[11768] Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, 5. Oktober 1976, um 9.03 Uhr
(149. Verhandlungstag)
Gericht und Bundesanwaltschaft erscheinen in derselben Besetzung wie am 1. Verhandlungstag.
Als Urkundsbeamte sind anwesend:
JOS Janetzko und Just. Assistent Clemens.
Die Angeklagten sind nicht anwesend.[1]
Als deren Verteidiger sind anwesend RAe.
Geulen (als Vertreter für RA Schily), Dr. Augst (als Vertreter für RA Eggler), Künzel, Schnabel, Schwarz, Schlaegel und Grigat.
Vors.:
Ich bitte Platz zu nehmen.
Wir setzen die Sitzung fort.
Herr Rechtsanwalt Eggler wird durch Herrn Rechtsanwalt Dr. Augst vertreten. Die Vertretung wird genehmigt.
Herr Rechtsanwalt Geulen für Herrn Rechtsanwalt Schily.
Herr Rechtsanwalt Dr. Heldmann wird sich um weniges verspäten.
Es haben gestern Gespräche zum Ergebnis geführt, daß heute kein Antrag auf Vernehmung des Zeugen Pohle gestellt, wohl aber dieser Antrag für einen späteren Zeitpunkt vorbehalten wird.
Damit kann ich dann der Bundesanwaltschaft, Herrn Bundesanwalt Dr. Wunder, das Wort erteilen.
RA Geu[len]:
Ich habe zuvor noch eine technische Vorfrage.
Ich wüßte gerne, ob dem Gericht, sei es durch eigene Protokollanten oder sei es durch irgendwelche Schriftstücke der [11769] Bundesanwaltschaft, das Plädoyer der Bundesanwaltschaft zugänglich gemacht wird, also ob Sie es mitprotokollieren bzw. ob die Bundesanwaltschaft Ihnen ihre Konzepte zur Verfügung stellt. Ich frage das deswegen, weil in diesem Falle natürlich auch wir Abschriften davon gerne haben wollen.
Vors.:
Es ist in dieser Richtung nichts vorgesehen, daß das Gericht über diese Manuskripte oder diese Schriftsätze verfügen würde. Wir selbst werden uns das, was uns wichtig erscheint, notieren. Die Urkundsbeamten sind beauftragt, in geringem Umfang inhaltlich ungefähr festzuhalten, was gesprochen wird. Daß natürlich kein Wortprotokoll geführt werden kann, das ist ganz selbstverständlich, sondern nur eine zusammenfassende Darstellung, die aber nicht zum Gegenstand des Inhalts der Tonbandniederschriften werden wird, da die Bundesanwaltschaft nach wie vor nicht einverstanden ist, daß wir ein Tonbandgerät während der Ausführungen laufen lassen.[2]
Da bin ich doch richtig informiert?
BA Dr. Wu[nder]:
Wir bleiben bei unseren Erklärungen, die wir kürzlich abgegeben haben.
RA Geu[len]:
Und es werden dem Gericht auch keine Manuskripte der Bundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt? - bzw. wenn das gemacht werden sollte, würde ich bitten, daß uns davon Abschriften zugänglich gemacht werden.
Vors.:
Die Frage ist also an die Bundesanwaltschaft zu richten. Das Gericht hat keine Kenntnis, daß solches geschehen soll und ich wüßte auch nicht, warum es geschehen soll.
RA Geu[len]:
Ja, danke.
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft erhalten nunmehr zu ihren Ausführungen das Wort.
Bundesanwalt Dr. Wunder plädiert in der Zeit von 9.05 Uhr - 9.45 Uhr.
Pause von 9.45 Uhr - 10.06 Uhr
[11770] Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung um 10.06 Uhr ist RA Geulen nicht mehr anwesend.
Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft wird nunmehr durch OStA Zeis fortgesetzt.
Während der Ausführungen von OStA Zeis:
RA Dr. Heldmann erscheint um 10.10 Uhr im Sitzungssaal.
BuAnw. Dr. Wunder verläßt in der Zeit von 10.11 Uhr - 10.12 Uhr den Sitzungssaal.
RA Geulen erscheint wieder um 10.20 Uhr im Sitzungssaal.
Pause von 11.12 Uhr - 11.25 Uhr
Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung ist BuAnw. Dr. Wunder nicht mehr anwesend.
OStA Zeis setzt seine Ausführungen fort.
BuAnw. Dr. Wunder erscheint wieder um 11.27 Uhr im Sitzungssaal.
Pause von 12.25 Uhr - 14.31 Uhr
Ende von Band 692.
[11771] Fortsetzung der Hauptverhandlung um 14.31 Uhr.
Für RA Dr. Augst ist nunmehr RA Eggler anwesend.
RAe Dr. Heldmann und Geulen sind nicht mehr anwesend.
Vors.:
Wir können die Sitzung fortsetzen.
Herr Bundesanwalt Widera, Sie haben das Wort.
Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft wird nunmehr durch Reg. Dir. Widera fortgesetzt.
Während der Ausführungen von Reg. Dir. Widera:
RAe Dr. Heldmann und Geulen erscheinen wieder um 14.33 Uhr im Sitzungssaal.
Nach Beendigung der Ausführungen von Reg. Dir. Widera um 15.48 Uhr erklärt der Vorsitzende:
Ich schließe daraus, daß Ihre für heute vorgesehenen Ausführungen zu Ende sind. Ich glaube, es hat keinen Sinn mehr, weitere Ausführungen heute anzureißen, anzufangen, so daß wir für heute Schluß machen. Die Bundesanwaltschaft wird morgen früh - nehme ich an - mit einem neuen Abschnitt beginnen.
Darf ich vielleicht noch vorsorglich für die beteiligten Herren Anwälte fragen: Ergeben sich nach dem bisherigen Ablauf Aussichten, daß wir morgen und übermorgen mit den Plädoyers zu Ende kommen?
Herr Bundesanwalt Dr. Wunder.
[11772] BA Dr. Wu[nder]:
Herr Vorsitzender, es sieht so aus.
Wir haben also für morgen vorgesehen den Sprengstoffanschlag Augsburg-München,[3] der in einem Komplex zusammen von Herrn Kollegen Holland behandelt wird. Karlsruhe[4] wird dann etwas weniger zeitraubend sein. Anschließend dann Hamburg,[5] wahrscheinlich erst im Laufe des Nachmittags, und Heidelberg,[6] so daß wir dann am Donnerstag, wenn wir morgen mit diesem Programm durchkämen, die Festnahmen in Frankfurt,[7] die Festnahme in Hamburg,[8] einen Teil des „129“,[9] die Fortsetzung der kriminellen Vereinigung aus der Haft heraus und die eigentlichen Anträge mit rechtlicher Würdigung am Donnerstagnachmittag hätten. So etwa sieht unser Fahrplan aus.
Vors.:
Das würde also bedeuten, daß die vorsorgliche Inanspruchnahme des Freitagvormittags möglicherweise - sogar mit überwiegender Wahrscheinlichkeit - nicht notwendig sein wird. Die Herren Verteidiger werden sich darauf sicher gerne einrichten.
Wir setzen morgen früh um 9.00 Uhr fort.
Ende der Sitzung um 15.50 Uhr
Ende von Band 693.
[1] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Dass es den Angeklagten in diesem Verfahren freigestellt war, die Hauptverhandlung zu verlassen, ergab sich aus der Annahme der vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit, die nach § 231a StPO grundsätzlich die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten ermöglicht (s. hierzu den Beschluss des 2. Strafsenats, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag), sowie der Vorgabe des BGH, den Angeklagten dürfe ihre Anwesenheit nicht untersagt werden (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).
[2] Bundesanwalt Dr. Wunder hatte bereits am 141. Verhandlungstag erklärt, die Vertreter der Bundesanwaltschaft seien nicht bereit, den Schlussvortrag (mit Ausnahme der Anträge) auf das Tonband aufnehmen zu lassen (S. 11457 des Protokolls der Hauptverhandlung). Nach der damaligen Rechtsprechung bedurfte die Tonbandaufnahme in der Hauptverhandlung stets der Zustimmung der Beteiligten (BGH, Urt. v. 4.2.1964 - Az.: 1 StR 510/63, NJW 1964, S. 602 f.; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.5.1992 - Az.: 2 Ws 128/92, NStZ 1992, S. 339). Heute wird die gerichtliche Tonbandaufnahme z.T. auch ohne Zustimmung der Beteiligten für zulässig erachtet (Kulhanek, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 3/2, 1. Aufl. 2018, § 169 GVG Rn. 35; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 169 GVG Rn. 13).
[3] Am 12. Mai 1972 kam es zu zwei Sprengstoffanschlägen in München und Augsburg. In Augsburg detonierten drei Sprengkörper in der Polizeidirektion. Mehrere Personen wurden hierbei verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 6 ff.). In München explodierte auf dem Parkplatz des Bayrischen Landeskriminalamts eine mit Sprengstoff gefüllte Gasflasche. Auch hierbei wurden mehrere Personen verletzt, es entstand zudem ein erheblicher Sachschaden (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 9 ff.). Die Vorgänge waren ab dem 85. Verhandlungstag (München) bzw. 87. Verhandlungstag (Augsburg) Gegenstand der Beweisaufnahme. Das „Kommando Thomas Weisbecker“ bekannte sich in einer Erklärung vom 16 Mai 1972 zu beiden Sprengstoffanschlägen. Sie ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 145 f.
[4] Am 15.5.1972 fand in Karlsruhe ein Anschlag auf den damaligen Richter am Bundesgerichtshof Buddenberg statt, dessen Auto mit einer Sprengvorrichtung versehen wurde. Bei der Explosion wurde seine Frau schwer verletzt. Dieser Vorgang war am 96. und 97. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme. Die Erklärung des „Kommando Manfred Grashof“ vom 20.5.1972 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 146.
[5] Im zwölfstöckigen Verlagshaus Springer in Hamburg detonierten am 19. Mai 1972 zwei Sprengkörper; drei weitere Bomben, die nicht zündeten, wurden am Abend und am nächsten Tag gefunden. Mehrere Personen wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 18 ff.; Peters, RAF, 1991, S. 121). Der war ab dem 100. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme. In einer Erklärung vom 20. Mai 1972 nahm das „Kommando 2. Juni“ Bezug auf den Anschlag. Die Erklärung ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 147).
[6] Am 24. Mai 1972 explodierten in Heidelberg auf dem Gelände des Hauptquartiers der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) zwei zuvor dorthin verbrachte Kraftfahrzeuge. Hierbei kamen drei amerikanische Soldaten ums Leben, weitere Personen gerieten in Lebensgefahr oder wurden verletzt (Feststellungen des OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1977 - Az.: 2 StE 1/74, S. 28 ff.). Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme. Das „Kommando 15. Juli“ rechtfertigte den Anschlag in einer Erklärung vom 25. Mai 1972 mit den vorangegangenen Bombenangriffen der USA im Vietnam-Krieg gerechtfertigt. Die Erklärung ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 147 f.
[7] Am 1.6.1972 wurden die Angeklagten Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, sowie der frühere Mitangeschuldigte Holger Meins nach einem Schusswechsel in Frankfurt a.M. verhaftet. Ihnen wurde in diesem Zusammenhang u.a. versuchter Mord vorgeworfen. Dieser Vorgang war ab dem 43. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[8] Gudrun Ensslin wurde am 7.6.1972 in einer Boutique in Hamburg verhaftet. Dieser Vorgang war ab dem 56. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.
[9] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen, der allen Angeklagten in unterschiedlicher Ausgestaltung vorgeworfen wurde (den Angeklagten Baader und Ensslin die Gründung und Beteiligung als Rädelsführer, dem Angeklagten Raspe die Beteiligung an der kriminellen Vereinigung als Mitglied).