt die Verlesung vornehmen, dann die Pause.

RA Schi[ly]:

Nein, nein, Herr Vorsitzender, ich hatte doch[ee] von einem unaufschiebbaren Antrag gesprochen.

Vors.:

Ja, wenn Sie den unaufschiebbaren Antrag[57] gestellt hätten, dann wäre tatsächlich jetzt die Unterbrechung zwingend;[58] aber sie ist ja trotzdem immer noch nicht etwa verzögerlich behandelt, wenn wir [ff] nun die Verlesung durchführen.

RA Schi[ly]:

Doch, doch dann ist die Frage eben, ob womöglich dieser unaufschiebbare Antrag nicht mehr gestellt werden kann.[59] Und ich möchte da kein prozessuales Risiko eingehen. Ich bin ja auch sehr bescheiden in meiner Pause, 7 Minuten, also bis Halbvier genau.

Vors.:

Halbvier Uhr Fortsetzung.

Pause von 15.24 Uhr bis 15.30 Uhr

Ende des Bandes 689.

[11743] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 15.30 Uhr

Vors.:

Wollen Sie das Wort, Herr Rechtsanwalt Schily?

RA Schi[ly]:

Ja.

Vors.:

Bitte.

RA Schi[ly]:

Namens der Angeklagten Ensslin wird der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Dr. Prinzing, sowie die beisitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Foth, Maier, Berroth und Dr. Breucker wegen Besorgnis der Befangenheit

abgelehnt.

Zur Begründung wird folgendes vorgetragen, wobei zur Glaubhaftmachung[60] des nachfolgend vorgetragenen Sachverhalts auf dienstliche Erklärungen der abgelehnten Richter Bezug genommen wird.

Die abgelehnten Richter haben mit einem soeben verkündeten Beschluß die Vernehmung des Kriminalbeamten Hans Wolf abgelehnt, nachdem der Zeuge Wolf auf einen Beweisantrag der Verteidigung für den heutigen Tag geladen worden war. Der Sinneswandel, anstelle einer Vernehmung des Zeugen Wolf in der Hauptverhandlung nunmehr die Erklärung des Zeugen Wolf nur schriftlich entgegenzunehmen und ein entsprechendes Fernschreiben hier in der Hauptverhandlung zu verlesen, wird in dem Beschluß der abgelehnten Richter damit begründet, daß der Herr Wolf erkrankt sei und ohnehin eine Befragung, so sinngemäß ist[gg] wohl der Beschluß zu verstehen, eine Befragung des Zeugen Wolf in der Hauptverhandlung nichts anderes ergeben werde als das, was in dem Fernschreiben enthalten ist. Der Beschluß der abgelehnten Richter enthält auf weiten Strecken eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Bereich der Vorschrift des § 136a StPO, wobei deutlich wird, daß die abgelehnten Richter eine Auswahl der Beweismittel zum Nachteil der Antragstellerin vorgenommen haben und in ihrer Beweiswürdigung schon zu Lasten der Antragstellerin festgelegt sind. Es fällt beispielsweise auf, daß bei der Frage, ob verbotene Vernehmungsmethoden im Zusammenhang [11744] mit der Vernehmung des Zeugen Gerhard Müller zur Anwendung gelangt sind, in keiner Weise die Aussage des Rechtsanwalts Stroebele, die Aussage des Zeugen Dollak, aber auch die Aussage des Zeugen Gerhard Müller selbst Berücksichtigung findet; unter anderem der Umstand, daß die offiziellen, d. h. Aussagen, die dann hier in die Verhandlung Eingang gefunden haben, daß die offiziellen Aussagen des Zeugen Gerhard Müller erst zu einem Zeitpunkt begonnen haben, als er von dem Vorwurf des Polizistenmordes freigesprochen und die 10-jährige Freiheitsstrafe, die[hh] ihm vom Landgericht Hamburg zuerkannt worden ist, jedenfalls auf Seiten der Anklagebehörde rechtskräftig[61] geworden war.

Es findet ferner in dem Beschluß keine Berücksichtigung, daß nach verschiedenen Aussagen davon auszugehen ist, daß dem Zeugen Gerhard Müller in sehr großem Umfange Pressekontakte ermöglicht worden sind, die zu nicht unerheblichen Geldzuwendungen geführt haben. Wenn jetzt eine solche Vernehmung, die ursprünglich vorgesehen war, wenn der Zeuge Wolf nicht erkrankt wäre, wenn eine solche Vernehmung des Zeugen Wolf in der Hauptverhandlung jetzt zurückgewiesen wird, dann kann das nach den gesamten Umständen keinen anderen Grund haben, als daß das Gericht auf Kosten des Fragerechts der Verteidigung, das ja gerade bei dem Zeugen Wolf eine besondere Bedeutung gehabt hätte, nur ein Vorwand gesucht wird, um zu einer Beendigung der Beweisaufnahme zu gelangen. Es wäre ja auch denkbar gewesen, daß man mindestens den Zeugen Wolf kommissarisch[62] vernommen hätte. Auch das ist nicht geschehen, sondern man hat einfach einen Polizeibeamten hingeschickt und will jetzt hier im Wege des Schnellstbeweises über fernschriftliche Erkundigungen mit dem Herrn Wolf, mit dem Beweisthema bezüglich des Zeugen Wolf klarkommen. Das lässt deutlich werden, daß hier eine unsachliche, daß unsachliche Einflüsse vorliegen auf die Entscheidung, die heute die abgelehnten Richter bekanntgegeben haben, und daß vielleicht auch ganz andere Gesichtspunkte, die wir hier vielleicht nicht kennengelernt haben, auch bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben, weil man vielleicht diese Woche für besonders geeignet hält, die Beweisaufnahme zu schließen und den Herren Anklagevertretern die Gelegenheit zum Schlußwort zu geben; darüber kann die Verteidigung allenfalls Spekulationen anstellen. Aber jedenfalls, wenn man diese Kehrtwendung um 180°, die [11745] der Senat mit dieser Entscheidung vollzogen hat, nämlich zunächsteinmal eine Ladung zur Hauptverhandlung und dann heute Nachmittag nun nur noch die Verlesung eines Fernschreibens. Wenn diese Kehrtwendung man sich vor Augen führt, sind ja solche Spekulationen eigentlich nicht ganz von der Hand zu weisen; aber das nur am Rande. Der Kern der Sache liegt darin, daß die abgelehnten Richter hier offenkundig unsachliche Gesichtspunkte, sich von unsachlichen Gesichtspunkten haben leiten lassen, mindestens aber aus der Sicht der Angeklagten sich der Eindruck aufdrängen muß, daß solche unsachlichen Gesichtspunkte mitgewirkt haben. Aus diesem Grunde ist das Ablehnungsgesuch begründet.

Vors.:

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Herr Baader schließt sich diesem Ablehnungsgesuch an, schließt sich der Begründung dieses Ablehnungsgesuchs an, schließt sich der Bezeichnung für die Mittel der Glaubhaftmachung an und lässt im übrigen ergänzend folgende Punkte vortragen:

Die Ladung des Zeugen Müller, die aufgehoben worden ist durch den heutigen, - Verzeihung, des Zeugen Wolf - die aufgehoben worden ist durch den soeben verkündeten Beschluß, muß in den Augen des Angeklagten Baader die Auffassung begründen, daß es dem Gericht hier stärker um seine oder möglicherweise der Bundesanwaltschaft Terminierungswünsche geht, als um die Sachaufklärung, wie sie das[ii] Beweisthema in diesen Beweisanträgen kennzeichnet.

Vors.:

Ich darf Sie aber dazwischenrein darauf hinweisen, die Terminierung nimmt das Gericht vor, insbesondere eben ist es Sache des Vorsitzenden. Kein anderer hat darauf Einfluß.

RA Dr. He[ldmann]:

Gehen wir davon aus: die Terminierungswünsche des Gerichts. Das bedeutet: Verlust an Aufklärungsmöglichkeiten zu Lasten des Angeklagten; das bedeutet es objektiv: Wo das Gericht so handelt, hat der Angeklagte berechtigt den Verdacht, daß das Gericht ihm gegenüber nicht hinreichend unparteilich ist.

2. In der, praktisch, ich möchte sagen, Vernichtung dieses Beweismittels, denn dieses Fernschreiben ist kein Ersatz für eine Zeugeneinvernahme, wird aber zugleich eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung gesehen; etwa, wo das Gericht in seinen Beschlußgründen ausgesprochen hat, daß nach den Aussagen der Herren Schneider und Geisler hier als Zeugen eine weitere Sachaufklärung durch die Zeugeneinvernahme des Zeugen Wolf nicht zu erwarten sei, es außer Betracht läßt, daß in der Polizeiaussage, die als Fernschreiben hier vorliegt, Herr Wolf bereits eines sehr viel weiter- [11746] gehend als seine Kollegen gesagt hat, nämlich, daß ein Prozentsatz für Strafnachlaß dem Zeugen Müller nicht genannt worden ist, - ich zitiere - „... es wurde lediglich auf das damals vorliegende Urteil in Sachen Ruhland[63] verwiesen mit dem Hinweis, daß Ruhland ohne seine Aussagewilligkeit sicherlich eine bedeutend höhere Strafe bekommen hätte.“ Nach dieser eindeutigen Aussage, den Hinweis nämlich auf Ruhland, das bedeutet Inaussichtstellen einer gleichen Behandlung, wie sie der seinerzeitige Zeuge Ruhland strafrechtlich erfahren hatte, ist bereits sehr viel mehr ausgesagt im Sinne des hier angegebenen Beweisthemas, als die Zeugen Schneider und Geisler es getan haben. Das bedeutet eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und zwar zu Lasten der Antragsteller, ich meine hier des Angeklagten Baader, die völlige Nichtbeachtung der weitgehenden Aussagen des Zeugen Stroebele, der sehr[jj] exakt wiederholt hat, was in seinem eigenen Verfahren mit dem mehrfach hier zitierten Beweisantrag vom 13.9.1975 der Zeuge Müller als Angeklagter dort ausgesagt hat, nämlich: „Der Beamte Wolf von der Sicherungsgruppe Bonn hat bedeutet, er würde auch finanziell gut wegkommen, wenn er aussagen würde; man hat ihm verschiedentlich bedeutet, daß man auch anders könne, wenn er nicht aussage.“ Nachdem er im Dezember 72 als Zeuge im Mahler-Prozeß[64] aufgetreten und dort die Aussage verweigert hatte, ist der Auftrag erteilt worden, die Festnahme, d. h. also die Verhaftung Müllers unter dem Aspekt des versuchten Mordes[65] zu untersuchen; offen Sanktionscharakter. Das alles hat - und mehr - hat der Zeuge Stroebele bereits bestätigt, so daß ohne eine hier unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung der Senat nicht hat entscheiden dürfen, daß die bisher in Anspruch genommenen Beweismittel hinsichtlich der Glaubwürdigkeit Müllers nicht hätten den Beweis erbracht hätten[kk], nicht zu dem Ergebnis geführt hätten, daß Müllers Glaubwürdigkeit ernsthaft weiter in Zweifel zu ziehen sei.

Dahinter, und das als abschließender Punkt 3, muß sich in dem Angeklagten Baader der Verdacht regen, den ich hier in der Form des Befangenheitsantrags formuliere, daß der Senat durch mehrfache mit verschieden wechselnden Begründungen negative Behandlung von Beweisanträgen, die just dort hinzielen, nämlich die Unglaubwürdigkeit des Zeugen Müller zu enthüllen, daß der Senat mit einer Reihe solcher Beweisanträge, zur Überraschung auch der Verteidigung, negativ umgegangen ist, er hat sie abgelehnt, daß dahinter also [11747] für den Angeklagten Baader die begründete Besorgnis stehen muß, der Senat sei ernsthaft an der Aufklärung dieser Beweisfrage - Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller - nicht interessiert, tendiere vielmehr dorthin, sie im Dunkeln zu lassen, gar[ll] etwa eine Glaubwürdigkeit dieses Zeugen zu unterstellen im Sinne der Ausführungen, die die Bundesanwaltschaft teilweise, zeitweise hier schon von sich gegeben hat und damit dem Angeklagten Baader Rechte in der Beweisaufnahme, den Aufklärungspflichten des Gerichts korrespondieren Rechte abzuschneiden oder zu verkürzen.

Vors.:

Weitere Wortmeldungen seitens der Herren Verteidiger sehe ich nicht. Bitte die Bundesanwaltschaft.

Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.

BA Dr. Wu[nder]:

Fast immer, wenn der Senat nicht so reagiert, wie es die Angeklagten oder die gewählten Verteidiger wünschen, kommt es zu Richterablehnung.

Wir haben es über 60 mal hier bereits erlebt. Eben wurde die Entscheidung des Senats über die Verlesung der Aussage des Zeugen Wolf verkündet. Diese Entscheidung entspricht dem Antrag der Bundesanwaltschaft. Weshalb wir die Verlesung für rechtens halten, haben wir dargelegt. Ich brauche es nicht zu wiederholen.

Die Verteidigung hat der Verlesung widersprochen. Es ist anerkannt, daß selbst eine von falschen Tatsachen ausgehende rechtsirrige Entscheidung eines Gerichts keinen Grund für eine Richterablehnung gibt; um so eher hier, wo der Beschluß unseres Erachtens zu Recht ergangen ist. Eine gewisse Beurteilung der Beweisaufnahme ist im Rahmen einer Entscheidung nach § 244 StPO[66] immer nötig[mm]; und vorsichtiger, als dies der Senat getan hat, vorsichtiger, als er die Beweisaufnahme in den letzten Wochen in seinem Beschluß dargestellt hat, kann es eigentlich nicht mehr gehen. Eine derartige Beurteilung stellt jedoch[nn] keine vorweggenommene Beurteilung der Schuldfrage dar und darauf kommt es an. Es ist meines Erachtens nicht Befangenheit der Richter, wenn sie gerechterweise eine den Angeklagten evtl. unangenehme Entscheidung treffen. Es ist dabei in unseren Augen nichts anderes als Prozeßverschleppung, wenn das Institut der Richterablehnung von der Verteidigung eingesetzt wird und die eigene Rechtsauffassung an die des Senats zu setzen, allein um Zeit zu gewinnen.

Ich beantrage daher

die Ablehnung des Gesuches nach § 26a Abs. 1, Ziff. 3 StPO.[67]

[11748] Vors.:

Ich bitte die Prozeßbeteiligten, um 16.15 Uhr wieder anwesend zu sein. Es wird dann bekanntgegeben, wie es weitergeht. Publikum vorsorglich zugelassen.

Pause von 15.47 Uhr bis 16.18 Uhr

Vors.:

Der Senat hat folgenden Beschluß gefasst:

Die Ablehnung der Richter des Senats wird einstimmig als unzulässig

verworfen.

Gründe:

Daß der Senat bei Prüfung, ob ein Zeuge im Freibeweisverfahren in der Hauptverhandlung oder schriftlich zu hören ist, frühere Beweisergebnisse zu beachten hat, ist selbstverständlich. Nichts anderes hat der Senat getan. Dabei kam es gerade nicht auf eine erschöpfende Vorwegwürdigung und Erwähnung sämtlich in Betracht kommender Beweismittel an - etwa auch solcher, die nur auf andere, ihrerseits vernommene Auskunftspersonen hingewiesen haben -, sondern allein darauf, ob es nach einem vorläufigen Eindruck die Aufklärungspflicht nahelegte, den Zeugen Wolf in der Hauptverhandlung zu hören. Solche im Rahmen des Rechtlichen sich bewegende Erwägungen haben mit Befangenheit schlechterdings nichts zu tun. Das wissen auch die Angeklagten und die Verteidiger.

Die für die Ablehnung vorgetragenen Gründe decken daher einmal mehr keine Befangenheit der abgelehnten Richter auf. Die Ablehnung dient allein der Prozeßverschleppung, nämlich den Abschluß der Beweisaufnahme zu verhindern.

- - -

[11749] Wir kommen dann zur Verlesung des Vernehmungsprotokolls.

In Ausführung des bereits verkündeten Beschlusses wird das Fernschreiben vom 28.9.1976 über die Vernehmung des KHK Hans Wolf verlesen.

Ein Durchschlag dieses Fernschreibens ist dem Protokoll als Anl. 9 beigefügt.

Während der Verlesung verlässt OStA Zeis um 16.25 Uhr den Sitzungssaal.

Vors.:

Es sind dann weitere Beschlüsse bekanntzugeben.

Zunächst folgender Beschluß: ...

Herr Rechtsanwalt Schnabel.

RA Schn[abel]:

Ich hätte in diesem Zusammenhang eine Frage an das Gericht. Es wurde hier ein Telex vorgelegt, das für mich keine Unterschrift trägt, abgesehen von einigen Namen und noch ein paar Zahlen oben. In welcher Art und auf welche Weise wurde denn dieses Fernschreiben überhaupt verifiziert? Das ist die eine Frage. Und die andere wäre eine Erklärung. Es sind hier zwei Sätze, die mich etwas stören und zwar zum einen, die Angaben ...

Vors.:

Das ist jetzt keine Frage mehr oder eine Erklärung ...

RA Schn[abel]:

Bitte, das ist eine Erklärung jetzt, ja, nach § 257[ StPO].[68]

„... zu welchem Zeitpunkt und wie oft ich den Beschuldigten Müller vernommen habe, ergibt sich aus den Vernehmungsniederschriften der Akten.“ Das ist wohl eine Binsenwahrheit, die allerdings dann einer Nachfrage bedurfte, die nicht möglich war, da dieser Zeuge ja hier nicht anwesend war. Des weiteren ist hier von einem Rechtsanwalt die Rede, der vom Vater genannt wurde. Auch wäre es interessant, wer dieser Rechtsanwalt gewesen ist, denn unter Umständen hätten sich da auch noch Fragen anschließen können. Das ist allerdings dadurch genommen worden, daß hier nur etwas verlesen wird. Das zum einen - ich habe ja die Frage gestellt, für meine Begriffe überhaupt nicht verifiziert ist - und zum anderen, das ist das Argument des Gerichtes, eben doch es eindeutig ist, daß, wenn jemand geladen ist und kann nicht kommen, weil er krank ist oder aus sonstigen Gründen, daß erst aufgrund dessen sich das Gericht dazu durchgerungen hat, es auf diese Weise dann zu machen.

[11750] OStA Zeis erscheint wieder um 16.27 Uhr im Sitzungssaal.

Denn, wenn es so wäre, wie Sie vorher argumentiert haben, daß es im Freibeweis möglich ist und daß Sie dann auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen haben, dann hätten Sie, glaube ich, und das ist eine Frage der Logik und nicht der Juristerei, hätten Sie diese Konsequenz bereits vorwegziehen können und hätten also nicht abwarten brauchen, bis jemand sich dann krank erklärt. Da Sie aber das getan haben, ergibt sich doch eindeutig daraus, daß es nicht das der Grund war, sondern daß es der Grund war, um eben schneller zu einem Ergebnis zu kommen.

Vors.:

Nur zu Ihrer Frage: Auch das ist Gegenstand des Freibeweises, inwieweit wir dieses Fernschreiben für zuverlässig erachten. Das Fernschreiben ist von uns angefordert worden, das entsprechende Fernschreiben des Senats heute früh bekanntgegeben worden. Es bezieht sich inhaltlich genau auf die Anfrage des Senats. Es ist, wie gesagt, Sache des Senats, im Rahmen der freien Würdigung sich Gedanken darüber zu machen, inwieweit man sich auf diese schriftliche Auskunft verlassen kann.

Bitte.

RA Schi[ly]:

Herr Wolf erwähnt ja ausdrücklich Vernehmungsniederschriften über die Vernehmung des Herrn Müller.

Ich stelle ausdrücklich den Antrag,

diese Vernehmungsniederschriften des Herrn Müller, über die Vernehmung des Herrn Müller beizuziehen und den Prozeßbeteiligten Akteneinsicht zu gewähren.

Vors.:

Dann werden jetzt weitere Beschlüsse bekanntgegeben.

Über den soeben gestellten Antrag werden wir uns dann noch schlüssig werden müssen.

Der am 28.9.1976 von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Generalbundesanwalt Siegfried Buback als Zeugen zu hören,

wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antrag ist eine Wiederholung des am 20.7.1976 von Rechtsanwalt Schily gestellten Beweisantrags (Abs. 4). [11751-11753][69] [11754] Dazu hat sich Generalbundesanwalt Buback mit den Schreiben vom 27.8. und 6.9.1976 geäußert. Seine Erklärungen wurden gemäß § 256 Abs. 1 StPO im Strengbeweis verlesen.[70]

Der Senat hält schon deshalb an der im Beschluß vom 8.9.1976 dargelegten Auffassung fest, daß danach eine persönliche Anhörung des Zeugen nicht mehr erforderlich ist.

- - -

Ferner ist der Beschluß bekanntzugeben:

Der Antrag, die Ermittlungsakten des Bundeskriminalamts betreffend Ingeborg Barz beizuziehen,

wird abgelehnt.

Gründe:

Es handelt sich um einen Beweisermittlungsantrag,[71] dem nachzugehen umso weniger Anlaß besteht, als der Senat in seinem heute verkündeten Beschluß die Behauptung, Ingeborg Barz habe noch im November 1973 Chemikalien gekauft, so behandelt hat, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

- - -

Ein weiterer Beschluß:

Der von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, Frau Prof. Noelle-Neumann als Zeugin zu hören,

wird abgelehnt.

Gründe:

Für die Urteilsbildung des Senats ist es ohne Bedeutung, wie ein Teil der Bevölkerung - nach den Befragungen eines Meinungsforschungsinstituts - 1971 die Motivation von Angehörigen der RAF bewertet und welche Stellung er zu der Frage der Duldung oder zum Schutz der RAF-Mitglieder vor der Polizei genommen hat.

Über die Anwendung des Strafgesetzes entscheidet der Senat in richterlicher Unabhängigkeit.

- - -

[11755] Ein weiterer Beschluß:

Der Antrag, die Entscheidung des Oberlandesgerichts Athen in der Auslieferungssache Rolf Pohle[72] vom 20.8.1976 zu verlesen,

wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beweiserhebung ist unzulässig. Auch präsente Beweismittel im Sinne des § 245 StPO sind dann nicht in die Verhandlung einzuführen, wenn die zu erweisende Tatsache überhaupt nicht zur Sache gehört (vgl. BGH in Strafsachen Band 17, S. 28 + 30[73]). Das trifft hier zu. Mit der Verlesung kann und soll (so Rechtsanwalt Schily) lediglich bewiesen werden, daß die im Urteil des Landgerichts München vom 1.3.1974 festgestellten Taten von einem griechischen Gericht als politische Delikte im Sinne des griechischen Auslieferungsrechts bewertet worden sind. Diese Rechtsansicht ist für die Beurteilung des Senats hinsichtlich Schuld und Strafe ohne jede Bedeutung (vgl. BGH in Strafsachen Band 25, S. 207[74]). Das Urteil des Landgerichts München vom 1.3.1974 ist in der Hauptverhandlung verlesen worden.

- - -

Ferner der Beschluß:

Der Antrag, angeblich vorhandene oder bevorstehende Niederschriften über Aussagen des Zeugen Müller beizuziehen,

wird abgelehnt,

weil es sich um einen Beweisermittlungsantrag ohne sachliche Substanz handelt.

- - -

[11756] Ferner ist der Beschluß zu verkünden:

Der am 28.9.1976 von Rechtsanwalt Schily gestellte Antrag, den KHK Hans Wolf zu einem weiteren Beweisthema zu hören, sowie die Anregung auf Erweiterung der früheren Aussagegenehmigung hinzuwirken,

werden abgelehnt.

Gründe:

Es handelt sich um einen ganz allgemein gehaltenen Beweisermittlungsantrag, dem nachzugehen der Senat keinen Anlaß sieht. Das gleiche gilt für die Ergänzung des Antrags durch Rechtsanwalt Dr. Heldmann. Soweit im übrigen der Antrag Aussagen über den Zeugen Hoff betrifft, ist die Aussagegenehmigung zu früher konkret gestellten Fragen nicht erteilt worden.

Der Senat hält es auch nicht für geboten, beim Bundesminister des Innern Gegenvorstellung wegen des Umfangs der Aussagegenehmigung für den Zeugen Wolf zu erheben.

- - -

Vors.:

Wir werden uns nun, ich weiß nicht, ob die Bundesanwaltschaft dazu Stellung nehmen will, noch schlüssig werden müssen über den soeben gestellten Antrag wegen der erwähnten Akten. Keine Stellungnahme.

OStA Z[eis]:

Ein Satz, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Bitte.

OStA Z[eis]:

Im Rahmen des Freibeweises obliegt es dem[oo] pflichtgemäßen Ermessen des Senats, inwieweit sie[pp] die „Beweisaufnahme“ [qq] ausdehnt. Wir meinen, es sei hier nicht erforderlich, auch noch diese Vernehmung hier beizuziehen.

Vors.:

Bitte.

RA Schi[ly]:

Herr Zeis, also nun geht Ihnen Ihr Temperament vielleicht doch mit dem Freibeweis allmählich ein bißchen durch. Ich ...

Vors.:

Ich bitte also, sich kurz zu fassen. An sich, Herr Rechtsanwalt Schily, haben wir ja jetzt inzwischen die Erwiderung nicht mehr zugelassen.

RA Schi[ly]:

Ja, ich werde mich sehr kurz fassen.

Wenn hier Vernehmungsniederschriften vorhanden sind eines Zeugen, [11757] den relativ spät die Bundesanwaltschaft präsentiert hat,[75] dann dürfte es doch für alle Prozeßbeteiligten von hohem Interesse sein, was der Herr Zeuge Müller - Gerhard Müller - in diesen Vernehmungen bekundet hat. Es ist mir vollkommen unverständlich, daß nicht[rr] die Bundesanwaltschaft diesen Antrag teilt und sich den zu eigen macht und auch sagt: „Na, wollen mal sehen was in diesen Vernehmungsniederschriften steht.“ Es sei denn, daß sie intern, wovon ich ausgehe, vielleicht Kenntnis davon haben, aber die übrigen Prozeßbeteiligten eben diese Vernehmungsniederschriften nicht zu Gesicht bekommen. Und auch das Gericht sollte doch darum bemüht sein, eine vollständige Akteneinsicht zu gewinnen und nicht nur dieses künstlich Gebilde, was nach, ab 31. März da produziert worden ist, sondern auch das was früher man an Vernehmungsniederschriften gefertigt hat.

Vors.:

Ich bitte aber jetzt, wie gesagt, wir wollen nicht wieder die Erwiderung einführen. Bitte ganz kurz, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich habe noch einen Antrag, der kein Beweisantrag ist.

Ich beantrage,

den Prozeßbeteiligten bekanntzugeben, welche neuen Erkenntnisse der Senat über die Verhandlungsfähigkeit[76] der Angeklagten hat, insbesondere darüber, ob ihm Erkenntnisse vorliegen, wonach die Angeklagten körperlich so geschwächt sein sollen, daß sie nicht mehr an den Verhandlungen ihres Strafverfahrens teilnehmen können.

Zur Antragsbegründung kurz:

Verhandlungsfähigkeit ist auch in diesem Stadium, d. h. im Stadium eines noch gültigen, noch schwebenden Beschlusses nach § 231a StPO[77] weiterhin Prozeßvoraussetzung, ist in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.

Die „Frankfurter Rundschau“ hat am Samstag auf Seite 4 unter der Überschrift „Baader’s Krebsverdacht bestätigte sich nicht“ unter anderem gemeldet, wobei sie in dem Vorsatz sich auf „gut unterrichtete Justizkreise“ berufen hat. Weiter war zu erfahren, daß die Angeklagten - es folgen die Namen - körperlich so geschwächt sein sollen, daß sie nicht mehr an den Verhandlungen ihres Strafverfahrens teilnehmen können. Aus dem Zusammenhang, zumindest aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß diesem Bericht, in der „Frankfurter Rundschau“ abgedruckt auf Seite 4 vom Samstag, [11758] Informationen, wie es hier heißt, aus „gut unterrichteten Justizkreisen“ zugrundliegen. In diesem Zusammenhang ferner beantrage ich,

beim Senat doch entweder festzustellen oder notfalls auf die Bundesanwaltschaft einzuwirken, festzustellen, wie ärztliche Befunde aus Untersuchungen des Herrn Baader an die Presse gelangt sind.

Denn in demselben Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ heißt es unter der bereits zitierten Überschrift: „Baader selbst und ein Arzt hätten Verdacht auf Erkrankung an Kehlkopfkrebs gehegt“. Diese Behauptung ist unwahr, Baader hat einen solchen Verdacht nicht geäußert. Es besteht jedoch Anlaß für den Verdacht, daß solche Meldungen, darunter solche Falschmeldungen, die hier „gut unterrichteten Justizkreisen“ als[ss] Informanten zugeschoben werden, aus Karlsruhe stammen und daß diese „gut unterrichteten Justizkreise“ in Karlsruhe z. B. eine Justizpressekonferenz unterhalten, und im Zuge dieses Geschäfts, möchte ich jetzt einmal sagen, solche Informationen an die Presse geben. Dazu, und hier bitte ich, das ist als[tt] ein Appell an Ausübung prozessualer Fürsorge zu verstehen, eine solche Veröffentlichung greift über das in einem Strafverfahren Erforderliche und Zulässige erheblich hinaus und zwar in die geschützte, auch in diesem Verfahren geschützte Persönlichkeitssphäre des[uu] Betroffenen, hier meines Mandanten. Und eine solche Verletzung des Persönlichkeitsbereiches des verfassungsrechtlich, wie zivilrechtlich, wie strafrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereiches, einer solchen Verletzung ist mit etwa presserechtlichen Mitteln nicht beizukommen, jedenfalls ist sie nicht mehr zu reparieren.

Und bitte diese Schluß... diese Anmerkung dazu, die Infamie einer solchen Presseinformation und einer solchen Berichterstattung mag hinreichend deutlich werden, allein aus diesem einzigen Umstand etwa, daß die Angehörigen meines Mandanten erst durch diesen Pressebericht von irgendeinem Verdacht auf Erkrankung erfahren haben.

Vors.:

Da Sie die Ausführung weitgehend an die Bundesanwaltschaft richten. Wollen Sie sich in der Öffentlichkeit dazu äußern?

BA Dr. Wu[nder]:

Ich nehme an, daß Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann seinen so leicht hingesagten Verdacht, solche Nachrichten kämen aus Karlsruhe, d. h. mit seinen einleitenden Worten, die kämen von [11759] der Bundesanwaltschaft, nicht begründen kann.

Dieser Verdacht ist völlig abwegig.

Vors.:

Und ich darf dazu sagen, daß der Senat solche Veröffentlichungen keineswegs billigt. Natürlich stammen aus dem Gerichtsbereich solche Auskünfte nicht. Sie können auch nicht aus dem Bereich etwa des Pressesprechers des Oberlandesgerichts stammen. An der Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit hat sich nichts geändert. Der Senat ist im laufenden Kontakt mit dem Anstaltsarzt. Ein Satz des Inhalts, daß die Angeklagten so geschwächt seien, daß sie nicht mehr an der Verhandlung teilnehmen können, ist mit nichts gerechtfertigt; der Zustand ist unverändert, wie seinerzeit den Beschlüssen zugrundegelegt wurde.

Wir werden uns jetzt über die Frage der Aktenbeiziehung kurz schlüssig werden müssen.

Ich bitte in 10 Minuten wieder anwesend zu sein.

Pause von 16.40 Uhr bis 16.50 Uhr

Ende Band 690

[11760] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 16.50 Uhr.

Vors.:

Es ist folgender Beschluß bekanntzugeben:

Der Antrag, die von dem Zeugen Wolf in dem verlesenen Fernschreiben erwähnten Vernehmungsniederschriften des Zeugen Müller beizuziehen, wird abgelehnt.

Es handelt sich wiederum um einen Beweisermittlungsantrag, dem nachzugehen umso weniger Grund besteht, als der Zeuge Wolf angibt, der Zeuge Müller habe seinerzeit keine Sachaussagen gemacht.

- - -[vv]

Es wäre dann noch der Hinweis zu geben, daß es wegen der Verfahren vor den Verwaltungsgerichten bei der Auffassung des Senats bleibt, daß davon die Fortsetzung der Verhandlung nicht abhängig gemacht werden muß.

Soweit ich überblicken kann ... Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Ich teile zwar die Auffassung des Senats nicht, daß mein heute gestellter Antrag bezüglich des Zeugen Wolf ein Beweisermittlungsantrag ist, sondern ich halte den für einen konkreten und bestimmten Beweisantrag, wobei bewußt das Beweisthema so weit gefasst ist, um eine auch weit gefasste Befragung des Zeugen Wolf zu ermöglichen. Aber nachdem ich die Auffassung des Senats hier gehört habe, oder das Verständnis des Senats dahin geht, daß es sich um einen Beweisermittlungsantrag handelt, erneuere ich den Beweisantrag mit der Konkretisierung

a) daß unter anderem der Zeuge Wolf bekunden wird, der Zeuge Gerhard Müller habe in Gesprächen oder Vernehmungen den Angeklagten Baader bezichtigt, Ingeborg Barz ermordet zu haben.

b) Susanne Mordhorst[78] bezichtigt zu haben, Vollmitglied der Roten-Armee-Fraktion gewesen zu sein und daß sich beide Bezichtigungen des Zeugen Gerhard Müller nach Kenntnis des Zeugen Wolf auf Grund der von den Ermittlungsbehörden angestellten Ermittlungen als unhaltbar erwiesen haben.

Also das dann zwei Beispiele zur Konkretisierung, wobei ich aber den allgemein gehaltenen Beweisantrag aber durchaus bestimmten, damit erneuere.

[11761] Vors.:

Sonstige Anträge?

RA Schi[ly]:

Ja, ich würde mich zusätzlich noch dafür interessieren, da der Senatsvorsitzende ja hier erklärt hat, es seien der Herr Dr. Henck wohl, der Anstaltsarzt, habe irgendwelche Berichte über Verhandlungsfähigkeit erstattet, dann würde ich den Antrag stellen

der Verteidigung Einsicht in diese Berichte zu gewähren.

Vors.:

Dazu bedarf es keines Antrags, das ist ja eine Selbstverständlichkeit. Ich weise Sie hin auf den Ordner „Haftbedingungen“, dort sind diese Vorgänge abgelegt. Es handelt sich um wenige schriftlicheVorgänge, aber sie stehen Ihnen selbstverständlich, wie alle Akten, stets zur Einsicht zur Verfügung.

Sonstige Anträge? Sehe ich nicht. Will sich die Bundesanwaltschaft zu dem soeben gestellten Antrag betreffend Vernehmung des Zeugen Wolf äußern? Ich sehe nicht. Wir wollen über diesen Antrag beschließen. Ich bitte, ...

RA Schi[ly]:

Dann darf ich darauf hinweisen, daß ich[ww] noch den Antrag wegen der morgigen Terminierung gestellt hatte. Wenn Sie den freundlicherweise auch noch berücksichtigen wollen, Herr Vorsitzender.

Vors.:

Er ist nicht vergessen, aber er ist nicht entscheidungsreif im Augenblick.

Wir werden uns um 10 nach 5 hier wieder treffen.

Pause von 16.55 Uhr bis 17.24 Uhr.

Vors.:

Es ist folgender Beschluß zu verkünden:

Der erneute Antrag, den Zeugen Wolf zu hören, wird abgelehnt.

Gründe:

1. Soweit es um Ingeborg Barz geht, hat der Zeuge Wolf keine Aussagegenehmigung, so daß seine Vernehmung unzulässig ist (§ 54 StPO).

2. Die Behauptung, der Zeuge Müller habe Susanne Mordhorst bezichtigt, Vollmitglied in der RAF gewesen zu sein, wird so behandelt, als wäre die behauptete Tatsache wahr.[79]

[11762] Der weitere Antrag, der Zeuge Wolf könne nach seiner Kenntnis der Ermittlungsergebnisse die Unhaltbarkeit der als wahr unterstellten Aussage Müllers bekunden, ist ein Beweisermittlungsantrag, da nicht zu ersehen ist, welche Erkenntnismittel dafür zur Verfügung gestanden und was sie gegebenenfalls inhaltlich erbracht haben sollen. Ob eine Zeugenaussage unhaltbar ist, ist eine Wertung, die das Gericht zu treffen hat und die nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein kann. Dem Beweisermittlungsantrag wird nicht nachgegangen.

- - -[xx]

Damit ist das Antragsprogramm, soweit ich das überblicke, restlos beschieden. Herr Rechtsanwalt Schily.

RA Schi[ly]:

Dann benenne ich

Frau Susanne Mordhorst, 2 Hamburg 55, [Anschrift], als Zeugin dafür, daß die Bezichtigung des Zeugen Gerhard Müller, sie sei Vollmitglied der Roten-Armee-Fraktion gewesen, unrichtig ist.

Sie haben ja mit ihrem Beschluß soeben diese Behauptung, diese Bezichtigung als wahr unterstellt. Ob diese Wahrunterstellung allerdings prozeßual zulässig ist, möchte ich in Zweifel ziehen, aber zunächst mal habe ich ja die Entscheidung des Senats gehört. Im übrigen wiederhole ich den Beweisantrag bezüglich des Zeugen Wolf in der Form,

daß nach den Ermittlungsergebnissen, die der Zeuge Wolf kennengelernt hat, die Behauptung des Zeugen Müller über die Zeugin Mordhorst unrichtig ist.

Ich hätte es begrüßt, wenn Sie nicht aus irgendeiner Formulierung, also Wortwahl „unhaltbar“ hier irgendwelche prozeßuale Konsequenzen ziehen, das hätte sich ja klarstellen lassen. Es geht um die Frage, ob diese Tatsache, nämlich Zugehörigkeit zur Roten-Armee-Fraktion, sich durch die Ermittlungen, an denen der Herr Wolf beteiligt war, bestätigt hat oder nicht, ob sich dieser Verdacht bestätigt hat oder nicht. Und da wird nach dem Beweisthema der Herr Wolf bestätigen, daß das nicht der Fall war.

Vors.:

Äußerungen hierzu? Sehe ich nicht. Dann treffen wir uns um ¾ 6 wieder, um über diesen Antrag dann einen Entscheid bekannt zu geben.

[11763] Pause von 17.27 Uhr bis 18.57 Uhr.

Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung um 18.57 Uhr sind RAe Schily, Dr. Augst und Schnabel nicht mehr anwesend.

Vors.:

Ich bitte für die Verzögerung um Entschuldigung und Verständnis. Wir haben noch einen Vermerk des Bundeskriminalamtes abgewartet, der uns zugegangen ist, der durch verlesen bekannt gegeben wird.

Der Vorsitzende verliest den Vermerk des Bundeskriminalamts - TE 13 - vom 28.9.76.

Der Vermerk wird dem Protokoll als Anlage 10 beigefügt.

Dazu keine Ausführungen. Dann ist oder sind noch folgende Beschlüsse zu verkünden:

Der Antrag, Frau Susanne Mordhorst als Zeugin zu vernehmen, wird abgelehnt.

Frau Mordhorst ist unerreichbar (§ 244 Abs. 3 S. 2 StPO).

Nach Auskunft des BKA hält sie sich unter der im Beweisantrag genannten Anschrift nicht auf. Gegen sie besteht Haftbefehl des Bundesgerichtshofs, der bisher weder in Deutschland, noch in Italien, wo sie sich aufgehalten haben soll, vollstreckt werden konnte. Der Senat sieht keine weiteren Möglichkeiten, den Aufenthalt von Frau Mordhorst zu erforschen.

- - -[yy]

Schließlich der Beschluß:

Der nochmals wiederholte Antrag, Herrn KHK Wolf zu vernehmen, wird aus den bisherigen Gründen abgelehnt.

Der Senat sieht in der jetzt gewählten Bezeichnung „unrichtig“ keinen sachlichen Unterschied zu dem im vorausgegangenen Antrag verwendeten Ausdruck „unhaltbar“.

- - -[zz]

Nun habe ich gehört, daß ein Gespräch stattgefunden hat über die Möglichkeit, sich zu einigen über den Beginn der Plädoyers. Und daß wegen dieses Gesprächs auch gegenwärtig davon abgesehen wird, weitere Anträge zu stellen. Ist diese Auskunft, die ich bekommen habe, richtig, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann?

[11764][80] [11765] RA Dr. He[ldmann]:

Ja.

Vors.:

Dann darf ich also feststellen, daß keine weiteren Anträge mehr gestellt sind und auch alle bisher gestellten Anträge erledigt wurden.

Ich möchte noch den Hinweis geben, soweit Beweispersonen vom Gericht geladen waren, aber nicht erschienen sind, beabsichtigt sie der Senat, wie schon im Einzelfall betont worden ist, nicht mehr zu vernehmen. Es handelt sich also hier um diese Zeugen, die während der Beweisaufnahme, insbesondere im Herbst des letzten Jahres bzw. im Spätherbst, hier im Einzelfall entschuldigt gewesen waren. Der Senat hat damals schon darauf hingewiesen, daß diese Zeugen nach seinen Vorstellungen nicht mehr geholt werden. Das wird nun ausdrücklich hier bestätigt.

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, soweit Anträge und Anregungen auf Beiziehung von Akten, Beweisstücken oder Vorladung von Beweispersonen damit abgelehnt worden sind, daß „derzeit“ dazu keine Notwendigkeit bestehe, gilt dies nunmehr endgültig. Wir können uns jetzt über den Beginn der Plädoyers dann vielleicht verständigen, wobei darauf hinzuweisen ist, daß der Senat auch während der Schlußvorträge die Anwesenheit der Angeklagten wie bisher nicht für unerlässlich[81] betrachtet.

Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann und Herr Bundesanwalt Dr. Wunder, Sie haben zwar nicht miteinander gesprochen, aber das Gespräch ist wohl so abgewickelt worden, daß beide Herren davon Kenntnis bekommen haben. Darf ich erfahren, welche Gesichtspunkte da zustande gekommen sind?

BA Dr. Wu[nder]:

Herr Vorsitzender, mir war es ein Anliegen, daß es wegen des Beginns der Plädoyers, wenn irgend möglich, zu einem allseitigen Einvernehmen kommt. Ich konnte nur ein Vermittlungsgespräch führen. Ob das Ergebnis akzeptabel ist, das muß allein der Senat, beziehungsweise Sie in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender entscheiden. Das Gespräch kam zu dem, führte zu dem Ergebnis, daß am Dienstag die Plädoyers der Bundesanwaltschaft beginnen würden, in der nächsten Woche dann fortgesetzt werden und daß in dieser Zeit keine Anträge seitens der Verteidigung mehr gestellt werden. Über einen Antrag, es geht um den Zeugen Wolf, ist noch einiges besprochen worden, das brauche ich aber hier nicht zu vertiefen. Das war im wesentlichen das Ergebnis. Ich habe dann lediglich noch darauf hingewirkt, daß auch Herr [11766] Dr. Heldmann mit einbezogen werden sollte in das Gespräch. Ich weiß nicht, wie weit die Herren Verteidiger für andere Verteidiger mitsprechen können. So etwa war es verlaufen.

Vors.:

Dankeschön. Das läßt darauf schließen, daß das Gespräch mit Herrn Rechtsanwalt Schily geführt wurde und Herr Rechtsanwalt Schily dann in die Beratung mit Ihnen eingetreten ist, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

RA Dr. He[ldmann]:

Wir sind einig beiderseits, daß ... mit der Terminierung, daß die Bundesanwaltschaft mit ihren Plädoyers am Dienstag beginnen wird, wobei die Verteidigung vorsorglich sich offen gehalten hat, offen lassen möchte, nach dem Abschluß der Plädoyers der Anklage einen Antrag auf Vernehmung des Zeugen Wolf im Hinblick auf seine alsdann zu erwartende Genesung noch einmal zu stellen, so daß also möglicherweise dieses Stück Beweisaufnahme zwischen den Plädoyers der Anklage und Verteidigung geraten könnte.

Vors.:

Es sind zwei Probleme, das muß ganz offen besprochen werden. Das erste nun, was die Frage des Zeugen Wolf anlangt: Der Senat ist selbstverständlich solchen Anträgen gegenüber offen - das ist seine Pflicht. Anträge dieser Art können gestellt werden bis zum Schluß der Sitzung. Die Gesichtspunkte, die bisher dazu geführt haben, daß man den Zeugen Wolf nicht in der Sitzung hört, beruhten ja darauf, daß wir davon ausgehen, daß das im Freibeweisverfahren zu erheben ist. Ob sich diese Gesichtspunkte verändern, kann nicht zugesichert werden. Es wird sich zeigen müssen. Vielleicht sprechen dann Vereinfachungsgründe tatsächlich dafür, daß man, wenn ein solcher Antrag käme, sich das nochmals überlegt. Aber Zusagen kann ein Senat in dieser Richtung natürlich nicht machen, weil es immer auf die rechtliche Gestaltung des Antrags selbst ankommt.

Das zweite: Sie sagen „wir sind uns einig“. Nun sind ja nicht nur die Herren Rechtsanwälte Schily und Dr. Heldmann beteiligt, sondern es sind auch noch die Anwälte anderer Angeklagter beteiligt. Ich darf davon ausgehen, daß die Herren Rechtsanwälte zur rechten Seite[82] gegen eine solche Terminierung von sich aus nichts einzuwenden hätten. Ich sehe keinen Widerspruch. Nur, wie steht es beispielsweise, Sie vertreten den Angeklagten Baader, Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann, wie steht es jetzt mit Herrn Raspe? Wir müssen besorgen, daß am Dienstag andere Prozeßbeteiligte, die durch [11767] Sie nicht vertreten werden, oder gar andere Verteidiger, die hier nicht anwesend sind, erscheinen könnten und sagen, diese Vereinbarung gilt zwar für die und die Herren, aber nicht für uns. Darf ich Sie fragen, ob Sie sich verbindlich erklären können?

RA Dr. He[ldmann]:

Eine solche Situation kann ich nicht voraussehen. Ich sehe sie derzeit nicht voraus und kann infolgedessen dazu auch nichts voraussagen.

Vors.:

Das würde also bedeuten, daß die Möglichkeit, die ich angedeutet habe, von Ihnen trotz dieses „Gentlemen’s Agreement“ nicht ausgeschlossen werden kann?

RA Dr. He[ldmann]:

Das kann ich nicht ausschließen. Herr Raspe hat meines Wissens zwei Wahlverteidiger,[83] zwei?

Vors.:

Drei.

RA Dr. He[ldmann]:

Ich sehe es nicht voraus, aber ich kann es nicht ausschließen, ich halte es nicht für wahrscheinlich.

Vors.:

Ich bitte dann noch um kurze Zeit[aaa] Geduld. Der Senat will die Fragen, die daraus entstehen, nochmals erörtern. Ich hoffe, daß es nicht sehr lange dauert. Ich nehme an, in 10 Minuten kann die Sitzung dann zu Ende gebracht werden.

Pause von 19.06 Uhr bis 19.27 Uhr.

Vors.:

Wir haben uns die Sache überlegt. Es ist nicht ganz unbedenklich, was uns gesagt worden ist. Aber der Senat geht davon aus, daß dieses Gespräch, das geführt worden ist zwischen der Bundesanwaltschaft und den anwesenden Verteidigern Schily und Dr. Heldmann, doch für die Beteiligten ein solches Gewicht hat, daß sich die Herren auch in der Pflicht fühlen gegenüber denjenigen, die heute nicht unmittelbar zu Wort gekommen sind. Es ist also ein Vertrauen, denn im Grunde genommen ist es natürlich, nachdem die Plädoyers seit Wochen ins Auge gefasst sind, ein schwieriges Unterfangen, nun den Rest der Sitzungswoche verstreichen zu lassen, ohne, wo jetzt das Beweisprogramm abgewickelt ist, in die Plädoyers sofort einzutreten. Wie gesagt, es geschieht im Vertrauen auf die Zusage, die gemacht worden ist,

und deswegen schließe ich jetzt die Beweisaufnahme und bestimme die Fortsetzung auf kommenden Dienstag, 9.00 Uhr,

zum Beginn der Schlußvorträge der Bundesanwaltschaft. Damit ist die Sitzung geschlossen.

Ende der Hauptverhandlung um 19.28 Uhr.

Ende von Band 691.


[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[2] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die Behauptung, Baader habe Barz erschossen, von Gerhard Müller aufgestellt worden sei, um Baader wahrheitswidrig zu belasten (s. den Beweisantrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 142. Verhandlungstag, S. 11467 des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Beweis der Unwahrheit dieser Tatsache sollte die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Müller insgesamt erschüttert werden (s. dazu etwa die Diskussion um den am 147.Verhandlungstag gestellten Beweisantrag, S. 11684 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den Angaben, die Müller über in diesem Zusammenhang gemacht haben soll, s. auch die Ausführungen des Vernehmungsbeamten KHK Opitz am 152. Verhandlungstag (S. 11855 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[3] § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. (heute: § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) ermöglicht die Wahrunterstellung für erhebliche Tatsachen, die zur Entlastung der Angeklagten bewiesen werden sollen.

[4] Am 1.6.1972 wurden die Angeklagten Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, sowie der frühere Mitangeschuldigte Holger Meins nach einem Schusswechsel in Frankfurt a.M. verhaftet. Durch einen gezielt abgegebenen Schuss wurde Andreas Baader am Oberschenkel getroffen, was letztlich zur Aufgabe der Angeklagten führte. Der Vorgang der Verhaftung war ab dem 43. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[5] Landes- und Bundesbeamt/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet bezüglich aller Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgeworden sind. Aussagen vor Gericht hierüber sind nur nach und im Umfang der Genehmigung durch den jeweiligen Dienstherrn gestattet (heute geregelt in § 37 Abs. 1 und 3 BeamtStG für Landesbeamt/innen und in § 67 Abs. 1 und 3 BBG für Bundesbeamt/innen; für den Stand 1975 galten für Landesbeamt/innen noch Landesgesetze, die sich allerdings an § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes vom 1.7.1957 orientieren mussten; für Bundesbeamt/innen galt § 61 BBG a.F.). § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.

[6] § 136a StPO enthält eine Auflistung von verbotenen Methoden bei der Vernehmung von Beschuldigten. Diese sind: die Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Täuschung, Quälerei oder Hypnose, sowie die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme oder das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (Abs. 1). Ferner untersagt sind Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten beeinträchtigen (Abs. 2). Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verbote enthält § 136a Abs. 3 Satz 3 StPO ein Verwertungsverbot für die so zustande gekommenen Aussagen.

[7] § 256 StPO benennt bestimmte Arten von Erklärungen, die entgegen § 250 Satz 2 StPO (Fn. 9) verlesen werden können, darunter die „ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden“ (§ 256 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. StPO a.F.; heute: § 256 Abs. 1 Nr. 1 a) StPO).

[8] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Einschränkungen ergeben sich im Freibeweis weder aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, noch aus dem Prinzip der Mündlichkeit (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 16).

[9] Das Strengbeweisverfahren (auch „förmliche Beweisaufnahme“) ist in den §§ 244 bis 256 StPO geregelt. Es findet Anwendung zum Beweis aller Tatsachen, die die Straf- und Schuldfrage betreffen, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, und zeichnet sich u.a. durch eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel (Zeug/innen, Sachverständige, Urkunden, Augenschein) aus. Die Tatsachen müssen zudem Eingang in die Hauptverhandlung gefunden haben (§ 261 StPO) und grundsätzlich mündlich vorgetragen und erörtert worden sein (sog. Mündlichkeitsprinzip, s. dazu Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 261 Rn. 7). Im Strengbeweisverfahren gilt nach § 250 StPO der Grundsatz der persönlichen Vernehmung. Nach § 250 Satz 2 StPO darf die Vernehmung einer Person über Tatsachen, die sie wahrgenommen hat, nicht durch die Verlesung einer früheren Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. Ausnahmen hiervon sind abschließend in den §§ 251 ff. StPO geregelt.

[10] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die umfassende Aussage Müllers, mit der er die Angeklagten schwer belastete, u.a. durch das Versprechen diverser ungesetzlicher Vorteile unzulässig beeinflusst worden war (s. hierzu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 4 bis 19 zum Protokoll zum 20.7.1976, S. 10643 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag; s. zu den Vorwürfen der Verteidigung auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 305 ff.).

[11] Schily bezieht sich vermutlich auf folgende Stelle: „Der Freibeweis muss allerdings dem Strengbeweis weichen, soweit es sich um die Feststellung von Tatsachen handelt, die sowohl für die Entscheidung einer Verfahrensfrage als auch für die sachliche Entscheidung unmittelbar bedeutsam sind. Bei diesen doppel-relevanten Tatsachen sind die im Strengbeweis getroffenen Feststellungen auch den verfahrensrechtlichen Entscheidungen zugrunde zu legen.“ (Gollwitzer, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 2, 22. Aufl. 1971, § 244 Anm. II 3, kurz darauf auch in der 6. Lieferung der 23. Auflage, November 1976).

[12] Anlage 1 zum Protokoll vom 28.9.1976: Fernschreiben des Vorsitzenden Dr. Prinzing an das BKA Bonn zwecks Vernehmung des Zeugen KHK Wolf.

[13] Am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen Irmgard Möller und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Die Anklagevorwürfe betrafen u.a. das Geschehen um die versuchte Festnahme des RAF-Mitglieds Margrit Schiller, in deren Verlauf ein Polizeibeamter erschossen, ein weiterer verletzt wurde. Der getötete Polizeibeamter Norbert Schmid war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tatvorgang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Irmgard Möller wurde mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von viereinhalb Jahren, Gerhard Müller u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beteiligung an Bombenanschlägen und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29).

[14] Die Sicherungsgruppe ist eine Abteilung des Bundeskriminalamtes. Die SoKo B/M (Sonderkommission Baader/Meinhof) wurde 1971 als Teil der Sicherungsgruppe für Ermittlungen betreffend die RAF eingerichtet (Klaus, Sie nannten mich Familienbulle, 2008, S. 23).

[15] Für die Prüfung der Voraussetzungen des § 136a StPO wurde zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung wohl überwiegend das Freibeweisverfahren (auch für die Tatsacheninstanz) für ausreichend angesehen (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166; s. etwa Sarstedt, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 22. Aufl. 1971, § 136a Anm. 8). Die Rechtsprechung vertritt diesen Standpunkt weiterhin (BGH, Urt. v. 21.7.1994 - Az.: 1 StR 83/94, NJW 1994, S. 2904, 2905; BGH, Urt. v. 21.7.1998 - Az.: 5 StR 302/97, BGHSt 44, S. 129, 132; siehe auch Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 136a Rn. 32). Im Schrifttum mehren sich aber die Stimmen, die die teilweise oder sogar vollständige Anwendung des Strengbeweises fordern (für eine vollständige Anwendung des Strengbeweises s. Gleß, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 4/1, 27. Aufl. 2019, § 136a Rn. 77; für eine Anwendung des Strengbeweises in den Fällen, in denen die Aussage letztlich für die Straf- oder Schuldfrage verwertet werden soll s. Schuhr, in Knauer/Kudlich/Schneier [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 136a Rn. 99).

[16] Rechtsanwalt Schily hatte im Namen von Gudrun Ensslin vor dem VG Köln Klage auf Erteilung einer zuvor versagten Aussagegenehmigung erhoben; zudem hatte er einen entsprechenden Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (§ 123 VwGO) gestellt. Zum Antrag auf einstweilige Anordnung s. Anlage 2 zum Protokoll vom 31. August 1976 (S. 11426 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 141. Verhandlungstag).

[17] Ein Sperrvermerk kann nach § 96 StPO durch die oberste Dienstbehörde angebracht werden, wenn „das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“ (§ 96 StPO a.F.; entspricht heute § 96 Satz 1 StPO).

[18] Für die Akte 3 ARP 74/75 I betr. Gerhard Müller hatte der damalige Bundesjustizminister Vogel eine solche Sperrerklärung abgegeben (s. zu den Vorgängen und Vermutungen rund um diese Akte auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 368 ff.). Die Prüfung und Entscheidung darüber, die Sperrerklärung wieder aufzuheben, wurde später der Bundesanwaltschaft anvertraut (s. die Mitteilung des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 157. Verhandlungstag, S. 12215 des Protokolls der Hauptverhandlung). Erst am 158. Verhandlungstag gab die Bundesanwaltschaft schließlich nach erneuter Prüfung einen Großteil der Akte heraus (S. 12262 des Protokolls der Hauptverhandlung). Am 159. Verhandlungstag wurde schließlich ein Schreiben des Bundesjustizministers bekanntgegeben, in welchem die letzten noch geheimhaltungsbedürftigen Passagen konkretisiert wurden (s. Anlage 2 zum Protokoll vom 9.11.1976, S. 12306 des Protokolls der Hauptverhandlung, 159. Verhandlungstag).

[19] Anlage 1 a des Protokolls vom 28. September 1976: Urteil und Beschluss des VG Köln vom 15. September 1976 (wg.: Erteilung einer Aussagegenehmigung).

[20] Der Antrag auf Aufhebung der Sperrerklärung wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellt. Das Gericht sah darin eine unzulässige Klageänderung (§ 91 Abs. 1 VwGO), da die Beklagte der Änderung nicht zugestimmt habe und das Gericht sie auch nicht für sachdienlich halte. Für eine zulässige Verpflichtungsklage hätte die Klägerin zunächst außergerichtlich einen entsprechenden Antrag an die Beklagte stellen müssen, um dieser Gelegenheit zu geben, über die Aufhebung der Sperrerklärung zu entscheiden. Dieser Antrag könne als Klagevoraussetzung nicht im Klageverfahren nachgeholt werden (VG Köln, Urt. v. 15.9.1976 - Az.: 3 K 2289/76, Anlage 1a zum Protokoll vom 28. September 1976, zu Bl. 11698 des Protokolls der Hauptverhandlung, S. 6 des Urteils).

[21] Für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs s. auch BVerwG, Urt. v. 24.6.1982 - Az.: 2 C 91.81, BVerwGE 66, S. 39, 41.

[22] Ist die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts (hier: die Aussagegenehmigung) rechtswidrig, und wird der/die Kläger/in dadurch in seinen/ihren Rechten verletzt, sieht § 113 Abs. 4 VwGO a.F. (heute: Abs. 5) zwei mögliche Urteile vor: Das sog. Vornahmeurteil (§ 113 Abs. 4 Satz 1 StPO a.F.) verpflichtet die Verwaltungsbehörde unmittelbar zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die Sache spruchreif ist, d.h. die Sache durch das Gericht selbst entschieden werden kann und kein weiterer Entscheidungsspielraum der Behörde besteht. Andernfalls ergeht ein sog. Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 4 Satz 2 VwGO a.F.), das die Verwaltungsbehörde verpflichtet, den/die Kläger/in unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

[23] Lehnt der/die Vorsitzende die Ladung einer Person ab, so können Angeklagte die Person selbst unmittelbar laden (§ 220 Abs. 1 StPO). Für diese „präsenten Beweismittel“ enthielt § 245 StPO a.F. im Vergleich zu absenten Beweismitteln nur sehr eingeschränkte Ablehnungsgründe; die Ablehnung präsenter Beweismittel war nur möglich, wenn die Beweiserhebung unzulässig war oder nur zum Zwecke der Prozessverschleppung beantragt wurde. Für präsente Beweismittel bestand daher eine verstärkte Beweiserhebungspflicht des Gerichts (Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 32. Aufl. 1975, § 245 Anm. 1). Inzwischen wurde die Erstreckung der Beweisaufnahme auf präsente Beweismittel von einem vorherigen Beweisantrag abgängig gemacht, welcher in seinen Ablehnungsgründen denen für absente Beweismittel weiter angenähert wurde (§ 245 Abs. 2 StPO).

[24] § 62 Abs. 3 BBG a.F. (heute: § 68 Abs. 2 BBG) lautete: „Ist der Beamte Partei oder Beschuldigte in einem gerichtlichen Verfahren oder soll sein Vorbringen der Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen dienen, so darf die Genehmigung auch dann, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind, nur versagt werden, wenn die dienstlichen Rücksichten dies unabweisbar erfordern. Wird sie versagt, so hat der Dienstvorgesetzte dem Beamten den Schutz zu gewähren, die die dienstlichen Rücksichten zulassen.“

[25] Anders als Ermessensentscheidungen, die der Verwaltungsbehörde auf Rechtsfolgenseite einen gerichtlich nicht voll überprüfbaren Entscheidungsspielraum belassen (§ 114 VwGO), sind unbestimmte Rechtsbegriffe und ihre Tatsachengrundlage gerichtlich voll überprüfbar. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in Ansehung der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nur bei besonderer Komplexität oder Dynamik der Materie anzuerkennen (BVerfG, Beschl. v. 28.6.1983 - Az.: 2 BvR 539, 612/80, BVerfGE 64, S. 261, 279).

[26] Die einstweilige Anordnung selbst ist ein Vollstreckungstitel (§ 168 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) und damit aus sich heraus vollstreckbar. Sie hat daher den Vorteil, dass es für ihre Vollstreckbarkeit - anders als bei der Vollstreckung aus Urteilen (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) - keiner weiteren Voraussetzungen bedarf, die Entscheidung also weder rechtskräftig sein, noch für vorläufig vollstreckbar erklärt werden muss.

[27] Zur Möglichkeit der Verlesung nach § 256 StPO s. bereits Fn. 7. Entsprechende Erklärungen des Generalbundesanwalts Buback wurden am 141. und 142. Verhandlungstag verlesen. Sie sind enthalten in Anlage 3 zum Protokoll vom 31.8.1976, S. 11450 f. des Protokolls der Hauptverhandlung (141. Verhandlungstag), sowie in Anlage 8 zum Protokoll vom 8. September 1976, S. 11480 f. des Protokolls der Hauptverhandlung (142. Verhandlungstag).

[28] Gegen Urteile des Verwaltungsgerichtes sind die Rechtsmittel der Berufung (§§ 124 ff. VwGO) und der Revision (§§ 132 ff. VwGO) statthaft. Gegen die einstweilige Anordnung ist das Rechtsmittel der Beschwerde (§§ 146 ff. VwGO) statthaft. Zur Vollstreckbarkeit der einstweiligen Anordnung bereits vor Eintritt der Rechtskraft s. Fn. 26.

[29] Anlage 2 zum Protokoll vom. 28.9.76: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Vernehmung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback als Zeugen.

[30] Auch vor dem VG Hamburg waren eine Klage (nebst Antrag im einstweiligen Rechtsschutz) auf Erteilung einer Aussagegenehmigung anhängig (der Antrag im § 123 VwGO-Verfahren befindet sich in Anlage 1 zum Protokoll vom 21. September 1976, S. 11597 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 145. Verhandlungstag).

[31] Die zu befürchtenden Nachteile, die eine Sperrerklärung nach § 96 StPO ermöglichen, müssen sich auf das „Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes“ beziehen.

[32] Vor dem LG Kaiserslautern fand zu dieser Zeit die Verhandlung gegen die RAF-Mitglieder Manfred Grashof, Wolfgang Grundmann und Klaus Jünschke statt. Vorgeworfen wurden ihnen neben der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verschiedene Straftaten im Zusammenhang mit einem Banküberfall in Kaiserslautern am 22. Dezember 1971, bei dem der Polizeiobermeister Herbert Schoner erschossen wurde, sowie im Zusammenhang mit der Verhaftung von Grundmann und Grashof am 2. März 1972, bei der der Kriminalhauptkommissar Eckhart durch einen Schuss durch Grashof schwer verletzt wurde und schließlich am 22. März 1972 seinen Verletzungen erlag; dem Angeklagten Jünschke ferner die Beteiligung an der Herbeiführung der Explosion in Frankfurt am Main am 11.5.1972. Jünschke und Grashof wurden am 2.6.1977 je zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, Grundmann zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff., 322; s. zu den Tatvorwürfen und späteren Verurteilungen auch DER SPIEGEL, Ausgabe 24/77 vom 6.6.1977, S. 104).

[33] Anlage 3 zum Protokoll vom 28.9.76: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Verlesung des beigefügten Urteils des Oberlandesgerichts Athen vom 20.8.1976.

[34] Anlage 4 zum Protokoll vom 28.9.1976: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Vernehmung von Frau Prof. Noelle-Neumann als Zeugin.

[35] Die Fotografin Astrid Proll hatte bereits im Oktober 1967 im Zuge der Vietnam-Demonstration versucht, mit Baader einen Sprengstoff-Anschlag auf das Berliner Amerikahaus durchzuführen, der jedoch scheiterte. Zusammen mit Baader und Ensslin ging sie 1969 in den Untergrund. Anfang Mai 1971 wurde sie in Hamburg verhaftet. Während ihrer Einzelhaft in der JVA Köln-Ossendorf verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, sodass das Verfahren gegen sie vor dem LG Frankfurt im Herbst 1973 unterbrochen und sie im Februar 1974 schließlich wegen Haftunfähigkeit entlassen werden musste. Anschließend tauchte sie unter. Im September 1978 wurde sie schließlich in London verhaftet und im Sommer 1979 in die Bundesrepublik ausgeliefert, wo sie zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von fünfeinhalb Jahren verurteilt wurde. Da Proll bereits längere Zeit in Untersuchungshaft gesessen hatte, wurde ihr diese Zeit angerechnet und sie wurde auf Bewährung entlassen (Edschmid, Frau mit Waffe, 3. Aufl. 2014, S. 171 f.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 41; Kraushaar, Die blinden Flecken der RAF, 2017, S. 47, 150; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 125 f.).

[36] Anlage 5 zum Protokoll vom 28.9.1976: Antrag des Rechtsanwalts Schily auf Nichtanberaumung der Hauptverhandlung am 29.9.1976 nebst Ladung des AG Berlin-Tiergarten.

[37] Grundsätzlich haben die Verfahrensbeteiligten bis zum Beginn der Urteilsverkündung das Recht, Beweisanträge zu stellen, das Gericht ist zur Entgegennahme verpflichtet (BGH, Urt. v. 3.8.1966 - Az.: 2 StR 242/66, BGHSt 21, S. 118, 123). Beweisanträge, die zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt werden, konnten allerdings nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. abgelehnt werden. Der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppung wurde mit Wirkung zum 13.12.2019 durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (BGBl. I, S. 2121) aufgehoben; was allerdings nicht zur Folge hat, dass derartige Anträge nun ungehindert gestellt werden könnten; vielmehr sieht § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO vor, dass ein solcher Antrag nun gar nicht mehr durch förmlichen Beschluss abgelehnt werden muss. Zudem wurde mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017 (BGBl. I, S. 3202) die Möglichkeit geschaffen, Beweisanträge, die nach Ablauf einer zuvor gesetzten Frist gestellt werden, erst im Urteil zu bescheiden (§ 244 Abs. 6, Satz 2-5 StPO). Hierdurch sollte der Umgang mit verfahrensverzögernden Beweisanträgen vereinfacht werden (s. die Begründung in BR-Drs. 796/16, S. 34).

[38] Die Verteidigung bestand aus zwei „Lagern“: Zum einen den Vertrauensverteidiger/innen, die von den Angeklagten ursprünglich frei gewählt (§§ 137, 138 StPO) und ihnen z.T. als Pflichtverteidiger/innen beigeordnet worden waren (§ 141 StPO); zum anderen den von den Angeklagten sog. Zwangsverteidigern, die ihnen durch das Gericht gegen ihren Willen zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden waren. Die Hauptverhandlung konnte daher trotz grundsätzlich notwendiger Verteidigung (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 StPO) auch bei Abwesenheit der Vertrauensverteidigung weitergeführt werden. Die Angeklagten weigerten sich allerdings, mit den von ihnen abgelehnten Verteidigern zu sprechen. Die Zweiteilung der Verteidigung wurde auch räumlich sichtbar: Während die Vertrauensverteidigung bei den Angeklagten Platz nehmen konnte, saßen die von den Angeklagten abgelehnten Verteidiger ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Saales, neben den Vertretern der Bundesanwaltschaft (s. auch die Skizze in Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 185).

[39] Die Voraussetzungen eines Beweisantrages wurden erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2121) gesetzlich normiert. Nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO liegt ein Beweisantrag vor, „wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.“ Damit wurden die Anforderungen, die sich bereits in der Rechtsprechung entwickelt hatten, weitestgehend übernommen (s. etwa BGH, Urt. v. 23.1.1951 - Az.: 1 StR 37/50, BGHSt 1, S. 29, 31; BGH, Urt. v. 7.5.1954 - Az.: 2 StR 27/54, BGHSt 6, S. 128, 129; BGH, Urt. v. 12.8.1960 - Az.: 4 StR 48/60, NJW 1960, S. 2156, 2157). § 244 Abs. 3 StPO bezieht sich auf das sog. Strengbeweisverfahren. Im Freibeweis (Fn. 8) entscheidet das Gericht über den Umfang der Beweisaufnahme nach pflichtgemäßem Ermessen (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 17). Damit finden insbesondere die abschließenden Ablehnungsgründe für Beweisanträge (§ 244 Abs. 3 bis 5 StPO) keine Anwendung; stattdessen kann das Gericht entsprechende „Anträge“ auch aus anderen Gründen ablehnen (s. auch Trüg/Habetha, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 2, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 46, wonach Beweisanträgen im Freibeweis lediglich die Qualität einer Beweisanregung zukomme).

[40] Zur verstärkten Beweiserhebungspflicht im Falle präsenter Beweismittel s. bereits Fn. 23. Die Ablehnungsgründe für präsente Beweismittel (§ 245 StPO a.F.: Unzulässigkeit oder Prozessverschleppung) zeigten gerade im Vergleich mit den Ablehnungsgründen für absente Beweismittel nach § 244 Abs. 3 StPO, dass hierbei für eine inhaltliche Bewertung des präsenten Beweismittels grundsätzlich kein Raum war. Weder die völlige Ungeeignetheit, noch die Bedeutungslosigkeit für die Entscheidung kamen als Ablehnungsgründe in Betracht. Allerdings entschied der BGH bereits 1961, dass die Beweiserhebung als unzulässig anzusehen sei, wenn „ein Beweisangebot bei verständiger Beurteilung die Wahrheitsermittlung schlechterdings nicht beeinflussen“ könne: „Auch die Vorschrift des § 245 StPO dient nicht dazu, dem Gericht eine nach Art und Inhalt des Beweisthemas unsinnige und unverständige ‚Beweiserhebung‘ aufzunötigen, wie sie Bestrebungen nicht Vorschub leisten will, die nur auf Verfahrensverschleppung oder auf Fortsetzung der Straftat vor Gericht hinauslaufen. Ist eine Behauptung nach vernünftigem Denken keinerlei Beweis zugänglich, dann fehlt dem Beweisantritt die Sachzugehörigkeit; denn die Wahrheitsermittlung ist auf diesem Wege von vornherein ausgeschlossen“ (BGH, Urt. v. 12.12.1961 - Az.: 3 StR 35/61, BGHSt 17, S. 28, 30).

[41] Rolf Pohle war ein linker Aktivist aus München. 1969 wurde er aufgrund seiner Teilnahme an den Osterunruhen nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke zu 15 Monaten Haft (ohne Bewährung) verurteilt, jedoch im Rahmen der „Brandt-Amnestie“ wieder freigelassen. Nachdem ihm aufgrund seiner Vorstrafe jedoch die Zweite Juristische Staatsprüfung verwehrt blieb, bewegte er sich ab 1970/71 im Umfeld der militanten Münchner Formation „Tupamaros München“. Am 18. Dezember 1971 wurde er verhaftet, als er versuchte, mit einem gefälschten Ausweis Waffen zu erwerben und im März 1974 wegen illegalen Waffenbesitzes und aufgrund seiner angeblichen Zugehörigkeit zur RAF wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe in Höhe von fast sechseinhalb Jahren verurteilt. Er gehörte zu denjenigen Insass/innen, die 1975 durch die Lorenz-Entführung in den Südjemen ausgeflogen wurden. Er verließ den Jemen aber und ging nach Griechenland, wo er 1976 verhaftet wurde. Zunächst lehnten griechische Behörden und Gerichte eine Überstellung in die Bundesrepublik ab. Pohles Auslieferung wurde zum Skandal, als sich viele Unterstützer/innen in Griechenland mit Parolen wie „Übergebt Pohle nicht den Nazis!“ mobilisierten und der Fall vor dem obersten Gericht für Zivil- und Strafsachen (Areopag) verhandelt wurde. Letztlich wurde Pohle im Oktober 1976 ausgeliefert und in die JVA Straubing verlegt. Pohle bestritt bis zu seinem Tod seine Mitgliedschaft in der RAF und wird von der aktuellen Forschung eher der im Entstehen befindlichen Bewegung 2. Juni zugerechnet (Danyluk, Blues der Städte, 2019, S. 513 f.; Hocks, in Kiesow/Simon [Hrsg.], Vorzimmer des Rechts, 2006, S. 129 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 Anm. 56; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 388 f.).

[42] Wegen Hochverrats nach § 81 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, „[w]er es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt 1. Den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder 2. Die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern“. Dass die Anklagevorwürfe in diesem Verfahren den Tatbestand des Hochverrats ausklammerten, gab Anlass für einige Diskussionen. Dabei ging es in erster Linie um die Einordnung des Verfahrens als „politischer Prozess“. Bundesanwalt Dr. Wunder führte bereits am 21. Verhandlungstag aus, es handele sich schon allein deswegen um kein politisches, sondern ein „normales“ Strafverfahren, da keine Taten aus dem Ersten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB angeklagt seien (S. 1685 des Protokolls der Hauptverhandlung, 21. Verhandlungstag). Der Erste Abschnitt, der überschrieben ist mit „Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats (§§ 80-92b)“ enthält Straftaten, die in besonderem Maße politisch motiviert sind.

[43] Rechtsanwalt Schily war zwar ursprünglich gewählter Verteidiger (§§ 137, 138 StPO), noch vor Beginn der Hauptverhandlung aber der Angeklagten Ensslin als Pflichtverteidiger beigeordnet worden (s. bereits Fn. 38).

[44] § 230 StPO lautet: „Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt“ (Abs. 1). „Ist das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt, so ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen“ (Abs. 2). Auch ohne Hauptverhandlung kann bei Vergehen (Mindestfreiheitsstrafe von max. einem Jahr, § 12 Abs. 2 StGB) allerdings auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe mittels Strafbefehls festgesetzt werden (§§ 407 ff. StPO). Dies ist auch in Abwesenheit des/der Angeklagten möglich.

[45] Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO). Damit trifft die Aufklärungspflicht das Gericht unabhängig von Anträgen der Verfahrensbeteiligten.

[46] Ein gerichtliches Urteil erwächst in (formeller) Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen erhoben werden kann, es also im selben Verfahren unanfechtbar geworden ist. Dies ist der Fall, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/1, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27).

[47] Der Zeuge Dierk Hoff hatte in seiner Werkstatt einige der später von der RAF verwendeten Sprengkörperhüllen hergestellt. Er wurde als einer der Hauptbelastungszeugen ab dem 68., sowie am 98. Verhandlungstag vernommen. Gerhard Müller hatte während seiner Aussage in diesem Verfahren seine Angabe, er würde den Zeugen Hoff nicht kennen, korrigiert (S. 10407 des Protokolls der Hauptverhandlung, 126. Verhandlungstag). Die Verteidigung versuchte u.a. nachzuweisen, dass dies bereits den Ermittlungsbehörden bekannt gewesen sei und eine anderslautende Protokollierung in der Absicht erfolgt sei, die Widersprüche zwischen den Aussagen beider Zeugen zu verschleiern (so die Beweisbehauptung im Antrag auf Vernehmung des Generalbundesanwalts, S. 10649 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag).

[48] Anlage 6 zum Protokoll vom 28. September 1976: Beschluss des LG Kaiserslautern vom 12. Dezember 1974 (Az.: 1 AK 34/74).

[49] § 251 StPO enthält Ausnahmen für das in § 250 Satz 2 StPO verankerte Verbot der vernehmungsersetzenden Verlesung früherer Erklärungen, darunter in § 251 Abs. 2 StPO a.F. für den Fall, dass der/die Zeug/in in absehbarer Zeit gerichtlich nicht vernommen werden kann (heute: § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO).

[50] S. bereits die Fn. 8 und 9.

[51] Anlage 7 zum Protokoll vom 28. September 1976: Antrag des Rechtsanwalts Schily (nicht lesbar).

[52] Anlage 8 zum Protokoll vom 28. September 1976: Ergänzung des Beweisantrages auf Vernehmung des Zeugen Wolf durch Rechtsanwalt Dr. Heldmann.

[53] § 54 Abs. 1 StPO stellt sicher, dass die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht auch im Falle einer Vernehmung als Zeug/in in einem Strafprozess fortbesteht.

[54] Der BGH entschied, dass das Revisionsgericht die Voraussetzungen der Unverwertbarkeit einer Aussage nach § 136a Abs. 3 StPO im Wege des Freibeweises feststellen könne, da es nicht um „den Inhalt des für die Schuldfrage bedeutsamen Geständnisses, sondern um die Art, wie es zustande gekommen ist, also um die Feststellung eines Verfahrensfehlers“ gehe (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166 f.).

[55] Dort heißt es: Ob ein Verstoß gegen § 136a vorliegt, hat der Tatrichter gegebenenfalls unter Benutzung aller erreichbaren Beweismittel [...] aufzuklären. Die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) gilt insoweit entsprechend [...]. Da es sich um die Feststellung prozeßerheblicher Tatsachen handelt, die nicht den Inhalt der für die Schuld- oder Straffrage bedeutsamen Aussage betreffen, sondern nur die Art ihres Zustandekommens, ist nach den Grundsätzen des Freibeweises zu verfahren [...]“ (Meyer, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 23. Aufl. 1976, § 136a Rn. 53). S. aber auch Fn. 11.

[56] Als doppelrelevante Tatsachen werden solche Tatsachen bezeichnet, die sowohl für eine (grundsätzlich im Freibeweis zu klärende) Verfahrensfrage als auch für die Sachentscheidung, für die der Strengbeweis gilt, unmittelbar relevant sind. In diesem Fall sind die im Strengbeweis ermittelten Feststellungen auch für die Verfahrensfrage heranzuziehen (Becker, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 6, 27. Aufl. 2019, § 244 Rn. 34).

[57] Gemeint ist eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 1 StPO). Die Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters/einer Richterin zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).

[58] Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit hatte nach damaliger Rechtslage zur Folge, dass der/die abgelehnte Richter/in vorläufig amtsunfähig wurde und damit ab dem Zeitpunkt der Ablehnung nicht mehr an Entscheidungen mitwirken durfte; eine Ausnahme galt nur für unaufschiebbare Handlungen (§ 29 StPO a.F.). Unaufschiebbar ist eine Handlung dann, wenn sie wegen ihrer Dringlichkeit nicht aufgeschoben werden kann, bis ein/e Ersatzrichter/in eintritt (BGH, Beschl. v. 3.4.2003 - Az.: 4 StR 506/02, BGHSt 48, S. 264, 265; BGH, Urteil vom 14.2.2002 - Az.: 4 StR 272/01, NStZ 2002, S. 429, 430). Nachdem zwischenzeitliche Gesetzesänderungen weitere Mitwirkungsmöglichkeiten u.a. bei in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungen ermöglichten, wurde das Verfahren nach einer Ablehnung durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 (BGBl. I, S. 2121) grundlegend neu geregelt. Nach § 29 Abs. 1 StPO sind zwar weiterhin nur unaufschiebbare Handlungen gestattet; die Hauptverhandlung wird aber nach § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO gesetzlich als unaufschiebbar eingeordnet. Bis zur Entscheidung über die Ablehnung (Frist: zwei Wochen, Abs. 3) findet diese nun unter Mitwirkung des/der abgelehnten Richter/in statt. Wird die Ablehnung für begründet erklärt, ist der seit Anbringung des Ablehnungsgesuchs durchgeführte Teil der Hauptverhandlung zu wiederholen, es sei denn, dies ist nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand möglich (Abs. 4).

[59] Die Ablehnung von Richter/innen wegen Besorgnis der Befangenheit muss in diesem Stadium der Hauptverhandlung unverzüglich, also „ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung“ (BGH, Urt. v. 10.11.1967 - Az.: 4 StR 512/66, BGHSt 21, S. 334, 339) erfolgen; andernfalls wäre sie nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO wegen Verspätung als unzulässig zu verwerfen. Zulässig ist allerdings, zunächst noch abzuwarten, ob sich der Eindruck der Befangenheit verfestigt (OLG München, Beschl. v. 22. 11. 2006 - Az.: 4 St RR 182/06, NJW 2007, S. 449, 451).

[60] Der Grund, aus welchem Richter/innen abgelehnt werden, muss nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht sie für überwiegend wahrscheinlich hält (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 26 Rn. 7). Die Glaubhaftmachung erfordert damit eine geringere Form der Überzeugung als der sog. Vollbeweis. Die Glaubhaftmachung genügt nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich zulässt. Mittel der Glaubhaftmachung kann auch das Zeugnis des/der abgelehnten Richter/in sein (§ 26 Abs. 2 Satz 3 StPO).

[61] Gegen das Urteil des LG Hamburg vom 16.3.1976 (Fn. 13) hatte Gerhard Müller zunächst das Rechtsmittel der Revision eingelegt. Da die Frist zur Einlegung einer Revision (eine Woche ab Verkündung des Urteils, § 341 Abs. 1 StPO) für die Staatsanwaltschaft allerdings bereits abgelaufen war und § 358 Abs. 2 StPO ein Verbot der Schlechterstellung im Rahmen der Revision für den Fall enthält, dass nur der/die Angeklagte Revision eingelegt hat, hatte der Zeuge Müller eine Verschlechterung seiner Situation, etwa durch Erhöhung des Strafmaßes, auch vor Rücknahme seiner Revision kaum noch zu befürchten. Weitere Rechtsmittel stehen gegen ein Urteil des Landgerichts nicht zur Verfügung; ein erneutes Verfahren wegen der abgeurteilten Taten ist nach Art. 103 Abs. 3 GG ausgeschlossen. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten des/der Verurteilten besteht nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen (§ 362 StPO).

[62] § 223 StPO ermöglicht die Vernehmung durch eine/n ersuchte/n oder beauftragte/n Richter/in, wenn dem Erscheinen von Zeug/innen in der Hauptverhandlung nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, oder ihnen das Erscheinen wegen großer Entfernungen nicht zugemutet werden kann.

[63] Der Schlosser Karl-Heinz Ruhland wurde im Dezember 1970 verhaftet. Erst wenige Monate zuvor hatte Ruhland wohl aus Geldsorgen begonnen, die RAF mit dem Frisieren gestohlener Autos zu unterstützen. Am 29. September 1970 beteiligte sich Ruhland an den Berliner Banküberfällen. Bis zu seiner Verhaftung kundschaftete er u.a. gemeinsam mit Meinhof und Jansen mögliche Einbruchsziele aus und beging Diebstähle. In mehreren Verfahren gegen RAF-Mitglieder fungierte Ruhland, der sich von der RAF losgesagt hatte, als umstrittener Belastungszeuge. Mit Urteil vom 15.3.1972 wurde er vom OLG Düsseldorf wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; nach nur zweieinhalb Jahren wurde er vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann begnadigt. Im Laufe seiner verschiedenen Aussagen verstrickte er sich in zahlreiche Widersprüche (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 243 ff., 253 ff., 260, 271 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 243 ff.). Rechtsanwalt Heinrich Hannover bezeichnete ihn auch als „berühmtesten oder richtiger ruhmlosesten aller bisherigen Kronzeugen“ (Hannover, Terroristenprozesse, 1991, S. 140).

[64] Bereits im Februar 1973 wurde Rechtsanwalt und RAF-Mitglied Horst Mahler vom Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt. In einem weiteren Verfahren wurde er für seine Beteiligung an der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 im November 1974 vom LG Berlin unter Einbeziehung der früheren Haftstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff., 384.).

[65] Gerhard Müller wurde zusammen mit Ulrike Meinhof am 15. Juni 1972 in einer Wohnung in Langenhagen (Region Hannover) verhaftet (s. dazu die Beweisaufnahme am 59. Verhandlungstag). Der Vorwurf des versuchten Mordes dürfte sich darauf beziehen, dass Müller bei seiner Verhaftung versucht haben soll, seine Schusswaffe zu ergreifen. Hierzu kam es aufgrund des schnellen Eingreifens der Polizeibeamten nicht mehr (s. Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 297 f.).

[66] Das Verbot der Beweisantizipation untersagt eine prognostische Beurteilung des einem Beweismittel mutmaßlich zukommenden Beweiswerts (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 127). Dieses Verbot gilt nicht uneingeschränkt. Eine gewisse Vorwegnahme der Beurteilung ist für die tatrichterliche Prozessführung unvermeidlich. Im Anwendungsbereich der allgemeinen Aufklärungspflicht wird eine solche Prognose für zulässig gehalten, wenn das Gericht diese in einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Aspekte berücksichtigenden Argumentation rechtfertigen kann (Krehl, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. (2019), § 244 Rn. 129). Der Bundesgerichtshof geht so weit, zu statuieren, dass in diesem Bereich das Antizipationsverbot schon keine Anwendung finde (BGH, Beschl. v. 5.9.2000 - Az.: 1 StR 325/00, NJW 2001, S. 695, 696: „Der Tatrichter darf also seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären.“). Das Tatgericht darf dementsprechend auf die Erkenntnisse der bisherigen Beweisaufnahme zurückgreifen, um seine Entscheidung zu begründen.

[67] Die Ablehnung ist nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig zu verwerfen, wenn „durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“.

[68] Der Verteidigung ist auf Verlangen - ebenso wie der Staatsanwaltschaft - nach § 257 Abs. 2 StPO nach jeder einzelnen Beweiserhebung die Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären.

[69] Anlage 9 zum Protokoll vom 28.9.1976: Fernschreiben vom 28.9.1976 über die Vernehmung des KHK Wolf.

[70] S. Fn. 27.

[71] Ein Beweisantrag erfordert grundsätzlich die hinreichende Konkretisierung sowohl der zu beweisenden Tatsache als auch des Beweismittels (s. bereits Fn. 39). Ein Beweisermittlungsantrag liegt hingegen vor, wenn entweder die Beweistatsache oder das Beweismittel nicht hinreichend konkretisiert ist. Die Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, da § 244 Abs. 3-6 StPO begrenzte und abschließende Ablehnungsgründe für Beweisanträge enthält. Liegt keiner dieser Ablehnungsgründe vor, ist dem Beweisantrag zu entsprechen. Beweisermittlungsanträge berücksichtigt das Gericht hingegen nur nach § 244 Abs. 2 StPO im Rahmen seiner allgemeinen Aufklärungspflicht, die Ablehnung eines Beweisermittlungsantrags ist nicht auf die Gründe des § 244 Abs. 3-6 StPO beschränkt.

[72] S. Fn. 41.

[73] Fn. 40.

[74] Mit Urteil vom 3.7.1973 entschied der BGH, dass es unzulässig sei, Beweis darüber zu erheben, wie andere Gerichte vergleichbare Taten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beurteilt und die Strafen bemessen hätten. Da durch eine solche Beweiserhebung die Wahrheitsfindung im zu entscheidenden Fall nicht beeinflusst werden dürfe, gehöre sie auch nicht zur Sache. Jeder Fall habe tat- und täterbezogene Eigenheiten, die das Tatgericht selbst zu beurteilen habe (BGH, Urt. v. 3.7.1973 - Az.: 5 StR 166/73, BGHSt 25, S. 207, 208).

[75] Gerhard Müller war in der Anklageschrift noch nicht als Beweismittel vorgesehen. Erst am 118. Verhandlungstag stellte Bundesanwalt Dr. Wunder den Beweisantrag, Gerhard Müller als Zeugen zu vernehmen (S. 10035 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[76] Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Die Verhandlungsunfähigkeit bildet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO). Eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit kann durch die Anordnung besonderer Maßnahmen (ärztliche Unterstützung, Einlegung von Erholungspausen o.ä.) begegnet werden. Bei vorsätzlicher und schuldhafter Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit kann die Hauptverhandlung in Abwesenheit des/der Angeklagten durchgeführt werden (§ 231a StPO).

[77] Die vollständige Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten wurde durch die Verteidigung seit Beginn der Hauptverhandlung immer wieder bestritten. Nach umfangreichen und teils heftigen Auseinandersetzungen beauftragte das Gericht mit Beschluss vom 18.7.1975 schließlich eine Kommission aus Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen mit der Begutachtung der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten (zur Chronologie der Beauftragungen der verschiedenen Gutachter s. die Ausführungen des Rechtsanwalts von Plottnitz am 26. Verhandlungstag, S. 2093 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Die abschließenden Gutachten, die am 39. Verhandlungstag bekannt gegeben wurden, legten eine zeitlich beschränkte Verhandlungsfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit nahe. Daraufhin verkündete der Vorsitzende Dr. Prinzing am 40. Verhandlungstag den Senatsbeschluss, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortgeführt werde (s. bereits Fn. 1). Nach § 231a StPO ist dies möglich, wenn die Angeklagten noch nicht zur Anklage vernommen wurden, sie sich vorsätzlich und schuldhaft in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt haben und das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält. Dass die Angeklagten ihren Zustand selbst verschuldet hätten, stützte der Senat auf zwei Aspekte: Zum einen seien die Hungerstreiks mitursächlich für ihren Zustand, insofern hätten die Angeklagten diesen vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt (S. 3128 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag). Zum anderen seien auch die Haftbedingungen, die einer Besserung des Zustandes nach Auffassung etwa des Sachverständigen Prof. Rasch entgegenstünden, dem Verantwortlichkeitsbereich der Angeklagten zuzuordnen. Sie hätten gewusst, dass die Beeinträchtigungen des Hungerstreiks unter den bekannten Haftbedingungen nicht zu beheben seien; zudem verweigerten sie sich der Behandlung (S. 3138 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag).

[78] Susanne Mordhorst arbeitete bei der italienischen Zeitschrift „Controinformazione“, die dem Umfeld der italienischen Terrorgruppe Rote Brigaden zugerechnet wird. Mordhorst spielte als Kontaktperson eine wichtige Rolle bei der Kommunikation und Organisation zwischen den deutschen und italienischen Sektionen des Internationalen Komitees zur Verteidigung politischer Gefangener in Westeuropa (IVK). Als Mordhorst 1976 als mutmaßliches RAF-Mitglied eine Verhaftung in Italien und die Auslieferung in die Bundesrepublik drohten, heiratete sie kurz vorher den italienischen Staatsbürger Michele Stasi und entging damit einer Auslieferung (Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 189, 393 ff.).

[79] § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. (heute: § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) ermöglicht die Wahrunterstellung für erhebliche Tatsachen, die zur Entlastung der Angeklagten bewiesen werden sollen.

[80] Anlage 10 zum Protokoll vom 28.9.1976: Vermerk des Bundeskriminalamtes vom 28.9.1976 (TE 13): Aufenthaltsermittlung betr. Susanne Mordhorst.

[81] Die Möglichkeit, die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten im Falle der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, besteht nur, soweit das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält (§ 231a Abs. 1 Satz 1 StPO).

[82] S. Fn. 38.

[83] § 137 Abs. 1 StPO lautet: „Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Die Zahl der gewählten Verteidiger darf drei nicht übersteigen“. Die Mandatsverhältnisse in der Wahlverteidigung änderten sich während der Hauptverhandlung mehrfach. Zu diesem Zeitpunkt dürften für den Angeklagten Raspe jedenfalls noch die Rechtsanwälte Hoffmann und Weidenhammer als Wahlverteidiger tätig gewesen sein. Eine Weile nahm auch Rechtsanwalt von Plottnitz nach seiner Entpflichtung (die Verfügung vom 7.11.1975 ist abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 70 ff.) noch als Wahlverteidiger an der Hauptverhandlung teil. Mit Schreiben vom 21.4.1976 teilte er dem Gericht schließlich mit, dass er den Angeklagten Raspe nicht mehr verteidige (so der Vorsitzende Dr. Prinzing am 103. Verhandlungstag, S. 9127 des Protokolls der Hauptverhandlung).


[a] Handschriftlich eingefügt: - - - -

[b] Maschinell eingefügt: die

[c] Handschriftlich eingefügt: - - - -

[d] Maschinell ergänzt: einmal

[e] Maschinell eingefügt: jetzt

[f] Maschinell eingefügt: so auch

[g] Maschinell eingefügt: es

[h] Maschinell eingefügt: oder

[i] Maschinell ersetzt: ... durch hat

[j] Maschinell ersetzt: ... durch keiner Erwiderung

[k] Handschriftlich durchgestrichen: also

[l] Maschinell ersetzt: des durch von

[m] Maschinell ersetzt: nun durch jetzt

[n] Maschinell durchgestrichen: Bundesjustizminister

[o] Maschinell eingefügt: der Justiz

[p] Maschinell durch * eingefügt: - vgl. hierzu Anlage 1 a des Protokolls -

[q] Maschinell eingefügt: es

[r] Handschriftlich eingefügt: ist

[s] Maschinell durch * eingefügt: (in Ablichtung)

[t] Handschriftlich eingefügt: (zu RA Schily)

[u] Handschriftlich durchgestrichen: ihm

[v] Maschinell durchgestrichen: zum Protokoll vom 28.9.1976

[w] Handschriftlich durchgestrichen: in Fotokopie

[x] Maschinell eingefügt: er

[y] Maschinell eingefügt: der

[z] Maschinell eingefügt: man

[aa] Handschriftlich eingefügt: in

[bb] Handschriftlich durchgestrichen: und

[cc] Handschriftlich ergänzt: Tatsachenbehauptungen

[dd] Handschriftlich eingefügt: - - -

[ee] Maschinell eingefügt: doch

[ff] Handschriftlich durchgestrichen: hier

[gg] Maschinell eingefügt: ist

[hh] Maschinell eingefügt: die

[ii] Maschinell ersetzt: dieses durch wie sie das

[jj] Maschinell eingefügt: sehr

[kk] Maschinell eingefügt: hätten

[ll] Handschriftlich ersetzt: da durch gar

[mm] Maschinell ersetzt: möglich durch nötig

[nn] Handschriftlich ergänzt: jedoch

[oo] Maschinell eingefügt: dem

[pp] Maschinell eingefügt: sie

[qq] Maschinell durchgestrichen: sich

[rr] Maschinell eingefügt: nicht

[ss] Maschinell ersetzt: den durch als

[tt] Handschriftlich eingefügt: als

[uu] Handschriftlich ersetzt: der durch des

[vv] Handschriftlich eingefügt: - - -

[ww] Maschinell eingefügt: Dann darf ich darauf hinweisen, daß ich

[xx] Handschriftlich eingefügt: - - -

[yy] Handschriftlich eingefügt: - - -

[zz] Handschriftlich eingefügt: - - -

[aaa] Maschinell eingefügt: Zeit