Urteil

2 StE (OLG Stgt) 1/74



2 StE (OLG Stgt) 1/74

Im Namen des Volkes!

URTEIL

In der Strafsache gegen

1) Andreas Bernd Baader, geb. am 6. Mai 1943 in München

2) Gudrun Enßlin, geb. am 15. August 1940 in Bartholomä, Krs. Schwäbisch-Gmünd

3) Jan-Carl Stefan Raspe, geb. am 24. Juli 1944 in Seefeld/Tirol

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf Grund der vom 21. Mai 1975 bis zum 28. April 1977 dauernden Hauptverhandlung, an der teilgenommen haben

Richter am Oberlandesgericht Dr. Foth

als Vorsitzender[1]

Richter am Oberlandesgericht Maier

Richter am Oberlandesgericht Dr. Berroth

Richter am Oberlandesgericht Dr. Breucker

Richter am Oberlandesgericht Vötsch

als Beisitzer

Bundesanwalt Dr. Wunder

Oberstaatsanwalt Zeis

Reg. Dir. Widera

Oberstaatsanwalt Holland

als Beamte der Bundesanwaltschaft [a]

Rechtsanwälte

Dr. Heldmann, Darmstadt

Dr. Holoch, Stuttgart

Kopp, Frankfurt

Oberwinder, Frankfurt

Pfaff, Darmstadt

Frau Rogge, Hamburg

Schnabel, Ditzingen

Schwarz, Stuttgart

als Verteidiger des Angeklagten Baader

Rechtsanwälte

Dr. Augst, Karlsruhe

Frau Becker, Stuttgart

Becker, Berlin

Eggler, Karlsruhe

Geulen, Berlin

Künzel, Waiblingen

Müller, Stuttgart

Schily, Berlin

Dr. Temming, Frankfurt

Professor Dr. Azzola, Darmstadt

als Verteidiger der Angeklagten Enßlin

Rechtsanwälte

Grigat, Stuttgart

Herzberg, Esslingen

Dr. Hoffmann, Berlin

Mairgünther, Kiel

Maixner, Stuttgart

v. Plottnitz, Frankfurt

Schlaegel, Esslingen

Thieme, Berlin

Weidenhammer, Frankfurt

Rechtsreferendare

Düx, Frankfurt

Frau Ripke, Heidelberg

als Verteidiger des Angeklagten Raspe

Amtsinspektorin Benz

Just. O. Sekr. Janetzko

Just. Sekr. Clemens

Just. Ass. Scholze

als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle

am 28. April 1977 für Recht erkannt:

1. Die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Enßlin und Jan-Carl Raspe sind schuldig, folgende Taten jeweils gemeinschaftlich[2] begangen zu haben:

a) 3 tateinheitliche[3] Morde[4] in Tateinheit mit 6 versuchten[5] Morden,

b) einen weiteren Mord in Tateinheit mit einem versuchten Mord,

c) in zwei Fällen jeweils einen versuchten Mord,

d) in einem Fall zwei tateinheitliche versuchte Morde,

e) in einem weiteren Fall 23 tateinheitliche versuchte Morde,

f) in sämtlichen Fällen zugleich eine tateinheitlich herbeigeführte Sprengstoff-Explosion.[6]

2. Außerdem sind schuldig:

a) der Angeklagte Baader zweier versuchter Morde,

b) der Angeklagte Raspe zweier tateinheitlich begangener versuchter Morde,

c) die Angeklagte Enßlin eines versuchten Mordes,

d) in den Fällen a) bis c) jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.[7]

3. Jeweils in Tateinheit mit den unter 1.) und 2.) ausgeführten Taten sind die Angeklagten schuldig, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben.[8]

4. Jeder der drei Angeklagten wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

5. Die in der Anlage in den Listen I bis XXXX aufgeführten Gegenstände werden eingezogen.[9]

6. Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens.[10]

- - -

Angewendete Vorschriften:

StGB §§ 211; 211, 43 a.F.; 311; 113; 129; 44 Abs. 1 u. 2 a.F.; 311 Abs. 2; 40 a.F.[11]

[1] Gründe

A. Feststellungen (Sachverhalt, Beweisanzeichen)

I. Sprengstoff-Anschläge

In der Zeit vom 11. bis 24. Mai 1972 beging die Vereinigung, die unter dem Namen des Angeklagten Baader und der früheren Angeklagten Meinhof[12] bekannt ist und die sich selbst „Rote Armee Fraktion“ nennt, insgesamt sechs Sprengstoff-Anschläge in Frankfurt, Augsburg, München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg. An diesen Anschlägen haben die drei Angeklagten als Urheber mitgewirkt.

Am 11. Mai 1972 detonierten im Hauptquartier des 5. US-Corps in Frankfurt gegen 19.00 Uhr 3 Sprengkörper.[13] Dabei wurde ein Mensch getötet und ein anderer in nahe Lebensgefahr gebracht; weitere Personen wurden verletzt. Das Hauptquartier liegt an der Fürstenberger Straße und besteht aus mehreren Gebäuden. Im sogenannten IG-Farben-Hochhaus[14] waren im Vorraum zur Eingangs- und Treppenhalle (Rotunde) eine Doppelrohrbombe und eine grosse Rohrbombe deponiert worden: die Doppelrohrbombe (zwei verbundene Rohre mit einer Abmessung von jeweils 60 x 200 mm) in einer Telefonzelle (Sprengstelle 1), die sich in dem 12,5 x 4 m grossen Vorraum mit seinen 3 Aussen- und 3 Innentüren rechts von der rechten Aussentür befand, und die grosse Rohrbombe (mit einer Abmessung von 159 x 200 mm) an der linken [2] Innentür (Sprengstelle 2). Bei dem dritten Sprengkörper handelte es sich um eine kg-Gasflasche; sie detonierte im Freien am Eingang zum Offizierskasino (Terrace-Club), das durch einen Teich und eine Grünanlage von dem Hochhaus getrennt ist (Sprengstelle 3).

Im Hauptquartier herrschte reges Leben. Vor dem Hochhaus war ein Omnibus vorgefahren, der eine amerikanische Reisegesellschaft nach Paris bringen sollte. Ein zweiter Omnibus mit Schülern wurde erwartet. Einige Personen befanden sich in dem vorgefahrenen Fahrzeug, vier deutsche Fahrer und Reiseleiter standen zusammen mit 2 Militärpolizisten in der Rotunde am Informations-Pult, nur wenige Meter von der rechten, gläserenen Innentür zum Vorraum mit den Sprengstellen 1 und 2 entfernt. Im Kasino (Sprengstelle 3) wurde gegessen, mehrere Personen hielten sich in der Lobby und in der Wechselstube in der Nähe des Eingangs auf.

Die drei Sprengkörper detonierten im Abstand von jeweils wenigen Sekunden. Sie richteten grossen Schaden an. Im Vorraum des IG-Farben-Hochhauses wurde die hölzerne Telefonzelle (Sprengstelle 1) zerfetzt, Splitter schlugen in Wände und Decken, der Fussboden an der Sprengstelle 2 war bis zum Keller geborsten, das ganze Bodenteil der Rohrbombe schlug durch eine [3] 40 cm starke Wand und flog in den angrenzenden Raum; mehrere Kilogramm Metallsplitter wurden in einem grösseren Umkreis eingesammelt; zahlreiche Glasscheiben gingen zu Bruch. Durch Glassplitter wurden in der Rotunde unter anderem die Zeugen Weher, Raschke, Vömel und Deimling verletzt.

Der dritte Sprengkörper - am Kasino - war an einer Säule über einem Luftschacht deponiert. Er schlug ein grosses Loch in die 15 cm starke Betondecke des Luftschachts, zerriss die Betonsäule horizontal und zerlegte ein vor dem Eingang angebrachtes Vordach - eine Stahlkonstruktion mit einer Wellblech-Abdeckung - völlig. Ein etwa 3 Zentner schwerer Teil des Vordachs wurde über 12 m weggeschleudert. Im Innern des Kasinos wurden die rechts und links des Eingangs liegenden Büros und die dahinter befindliche Lobby stark in Mitleidenschaft gezogen. Dort wurden durch Glas und herabstürzende Hartfaser-Platten unter anderem der Club-Manager Hunt und die beiden weiblichen Angestellten Buchholz und Mc Carey verletzt. Die Säule, die sich zwischen Sprengkörper und Gebäude befand, verhinderte Schlimmeres im Gebäudeinnern. Dagegen wurden vor dem Gebäude in einem Umkreis bis zu 50 m zahlreiche Metallsplitter gefunden. Von Splittern und Trümmern getroffen wurden vor dem Kasino-Eingang, etwa 20 m von der Sprengstelle entfernt, der Oberstleutnant Paul A. Bloomquist und der Oberleutnant Peter C. Glyer, der mit Bloomquist unmittelbar zuvor noch über die erste Detonation gesprochen und sich nur wenige Schritte von ihm entfernt hatte. Bloomquist erlag seinen [4] schweren Verletzungen; unter anderem hatte ein Splitter, der im Hals eingedrungen war, die Schädelbasis gebrochen und den Hirnstamm verstümmelt. Glyer wurde, im Rücken und am Kopf getroffen, zu Boden geworfen, zwei Rippen brachen und verletzten die Lunge; er wurde stationär behandelt. Die Gefahr, zu Tode zu kommen, war für ihn nicht geringer als für den Oberstleutnant Bloomquist; auch er hätte leicht getötet werden können.

Auf dem Gelände des Hauptquartiers blieb nach dem Anschlag ein blauer VW 1300 mit der Fahrgestellnummer 1112196695 stehen, der dem Apotheker Horst Bippert gestohlen worden war. Das Zünd- und ein Türschloss waren ausgewechselt, die amtlichen Kennzeichen gegen Doubletten ausgetauscht worden, die den von einem Frankfurter Richter geführten Kennzeichen entsprachen. Die amtlich zugeteilten Kennzeichen für den VW lagen unter der Fußmatte. An ihnen befand sich ein Fingerabdruck des Thomas Weisbecker[15], der am 2. März 1972 in Augsburg erschossen worden war, als ihn die Polizei hatte festnehmen wollen. Auf seine Veranlassung hatte der Diplom-Psychologe Wolfgang Pflug im Januar 1972 in Frankfurt, Inheidener Straße 61, eine Wohnung gemietet, die von „RAF“-Mitgliedern benutzt wurde. In ihr befand sich, als sie am 16. Juni 1972 aufgedeckt wurde, ein Arsenal von Sprengkörpern, Sprengstoff und Material zur Sprengstoffherstellung. Den Sprengstoffanschlag vom 12. Mai 1972 auf das Polizeipräsidium in Augsburg und das Landeskriminal- [5] amt in München führte die „RAF“ unter der Kommando-Bezeichnung „Thomas Weisbecker“[16] durch. Ein Zündschlüssel, der zu dem eingesetzten Zündschloss des aufgegebenen VW passte, wurde am 22. Juni 1972 in der von „RAF“-Mitgliedern benutzten Wohnung in der Ohlsdorfer Straße 1-3 in Hamburg gefunden.

Mit einem Brief vom 14. Mai 1972 meldete sich bei der dpa München die „ROTE ARMEE FRAKTION“ und teilte mit, ein „Kommando Petra Schelm“[17] habe den Sprengstoffanschlag in Frankfurt ausgeführt an „dem Tag, an dem die Bombenblockade der US-Imperialisten gegen Nord-Vietnam[18] begann“. Der Brief ist auf einer „Erika“-Schreibmaschine mit der Nr. 571609/6 geschrieben worden, die im Juni 1972 in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt sichergestellt wurde. Auf derselben Schreibmaschine ist der sogenannte „Baader-Brief“ vom 24. Januar 1972 geschrieben worden, den der Angeklagte Baader, mit seiner Unterschrift und dem Abdruck seines rechten Daumens versehen, an die dpa München gesandt hatte, um der Öffentlichkeit mitzuteilen, er denke nicht daran, sich zu stellen, „kein Typ von der RAF“ denke daran, der Kampf habe erst begonnen. Die in dem Kommando-Brief ausgewiesene „ROTE ARMEE FRAKTION“ (RAF) ist mit der Vereinigung identisch, welcher der Angeklagte Baader angehört und die unter seinem und dem Namen von Ulrike Meinhof bekannt ist.

[6] Am 12. Mai 1972 kam es zu zwei Sprengstoffanschlägen: in der Polizeidirektion in Augsburg[19] und im Bayrischen Landeskriminalamt in München.[20]

In der Polizeidirektion in Augsburg am Prinzregenten-Platz waren drei Sprengkörper deponiert worden: im vierten Stock auf dem Vorplatz des Treppenhauses eine grosse Rohrbombe (159 x 200 mm) und eine sogenannte Feldflaschenbombe (2 zusammengeschweißte runde Halbschalen - „Klöpperböden mit Bord“ - mit einer Abmessung von insgesamt 160 x 100 mm), im Flur des 3. Stocks des zur Holbeinstraße gelegenen Flügels eine 1,7 kg-Pressluftflasche mit einem Volumen von 0,8 Liter.

Gegen 12.15 Uhr detonierte die Feldflaschenbombe im 4. Stock, etwa 3 Minuten später die Pressluftflasche im 3. Stock. Die Rohrbombe detonierte nicht.

Im 4. Stock waren die beiden Sprengkörper unter die dort zu Schauzwecken aufgestellte Musteranlage der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle gelegt worden. Die Beratungsstelle grenzt an den Vorplatz und ist dem Publikumsverkehr zugänglich. Sie war, als der Sprengkörper detonierte, zufällig nicht besetzt; drei Beamte waren kurz zuvor weggegangen. Die Detonation schlug unter anderem ein 25 cm grosses Loch in die Decke zum 3. Stock, die Decke zum Dachgeschoss wurde an mehreren Stellen durchschlagen, verschiedene Türen zu den angrenzenden Dienst- [7] räumen wurden herausgerissen und in die Zimmer geschleudert. Die Musteranlage wurde völlig zerstört: ein Stahlblech flog in die Beratungsstelle. Im Treppenhaus lagen Splitter und Trümmer (unter anderem eine Marmorplatte) bis zum 1. Stock. Die Rohrbombe wurde in die Mitte des Vorplatzes geworfen; warum sie nicht detonierte, ist nicht bekannt. Sie war mit einem grauen und roten Sprengstoffgemisch gefüllt, das von Beamten des Bayrischen Landeskriminalamtes am Tatort mit einem Schuss durch den Sprengkörper entleert wurde.

Im 3. Stock war die Pressluftflasche in einem Karton auf einem etwa 2 m hohen Schrank im Flur gegenüber dem Zimmer Nr. 337 deponiert worden. Neben dem Schrank stand eine Bank für Besucher vor einem zum Hof gehenden Fenster. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs befanden sich Diensträume der Kriminalpolizei. In ihnen arbeiteten Beamte und weibliche Schreibkräfte. Einige Bedienstete waren nach der ersten Detonation im Flur in unmittelbarer Nähe des Schranks zusammengelaufen und unterhielten sich dort. Die Detonation zertrümmerte den Aktenschrank und riss grosse Löcher in die Wand dahinter und die Decke darüber, die Türen zu den Diensträumen Nr. 337 und 336 wurden in die Zimmer geworfen, viele Fenster gingen zu Bruch.

Metallsplitter schlugen in einem engeren Umkreis insbe- [8] sondere in die Decke und die Wand des Flurs vor Zimmer 337. In diesem Bereich, allenfalls 3 Meter von dem Sprengkörper entfernt und vor diesem ungeschützt, befand sich Polizeihauptkommissar Nitzer. Er wurde, von Trümmern getroffen, zu Boden geworfen, erlitt einen Schock sowie Augen- und Ohrenverletzungen. Leicht hätte er durch Splitter getroffen und zu Tode kommen können.

Die Polizeibeamten Vogler, Kreissl und Bauer standen im Flur vor der Tür zu Zimmer 338, etwa 6 Meter von dem Sprengkörper entfernt. Dorthin flogen kleinere Mauerbrocken und vereinzelt Metallteile, ein 1,5 x 0,5 cm grosser Splitter durchschlug den Türpfosten zum Zimmer 338 und drang in das Zimmer ein, ein Batterieteil flog im Flur an der Tür vorbei. Dem Polizeihauptmeister Kreissl zerriss das Trommelfell, der Polizeihauptmeister Bauer erlitt eine kleinere Prellung am Bein. In dem Zimmer 338 befanden sich der Polizeihauptkommissar Rosskopf und die Angestellte Hansmann; sie blieben unverletzt. In dem der Sprengstelle am nächsten gelegenen Zimmer 337, in das die Zimmertür und ein Metallsplitter flogen, hielt sich der Kriminalhauptmeister Eck auf; auch er wurde nicht verletzt. Das anschliessende Zimmer 336, in das die Zimmertür geworfen wurde, war mit dem Dienststellenleiter Adam und der Schreibkraft Enzensömmer besetzt. Die Angestellte Margarete Müller stand unter der Tür des anschliessenden Zimmers 335; sie war durch den Türrahmen geschützt, erlitt aber einen leichten Gehörschaden.

[9] In München detonierte gegen 14.20 Uhr eine mit Sprengstoff gefüllte 33 kg-Gasflasche auf dem Parkplatz des Bayrischen Landeskriminalamtes an der Maillingerstraße. Der Parkplatz liegt mitten in einem Wohnbezirk. Er grenzt an das Hauptgebäude des Landeskriminalamts und das Gebäude der Kriminaltechnik an der Marsstraße, in der tagsüber starker Straßenverkehr herrscht, an die Baudrexelstraße mit der Landesbesoldungsstelle und an die belebte Maillingerstraße, von der er nur durch eine Mauer getrennt ist. Im Landeskriminalamt waren etwa 400, in der Landesbesoldungsstelle ca. 300 Personen beschäftigt. Auf dem Platz sind Parkfelder markiert, die reihenweise zusammengefasst und durch Fahrspuren getrennt sind. Auf dem - von der Maillingerstraße gesehen - neunten Parkfeld der ersten Parkreihe stand ein blauer Ford 17M mit dem Kennzeichen FFB-UW 31, nur wenige Meter von der Stirnseite des LKA-Hauptgebäudes entfernt. In diesem Fahrzeug lag der Sprengkörper.

Die Sprengwirkung war stark und reichte weit. Das Tatfahrzeug wurde völlig zerstört. Der von zahlreichen Fahrzeugen dicht besetzte Parkplatz bot ein Bild der Verwüstung. Splitter und grosse Trümmerstücke flogen zum Teil über das Gelände des Landeskriminalamtes hinaus in die umliegenden Straßen. In weitem Umkreis gingen in zahlreichen Gebäuden Glasscheiben in die Brüche.

[10] An der Sprengstelle blieb nur eine Mulde zurück. Die Einzelteile des Tatfahrzeugs waren zerstreut. Von dem angrenzenden achten Parkfeld wurde ein PKW Fiat 10 Meter weg auf einen im vierten Parkfeld abgestellten Personenkraftwagen geschleudert. Von dem angrenzenden zehnten Parkfeld wurde ein VW ebenfalls 10 Meter weit geworfen, der Motorblock flog noch weiter. Innerhalb und ausserhalb des Parkplatzes wurden annähernd 100 Kraftfahrzeuge beschädigt, davon 9 total und 47 schwer.

Grössere Karosserieteile flogen etwa 100 m bis zu einer Verkehrsinsel an der Ecke Maillinger-/Baudrexelstraße, ein Splitter noch weiter bis zu einer Litfaßsäule an dieser Kreuzung, andere Karosserieteile fanden sich an einer Litfaßsäule in der Baudrexeistraße. In einer Entfernung von 190 m wurden noch Glasscheiben zertrümmert. Der angemeldete Sachschaden belief sich auf insgesamt DM 588.000,--, davon an Kraftfahrzeugen etwa DM 157.000,--, am Gebäude des Landeskriminalamts DM 306.000,--, am Gebäude der Landesbesoldungsstelle etwa DM 60.000,-- und an Gebäuden ausserhalb des Geländes des Landeskriminalamtes etwa DM 65.000,--.

Leicht hätte die Taubstummenlehrerin Eva Weber bei dem Anschlag zu Tode kommen können. Sie geriet in nahe Lebensgefahr, als sie im Augenblick der Detonation ihren Renault R 4 mit dem Kennzeichen DAH-N 862 wegfahren [11] wollte, der in der 2. Parkreihe, nur 9 bis 10 m von der Sprengstelle entfernt, geparkt war. Der Wagen, in dem sie saß, wurde total beschädigt, Splitter flogen in das Fahrzeug, der Dachholm wurde auf der Fahrerseite durchschlagen, grosse Karosserieteile des Tatfahrzeugs schlugen in der Lücke zwischen dem Renault und dem Nachbarfahrzeug auf den Boden. Frau Weber befand sich in dem Umkreis von etwa 10 m, innerhalb dessen Nachbarfahrzeuge des Tatfahrzeugs durch die Luft geschleudert wurden. Sie erlitt einen Schock und Gehörschaden und wurde von ihrem beim Landeskriminalamt beschäftigten Ehemann am ganzen Leib zitternd angetroffen.

Auch andere Personen gerieten in Gefahr. Sieben Minuten vor der Detonation hatte eine Frau bei der Telefonzentrale der Landesbesoldungsstelle angerufen und angekündigt, in 7 Minuten werde im Landeskriminalamt eine Bombe explodieren, es solle zur Marsstraße geräumt werden. Darauf war die Räumung der Landesbesoldungsstelle eingeleitet worden. Da die Ausgänge des Gebäudes zum Parkplatz des Landeskriminalamts führen, wurden verschiedene Bedienstete der Landesbesoldungsstelle gerade infolge der Bombenwarnung von der Detonation auf dem Parkplatz überrascht. Der Oberinspektor Stempfle wurde 50 m von der Sprengstelle entfernt gegen einen geparkten Personenkraftwagen gedrückt, dessen Scheiben zertrümmert wurden und in dessen Nähe in einer Entfernung [12] von 5 bis 10 m ein Kotflügel geschleudert wurde. Die Angestellte Nachtrieb wurde 30 bis 40 m von der Sprengstelle entfernt zu Boden geworfen; Dachziegel und Metallteile von beschädigten Fahrzeugen fielen neben ihr auf die Erde. Verletzt wurden unter anderem die Bediensteten Roneburger, Soult, Port und Meißner, teils im Freien, teils im Treppenhaus der Landesbesoldungsstelle. Der 10jährige Johann D[...] stürzte, etwa 120 m von der Sprengstelle entfernt, infolge der Detonation auf dem Bürgersteig an der Kreuzung Maillinger-/ Baudrexeistraße und verletzte sich durch Schürfwunden und Glassplitter; nur einige Meter entfernt waren ein Karosserieteil und ein Splitter zu Boden gegangen. Angehörige des Landeskriminalamtes wurden nicht verletzt.

Der blaue Ford 17M mit der Fahrgestellnummer GA 31 KU 47090, in dem der Sprengkörper detonierte, war dem Kaufmann Lawrowicz in der Nacht vom 27./28.4.1972 in Neu-Ulm entwendet worden. Die amtlichen Kennzeichen UL-AR 71 waren gegen die Doubletten FFB-UW 31 ausgetauscht worden, die dem Kennzeichen am Ford des Versicherungskaufmanns Reischig aus Fürstenfeldbruck entsprachen und bei dem Schildermalermeister Sanktjohanser in München am 25. April 1972 in Auftrag gegeben worden waren. Auf einer Doublette war eine Zulassungsplakette des Landratsamtes Fürstenfeldbruck angebracht.

In Fürstenfeldbruck war am 15. April 1972 von dem vorderen Kennzeichen FFB-KE 90 am Wagen des Pfarrers Bachmaier und von dem [13] vorderen Kennzeichen FFB-RY 56 am Wagen des Kaplans Frania jeweils ein Stück Blech mit der amtlichen Zulassungsplakette herausgeschnitten worden. In der „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt fanden sich neben Sprengkörpern und Sprengstoffmaterial unter anderem auch 2 Kennzeichen-Fragmente. An dem einen Blechstück war eine Zulassungsplakette des Landratsamts Fürstenfeldbruck angebracht, von dem anderen war die Plakette abgelöst worden. Dieses Blechstück war aus dem Kennzeichen FFB-KE 90 herausgeschnitten worden; die individuellen Paßspuren stimmten überein. Die Blechschere, mit der dies geschehen war, fand sich in der „RAF“-Wohnung in der Seidenstraße 71 in Stuttgart.

Mit einem Brief vom 16. Mai 1972 an die dpa Hamburg teilte die „ROTE ARMEE FRAKTION“ mit, ein „Kommando Thomas Weisbecker“ habe die Sprengstoffanschläge in Augsburg und München begangen; Augsburger und Münchner Polizei sei für den Tod Weisbeckers am 2. März 1972 verantwortlich. Der Kommandobrief war auf einer unbekannten Schreibmaschine mit einer Schattenschrift „Bruxelles“ geschrieben worden. Am 27. Juli 1972 wurden unter einer Brücke im Heuchelbach in Bad Homburg vor der Höhe in zwei Reisetaschen neben Sprengstoff, einem Sprengkörper und Sprengstoffzündern unter anderem auch 2 maschinengeschriebene Entwürfe zu dem Kommando- [14] brief vom 16. Mai 1972 gefunden. Ein Entwurf war mit der Handschrift der verstorbenen früheren Mitangeklagten Meinhof korrigiert worden. In dem anderen waren die Korrekturen des ersten Entwurfs berücksichtigt; er war auf der „Erika“-Schreibmaschine geschrieben worden, die in der „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt sichergestellt wurde. Ein Schweizer Sympathisant, der unter anderem Waffen, Wechselrahmen für Kfz-Kennzeichen und Zubehör für die Zündung von Sprengkörpern an die Gruppe lieferte, hatte nach einem Besuch in einer „RAF“-Wohnung in der Raimundstraße 104 in Frankfurt den Kommandobrief mitgenommen und an der Schweizer Grenze in Lörrach eingeworfen.

Am 15. Mai 1972 detonierte gegen 12.35 Uhr in Karlsruhe vor dem Gebäude Klosestr. 38 ein Sprengkörper.[21] Er war unter dem Beifahrersitz des VW 1300 KA-PE 890 des Bundesrichters Buddenberg angebracht, der des öfteren, wenn seine Ehefrau in die Stadt fuhr, auf dem Beifahrersitz saß, sie jedoch an diesem Tag nicht begleitete. Gerichtet war der Anschlag gegen den Bundesrichter, in nahe Lebensgefahr geriet jedoch jede andere Person, die neben dem ausersehenen Opfer oder allein mit dem Fahrzeug fuhr. Als Frau Gerta Buddenberg allein das Fahrzeug bestieg und den Motor startete, wurde zugleich der an den Batteriestrom des Wagens angeschlossene [15] Sprengkörper gezündet.

Die Detonation riss vorne rechts ein Loch von 60 x 40 cm in das Bodenblech des Fahrzeugs, zerfetzte den Beifahrersitz und schleuderte das Schiebedach 9 m fort; das Wagendach wurde von mehreren Splittern durchschlagen. Eine Person, hätte sie hier gesessen, wäre aller Voraussicht nach getötet worden. Unter dem Beifahrersitz hinterließ die Detonation einen Trichter von 25 x 9 cm im Asphalt, Metallsplitter wurden in einem Umkreis von 38 Metern eingesammelt. Mehrere in der Nähe geparkte Fahrzeuge wurden beschädigt, Fensterscheiben in der Umgebung gingen bis in die Höhe des 5. Stockwerks in die Brüche.

Frau Buddenberg konnte das Fahrzeug noch aus eigener Kraft verlassen. Sie wurde am rechten Arm und an beiden Beinen von Splittern getroffen und zog sich Gehörschäden zu. Zweimal befand sie sich für mehrere Wochen in stationärer Behandlung, Beschwerden beim Gehen und die psychischen Auswirkungen des Geschehens machten ihr zu schaffen. Sie litt auch noch im Jahr 1976 unter den Folgen der Tat. Leicht hätte sie sich tödliche Verletzungen zuziehen können.

Die Klosestraße liegt in einem geschlossenen Wohngebiet, in dem mit Passanten immer auch zu rechnen ist.

[16] Sie hat keinen Durchgangsverkehr, jedoch werden Kinder aus einem an der Straße gelegenen Kindergarten für gewöhnlich gegen 12.00 Uhr abgeholt. Daß weitere Personen keine Schäden erlitten, ist glücklichen Umständen zu verdanken.

Bei dem Sprengkörper handelte es sich um eine aus zwei „Klöpperböden mit Bord“ zusammengeschweißte Feldflaschenbombe mit einer Abmessung von insgesamt 160 x 100 mm. Sie war mit 3 Magnetfüßen an der Bodenplatte des Fahrzeugs befestigt worden. Zwei Zünderdrähte waren von unten in den nicht verschließbaren Motorraum des Fahrzeugs geführt worden, waren dort geschwärzt und an die Zündspule mit Kabelsteckern in der Weise angeschlossen, daß beim Anlassen des Motors der Sprengkörper elektrisch gezündet wurde.

In der „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt fand sich eine Magnetbombe gleicher Bauart. An den 3 Magnetfüßen mit Zylindermagneten, die im Handel als Türfeststeller unter der Markenbezeichnung „Compact“ erworben werden können, hafteten noch 3 Stahlscheiben, die als sogenannte Magnetgegenstücke veräußert werden für den Fall, daß die Türmagneten an Nichteisen-Material haften sollen. In derselben Wohnung fanden sich 3 weitere Magnetgegenstücke, dazu jedoch keine Magneteisen. Dagegen wurden am Tatort in Karlsruhe Splitter von insgesamt 3 Zylindermagneten gefunden, keine Splitter je- [17] doch, die Magnetgegenstücken zugeordnet werden könnten. Deren bedurfte es dort auch nicht, weil der Sprengkörper an der Bodenplatte des VW angebracht worden war. Nirgends sonst im Zusammenhang mit Sprengstoffdelikten in der Bundesrepublik wurden Magnete oder Magnetgegenstücke gefunden.

Eine Kommando-Erklärung wegen des Karlsruher Anschlags gelangte nicht an Presseagenturen oder Tageszeitungen. Jedoch enthielten die in Bad Homburg im Heuchelbach gefundenen Reisetaschen neben Abschriften und Durchschriften von anderen Kommando-Briefen unter anderem auch eine Kommando-Erklärung vom 20. Mai 1972, mit der die „ROTE ARMEE FRAKTION“ mitteilt, ein „Kommando Manfred Grashof“ habe den Sprengstoffanschlag „gegen den Karlsruher BGH-Richter Buddenberg“ durchgeführt; er sei der „zuständige Haft- und Ermittlungsrichter“, der Grashof trotz seines gesundheitlichen Zustandes „vom Krankenhaus in die Zelle“ habe verlegen lassen.[22] Das „RAF“-Mitglied Grashof ist wegen Ermordung eines Polizeibeamten anlässlich seiner Festnahme am 2. März 1972 angeklagt. Die Original-Schreibmaschinenschrift der Kommando-Erklärung, bei der es sich möglicherweise um die Abschrift eines nichtgefundenen Briefes handelt, stammt von der „Erika“-Schreibmaschine, die in der „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt sicher- [18] gestellt wurde.

Am 19. Mai 1972 erfolgte ein Sprengstoffanschlag auf das Verlagshaus Springer in Hamburg, in dem etwa 2500 Personen arbeiteten.[23] In verschiedenen Stockwerken des zwischen Kaiser-Wilhelm-Straße und Fuhlentwiete gelegenen, 12stockigen Gebäudes waren insgesamt 5 Rohrbomben (159 x 200 mm) deponiert worden, von denen zwei - im 3. und 6. Stock - detonierten; die drei anderen - im 2. und 12. Stock - zündeten nicht. Durch die beiden Detonationen gerieten 23 Personen in nahe Lebensgefahr.

Im 3. Stock detonierte der Sprengkörper gegen 15.40 Uhr. Er war im Flur vor dem Korrekturraum auf einem Frischluftrohr in einer Höhe von etwa 2 m abgelegt worden und richtete eine grosse Verwüstung an. In dem etwa 2 m breiten Flur stürzte die Decke ein, die Zwischenwände zu einem Toilettenraum auf der einen und zum Korrekturraum auf der anderen Seite wurden über mehrere Meter eingedrückt; Trümmer und Schutt lagen zuhauf. In dem etwa 6 x 10 m grossen Korrekturraum saßen 13 Korrektoren an langen Tischen, in einem durch eine Glasscheibe getrennten kleineren Raum ausserdem 2 Oberkorrektoren. Durch die einstürzende Flurwand wurden schwere Blechschränke auf die Arbeits- [19] tische der Korrektoren gekippt, Mauerbrocken flogen in den Raum, die Deckenverkleidung wurde heruntergerissen; in dem ebenfalls stark beschädigten Raum der Oberkorrektoren „klebte“ die Flurtür am Schreibtisch; zahlreiche Scheiben gingen zu Bruch. In einem Umkreis von 5 bis 10 Metern um die Sprengstelle wurde eine größere Anzahl von Metallsplittern eingesammelt.

Der Korrektor Röhrs, der ca. 5 m von der Sprengstelle entfernt an der Fensterfront des Korrekturraums saß, erlitt einen Kieferbruch, Gesichtsverletzungen, die Hauttransplantationen erforderlich machten, und Verletzungen an der Hand; er wurde dreimal operiert und war 1976 noch zu 30% erwerbsgemindert. Sein Arbeitskollege Burgmann, der nur 1,5 m von dem Sprengkörper entfernt saß und von einem Blechschrank gegen die Tischkante gepresst wurde, erlitt eine Kopfverletzung und einen Milzschaden; er musste stationär behandelt werden. Andere, die zum Teil von Mauerbrocken oder Splittern getroffen wurden, erlitten Rippenbrüche, Kopfverletzungen, Fleischwunden und Gehörschäden. Nur 5 Korrektoren, die aber zum Teil näher an der Sprengstelle saßen als ihr schwerverletzter Kollege Röhrs, blieben unverletzt. Am weitesten, nämlich 7 m von der Sprengstelle entfernt, saß der verletzte Schichtführer Brunkhorst, den ein Gegenstand am Kopf traf. Alle 15 Korrektoren Markmann, Schneider, Burgmann, Gottschalk, Brunkhorst, Hoffmann, Röhrs, Sellmann, [20] Schielke, Thiel, Könnecke, Witte, Lechte, Elsner und Schulz waren innerhalb des Korrekturraums in gleicher Weise ungeschützt der Sprengwirkung ausgeliefert. Die Gefahr, tödlich verletzt zu werden, lag bei jedem von ihnen nahe.

Wenige Minuten nach der ersten Detonation zündete gegen 15.45 Uhr der Sprengkörper im 6. Stock. Er war in einer schweren Tonne, einem sogenannten Fettabscheider, in Vorraum der Damentoilette abgelegt worden. Im rechten Winkel um die Toilette herum führt ein Flur. Auf der einen Seite, nur durch den 2 m breiten Gang getrennt, war die Verlagsleitung der „Bild-Zeitung“ in mehreren Büroräumen untergebracht; die Räume waren dem Besucherverkehr zugänglich. Auf der anderen Seite befanden sich mehrere Aufzüge. Die Detonation fegte die Steinmauern der Damentoilette zur Büro- und zur Fahrstuhlseite weg, so daß der Fettabscheider freilag; in der Außenmauer zur Fuhlentwiete hin klaffte ein großes Loch. Der dem Fettabscheider gegenüberliegende Sekretariatsraum Nr. 6066 wurde von Trümmern übersät, Mauerbrocken bis zu einem Durchmesser von 50 cm flogen in den Raum. In ihm waren 6 Personen versammelt, die 5 - 8 m von der Sprengstelle entfernt waren und alle durch grosse Mauerbrocken, Splitter und sonstige Metallteile in nahe Lebensgefahr gerieten. Es handelte sich um die Verlagsangestellten Pötter, Damm, Meyer, Kleidt und Horster sowie den Redakteur [21] Skolik. Sie erlitten Platz- und Schnittwunden, Prellungen und Kreislaufschocks; zum Teil wurden sie am Kopf getroffen und brachen zusammen; einzelne waren bis zu 6 Wochen arbeitsunfähig. Im unmittelbaren Detonationsbereich gerieten noch 2 weitere Personen in nahe Lebensgefahr. Auf dem Flur hatte der Redakteur Schmitt gerade die Tür zum Vorraum der Damentoilette passiert und war nur 2 - 4 m von dem Fettabscheider entfernt, als dort der Sprengkörper detonierte. Von Gesteinsbrocken und Splittern getroffen, erlitt er Verletzungen im Gesicht und an den Händen sowie einen 20%igen Dauerschaden des Gehörs. Der Layouter Berkenbaum hielt sich, 5 - 6 m von der Sprengstelle entfernt, vor einem Fahrstuhl auf. Er stürzte, von Schutt und Scherben umgeben, zu Boden und erlitt mehrere Schnittwunden im Gesicht und am Arm sowie, von einem Metallstück, das sich später in seiner Hosentasche fand, eine Brandwunde am Oberschenkel. Auch er hätte leicht tödlich getroffen werden können.

Der Sachschaden, den die beiden Detonationen anrichteten, belief sich auf DM 336.000,--.

Die drei nicht detonierten, unkonventionellen Sprengkörper wurden im Laufe des Abends und des folgenden Tages gefunden und an Ort und Stelle von dem Ersten Kriminalhauptkommissar Krapp vom Bundeskriminalamt, in einem Fall zusammen mit dem Amtmann Wischnath vom [22] Hessischen Landeskriminalamt, unter äusserster Lebensgefahr entschärft.

Zunächst wurde, kurz nachdem mit der Durchsuchung des Gebäudes begonnen worden war, die im 2. Stock abgelegte Rohrbombe entdeckt. Sie war, in einem Karton verpackt, im Flur in einer Abfalltonne auf der sogenannten Besucherbrücke deponiert worden, von der aus durch eine grosse Scheibe der über den 1. und 2. Stock sich erstreckende Rotationsraum überblickt werden kann. In dem Rotationsraum waren am Nachmittag des Tattages 60 - 70 Arbeiter beschäftigt, davon 6 unter der Leitung des Rotationers Burzlaff an einer Druckeinheit in einer Entfernung zwischen 5 und 25 Metern von dem Sprengkörper. An der zündfertigen Rohrbombe waren eine Batterie (50 V-Varta Pertrix 49) und ein Kurzzeitmesser befestigt. Die auf 60 Minuten eingestellte Zeitzünder-Uhr war abgelaufen, die durch den Uhrzeiger ausgelösten Kontakte waren geschlossen. Ein zur Sicherheit bei diesem Sprengkörper eingebauter Kipp-Schalter mit der Bezeichnung „on/off“ stand jedoch auf „off“ und verhinderte, wie sich später herausstellte, daß ein Stromkreis geschlossen wurde.

Im 12. Stock, in dem die Geschäftsleitung und der Verleger untergebracht sind, waren zwei Rohrbomben deponiert worden, die bei der Durchsuchung am Tattag nicht [23] mehr entdeckt wurden. Der eine Sprengkörper wurde am anderen Morgen von der Putzfrau Helga Kern zufällig gefunden. Er war in einem zwischen dem Treppenhaus und dem Flur liegenden Vorraum an der Wand hinter einem Stuhl abgelegt worden und in einem Sack aus grünem Stoff verpackt. An dem zündfertigen, mit Batterie und Kurzzeitmesser versehenen Sprengkörper, war die auf 60 Minuten eingestellte Uhr abgelaufen. Die Kontakte berührten sich jedoch nicht, der Zwischenraum betrug aber nur noch 2 mm. Da zudem ein Kontakt an dem Weckergriff mit einer Schraube befestigt war, die nicht fest angezogen war, ist es nur besonders glücklichen Umständen zu verdanken, daß der Sprengkörper bei der Delaborierung nicht detonierte.

Mittags wurde bei gründlicher Nachschau der zweite Sprengkörper im 12. Stock entdeckt. Die Rohrbombe war, in einem verschnürten Karton verpackt, in der an den Vorraum grenzenden Herrentoilette in einem Feuerlöschschrank abgelegt worden. Auch sie war zündfertig mit Batterie und Kurzzeitmesser versehen. Der Uhrzeiger des Weckers war jedoch infolge unvorsichtigen Umgangs mit Lötzinn bei 40 Minuten stehengeblieben, der Kontaktgeber war bei 60 Minuten angebracht. Die Entschärfung dieses Sprengkörpers gestaltete sich besonders schwierig und gefahrvoll, zumal während der Delaborierung das stehengebliebene Uhrwerk wieder zu [24] laufen begann.

Alle drei nicht detonierten Sprengkörper waren mit einem Gemisch aus rotem und grauem Sprengstoff gefüllt; die Sprengstoff-Ladung wog zwischen 3,7 und. 4,2 kg.

An dem im Flur des 12. Stocks abgelegten Sprengkörper wurde ein viereckiger Stoffetzen gesichert, der aus einem karierten Geschirrtuch herausgerissen worden war. Das Stoffstück war als Unterlage für die Zeitzünder-Uhr auf der Schraubkappe angebracht, die den Rohrkörper abschloss. Ein kariertes Geschirrtuch wurde im Oktober 1972 in der von „RAF“-Mitgliedern (u.a. von Meinhof, Stachowiak[24] und Jünschke[25]) benutzten Wohnung in der Paulinenallee 36 in Hamburg gefunden. Aus diesem Geschirrtuch war der an dem Sprengkörper gesicherte Stoffetzen herausgerissen worden; die beiden Stoffteile sind individuelle Paßstücke.

An dem in der Toilette im 12. Stock gefundenen Sprengkörper war als Boden für die Zeitzünder-Uhr ein mit einem Werkzeug abgesagtes, zylindrisches Plastikteil anderweitiger Herkunft eingesetzt worden. Dazu wurde ein korrespondierendes Stück in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt gefunden, nämlich ein zylindrisches Plastikteil, an dem seinerseits ein abgesägtes Stück fehlte.

[25] Zu dem an dem Sprengkörper im 2. Stock gesicherten Kipp-Schalter mit der Bezeichnung „on/off“ passt Verpackungsmaterial, das ebenfalls in der Wohnung in der Inheidener Straße gefunden wurde, nämlich zwei leere Verpackungen für je einen Schalter „Racimex Nr. 30 on/off“. Dazugehörende Schalter befanden sich nicht in der Wohnung. Wohl aber wurde im Kurparkweiher in Bad Homburg, wohin Sachen aus den „RAF“-Wohnungen in Heusenstamm und der Inheidener Straße in Frankfurt gebracht worden waren, unter anderem ein einzelner gleichartiger Schalter wie der in Hamburg vorgefundene Kipp-Schalter gesichert.

An demselben Sprengkörper im 2. Stock war der Einfüllstutzen des Rohrkörpers unterhalb der Schraubkappe zusätzlich abgedeckt mit einer Dichtung aus Spachtelmasse, in welche die Zünddrähte eingegoßen waren.

Ein ebenso ungewöhnliches, völlig gleichartiges Stück mit eingegoßenen Drähten wurde in einer „RAF“-Wohnung sichergestellt. Es handelte sich wiederum um die Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt.

Dem Anschlag auf das Verlagsgebäude waren anonyme Bombenwarnungen vorausgegangen, jedoch so spät, daß eine Räumung nicht möglich war. Tatsächlich wurde eine Räumung auch nicht eingeleitet. Im Verlauf von etwa 5 Minuten vor der ersten Detonation im 3. Stock rief zweimal ein Mann in der Telefonzentrale des Verlags [26] an und forderte auf, das Haus zu räumen, es gehe eine Bombe los. Die Zentrale meldete den Anruf der Hausverwaltung. Nach der ersten Detonation rief wiederum ein Mann an und verkündete, es werde gleich nochmals knallen, es solle endlich geräumt werden. Außerdem erkundigte sich am Telefon eine Frau, ob eine Bombe hochgegangen sei. Einen Tag später rief wiederum ein Mann an und teilte mit, es seien noch mehr Bomben im Haus, die Polizisten seien alle Trottel. Ob auch bei der Polizei eine telefonische Warnung eingegangen war, ließ sich nicht klären.

An diese Vorgänge knüpfen 2 Briefe an, mit denen ein „Kommando 2. Juni“[26] (nicht: „Bewegung 2. Juni“[27]) erklärte, den Sprengstoffanschlag auf den Springer-Verlag begangen zu haben. Der erste Brief („Heute um 15.55 Uhr ...“) wurde in der Nacht nach dem Anschlag heim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg abgegeben. Er ist offenbar in Eile, ohne Datum und die sonst üblichen Parolen, geschrieben worden, gibt eine zeitlich günstigere Darstellung über die Bombenwarnungen als die festgestellte und bezichtigt den Verleger, daran schuld zu sein, daß Personen zu Schaden gekommen waren; das Kommando sei „zutiefst betroffen darüber, daß Arbeiter und Angestellte verletzt worden sind“. Der zweite Brief („Gestern, am Freitag den 19. Mai ...“)[28] ging bei der dpa in Hamburg ein, beschäftigt sich wiederum mit den Bombenwarnungen und fordert den Verleger auf, „die antikommunistische [27] Hetze gegen die Neue Linke“ und „die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt“ einzustellen.

Auf welcher Schreibmaschine die beiden Briefe geschrieben wurden, steht nicht fest; möglicherweise handelt es sich um eine Reiseschreibmaschine ohne Fabrikat Nr. 0231 324 999, die in der „RAF“-Wohnung in der Ohlsdorfer Straße Nr. 1-3 in Hamburg am 22. Juni 1972 aufgefunden wurde. Die „Rote Armee Fraktion“ wird in keinem der beiden Briefe erwähnt. Jedoch wird unter anderem in einem Brief vom 28. Mai 1972 an die „Frankfurter Rundschau“ („An die Nachrichtenredakteure der westdeutschen Presse ...“), in dem sich die „Rote Armee Fraktion“ von der sogenannten „Stuttgarter Bombendrohung“ distanziert, die Erklärung des „Kommando 2. Juni“ als eine der „authentischen Veröffentlichungen der „Rote Armee Fraktion“ bezeichnet. Dieser Distanzierungsbrief ist auf der „Olympia“-Schreibmaschine Nr. 744922 geschrieben worden, die in der „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee in Hamburg sichergestellt wurde; dort wurde auch das Geschirrtuch-Paßstück zur Verpackung des Sprengkörpers im Flur des 12. Stocks aufgefunden. In derselben Wohnung wurde ein Kohlepapier entdeckt, mit dem auf der „Olympia“-Schreibmaschine ein gleichlautender Text wie der Kommando-Brief „Gestern am Freitag ...“ geschrieben worden war. Ausserdem fanden sich in den in den Heuchel- [28] bach in Bad Homburg geworfenen Reisetaschen unter anderem 2 Abschriften desselben Textes, die auf der „Erika“-Schreibmaschine aus der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt geschrieben worden waren.

Der letzte Sprengstoff-Anschlag, am 24. Mai 1972, richtete sich gegen das Hauptquartier der 7. US-Armee und der US-Landstreitkräfte in Europa (USAREUR) an der Römerstraße in Heidelberg.[29] Drei amerikanische Soldaten fanden dabei den Tod, 6 weitere Personen gerieten in nahe Lebensgefahr.

Die Sprengkörper detonierten gegen 18.10 Uhr im Abstand von wenigen Sekunden in 2 Kraftfahrzeugen, die unkontrolliert auf das Gelände des Hauptquartiers gefahren und dort auf Parkflächen abgestellt worden waren. Ein Tatfahrzeug, ein weißer Ford 17M, mit einer mit Sprengstoff gefüllten 33 kg-Propangasflasche stand in der Nordwest-Ecke des Hauptquartiers vor dem Eingang zum Gebäude Nr. 28 (Sprengstelle 1). In diesem Gebäude war der Secret Service untergebracht und ein Computer für Logistik und Personalfragen aufgestellt. Das 2. Tatfahrzeug, ein grüner VW 1302, mit 2 mit Sprengstoff gefüllten 11 kg-Propangasflaschen war am Rande eines großen Parkplatzes zwischen dem an das [29] Gebäude Nr. 28 anschließenden Gebäude Nr. 31 (Casino) und dem Gebäude Nr. 22 in der Nähe eines Funkmastes abgestellt (Sprengstelle 2).

Das Gebäude Nr. 28 an der Sprengstelle 1 gliedert sich in einen Nord- und einen Südflügel mit einem zurückgesetzten Mittelteil. Vor dem Mittelteil waren 5 Pkw-Parkplätze markiert. Auf dem 1. Parkfeld, nur wenige Meter von dem Südflügel entfernt, stand das Tatfahrzeug. Die Detonation des grossen Sprengkörpers hatte schwere Folgen. Das Tatfahrzeug wurde zerrissen, ein in der Nähe geparkter Ford Capri am anderen Ende des Parkplatzes gegen die Wand des Nordflügels des Gebäudes 28 geschleudert. An der Sprengstelle blieb, 3,5 m vom Südflügel und 3,9 m vom Mittelteil entfernt, ein Trichter mit einem Durchmesser von 1,2 m und einer Tiefe von etwa 20 cm zurück. Trümmer wurden bis zu 120 m weit geschleudert. Auch das Gebäude selbst wurde schwer beschädigt. Insbesondere wurde im Innern des Südflügels eine große Verwüstung angerichtet.

An der Sprengstelle 1 fanden 2 Personen im Freien, eine dritte Person im Südflügel des Gebäudes den Tod. Captain Clyde R. Bronner traf die Detonation dicht beim Tatfahrzeug. Er war sofort tot. Sein Rumpf wurde zerrissen; der Oberkörper lag vor dem Nordflügel des Gebäudes 28; die übrigen Leichenteile waren in einem größeren Umkreis, zum Teil auf einem Baum, zerstreut; [30] an der Leiche fanden sich Schmauchspuren, Hitzezeichen, Glas- und Lack- sowie etwa 40 Metallsplitter. Der Soldat Ronald A. Woodward wurde vor dem Mittelteil des Gebäudes 28 gefunden. Er hatte sich ebenfalls nahe dem Detonationsort, jedoch etwas weiter entfernt als Captain Bronner, aufgehalten; auch bei ihm fanden sich neben Metall- und Lacksplittern noch Schmauch- und Hitzespuren. Neben großen Weichteilverletzungen waren Lunge und Leber durchschlagen und zahlreiche Rippen zertrümmert. Er starb an Ausblutung, hatte allerdings zunächst noch gelebt; dem Sanitäter Knobel hatte er aus Schmerz in die Hand gebissen. Der Soldat Charles L. Peck wurde im Südflügel des Gebäudes 28 im Flur gefunden. Er war in der Nähe eines Coca-Cola-Automaten unter anderem von einer schweren Gittertür getroffen und unter Trümmern begraben worden. Gesichts- und Gehirnschädel waren zertrümmert, die Leber zerrissen; sein Tod war rasch eingetreten.

Daß weitere Personen an dieser Sprengstelle in die Gefahr gerieten, getötet zu werden, wurde nicht festgestellt.

Die Sprengstelle 2 liegt in der Südost-Ecke eines ausgedehnten Parkplatzes mit markierten, reihenweise zusammengefassten Parkfeldern, die durch Fahrspuren getrennt sind. Das Tatfahrzeug stand auf dem, von Süden [31] gerechnet, ersten, für einen Oberstleutnant reservierten Parkfeld., an das eine kleinere Rasenfläche angrenzt. Auf der Rasenfläche war ein Funkmast installiert, um den herum verschiedene, fest verankerte Kraftfahrzeuge standen, unter anderem ein Funk-, ein Versorgungs-, ein sogenannter „Multiplex“- und ein Bürowagen für die Bedienungsmannschaft. Der Parkplatz war mit etwa 30 bis 50 Personenkraftwagen nur zum Teil belegt. Die Detonation zerriss das Tatfahrzeug und beschädigte eine größere Anzahl von anderen Kraftfahrzeugen schwer. Große Trümmerteile flogen bis zu 60 m weit, kleinere Teile und Splitter noch weiter. Am Detonationsort blieben dicht beieinander 2 Trichter im Asphalt zurück.

Insgesamt 6 Personen gerieten an dieser Sprengstelle in nahe Lebensgefahr. Der Oberstleutnant Word C. Bizell fuhr mit Ehefrau und beiden Schwiegereltern in seinem Personenkraftwagen vor dem Casino und bog gerade an der Südwest-Ecke des Parkplatzes nach links ein, als in einer Entfernung von etwa 45 m das Tatfahrzeug explodierte. Der Luftdruck drängte sein Fahrzeug zur Seite. Ein über 10 kg schweres Metallteil stürzte auf die Motorhaube, nur 30 cm vor der Windschutzscheibe; ein 15 cm langer Splitter drang durch die linke vordere Wagentür und blieb dort stecken. Alle 4 Personen hätten in dem Personenwagen, der nur geringen Schutz bot, durch Karosserieteile oder Splitter getroffen werden und leicht [32] zu Tode kommen können. Nicht minder gefährdet waren der Special 6 Joseph J. Kosalko und ein weiterer Soldat, die in einer Entfernung zwischen 15 und 25 m vom Detonationsort sich nahe dem Funkmast im Bürowagen aufhielten. Beide wurden vom Luftdruck zu Boden geworfen, Kosalko erlitt eine Splitterverletzung am Arm. Obwohl zwischen dem Bürowagen und dem Tatfahrzeug der sogenannte „Multiplex“-Wagen stand, der die Sprengwirkung abfing, schlugen Splitter immer noch 2 bis 3 Löcher in die zum Detonationsort gehende Tür des Bürowagens, dessen Kastenaufbau aus Blech innen mit Sperrholz verkleidet war und gegen Splitter und große Trümmerteile einen nur geringen Schutz bot. Der Motorblock des Tatfahrzeugs flog über 16 m bis zum Fuss des Funkmasts, von dem der Bürowagen mit den beiden Soldaten nur wenige Meter entfernt war.

Der weiße Ford 17M, der an der Sprengstelle 1 als Tatfahrzeug eingesetzt wurde und die Fahrgestellnummer GB 31 KT 77246 hatte, war in der Nacht vom 9/10. Mai 1972 in Bensberg dem Angestellten Ernst Happ gestohlen worden. Die amtlichen Kennzeichen GL-CW 145 befanden sich nicht mehr am Tatfahrzeug; sie waren gegen die US-Kennzeichen ET-2778 ausgetauscht worden. Gleichlautende US-Kennzeichen waren im Mai 1972 in Neu-Ulm von dem US-Bürger Leonard als gestohlen gemeldet worden. In der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt wurden die beiden Kfz-Kennzeichen GL-GW 145 sicherge- [33] stellt. Eines trug auf der Rückseite noch den handschriftlichen Vermerk „Happ“, den der Verkäufer Golle hei der Firma Bachirt in Köln im Zusammenhang mit der Zulassung des Fahrzeugs für den Käufer Happ angebracht hatte.

Der an der Sprengstelle 2 verwendete grüne VW 1302 mit der Fahrgestellnummer 1122574443 war in Mannheim der Ehefrau des Professor Dr. Jaeck entwendet worden. Die amtlich zugeteilten Kennzeichen MA-ES 271 waren gegen die US-Kennzeichen EL-3136 ausgetauscht. Gleichlautende US-Kennzeichen waren ebenfalls in Neu-Ulm von dem US-Bürger Cox als gestohlen gemeldet worden.

An der Sprengstelle 1 wurde der Halsringsplitter einer 33 kg-Propangasflasche der Firma Butan in Berlin mit der Hersteller-Nummer „G 1778“ gefunden. Diese Gasflasche war von der Herstellerin über die Firma Stinnes in Mannheim an die Firma Hauke in Würzburg, einer Vertriebsstelle für Flüssiggase, gelangt und hatte dort die Eigentümer-Nummer 30094 erhalten. Während die Hersteller-Daten der Halsring-Punzierung zu entnehmen sind, werden die Angaben des Eigentümers, an den die Flasche geliefert wurde, auf einem Typenschild an der Flasche festgehalten. Das zu dieser Flasche gehörende Typenschild der „Firma Hauke Propan Würzburg“ mit der Eigentümer-Nummer „30094“ wurde in einer Garage im Hofeckweg 2 - 4 in Frankfurt am 1. Juni 1972 sichergestellt.

[34] Die Garage wurde von den Bewohnern der „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt benutzt. Der Schraubenzieher, mit dem das Typenschild von der Gasflasche abgehebelt worden war, fand sich in der Wohnung in der Inheidenerstraße; er hatte individuelle Werkzeugspuren an dem Typenschild hinterlassen. Ein von gelb auf aubergine umlackierter Porsche Targa mit der Kennzeichen-Doublette KN-CU 90 wurde ebenfalls am 1. Juni 1972 vor der Garage sichergestellt. Die am Fahrzeug angebrachte Fahrgestell-Nummer 9111211638 war eine Fälschung; sie war nachträglich eingeschlagen worden. Die dazu verwendeten Schlagzahlen fanden sich wiederum in der Wohnung in der Inheidenerstraße; sie hatten individuelle Werkzeugspuren hinterlassen. In der Garage wurden Fahrzeuge untergestellt und Sprengkörper abgefüllt. Neben einer, allerdings noch mit Propangas gefüllten, 11 kg-Gasflasche der Firma Scharr in Stuttgart-Vaihingen wurden dort 9 kg grauer Sprengstoff, Schwefel und Holzkohle zur Herstellung von Sprengstoff und Abfüllgeräte (Eimer, Trichter, Schaufel) mit Anhaftungen von Sprengstoffbestandteilen sichergestellt. In dem Pkw Porsche vor der Garage lagen neben einem Revolver und einer Maschinenpistole eine mit gewerblichem Sprengstoff gefüllte, selbstgebaute Handgranate und eine mit rotem Sprengstoff gefüllte Geldkassette, die zu einem Sprengkörper umgebaut worden war, ferner eine Schaufel mit Anhaftungen von Sprengstoffbestandteilen. Bei der [35] Garage wurden am Morgen des 1. Juni 1972 die Angeklagten Baader und Raspe sowie der verstorbene frühere Angeschuldigte Meins[30] festgenommen. Sie waren mit dem Pkw Porsche vorgefahren.

Von der Sprengstelle 2 stammt ein weiterer Halsringsplitter, der seiner Grösse nach zu einer 11 oder 5 oder 3 kg-Propangasflasche gehört und mit der fragmentarischen Halsring-Punzierung „... ,7A1353 ...“ versehen ist. In der „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße wurde eine Reihe von abgehebelten Typenschildern - auch von 11 kg-Gasflaschen - der Firmen Tega (später „Hauke“) und Lotter gefunden. Eine individuelle Zuordnung zu dem Halsringsplitter war, da die vollständige Hersteller-Nummer nicht mehr rekonstruiert werden konnte, allerdings nicht möglich.

Mit einem Brief („Alle Arten von Ungeheuern werden besiegt werden“), der unter anderem bei der „Frankfurter Rundschau“ am 26. Mai 1972 einging, erklärte die „Rote Armee Fraktion“, ein „Kommando 15. Juli“[31] habe den Sprengstoff-Anschlag in Heidelberg ausgeführt, „nachdem General Daniel James, Abteilungsleiter im Pentagon, am Mittwoch in Washington erklärt hatte: ‚Für die US-Luftwaffe bleibt bei Bombenangriffen in Vietnam künftig kein Ziel nördlich und südlich des 17. Breitengrades ausgenommen.‘“[32] Gefordert wurde „die Einstellung der [36] Bombenangriffe auf Vietnam“. Der Brief wurde auf der „Olympia“-Schreibmaschine geschrieben, die in der „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee in Hamburg sichergestellt wurde. Ein Kohlepapier, das in der „RAF“-Wohnung in der Ohlsdorferstraße 1-3 in Hamburg entdeckt wurde, diente dazu, denselben Text ebenfalls mit der in der Paulinenallee sichergestellten „Olympia“-Schreibmaschine zu schreiben. Mit einem weiteren Kohlepapier, das sich in der „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee fand, wurde - wiederum mit der „Olympia“-Schreibmaschine - ein gleichlautender Text geschrieben; er enthielt jedoch - anders als der versandte Text - das abgewandelte Zitat: „Alle Ungeheuer werden vernichtet werden (Mao)“.

Dem Kommando-Brief an die „Frankfurter Rundschau“ war noch der Satz angefügt: „Der Brief in der FR vom 25. Mai 1972 - angeblich von der RAF - ist eine Fälschung.“ Damit ist die sogenannte „Stuttgarter Bombendrohung“[33] gemeint, ein aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben zusammengesetzter Brief, in dem eine „ROTE ARMEE FRAKTION BADEN WÜRTTEMBERG“ wiederholt ankündigt, am 2. Juni 1972 würden im Stuttgarter Stadtgebiet mehrere Bomben in Kraftfahrzeugen detonieren. Tatsächlich kam es dazu nicht. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Bombendrohung von der Gruppe stammt, die sich in den vorangegangenen Kommando-Erklärungen als „Rote Armee Fraktion“ bezeichnet hatte; Aufmachung und Stil der Briefe unter- [37] scheiden sich deutlich. Die Bombendrohung war jedoch der Anlass für 2 Briefe vom 28. Mai 1972 („An die Nachrichtenredakteure der westdeutschen Presse ...“) und vom 29. Mai 1972 („Die beiden aus Buchstaben zusammengestückelten Bombendrohungen ...“), die beide unter anderem auch an die „Frankfurter Rundschau“ gerichtet waren. In diesen Briefen distanzierte sich die „Rote Armee Fraktion“ von der Stuttgarter Bombendrohung; sie sei eine „faschistische Provokation“. Der Brief vom 28. Mai 1972 verweist auf die „authentischen Veröffentlichungen der RAF“ und fordert am Schluss, „die Erklärungen des Kommandos Thomas Weisbecker, des Kommandos 2. Juni, des Kommandos 15. Juli“ - eben als authentische Erklärungen - „vollständig abzudrucken“. Beide Distanzierungsbriefe sind auf der „Olympia“-Schreibmaschine aus der Paulinenallee in Hamburg geschrieben worden. Das in der dortigen Wohnung entdeckte Kohlepapier wurde auch dazu verwendet, auf derselben Schreibmaschine die Texte der beiden Distanzierungsbriefe zu schreiben.

Die Serie der Sprengstoffanschläge im Mai 1972 fand auch in sympathisierenden Kreisen keine ungeteilte Zustimmung. So kritisierte die „rote hilfe“[34] in Frankfurt in einem Flugblatt die Anschläge in Augsburg und München als bloße „Vergeltungsaktionen ohne politische Notwendigkeit“. Dagegen richtete sich eine auf Tonband aufgenommene Erklärung der früheren Angeklagten Meinhof, die in einem von der „roten hilfe“ veranstalteten teach-in [38] in der Frankfurter Universität an 31. Mai 1972 abgespielt und in einer in Juni 1972 verbreiteten Dokumentation der Veranstalterin („Neues vom Sozialstaat“) als „Diskussionsbeitrag der Genossin Meinhof“ veröffentlicht wurde. In dieser Erklärung rechtfertigt die „RAF“ „unsere Aktionen gegen die Ausrottungsstrategen von Vietnam“, die schon jeder verstehe, und „unsere Aktionen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Gefangenen und der freien Genossen der RAF“, die schon jeder verstehen könne. Beklagt wird, daß die Zeitungen „unsere Erklärungen zu den Bombenanschlägen nicht einmal veröffentlichen“. Zu dieser Tonband-Erklärung der früheren Angeklagten Meinhof fanden sich in der „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee in Hamburg, in der auch schon das Paßstück zu dem an einem Sprengkörper im Springer-Verlag befestigten Geschirrtuchrest entdeckt worden war, 2 angefangene Entwürfe („Die rote hilfe in Frankfurt hat die Anschläge gegen das Polizeipräsidium in Augsburg und das Landeskriminalamt unpolitisch und begriffslos genannt. Die Aktion gegen das Ami-Casino in Frankfurt fanden sie richtig.“). Die Entwürfe sind auf der „Olympia“-Schreibmaschine aus der dortigen Wohnung geschrieben worden. Sie enthalten nochmals das zusammengefasste Bekenntnis zu 5 der vorausgegangenen Sprengstoffanschläge: „Wir haben die Aktion gegen Buddenberg und die in Augsburg und München gemacht, um das Leben der Genossen im Knast und von uns zu schützen, das Leben der Genossen, die die Anschläge in Frankfurt und Heidelberg durchgeführt haben ...“).

[39] Von der verstorbenen Mitangeklagten Ulrike Meinhof stammen nicht nur die in Hamburg verfasste Tonband-Erklärung und die Kommando-Erklärung „Thomas Weisbecker“, zu der sie Entwürfe hand- und maschinenschriftlich Mitte Mai 1972 in Frankfurt angefertigt hat. Die frühere Kolumnen-Schreiberin in der Zeitschrift „konkret“[35] hat sämtliche Kommando-Erklärungen zu den Sprengstoffanschlägen verfasst. Von ihr stammen auch die ab April 1971 verbreitete programmatische „RAF“-Schrift „Das Konzept Stadtguerilla“,[36] die ab April 1972 verbreitete „RAF“-Schrift „Stadtguerilla und Klassenkampf“[37] und die „RAF“-Schrift „Die Aktion des Schwarzen September in München“,[38] die ab November 1972 im Umlauf war; sie sollte die in der Haft geplante, vorläufig letzte „RAF“-Schrift „Stadtguerilla und Metropole BRD“, das Projekt „bassa“, verfassen. Sie war, mit den Worten der Angeklagten Ensslin in einem am 16. Juli 1973 sichergestellten Kassiber: „die Stimme“, mit der die nach ihr und dem Angeklagten Baader benannte Vereinigung sich artikulierte und Entscheidungen begründete.

[40] Bei den 6 Sprengstoff-Anschlägen wurden folgende Sprengkörper verwendet: Rohrbomben, Feldflaschenbomben, 11 kg- und 33 kg-Propangasflaschen, eine kleine Preßluftflasche sowie eine Doppelrohr- oder Nippelbombe. Nicht verwendet, aber sichergestellt wurden außerdem: Handgranaten, Kassettenbomben und die sogenannte „Baby-Bombe“.

Die Rohrbomben sind zylindrische Körper, deren Mäntel von einem Stahlrohr, das einen Durchmesser von 159 mm hatte, in einer Länge von etwa 200 mm abgesägt wurden. Die beiden Rohrenden wurden mit runden Stahlplatten verschweißt, die, bevor man sie in der passenden Abmessung aussägte, in einer charakteristischen Weise mit einer Reißnadel kreuzförmig angerissen und im Mittelpunkt mit einem Körnerschlag gekennzeichnet worden waren. In eine der Stahlplatten, den Bombendeckel, war wiederum eine kreisrunde Öffnung von 76 mm Durchmesser eingeschnitten. In diese Öffnung wurde ein 2 ½ Zoll-Gewinderohr („Fitting“) eingeschweißt, durch das die Sprengstoff-Ladung eingebracht werden konnte. Verschlossen war das Gewinderohr mit einer 6 Kant- oder 8 Kant-Schraubkappe, die oben durchbohrt wurde, um die Zündleitung aus dem Sprengkörper herauszuführen. Zur besseren Handhabung war schließlich noch ein Tragegriff aus einem 15 mm breiten Flacheisen angeschweißt. Das Material stammt weitgehend aus dem Heizungsbau.

Die Feldflaschenbomben kommen in zwei Versionen vor:

[41] zur mechanischen Zündung, wie Handgranaten, und nur zur elektrischen Zündung. Gemeinsam ist beiden Formen, daß sie aus jeweils 2 zusammengeschweißten runden Halbschalen („Klöpperböden mit Bord“) bestehen und eine Abmessung von insgesamt 160 x 100 mm haben; an einer Seite ist in eine Öffnung von 42 mm ein 1 ¼ Zoll-Gewindestutzen eingeschweißt, der mit einer 6 Kant-Schraubkappe verschlossen ist. In der einen, bei Anschlägen nicht verwendeten Version (zur mechanischen Zündung) sind - von Einzelstücken abgesehen - Handgranatenoberteile auf die Schraubkappen aufgesetzt; ferner ist ein Handgriff aus einem abgewinkelten Stahlrohr angebracht; der Bombenmantel ist gitterförmig gefräst („Sollbruchstellen“), um die Splitterwirkung zu erhöhen. In der anderen Version, die nur zur elektrischen Zündung vorgesehen war, dienten als Tragegriffe zwei aufgeschweißte Henkel aus 8 mm-Rundeisen. Diese Ausführung hatten die in Augsburg und Karlsruhe detonierten Feldflaschenbomben und ein in der Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt gefundener Sprengkörper. Die beiden Sprengkörper in Karlsruhe und Frankfurt waren überdies noch mit Haftmagneten ausgerüstet („Magnetbomben“). Dazu wurden drei Laschen aus Flacheisen an den Bombenkörper angeschweißt, und mit diesen Haltevorrichtungen wurde jeweils ein Magnet vernietet. Verwendet wurden dazu magnetische Türfeststeller, wie sie im Handel erhältlich sind. Das Material für die Bombenhüllen stammt wieder im wesentlichen aus dem Heizungsbau.

[42] Bei den verwendeten Gasflaschen handelt es sich um handelsübliche Behältnisse für Propan- und Butangas. Sie hatten ein Füllgewicht (für Propan) von 11 und 33 kg, ein annähernd gleichgroßes Leergewicht und ein Volumen von 27 beziehungsweise 79 Liter. Die Flaschen bedurften - abgesehen von der Ventilschraube, die abgesägt wurde - keiner weiteren Bearbeitung. Ebenso verhielt es sich bei der 0,8 Liter-Preßluftflasche mit einem Leergewicht von 1,7 kg, die in Augsburg detonierte.

Die Doppelrohr- oder Nippelbomben waren im Handel erhältliche, etwa 200 mm lange 2 Zoll-Rohrstücke mit Gewinden an beiden Enden, die mit 6 Kant-Schraubkappen verschlossen waren; jeweils 2 derartige Nippel wurden mit Klebeband zusammengehalten und bildeten dann einen Sprengkörper.

Die Handgranaten-Hüllen sind kleinere Stahlrohrstücke; an einem Ende ist ein Gewindestück mit einer 1 ¼ Zoll-Schraubkappe eingeschweißt, am anderen Ende ein Handgranatenoberteil mit Bügel zur mechanischen Zündung aufgesetzt.

Bei den Kassettenbomben handelt es sich um handelsübliche Geldkassetten, bei denen der Kassetten-Deckel mit dem Behältnis verschweißt und - für die Zündleitung - durchbohrt war.

[43] Die sogenannte „Baby-Bombe“ sollte von einer Frau unter der Kleidung unter Vortäuschung einer Schwangerschaft getragen werden. Sie bestand aus einer Halbkugel („Kalotte“) mit Boden zur Aufnahme des Sprengstoffs; diese konnte - etwa in einem Gebäude - abgelegt und dann elektrisch gezündet werden. Ein mit der Tragevorrichtung verbundener, aufblasbarer Kunststoffball erlaubte der Trägerin den Rückweg, ohne daß sie auffiel.

Bei den Sprengkörpern wurden unter anderem folgende Übereinstimmungen festgestellt:

Die Mäntel der in Hamburg und in Augsburg nicht detonierten 4 Rohrbomben sowie verschiedene Splitter von der Sprengstelle 2 in Frankfurt stammen von demselben Halbzeug; das ist das von einem einmaligen Produktionsvorgang herrührende Zwischenfabrikat, hier: Rohrfabrikat. Die chemische Zusammensetzung, das Gefüge des Metalls, die Bearbeitungsmerkmale stimmen überein. Ebenso stammen von ein und demselben Halbzeug die Böden und Deckel der 4 nicht detonierten Rohrbomben aus Hamburg und Augsburg sowie Splitter der detonierten Sprengkörper aus dem 3. und dem 6. Stock in Hamburg und von der Sprengstelle 2 in Frankfurt; die chemische Zusammensetzung, die Form und die Bearbeitungsmerkmale stimmen überein. Um dasselbe Halbzeug handelt es sich weiter - nach der übereinstimmenden chemischen Zusammensetzung, der Form, den Bearbeitungsspuren und dem Gefüge - bei den Henkeln (aus 8 mm-Rundeisen) der in der Inheidenerstraße in Frankfurt [44] gefundenen Magnetbombe sowie Splittern von Karlsruhe und von der in Augsburg im 4. Stock detonierten Feldflaschenbombe, ferner - nach den Übereinstimmungen in Form, Bearbeitungsspuren und Gefüge - bei den Laschen aus Flachstahl an der Magnetbombe in Frankfurt, Inheidenerstraße, und bei Splittern von Karlsruhe. Die Magnetfüsse, die an der in Frankfurt in der Inheidenerstraße gefundenen Magnetbombe angebracht waren und die Magneteisen, die bei dem Anschlag in Karlsruhe verwendet wurden, sind ihrer Art und Form nach völlig übereinstimmend. Der in Karlsruhe detonierte Sprengkörper war von der gleichen Machart wie die in Frankfurt, Inheidenerstraße, vorgefundene Magnetbombe; beide Sprengkörper haben schon nach der Machart denselben Hersteller. Ihrerseits denselben Hersteller - nach der Machart - haben die 4 nicht detonierten Rohrbomben in Hamburg und Augsburg.

Tatsächlich wurden - was die Sprengkörperhüllen anbelangt - sämtliche 7 Rohrbomben, die in Hamburg, Augsburg und Frankfurt eingesetzt wurden, und die in Augsburg detonierte Feldflaschenbombe (ohne Haftmagneten), die in Karlsruhe detonierte sowie die in Frankfurt in der Inheidenerstraße sichergestellte Magnetbombe von ein und derselben Person hergestellt: dem Metallbildner Dierk Hoff[39] in Frankfurt. Er hat in Frankfurt zentral im Frühjahr 1972 die Gruppe, die sich als „RAF“ ausgewiesen hat, mit den angeführten Sprengkörperhüllen beliefert. Von ihm stammen auch die Handgranaten, die im Hofeckweg in Frankfurt, im Schloß- [45] teich in Bad Homburg und bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof sichergestellt wurden und deren Hüllen in der chemischen Zusammensetzung und in den Bearbeitungsmerkmalen übereinstimmen, ferner die in der Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt gefundene „Baby-Bombe“ und überdies die weiteren - zu Anschlägen nicht verwendeten - Feldflaschenbomben, die in der Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt, im Heuchelbach in Bad Homburg und bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof sichergestellt wurden und alle die gleiche Machart haben.

Gefüllt wurden die Sprengkörper mit charakteristischen Sprengstoff-Gemischen, dem sogenannten roten und dem grauen Sprengstoff. Beide Sprengstoffe waren in Europa bis zu den Anschlägen im Mai 1972 nach polizeilichen Erkenntnissen zu Sprengstoff-Delikten nicht verwendet worden. Allerdings war das graue Gemisch dem Fachmann als Sprengstoff - etwa für gewerbliche Zwecke - bekannt. Dagegen war ein Sprengstoff, der wie das rote Gemisch zusammengesetzt ist, bis dahin unbekannt.

Beide Gemische folgen Rezepturen, wie sie in der Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt und im Kurparkweiher in Bad Homburg gefunden wurden. Der rote Sprengstoff setzt sich danach aus Ammoniumnitrat, Bleimennige (daher die rote Farbe) und Aluminiumpulver im Verhältnis 4:3:2 [46] zusammen; zur besseren Initialzündung können noch Kalium-Chlorat und Zucker zugesetzt werden („Thermit-Ladung“). Die Zusammensetzung für den grauen Sprengstoff findet sich im „Anarchistischen Kochbuch“, einem englischen Text mit Sprengstoff-Anleitungen, auf S. 116 unter Nr. 1: 60 % Ammoniumnitrat, 29,5 % Kaliumnitrat, 2,5 % Schwefel, 4 % Holzkohle, 4 % Sägmehl.

Die in Hamburg nicht detonierten drei Rohrbomben waren jeweils unten mit dem grauen, darüber mit dem roten Sprengstoff gefüllt. Die gleichen Sprengstoffe fanden sich in Sprengkörpern, die in der Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt vorgefunden wurden: das rote Gemisch (mit grauen Zusätzen) in zwei 11 kg- Propangasflaschen, das graue Gemisch in zwei Feldflaschenbomben und in der „Baby-Bombe“; die Ladung der beiden Gasflaschen und der „Baby-Bombe“ waren außerdem jeweils mit mehreren hundert Stahlkugeln mit Durchmessern zwischen 5 und 19 mm angereichert. Ebenfalls in dieser Wohnung fanden sich in Eimern und Papiersäcken 50 kg des grauen und 128 kg des roten Sprengstoffs. Von den in Bad Homburg weggeworfenen Sprengkörpern waren eine Feldflaschenbombe und zwei Handgranaten mit dem grauen, zwei Doppelrohrbomben mit dem roten Sprengstoff (nebst grauen Zusätzen) gefüllt, die Doppelrohrbomben waren außerdem mit Stahlkugeln angereichert. Die Kassettenbombe in dem sichergestellten Pkw Porsche KN-CU 90 im Hofeckweg in Frankfurt enthielt den roten Sprengstoff; [47] in der Garage selbst war ein Eimer mit 9 kg des grauen Sprengstoffs gefüllt. Von den bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof in Langenhagen sichergestellten Sprengkörpern enthielt eine Feldflaschenbombe und eine Handgranate den grauen Sprengstoff, die Handgranate außerdem noch Stahlkugeln. Die Gemische stimmen jeweils in der qualitativen Zusammensetzung und die insoweit überprüften Gemische der drei Rohrbomben aus Hamburg und mehrerer Proben aus der Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt - mit belanglosen Abweichungen - auch in der quantitativen Zusammensetzung überein.

Im Gegensatz zu diesen selbstgemischten Sprengstoffen kamen auch gewerbliche Sprengstoffe vor, so in drei Handgranaten, die im Hofeckweg in Frankfurt in dem Pkw Porsche, bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof in Langenhagen und in Bad Homburg sichergestellt wurden. Gewerblicher oder militärischer Sprengstoff wurde unverdämmt ebenfalls in Bad Homburg gesichert.

Die von den detonierten Sprengkörpern an allen 6 Tatorten gesicherten Sprengstoffspuren passen wiederum in das Bild der angeführten roten und grauen Gemische.

Bei dem roten und dem grauen Gemisch handelt es sich um Explosivstoffe, die gegen Einwirkungen durch Erschütterungen, Wärme usw. verhältnismäßig sicher, die aber auch schwerer zu entzünden sind. Auch ist die Detonationsgeschwindig- [48] keit für einen Sprengstoff verhältnismässig niedrig; Splitter sind grösser, fliegen aber eventuell weiter als bei brisanteren Sprengstoffen; die Wirkung der detonierten Sprengkörper spricht gleichwohl für sich.

Bei einer Schüttdichte von 1,1 bis 1,2 g pro ml für den roten Sprengstoff und von 0,6 bis 0,7 g pro ml für das graue Gemisch ergeben sich für die eingesetzten Sprengkörper zum Teil imponierende Sprengstoffmengen. So faßten: die 11 kg-Gasflaschen mit einem Volumen von 27 l geschüttet 32 kg des roten oder 19 kg des grauen Sprengstoffs, gerüttelt 36 kg des roten oder 19,9 kg des grauen Sprengstoffs; die 33 kg-Gasflaschen mit einem Volumen von 79 l geschüttet 95 kg des roten oder 55 kg des grauen Sprengstoffs, gerüttelt 105 kg des roten oder 57 kg des grauen Sprengstoffs. Die in Hamburg nicht detonierten Rohrbomben waren mit etwa 4 kg des roten und grauen Sprengstoffs gefüllt.

Das Grundmuster für die Zündung der für Anschläge ausersehenen Sprengkörper zeigt sich an den nicht detonierten Rohrbomben in Hamburg und in mehr oder minder fortgeschrittenem Stadium an Sprengkörpern, die in der Inheidenerstraße in Frankfurt sichergestellt wurden: eine gewerbliche oder eine mit einer Aluminiumhülse und mit Knallquecksilber selbstgefertigte Zündkapsel für eine elektrische Zündung; der Zünder, da die Spreng- [49] stoffgemische nur schwer zu entzünden waren, noch zusätzlich mit einer grünen „Dynacord“-Sprengschnur verbunden, und zwar - charakteristisch, weil so nicht üblich - am Ende der Sprengschnur; als Stromquelle, sofern kein anderweitiger Anschluss erfolgte, eine 50 V-Varta-Batterie, zu der aus dem Sprengkörper heraus die Zündleitungen führten; an eine Zündleitung ein Kurzzeitmesser (Wecker aus Kaufhäusern) angeschlossen, der mit einem Kontaktgeber für den Uhrzeiger präpariert war.

[50] Am 16. Juni 1972 wurde in Frankfurt in der Inheidenerstraße 69 eine konspirative „RAF“-Wohnung aufgedeckt. Sie war auf dem Gebiet der Bundesrepublik die Zentrale für die Fertigstellung der Sprengkörper. Von ihr gehen die Sprengstoffanschläge im Mai 1972 aus. In ihr - nebst der zugehörigen Garage im Hofeckweg in Frankfurt - konzentrieren sich die Sachspuren, die von den Tatorten auf die Urheber der Taten zurückführen.

Die im 4. Stock gelegene 3 Zimmer-Wohnung war im Januar 1972 von dem Diplom-Psychologen Wolfgang Pflug gemietet worden. Auftraggeber war der am 2. März 1972 in Augsburg erschossene Thomas Weisbecker („Dieter“). Die Wohnung war, wie Tageszeitungen, Stromverbrauch und Telefonrechnungen zeigen, vom Januar bis einschließlich Mai 1972 benutzt worden.

Sie diente zum Wohnen - es fanden sich die üblichen Matratzenlagen sowie Lebensmittel und Kosmetikartikel - und zur Fertigung von Sprengstoffen und Sprengkörpern in großem Umfang. So wurden sichergestellt:

eine Magnetbombe mit Magnetfüßen nebst Gegenstücken ohne Sprengstoff;

2x11 kg-Gasflaschen mit rotem und grauem Sprengstoff sowie mit Stahlkugeln gefüllt und mit Zündern versehen;

3 Feldflaschenbomben mit Handgranatenzündern, 2 dieser Sprengkörper mit grauem Sprengstoff gefüllt;

1 „Baby-Bombe“ mit grauem Sprengstoff und Stahlkugeln [51] (u.a. mit einem Durchmesser von 7,938 mm) gefüllt und mit einem Zünder versehen;

128 kg roter und 50 kg grauer Sprengstoff in Eimern und Papiersäcken;

51 kg Aluminiumpulver, 24 kg Kaliumnitrat, 12 kg Ammoniumnitrat, 3 kg Schwefel zur Herstellung von Sprengstoff;

Quecksilber sowie 15 Flaschen Schwefelsäure, Salpetersäure und Weingeist zur Herstellung von Knallquecksilber;

ferner Pikrinsäure (ebenfalls zur Herstellung von Zündmitteln) und Nitrozellulose;

Kaffeemühlen, Handmixgeräte, ein Plastikeimer mit Deckel, in den eine Kaffeemühle eingesetzt war, allesamt mit entsprechenden Anhaftungen, zum Mahlen und Mischen der Sprengstoff-Bestandteile;

das „Anarchistische Kochbuch“ und maschinenschriftliche Aufzeichnungen mit Anleitungen zur Herstellung unter anderem des grauen und des roten Sprengstoffs; handschriftliche Berechnungen über Sprengstoffzusammensetzungen nach Gewichtsanteilen;

ein Karton Stahlkugeln SKR verschiedener Abmessung, unter anderem mit einem Durchmesser von 7,938 mm; eine Rolle grüner Sprengschnur „Dynacord“, Millisekundenzünder und Sprengkapseln, wie sie in den sichergestellten Sprengkörpern verwendet wurden und unter anderem Anfang April 1972 in einem Steinbruch der Casseler [52] Basaltwerke in Oberaula (Hessen) gestohlen worden waren (ein dabei mitgenommener Schneidbrenner befand sich ebenfalls in der Wohnung, abgeschnittene Schlauchreste von diesem Gerät blieben im Steinbruch in Oberaula zurück);

Aluminiumrohre zur eigenen Herstellung von Zündmitteln; zahlreiche Wecker und Weckerteile sowie Aufkleber und Verpackungsmaterial von 50 V-Varta-Batterien;

Kabel, Zünddrähte, Litzen, sonstiges Zündermaterial in großen Mengen;

abgehebelte Typenschilder von 11 kg- und 33 kg-Propangasflaschen sowie abgesägte Ventile von Gasflaschen; Rohrnippel mit beidseitigem Gewinde, 200 mm lang, und 2 Zoll-Schraubkappen;

in einem „Werkstatt“-Raum eine Werkbank und ein Arbeitstisch, sowie Werkzeuge jeglicher Art in großer Menge in der ganzen Wohnung;

Kfz-Kennzeichen wie das Original-Kennzeichen GL-CW 145, amtliche Zulassungsplaketten, unter anderem aus Fürstenfeldbruck, selbstgefertigte Schloßauszieher zum Diebstahl von Kraftfahrzeugen, Schlagzahlen zum Verfälschen von Fahrgestellnummern, sowie handschriftliche Notizen mit Kennzeichen und Daten von Kraftfahrzeugen;

ferner 50 Wechselrahmen zum raschen Auswechseln von Kfz-Kennzeichen, von einem Schweizer Sympathisant geliefert;

eine Schreibmaschine „Erika“ mit der Fabriknummer [53] 571 609/6;

Waffen und sonstiges Gerät aus der Werkstatt des Metallbildners Dierk Hoff, so etwa Schrotabschußgeräte, ein automatisches Schrotgewehr mit Magazin, ein Nitriergerät;

Munition in großer Menge.

Um die Zentrale in der Inheidenerstraße („Laube“) spannte sich ein Netz von weiteren Wohnungen und Garagen in Frankfurt und Umgebung.

Dazu gehörte etwa die Garage in Hofeckweg 2 - 4 in Frankfurt, bei der am 1. Juni 1972 die Angeklagten Baader und Raspe sowie der verstorbene Angeschuldigte[40] Meins nach einem Schußwechsel festgenommen wurden. Sie diente zum Abstellen von Kraftfahrzeugen und zum Abfüllen von Sprengkörpern. In der Garage fanden sich neben einem Pkw Iso Rivolta 9 kg grauer Sprengstoff, 5 Kartons Schwefel, 4 Kartons Holzkohle, sowie Eimer, Abfülltrichter, Schaufeln mit Anhaftungen von Sprengstoff-Bestandteilen (Ammonium, Kohle, Holz, Aluminium, Mennige). Eine 11 kg-Gasflasche der Firma Scharr war noch mit Propangas gefällt. Außerdem wurde eine Schlüsseltasche mit der Aufschrift „Hof“ und insbesondere das Typenschild der Firma Hauke in Würzburg mit der Eigen- [54] tümernummer 30094 sichergestellt, das von der in Heidelberg detonierten 33 kg-Gasflasche (Sprengstelle 1) mit einem in der Inheidenerstraße sichergestellten Schraubenzieher abgehebelt worden war. Nahe der Garage stand der unlackierte auberginefarbige Porsche Targa mit der Kennzeichen-Doublette KN-CU 90 und der mit Schlagzahlen aus der Inheidenerstraße gefälschten Fahrgestellnummer 9111211638. In dem Fahrzeug lagen ein Revolver, eine Maschinenpistole, eine Handgranate mit gewerblichem Sprengstoff, eine Kassettenbombe mit rotem Sprengstoff, ausserdem eine Schaufel mit Anhaftungen des roten Sprengstoffs (Mennige, Aluminium). Mit diesem Fahrzeug, das in den Monaten zuvor tagsüber regelmässig in der Nähe der Inheidenerstraße, nämlich in der Kohlbrandstraße in Frankfurt, geparkt wurde, waren Baader, Raspe und Meins am 1. Juni 1972 vorgefahren.

Eine weitere Garage stand in der Ginnheimer Landstraße 42 in Frankfurt zur Verfügung. Sie war von dem Studenten Wolfgang Pracht auf Veranlassung des Angeklagten Raspe gemietet und von diesem auch benutzt worden. Als sie im Juni 1972 aufgedeckt wurde, fanden sich in ihr neben zwei gestohlenen Personenkraftwagen (1 VW-Variant, 1 NSU-Prinz) unter anderem 21 kg Ammoniumnitrat und eine Schöpfkelle mit Anhaftungen von Mennige, Aluminium und Holzkohle.

Eine konspirative Wohnung befand sich in der Raimundstraße 104 in Frankfurt. Sie war angeblich von einem [55] „Freimut Duve“ gemietet worden und wurde im Juni 1972 aufgedeckt. Die frühere Angeklagte Meinhof führte bei ihrer Festnahme einen Schlüssel mit, der zur Wohnungsund Haustür passte. Aufgehalten hatten sich in der Wohnung unter anderem die Angeklagte Ensslin und das „RAF“-Mitglied Müller[41]. Sie diente für konspirative Treffs, so zum Beispiel Mitte Mai 1972 für eine Zusammenkunft mit dem Schweizer Sympathisanten, der den Kommandobrief „Thomas Weisbecker“ an der Schweizer Grenze in Lörrach einwarf; gelegentlich übernachteten dort Gruppenmitglieder. Als sie aufgedeckt wurde, war die Wohnung fast leer.

Dazu kamen weitere Wohnungen in Frankfurt, etwa in der Bergerstraße („Hof“), in Offenbach in der Schloßstraße 20-22 („Faß“), in Heusenstamm bei Frankfurt („Sack“) und in Bad Homburg v.d.H. in der Dietigheimerstraße Nr. 1 („Mühle“). Eine Schlüsseltasche mit der Aufschrift „Hof“ befand sich in der Garage im Hofeckweg, Schlüssel mit den Anhängern „Hof“ und „Sack“ führte die frühere Angeklagte Meinhof ebenso wie einen zu der Wohnung in der Inheidenerstraße passenden Schlüssel mit der Aufschrift „Laube“ bei ihrer Festnahme mit sich. Alle diese Wohnungen werden in einem bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof sichergestellten Schriftstück, das die Angeklagte Ensslin in der Haft verfasst hat („Ensslin-Kassiber“[42]), erwähnt: „Laube räumen ... Wichtiges wie gehabt (Sack) [56] in d. Mühle ...“. Laube muß aufgegeben werden (sie suchen nach Anhaltspunkten i. unseren Klamotten, Uhren, Schuhen etc.)“. Andere Wohnungen in der Frankfurter Gegend sollten beibehalten werden: „Liesel“ (Meinhof) sollte sich in den „Sack“ (Heusenstamm) begeben, „Ha + Ga“ (Müller und Moeller) in das „Faß“ (Offenbach), die „Mühle“ (Homburg) sollte „als Depot“ erhalten bleiben. Auch eine „Hof-Tante“ wird erwähnt.

Zu den Sachen, die mindestens zum Teil aus der Wohnung in der Inheidenerstraße stammen, jedenfalls aber den Wohnungen und Garagen in Frankfurt und Umgebung zuzurechnen sind, gehören auch die umfangreichen Funde, die im Juli und August 1972 in Bad Homburg vor der Höhe im Heuchelbach, im Kurparkweiher und im Schloßteich gemacht wurden. Sie zeigen vollends das Ausmaß der Mittel, die der Zentrale in Frankfurt für die Sprengstoffanschläge zur Verfügung standen. So wurden unter anderem sichergestellt:

eine Feldflaschenbombe mit Handgranatenzünder, gefüllt mit grauem Sprengstoff;

3 Handgranaten, davon 2 mit grauem Sprengstoff, die dritte mit gewerblichem Sprengstoff gefüllt; eine Kassettenbombe ohne Zünder und ohne Ladung;

2 Doppelrohrbomben mit rotem und grauem Sprengstoff sowie Stahlkugeln gefüllt und mit Zündern versehen; verschiedene militärische Sprengkörper amerikanischer Herkunft;

[57] unverdämmter gewerblicher oder militärischer Sprengstoff und Quecksilber;

maschinenschriftliche Aufzeichnungen mit Anleitungen zur Herstellung des roten Sprengstoffs und zur Fertigung von Sprengkapseln mit Hilfe von Pikrinsäure und Quecksilber (die Aufzeichnungen waren ebenso wie in der Inheidenerstraße in Frankfurt gefundene Sprengstoffanleitungen auf der „Erika“-Schreibmaschine aus der Inheidenerstraße geschrieben worden);

ferner gedruckte Anleitungen für den Gebrauch von Sprengkapseln;

eine Rolle Sprengschnur „Dynacord“, Zündschnüre, Zündlichter, 50 V-Varta Batterien Pertrix 49, präparierte Kurzzeitmesser, ein elektrischer Zündverzögerer Schweizer Herkunft, Teile von Handgranatenzündern, ein Kippschalter wie er in einer Rohrbombe in Hamburg verwendet wurde;

verschiedene 2 ½ Zoll-Nippelstücke;

mehrere unbearbeitete Geldkassetten;

Schweißelektroden, Lötkolben, Lötzinn;

18 Blatt Schreibmaschinenschriften, unter anderem mit Kommandoerklärungen zu den Sprengstoffanschlägen in Frankfurt, Augsburg und München, Karlsruhe, Hamburg und Heidelberg, ein Entwurf zur Kommandoerklärung „Thomas Weisbecker“ mit Streichungen, allesamt geschrieben auf der „Erika“-Schreibmaschine, die in der Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt gefunden wurde;

[58] vereinzelt auch „RAF“-Erklärungen von der „Olympia“-Schreibmaschine aus der Paulinenallee in Hamburg;

ferner - von einer unbekannten Schreibmaschine - ein weiterer Entwurf mit handschriftlichen Korrekturen der früheren Angeklagten Neinhof zu der Kommandoerklärung „Thomas Weisbecker“;

außerdem Kohlebögen, mit deren Hilfe „RAF“-Erklärungen auf der „Erika“-Schreibmaschine aus der Inheidenerstraße geschrieben worden waren;

Kfz-Kennzeichen, unter anderem aus Zürich, die ein Schweizer Sympathisant geliefert hatte; ein Schlüssel, der zur Garage im Hofeckweg in Frankfurt passte;

ein Schlüssel, der zum Hinterausgang des Gebäudes Oberlindau 67 in Frankfurt (Werkstatt Dierk Hoff) passte; Waffen und grosse Mengen Munition, unter anderem auch eine Maschinenpistole, die Hoff für den Angeklagten Raspe ungebaut hatte.

Wenn vereinzelt Spuren von den Sprengstoffanschlägen in andere Städte als Frankfurt führen, so stehen diese Spuren entweder im Zusammenhang bloß mit der Verpackung von Sprengkörpern (Hamburg, Paulinenallee) oder etwa mit dem Diebstahl von Kfz-Zulassungsplaketten für ein Tatfahrzeug (Stuttgart, Seidenstraße), ändern aber daran nichts, daß in Frankfurt die verwendeten Sprengkörper gefertigt und eingesetzte Tatfahrzeuge präpariert wurden. Diese anderen Wohnungen stehen nicht in Konkurrenz mit [59] der Frankfurter Sprengstoff- und Sprengkörperzentrale.

Die im Oktober 1972 aufgedeckte „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee 36 in Hamburg („Bunker“) war unter dem Namen der Lehrerin Sybille Marzahn gemietet und außer von den „RAF“-Mitgliedern Jünschke,[43] Stachowiak[44] und Roll[45] unter anderem auch von der früheren Angeklagten Meinhof - etwa in der zweiten Maihälfte 1972 - und - so in den letzten Tagen vor ihrer Verhaftung - von der Angeklagten Ensslin benützt worden. Die Angeklagte Ensslin führte bei ihrer Festnahme am 7. Juni 1972 in Hamburg einen zur Wohnungstür passenden Schlüssel mit dem Anhänger „Bunker“ mit sich. In der Wohnung befand sich ausser einer „Olivetti“-Schreibmaschine die „Olympia“-Schreibmaschine mit der Fabriknummer 7 - 44922, mit der die Kommandoerklärung zum Anschlag in Heidelberg, die beiden Distanzierungsbriefe zur Stuttgarter Bombendrohung und Entwürfe zur Tonbanderklärung der früheren Angeklagten Meinhof vom 31. Mai 1972 geschrieben worden waren. Neben zahlreichen Zeitungen, Büchern, Stadtplänen wurden Waffen, große Mengen Munition und zahlreiche Polizeiuniform-Stücke sichergestellt; im Keller stand ein Fotokopiergerät. Es fand sich der Geschirrtuch-Rest, zu dem ein Paßstück an einer Rohrbombe im Springer-Verlag in Hamburg auf der Schraubkappe angebracht war, ferner weiße Papierwolle, die ebenfalls zur Verpackung von Sprengkörpern - so in Hamburg bei Springer im 2. und [60] 12. Stock - in Betracht kam. Auch viel Werkzeug, Klebemittel, etliche Wecker wurden gefunden. Nicht vorhanden waren Sprengkörper, Sprengstoffe und Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoffen.

Ebenfalls in Hamburg wurde im Juni 1972 die „RAF“-Wohnung in der Ohlsdorfer Straße 1 - 3 („Dreieck“) aufgedeckt. Sie war unter anderem von den „RAF“-Mitgliedern Jünschke und Müller sowie von der früheren Angeklagten Meinhof benützt worden. Die Angeklagte Meinhof führte bei ihrer Festnahme einen zur Wohnungstür passenden Schlüssel mit sich. In der Wohnung fand sich ein zur Wohnung in der Paulinen-Allee passender Schlüssel mit der Aufschrift „Bunker“. Ebenfalls in dieser Wohnung wurde ein Schlüssel sichergestellt, der zu dem ausgewechselten Zündschloss des in Frankfurt im Hauptquartier des 5. US-Corps zurückgelassenen blauen VW passte. In der Wohnung stand eine Reiseschreibmaschine ohne Fabrikat mit der Seriennummer 0231324999, mit der möglicherweise die beiden Kommandoerklärungen zum Anschlag in Hamburg geschrieben worden waren. Vorgefunden wurde neben weiteren Exemplaren unter anderem die Original-Maschinenschrift zu der „RAF“-Broschüre „Das Konzept Stadtguerilla“ mit Anweisungen für den Druck und handschriftlichen Korrekturen der früheren Angeklagten Meinhof. Wiederum fanden sich viel Werkzeug, Klebemittel, etliche Wecker, auch zahlreiche Kfz-Kennzeichen mit [61] Zetteln über die zugehörigen Kraftfahrzeuge, ferner ein einzelner roter Damenhandschuh, der zu einem von der Angeklagten Ensslin bei ihrer Festnahme mitgeführten Einzelstück passte. Sprengkörper, Sprengstoffe oder Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoffen waren nicht vorhanden.

Allerdings führte die frühere Angeklagte Meinhof, als sie auf der Reise von Hamburg zusammen mit dem „RAF“-Mitglied Müller am 15. Juni 1972 in Langenhagen festgenommen wurde, neben Waffen und Munition unter anderem eine Feldflaschenbombe und zwei Handgranaten mit sich. Alle drei Sprengkörper waren mit Sprengstoff gefüllt: die Feldflaschenbombe mit grauem, eine Handgranate ebenfalls mit grauem Sprengstoff und Stahlkugeln, die andere Handgranate mit gewerblichem Sprengstoff. Bei allen drei Sprengkörpern handelte es sich um Wurfgranaten aus der Werkstatt des Metallbildners Hoff in Frankfurt.

In Stuttgart befand sich die im Juni 1972 entdeckte „RAF“-Wohnung in der Seidenstraße 71. Sie war unter dem Namen „Zerbel“ gemietet worden und wurde unter anderem von dem „RAF“-Mitglied Irmgard Moeller[46] benutzt. Die Angeklagte Ensslin führte bei ihrer Festnahme einen Schlüssel mit sich, der zur Wohnungstür passte. In der Wohnung fanden sich das übliche Matratzenlager, Lebensmittel und Zeitungen aus den Monaten Mai und Juni 1972. Sichergestellt wurde eine Blechschere, mit deren Hilfe [62] in Fürstenfeldbruck amtliche Zulassungsplaketten gestohlen worden waren, die ihrerseits wiederum in die Inheidener Straße nach Frankfurt gelangten; eine abgelöste Plakette befand sich dann an dem Tatfahrzeug des Münchner Sprengstoffanschlags. Auch wurden Unterlagen entdeckt, die zeigten, daß die Bewohnerin Moeller den Stuttgarter Polizeifunk abhörte. Nicht vorhanden waren Sprengkörper, Sprengstoff oder Chemikalien zur Sprengstoffherstellung.

Das gleiche gilt für die ebenfalls im Juni 1972 in Stuttgart aufgedeckte „RAF“-Wohnung in der Oberen Weinsteige 66, die unter dem Namen eines „Winfried Strobel“ gemietet worden war, das übliche Matratzenlager enthielt, aber sonst zu keinen nennenswerten Funden führte.

Sprengstoffunde in Berlin, wo es in einer „RAF“-Wohnung in der Budapester Straße zu einer Explosion kam, geben keinen Anhalt für einen Zusammenhang mit den auf dem Gebiet der Bundesrepublik verübten Anschlägen vom Mai 1972.

[63] In Frankfurt, und dort insbesondere in der Zentrale in der Inheidener Straße, hielten sich im Frühjahr 1972 die drei Angeklagten hauptsächlich auf; das gilt auch für den Monat Mai 1972.

Die Angeklagten rechnen sich selbst der „RAF“ zu. Sie haben in dieser Vereinigung persönliches Gewicht und spielen eine bedeutende Rolle. Das trifft insbesondere auf die Angeklagten Baader und Ensslin, aber auch auf den Angeklagten Raspe zu. Der Angeklagte Baader hatte - schon damals - „die Funktion von Führung ... in der „RAF“; er war anerkannt als die „Orientierung“ für die Gruppe, und er war derjenige, der „den weitesten Blick, die größte Sensibilität und die meiste Kraft zur Koordination des kollektiven Prozesses“ hatte. Nicht von ungefähr war die Gruppe unter seinem und den Namen der früheren Angeklagten Meinhof bekannt. Die Angeklagte Ensslin spielte eine wichtige Rolle für die Organisation und die Logistik in der Gruppe insgesamt; mit ihren Ideen, Initiativen und ihrer antreibenden Energie suchte sie bestimmenden Einfluß auf Entscheidungen in der Gruppe zu nehmen. Der Angeklagte Raspe war der „Statthalter“ in Frankfurt, der - allein oder mit Hilfe anderer - an diesem wichtigen Ort sich um Wohnungen und Garagen sowie um Personenkontakte (mit Mittelsmännern, Sympathisanten, Handlangern) kümmerte.

[64] Zusammen mit anderen, so auch dem früheren Angeschuldigten Meins und dem „RAF“-Mitglied Gerhard Müller, waren die Angeklagten im Frühjahr 1972 damit beschäftigt, Sprengstoffanschläge vorzubereiten. In unterschiedlichen Rollen, aber tatkräftig zusammenwirkend, beschafften sie Sprengkörperhüllen, Rezepte und Chemikalien zur Sprengstoffherstellung, Batterien, Kurzzeitmesser, Sprengkapseln, Sprengschnüre, Zündleitungen und anderes Material, um zündfertige Sprengkörper herzustellen. Dabei ist der Anteil der Angeklagten nicht durchweg in allen Einzelheiten festzustellen; sicher ist, daß sie in das intensive Vorbereitungsprogramm eingespannt waren und daß sie voller Einfälle, Initiativen und Hingabe bei der Sache waren.

Die Bombenhüllen, die bei den Anschlägen im Mai 1972 dann verwendet wurden, lieferte zu einem großen Teil der Metallbildner Dierk Hoff, der in Frankfurt, Oberlindau 67, eine Werkstatt unterhielt, technische Fertigkeiten hatte und über die notwendigen Maschinen und Geräte verfügte. Um ihn kümmerte sich der Angeklagte Raspe („Lester“) zusammen mit dem früheren Angeschuldigten Meins („Erwin“) und dem vielseitig verwendbaren Gerhard Müller („Harry“). Meins kannte Hoff von früher. Er hatte zusammen mit dem Angeklagten Raspe schon Ende 1971 die Bekanntschaft erneuert und den Kontakt der Gruppe mit ihm angebahnt. Beide - zum Teil allein, zum Teil gemein- [65] sam - bewegten den technisch vernarrten Bastler, der sich ansonsten im Jazz-Keller heimisch fühlte, die an ihn herangetragenen Fertigungs-Aufträge für die Gruppe zu erfüllen; sie schafften das notwendige Material heran, hielten ihn bei Laune und holten die fertigen Stücke ab.

Hoff lieferte nach und nach: Schloßauszieher für Kfz-Diebstähle, Handgranaten-Oberteile, eine „Baby“- oder Schwangeren-Bombe mit Tragevorrichtung, Schrotabschußgeräte, ein Nitriergerät zur Sprengstoffherstellung, Handgranaten-Hüllen, Werkzeuggürtel sowie den Griff und die Schulterstütze für eine Maschinenpistole. Er lieferte insbesondere auch 9 Feldflaschenbomben in zwei Versionen zu 6 und 3 Stück, darunter 2 Magnetbomben, und außerdem wenigstens 7 Rohrbomben; die Rohrbomben und 2 Feldflaschenbomben wurden bei den Sprengstoffanschlägen im Mai 1972 verwendet. Bei der Erteilung dieser beiden Aufträge über die Feldflaschen- und Rohrbomben in der Werkstatt Hoffs wirkte der Angeklagte Raspe mit. Insbesondere war er es, der Hoff erläuterte, wie die Rohrbomben beschaffen sein sollten. Danach kam er nicht mehr mit Hoff zusammen. An seine Stelle trat Müller. Dieser beschaffte zusammen mit Meins das Material für die Rohrbomben, und er war es, der fertige Rohrbomben-Hüllen abholte und in die Wohnung in der Inheidener Straße brachte.

[66] Weitere Sprengstoffbehältnisse, so die 33 kg- und 11 kg-Propangasflaschen, wurden gestohlen - Gelegenheit dazu bot sich etwa an Baustellen - und stückweise in die von den Angeklagten benutzte Wohnung in der Inheidener Straße oder in dazu gehörige Garagen - wie im Hofeckweg - gebracht, um dort gefüllt und zündfertig gemacht zu werden. Bei diesen Behältnissen mußten die Ventilschrauben abgesägt werden, ferner wurden die Typenschilder abgehebelt; einer weiteren Bearbeitung bedurften sie nicht. Das Material für die Doppelrohr- oder Nippelbomben konnte bei Heizungsbaufirmen gekauft werden: Rohrnippel mit Gewinden an beiden Enden, auf die passende Verschlußkappen aufgeschraubt wurden. In die Rohrkappen mußte noch ein Loch gebohrt werden, um die Zünderdrähte einzuführen; dazu bedurfte es keiner fremden Hilfe.

Zur Herstellung von Sprengstoff mußten chemische Anleitungen beschafft werden. Chemische Vorkenntnisse besaß der Angeklagte Raspe, der einmal ein Chemiestudium begonnen hatte. Als Anleitung für den grauen Sprengstoff diente das „Anarchistische Kochbuch“, das in der Wohnung in der Inheidener Straße sichergestellt wurde. Einer übersetzte den englischen Text und machte handschriftliche Notizen an den Rand. Das Rezept für den roten Sprengstoff wurde einer maschinenschriftlichen Aufzeichnung entnommen, die später ebenfalls in der Wohnung in der Inheidener Straße gefunden wurde. Verschiedene Gruppenmitglieder stellten in der Wohnung handschriftliche Berechnungen über die Gewichtsanteile der für die Sprengstoffe ver- [67] wendeten Chemikalien an. Auch wurde - wie handschriftliche Aufzeichnungen zeigen - das in dem „roten Rezept“ vorgeschriebene Mischungsverhältnis variiert mit Mischungen, die einen geringeren Blei-Anteil hatten: der verhältnismäßig hohe Anteil an Bleimennige reagiert schlecht durch, rote Rückstände bleiben bei der Detonation zurück. Das war erkannt worden.

Um ausreichende Mengen Sprengstoff zu gewinnen, wurden Chemikalien in großem Umfang angeschafft: wenigstens 10 Zentner Ammoniumnitrat, mehrere Zentner Kaliumnitrat, Bleimennige und Aluminiumpulver, dazu Schwefel, Holzkohle und Sägmehl, ferner Quecksilber, Schwefelsäure, Weingeist und Salpetersäure zur Herstellung von Knallquecksilber, überdies Eisenoxyd und Kaliumchlorat für weitere Sprengstoffvariationen. Die große Masse dieser Chemikalien, zu deren Ankauf sich die Gruppe hauptsächlich des Mitglieds Müller bediente, blieb in Frankfurt und gelangte dort nach und nach in die Wohnung in der Inheidener Straße. Dort wurden in großer Zahl Gerätschaften zum Mahlen und Mischen bereitgestellt. Das Ammonium- und das Kaliumnitrat mußten, weil sie zum Mischen zu grob waren, gemahlen werden. Dazu wurde eine Anzahl von Kaffeemühlen angeschafft, die, weil der Verschleiß groß war, immer wieder ersetzt werden mußten. Um die starke Staubentwicklung zu verringern, die sich bei der improvisierten Zerkleinerung von mehreren Zentnern Nitraten ergab, wurde eine Vorrichtung gebaut, die aus einem Eimer mit einem [68] Deckel bestand, in den eine Kaffeemühle eingesetzt war. Nach dem Mahlen wurden die Sprengstoffbestandteile gemischt. Dies geschah mit Hilfe von Handmixern in einer Plastikwanne. Die fertigen Gemische wurden dann in Eimern und Säcken in der Inheidener Straße zum Abfüllen bereitgestellt. Gefüllt - mit Trichtern und Schöpfkellen - wurden die Sprengstoffbehältnisse in der Inheidener Straße, zum Teil auch in Garagen wie im Hofeckweg und in der Ginnheimer Landstraße. Das mühsame, zeitraubende und gefährliche Geschäft des Mahlens, Mischens und Abfüllens in der Wohnung in der Inheidener Straße wurde mit vereinten Kräften, insbesondere auch von den drei Angeklagten, besorgt. Andere, so Meins und Müller, mögen dabei geholfen haben. Außerdem war jedenfalls der Angeklagte Raspe damit befasst, die Sprengstoffüllungen in verschiedenen Sprengkörpern mit Hunderten kleiner Stahlkugeln anzureichern, um durch eine Schrapnellwirkung die Personenschäden zu steigern.

Die Sprengkörper wurden - zum Teil auch auf Vorrat - soweit präpariert, daß sie rasch zündfertig gemacht werden konnten. Dazu wurden Sprengkapseln und Sprengschnüre in die Ladung eingebracht und die Zünderdrähte aus den Behältern herausgeführt, so daß sie an einen Stromkreis mit einer Batterie und einem seinerseits präparierten Wecker ohne weiteres angeschlossen werden konnten. Auch diese Vorbereitungen waren in der Inhei- [69] dener Straße konzentriert. Dazu waren im April 1972 in einem Steinbruch in Oberaula gewerbliche Sprengkapseln, Sprengschnüre und anderes Zündermaterial in großem Umfang gestohlen und in die Wohnung verbracht worden. Mit Hilfe von Aluminiumrohren und dem hochempfindlichen Knallquecksilber wurden Zündkapseln in der Inheidener Straße auch im Eigenbau hergestellt. Varta-Batterien mit 50 Volt und Wecker wurden gekauft und die Wecker präpariert, insbesondere mit einem Kontaktgeber versehen, der dann, wenn er vom Zeiger berührt wurde, einen Stromkreis schließen konnte. Besonderer Behandlung bedurften noch die Magnetbomben. Bei alledem handelte es sich nur um die elektrischen Zündvorrichtungen für Sprengstoffanschläge. Daneben wurden noch die Handgranaten und ein Teil der Feldflaschenbomben, die in Unterschlupfen lagerten oder sprengfertig von Gruppenmitgliedern mitgeführt wurden, mit Zündmitteln zur mechanischen Zündung in der Inheidener Straße ausgestattet.

Die Angeklagten wirkten an diesen in der Wohnung in der Inheidener Straße konzentrierten Vorbereitungen für die Sprengstoffanschläge vom Mai 1972 vielfältig und maßgeblich mit. Auch dabei war der technisch interessierte Angeklagte Baader mit seinen Ideen und Impulsen der führende Kopf. Alle drei Angeklagten identifizierten sich mit den Vorbereitungen für die [70] Sprengstoffanschläge. Mit den zielstrebigen, intensiven, sich über Wochen und Monate erstreckenden Vorbereitungen war zugleich in der Gruppe, jedenfalls aber unter den Angeklagten, die Verständigung erzielt worden, nunmehr eine neue Etappe einzuleiten und den „bewaffneten Angriff“ gegen das „imperialistische Weltsystem“ in der „Metropole BRD“ mit Sprengstoffanschlägen zu führen. Die Angeklagten wollten, daß die Sprengkörper, die sie unter Mühen und Gefahren hergestellt hatten, auch eingesetzt werden, und sie wollten, wie schon die für Sprengstoff-Ladungen vorgesehenen Stahlkugeln anzeigen, daß Menschen getroffen werden. Das versuchen sie noch heute zu rechtfertigen. Die Angriffsziele, wie sie dann ins Auge gefasst wurden, passten ihrer Art nach von vornherein in das klassische Feindbild der Angeklagten: US-Militäreinrichtungen, Polizei und Justiz als Strafverfolgungsorgane des verhassten Staates, der Springer-Konzern mit seiner für die Bundesrepublik nicht repräsentativen, aber dafür gehaltenen Medienpolitik. Die „US-Präsenz in Europa“ und „der Staat BRD als Agentur des US-Imperialismus“, der in der selbstgesponnenen Gedankenwelt der Angeklagten „die Herrschaft über das Proletariat für das US-Kapital unmittelbar verfügbar“ macht, waren der allgemeine, vorgegebene Rahmen, in dem die konkreten Angriffsziele für die in Aussicht genommenen Sprengstoffanschläge zu suchen waren.

[71] An der Durchführung von Sprengstoffanschlägen am Tatort haben die Angeklagten auch mitgewirkt, allerdings ist davon auszugehen, daß dies nicht auf jeden Angeklagten in jedem Fall zutrifft. Sicher ist, daß etwa der Angeklagte Baader hei dem ersten Anschlag in Frankfurt auf dem Gelände des Hauptquartiers des 5. US-Corps tätig war. Darauf kommt es aber nicht an.[47]

Entscheidend ist, daß alle 6 Sprengstoffanschläge auf einer Absprache jedenfalls der 3 Angeklagten beruhen, daß sie dabei Ort, Objekt, Zeit, sowie Art und Zahl der von ihnen bereitgestellten und eingesetzten Sprengkörper jeweils festlegten und daß sie so erst die Taten organisierten. Dabei haben sich die Angeklagten, über die gemeinsame Absprache hinaus, in ihrer Entschlossenheit, die Taten zu begehen, auch nachhaltig bestärkt. Sie trafen mit der Absprache, ob und welche Anschläge geführt werden sollten, zugleich eine Verständigung darüber, ob die Taten im Namen der verbrecherischen Organisation auch mit den für richtig befundenen und proklamierten Zielsetzungen derselben übereinstimmten. Die aufsehenerregenden Taten mußten in das Konzept von Ideologie und Strategie passen. Dies war, wie schon die bereitgehaltenen ideologischen Rechtfertigungsversuche in den anschließenden Kommandoerklärungen und Diskussionen zeigen, für das Selbstverständnis und für den Fortbestand der Gruppe sowie die Auseinandersetzung mit anderen [72] über den richtigen Weg von großer Wichtigkeit. Die gewählten Objekte für die Sprengstoffverbrechen hatten nicht nur eine operative, sondern eine ideologisch überhöhte Bedeutung. Deshalb wurden die Anschläge auch nicht dem freien Spiel „autonomer“ Gruppen in einzelnen Städten überlassen, sondern in jedem einzelnen Fall zentral von Frankfurt aus von einem Kreis gelenkt und organisiert, zu dem jedenfalls die Angeklagten gehörten. Sie verfügten über die von ihnen hergestellten Sprengkörper, bestimmten maßgeblich durch ihr persönliches Gewicht das Geschick der Gruppe und identifizierten sich innerlich mit den tödlichen Sprengstoffanschlägen; mit ihnen wollten sie die Ziele der Gruppe verwirklichen, der sie sich verschrieben hatten. Selbst die Tatfahrzeuge, die etwa in Heidelberg und München eingesetzt wurden, waren von Frankfurt aus, wo sich die Angeklagten aufhielten, organisiert und dort präpariert worden. Daß dann in einem hier nicht festzustellenden Umfang andere Mitglieder mit herangezogen wurden, um - zusammen mit einzelnen Angeklagten oder auch nicht - die Objekte auszuspähen, die Sprengkörper an die Tatorte zu verbringen und an den einzelnen Sprengstellen abzulegen, ändert an der zentralen und entscheidenden Rolle der Angeklagten als der eigentlichen Drahtzieher und Urheber der Taten nichts.

[73] Die Angeklagten wollten mit den von ihnen verabredeten und organisierten Sprengstoffanschlägen an belebten Orten nicht nur Sachschaden anrichten. Sie waren sich darüber im klaren, daß in den Hauptquartieren in Frankfurt und Heidelberg Soldaten (und natürlich auch Zivilpersonen) zwangsläufig in die Gefahr gerieten, tödlich getroffen zu werden. Welche und wieviele Personen in diese Gefahr gerieten und ihr wiederum zum Opfer fielen, unterlag - wenn die wirkungsvollen Sprengkörper erst einmal detonierten - nicht mehr ihrer Kontrolle. Die Angeklagten gingen davon aus, daß während der Tageszeit in den belebten Hauptquartieren Menschen in der Nähe der Sprengkörper schon sein werden, wenn diese detonierten, daß diese Menschen in die nahe Gefahr gerieten, tödlich getroffen zu werden, und sie wollten in ihrer menschenverachtenden Selbstüberhebung, daß - wer immer es auch sei - getötet werde. So waren die Anschläge von den Angeklagten örtlich, zeitlich und nach ihrer unkontrollierbaren Wirkung angelegt.

Nichts anderes gilt für die Anschläge, die in der Polizeidirektion in Augsburg und auf dem Parkplatz des Landeskriminalamts in München während der regulären Dienstzeit ausgeführt wurden. Bedienstete der Behörden ebenso wie Besucher wurden wahllos der Gefahr ausgesetzt, und die Angeklagten wollten, daß - wer immer davon betroffen sei - auch getötet werde. Wenn auch die Reichweite der in München und in Augsburg ausgelösten Deto- [74] nationen unterschiedlich groß war: zum Töten geeignet und nach den Umständen darauf angelegt, waren beide Anschläge.

Auch in Hamburg wollten die Angeklagten töten; alle fünf Rohrbomben sollten während der Arbeitszeit in einem Gebäude mit mehreren tausend Beschäftigten detonieren. Möglicherweise haben es die Angeklagten anderen Gruppenmitgliedern unter Anleitung der früheren Angeklagten Meinhof überlassen, an welchen Stellen innerhalb des großen Gebäudes die Sprengkörper abgelegt wurden, und waren dann hinterher unzufrieden, daß verhältnismäßig viele „Arbeiter und Angestellte“ verletzt oder gefährdet worden waren. Das passte nicht in das Konzept der Angeklagten, die - selbst der Arbeitswelt fremd - sich doch berufen fühlen, als „Protagonist des Proletariats“ das „Recht auf Leben und Glück“ zu verwirklichen. Die Sprengkörper mögen zu einem Teil für die Angeklagten in den falschen Etagen abgelegt worden sein; daß sie ihnen unbekannte Menschen in dem stark bevölkerten Gebäude tödlich treffen sollten, war der Wille der Angeklagten. Wenn eine telefonische Vorwarnung kurzfristig vorausging, so entsprach dies einem Bedürfnis nach Rechtfertigung, keine „Terroristen“ gegen jedermann sein zu wollen; eine für jedermann gefahrenabwendende Räumung war - ebenso wie in München - weder möglich noch gewollt.

[75] Der Sprengstoffanschlag in Karlsruhe richtete sich gezielt gegen die Person des Bundesrichters Buddenberg; die Angeklagten nahmen an, er werde, wenn der Sprengkörper gezündet werde, auf dem Beifahrersitz tödlich getroffen werden. Daß eine weitere Person, die das Fahrzeug bedienen mußte, auf dem Fahrersitz getötet werde, wollten die Angeklagten als unvermeidliche Folge ihres Vorhabens. Ihnen war auch klar, daß nach Art und Sprengkraft des Sprengkörpers sowie den örtlichen Verhältnissen unbestimmte andere Personen, insbesondere Passanten, in die nahe Gefahr gerieten, an Leib und Leben geschädigt zu werden. Mit dieser Folge waren die Angeklagten einverstanden.

Mit den Sprengstoff-Anschlägen verfolgten die Angeklagten unmittelbare und weiterreichende Ziele. Sie wollten mit aufsehenerregenden Aktionen zeigen, wer sie sind und was sie können, - auch um künftigen Forderungen den nötigen Nachdruck zu verleihen, so etwa Forderungen nach Geld und der Befreiung von Gefangenen durch Geiselnahmen. Zugleich wollten sie durch eine äußerste Herausforderung der Rechtsordnung es dahin bringen, daß in „diffusen“, „überdeterminierten“ Reaktionen der „häßliche Staat“ zum Vorschein komme, der auf Widerwillen und Ablehnung stößt. Die Angeklagten vermeinten - so hatten sie es sich in ihrem Zirkel gedanklich zurechtgelegt -, sie könnten durch die „Organisation des Angriffs“ und die „Reaktion auf uns“ in einem „langen Prozess“, der nicht die Revolution selbst sein soll, die Lage verschärfen bis zur „massen- [76] haften Insubordination“. Auf einen langen Prozeß stellten sie sich allerdings schon wegen der revolutionären Sprödigkeit der deutschen „Arbeiteraristokratie“ ein. Der Angriff sollte auf die Bundesrepublik als „Subzentrum des US-Imperialismus“ im Rahmen einer „proletarischen Internationale“ geführt werden, „auf den äußeren Linien“ einer „Weltbefreiungsbewegung“, als „der andere Fuß“ der Befreiungskriege in der Dritten Welt.[48] (Ein Verteidiger nannte einmal: „Vietnam[49], Kambodscha[50], Laos[51], Guinea-Bissau, Mocambique, Sao Thome, Principe[52]“.[53]) Unübersehbar sind dabei die Verherrlichung der „Aktion“ und die Fixierung auf Gewalt. Die Angeklagten wollten, weil sie sich die Welt anders ausgedacht hatten, als sie ist, „Bewußtseinsveränderung“ nach ihren Vorstellungen „von der Praxis“ her - mit Bomben - erzwingen. Da sie anders nichts zu bewirken vermochten, verstiegen sie sich in ihrer Anmassung dazu, über Tod und Leben anderer Menschen verfügen zu können; so schickten sie sich an, vorbedacht und planmäßig, mit System, zu töten.

[77] II. Die Festnahme der Angeklagten

Nach den Sprengstoffanschlägen wurde die Fahndung nach den Angeklagten und den anderen Gruppenmitgliedern verstärkt. Für den Fall der Konfrontation mit der Polizei waren sich die Angeklagten darin einig, daß sie sich einer drohenden Festnahme durch rücksichtslosen Schußwaffengebrauch entziehen wollten. Sie trugen deshalb ihre großkalibrigen Faustfeuerwaffen stets schußbereit bei sich.

Fahndungshinweise führten Ende Mai 1972 zu der Garage im Hofeckweg 2-4 in Frankfurt. Die Garage wurde hierauf von der Polizei observiert. Der Hofeckweg liegt in der Nähe des Hauptfriedhofs in Frankfurt. Er wird im Norden durch die Kaiser-Siegmund-Straße, im Süden vom Kühhornshofweg begrenzt. Zwischen Kühhornshofweg und Hofeckweg sind Pfähle aufgestellt, die eine Einfahrt vom Kühhornshofweg verhindern. Eine Zufahrt zum Hofeckweg ist daher nur über die Kaiser-Siegmund-Straße möglich. Parallel zum Hofeckweg verläuft im Westen die Francstraße, im Osten die Eckenheimer Landstraße. Das Haus Hofeckweg 2-4 ist ein zweigeschossiges Appartementsgebäude, dessen Wohneinheiten zum Hofeckweg und zum Kühhornshofweg liegen. Der Eingang zum Treppenhaus und die Einfahrt zu den Garagen befinden sich an der Nordseite des Hauses. Links neben dem Hauseingang liegen vier, mit Doppelflügeltüren verschließbare Garagen, die vom Hofeckweg aus über den zum Haus gehörenden Parkplatz zu erreichen sind. Bei dem Observationsobjekt handelte es [78] sich um die - vom Eingang aus gesehen - zweite Garage.

Am 1. Juni 1972[54] gegen 5.50 Uhr fuhren die Angeklagten Baader und Raspe und der frühere Angeschuldigte Meins in Frankfurt mit dem gestohlenen, auberginefarbenen Porsche Targa, an dem die falschen Kennzeichen KN - CU 90 angebracht waren, zum Hofeckweg 2-4. Von der Kaiser-Siegmund-Straße bogen sie nach rechts in die Eckenheimer Landstraße und von dieser wiederum in den Kühhornshofweg ab. Dort wendeten sie den Wagen und hielten ihn an der rückwärtigen Seite des Hauses Hofeckweg 2-4 am linken Fahrbahnrand des Kühhornshofwegs in Fahrtrichtung Eckenheimer Landstraße an.

Der Angeklagte Baader und der frühere Angeschuldigte Mains begaben sich sofort in die Garage. Der Angeklagte Raspe blieb als Sicherungsposten an den Absperrpfählen Ecke Kühhornshofweg/Hofeckweg zurück. Die Polizeibeamten Küllmer und Amthor, zu deren Aufgabe die Beobachtung der Garage gehörte, hatten ihr Dienstfahrzeug inzwischen aus Richtung Eckenheimer Landstraße in den Kühhornshofweg gefahren. Sie näherten sich dem Angeklagten Raspe und forderten ihn durch Zuruf zum Stehenbleiben auf. Darauf lief der Angeklagte Raspe in Richtung Hofeckweg, wodurch er sich nach wenigen Schritten den Blicken dieser Polizeibeamten entzog.

[79] Inzwischen waren jedoch die Polizeibeamten Gabriel und Pfeiffer mit einem zivilen Personenkraftwagen, Marke Audi, von der Kaiser-Siegmund-Straße in den Hofeckweg eingefahren und hatten, als sie den Angeklagten Raspe in einer Entfernung von etwa 40 m an der Ecke Hofeckweg/Kühhornshofweg stehen sahen, ihr Fahrzeug auf der Fahrbahnmitte angehalten. Beifahrer Gabriel sprang rechts aus dem Wagen und rief dem Angeklagten zu: „Halt! Polizei! Hände hoch!“ Der Angeklagte Raspe, im Weglaufen vom Kühhornshofweg begriffen und dadurch auf 15-20 m an die Beamten Gabriel und Pfeiffer herangekommen, schoß daraufhin aus seinem Revolver Smith & Wesson, Kaliber 38 Spezial, mindestens dreimal auf diese Beamten. Er hielt dabei den Revolver in der vorgestreckten Hand; Arm, Hand und Waffe waren auf die nur wenig voneinander entfernten Beamten gerichtet. Dem Angeklagten Raspe kam es darauf an, die Beamten unter allen Umständen - auch um den Preis ihres Lebens - daran zu hindern, ihn festzunehmen, seine Person festzustellen und ihn als Beteiligten an den Sprengstoffanschlägen zu ermitteln. Wenn er nach den Umständen auch nicht mit Sicherheit davon ausging, er werde die Beamten treffen, so war ihm doch klar, daß im Einblick auf die verwendete Waffe, die Entfernung, die Schußrichtung und die Eile, in der er sich befand, es durchaus wahrscheinlich war, daß er jeden der beiden Beamten tödlich treffen werde. Auch das war ihm recht. Die Schüsse des Angeklagten trafen die Polizeibeamten jedoch nicht, zumal da Gabriel im letzten Moment hinter einem parkenden Personenkraftwagen und Pfeiffer [80] durch Untertauchen im Polizeiwagen Deckung suchten. Der Angeklagte floh darauf zwischen den Eingängen der Häuser Hofeckweg 1 und 3 hindurch über einen Garagentrakt hinweg in Richtung Francstraße. Auf dem Grundstück Francstraße 6 versteckte er sich unter einem Busch, wo er dann später durch den Polizeihauptkommisar Irgel ohne weiteren Widerstand festgenommen werden konnte.

Bei dem Angeklagten Raspe wurde eine Pistole FN, Kaliber 9 mm Parabellum, Nr. 32192, sichergestellt. In der Pistole befand sich ein mit 12 Patronen gefülltes Magazin. Außerdem wurden bei dem Angeklagten zwei in Lederhüllen steckende Magazine, jeweils mit 13 Patronen gefüllt, sichergestellt. Auch führte der Angeklagte einen Personalausweis und einen Führerschein mit sich; beide Papiere trugen sein Foto, lauteten aber auf den Namen Wolfgang Kasubeck. Ferner befand sich der Angeklagte im Besitz eines Personalausweises des Studenten Wolfgang Pracht. Die Tatwaffe (Revolver Smith & Wesson, Modell 10/5, Kaliber 38 Spezial, Nr. D 363241) fand am 2. Oktober 1972 der Schüler Klaus M[...] im Vorgarten des Hauses Francstraße 6. Die Waffe war vom Angeklagten dort in das lockere Erdreich gesteckt worden. Sechs in dieser Waffe gezündete Hülsen befanden sich noch in der Trommel des Revolvers.

[81] Der Angeklagte Baader und der frühere Angeschuldigte Meins hatten nach dem Betreten der Garage die Türen sofort hinter sich geschlossen. Als sie die vom Angeklagten Raspe abgegebenen Schüsse hörten, öffnete einer von ihnen einen Türflügel und blickte in Richtung Hofeckweg. Der Polizeibeamte Herrmann, der sich der Garage auf etwa 15-20 m genähert hatte, forderte diesen Mann mit vorgehaltener Maschinenpistole auf, in die Garage zurückzutreten. Nachdem die Türe wieder geschlossen war, wurde der Personenkraftwagen, mit welchem die Polizeibeamten Pfeiffer und Gabriel am Tatort eingetroffen waren, vor das Garagentor geschoben, um eventuelle Ausbruchsversuche zu verhindern; die Polizei wartete noch auf Verstärkung. Als der Polizeibeamte Pfeiffer das Funkgerät im Fahrzeug abschaltete und sich hernach entfernen wollte, fiel ihm die Wagentüre zu; das hörten die Eingeschlossenen. Daraufhin schoß entweder Baader oder Meins sogleich durch die hölzerne Garagentür hindurch in Richtung des Geräuschs dergestalt, daß das Geschoß die Tür in Höhe von 1,54 m durchschlug. Das Geschoß hätte Pfeiffer tödlich treffen können. Der Schütze wußte zwar, daß ein genaues Zielen nur nach dem Geräusch der zugeklappten Autotür nicht möglich war, rechnete aber damit, sein Schuß könne den Beamten, der sich an der Autotür befand, tödlich treffen. Das war ihm auch recht; denn ihm kam es darauf an, unter allen Umständen zu verhindern, daß sich ein handlungsfähiger Beamter so nahe bei der Garagentür befand, dadurch seine Festnahme herbei- [82] führen, seine Person feststellen und im weiteren Verlauf seine Beteiligung an den vorhergegangenen Sprengstoffanschlägen aufklären konnte. Auch nutzten die Eingeschlossenen die so gewonnene Zeit, um belastende Gegenstände, wie etwa falsche Ausweispapiere, zu beseitigen. Falls der frühere Angeschuldigte Meins der Schütze gewesen sein sollte, so geschah der Schuß doch - auch was seinen Zweck anlangte - im Einverständnis mit dem Angeklagten Baader.[55] Zwischen beiden - wie auch in der ganzen Gruppe - bestand die Übereinkunft, in solcher Situation auf Polizeibeamte zu schießen, mochte dies auch den Tod des betroffenen Beamten zur Folge haben. Jeder erwartete im gemeinsamen Interesse von dem anderen, daß er sich an die Übereinkunft tatsächlich auch hielt und das aus seiner Sicht Zweckmäßige tat; so bestärkten sie sich gegenseitig in ihrer Entschlossenheit.

Im weiteren Verlauf versuchte die Polizei von der Rückseite der Garage durch eine Glasziegelöffnung Tränengaskörper in das Garageninnere zu werfen, um die Eingeschlossenen zur Aufgabe zu zwingen. Als diese hierauf nicht reagierten, wurden sie von Regierungskriminaldirektor Scheicher über Lautsprecher auf ihre Lage hingewiesen und immer wieder aufgefordert, ihre Waffen auf den Hof zu werfen, ihre Oberbekleidung auszuziehen und mit erhobenen Händen die Garage zu verlassen. Dieser Aufforderung kamen die Eingeschlossenen nicht nach. Gegen 7.00 Uhr wurde der vor der Garage stehende Personenkraftwagen mit einem Seil fortgezogen, weil die [83] Eingeschlossenen einen Türflügel mehrfach gegen den Wagen gestoßen und damit den Eindruck erweckt hatten, aufgeben zu wollen. Es wurden jedoch lediglich die Garagentüren geöffnet, und die Eingeschlossenen zeigten sich im vorderen Garagenteil. Beide hielten Pistolen in den Händen.

Die Polizeibeamten Brandau, Bergmüller, Stumpf und Reinke standen in einer Entfernung von etwa 15 m hinter dem der Garage schräg rechts gegenüber liegenden Garagengebäude auf dem Grundstück Hofeckweg Nr. 6. Sie schossen und warfen - freilich ohne sonderliche Wirkung abwechselnd Tränengasmunition in Richtung der Garage mit den Eingeschlossenen. Wenn einer der Beamten zum Schuß oder Wurf kurze Zeit hinter der Garagenecke hervorschaute, richtete der Angeklagte Baader seine 9 mm-Pistole auf die Beamten und zielte. In Zielrichtung - vom Angeklagten Baader aus gesehen: nur leicht nach links versetzt - hielten sich in einer Entfernung von etwa 30 m hinter dem Balkonvorbau des Gebäudes Hofeckweg Nr. 8 die weiteren Polizeibeamten Opel, Verch, Stein und Glatzel auf. Auch sie verließen ab und zu die Deckung, um besser beobachten zu können.

Als gerade der Beamte Glatzel ohne Deckung zwischen den beiden Beamtengruppen stand und auf der anderen Seite der Beamte Brandau hinter der Garage hervortrat, gab Baader nach ruhigem Zielen einen Schuß ab. Das Geschoß ließ zwischen den beiden Beamten Erde aufspritzen. Dem Angeklagten Baader kam es weiterhin darauf an, seine Festnahme zu verhindern, weil sonst die Aufklärung seiner Beteiligung an den Sprengstoff- [84] anschlägen zu befürchten war. Deshalb wollte er dem Beschuß mit Tränengaskörpern ein Ende bereiten und sich die Polizeibeamten vom Leibe halten. Diesem Zweck diente sein Schuß. Daß der Angeklagte Baader davon ausging, er werde einen der Beamten mit Gewißheit treffen, ist nicht sicher. Fest steht aber, daß er auf diese Beamten - d.h. in Richtung auf sie - schoß und damit rechnete, der Schuß werde einen der beiden Beamten treffen und töten. Angesichts der verwendeten Waffe und der Schußentfernung war ein solcher Treffer durchaus wahrscheinlich. Der Angeklagte Baader nahm einen solchen tödlichen Treffer in Kauf und war auch mit diesem Erfolg einverstanden.[56]

Etwa um 7.45 Uhr wurde ein gepanzerter Sonderwagen eingesetzt. Meins nutzte den Einsatz des Sonderwagens, um einen Ausbruch zu versuchen. Er lief mit erhobener Waffe, das Fahrzeug als Deckung benutzend, wenige Meter in Richtung auf die Treppe am Ende des Grundstücks Hofeckweg Nr. 2-4. Nach mehreren Schüssen der in der näheren Umgebung postierten Polizeibeamten gab Meins sein Vorhaben auf und lief in die Garage zurück. Auch der Angeklagte Baader, der sich während dieses Vorfalls im Vorderteil der Garage aufgehalten hatte, zog sich zurück. Als er mit seiner Waffe wieder nach vorne kam, wurde er durch einen Schuß, der in den linken Oberschenkel traf, kampfunfähig gemacht. Der Angeklagte Baader stürzte und blieb laut schreiend im Vorderteil der Garage liegen.

[85] Kurze Zeit danach warf Meins seine Waffe und ein weiteres mit 13 Patronen gefülltes Magazin aus der Garage und ließ sich festnehmen. Seine Pistole, eine FN, Kaliber 9 mm Parabellum, Nr. 40061, war durchgeladen, gespannt und entsichert. Im Magazin befanden sich 12 Patronen. Unter dem Körper des verletzten Angeklagten Baader wurde eine Pistole Smith & Wesson, Kaliber 9 mm Parabellum, Nr. 129368 gefunden. Die Waffe war mit 8 Schuß geladen, gespannt und entsichert; eine Patrone befand sich im Lauf. Baader hatte außerdem ein zweites Magazin mit sieben Patronen bei sich. In der Garage wurden 3 in der Pistole des Angeklagten Baader gezündete Hülsen sichergestellt; der Angeklagte hatte nachgeladen. Außerdem fanden sich in der Garage Reste eines Reisepasses und eines Personalausweises auf den Namen des Pfarr-Vikars Cornelius Burghardt sowie Reste eines Reisepasses auf den Namen Werner Georgi. Die Festgenommenen hatten versucht, die Papiere zu verbrennen.

Am 7. Juli 1972[57] betrat die Angeklagte Ensslin gegen 13.00 Uhr die Mode-Boutique „Linette“ in Hamburg, Jungfernstieg 41-42. Um einen von ihr ausgesuchten Pullover anzuprobieren, legte sie ihre Wildlederjacke im hinteren Teil des Verkaufsraums ab. Dort fand sie die Geschäftsführerin Rühle, die erkannte, [86] daß die Jacke nicht zu den zum Verkauf angebotenen Kleidungsstücken gehörte. Sie hob die Jacke auf und bemerkte ein ungewöhnliches Gewicht. Durch Abtasten kam sie zu der Auffassung, daß sich in einer Außentasche eine Schußwaffe befinden müsse. Deshalb benachrichtigte die Geschäftsführerin Rühle telefonisch die Polizei. Unter anderem fuhren die auf Streifenfahrt befindlichen Polizeibeamten Millhahn und Freiberg, die durch Funk verständigt worden waren, die Boutique „Linette“ an.

In der Zwischenzeit hatte die Angeklagte ihre Lederjacke wieder angezogen und ihre lederne Umhängetasche über die linke Schulter gehängt. Durch Verzögerung der Verkaufsformalitäten gelang es dem Ladenpersonal, die Angeklagte hinzuhalten. Als Polizeimeister Millhahn gegen 13.30 Uhr die Boutique betrat, stand die Angeklagte im hinteren Teil des Verkaufsraums am Ladentisch mit dem Rücken zum Eingang. Nachdem der Polizeibeamte Millhahn bis auf etwa 2,5 m an die Angeklagte herangekommen war, drehte sich diese um und kam ihm entgegen. Sie versuchte, rechts an ihm vorbei zu kommen, wobei sie den Blick von ihm abwandte. Der Polizeibeamte Millhahn stellte sich hierauf der Angeklagten in den Weg. Als die Angeklagte dies erkannte, griff sie mit ihrer rechten Hand in die rechte Außentasche ihrer Jacke. Sie wollte mit dem darin befindlichen, mit Hohlspitzmunition geladenen Revolver, Kaliber 38 Spezial, auf Millhahn schießen, wobei sie dessen dann naheliegenden Tod in Kauf nahm. Ihr kam es darauf an, unter allen Um- [87] ständen die Festnahme zu vermeiden und unerkannt zu entkommen, weil sie die Aufklärung ihrer Beteiligung an den Sprengstoffanschlägen sowie weiterer Straftaten (unerlaubter Waffenbesitz, falsche Ausweispapiere) verhindern wollte. Die Angeklagte kam jedoch nur mit den Fingern in die Tasche; denn der Polizeibeamte Millhahn erkannte die Gefahr, schob seinen rechten Arm in die Armbeuge der Angeklagten und setzte einen Armhebel an. Die Angeklagte wollte sich dem Griff entziehen, indem sie sich zu Boden fallen ließ. Mit ihrer rechten Hand versuchte sie dabei immer noch, in Richtung Jackentasche zu gelangen. Mit Hilfe des inzwischen hinzugekommenen Polizeiobermeisters Freiberg konnte aber die sich heftig wehrende Angeklagte überwältigt werden. In der rechten Außentasche der Lederjacke befand sich der Revolver Smith & Wesson, Kaliber 38 Spezial, Nr. R 40774. Der Revolver war schußbereit mit fünf Patronen (Teilmantelgeschoß mit Hohlspitze) geladen. In der Umhängetasche der Angeklagten befand sich eine weitere Waffe, nämlich eine durchgeladene Pistole FN, Kaliber 9 mm Parabellum, Nr. 32194, die 14 Patronen enthielt. Eine Berechtigung zum Führen dieser Waffe besaß die Angeklagte - wie auch die anderen Angeklagten hinsichtlich ihrer Waffen - nicht. Die Angeklagte trug ferner einen Reisepaß und einen Führerschein bei sich; diese Papiere lauteten auf den Namen Rosemarie Reins, trugen jedoch das Lichtbild der Angeklagten.

[88] III. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung

Zur sogenannten „Rote Armee Fraktion“, die sich im Jahre 1970 nach der gewaltsamen Befreiung des Angeklagten Baader aus der früheren Strafhaft,[58] der Flucht nach Jordanien[59] und der Rückkehr der daran beteiligten Personen nach Berlin gebildet hatte, gehören die Angeklagten Baader und Ensslin von Anfang an, der Angeklagte Raspe seit Ende 1970. Die Vereinigung, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen, die von Anfang an ihre finanziellen Mittel insbesondere durch bewaffnete Banküberfälle beschaffte, so etwa durch den allgemein bekannten „Dreierschlag“[60] im September 1970 in Berlin, setzte auch nach den Sprengstoffanschlägen und Mordversuchen im Mai 1972 und nach der Festnahme der Angeklagten und einer Reihe weiterer aktiver Mitglieder im Juni 1972 ihre Umtriebe aus der Haft heraus fort. Dem diente insbesondere das vom Angeklagten Baader ins Leben gerufene „info“-System,[61] das den organisatorischen Zusammenhalt der in Haftanstalten voneinander getrennten Gruppenmitglieder, die gemeinsame Schulung dieser Personen und die weitere Verfolgung der gemeinsamen Ziele der Vereinigung fördern sollte. So heißt es in dem schon zitierten Kassiber Baader-Mat. 5/1 - 9 v. 16.7.1973 über das in römische Ziffern eingeteilte „info“:

[89] „I ist raf - also alles, was die guerilla betrifft, schult ... II ist knast - also alles was die politischen gefangenen und die politisierung der gefängnisse betrifft ... die Verbreiterung der revolutionären basis draußen.“

Mit Kassibern, die an Mitglieder gerichtet sind, die sich auf freiem Fuss befinden, werden diese zu weiteren Straftaten für die Gruppe angespornt: so im Ensslin-Kassiber und in Kassibern, die im Februar 1974 unter anderem in der Eleonore-Sterling-Straße in Frankfurt gesichert worden[62] sind und die vom Angeklagten Baader stammen, zur Befreiung von Gefangenen, Geiselnahmen, Sprengstoffanschlägen. In gemeinsamen Verlautbarungen der Angeklagten, wie etwa dem unter Umgehung der haftrichterlichen Kontrolle veröffentlichten „Spiegel“-Interview vom Januar 1975 und dem in dem Informationsblatt „id“ im Mai 1976 vom Angeklagten Raspe veröffentlichten „Fragment über Struktur“ der früheren Angeklagten Meinhof, unternehmen sie es, Ziele und Methoden der „RAF“, an denen sie nach wie vor festhalten, in der Öffentlichkeit zu erläutern, tatsächlichen oder potenziellen Sympathisanten richtungsweisend darzulegen und dadurch die Tätigkeit der Vereinigung organisatorisch fortzusetzen.

[90] B. Beweiswürdigung

I. Die Angeklagten haben ausdrücklich erklärt, sie wollten sich zu den ihnen zur Last gelegten Sprengstoffanschlägen, „zu den Kommandos“, nicht äußern; nur zum „Organisationsdelikt“[63], zu dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung, wollten sie im Rahmen ihrer gemeinsam verfaßten und abwechselnd vorgetragenen Sach-Erklärung (13./14.1.1976)[64] Stellung nehmen.

Die Angeklagten haben sich dazu bekannt, der „RAF“ anzugehören. Sie haben von sich in Verbindung mit einer „Stadtguerilla“ „in der Metropole Bundesrepublik“ gesprochen, sie haben sich bemüht zu erläutern, wie „die Aktionen der RAF“ zu verstehen seien, und sie haben sich in immer neuen Wendungen mit einem „bewaffneten Kampf“ im Rahmen einer „proletarischen Internationale der Insurrektion“ identifiziert. Der Angeklagte Baader hat erklärt (26.8.1975): „Es gibt eine Kontinuität der Stadtguerilla in der Bundesrepublik; sie ist durch unsere Verhaftung nicht die Spur gebrochen.“[65]

Einer Befragung zu ihrer Sach-Erklärung haben sich die Angeklagten nicht gestellt. Im Rahmen ihrer ausführlichen Teil-Einlassung zur Anklage haben sie nicht bestritten, die ihnen vorgeworfenen Sprengstoffanschläge begangen zu haben (nur bestimmte Schilderungen einzelner [91] Zeugen zogen sie in Zweifel). Statt dessen hat die Angeklagte Ensslin (4.5.1976) - so und ohne Einschränkung - erklärt: „Wenn uns an der Aktion der RAF 72 etwas bedrückt, dann das Mißverhältnis zwischen unserem Kopf und unseren Händen und den B 52 ...“ (US-Bombenflugzeugen). „Hier nochmal einfach: Wir sind auch verantwortlich für die Angriffe auf das CIA-Hauptquartier und das Hauptquartier des 5. US-Corps in Frankfurt/Main und auf das US-Hauptquartier in Heidelberg, insofern, wie wir in der RAF seit 70 organisiert waren, in ihr gekämpft haben und am Prozeß der Konzeption ihrer Politik und Struktur beteiligt waren. Insofern sind wir sicher auch verantwortlich für Aktionen von Kommandos, zum Beispiel gegen das Springer-Hochhaus, deren Konzeption wir nicht zustimmen, und die wir in ihrem Ablauf abgelehnt haben. Zu erwägen ist nicht ein Widerstandsrecht in der Bundesrepublik, wie es hier nicht um Rechte geht, sondern was die Politik der RAF ausdrückt, ist das Bewußtsein der Pflicht zum Widerstand in der Bundesrepublik. Und das exakt war zwei Tage lang der Inhalt unserer Erklärung zur Sache, wie das heißt, also nicht nur die Erklärung von Verantwortung, sondern was Verantwortlichkeit gegenüber imperialistischer Politik nur sein kann: Widerstand, Kampf. Das hat der Text, der im Januar hier gekommen ist, artikuliert.“[66] Der Angeklagte Raspe hat sich im Zusammenhang mit Beweisanträgen der Verteidigung, die darauf gerichtet [92] waren, „Bombenangriffe auf die US-Stützpunkte in Frankfurt und Heidelberg“ völkerrechtlich zu rechtfertigen,[67] wie folgt geäußert (4.5.1976): „...natürlich fassen wir unsere Politik nicht in völkerrechtlichen Kategorien. Wir fassen sie überhaupt nicht in Kategorien, sondern die Politik der RAF, bewaffnete proletarische Politik, hat Kriterien - die jeder revolutionären Praxis - der bewaffneten Aktion ... Der Kampf um diesen Begriff der Dialektik entwickelt revolutionäre Moral.“[68]

[93] Der Senat ist überzeugt, daß die Angeklagten alle sechs Sprengstoffanschläge miteinander vorbereitet, verabredet und organisiert haben, und daß sie die Menschen töten wollten, die den Anschlägen zum Opfer fielen oder in die nahe Gefahr gerieten, dieses Los zu erleiden.

Der äußere Sachverhalt der sechs Sprengstoffanschläge steht fest hauptsächlich aufgrund der zuverlässigen Aussagen der Polizeibeamten, die den Tatortbefund jeweils aufgenommen haben, und der glaubwürdigen Bekundungen der von den Anschlägen betroffenen Augenzeugen über die Gefahren, denen sie ausgesetzt waren. Authentische Lichtbilder von den Tatorten und Beweisstücke, wie Splitter und Sprengkörper, die an den Tatorten gesichert wurden, runden das Bild ab; sie sind in Augenschein genommen worden. Der Tod von insgesamt vier Menschen in Frankfurt und Heidelberg ist nach den überzeugenden Gutachten der Obduzenten und den Aussagen von Augenzeugen unzweifelhaft auf die Anschläge zurückzuführen.

In Frankfurt im Hauptquartier des 5. US-Corps haben insbesondere die Polizeibeamten Krug, Möller, Heintze den Tatortbefund aufgenommen und Beweisstücke gesichert. Der Sachverständige Dr. Finck hat den toten Oberstleutnant Bloomquist identifiziert und obduziert. Mit diesem hatte [94] der US-Offizier Glyer, der selbst schwer getroffen wurde und ebenso leicht hätte getötet werden können, kurz vor der Detonation noch gesprochen. Augenzeugen im IG-Hochhaus (Sprengstelle 1 u. 2) waren die Zeugen Weber geborene Angerstein, Raschke, Vömel und Deimling; daß sie sich - trotz der geringen Entfernung zu der an der Sprengstelle 1 detonierten Nippelbombe - in naher Lebensgefahr befanden, ist nicht sicher. Im Kasino-Gebäude (Sprengstell 3) erlebten die Zeugen Buchholz in der Wechselstube und Hunt in der Lobby die Detonation; daß sie und die anwesende US-Angestellte McCarey innerhalb des Gebäudes in nahe Lebensgefahr gerieten, ist wegen der Leichtbauweise der dortigen Einrichtunghauptsächlich stürzten Hartfaserplatten, Sperrholz und Glas zusammen - und nach den Erkenntnissen über die wesentlichen Auswirkungen der Detonation, nämlich außerhalb des Gebäudes, ebenfalls nicht mit genügender Sicherheit festzustellen.

Über den Tatortbefund und die Sicherstellung von Beweisstücken in Augsburg haben die Polizeibeamten Lutz und Hemm berichtet; der Zeuge Finkbeiner war bei der Sicherstellung der Beweisstücke behilflich. Augenzeugen waren die Bediensteten im Polizeipräsidium Nitzer, Kreissl, Bauer, Bischof, Müller, Eck, Roßkopf und Hansmann im dritten Stock des Gebäudes (Sprengstelle 2). Die Putzfrau Eirenschmalz hatte den Karton, in dem der Spreng- [95] körper detoniert war, noch kurz vor der Detonation auf einem Schrank stehen gesehen. Keine Zweifel bestehen, daß der Polizeihauptkommissar Nitzer - ungeschützt und allenfalls 3 Meter von dem Sprengkörper entfernt - sich in einer nahen Lebensgefahr befand. Daß dies auf weitere Personen (insbesondere Kreissl, Müller, Vogler und Bauer) zutrifft, die sich außerhalb des engeren Streubereichs von Splittern der verhältnismäßig kleinen Pressluftflasche aufhielten, hält der Senat nicht für genügend gesichert, obwohl auch sie - wenn auch mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit - von Splittern tödlich getroffen werden konnten, im übrigen zum Teil anderweitig verletzt wurden. Kein Anhalt besteht, daß im vierten Stock (Sprengstelle 1) im Augenblick der Detonation sich eine Person in der Nähe der Sprengstelle aufhielt; das gilt auch für den Polizeibeamten Heuschneider.

Den Tatortbefund in München haben die Polizeibeamten Hechtl, Stelzl und Pielmeier aufgenommen; die Zeugen Huber, Stangl, Dr. Nißl, Neumaier und Scheller waren bei der Sicherstellung von Beweisstücken behilflich; den Umfang der Sachschäden erfassten die Beamten Pfaffenberger und Kalny. Die Taubstummenlehrerin Eva Weber schilderte eindruckswoll, in welche große Lebensgefahr sie geraten war. Ein anschauliches Bild von den Auswirkungen des Anschlags vermittelten weiter die bei der Besoldungsstelle beschäftigten Augenzeugen Soult, Nach- [96] trieb, Meißner, Port, Zuhr, Ronneburger, Stempfle sowie der Schüler Hans D[...]. Die Bediensteten Froschmeier und Scheiner berichteten zuverlässig über die kurzfristige Bombenwarnung und den Versuch, die Landesbesoldungsstelle zu räumen.

Den Tatortbefund in Karlsruhe hat der Kriminalbeamte Sonntag dem Senat vermittelt. Der Kriminaltechniker Pelzing war an der Sicherstellung der Splitter und des VW beteiligt, unter dem der Sprengkörper angebracht worden war. Erster Kriminalhauptkommissar Krapp vom Bundeskriminalamt untersuchte das Fahrzeug auf Schäden und Spuren; er konnte den Zustand genau beschreiben. Frau Buddenberg schilderte anschaulich die Sprengkörper-Detonation, von der sie betroffen war. Über die gesundheitlichen Auswirkungen berichtete zuverlässig ihr Arzt, Dr. Goecke, als sachkundiger Zeuge.[69]

Der Anschlag zielte in diesem Fall auf eine bestimmte Person: den Bundesrichter Buddenberg. Das zeigt die in einem Original und einer Durchschrift vorliegende Erklärung der „Roten Armee Fraktion“ vom 20. Mai 1972 (E 34 I 5/132); sie beginnt wie folgt:

„Am Montag, den 16. (sic) Mai 1972 hat das „Kommando Manfred Grashof“ einen Sprengstoffanschlag gegen den Karlsruher BGH-Richter Buddenberg durchgeführt. Buddenberg ist der beim Bundesgerichtshof zuständige Haft- und Ermittlungsrichter[70] für die wegen § 129[ StGB][71] laufenden politischen Verfahren.“

[97] Die Erklärung gehört zu den in Bad Homburg weggeworfenen Sachen aus dem Bestand der „RAF“. Wenn der Sprengkörper unter dem Beifahrersitz des VW angebracht war, so lag dem die Beobachtung zugrunde, daß in den Wochen vor dem Anschlag nach den Bekundungen von Frau Buddenberg es öfters vorkam, daß ihr Ehemann auf dem Beifahrersitz saß, während sie das Fahrzeug lenkte. Unumgänglich geriet sie selbst - wie jeder andere Fahrzeugführer - in die nahe Gefahr, sich tödliche Verletzungen zuzuziehen, wenn sie als Lenkerin des Fahrzeugs den Motor anließ und dadurch den Sprengkörper zündete.

Den Tatortbefund im Springer-Verlag in Hamburg haben die Kriminalbeamten Fischer, Ritzmann und Behrmann geschildert. An der Sicherstellung der vorgefundenen Beweisstücke, insbesondere auch der drei nicht detonierten Rohrbomben, waren die Zeugen Krapp, Fernstädt und Schlörer vom Bundeskriminalamt neben den Zeugen Ritzmann und Behrmann beteiligt. Die schwierige Entschärfung der nicht detonierten Sprengkörper und den bei der Delaborierung angetroffenen Zustand hat der Sprengkörper-Spezialist Krapp anschaulich beschrieben. Über die Gefahren, denen die Beschäftigten des Verlags ausgesetzt [98] waren, berichteten die Korrektoren Markmann, Schneider, Burgmann, Gottschalk, Brunkhorst, Hoffmann, Rohrs, Sellmann, Schielke, Thiele, Elsner, Lechte, Schultz und Witte (3. Stock, Korrekturraum), sowie die Angestellten Skolik, Pötter, Damm, Hörster, Kleidt, Meyer, Berkenbaum und Schmitt (6. Stock). Die Anwesenheit des in der Zwischenzeit verstorbenen Oberkorrektors Könnecke im Korrekturraum ist durch die Aussagen seines Kollegen Witte gesichert. Unzweifelhaft hätte jede dieser Personen, die sich in großer Nähe zu einer der beiden Sprengstellen aufhielten, von Splittern oder Trümmern leicht tödlich getroffen werden können. Dagegen stürzte die Redakteurin Hiller zwar zu Boden, war jedoch im Flur vor dem Zimmer Nr. 6235 von der Sprengstelle im 6. Stock durch dazwischenliegende Räumlichkeiten getrennt und vor tödlichen Detonationswirkungen geschützt. Über die Belegung der Setzerei im 3. Stock und des Rotationsraums im 2. Stock berichteten der Setzer Ahrens und der Rotationer Burzlaff. Die Beschäftigten-Zahl insgesamt und die Höhe des Sachschadens hat der Senat aufgrund der zuverlässigen Aussagen des Zeugen Schiller, des Leiters der Verwaltungsabteilung, festgestellt. Die Telefonistinnen Tilge, Roller und Poorth haben die telefonischen Warnungen glaubhaft geschildert.

[99] Die Kriminalbeamten Hörner, Gomille und Weinmann haben dem Senat den Tatortbefund in Heidelberg vermittelt. Der Kriminaltechniker Pelzing beschrieb den Zustand der beiden Tatfahrzeuge und die Sprengtrichter. An der Spurensicherung waren die Polizeibeamten Borchardt, Burkart, Runkel, Baumgärtner, Krapp und Kleckers sowie der Kriminaltechniker Pelzing beteiligt. In welche Gefahren die Betroffenen gerieten, schilderten Oberstleutnant Bizzell für sich, seine Ehefrau und seine Schwiegereltern, der Special 6 Kosalko für sich und einen weiteren Soldaten, der mit ihm zusammen zur Bedienung des Funkmastes gehörte. Die Sanitäter Knobel und Kirchgessner fanden drei Tote an der Sprengstelle 1 und beförderten sie in das Hospital, wo sie von dem Sachverständigen Prof. Dr. Schmidt obduziert wurden. Ihre Personalien hat der Kriminalbeamte Burkart festgestellt.

Die verwerteten und in Augenschein[72] genommenen Beweisstücke sind den Sicherstellungszeugen vorgelegt worden. Sie äußerten sich dazu, ob derartige Sachen am jeweiligen Tat- oder Fundort sichergestellt, wohin sie abgegeben und in welcher Weise Vorkehrungen getroffen wurden, daß ihre Herkunft erkennbar und eine Verwechslung ausgeschlossen war. Zum großen Teil wurden Sicher- [100] stellungsverzeichnisse sofort an Ort und Stelle gefertigt. Zusätzlich ist die Identität mit Hilfe des zuverlässigen Zeugen Mauritz vom Bundeskriminalamt und der von ihm beim Bundeskriminalamt angelegten Asservierungsverzeichnisse überprüft worden, so daß für das Gericht keine Zweifel mehr bestehen, daß die vom Senat verwerteten Beweisstücke tatsächlich auch von den angegebenen Fundorten stammen. Keinerlei Anhaltspunkte haben sich dafür ergeben, daß beim Bundeskriminalamt Beweisstücke asserviert wurden, die nicht zuvor an dem angegebenen Tatort sichergestellt worden wären. Vereinzelte irrtümliche Zuordnungen innerhalb eines feststehenden Fundortes waren in keinem Fall von Belang. Soweit Asservierungs- oder Sicherstellungsverzeichnisse verlesen wurden, geschah dies neben, nicht statt der Vernehmung der Polizeibeamten, die als Urheber diese Listen angefertigt und - soweit der Inhalt dieser Verzeichnisse verwertet wurde - die volle Verantwortung dafür übernommen haben, daß die Listen und Vermerke - über ihre eigenen Wahrnehmungen - richtig aufgenommen worden sind (vgl. BGH NJW 1970, 1558; 1965, 874).[73] Nicht erwartet werden kann, daß größere Mengen von mehr oder minder einprägsamen Beweisstücken - bei einzelnen Komplexen Hunderte von Asservaten - nach ihrem Aussehen, den zum Teil vielziffrigen Daten und der komplexen Asservierungsnummer über Jahre hinweg im [101] Gedächtnis festgehalten werden. Aus diesem Grund werden eben die schriftlichen Aufzeichnungen gemacht. Der kombinierte Zeugen- und Urkundenbeweis hat dem Senat eine sichere Urteilsgrundlage verschafft, soweit markante Beweisstücke in der Hauptverhandlung nicht ohnehin schon wegen der Besonderheiten des Einzelfalls von den Sicherstellungszeugen identifiziert worden sind. Die Identität von verwerteten aber ausnahmsweise nicht in Augenschein genommenen Beweisstücken, so Sprengstoff und Zündern, sind durch die Aussagen der Sicherstellungs- und Asservierungszeugen in Verbindung mit den von ihnen gefertigten Aufzeichnungen gleichwohl genügend gesichert.

Auf diese Weise ist die Herkunft der Sachen festgestellt worden, die von den Tatorten der Sprengstoff-Anschläge stammen. Das gleiche gilt für die Beweisstücke von den übrigen Fundorten. Der Senat stützt sich dazu im wesentlichen auf die zuverlässigen Aussagen folgender Zeugen: für die Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt (E 23) auf die Polizeibeamten Gubka, Fernstädt, Krapp, Pschom, Boieck, Mauritz und Eimecke;

für die Garage im Hofeckweg in Frankfurt (B 54 II, III) auf die Polizeibeamten Fernstädt, Krapp und Leidel;

[102] für die Garage in der Ginnheimer Landstraße in Frankfurt (E 22) auf den Polizeibeamten Eimecke; für die Wohnung in der Raimundstraße in Frankfurt (E 27) auf den Polizeibeamten Fincke;

für die Funde in Bad Homburg im Heuchelbach (E 34 I), Kurparkweiher (E 34 II) und Schloßteich (E 34 III) auf den Installateur Held, der die Taschen mit wichtigen Fundstücken im Heuchelbach entdeckte, sowie auf die Polizeibeamten Stoll, Montag, Voigt, Tietgen, Kindermann und Mauritz;

für die Wohnung in der Paulinen-Allee in Hamburg (E 37) auf die Polizeibeamten KHM Heinze und Mann; für die Wohnung in der Ohlsdorfer Straße in Hamburg (E 25) auf die Polizeibeamten Gronau, Jensen, Schlesinger, von Holdt, Leßmann;

für die Wohnung in der Seidenstraße in Stuttgart (E 29) auf den Polizeibeamten Friesl;

für die in Langenhagen bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof sichergestellten Sachen (C 6.4.2) auf die Polizeibeamten Osterburg, Severin und Kemp; für die in Hamburg bei der Festnahme der Angeklagten Ensslin sichergestellten Sachen (C 2.1) auf die Polizeibeamten KHM Heinze, Boehme, Freiberg und Emmen; für die in Frankfurt bei der Festnahme der Angeklagten Baader und Raspe sichergestellten Beweisstücke (B 54 IV) auf die Polizeibeamten Wolf, Mondry, Reinke, Irgel, Edgar Schäfer, Haustein, Habekost, Schlegelmilch, Noetzel und Schneider.

[103] Zahlreiche Lichtbilder, deren Authentizität durch Zeugen belegt ist, etwa über den Zustand der Wohnungen und dort angetroffene Gegenstände, bestätigen die Aussagen und runden das Bild ab.

Die angeführten Wohnungen und Garagen sind der „RAF“ zuzurechnen. Das zeigen insbesondere Fingerspuren, Handschriften und Schlüssel; dazu kommen Zeugenaussagen und Hinweise in Schriftstücken. Der Senat schließt aus der Gesamtheit der jeweils vorhandenen Beweisanzeichen auf die Benutzung durch die „RAF“, nicht dagegen in allen Fällen auf eine Benutzung durch die Verursacher einzelner Spuren; einzelne Spuren können übertragen worden sein.

In der Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt sind die Fingerspuren der Angeklagten Baader (4), Raspe (3), Ensslin (2), des früheren Angeschuldigten Meins (6), der früheren Angeklagten Meinhof (1), sowie der weiteren „RAF“-Mitglieder Müller (5) und Braun[74] (1) festgestellt worden. Das ergeben die Aussagen der Kriminalbeamten Drehmann, Martin und Eifler - sie haben die Spuren zuverlässig gesichert - und die überzeugenden Ausführungen des daktyloskopischen Sachverständigen Neuendorf, Leitender Kriminaldirektor im Bundeskriminalamt.

[104] Von jeder Person sind wenigstens in einem Fall 12, im übrigen mindestens 8 bis 12 Übereinstimmungen zwischen einer Spur und dem Vergleichsabdruck der amtlichen Sammlung vorhanden; damit ist nach den in der Bundesrepublik anerkannten Grundsätzen, denen der Senat folgt, der Identitätsnachweis erbracht, zumal im unteren Grenzbereich (8 Übereinstimmungen) der Sachverständige voraussetzt, daß das Grundmuster der Papillarlinien eindeutig zu erkennen ist.

Von Meinhof, Ensslin, Müller und dem weiteren „RAF“-Mitglied Jünschke stammen in der Wohnung gesicherte handschriftliche Aufzeichnungen auf einem Poster (E 23 VI 5/62), in einem Notizbuch, auf einem Briefumschlag und einem Schußwaffen-Prospekt (E 23 V 5/84), auf einem Einkaufszettel (E 23 V 5/347). Das hat der Schriftsachverständige Dipl. Psychologe Hecker ausgeführt. Der von ihm angestellte Schriftvergleich - anhand von schrifteigentümlichen Übereinstimmungen von unterschiedlicher Originalität auf einer genügend breiten Grundlage - hat den Senat in diesem Fall wie bei den übrigen Gutachten überzeugt. Der Sachverständige, Wissenschaftlicher Rat beim Bundeskriminalamt, hat eine gründliche Ausbildung genossen und verfügt über eine solide Erfahrung auf seinem Gebiet; er ist seit 6 Jahren ausschließlich mit Schriftvergleichen beim Bundeskriminalamt befasst. Das Gericht hat von ihm den Eindruck eines sorgfältigen Sachverständigen gewonnen, der auf dem Hintergrund eines reichen Erfahrungswissens mit betonter Vorsicht urteilt. Sein Vergleichsmaterial hat das Gericht überprüft und nach Inhalt und Herkunft [105] für authentisch befunden. So stammt das Vergleichsmaterial bei der Angeklagten Ensslin aus ihrer Gefangenenakte, bei der früheren Angeklagten Meinhof aus ihrem Fernsehdrehbuch „Bambule“ und dem Schriftverkehr in der Untersuchungshaft; ferner hat der Senat dem Sachverständigen Handschriften beider Personen übergeben, die dem Gericht in diesem Verfahren von ihren Urhebern zugegangen sind. Wenn dem Sachverständigen für weitere Gutachten sichergestellte Kopien vorlagen und er sein Urteil unter dem theoretischen Vorbehalt abgab, daß die Kopien nicht von nachträglich gefälschten, unbekannten Originalen stammten, so haben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Fälschung ergeben.

Passende Schlüssel zu der Wohnung in der Inheidener Straße sind bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof (C 6.4.2 Pos. 108) und der Angeklagten Ensslin (C 2.1 Pos. 37 d) sichergestellt worden. Daß die Schlüssel in das Wohnungstürschloß (E 23 I 5/85) bzw. in das Briefkastenschloß (E 23 I 5/87) einwandfrei passen, hat der Sachverständige Dr. Grooß, Wissenschaftlicher Oberrat beim Bundeskriminalamt, überzeugend dargelegt; die von ihm demonstrierten Schließproben sprechen ohnehin für sich. Der Wohnungstürschlüssel der früheren Angeklagten Meinhof befand sich in einem Etui mit der von ihr - so der Sachverständige Hecker - stammenden Aufschrift „Laube“; die „Laube“ sollte - so [106] steht es in dem von ihr mitgeführten „Ensslin-Kassiber“ - wegen der verräterischen Beweisstücke dringend geräumt werden. Der Senat hat keine Zweifel, daß die passenden Schlüssel für die Wohnung auch bestimmt waren. Die Feststellungen darüber, wie die Wohnung gemietet wurde, beruhen auf den Aussagen des Dipl. Psych. Pflug und dem Mietvertrag. Belege für Miet- und Kautionszahlungen im Namen des Mieters Pflug oder an diesen stammen ebenso wie der Antrag auf Stromanschluß für die Wohnung von dem „RAF“-Mitglied Thomas Weisbecker; das hat der Schriftsachverständige Hecker zusammen mit seinem Assistenten Philipp überzeugend dargelegt. Daß Weisbecker „RAF“-Mitglied war, zeigt schon die Tatsache, daß die „RAF“ die Anschläge in Augsburg und München unter der Kommando-Bezeichnung „Thomas Weisbecker“ ausgeführt hat.

Über die Aufdeckung der Wohnung im Juni 1972 und ihren allgemeinen Zustand hat der Kriminalbeamte Gubka glaubhaft berichtet.

In der Garage im Hofeckweg in Frankfurt sind der Angeklagte Baader und der verstorbene Angeschuldigte Meins festgenommen worden; sie waren zusammen mit dem in der Nähe gestellten Angeklagten Raspe vorgefahren, hatten in der Garage hantiert und besaßen einen Schlüssel (B 54 II 5/26), der - so überzeugend der Sachverständige Dr. Grooß - in das Garagentürschloß (B 54 II 5/94) passt.

[107] Schon daran zeigt sich, daß die Garage von der „RAF“ benutzt wurde. Dazu kommen Sachspuren, die in die „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt führen. Ein in der Garage vorgefundenes, zu einer Gasflasche gehörendes Typenschild der Firma Hauke (B II 5/2) war mit einem Schraubenzieher aus der Inheidener Straße (E 23 V 5/119.1) abgehebelt worden; das steht fest aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Grooß. Außerdem war die Fahrgestell-Nummer des Pkw Porsche KN - CU 90, mit dem die drei Personen vorgefahren waren, mit Schlagzahlen gefälscht worden, die in der Wohnung in der Inheidener Straße sichergestellt wurden (E 23 V 5/380); auch dies hat der Sachverständige Dr. Grooß überzeugend dargelegt. Bei ihm handelt es sich um einen ausgebildeten Diplom-Physiker mit einer langjährigen Erfahrung insbesondere auch auf dem Gebiet des Vergleichs von Werkzeugspuren. Er hat mit vorgefundenen Werkzeugen jeweils Vergleichsspuren hergestellt, mikroskopisch untersucht und das Ergebnis mit Hilfe von aussagekräftigem Bildmaterial dem Gericht vorgeführt. Anhand der Übereinstimmung von Werkzeugspuren, die nach der verbürgten Sachkunde des Gutachters mehr oder minder originell sind, zeigt sich, ob nur ihrer Art nach typische, charakteristische Gemeinsamkeiten vorhanden sind, oder ob so einzigartige, individuelle Merkmale übereinstimmen, daß sie jedenfalls in ihrer Gesamtheit einen genügend sicheren Schluß auf ein und dasselbe Werkzeug als Spurenverursacher zulassen und ihre komplexe [108] Wiederholung, abgesehen von einem nur theoretischen Vorbehalt, bei einem anderen Werkzeug auszuschließen ist. Die besonderen Merkmale können bei der Herstellung eines Werkzeugs wie auch beim Gebrauch entstehen, und ihre Eigentümlichkeit kann sich aus der Art, der Beschaffenheit, wie auch der Lage verschiedener Merkmale zueinander ergeben. So sind bei dem Schraubenzieher und bei den Schlagzahlen die Eigentümlichkeiten insbesondere bei der Herstellung durch den nicht wiederholbaren Schleifprozeß entstanden.

In der Garage in der Ginnheimer Landstraße in Frankfurt sind die Fingerspuren des Angeklagten Raspe (an einer Steckdose eine Spur mit 8 Übereinstimmungen) sowie der „RAF“-Mitglieder Gerhard Müller und Braun (an abgestellten Fahrzeugen) festgestellt worden. Das ergeben die Aussagen des Kriminalbeamten Drehmann, der die Spuren gesichert hat, und die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Neuendorf. Aufgrund der Aussagen des Studenten Wolfgang Pracht und dem Mietvertrag steht fest, daß es der Angeklagte Raspe war, auf dessen Veranlassung Pracht - als Strohmann - die Garage ab August 1971 gemietet hatte. Raspe traf mit ihm bis Ende Mai 1972 in Frankfurt öfters zusammen und übergab Geld für die Miete.

Bei der Aufdeckung der Wohnung in der Raimundstraße in Frankfurt war der Kriminalbeamte Fincke dabei; er hat den [109] Zustand der Wohnung beschrieben, die bis auf das übliche Matratzenlager fast leer war. In der Wohnung sind die Fingerspuren der Angeklagten Ensslin und des „RAF“-Mitglieds Müller festgestellt worden; das ergeben die Aussagen des Kriminalbeamten Baer, der an der Sicherung der Spuren beteiligt war, und die Ausführungen des Sachverständigen Neuendorf, der jeweils 12 übereinstimmende Merkmale erkannt hat. Ein Schlüssel (C 6.4.2 Pos. 111 b), der bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof sichergestellt wurde, passt in das Wohnungstürschloß (E 27.1); zu dieser Feststellung führen eine Schlüsselprobe des Zeugen Fincke vor Ort und die Darlegungen des Sachverständigen Dr. Grooß.

Die in Bad Homburg gemachten Funde hängen vielfach mit anderweitigen „RAF“-Funden zusammen, so daß der Senat keine Zweifel hat, daß es sich bei den weggeworfenen Sachen um „RAF“-Bestände handelt. Bezeichnend ist nicht nur, daß neben Waffen, Munition und Sprengkörpern im Heuchelbach die angesammelten Texte zu „RAF“-Erklärungen vorgefunden wurden, die nach dem überzeugenden Sachverständigen Dipl. Ing. Windhaber zum großen Teil von sichergestellten Schreibmaschinen aus „RAF“-Wohnungen (Inheidener Straße in Frankfurt: „Erika“, Paulinen-Allee in Hamburg: „Olympia“) stammen, sondern daß auch gleich die Entwürfe zu einer solchen Erklärung (E 34 I 5/132 Bl. 3 und 18 betreffend Kommandoerklärung „Thomas [110] Weisbecker“) und Kohlepapiere (E 34 I 5/133 betreffend die Abschrift des „RAF“-Distanzierungsbriefs vom 28. Mai 1972) vorhanden sind. Der Urkunden-Sachverständige Windhaber hat die Kohlepapiere entsiegelt, ihren Inhalt dem Gericht vermittelt und überzeugend dargelegt, daß sie auf der „Erika“-Schreibmaschine aus der Inheidener Straße in Frankfurt verwendet worden waren. Insbesondere stammt die Handschrift auf einem der beiden Entwürfe zur Kommandoerklärung „Thomas Weisbecker“ (E 34 I 5/132 Bl. 18) von der früheren Angeklagten Meinhof, wie der Sachverständige Hecker überzeugend dargelegt hat. Das alles zeigt, daß die weggeworfenen „RAF“-Texte aus den Beständen ihrer Urheber selbst stammen.

Ein Schlüssel (E 34.15 e = E 34 I 5/102) passt - so der Sachverständige Dr. Grooß - zum Schloß der „RAF“-Garage im Hofeckweg in Frankfurt (B 54 II 5/94).

Ein weiterer Schlüssel (E 34.15 f = E 34 I 5/102) passt zum hinteren Ausgang der Werkstatt des Bombenbauers der „RAF“ Dierk Hoff in der Oberlindau 67 in Frankfurt; der zuverlässige Kriminalbeamte Freter hat dort eine Schließprobe gemacht und das Ergebnis dem Gericht vermittelt. Der Zeuge Hoff, dessen Glaubwürdigkeit an anderer Stelle erörtert wird, hat geschildert, wie er dem früheren Angeschuldigten Meins, als einmal unerwarteter Besuch kam, eben einen solchen Schlüssel übergab, damit Meins sich durch den Hinter- [111] ausgang aus der Werkstatt entfernen konnte.

Handgranaten aus dem Heuchelbach (E 34 I 5/68) stimmen in der chemischen Zusammensetzung der Hüllen und in der Machart völlig überein mit den Handgranaten, die bei der Festnahme des Angeklagten Baader im Hofeckweg in Frankfurt (B 54 III 2/2) und bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof in Langenhagen (C 6.4.2 Pos. 79 a und b) sichergestellt wurden; eine Feldflaschenbombe aus dem Schloßteich (E 34 III 5/2-4) hat dieselbe Machart wie die in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt (E 23 V 5/353-355) und bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof (C 6.4.2 Pos. 55) sichergestellten Sprengkörper. Beide Gruppen von Sprengkörpern haben jeweils denselben Hersteller. Das haben die Sachverständigen Professor Schönherr und Professor Pohl von der Bundesanstalt für Materialprüfung überzeugend dargelegt. Die Herkunft der Homburger Funde von der „RAF“ steht fest. Nicht nur aus der Nähe des Fundorts zu Frankfurt, sondern auch aus den Beziehungen der Fundstücke zu dieser Stadt (Schlüssel, ein Teil der Schreibmaschinenschriften, Zeuge Hoff) schließt der Senat, daß die weggeworfenen Sachen der Bombenzentrale in Frankfurt zuzurechnen sind.

In der Wohnung in der Paulinenallee in Hamburg sind die Fingerspuren der Angeklagten Ensslin (2) und der „RAF“- [112] Mitglieder Roll (2) und Stachowiak (1) festgestellt worden. Das ergeben die zuverlässigen Aussagen des Kriminalbeamten Huster - er hat die Spuren gesichert - und die Ausführungen des Sachverständigen Neuendorf, der jeweils eine ausreichende Zahl von Übereinstimmungen aufgezeigt hat (Ensslin: 10 und 11, Roll 9 und 12, Stachowiak: 12).

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Hecker stammen von der früheren Angeklagten Meinhof handschriftliche Vermerke auf Notizzetteln (E 37 E 97, 98, 224), in Büchern (E 37 C 156, 274, 275, 276), auf Tageszeitungen vom März und Mai 1972 (E 37 E 214.4 und 5), in einem Belegexemplar der „RAF“-Schrift „DAS KONZEPT STADTGUERILLA“ (E 37 C 224) und auf einer Druck-Anweisung (E 3 E 214.1), von dem „RAF“-Mitglied Jünschke handschriftliche Aufzeichnungen auf Notizzetteln (E 37 B 41), Zahlungsbelegen (E 37 B 44, 49, 50) und auf Landkarten (E 37 C 376, 378). Ein Schlüssel (C 2.1 Pos. 38 b), den die Angeklagte Ensslin bei ihrer Festnahme in Hamburg bei sich führte, passt - so der Sachverständige Dr. Grooß und der Kriminalbeamte Heinze, der eine Schließprobe gemacht hat - in das Wohnungstürschloß (E 37 H 2). Auf dem Schlüsselanhänger steht das verwaschene Wort „Bunker“, das der Kriminaltechniker Suckow mit Hilfe eines Orangefilters fotografiert und so dem Senat vermittelt hat. In dem bei der früheren Angeklagten Meinhof sichergestellten „Ensslin-Kassiber“ [113] heißt es unter anderem: „Bunkerschlüssel bei mir gehabt“. Auch ein in der Wohnung vorgefundener Notizzettel über Geldausgaben enthält das Wort „Bunker“. Ein in einer anderen Wohnung (in der Ohlsdorfer Straße in Hamburg) sichergestellter Schlüssel (E 25 Schlafz. Pos. 239), der zur Wohnung in der Paulinenallee passt - so der Sachverständige Dr. Grooß und der Zeuge Rieper -, trägt im übrigen ebenfalls die Aufschrift „Bunker“, so daß kein Zweifel mehr besteht, daß die Wohnung in der Paulinenallee mit dem in dem Kassiber erwähnten „RAF“-Unterschlupf „Bunker“ identisch ist.

Daß die Wohnung in der Ohlsdorfer Straße in Hamburg der „RAF“ zuzurechnen ist, zeigt sich an den dort festgestellten Fingerspuren der „RAF“-Mitglieder Stachowiak und Müller, sie sind aus anderen Urteilen wie auch aus Zeugenaussagen als „RAF“-Mitglieder bekannt. Der Kriminalbeamte Ortmann hat die Spuren zuverlässig gesichert, der Sachverständige Neuendorf hat jeweils zwölf Übereinstimmungen aufgezeigt.

Aufgefundene Handschriften stammen nach den Ausführungen des Sachverständigen Hecker von der früheren Angeklagten Meinhof, so auf zahlreichen Notizzetteln, die an Kfz-Kennzeichen geheftet waren (E 25 Schlafz. Pos. 259) und in einem maschinenschriftlichen Manuskript zur „RAF“-Schrift „DAS KONZEPT STADTGUERILLA“ nebst einer Anweisung für den Druck (25 Schlafz. Pos 198 f u. g), weitere [114] Handschriften von dem bekannten „RAF“-Mitglied Jünschke, so ebenfalls auf den Notizzetteln, die an Kfz-Kennzeichen geheftet waren (E 25 Schlafz. Pos. 259) und in Aufschrieben über den Polizeifunk (E 25 Wohnz. Pos 31.89).

Ein linker roter Handschuh (E 25 Schlafz. Pos. 44) stimmt, wie der Sachverständige Dr. Kissling vom Bundeskriminalamt überzeugend dargelegt hat, im Material und in der Verarbeitung völlig überein mit einem rechten roten Handschuh, der bei der Festnahme der Angeklagten Ensslin in Hamburg sichergestellt wurde (C 2.1. Pos. 7). Die frühere Angeklagte Meinhof führte bei ihrer Festnahme einen Schlüssel (C 6.4.2 Pos. 112) mit sich, der nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. Grooß zur Wohnungstür in der Ohlsdorfer Straße (E 25 Wohnz. Pos. 33.2) passt.

Über den allgemeinen Zustand der Wohnung in der Seidenstraße in Stuttgart hat der Kriminalbeamte Friesl glaubhaft berichtet. Vorgefundene Aufschriebe über den Stuttgarter Polizeifunk (E 29 Schlafz. Pos. 140) stammen nach den Ausführungen des Sachverständigen Hecker von dem ebenfalls bekannten „RAF“-Mitglied Moeller. Ein Schlüssel (C 2.1 Pos. 37 b), den die Angeklagte Ensslin bei sich führte, passt zum Wohnungstürschloß in der Seidenstraße (E 29.1), wie der Sachverständige Dr. Grooß auch hier überzeugend dargelegt hat.

[115] Den allgemeinen Zustand der konspirativen Wohnung in der Oberen Weinsteige in Stuttgart hat der Kriminalbeamte Mellenthin glaubhaft beschrieben.

[116] Zur Urheberschaft der „RAF“

Die verantwortlichen Urheber aller sechs Sprengstoffanschläge gehören nach der Überzeugung des Senats zu der Vereinigung, die sich selbst „Rote Armee Fraktion“ nennt. Auf diese Personengruppe weisen einmal die authentischen Kommandoerklärungen zu jedem einzelnen Sprengstoffanschlag, sodann die Sachspuren hin, die von den Tatorten in „RAF“-Wohnungen und -Garagen führen; vielfältige Übereinstimmungen der Sprengkörperfunde bestätigen die gemeinsame Urheberschaft der Anschläge. Die Angeklagten selbst lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Anschläge von der „Roten Armee Fraktion“, zu der sie gehören, ausgegangen sind.

Die Sachspuren, die von den einzelnen Sprengstoff-Anschlägen ausgehen, hat der Senat wie folgt festgestellt: Über den in Frankfurt auf dem Gelände des 5. US-Corps zurückgelassenen VW 1300 haben zur Sicherstellung und zum Zustand des Fahrzeugs der KHM Müller, zur Herkunft der Apotheker Bippert glaubhafte Aussagen gemacht. Die von dem Kriminalbeamten Donecker gesicherte Fingerspur stammt nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Neuendorf von dem „RAF“-Mitglied Thomas Weisbecker; 12 Übereinstimmungen sind vorhanden. Der Kriminalbeamte Müller konnte mit dem Fahrzeugschlüssel des Bestohlenen Bippert nur noch ein [117] Türschloß betätigen. Der Sachverständige Dr. Grooß hat überzeugend dargelegt, daß zu dem eingesetzten Zündschloß (B 47/7) ein Zündschlüssel (E 25 Schlafz. Pos. 239 = „Flur 2.8“) passt, der in der „RAF“-Wohnung in der Ohlsdorfer Straße in Hamburg sichergestellt worden ist. Aus beiden Beweisanzeichen zusammen schließt der Senat, daß es sich um ein „RAF“-Fahrzeug handelt. Kein vernünftiger Zweifel besteht nach den Umständen, insbesondere auch dem engen zeitlich-örtlichen Zusammenhang, daß das Fahrzeug zur Ausführung des Sprengstoffanschlags verwendet worden ist.

Das in München verwendete Tatfahrzeug ist auf Grund des am Tatort gefundenen Typenschilds, auf dem die Fahrgestellnummer festgehalten war, identifiziert worden. Die Feststellungen zum Diebstahl dieses Fahrzeugs und der ebenfalls am Tatort gesicherten Kennzeichen-Doublette beruhen auf den glaubhaften Aussagen der Zeugen Lawrowicz, Reischig, Moser und Sanktjohanser; nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Putz ist das Kennzeichen mit dem Prägestempel des Schildermalermeisters Sanktjohanser hergestellt worden. Das aufgefundene Kennzeichen war, wie die Aussagen des Kriminalbeamten Kalny über die Schadensmeldungen sowie der Tatortbefundzeugen Hechtl und Pfaffenberger ergeben haben, keinem anderen als dem Tatfahrzeug zuzuordnen. Die Ausführungen des Urkunden-Sachverständigen [118] Angermayer vom Bayrischen Landeskriminalamt haben keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die auf der Doublette angebrachte Zulassungsplakette mit dem Aufdruck „Landratsamt Fürstenfeldbruck“ eine Fälschung ist. Tatsächlich sind auch zwei Original-Zulassungsplaketten in Fürstenfeldbruck Mitte April 1972 von abgestellten Kraftfahrzeugen gestohlen worden; das haben der Pfarrer Bachmaier und der Kaplan Frania glaubhaft bekundet. Andere derartige Diebstähle sind, wie die Aussagen des Kriminalbeamten Mauritz ergeben haben, nicht bekannt geworden. Die Spur von diesen beiden Diebstählen führt aber in die „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt. Von den beiden dort gesicherten Blechstücken trägt eines noch die Zulassungsplakette des Landratsamts Fürstenfeldbruck (E 23 V 5/326.2), das andere (E 23 V 5/326.1) - ohne Zulassungsplakette - stammt mit Sicherheit von dem am Fahrzeug des Pfarrers Bachmaier angebracht gewesenen Kennzeichen FFB-KE 90 (B 49/2). Das ergeben die Darlegungen des Sachverständigen Dr. Grooß, der den Senat überzeugt hat, daß es sich um eindeutige Paßstücke handelt. Dieser Zusammenhang wird vollends bestätigt durch die Blechschere (E 29/28), die in einer weiteren „RAF“-Wohnung in der Seidenstraße in Stuttgart sichergestellt wurde. Ihr Gebrauch hinterläßt infolge des von Hand hergestellten Wellenschliffs individuelle Spuren, die sich nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. Grooß sowohl an dem beschädigten Kennzeichen [119] FFB-KE 90 als auch an dem Asservat aus der Inheidenerstraße in Frankfurt wiederfinden.

Aus alledem ergehen sich für den Senat folgende Erwägungen: Der ungewöhnliche Diebstahl von zwei Zulassungsplaketten in Fürstenfeldbruck, der auffallende Doppelfund in der Frankfurter Wohnung und die Verwendung einer Fürstenfeldbrucker Zulassungsplakette auf der amtlich nicht ausgegebenen Kennzeichen-Doublette in München legen einen Zusammenhang schon nahe. Nach dem Sachverständigen-Gutachten von Dr. Grooß besteht dieser Zusammenhang zwischen Fürstenfeldbruck und dem Frankfurter Doppelfund tatsächlich. Fehlt dann aber in der „RAF“-Wohnung in Frankfurt eine Zulassungsplakette aus Fürstenfeldbruck und taucht eben eine solche Plakette bei dem Münchner Anschlag auf, der - wie die Kommando-Erklärung „Thomas Weisbecker“ schon zeigt - desgleichen der „RAF“ zuzurechnen ist, so hat der Senat keine Zweifel mehr, daß es sich bei der in München sichergestellten Plakette um die in der Frankfurter Wohnung an einem der beiden Kennzeichen-Fragmente fehlende Plakette handelt. Die Spur, die vom Tatort gerade in diese zentrale „RAF“-Wohnung in der Inheidenerstraße in Frankfurt führt, hat aber auch Bedeutung für den Anschlag in Augsburg: beide Anschläge sind Teil einer einheitlichen Aktion unter der Kommando-Bezeichnung „Thomas Weisbecker“.

[120] Der in Karlsruhe detonierte unkonventionelle Sprengkörper ist von der gleichen Machart wie die in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt sichergestellte Magnetbombe (E 23 V 5/350). Das zeigt schon die sachkundige Beschreibung des Zeugen Krapp, der den Frankfurter Sprengkörper delaboriert und anhand der in Karlsruhe gefundenen Splitter eine Rekonstruktion der dort detonierten Magnetbombe versucht hat. Konstruktion und Einzelteile entsprechen sich; Material, Form, Abmessungen und Bearbeitungsmerkmale stimmen überein. Gesichert wird diese Feststellung durch das in einem eigenen Zusammenhang dargestellte Gutachten der Professoren Schönherr und Pohl von der Bundesanstalt für Materialprüfung.

Daran fügen sich die Feststellungen über die Magnet-Gegenstücke, die in Frankfurt in der Inheidener Straße an der Magnetbombe (E 23 V 5/350) und in weiteren drei Einzelstücken (E 23 V 5/328) vorhanden sind, in Karlsruhe aber, wo sie auch überflüssig gewesen wären, fehlen. Diese Feststellungen beruhen vor allem auf den glaubhaften Bekundungen des Kriminalbeamten Krapp. Von ihm stammt auch die zuverlässige und kompetente Auskunft, daß nirgends sonst im Zusammenhang mit Sprengstoffdelikten in der Bundesrepublik etwas über Magnete oder Magnet-Gegenstücke dem Bundeskriminalamt bekannt geworden ist. Auch sonst hat die Beweisaufnahme dafür keinerlei Anhaltspunkte geliefert. Dazu paßt die glaub- [121] hafte Aussage des „RAF“-Bombenbauers Hoff, wonach sich an den beiden von ihm hergestellten Magnetbomben jeweils 3 Magnet-Gegenstücke befunden haben. An der Magnetbombe aus der Inheidener Straße hat er seine „Handschrift“ wiedererkannt; Einzelteile aus Karlsruhe (Magnethalterungen, Rundeisenhenkel) entsprechen nicht nur nach Material und Form, sondern auch in den Bearbeitungsmerkmalen seiner Erinnerung an die beiden Magnetbomben. Tatsächlich stammen auch beide Sprengkörper von demselben Hersteller, wie das erwähnte Gutachten der Professoren Schönherr und Pohl beweist. Der Senat gewinnt aus alledem die Überzeugung, daß die inmitten des Arsenals in der Inheidener Straße in Frankfurt vorgefundenen drei Magnet-Gegenstücke (E 23 V 5/328) vorher an dem in Karlsruhe detonierten Sprengkörper befestigt waren und dieser aus der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße stammt.

Zu dem im Springer-Verlag in Hamburg gesicherten Geschirrtuchrest (B 51/12. Stock Flur/1.4), der zur besseren Verpackung verwendet wurde, und dem in der „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee in Hamburg aufgefundenen Geschirrtuch (E 37 A 49.4) hat der Sachverständige Dr. Kissling, Wissenschaftlicher Direktor im Bundeskriminalamt, überzeugend ausgeführt, daß es sich um individuelle Paßstücke handelt; Material, Garn, Färbung und Verarbeitung stimmen völlig überein, ins- [122] besondere aber gehören die Anschlußstellen makro- und miskroskopisch eindeutig zueinander, eine durchtrennte Sengstelle bestätigt dies vollends. Der Senat schließt daraus, daß in der „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee letzte Hand an den im 12. Stock im Flur gefundenen Sprengkörper gelegt wurde. Außerdem erweist sich daran in Verbindung mit den „RAF“-Erklärungen, die sich zu dem Hamburger Anschlag bekennen, daß der Anschlag tatsächlich auch von dieser Personengruppe begangen worden ist.

Gefertigt wurden alle fünf im Springer-Verlag deponierten Rohrbomben in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt. Dahin weisen die drei auffälligen Übereinstimmungen, zu deren Feststellung der Senat wie folgt gelangt ist:

Zu den korrespondierenden Plastik-Teilen in Hamburg (B 51/12. Stock WC/1.3.1) und in Frankfurt (E 23 V 5/313) hat der Sachverständige Dr. Grooß eine in diesem Fall nicht eindeutig individuelle, sondern lediglich eine charakteristische Übereinstimmung festgestellt. Beide Fragmente bestehen aus weißem Plastikmaterial, haben denselben Durchmesser und dieselbe Materialstärke. An beiden Plastik-Teilen fehlt ein Stück. Eine rund verlaufende, ungleichmäßige Sägespur, die von Hand mit einem Werkzeug verursacht wurde, markiert jeweils die Stelle, an der das fehlende Stück abgetrennt worden ist. Daß beide Fragmente ursprünglich zusammengehörten, [123] ist aufgrund dieser feststehenden Übereinstimmungen allein nicht sicher. Gleichwohl ist der korrespondierende Doppelfund am Ort des „RAF“-Anschlags in Hamburg und in der „RAF“-Wohnung in Frankfurt auffällig. Bearbeitungsspuren und Beschädigungen, die am einen wie am anderen Plastik-Teil vorhanden sind, stehen der möglichen und naheliegenden Zusammengehörigkeit beider Teile nicht entgegen und beeinträchtigen die Auffälligkeit des Doppelfundes nicht; sie passen zueinander und fügen sich ins Bild: An der jeweiligen Trennsägung lassen sich beide Fragmente an einer Strecke von 55 mm entlang einer charakteristischen Trennspur aneinanderpassen, genauere Feststellungen sind wegen des bei der Bearbeitung leicht verformbaren Materials nicht möglich; eine Trennsägung durchschneidet quer die rund verlaufende Sägespur an jedem Teil; ein tiefer Kratzer stößt jeweils auf die rund verlaufende Sägespur in der Weise, daß dann, wenn man beide Fragmente entsprechend den Paßstellen der Trennsägung zusammenhält, ein im Winkel zueinander führenden Spurenverlauf sichtbar wird; weitere parallel zur Trennsägung verlaufende kleinere Kratzspuren korrespondieren miteinander; an beiden Teilen sind jeweils an der Trennsägung Randstücke abgebrochen, die sich ebenfalls passend aneinander fügen lassen.

Daß an einer Rohrbombe in Hamburg die von dem Kriminalbeamten Krapp beschriebene Zündvorrichtung durch [124] einen Kippschalter „on/off“ gesichert war (von dem ein Teil wegen Sperrigkeit abgekniffen war), ist eine sonst nicht beobachtete Besonderheit. Die Gleichartigkeit dieses Schalters (B 51/2. Stock/1.3) mit einem in Bad Homburg sichergestellten Schalter (E 34 II 5/58.1) ergibt der Augenschein. Beide Asservate passen mühelos zu den beiden leeren Schalter-Verpackungen „Racimex - on/off - Nr. 30“, die in der Inheidener Straße in Frankfurt sichergestellt worden sind (E 23 V 5/296.24); andere als die erwähnten Schalter sind dazu nicht vorhanden, dafür haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Eine weitere, sonst nicht beobachtete Besonderheit ist die nach der Beschreibung des Kriminalbeamten Krapp an einer Rohrbombe angebrachte Abdeckung aus Spachtelmasse mit den eingegossenen Zünderdrähten (B 51/2. Stock/1.4). Dazu ist ein entsprechendes Stück in der Inheidener Straße in Frankfurt sichergestellt worden (E 23 V 5/308). Die Gleichartigkeit dieser beiden ungewöhnlichen, selbstgefertigten Stücke ergibt ebenfalls der Augenschein. Sonst sind keine derartigen Abdeckungen vorgefunden worden; dafür hat auch der zuverlässige und kompetente Kriminalbeamte Fernstädt, der einen Überblick über die sichergestellten Asservate zu den hier behandelten Sprengstoffdelikten hat, keine Anhaltspunkte. Die erwähnten Besonderheiten haben auch Bedeutung für die Aussagen des Zeugen Gerhard Müller, der darüber im Zusammenhang mit der Wohnung in der [125] Inheidener Straße in Frankfurt berichtet. Dessen ungeachtet gewinnt der Senat aus dem Zusammentreffen der auffälligen Zusammenhänge insgesamt seine Überzeugung, daß die fünf unzweifelhaft von der „RAF“ deponierten Rohrbomben in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt fertiggestellt worden sind.

In Heidelberg führte das zum Tatfahrzeug an der Sprengstelle 1 gehörende Typenschild (B 52/2.17) mit der Fahrgestellnummer zu dem Angestellten Happ; er hat glaubhaft bekundet, daß ihm ein Kraftwagen mit den Daten des Tatfahrzeugs gestohlen worden war; am Tatort gesicherte Papiere (B 52/2.6) hat er als die seinen wiedererkannt; von ihm stammt die zuverlässige Angabe des Kfz-Kennzeichens GL-CW 145, das an seinem Fahrzeug angebracht war, als es gestohlen wurde. Dieses Kennzeichen ist am Tatort nicht, wohl aber in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt in zwei Exemplaren gefunden worden. Der Verkäufer Golle von der Firma Bachirt in Köln hat eines dieser Kennzeichen (E 23 V 5/33) an dem auf der Rückseite angebrachten, von ihm stammenden und für den Pkw-Käufer Happ bestimmten handschriftlichen Vermerk glaubhaft wiedererkannt. Die Feststellungen zur Herkunft des Tatfahrzeugs an der Sprengstelle 2 beruhen auf den glaubhaften Bekundungen des Professors Dr. Jaeck, dessen [126] Ehefrau dieses Fahrzeug gestohlen worden war; die zugehörigen Original-Kennzeichen sind nicht gefunden worden. Wegen der an beiden Tatfahrzeugen angebrachten US-Kennzeichen sind in Neu-Ulm Diebstahlsanzeigen von US-Bürgern eingegangen; das hat der Kriminalbeamte Ludwig zuverlässig berichtet.

Zu dem an der Sprengstelle 1 gesicherten Halsringsplitter (B 52/2.1) haben die Kriminalbeamten Weinmann und Dengler als Ermittlungsbeamte die Zusammenhänge aufgezeigt. Die Feststellungen dazu stützen sich zunächst auf den Betriebsleiter Becker von der Firma Butan in Berlin. Er hat als Sachverständiger überzeugend ausgeführt, daß es sich um den Halsringsplitter einer 33 kg-Gasflasche mit einem Volumen von 79 Litern handelt und daß es sich nach der auf dem Splitter angebrachten Punzierung: „Butan G 1778 TÜ 1“, um eine Flasche der Firma Butan handelt, die für ihre 33 kg- Flaschen den Buchstaben „G“ vor die Herstellernummer gesetzt hat. Als Zeuge hat er mit Hilfe der von ihm mitgebrachten Geschäftspapiere zuverlässig bekundet, daß eine Flasche mit dieser Herstellernummer 1954 an die Firma Stinnes in Mannheim mit der Eigentümernummer „B 273“ geliefert wurde: auf der Auftragsliste der Firma Butan entspricht die Herstellernummer „1778“ der für die Firma Stinnes vorgesehenen fortlaufenden Nummer „B 273“; dies wird durch die Sammelbescheinigung des Technischen Überwachungsvereins Berlin („TÜ 1“), [127] der die Erstprüfung für 40 33 kg-Flaschen mit den fortlaufenden Nummern „G 1766-1805“ = „B 261-300“ vorgenommen hat, nochmals bestätigt. An der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit der Urkunden besteht kein Zweifel. Eine von dem Kriminalbeamten Dengler bei der Firma Hauke in Würzburg erhobene Prüfbescheinigung des Technischen Überwachungsvereins Wuppertal vom 19. April 1966 ergibt sodann, daß die Firma Hauke, die mit der Erstabnehmerin Stinnes zusammenarbeitet, die 33 kg-Gasflasche mit der alten Eigentümernummer „273“ („letztes Prüfdatum: 6.54“) und der Herstellernummer „1778“ über die Firma GEGA zur Wiederholungsprüfung vorstellte und die Flasche nunmehr die neue Eigentümernummer „30 0 94“ erhielt. Der Diplomingenieur Waag, der seinerzeit als Prüfingenieur tätig war, hat die Echtheit dieser von ihm ausgestellten Urkunde bezeugt und zuverlässig bekundet, daß die in der Liste aufgezeichnete alte und neue Eigentümernummer anhand der Typenschilder an der jeweiligen Flasche gewissenhaft verglichen worden sind; er hat die Gewähr dafür übernommen, daß seine Liste richtig ist. Das Typenschild der Firma Hauke in Würzburg mit der Eigentümernummer 30 0 94 (B 54 II 5/2) ist aber in der „RAF“-Garage im Hofeckweg in Frankfurt sichergestellt worden; es war - wie im Zusammenhang schon dargelegt - mit einem Schraubenzieher (E 23 V 5/119.1) aus der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße [128] in Frankfurt abgehebelt worden. Der Senat zieht daraus den Schluß, daß von Benutzern dieser Wohnung und dieser Garage der eingesetzte Sprengkörper ebenso wie das Tatfahrzeug der Sprengstelle 1 („Happ“) für den Anschlag in Heidelberg präpariert worden sind.

Die verwerteten Kommando-Erklärungen sind - mit einer Ausnahme: der in Bad Homburg sichergestellten Erklärung zum Karlsruher Anschlag - jeweils kurz nach den Anschlägen bei Nachrichtenagenturen, Zeitungen oder Rundfunkanstalten eingegangen. Das steht fest aufgrund der Aussagen der Zeugen Körber (dpa München: „Kommando Petra Schelm“), Jörs (dpa Hamburg: „Kommando Thomas Weisbecker“), Möhlau (NDR Hamburg: „Kommando 2. Juni“ vom 19.5.1972), Skrandies (dpa Hamburg: „Kommando 2. Juni“ vom 20.5.1972), Dr. Ziegler („Frankfurter Rundschau“: „Kommando 15. Juli“). Ebenso steht der Eingang der beiden „Distanzierungsbriefe“ (mit den dort enthaltenen Bekenntnissen) fest aufgrund der Aussagen der Zeugen Tews („Westfälische Rundschau“: „An die westdeutschen Nachrichtenredakteure ...“ vom 28.5.1972) und Dr. Ziegler („Frankfurter Rundschau“: „An die westdeutschen Nachrichtenredakteure ...“ vom 28.5.1972, und: „Die beiden aus Buchstaben ...“ vom 29.5.1972). Die Zeugen Jörs, Skrandies und Tews sind Polizeibeamte, die seinerzeit die eingegangenen Briefe [129] bei den Adressaten erhoben haben, die anderen Zeugen Journalisten, denen solche Briefe zugegangen sind, die sie dann der Polizei weitergegeben haben. Einzelne Zeugen, wie Dr. Ziegler, haben sich Fotokopien gefertigt, die mit den in der Hauptverhandlung vorliegenden Original-Schreiben übereinstimmen. Den Schreiben beigefügte Briefhüllen, meist mit Poststempel, runden das Bild ab.

Die Echtheit des sogenannten „Baader-Briefes“, der den Zusammenhang zwischen der Personengruppe um Baader und der für die Sprengstoff-Anschläge zeichnenden „RAF“ aufzeigt, ist durch die Aussagen des Journalisten Hack, dpa München, und die überzeugenden Ausführungen des daktyloskopischen Sachverständigen Wollny vom Bayerischen Landeskriminalamt gesichert; der Daumen-Abdruck stimmt in wenigstens 12 Merkmalen mit dem Vergleichsabdruck in der amtlichen Sammlung überein.

Die beiden Entwürfe zu dem Kommandobrief „Thomas Weisbecker“ (E 34 I 5/132 Bl. 3.18), die unter anderem zusammen mit dem Kommandobrief „Manfred Grashof“ (Karlsruhe) in Bad Homburg gefunden worden sind, tragen in einem Fall (Bl. 18) die Handschrift der früheren Angeklagten Meinhof; das hat der Schriftensachverständige Hecker überzeugend ausgeführt. Daran zeigt sich wiederum der Zusammenhang zwischen der in den Kommando-Briefen genannten „RAF“, die sich rühmt, die Spreng- [130] stoff-Anschläge begangen zu haben, und der unter anderem auch nach der früheren Angeklagten Meinhof benannten Personengruppe. Daß es sich um Entwürfe zu dem versandten Kommandobrief handelt, geht schon aus dem übereinstimmenden ersten Satz hervor; er lautet:

„Am Freitag, den 12. Mai 1972 hat das „Kommando Thomas Weisbecker“ im Polizeipräsidium in Augsburg und im Landeskriminalamt in München drei Bomben zur Explosion gebracht.“

Die Echtheit der Kommando-Erklärungen erweist sich insbesondere daran, daß sie - oder jedenfalls weitere Bekenntnisse zu denselben Anschlägen - auf Schreibmaschinen geschrieben wurden, die später in „RAF“-Wohnungen sichergestellt worden sind. So stammen von der am 16.6.1972 in der Inheidener Straße in Frankfurt vorgefundenen „Erika“-Schreibmaschine mit der Fabriknummer 571609/6 (E 23 V 5/31, Schriftbild Nr.: T-7205) neben dem sogenannten „Baader-Brief“ die an die dpa München versandte Kommando-Erklärung zu Frankfurt, ein Entwurf mit Streichungen (E 34 I 5/132, Bl. 3) zu Augsburg und München und die nicht versandte Kommando-Erklärung zu Karlsruhe nebst einem Durchschlag (E 34 I 5/132, Bl. 5 und 6), ferner eine Reihe von Abschriften zu Kommando-Erklärungen (Frankfurt, Augsburg und München, Hamburg, Heidelberg). Von der am 20. Oktober 1972 in der Paulinenallee in Hamburg vorgefundenen „Olympia“-Schreibmaschine mit der Fabrik- [131] nummer 7 - 44922 (E 37 E 361, Schriftbildnummer: S-7151) stammen die an die „Frankfurter Rundschau“ versandte Kommando-Erklärung zu Heidelberg, der ebenfalls an die „Frankfurter Rundschau“ sowie an die „Westfälische Rundschau“ versandte Distanzierungsbrief vom 28. Mai 1972 („An die Nachrichtenredakteure ...“) und der wiederum an die „Frankfurter Rundschau“ versandte Distanzierungsbrief vom 29. Mai 1972 („Die beiden aus Buchstaben ...“), sowie die angefangenen Entwürfe (E 37 E 214.2 und 3) zur Tonbanderklärung der früheren Angeklagten Meinhof vom 31. Mai 1972. Nicht sicher, nur wahrscheinlich, sind die beiden an den NDR und die dpa Hamburg gerichteten Kommando-Erklärungen zu Hamburg auf der am 22. Juni 1972 in der Ohlsdorfer Straße in Hamburg vorgefundenen Reiseschreibmaschine ohne Fabrikat mit der Seriennummer 0231324999 (E 25 Schlafz. Pos. 214, Schriftbild Nr. T-7225) geschrieben worden; die Kommando-Erklärungen „2. Juni“ (Hamburg) werden aber in dem angeführten, auf der „Olympia“- Maschine geschriebenen Distanzierungsbrief der „RAF“ vom 28. Mai 1972 als echt bezeichnet. Die an die dpa Hamburg versandte Kommando-Erklärung zu Augsburg und München ist auf einer unbekannten Schreibmaschine mit einer Schattenschrift „Bruxelles“ geschrieben worden, jedoch trägt ein - schon angeführter, auch mit einer Schattenschrift „Bruxelles“ geschriebener - erster Entwurf dazu die Handschrift der früheren Angeklagten [132] Meinhof (E 34 I 5/132, Bl. 18), und ein zweiter Entwurf (E 34 I 5/132, Bl. 3) stammt von der angeführten „Erika“-Schreihmaschine. Ausserdem enthalten die angeführten Entwürfe (E 37 E 214.2 und 3) zur Tonbanderklärung vom 31. Mai 1972 auch das Bekenntnis zur „Aktion gegen Buddenberg“. Die maschinenschriftlichen Zusammenhänge hat dem Senat der Sachverständige Diplomingenieur Windhaber, Leitender Wissenschaftlicher Direktor im Bundeskriminalamt, überzeugend vermittelt. Der seit 1949 als Urkunden-Sachverständiger tätige Fachmann mit seiner umfassenden Erfahrung hat die vorliegenden Schriftstücke mit den Systemelementen, den Typen-Formdefekten und den Typen-Justierungsdefekten der sichergestellten Schreibmaschinen verglichen und konnte so aufgrund individualcharakteristischer Übereinstimmungen zu einem sicheren Urteil gelangen.

Zu den Sprengkörper-Hüllen hat der Senat eine Reihe von Übereinstimmungen festgestellt: bei den Rohrbomben, den Feldflaschenbomben und den vorgefundenen Handgranaten. Diese Feststellungen beruhen auf dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Schönherr und Prof. Pohl von der Bundesanstalt für Materialprüfung; sie haben den Senat überzeugt.

[133] Das Gutachten stützt sich u. a. auf die nicht detonierten Rohrhomben in Hamburg (B 51/2.St., 12. St. Flur, 12. St. WC) und Augsburg (E 48/25), Splitter von der Sprengstelle 2 in Frankfurt (B 47/15: „11“, „29/1“, „12/4“) und von Hamburg (B 51/3. St. und 6 St.: „12/5 - 12/8“); Feldflaschenbomben aus der Inheidener Straße in Frankfurt, Bad Homburg und Langenhagen (E 23 V/350, 353 - 355, E 34 1/68, C 6.4.2 Pos. 55), Splitter von Augsburg und Karlsruhe (B 48/15: „31/1-5“, B 50: „12/9/1-54“), Magnet-Gegenstücke von der Inheidener Straße in Frankfurt (E 23 V/328); eine Nippelbombe aus Bad Homburg (E 34 III/5), Splitter von der Sprengstelle 1 in Frankfurt (B 47/14: „29/2-29/9“); Handgranaten aus Bad Homburg, dem Hofeckweg in Frankfurt und Langenhagen (E 34 III/2-4, B 54 III 2-5/2, C 6.4.2 Pos. 79 a und b).

Die Sachverständigen, die Kompetenz und Erfahrung haben, kommen zu dem sicheren Schluß, daß a) die nicht detonierten Rohrbomben, b) die Magnetbomben in der Inheidener Straße in Frankfurt und in Karlsruhe ebenso wie die weiteren Feldflaschenbomben in einer anderen Ausführung, sowie c) die Handgranaten nach der Machart jeweils von demselben Hersteller stammen. Dazu haben sie die zusammentreffenden Eigentümlichkeiten berücksichtigt, die sich aus dem Aufbau und den Abmessungen der unkonventionellen Sprengkörper, der Art und Form des verwendeten Materials, der Art und Ausführung der [134] Bearbeitung (Sägemarken, Körnerschlag, Anrißlinien, Bearbeitung der Kanten, Schweißnähte und dergleichen) ergeben.

Dazu kommen die Untersuchungen über die qualitative und quantitative chemische Zusammensetzung und das Gefüge des gesicherten Materials. In diese Untersuchungen sind die weiteren Splitter aus Frankfurt, Augsburg und Hamburg einbezogen worden, die zum Teil ebenfalls noch Bearbeitungsspuren aufweisen. Aufgrund dieser Erkenntnisse insgesamt haben die Sachverständigen den Senat in dem festgestellten Umfang überzeugt, daß es sich bei dem untersuchten Material von verschiedenen Fundorten außerdem sogar um dasselbe Halbzeug handelt. Aus den angeführten Untersuchungen über den Hersteller und das verwendete Material ergibt sich für den Senat, daß die vier nicht detonierten Sprengkörper in Hamburg und Augsburg und die weiteren detonierten Sprengkörper in Hamburg und an der Sprengstelle 2 in Frankfurt allesamt Rohrbomben derselben Herkunft sind. Die gemeinsame Herkunft dieser sieben unkonventionellen Sprengkörper ist ein gewichtiges Beweisanzeichen, das auf die gemeinsame Urheberschaft, denselben Täterkreis, bei den Anschlägen in Hamburg, Frankfurt und Augsburg hinweist. Weiter ergibt sich für den Senat, daß die in der Inheidener Straße in Frankfurt vorgefundene Magnetbombe und der in Karlsruhe detonierte Sprengkörper völlig gleichartig waren und beide zusammen mit dem in Augsburg im [135] 4. Stock detonierten Sprengkörper (ohne feststellbare Magnetstücke, die dort auch überflüssig gewesen wären, aber mit gleichförmigen, ebenfalls angeschweißten 8 mm-Henkeln aus demselben Halbzeug) eine gemeinsame Herkunft haben. Das weist wiederum darauf hin, daß die Täter von Karlsruhe und Augsburg, sowie die Benützer der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt demselben Personenkreis angehören. Da aber der Anschlag in Augsburg wegen der dort gefundenen Rohrbombe in einem Zusammenhang mit den Anschlägen in Frankfurt und Hamburg steht und der Augsburger Anschlag weiter nach dem Kommandobrief „Thomas Weisbecker“ von demselben „Kommando“ begangen worden ist wie der Münchner Anschlag vom selben Tag, ergeben sich daraus Hinweise, die dafür sprechen, daß die Urheber der Anschläge in Frankfurt, Augsburg, München, Karlsruhe und Hamburg sowie die Benutzer der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt demselben Personenkreis zuzuordnen sind.

Die Feststellungen, welche Sprengkörper an den einzelnen Tatorten deponiert worden sind, hat der Senat zusammenfassend wie folgt getroffen:

In Frankfurt ist an der Sprengstelle 2 eine Rohrbombe detoniert: die charakteristische Bodenplatte (B 47/15 „12/4“) mit Körnerschlag und Anreißkreuz ist gefunden worden, das Gutachten der Professoren Schönherr und Pohl [136] untermauert den Befund. Welche Sprengkörper an den Sprengstellen 1 und 3 detoniert sind, bleibt späterer Würdigung vorbehalten. Feststeht jedenfalls, daß der Sprengkörper an der Sprengstelle 1 (Telefonzelle) mit den gesicherten Rohrbomben keine Gemeinsamkeiten aufweist: die chemischen und die Gefüge-Untersuchungen durch die beiden Sachverständigen haben ergeben, daß Splitter von dieser Sprengstelle (B 47/14: „29/3“ und „29/7“, „29/5“ und „29/6“) von zwei verschiedenen Halbzeugen stammen, die jedoch beide nicht mit anderem Material, insbesondere auch nicht mit Rohrbomben, übereinstimmen.

In Augsburg ist eine Rohrbombe im vierten Stock nicht detoniert. Bei dem im selben Stock detonierten Sprengkörper handelt es sich um eine Feldflaschenbombe von derselben Ausführung wie die Magnetbomben, jedoch ohne Magnetstücke; das zeigen die untersuchten Splitter von angeschweißten Henkeln aus 8 mm-Rundeisen. Bei dem detonierten Sprengkörper im 3. Stock hat die Rekonstruktion von Splittern durch den Kriminalbeamten Boieck eine Flaschen-Punzierung mit der Herstellernummer 14642 ergeben, der nach den von dem Zeugen bei der Firma Mannesmann-Röhrenwerke in Dinslaken erhobenen Unterlagen die Kundennummer 56883 einer Pressluftflasche entspricht; die Endziffern dieser Kundennummer sind auf den gesicherten Splittern noch erkennbar.

[137] Die Flasche hat nach den erhobenen Unterlagen ein Leergewicht von 1,7 kg und ein (verhältnismäßig geringes) Volumen von 0,8 Liter.

In München ist der Splitter (B 49/4) eines Flaschenhalsrings mit der Punzierung: „27 - 3, 25-TÜ 1 - G ...“ am Tatort gesichert worden. „TÜ 1“ ist die Bezeichnung für den Technischen Überwachungsverein in Berlin. Der Sachverständige Becker von der Firma Butan in Berlin hat dem Senat bereits vermittelt, daß diese Firma ein „G“ vor die (hier fehlende) Herstellernummer ihrer 33 kg-Gasflaschen setzt. Auch ist der Splitter mit dem in Heidelberg gesicherten Halsringsplitter einer 33 kg-Gasflasche in dem vorhandenen Umfang deckungsgleich.

Daß in Karlsruhe eine Magnetbombe von der Art des in der Inheidener Straße in Frankfurt vorgefundenen Sprengkörpers detoniert ist, ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Schönherr und Prof. Pohl: die Machart ist gleich, Henkel aus 8 mm-Rundeisen und Laschen für die Magnethalterung stammen jeweils von demselben Halbzeug, die verwendeten Magneteisen sind gleichartig.

In Hamburg sind drei Rohrbomben nicht detoniert. Für die beiden detonierten Sprengkörper ist dasselbe Halbzeug wie bei den gesicherten Rohrbomben verwendet worden. Zusammen mit den Rohrbomben von Frankfurt und Augsburg sind demnach insgesamt 7 Rohrbomben verwendet worden; weitere Stücke sind nicht gesichert.

[138] In Heidelberg ist - wie schon dargelegt - der Halsringsplitter einer 33 kg-Gasflasche identifiziert worden (Sprengstelle 1); an der Sprengstelle 2 ist ein Splitter gefunden worden (B 52/1.1), bei dem es sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Becker um den Teil eines Halsrings („Ventilmuffe 1“) handelt, der zu einer 11 oder 5 oder 3 kg-Gasflasche gehört. Die Feststellung, daß an der Sprengstelle 2 insgesamt 2 11 kg-Gasflaschen detoniert sind, wird später begründet.

Die Sprengstoff-Befunde beruhen auf dem überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr. Trimborn (Physiker) und Dr. Stupp (Chemiker) vom Bundesinstitut für chemischtechnische Untersuchungen in Bonn. Sie stützen sich auf eigene Untersuchungen und auf die Untersuchungen der zuverlässigen, sachkundigen Zeugen Dr. Kexel vom Hessischen Landeskriminalamt (Sprengstof fanschlag in Frankfurt), Dr. Megges vom Bayrischen Landeskriminalamt (Sprengstoffanschläge in Augsburg und München) und Dr. E. Müller vom Bundeskriminalamt im übrigen. Danach sind die nach den Feststellungen in Wohnungen und Garagen sowie in Bad Homburg und Langenhagen angetroffenen roten und grauen Sprengstoffe, vorbehaltlich nicht ins Gewicht fallender quantitativer Abweichungen, untereinander gleichartig; ihre Zusammensetzung stimmt mit den in Frankfurt und Bad Homburg gefundenen Rezepturen und [139] Berechnungen über die roten und grauen Sprengstoffgemische überein. Das gleiche gilt für die Füllung der drei nicht detonierten Rohrbomben in Hamburg, die qualitativ und quantitativ eine hohe Übereinstimmung mit Sprengstoffen und Rezepten aus Frankfurt und Bad Homburg aufweisen (E 23 VI/136-138, B 54 III 2/1; E 23 V/84, E 34 II 5/129.10). Die Spuren, die von den detonierten Sprengkörpern zurückgeblieben sind, lassen einen sicheren Schluss nicht zu; sie passen aber ins Bild des roten und des grauen Sprengstoffs und geben keinen Anhalt dafür, daß andersartige Sprengstoffe bei den Anschlägen verwendet worden sind. Nur in einem Fall, der nicht detonierten Rohrbombe in Augsburg, wich die quantitative Zusammensetzung des neben dem roten Gemisch verwendeten grauen Sprengstoff gemisches in einem beachtlichen Ausmaß ab; Zweifel an der anderweitig festgestellten Herkunft dieses unkonventionellen Sprengkörpers ergeben sich deshalb nicht.

Die beiden Sachverständigen haben auch ihre Erkenntnisse über die Gefährlichkeit der von ihnen untersuchten Sprengstoffe vermittelt. Über das bisherige Vorkommen derartiger Sprengstoffe in Europa hat zuverlässig der Leitende Wissenschaftliche Direktor beim Bundeskriminalamt Dr. E. Müller berichtet. Wenn der rote Sprengstoff der Polizei bis dahin in Europa unbekannt war und auch der graue Sprengstoff jedenfalls nicht zu Sprengstoffdelikten verwendet worden [140] ist, ergibt sich aus diesen Besonderheiten ein weiterer Hinweis darauf, daß die übereinstimmenden Sprengstoffgemische von demselben Personenkreis hergestellt worden sind.

Die Feststellungen über die Herkunft eines Großteils der Sprengkörper-Hüllen von dem Metallbildner Dierk Hoff beruhen auf dessen eigenen Bekundungen; sie sind jedenfalls insoweit glaubhaft.

Der Zeuge, auf einen Hinweis von anderer Seite festgenommen, hatte in eigener Sache zunächst nichts ausgesagt oder Vorwürfe bestritten, sich dann aber zu den umfassenden Aussagen durchgerungen, mit denen er sich selbst schwer belastet. Danach hat er in seiner Werkstatt in Frankfurt, Oberlindau 67, ab Ende 1971 bis Mai 1972 u.a. Schloß-Auszieher, Handgranatenoberteile, eine „Baby-Bombe“, Schrot-Abschußgeräte, ein Nitriergerät, Handgranaten-Hüllen, Werkzeuggürtel, ca. 9 Feldflaschen-Bomben in zwei Versionen einschließlich zwei Magnetbomben sowie Rohrbomben-Hüllen (er sagt: „6 - 8“) hergestellt, ferner Schrotgewehre und eine Maschinenpistole umgebaut. Die Aufträge dazu erteilten der frühere Angeschuldigte Meins („Erwin“) und der Angeklagte Raspe („Lester“) in der Werkstatt Hoffs. Sie und das „RAF“-Mitglied Gerhard Müller („Harry“), der zuletzt auch noch Kontakt mit ihm hatte, holten die [141] fertiggestellten Sachen in der Werkstatt ab. Das Material wurde Hoff zum überwiegenden Teil von seinen Auftraggebern geliefert, zum Teil verwendete er eigenes Material oder besorgte es. Das Halbzeug für die Sohrbombenmäntel übergaben ihm Meins und Müller in Frankfurt-Riederwald.

Diese Aussagen hat der Zeuge Hoff mit großer Bestimmtheit und Präzision gemacht; sie haben einer eingehenden Nachprüfung standgehalten. Der Zeuge kann den Aufbau, das Material, die Abmessungen, die Bearbeitungsweise seiner Produkte genau beschreiben. Die aufgefundenen Sprengkörper, Waffen und Geräte bestätigen diese Aussagen; fertige Stücke, so wie er sie beschrieben hat, sind in „RAF“-Wohnungen, in Bad Homburg, bei „RAF“-Mitgliedern und an Tatorten von Sprengstoffanschlägen gesichert worden. Ihm vorgelegte Stücke hat er an seiner „Handschrift“ und an den zusammentreffenden Eigentümlichkeiten der unkonventionellen Erzeugnisse wiedererkannt. Daß es theoretisch immer auch möglich ist, daß ein anderer eine ihm gestellte technische Aufgabe ebenso löst, beeinträchtigt die Sicherheit dieser Aussage nicht. Das Gutachten der Professoren Schönherr und Pohl bestätigt den Zeugen Hoff insofern, als nach dem Sachbefund die Rohrbomben, die Feldflaschenbomben und die Handgranaten jeweils von einem Hersteller, aus einer Werkstatt, stammen. Wenn nach demselben Gutachten die elektrisch ausgeführten Schweißarbeiten in der Qualität schlecht, aber von [142] einer nicht ungeübten Person ausgeführt wurden, findet dies eine verständliche Erklärung darin, daß den Metallbildner Hoff ein für derartige Arbeiten verhältnismäßig schwaches Schweißgerät mit nur 115 Ampere zur Verfügung stand. Ist den Sachverständigen aufgefallen, daß die Rohrbombenmäntel an den Schnittstellen Sägemarken aufweisen, weil der Hersteller mit seiner Sägevorrichtung das Rohrstück mit einem Durchmesser von 160 mm offenbar nicht in einem Zug durchtrennen konnte, so berichtet wiederum der Zeuge Hoff von sich aus, seine Sägemaschine sei zu klein gewesen, er habe jeweils nachstellen müssen. Hoff bekundet, insgesamt habe er 6 - 8 Rohrbomben, keinesfalls mehr, hergestellt; tatsächlich sind nach der Beweisaufnahme 7 Sprengkörper dieser Art (5 in Hamburg, 1 in Augsburg, 1 in Frankfurt) verwendet, keine weiteren sind gefunden worden. Weiter schildert der Zeuge, wie er die ungewöhnlichen Feldflaschenbomben in zwei Versionen hergestellt und von einer Ausführung (nur zur elektrischen Zündung, ohne Soll-Bruchstellen, mit Henkeln aus angeschweißten 8 mm-Rundeisen) drei Stück gefertigt habe, davon zwei mit Magneteisen und -halterungen. Tatsächlich sind zwei Magnetbomben festgestellt worden: eine beim Sprengstoffanschlag in Karlsruhe und eine weitere in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt. Ein dritter Sprengkörper dieser Art - aber ohne Magneteisen - ist in Augsburg detoniert; das haben die Splitter der charakteristischen Henkel aus 8 mm-Rund- [143] eisen nach Material, Stärke, Form und übereinstimmenden Schweißspuren ergeben; nach den Gutachten der Professoren Schönherr und Pohl handelt es sich um dasselbe Halbzeug wie bei den Henkeln der beiden Magnetbomben. Dagegen ist in der „RAF“-Garage im Hofeckweg in Frankfurt ein größeres unbearbeitetes 8 mm-Rundeisen-Stück (B 54 II 5/65) gesichert worden, der Zeuge Hoff bekundete jedoch, als Halbzeug für die erwähnten Henkel an den Feldflaschenbomben habe er eigenes Material aus seiner Werkstatt verwendet; tatsächlich handelt es sich nach den chemischen und Gefüge-Untersuchungen der Sachverständigen Professor Schönherr und Professor Pohl bei dem Rundeisen vom Hofeckweg um ein anderes Halbzeug. Daran zeigt sich wiederum, wie zuverlässig die Aussagen Hoffs auch in Detailfragen sind.

Beachtlich ist, daß der Angeklagte Raspe, der von dem Zeugen Hoff selbst stark belastet wird, dessen Aussagen in verschiedenen Punkten in Zweifel zieht, nicht aber in dem vom Senat auf jeden Fall für glaubwürdig erachteten Umfang. In dieser Beziehung bestätigt er sogar die Aussagen insofern, als er dem Zeugen in der Hauptverhandlung vom 4. Februar 1976 vorgehalten hat, Hoff selber habe den Einfall gehabt, die „Baby-Bombe“ zu bauen (die dann in der Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt gesichert worden ist - E 23 V/349), um dann fortzufahren: „Wir fanden deine Idee damals ziemlich [144] skurril“. In. der Hauptverhandlung vom 7. April 1976 hat der Angeklagte Raspe erklärt:

„Hoff war also mal mit Holger befreundet, und er kannte ihn seit 68. Er wußte, daß er für die RAF gearbeitet hat, und er hat die Sache, die er gemacht, also seine Arbeit, natürlich im Bewußtsein dessen gemacht, daß es Waffen sind, und zwar freiwillig, mit Initiative und engagiert. Das ist die Grundlage der Connection ...“[75]

Danach hat also der Metallbildner Hoff für die „RAF“ gearbeitet, und bestätigt wird auch, daß schon vorher eine Bekanntschaft - welchen Grades auch immer - mit dem früheren Angeschuldigten Meins bestanden hatte.

Was der selbst betroffene Angeklagte Raspe zusammen mit den anderen Angeklagten, die Hoff schon in der Anrede als Ihresgleichen behandeln, immer wieder in Zweifel gezogen hat, sind Bekundungen über einen einmaligen Besuch des Angeklagten Baader in der Werkstatt Hoffs (er soll früher einmal bei einer Party, nicht aber 1971/72 dort gewesen sein und sich nicht wie ein „Chef“ aufgeführt haben), über handfeste Drohungen durch den früheren Angeschuldigten Meins, als Hoff eines Tages störrisch wurde (die „RAF“ übe keinen Zwang gegenüber ihren Sympathisanten) und schließlich darüber, daß Hoff nicht gewußt habe, wofür die Sprengkörper bestimmt waren. Hoff will nach seinen Bekundungen Versicherungen geglaubt haben, die Sachen seien für realistische Filmaufnahmen ge- [145] dacht gewesen (Meins habe schließlich früher etwas mit Film zu tun gehabt), dann, nachdem er mißtrauisch geworden sei, es handle sich um realistische Attrappen, die bei Sympathisanten untergestellt werden sollten, um sie damit zu verstricken und bei der Stange zu halten; erst nach dem ersten Sprengstoffanschlag in Frankfurt und nach der Veröffentlichung von Fotos „seiner“ Rohrbomben seien ihm die Schuppen von den Augen gefallen. Der Senat brauchte sich in diesem Verfahren darüber kein abschließendes Urteil zu bilden. Daß man immerhin bei der „RAF“ sehr wohl bereit war, Zwang anzuwenden, wenn die Disziplin nicht eingehalten wurde, zeigt z.B. der anderweitig gewürdigte Kassiber „eure Sache ...“ (H 4/74/III/5/2/65/ 11 - 13); das spricht für die diesbezüglichen Aussagen Hoffs. Auch wenn indessen der Zeuge Hoff insoweit nicht die Wahrheit gesagt oder versucht haben sollte, seine eigene Tätigkeit, die objektiv schon belastend genug war, subjektiv in ein günstigeres Licht zu rücken, so vermag dies seine Aussagen in dem hier für glaubhaft erachteten Umfang nicht zu erschüttern; dafür sind die angeführten Gründe, die für ihre Zuverlässigkeit sprechen, zu stark. Maßgebend ist die spezielle Glaubwürdigkeit. Ein Zeuge, der zum Teil die Unwahrheit sagt, muß nicht in allen übrigen Punkten als Erkenntnismittel wertlos sein, wenn die Glaubwürdigkeit seiner übrigen Aussagen für das Gericht gesichert ist.

[146] Daran vermochten auch weitere Zeugen nichts zu ändern, wie etwa der aus der Vollzugsanstalt Rheinbach vorgeführte Metzger Jacobs, der sich als „politischer Gefangener“ bezeichnete und - nach dem Haftgrund befragt - erklärte, seine revolutionären Aktivitäten brauche er nicht offenzulegen; alles, was er tue, habe revolutionären Sinn. Das Gericht hält ihn für gänzlich unzuverlässig. Der Zeuge Alois Tratter bejahte eine Frage der Angeklagten Ensslin, in der Zeit gemeinsamer Bekanntschaft Ende der 60er Jahre habe zwischen ihm und den Angeklagten Ensslin und Baader ein „subversiver Konsens“ bestanden; im übrigen berührten seine Aussagen die schon gewürdigte spezielle Glaubwürdigkeit Hoffs nicht; er machte Bekundungen über die angeblich radikale politische Einstellung Hoffs in APO-Kreisen[76], Waffenhandel mit Algeriern, der von Hoff in Abrede gestellt wurde, und dergleichen mehr.

Keinen Anhalt hat die Beweisaufnahme dafür ergeben, daß die Aussagen des Metallbildners Hoff in der Hauptverhandlung durch unlautere Vernehmungsmethoden im Sinn des § 136a StPO[77] beeinträchtigt worden wären. Eventuelle Zusagen, für den Schutz seiner Person und seiner Bekannten Bonnie Sorenson in Zukunft zu sorgen, gehören zu den gesetzlichen, präventivpolizeilichen Aufgaben. Anlaß zur Vorsorge wäre gegeben. So hat das „RAF“-Mitglied Augustin[78] in der Hauptverhandlung vom [147] 3. August 1976 gedroht, es sei natürlich eine andere Sache, daß etwa das frühere „RAF“-Mitglied Gerhard Müller „als Verräter“[79] Angst haben müsse.

[148] Zur Urheberschaft der Angeklagten

Die Überzeugung davon, daß die drei Angeklagten alle sechs Sprengstoffanschläge miteinander vorbereitet, verabredet und organisiert haben, hat der Senat aufgrund folgender Tatsachen und Erwägungen gewonnen:

Die Angeklagten bekennen sich glaubhaft dazu, der „RAF“, also der Personengruppe, von der die Anschläge ausgegangen sind, seit 1970 anzugehören.

Nicht zu übersehen ist die Bedeutung der von der Angeklagten Ensslin abgegebenen Äußerung, sie seien u.a. verantwortlich für die Anschläge in Frankfurt und Heidelberg, „insofern, wie wir in der RAF seit 70 organisiert waren, in ihr gekämpft haben und am Prozeß der Konzeption ihrer Politik und Struktur beteiligt waren“. Es fällt schwer, darin nur ein Bekenntnis zur „politischen“, sprich: ideellen, Urheberschaft zu erblicken, wenn die drei Angeklagten, denn sie sind im Zusammenhang mit „wir“ gemeint, so weit gehen, die durch ihre Beteiligung begründete Verantwortung nicht nur für eine politische Linie, auch nicht für eine „bewaffnete Politik“ schlechthin, sondern für eine „Politik“ der Sprengstoff-Anschläge gegen US-Einrichtungen und anderes zu übernehmen, also für eine konkrete „Konzeption“ von Praxis. Dies um so mehr, als die Angeklagte Ensslin in demselben Zusammenhang mit „der Aktion der RAF 72“ sich über das Mißverhältnis „zwischen [149] unserem Kopf und unseren Händen und den B 52“ beklagt. Doch mag dies zunächst auf sich beruhen.

Jedenfalls kommt in dieser Erklärung zum Ausdruck, daß sie sich mit den Sprengstoff-Anschlägen innerlich identifizieren und daß sie das allgemeine Konzept, solche Anschläge zu begehen, mit entwickelt haben, und sie bestreiten im Rahmen ihrer umfangreichen Teil-Einlassung zur Anklage nicht, die ihnen vorgeworfenen Sprengstoff-Anschläge als verantwortliche Urheber begangen zu haben.

Wie schon die angeführte Äußerung der Angeklagten Ensslin zeigt, spielen die drei Angeklagten in der „RAF“ eine wichtige Rolle. Das ergibt sich für die Angeklagten Baader und Ensslin im einzelnen aus veröffentlichten Erklärungen, aus dem bei der früheren Angeklagten Meinhof gefundenen „Ensslin-Kassiber“ und einem reichhaltigen Kassiber-Material, das bei verschiedenen Zellen- und Wohnungsdurchsuchungen sichergestellt worden ist.

Beachtliches Zellenmaterial ist bei den Zellendurchsuchungen vom 16. Juli 1973 in den Vollzugsanstalten Schwalmstadt (Baader),[80] Essen (Ensslin), Berlin-Moabit (Ensslin),[81] Köln-Ossendorf (Meinhof),[82] vom 8. Februar 1974 in der Vollzugsanstalt Köln-Ossendorf (Meinhof) [150] und vom 22. Januar 1975 in der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim (Baader, Meinhof) sichergestellt und später gerichtlich beschlagnahmt worden. Die Herkunft der aus diesen Durchsuchungen stammenden und verwerteten Schriftstücke steht fest aufgrund der zuverlässigen Bekundungen der Kriminalbeamten Pöter und Klaus (Zellenmaterial Baader vom 16.7.1973), Mondry und Berzau (Zellenmaterial Ensslin vom 16.7.1973), Klaus (Zellenmaterial Meinhof vom 16.7.1973), Vogel (Zellenmaterial Meinhof vom 8.2.1974), Schulze und Klaus (Zellenmaterial Baader vom 22.1.1975), Schnell und Klaus (Zellenmaterial Meinhof vom 22.1.1975) in Verbindung mit den jeweils gefertigten Sicherstellungs- und Asservierungsverzeichnissen. In den Zellen wurden folgende Schreibmaschinen verwendet: „Olivetti-Lettera“ Nr. 6546592 (Baader, Schriftbild Nr. „V-7408“), „Olivetti-Dora“ Nr. 1921801 (Ensslin, Schriftbild Nr. „U-7351“), „Präsident de Luxe“ Nr. 4804 162 (Meinhof, „U-7321“). Dies steht fest aufgrund der zuverlässigen Bekundungen der Kriminalbeamten Eickler, Mondry, Schnell, Pöter und Bahr; Schriftproben von den angeführten Maschinen sind in den Zellen erhoben, in einem Fall beim Bundeskriminalamt hergestellt worden, wohin eine Schreibmaschine (Baader) vorübergehend gebracht worden war. Diese, durch die Bekundungen der angeführten Beamten gesicherten Schriftproben dienten dem Sachverständigen Dipl. Ing. Windhaber als Vergleichsmaterial. Weiteres verwertetes [151] Kassibermaterial (H 4) ist bei der Festnahme mehrerer Personen (u.a. Schiller, Allnach)[83] in einer Wohnung in der Eleonore-Sterling-Straße in Frankfurt am 4. Februar 1974 sichergestellt worden. Dessen Herkunft steht fest aufgrund der zuverlässigen Bekundungen der Kriminalbeamten Kraus, Fernstädt und Sammet. An demselben Tag ist bei einer Durchsuchung in der Mainfeldstraße 23 in Frankfurt eine Schreibmaschine „Elite“ Nr. 223508 2316 (Schriftbild-Nr. „V-7478“) von dem Kriminalbeamten Metzner sichergestellt worden.

Mit dem sogenannten „Ensslin-Kassiber“ hat es folgende Bewandtnis: Bei der Festnahme der früheren Angeklagten Neinhof in Langenhagen am 15. Juni 1972 fanden sich in einer schwarzen Damenjacke, die von Frau Meinhof zuvor getragen worden war, zwei eng beschriebene Seiten Maschinenschrift, beginnend mit: „Liesel à[b] Sack“ (C 6.4.2 Pos. 116); das ergibt sich aus den glaubhaften Bekundungen der Kriminalbeamten Osterburg, Severin und Kemp. Die Schrift stammt - so der Sachverständige Windhaber - von einer unbekannten elektrischen IBM-Schreibmaschine mit Kugelkopf und der Schriftart „dual gotic“ (Schriftbild-Nr. „T-7234“). Den Text dazu hat nach der Überzeugung des Senats die am 7. Juni 1972 festgenommene Angeklagte Ensslin in der Vollzugsanstalt Essen verfasst. Das ergibt sich aus folgenden zusammentreffenden Gründen: In dem Schriftstück schildert die Verfasserin [152] ihre Festnahme in einem Laden; die Schilderung paßt auffallend zu den Feststellungen über die Festnahme der Angeklagten Ensslin in einer Boutique in Hamburg:

„... aber da war die Idee andere Klamotten, mit d. Taxi in die Innenstadt, Spur verwischen, Unsicherheit (die bei klarem Kopf nicht notwendig war) in bezug auf Ortskenntnis. Dann i.d. Laden hab ich nur noch Scheiße im Hirn gehabt, erregt, verschwitzt etc. Sonst hätte ich ticken müssen, ich hab aber gepennt; ging auch irre schnell, mögl. weiter ne Kripovotze sofort hinter mir i. Laden, ich gepennt, sonst wäre jetzt eine Verkäuferin tot (Geisel), ich und vielleicht zwei Bullen, der Laden voll mit Bullen, am Rand der Straße drei Bullenautos, also echt unklar, ob ich weggekommen wäre und es ging so schnell, daß ich die Hand aus der Tasche mit der Knarre halbgebrochen von Bullenpfoten nur rausbekam und wie ich bei dem Kampf dann die Handtasche los wurde, weiß ich gar nicht ...“.

Weiter berichtet die Verfasserin Einzelheiten ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung:

„vier Std. später Fotos fürchterliche Raufereien. Ich immer eine Kugel, Haare rausgerissen büschelweise, dann haben die mich allein gelassen, ein Zimmer, ein Stuhl, zwei Bullen an d. Wand. Ich sah kein verdächtiges Loch in d. Wand und auf die Idee, daß der Bulle nämlich vor dem Bild so lange stand, wie ich da hinsah, ich Idiot, dann wieder Kopf auf den Knien, fingen sie an mich zu provozieren, gekitzelt gelacht, was ich geplatzt bin und rumgelaufen und gebrüllt, sie getreten, war falsch: da entstanden die Bilder, als sie raus waren und ich die Zigarette sah und eine rauchte usw. ...“.

Dazu passen die glaubhaften Bekundungen des Kriminalbeamten Winkler und des Kriminaltechnikers Ohland in Verbindung mit den von ihnen gemachten Lichtbildern. Danach wurde die Angeklagte Ensslin in einem Raum, in [153] dem sie auf einem Stuhl saß und rauchte, durch ein zuvor mit einem Bild verdecktes Loch in der Wand fotografiert, nachdem sie ein Beamter am Nacken gekrault und dadurch bewirkt hatte, daß sie das Gesicht zu dem versteckten Fotoapparat wandte.

Sodann äußert sich die Verfasserin zu einem Hubschraubertransport:

„Ein Satz der Godesberger Schweine (der einzige Satz im Hubschrauber; übrigens mittem im Wald gelandet und in Bundesgrenzschutzhubschrauber verladen, ohne sichtbare Deckung wie bei der Landung in ... eine Wiese und fünf oder sechs Zivil-Boutique-Figuren mit MP rund um den Hubschrauber): Was niemand versteht: Wieso sie ausgerechnet nach H. ...“

In Übereinstimmung damit hat der Kriminalbeamte Mondry glaubhaft bekundet, er habe als Angehöriger der Sicherungsgruppe Bad Godesberg die Angeklagte Ensslin nach ihrer Festnahme im Hubschrauber von Hamburg nach Essen begleitet; der Hubschrauber sei bei einer Zwischenlandung in freiem Gelände gewechselt worden; er habe die Angeklagte, um ein Gespräch anzuknüpfen, einmal gefragt: „Wieso sind sie eigentlich nach Hamburg?“ Tatsächlich heißt auch das nach der Kassiber-Stelle „wie bei der Landung in“ durchgestrichene Wort im Kassiber: „Essen“; das hat dem Gericht der Sachverständige Dr. Werner überzeugend vermittelt, der im Rahmen einer Vergleichsuntersuchung das durchgestrichene Wort im Infrarotlicht lesbar gemacht hat.

[154] An einer anderen Stelle des Kassibers heißt es:

„Bunkerschlüssel bei mir gehabt.“

Wie schon im Zusammenhang mit der „RAF“-Wohnung in der Paulinenallee in Hamburg dargelegt, hatte die Angeklagte Ensslin bei ihrer Festnahme tatsächlich einen Schlüssel mit dem Anhänger „Bunker“ bei sich (C 2.1 Pos. 38 b); der Schlüssel paßte zur Tür der angeführten Wohnung; in der „RAF“-Wohnung in der Ohlsdorfer Straße in Hamburg fand sich ein weiterer, gleicherweise passender Schlüssel, der ebenfalls mit dem Wort „Bunker“ beschriftet war.

Bei den veröffentlichten Erklärungen, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, handelt es sich einmal um den gedruckten Text der von der früheren Angeklagten Meinhof im sogenannten Baader-Befreiungs-Prozeß in Berlin[84] am 13. September 1974 abgegebenen Prozeßerklärung. Der in der Hauptverhandlung des erkennenden Gerichts verlesene Text ist tatsächlich verbreitet worden; das hat der Kriminalbeamte Klaus, dem beim Bundeskriminalamt derartiges Schriftmaterial zur Auswertung zugeleitet wird, glaubhaft bekundet. Keine Zweifel bestehen, daß der verbreitete Text von der früheren Angeklagten Meinhof stammt, die auch in jenem Strafverfahren angeklagt war. Zum anderen ist in dem einschlägigen Informationsdienst „id“ vom 29. Mai 1976 auf S. 17 f nach dem Tode von Frau Meinhof unter der Überschrift „Schriften Ulrike Meinhofs“ u.a. ein [155] „Fragment über Struktur“ verbreitet worden; in einem Vorspruch dazu heißt es:

„das ist ein fragment über struktur, ulrike wollte das unbedingt in stammheim sagen - zur auflösung der rädelsführertheorie, mit der die bundesanwaltschaft den prozeß zum punkt bringen will. andreas war dagegen und wir wollten es anders aufbauen.

es ist nicht besonders wichtig, aber ich habe es jetzt doch rausgegeben, weil es die dreckige behauptung bubacks - „widersprüche“ - widerlegt und weil ulrike daran zuletzt gearbeitet hat. es kann nur vollständig veröffentlicht werden und zusammen mit den beiden briefen an hanna krabbe und an die gefangenen in hamburg.

11.5.76 jan“.

Der Senat hat keine Zweifel, daß es sich bei „jan“ um den Angeklagten Jan-Carl Raspe handelt und der von ihm veröffentlichte Text tatsächlich von der früheren Angeklagten Ulrike Meinhof stammt.

In dem angeführten Text der früheren Angeklagten Meinhof heißt es zur Rolle des Angeklagten Baader in der „RAF“ u.a.:

„so ist führung eine funktion, die sie für ihren prozeß braucht, sie ist nicht zu usurpieren. sie ist das absolute gegenteil von dem, was die psychologische kriegsführung über die führung der raf - andreas - behauptet. wenn andreas so wäre, wie ihn die bundesanwaltschaft darstellt, gäbe es keine raf, gäbe es nicht den prozeß der politik dieser fünf jahre, gäbe es - einfach gesagt: uns nicht. er ist die führung der raf, weil er von anfang an das war, was die guerilla am meisten braucht: wille, bewußtsein des ziels, entschlossenheit, kollektivität - wenn wir sagen: die linie wird aus dem prozeß der praxis und der analyse ihrer bedingungen, er- [156] fahrung und antizipation entwickelt dann ist führung derjenige der den weitesten blick, die größte sensibilität und die meiste kraft zur koordination des kollektiven prozeß hat, dessen ziel die selbstständigkeit und autonomie jedes einzelnen - militärisch: der einzelkämpfer - ist ... wir haben im prozeß dieser fünf jahre von andreas gelernt - weil er das ist, was wir das beispiel nennen - nämlich einer, von dem man lernen kann - kämpfen, nochmals kämpfen und wieder kämpfen weil an dem, was er macht und so wir machen, nichts irrational, nichts erzwungen nichts gequältes ist - einer der gründe, weshalb die baw andreas am meisten haßt, ist, daß er tatsächlich mit allen waffen kämpft - daß wir durch ihn gelernt haben, daß es keine waffe der bourgeoisie gibt, die sich nicht umdrehen und gegen sie wenden ließe: das taktische prinzip, das auf dem begriff des prozesses gründet, in dem das kapital seinen revolutionären widerspruch entwickelt, und so ist andreas der guerilla, von dem che sagt, daß er die gruppe ist.

er ist derjenige von uns der schon lange und schon immer die funktion der besitzlosigkeit an sich gebracht hat - die funktion des guerilla, der die gruppe antipiziert und so ihren prozeß führen kann ...“

Damit trifft sich, was die frühere Angeklagte Meinhof in dem verbreiteten Text aus dem „Baader-Befreiungs-Prozeß“ über den Angeklagten Baader gesagt hat. So heißt es unter der Überschrift „Der Metropolenguerilla“:

„unsere aktion am 14. mai 1970 ist und bleibt die exemplarische aktion des metropolenguerilla ... es war die befreiung eines revolutionärs, eines kaders, der für den aufbau des metropolenguerilla unentbehrlich war und ist, nicht nur wie jeder revolutionär in den reihen der revolution unentbehrlich ist, sondern weil er schon damals alles das, was die guerilla, die militärpolitische offensive gegen den imperialistischen staat erst ermöglicht, schon verkörperte: die entschlossenheit, den willen zu handeln, die fähigkeit, sich selbst nur und ausschließlich über die ziele zu bestimmen, dabei den kollektiven lernprozeß der gruppe offenzuhalten, von anfang an führung als kollektive führung zu praktizieren, die lernprozesse jedes einzelnen kollektiv zu vermitteln ...“

[157] Und nochmals unter der Überschrift „Der Guerilla ist die Gruppe“:

„die funktion von führung in der guerilla, die funktion von andreas in der raf ist:

orientierung ...“

Die gleiche Einschätzung erfährt der Angeklagte Baader schon in einem Kassiber „info I, an m + zur Entscheidung den h. str. betreffend“ (Baader-Mat. 9 R - 10 R v. 22.1.1975), der von der Angeklagten Ensslin stammt; nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dipl. Ing. Windhaber und Dipl. Psych. Hecker ist er auf der Schreibmaschine in ihrer Zelle geschrieben worden („U-7351“) und trägt ihre handschriftlichen Verbesserungen.

Dort heißt es u.a.:

„der rivale, absolute feind, staatsfeind: das produktive bewußtsein, die moral der erniedrigten und beleidigten, des metropolen-proletariats - das ist andreas. daher der haß der bourgeoisie, presse, bürgerlichen linken auf ihn konzentriert. weil er das ist. weil sich schon der 14. mai als genau das vermittelt hat - machtkampf. der erste, den wir gewonnen haben, ne bewaffnete befreiungsaktion, das beispiel. an andreas, über das, was er ist konnten wir uns bestimmen weil er das alte (erpreßbar, korrupt usw.) nicht mehr war, sondern das neue: klar, stark, unversöhnlich, entschlossen. weil er wußte, was er wollte, weil er weiß was er will, weil er sich über die ziele bestimmt ... was andreas im volk ist die raf im volk und andreas in der raf - orientierung, kollektive führung ...“

Weiter heißt es am Schluß, auf die zuvor angeführte Erklärung der früheren Angeklagten Meinhof hinweisend:

„ulrike schreibt ne rede, in der sie andreas, die raf, sich selbst auf den politischen begriff bringt also für den 14. mai - prozeß in berlin ...“

Um keinen Zweifel daran zu lassen, was der Angeklagte Baader für die „RAF“ bedeutet, hat die frühere Ange- [158] klagte Meinhof in der Hauptverhandlung vom 24. Juni 1975 erklärt:

„...was Andreas für uns ist, was Fidel für Kuba,[85] Che für Lateinamerika,[86] Lumumba für Belgisch-Kongo,[87] Ho für Vietnam,[88] Marighella für Brasilien,[89] Malcolm X für die Schwarzen in den USA,[90] George für die Gefangenen in den USA,[91] Holger mit Andreas für uns war: die Verkörperung von kollektiver Führung, von Orientierung im Kampf ...“.

Aus diesen wiederholten und kompetenten Äußerungen geht für den Senat klar hervor, daß es sich beim Angeklagten Baader um die anerkannte Leitfigur in der Gruppe handelt, die führt und koordiniert - als „Funktion“ im „Kollektiv“, aber auch „im Kampf“, in der Praxis.

Nur konsequent ist es dann, wenn bei einer Verteilung von Decknamen, bei der „Moby Dick“ Pate gestanden hat, auf den Angeklagten Baader der Name von „Ahab“, dem Kapitän, entfällt: „andreas-ahab“ (Baader-Mat. 7/1.1 v. 16.7.1973). Daran knüpft ein weiterer Kassiber an (Meinhof-Mat. II/1 - 6 v. 16.7.1973); er beginnt mit „th. (m. durchschlag a.)“ - gemeint sind „Theres“ = Meinhof und „Andreas“ = Baader -, und er stammt von der Angeklagten Ensslin, wie die Gutachten des Dipl. Ing. Windhaber über die Maschinenschrift („U-735l“) und des Dipl. Psych. Hecker über die handschriftlichen Ergänzungen überzeugend ergeben. In diesem Schriftstück heißt es auf S. 2 unten:

„... und klar, daß die zuletzt brauchbarsten, treffendsten begriffe eben gar nicht zufällig aus dem bereich der kriegsführung kommen/stammen/ dahingehören/führen à[c] AHAB ß[d]“.

[159] Mit dieser besonderen Beziehung von Kriegsführung und „AHAB“ = Baader spricht die Angeklagte Ensslin die vorherrschenden Neigungen des Angeklagten Baader für die Praxis auf operativem und technischem Gebiet an. Sie äußern sich schon in einem Kassiber (Baader-Mat. 11 v. 16.7.1973), der nach der Überzeugung des Senats deshalb vom Angeklagten Baader stammt, weil er mitten im Satz abbricht und in der Zelle Baaders sichergestellt worden ist; er schließt: „die information die wir finden wenn das zeug arbeitsteilung gelesen wird, IST EI“. Dieser Entwurf beschäftigt sich im Zusammenhang mit der Einrichtung des sogenannten „info“-Systems mit dem Aufbau der Schulung für die gefangenen „RAF“-Mitglieder („im knast kämpfen heißt aber lernen“). Danach soll sich die Schulung in der Haft erstrecken auf: strategisches, taktisches, operatives und technisches Wissen. Wörtlich heißt es:

„dabei soll schließlich die politisch militärische bestimmung stadtguerilla brd rausspringen und wichtiger, die strategische analyse. ist die basis für die arbeit einer konstruktion eines ausbildungs-konzepts. die liste hier bringt nichts zu diesem teil (oder nur im zusammenhang mit methode und information) nach dem job, halte ich für wenigstens zwei jahre weniger theorie rezeption als systematisches wissenschaftliches lernen vom kram der unmittelbare bedeutung für struktur, taktik und operation der guerilla hier hat, für wichtiger.“

Die Praxisbezogenheit des Angeklagten Baader, seine Beschäftigung mit Aktionen, operativen Plänen, sein Einfallsreichtum auf diesem Gebiet, sein Streben, praktische Initiativen zu entwickeln - und dies noch aus der Haft heraus für andere, die er keineswegs auf operativem [160] Gebiet „autonom“ sich selbst überläßt dazu die Rolle einer tonangebenden Autorität, die Maßstäbe setzt („darunter läuft nichts“), all dies zeigt sich an einem aufschlußreichen Kassiber „eure sache ...“ (H 4/74/III/5/2/69/11 - 13), der am 4. Februar 1974 in der Eleonore-Sterling-Straße in Frankfurt sichergestellt worden ist. Die Schreibmaschinenschrift stammt zwar nur wahrscheinlich von der Schreibmaschine Baaders („V-7408“), die zahlreichen handschriftlichen Eintragungen aber rühren nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Hecker mit Sicherheit von dem Angeklagten Baader; er ist der Verfasser des Schriftstücks. Es beginnt wie folgt:

„eure sache, aber ich denke a - wenn nicht so, gegen einen austausch, ist einfacher zu organisieren, euer risiko ist kleiner „mit minimalen eigenen kräften“ bundestagsabgeordnete - wo sich sicher außerhalb bonns in ihren kreisen treffen - aber die richtige fraktion innerhalb der spd - oder aus ihren häusern.

landtagsabgeordnete (mindestens zwei) wie die mdb aus den richtigen ausschüssen. nur als beispiel: typen die gruppen repräsentieren auf deren loyalität die regierung angewiesen ist - möglicherweise auch richter - wobei gar nicht mal so wichtig ist, daß sie mit unseren verfahren befaßt sind, solange ihr mehrere schnappen könnt, nach der vereinbarung der innenministerkonferenz hat das leben der geisel vorrang - naja, was das schon heißt - vor strafrechtlicher verfolgung ...“

Dann befaßt er sich mit detaillierten Ausbruchsplänen. Dazu werden eine Reihe von Handzeichnungen über die Örtlichkeiten einer Haftanstalt beigefügt; u.a. ist auch von „pfirsich“ (Dierk Hoff) die Rede, von dem etwa eine Stahlsäge („das beste, was es gibt“) besorgt werden soll. Insgesamt werden fünf verschiedene Pläne ent- [161] wickelt mit minutiösen Anweisungen über den gedachten Ablauf. Dazu kommen organisatorische anweisungen:

„um das alles zu checken, braucht ihr legale typen, wenn ihr die komitees richtig benutzt könnt ihr ein paar monaten einen besseren apparat haben als dicken. (war in ffm sowieso nie etwas los - konnten nur unter irren problemen wohnungen auftreiben um uns zu treffen usw. - haben da auch keine szene weil sie seit das schwein mal ne funktion hatte viel zu bekannt sind als flipper und ratten.) (in berlin ist das anders, besser) denkt immer dran, daß der dicke lügt, übertreibt, angibt - bei allem was wir später mal durchschaut haben war nichts dahinter. nach den akten sind bei ulrikes verhaftung fünf adressen gefunden worden. man muss rausfinden ob das ne finte ist. sie sind unwichtig - nur eine belastet den dicken ...“

Dann fordert der Angeklagte wieder zu Aktionen auf, die zeigen sollen, daß die „RAF“ da ist, und die ein bestimmtes Niveau haben sollen:

„falls wir nochmal ’n hungerstreik machen - laßt euch ein paar starke aktionen mit verschiedenen mitteln: gewehr etc. einfallen und macht erklärungen dazu: raf. das kann aktionen wie a) vorbereiten, erleichtern. überhaupt wird es absolut zeit, daß man erfährt, daß es euch überhaupt gibt: ihr in erscheinung tretet. es ist auch wichtig für die komitees und die prozesse. fangt das aber nicht an wie kinder, die kriterien (die minimalen kriterien) bringen die aktionen im mai 72. darunter läuft nichts.“

Schließlich will der Angeklagte, daß die internationalen Beziehungen gefördert werden:

„und bring mal ’n paar informationen über die entwicklung der beziehungen zur fath[92], gründe, möglichkeiten - was heißt zu lange? denk mal an die ira[93] eta[94] brigate rosse[95] (agnoli?)[96] irak[97] (über kopf) dofhar[98] frelimo[99] das ist, wie wir gesehen haben in jeder phase wichtig, ganz sicher könnten die argentinier was für uns tun. wenigstens ein paar typen ausbilden - wenn das noch nötig ist.“

Aufschlußreich für die Methoden, die Disziplin und das Thema „Freiwilligkeit“ ist auch folgende Stelle, [162] mit der der Angeklagte Direktiven gibt:

„mahler[100] hat sich für franke verbürgt ... der typ den er aufteiben soll kann euch nicht unterstützen ... franke macht ihm das klar ... er kennt die gegend hier ganz genau. kann ne menge, ist cool, blickt bis auf seine scheißvotzenkiste durch. danach müßt ihr ihn fragen. vielleicht hat sich was geändert, hat sich auch das mädchen geändert ... wenn ihr sie nicht überzeugen könnt, muß sie wenigstens begreifen, daß man aus der raf nicht einfach aussteigt wie aus einem job - also die disziplin wenigstens noch ein jahr weitergilt. bedeutet sie geht, wenn sie ein problem für die sicherheit der gruppe ist + das ist sie immer, wenn sie ausflippt, ein jahr ins sozialistische ausland. läuft selbst das nicht mehr, müßt ihr eine andere lösung finden.“

Auf der gleichen Linie liegt ein Kassiber „hör ma ...“ (H 4/74/III/5/2/65/14), der ebenfalls am 4. Februar 1974 in der Wohnung in der Eleonore-Sterling-Straße in Frankfurt sichergestellt worden ist. Er stammt wiederum nur wahrscheinlich von der Schreibmaschine Baaders („V-7405“); der Senat ist jedoch gleichwohl überzeugt, daß der Angeklagte Baader der Verfasser auch dieses Schriftstücks ist. Es ist zusammen mit dem zuvor erörterten Schriftstück Baaders aufgefunden worden, stammt unverkennbar von einem inhaftierten „RAF-Mitglied“, und sein Inhalt zeigt auffallende Parallelen zu dem zuvor angeführten Kassiber, der von dem Angeklagten Baader stammt. So knüpft er an die dort in gleicher Weise unter den Buchstaben „a“ und „b“ entwickelten Aktionspläne an, die sich mit den beiden Alternativen Geiselnahme und Ausbruchsversuch befassen, wobei dieses Mal die „aktion die den Gefangenenaustausch bringt - a“ detailliert erörtert wird. „zu b“ meint der Verfasser:

[163] „... ist sicher, daß es schon nach beginn des hungerstreiks schwieriger wird ... nach eurem ersten angriff wird monate nichts mehr zu machen sein, wie sie reagieren, werden sie die gefängnisse in festungen verwandeln, auch hier. kann aber sein, daß ich dann auch nicht hierbleibe sondern nach kassel zu degenhardt komme ...“

Der Angeklagte Baader befand sich damals in der Vollzugsanstalt Schwalmstadt in Hessen. Besonders auffällig ist eine Stelle gleich am Anfang des Kassibers:

„so auf dem niveau der aktion gegen buddenberg (und darunter läuft nichts, was raf heißt - oder ist der tante immer noch nicht klar, daß uns aktionen nach dem dilettantischen und unentschlossenen muster witter oder noch besser kirchen vollzuschmieren wozu provinzzeitungen dann wissen, daß „die raf sich dafür verantwortlich erklärt hat“ uns denunzieren, lächerlich machen)“.

Der gleiche Gedanke, die gleiche Anspruchshaltung und dieselbe sprachliche Formulierung dafür finden sich in dem zuvor erörterten Kassiber des Angeklagten Baader. Der Senat zweifelt nicht daran, daß er der Verfasser des Schriftstücks ist.

Mit diesem ebenfalls sehr umfangreichen Kassiber drängt der Angeklagte Baader auf Aktionen, um „die kontinuität“ darzustellen und Gefangene zu befreien, und er entwickelt - noch aus der Haft heraus für andere - konkrete Pläne:

„die offensive mit der ihr die kontinuität darstellt sollt ihr auf der linie freiheit für die gefangenen revolutionäre in der brd bestimmen. (unterzeichnet natürlich kommando etc. raf bzw. wenn es unmittelbar nur um die aktionen die den austausch bringen soll geht mit - falls ihr sie habt - eurer internationalen connection. klar gehört dazu die erklärung [164] folter, vernichtungsstrategie gegen die gefangene raf - nochmal widerstand. aber cool nüchtern nach dem niveau eurer stärke: organisation, logistik, information. das beste zuerst die aktion die den gefangenen/austausch bringt - a). der materielle zweck ... erst wenn das gelaufen ist und sie zögern, ablehnen, dealen, die fahndung militarisieren sollt fast sofort (also vorbereitet) gezielt + wenn ihr könnt an mehreren stellen gleichzeitig die maschine angreifen. erst die kommandomeldungen dazu sollen programmatisch sein + über die kontinuität eineinhalb jahre reorganisation, ausbildung, verankerung in den legalen organisationen reden: raf.

angreifen: soweit oben wie möglich - an der spitze. aber baw strafsenat die vollzugsadministration/länderjustizminister (die haben wie die anstaltsleiter eine konferenz turnusmäßig, die kaum geschützt ist. kriegst du über die tochter von der wir mal geredet haben raus.) die staatssekretäre/ministerialdirektoren die für den vollzug zuständig sind. so was wie klug allerdings ist wegen seines alten liberalen immage ausgeschlossen: es müssen rechte schweine sein. gezielt heißt DIE VERANTWORTLICHEN. wenn ihr das in euren erklärungen zu den angriffen dokumentieren könnt + zwar genau - um so besser. die tupas haben urteile vollstreckt.

die zweite ebene ist ungezielt also die gebäude in denen sie sitzen - natürlich am tag. bgh, ministerien, die ebenen orte, methode müßt ihr wechseln - die akten zeigen wie sehr sie das desorientiert. sie müssen sich verteilen oder den bgs einsetzen. wie beschränkt die leistungsfähigkeit der bullen ist zeigt das aktenzeug z.b. zu springer.

tatsächlich war ihre ganze einsatzreserve vier stunden durch objektschutz durchsuchungen etc - gab auch ’n paar falsche alarme blockiert. in der zeit kann man ne menge machen - was kohle angeht z. b. der anfang eurer aktionen soll nicht mit dem anfang des hungerstreiks zusammenfallen sonst knacken sie die anwälte darüber, wie ihr die differenz aus der sie auf eure mobilität, leistungsfähigkeit, stärke schließen werden müßt ihr rausfinden. nicht weniger als vier tage. am besten wäre ihr löst den hungerstreik direkt aus. dazu ist nur ein brief von einem unserer anwälte der alle gefangenen erreicht nötig.“

[165] Im Zusammenhang mit dem ins Auge gefassten Hungerstreik ist auch noch folgende Stelle aufschlussreich für die rigorosen Methoden und den Anspruch des Angeklagten Baader, Maßstäbe zu setzen:

„ich denke, wir werden den hungerstreik diesmal nicht abbrechen. das heißt es werden typen dabei kaputtgehen - es liefert vorwände zur psychiatrisierung die vollzugsmedizin an uns ranzulassen, es schwächt die wiederstandsfähigkeit gegen die isolation. sicher wird niemand aussagen - der zusammenbruch heißt dann nur, daß die typen als fighter erledigt sind - denn sicher läuft das im zusammenhang mit aktionen draußen viel härter als das letztemal.“

Der Angeklagte kommt dann wieder auf die von ihm geforderten Geiselnahmen zurück und entwickelt dazu folgende Ideen:

„spitze: biedenkopf, genscher, maihöfer, weyer nur: nehmt auch nicht zu komplizierte aktionen vor, die scheitern einfach leichter, fressen zeit, organisation etc die mobilisierung die sie auslösen erreicht euch nur (wenn nicht direkt durch die bullen etc) ziemlich vermittelt. nach der dialektik „bewaffneter politik kleiner gruppen“ wird damit erst mal alles viel schwieriger wenn ihr den druck nicht auch durch internationale organisationen - die sich natürlich nur an euren aktionen entwickeln läßt - auffangen könnt usw. dahin schiebt das alles ab: ira, eta obwohl die so was ähnliches wie ein hinterland haben. nordirland und frankreich. habe ich glaube ich mal erklärt: die internationale organisation ist taktisch das surrogat zu hinterland, unterstützung von außen befreitem gebiet.

den prozeß gegen „das führungskollektiv“ (haftbefehle) machen sie doch nicht nächstes jahr sondern im mai in stuttgart - müßt ihr euch wirklich beeilen.“

Im unmittelbaren Anschluß daran offenbart der Angeklagte, welche Forderungen mit den Sprengstoffanschlägen im Januar 1972 vorbereitet werden sollten, nämlich Forderungen nach Geld und im Zusammenhang [166] mit Geiselnahmen die Freilassung von Gefangenen; dazu heißt es:

„du kannst natürlich jetzt sagen, daß unsere taktik 72 ne genaue umkehrung war - erst antiimperialistische angriffe (dann nochmal kohle) dann über ne antiimperialistische aktion (bln - die drei/zwei kommandanten) die gefangenen war. das hing, wie es war mit der überschätzung unserer stärke zusammen - wir haben das auch kritisiert.“

Weiter wird einmal mehr auf vorherrschende Neigungen einzelner Mitglieder hingewiesen, insbesondere auf die Neigungen des Angeklagten Baader für militärischoperative Fragen und der früheren Angeklagten Meinhof (damals wohl noch neben Mahler) für ideologische Themen, wenn u. a. angeführt wird:

„der typ jan ist ziemlich weit was edv angeht, glaube ich. ich bin mit militärstrategie/nd (was alle machen werden) so gut wie fertig - mache jetzt die ganze technokratiekiste was sicher ein halbes jahr dauert + internationale beziehungen immer mit dem blick auf militärstrategie. (bullenorganisation ist bis auf edv bis zum operativen tick einfach hat auch carl drauf glaube ich ... der alte und ulrike arbeiten an der analyse der politökonomischen bedingung des neuen faschismus. darüber werden wir im prozeß vermutlich was sagen.“

Am Schluß wird nochmals deutlich, welchen Einfluß selbst noch aus der Haft heraus der Angeklagte Baader auf Aktionspläne zu nehmen sucht:

„... ihr müßt nur sagen ne offensive auf der linie so und so viele kommandos wir können euch ein konzept entwickeln.“

Die wichtige Rolle des Angeklagten Baader auf operativem und technischem Gebiet zeigt ein weiterer Kassiber „sprengstoffbunker in steinbrüchen ...“ (H 4/74/III/5.221/1), der zusammen mit den beiden zuvor erörterten [167] Schriftstücken am 4. Februar 1974 in der Eleonore-Sterling-Straße in Frankfurt sichergestellt worden ist. Allerdings stammt die Schrift in diesem Fall wahrscheinlich von der „Elite“-Schreibmaschine aus der Wohnung Mainfelderstraße in Frankfurt („V-7478“). Dort ist der Text aber allenfalls abgeschrieben worden. Denn verfaßt hat ihn, wie der Inhalt zeigt, jedenfalls ein Gefangener:

„zum taktikverständnis werden wir noch nichts formulieren - solang nicht sicher ist, daß wir hier 20 jahre drinbleiben.“

Der Senat ist überzeugt, daß der Text auch dieses Kassibers vom Angeklagten Baader stammt. Da die beiden anderen in der Wohnung gefundenen ausführlichen Kassiber mit Direktiven für die Fortsetzung der „RAF“ schon von ihm verfasst worden sind, liegt nahe, daß auch dieses ausführliche Schriftstück mit seinen bestimmt gehaltenen Anleitungen von dem Angeklagten Baader stammt. Dazu kommt folgendes: Der Kassiber führt Besonderheiten auf, die sich mit Funden in der Inheidener Straße in Frankfurt auffallend decken und auf eine Person hinweisen, die sich dort aufgehalten und Beobachtungen über das Mahlen von Sprengstoff-Bestandteilen angestellt hat. Dazu heißt es nämlich:

„ammoniumnitrat ist granulat und muß zu pulver zermahlen werden. wenn du keine professionelle mühle auftreiben kannst, die das zentnerweise verarbeitet, kauf ein dutzend kleine kaffeemühlen mit mahlwerk, nicht mit schlagwerk. die befestigst du in deckel von Plastiktonnen so, daß du das zeug außerhalb der tonne ungemahlen reinschütten kannst und es gemahlen in die geschlossene tonne fließt, sonst bring dich der staub um. ... die mühlen mußt du dauernd wechseln weil sie heißlaufen und [168] durchbrennen. kleine kaffeemühlen sind aber nach dem was wir so raushatten, immer noch besser als die grossen, wie etwa in supermärkten, die laufen sehr schnell heiß ...“

Tatsächlich sind in der Wohnung in der Inheidener Straße zusammen mit einer Anzahl von Kaffeemühlen auch mehrere Plastikeimer mit passenden Deckeln sichergestellt worden, in die wenigstens in einem Fall eine Kaffeemühle in der beschriebenen Weise eingesetzt war (E 23 VI 5/95 und 98); wie die Untersuchungen des sachkundigen Zeugen Dr. E. Müller vom Bundeskriminalamt zuverlässig ergeben haben, waren die Kaffeemühlen mit Schwefel und Ammoniumnitrat, die Eimer mit Schwefel, Aluminium, Mennige und Ammoniumnitrat behaftet. Dicht dabei fanden sich Küchenquirl, Mixgeräte und eine Handbohrmaschine, wie im Kassiber beschrieben (E 23 VI 5/94- und 96 c).

Auch ein weiterer Hinweis auf „Pfirsich“ (= Dierk Hoff), auf den der Angeklagte Baader schon in dem Kassiber H 4/74/III/5/2/65/11 - 13 aufmerksam gemacht hat, paßt in die Frankfurter Szene:

„das gerät mit dem jedes zündschloß zu knacken ist, baut euch der pfirsich.“

Die Anwesenheit des Angeklagten Baader in Frankfurt und in der Bombenzentrale in der Inheidener Straße steht aber ebenso fest wie sein Umgang mit typischen Sprengstoffbestandteilen, deren Spuren bei seiner Verhaftung an ihm gesichert worden sind; dies wird im Zusammenhang noch ausgeführt. Eingegrenzt wird der in Haft befindliche Verfasser mit seinen Detailkenntnissen [169] aus der Inheidener Straße durch eine weitere Passage:

„natürlich ist die idee ich soll hier ein buch über militärstrategie taktik operatives technisches wissen schreiben nur scheiße ...“

Auch wenn der Verfasser das an ihn gerichtete Ansinnen ablehnt, so geschieht das nicht, weil er sich dafür nicht für kompetent erachtet, sondern weil er ein derartiges Vorhaben nicht für zweckmässig hält:

„... was wir natürlich machen, sobald wir hier ne arbeitseinteilung organisiert haben, sind einzeluntersuchungen zu zb. bullenorganisation, psychologische kampfführung, us-präsenz (militär) nato, multinationales (konzern analyse) wenn ihr das taktische niveau habt um damit was anzufangen, denn sonst liegen sie doch nur rum und die bullen finden sie.“

Der Hinweis auf die Militärstrategie trifft sich aber nicht nur mit der Auffassung der Angeklagten Ensslin (Meinhof Mat. II/1 - 6 v. 16.7.1973), wonach die treffendsten Begriffe aus dem Bereich der Kriegsführung und im Zusammenhang damit von „Ahab“ (= Baader) stammen, sondern auch mit der vorrangigen Beschäftigung, von der der Angeklagte Baader in dem Kassiber H 4/74/111/5/2/65/14 spricht:

„ich bin mit militärstrategie/nd (was alle machen werden) so gut wie fertig.“

Der Senat hat keinen Zweifel, daß der Angeklagte Baader auch diesen Kassiber mit seinen ausführlichen Anleitungen verfaßt hat.

Aus dem Inhalt des Schriftstücks ergibt sich, daß der Angeklagte Baader sich nicht nur - was schon festgestellt wurde - in der Wohnung in der Inheidener Straße [170] aufgehalten und dort seine schon verwerteten Beobachtungen über die auffälligen Mahl-Vorrichtungen gemacht hat, sondern daß er darüber hinaus mit der Herstellung von Sprengstoffen und -körpern in dieser Zentrale sich in einem weitreichenden Umfang intensiv beschäftigt und dabei vielfältige Erfahrungen gesammelt hat. Gleich am Anfang befaßt sich der Angeklagte mit den Schwierigkeiten, sich Zugang zu Sprengstoffbunkern in Steinbrüchen zu verschaffen:

„sprengstoffbunker in steinbrüchen zu finden die so liegen daß du da nachts schweißen kannst, frißt ne menge zeit. du brauchst einen schneidbrenner, armaturen, flaschen (wenn du das nicht im steinbruch findest) und mußt damit umgehen können, an so'nem bunker schweißt du ne gute stunde, weil sie mindestens drei stahltüren haben. ein tressor ist ein spaß dagegen. lohnt sich auch nur um an kapseln oder sprengschnur ... ranzukommen. ...“

Es steht fest, daß aus dem Steinbruch in Oberaula mit Hilfe eines am Tatort vorgefundenen Schneidbrenners gewerbliche Sprengkapseln und Sprengschnüre „Dynacord“ entwendet wurden; die Spur führt in die Inheidener Straße in Frankfurt. Dann heißt es zutreffend über den Sprengstoff:

„das problem ist nur, daß sie schwer zur detonation zu bringen sind. eine sprengkapsel (bei handelsüblichem sprengstoff und militärzeug nr. 8 - werdet ihr auch in den bunkern finden) genügt als initialzündung nicht. sie muß mit sprengschnur verbunden werden ...“

zu den zündern wird vermerkt:

„wenn ihr keine professionellen elektrischen sprengkapseln mehr habt müßt ihr als initialzünder knallquecksilber herstellen. wie man das macht steht in den akten und in chemielehrbüchern. ich glaube 20 - 50 gramm knallquecksilber zünden die mischung auch ohne sprengschnur ...“

[171] Dann folgt die Zusammensetzung des roten Sprengstoffs mit den quantitativen Abweichungen, die aus den handschriftlichen Berechnungen in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt bekannt sind:

„das zeug, die mischung 4 teile ammoniumnitrat (ammonsalpeter heißt es auch) mit mindestens 30 % stickstoffgehalt 2 ½ teile mennige (pulver, bleioxyd) 2 teile alupulver (aluminiumbronze) ist ein sicherheitssprengstoff. heißt, detonieren kann es nur durch eine initialzündung. ist unempfindlich gegen hitze, druck, schlag, reibung ...“

Das Mahlen und Mischen des Ammoniumnitrats mit Kaffeemühlen und Quirlen ist bereits angeführt worden. Tips, wie man am unauffälligsten die verdächtigen Chemikalien beschafft, schließen sich an. Im letzten Teil des Kassibers wird dann nochmals ausführlich auf Sprengschnüre eingegangen; erläuternde Zeichnungen, die mit Sachfunden übereinstimmen, sind beigefügt. Dann folgen Anleitungen für Zeitzünder, wieder mit Zeichnungen nebst praktischen Erläuterungen, die hier nicht aufgeführt werden. Schließlich gibt der Angeklagte auf mehreren Seiten die gesammelten Kenntnisse und Erfahrungen auf handwerklichem Gebiet weiter mit Überschriften wie: anreißen, sägen, bohren, nieten, löten, schweißen.

Die organisatorischen Vorstellungen, die der Angeklagte für die Zukunft zur Fortsetzung der „RAF“ außerhalb der Haftanstalten hat, äußert er in diesem kassiber wie folgt:

„die ebenen nach der diskussion im juni 72: (und früher)

a) einfach strukturierte gruppen (aus denen sich die kommandos bilden) 8 - 10 typen in möglichst jeder größeren stadt eines bundeslandes.

[172] eine zentrale in der stadt und so und so viele wohnungen: 3 - 5 ausweichwohnungen bei freunden depots garagen. wenn die gruppe stark genug wird sich zu teilen entsprechend mehr wohnungen und ein haus auf dem land in der nähe, wird von legalen freunden benützt. kind, hund etc.

dazu ne szene von freunden, die logistische, check (aufklärung, infos) verbindungen (zu den universitäten, journalisten, legalen organisationen)

propaganda (zeitungen, druck, unbewaffnete aktionen etwa als kader der 3 ebene) jobs übernimmt.

ist ja auch klar: die maximale kw = in untermiete bei sympathisanten die abdecken. kind etc. später ein überregionales hq das sich nach dem delegationsprinzip besetzt, hat nur koordinierende funktion - baut das nachrichtensystem auf, hat die auslandskontakte. soll so was wie einen stab vorbereiten, der die programmatik die analysen die politischmilitärische linie strategie/taktik bestimmt die propaganda bringt, die schulung konzipiert usf.

b) darunter eine reine nd organisation, die keine anderen funktionen übernimmt journalisten professoren institute (zellen/wabensystem) anwälte genossen in legalen organisationen

c) die legale politische bewegung, wie sie sich jetzt z. b. an den gefangenen festmacht, rh usw sicher ist, daß das aber erst in bewegung kommt durch offensive aktionen der stadtguerilla. ihr müßt das ernst nehmen - weil bei der nächsten bullenmobilisierung bewegungsfreiheit/kontinuität/eure interventionsmöglichkeiten davon abhängen. und weil diese ebene als möglichkeit der korrespondenz zu den legalen organisationen der linken, eure isolation durch die ganzen dreckigen tricks psychologischer kampfführung verhindern muß. abgesehen davon ist das die szene in der euer logistisches potential sitzt ...“

Ferner kommt der Angeklagte auf seine früher erläuterten Pläne, Gefangene durch Geiselnahme zu befreien, zurück. Er treibt zu Aktionen an.

[173] Schließlich wird die repräsentative Rolle des Angeklagten Baader für die „RAF“ sichtbar in einem Kassiber „der Charakter des krieges, den wir führen ...“ (Meinhof Mat. 59 - 62 v. 22.1.1975); er ist mit der von dem Angeklagten Baader gern benützten Paraphe „a“ gezeichnet und trägt handschriftliche Ergänzungen, die nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Hecker von dem Angeklagten Baader stammen. Das Schriftstück enthält eine Art Gedächtnisprotokoll über die Unterredung des Angeklagten mit seinem Besucher Sartre:[101]

„das ist die basis von dem zeug im gespräch mit sartre.“

Der Vorgang zeigt, daß der Angeklagte Baader als das kompetente „RAF“-Mitglied angesehen wird, um Sartre die Ziele und das Wesen der „RAF“ zu vermitteln. In dem Gespräch versuchte der Angeklagte darzulegen, daß die Gewaltanwendung der „RAF“ auf dem Gebiet der Bundesrepublik Teil der Befreiungskriege der Dritten Welt, „der einkreisung der städte“, sei; daß das US-Kapital seine Interessen unmittelbar über den Staat Bundesrepublik durchsetze, den es deshalb gezielt zu bekämpfen gelte; daß die Bewußtseinsveränderung durch Praxis zu bewirken sei; daß die „RAF“ dies 1972 durch „die Aktion, bewaffnete Propaganda“ getan habe, dabei aber von der zerstrittenen Linken alleingelassen worden sei; daß die „RAF“ aus den „Proletarisierungsprozessen“, die sich „im Zerfall der Studentenbewegung“ von 1968[102] [174] ergeben haben, die zwangsläufig Konsequenz gezogen habe: „Guerilla“.

Daß auch eines der wichtigsten Vorhaben für die Fortsetzung und den Zusammenhalt der „RAF“ innerhalb der Haftanstalten, das sogenannte „info“-System, in dem Angeklagten Baader seinen Urheber hat und von ihm organisiert worden ist, verwundert nicht mehr. Dazu heißt es in einem Schreiben des Rechtsanwalts Stroebele vom 16. Juni 1973: „Liebe Genossen, ziemlich fertig bin ich von der Reise zurück ...“ (Ensslin-Mat. 11/27/51 v. 16.7.1973):

„Großes neues Projekt, das Arbeit für alle für Monate und Jahre bringt: Info-Zentrale in HH und Erstellung von Analysen und konkrete Gruppenschulung. Nach einer ganzen Reihe gleichlautender Anregungen Plan mit Einzelheiten aus Schwalmstadt. Dort soll noch genaueres Schema erstellt werden ...“

Der Angeklagte Baader saß damals in der Vollzugsanstalt Schwalmstadt, Rechtsanwalt Stroebele war sein Verteidiger.

Die wichtige Rolle der Angeklagten Ensslin zeigt sich in dem in Langenhagen sichergestellten „Ensslin-Kassiber“ (C 6.4.2 Pos. 116), der an noch nicht verhaftete „RAF“-Mitglieder, insbesondere auch die frühere Angeklagte Meinhof, gerichtet war. Folgendes geht daraus hervor: Die Angeklagte verfügt über umfassende logisti- [175] sche Kenntnisse; sie organisiert und will bestimmen, was andere zu tun haben; sie sucht ihren bestimmenden Einfluß, was im einzelnen in verschiedenen Städten zu tun ist, selbst aus der Haft heraus auszuüben; sie hat an konkreten Absprachen über weitere Sprengstoffanschläge teilgenommen.

Die Angeklagte verfügte, was schon die glaubhaften Bekundungen des Bundesrichters Buddenberg über seine Vernehmung des früheren „RAF“-Mitglieds Beate Sturm[103] ergeben haben, über die Kasse der Organisation, weiß deshalb - so der Kassiber - Bescheid, wo größere Geldbeträge deponiert sind, und gibt dazu Anweisungen:

„Kohle: 10000 bei Marlies deponieren, erst dann die vom Dorf aufsuchen, zuletzt die vom Onkel holen, die liegt da gut.“

Eine ganze Reihe von Wohnungen und Garagen in verschiedenen Städten werden unter Decknamen von der Angeklagten aufgeführt: Sack, Faß, Garten, Laube, Mühle, Bunker, Halle, Dreieck. Die Angeklagte weiß über Mieter und Mietverhältnisse (wann welche Miete an wen fällig ist) detailliert Bescheid.

Weiter nennt die Angeklagte eine ganze Reihe von Sympathisanten unter verschlüsselten Bezeichnungen: Mac, Ga’s Kleiner, Ehemann, Mitte, Hoftante, der kleine Dicke, Bunkertante, Spagetti, Marlies, Pfaffenschwein, der beschissene Ernst, das alte Ehepaar. Sie gibt Hinweise, über welche Mittelsmänner Kontakte zu dritten Personen hergestellt werden können.

[176] Vor allem aber unternimmt es die Angeklagte Ensslin aus der Haft heraus, die auf freiem Fuß befindlichen, in der Bundesrepublik verstreuten „RAF“-Mitglieder zu organisieren, ihnen neue Aufenthaltsorte anzuweisen und zu sagen, was sie dort zu tun haben: „Liesel“ (Meinhof) soll in den „Sack“ - „Befehl, mach die Fresse zu und bleib im Loch“; „Ha+Ga“ sollen ins „Faß“, „Toele + Gü“ in derselben Stadt in eine zweite, noch zu mietende Wohnung; „Lo“ soll zu „Lie“, „El“ in den „Garten“ - „AND.Job später“; die „3 i.Teich“ sollen in 14 Tagen Zusammenkommen - „nicht früher, über Bruder an Toele ran, KER-Laden (Gabi weiß) über Bruder auch Kontakt z.kl.Dicken neu“. Weiter bestimmt die Angeklagte, was mit den verschiedenen „RAF“-Unterschlupfen zu geschehen hat:

„Laube“ (= Frankfurt, Inheidenerstr.) „räumen 2 Phasen: wichtiges wie gehabt (Sack) in d. Mühle, nur statt Mieter Mitte od. Hoftante; ... Laube muß aufgegeben werden (sie suchen nach Anhaltspunkten i. unseren Klamotten, Uhren, Schuhen etc.)“

Der „Bunker“ (= Hamburg, Paulinenallee) soll „hochgehen“, weil die Angeklagte den Bunkerschlüssel bei ihrer Festnahme bei sich gehabt habe. Alle Garagen sollen aufgegeben werden, „bis auf Spagetti das Arschloch muß noch 3 Monate warten“; Autos sollen abgestoßen werden.

Andererseits sollen neue Wohnungen gemietet werden: „ein zweites Zelt in d. Stadt vom Faß nehmen.“ Die „Mühle“ soll als Depot erhalten bleiben:

[177] „... teures Depot, aber gut, wenn Mac noch 2 Monate lang Politik da macht, wie gehabt, am Arm ne Tante, Blumen, samstags viell. noch bessere Klamotten u. auf jeden Fall, wie er schon weiß Teppich, Bücher, Bücherregale, Schreibtisch, Papierkram rein, Zeitschriften und eine bessere Bettüberdecke, aufblasbares Sofa. Das wär’s, Hardy weiß schon.“

Die Angeklagte sagt, welche Personen zu „checken“ oder sonst zu behandeln sind: „Ga’s Kleiner“ soll sich jetzt entscheiden, ebenso „der Ehemann“; „Willi checken und entw. löten wie Ol. od. muß sein, er geht; Ol. auf jeden Fall sofort in Angriff nehmen wie besprochen.“ „Elsa“ soll „als Verlobte von Mac“ aufgebaut werden, der das Depot in der „Mühle“ zu halten hat.

Aufschlußreich zum Thema Informationsaustausch in der Gruppe ist auch der Grund, warum die Angeklagte ihr Wissen ausbreitet:

„jeder muß sich von allen alles Wissen (Kontakte etc.) aneignen, wichtig, eine Woche lernen, zeigen abfragen, Arbeitsstil, Kontrolle; nur so baut man die Scheiße „Sub-Hierarchie“ ab.“

Die Angeklagte begnügt sich nicht mit organisatorischen Aufgaben, sie treibt zu Aktionen an:

„Lie.: wir haben i. Zusch. mit dem alten Ehepaar über ein Land gesprochen; Aufgabe für Dicken, das in einer Ziffer eine mögliche (und wahrscheinlich schon nicht mehr mögliche, siehe Rückdeal mit USA u. dipl. Bez. mit hier) checken; für Aufnahme; eben er das Land checken, Mission, nicht anders zu begreifen, so lange bis sie es machen, od. eben das Land des Redners, Frage von Kohle i. diesem Falle: Soll d. Dicke selbst anschaffen, anderenfalls brecht Zusammenarbeit mit ihm ab. D. kl. Dicken jetzt pushen soll her

[178] kl. Figuren suchen, einzeln, erstmal Valentin, und. wenn dafür drei gekillt werden müssen. Ultimatum einhalten (s. neuer Beschluß d. Innenminister: „Leben der Geisel hat Vorrang vor Ergr. der Gewaltverbrecher“)“

Nicht nur Geiselnahmen zur Befreiung Baader („Valentin“), den man als den wichtigsten Kader schon einmal gewaltsam befreit hatte, sollen eingeleitet werden, auch die Sprengstoffanschläge sollen weitergehen:

„Ha: noch 2 x“ (folgt ein Zeichen für Explosion: *[e]) „davon 1 mal Amerika (möglichst!) und 1 mal wie besprochen und wäre sinnvoll in Liesels Stadt: aber erst weg, sofort; vom Faß aus ebenso zu machen, reicht auch: in 4 Wochen ne, eben nicht; lassen; das ist wichtig; ihr seht ja an mir wie schwer.“

Dabei handelt es sich bei „Ha“ - was im Zusammenhang noch ausgeführt wird - um den anderweitig schriftlich belegten „Harry“ = Gerhard Müller, der in dem Kassiber auch als „Hardy“ („Hardy weiß schon“) erwähnt wird und sich bei der Festnahme in Begleitung der in dem Schriftstück gleich zu Anfang und dann auch im Text als „Liesel“ direkt angesprochenen Kassiber-Empfängerin Meinhof befand. Wenn auch die Angeklagte Ensslin am Schluß der angeführten Stelle wieder schwankend wird, so ist diese Stelle doch sehr wichtig: sie zeigt dem Senat, daß die Angeklagte Ensslin an konkreten Absprachen über Sprengstoffanschläge („1 mal wie besprochen“) tatsächlich teilgenommen hat; außerdem sucht sie noch aus der Haft heraus auf die Ausführung von einzelnen Sprengstoffanschlägen Einfluss [179] zu nehmen.

Der organisatorische und konspirative Ehrgeiz der Angeklagten Ensslin kommt in weiteren Schriftstücken zum Vorschein. Nachdem die Angeklagte in dem Kassiber „1 hoppe ...“ (Ensslin-Mat. II/10/1 v. 16.7.1973) - es handelt sich nach dem Sachverständigen Hecker um ihre Handschrift - schon einen Zahlencode für inhaftierte „RAF“- und SEK-Mitglieder entworfen hatte, bestimmt sie in dem ausführlichen - wie schon angeführt - von ihr stammenden Kassiber „th (m. durchschlag a.)“ (Meinhof-Mat. II/1 - 6 v. 16.7.1973) unter anderem Decknamen für verschiedene Personen:

„namen: elvis, in großmut, BILDAD cabora der zimmermann

pip bleibt pip

ji starbuck

husar quiqueg

schnauze - smutje (wenn du noch weisst: der koch hält die pfannen spiegelblank, und predigt gegen die haie)“

Zum besseren Verständnis dessen dient ein vorausgegangener Kassiber „es gibt die notwendigkeit, bestimmte namen nicht mehr zu verwenden ...“ (Baader-Mat. 7/1.1 v. 16.7.73) dessen Maschinenschrift nicht bestimmbar ist, in dem sich aber am Ende der Kolonne „schnauze“ als die Angeklagte Ensslin („Gudrun“) entpuppt. Hier heißt es:

carmen - gurke, ulrike - theres, jan - cabora, holger - schatten, andreas - ahab, bernie - meister, gerd - soldat, klaus - spätlese, irmgard - molle, brigitte m. - holle, gudrun - schnauze

(und obwohl das nicht so nötig ist carl viell. pip, vodo bliebt toni, und was mahler betrifft, bin ich sehr für elvis, ein flipper.“

[180] In diesem Kassiber - wer ihn auch immer verfasst haben mag - wird auch der Deckname für eine projektierte „RAF“-Schrift bestimmt:

„alles was material, stoff und text zu „stadtguerilla und metropole brd“ ist hat in zukunft das stichwort „bassa“ ...

„bassa sammelpunkt ist theres, kriegt arbeit, ich sehe das nicht in der dimension von jahren, aber doch von monaten bis 1 jahr, so ungefähr.“

Daran knüpft nun wieder der sicher von der Angeklagten Ensslin stammende, schon angeführte Kassiber „th.(m. durchschlag a.)“ an, der an die frühere Angeklagte Meinhof („theres“) mit Durchschlag an den Angeklagten Baader („a“) gerichtet ist. Wieder zeigt sich der Drang der Angeklagten Ensslin zu organisieren, Aufgaben zu verteilen, oder auch Ideen, Denkanstösse, Initiativen zu entwickeln. So heißt es in dem 12 seitigen Schriftstück unter anderem:

„bassa uneingeschränkt priorität, du dort, ich hier, aber vor allem du dort, so hast du vermutlich auch keine lust zu der erklärung prozeß, aber die muß sein, und sie wird (zwangsläufig) die vierte zeitung, DU schreibst sie ...“

Zuvor heißt es schon:

„jeder weiß daß DU DIE STIMME WARST BIST SEIN WIRST ...“

Die frühere Angeklagte Meinhof vor allem („die Stimme“) soll also nach dem Geheiß der Angeklagten Ensslin die „RAF“-Schrift und eine grundlegende Prozeßerklärung (zum Baader-Befreiungs-Prozeß) schreiben. Dann befasst sich die Angeklagte mit einer Bücherliste („A 1“) für das Projekt „bassa“ und bestimmt dazu:

[181] „anbei, was ich als A 1 deshalb bezeichne, weil ich sage, das muß jetzt sein, sofort, und alle, das minimum, heißt: ist nat. so was wie vorwegnahme des Ziels und zwecks von schulungsprogramm, also des aufbauprogramms ...“

Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist nicht nur, daß die Angeklagte Ensslin organisiert, sondern auch, wie wichtige Vorhaben in einem engeren Personenkreis (hier: Baader, Ensslin, Meinhof) abgestimmt werden.

Dazu heißt es:

„und weiter entweder so: a. macht fertig, schickt selbst weg die erste fassung von B, das MONSTER + man heftet A i, extrablatt, dazu und A kommt später, nämlich dann, wenn bei th und bei mir, aber erst auf jeden fall th, weil sie entscheiden muß, wer wie wozu, also wer zuliefert zu bassa z. b., also wer welche bücher zu welchem analytischen ziel durcharbeitet - wenn also alle die listen, die ja demnächst mal aus allen ecken ankommen müssten, Zusammenkommen, sortiert, systematisiert sind, dann kommt A nach,

oder a. gibt, nachdem er B soweit fertig hat, ans sekretariat, und das seinerseits bringt dann in form von zz weg ...“

Auf dieses Zusammenspiel im engen Kreis kommt die Angeklagte an anderer Stelle nochmals zurück:

„3. sagte ich das klar genug: anbei: th ergänzt/korrigiert blatt A 1, und schickt das oder ihr plazet sowohl ans Sekretariat wie in die kajüte, von dort entweder überhaupt los, oder erst nochmal ans Sekretariat; B und korrekturen zu A 1 (ich habe den durchschlag nur zu A 1, nicht zum monster!) th: falls du die nr des bandes, wird wohl 1 sein, weiß es aber nicht genau, hab die klettausgabe - weisst, setz ein

ich finde nat. kein problem dabei, dieses minimum ohne weiteres fortzusetzen, es ist einfach nur unumgänglich.

(wenn sich nun was kreuzt: Sekretariat wartet solange wie irgendwas nicht ganz klar ist - ein für allemal)

4. ich schick th die korrig. antwort nr. 2 mit, und a. meine korrigierte, so daß er das in die wege leitet, nachdem er auch von th ihre korrigierte antwort hat - ja?“

[182] In diesen Rahmen passt es, daß die eingehenden Erörterungen dieses Kassibers über ein wichtiges Vorhaben der Gruppe von vornherein nur in dem engen Kreis zwischen der Kassiber-Verfasserin Ensslin und den im Verteiler genannten beiden Mitgliedern Meinhof und Baader geführt werden.

Dasselbe gilt für den weiteren Kassiber „sm. schreibt im moment was ...“ (Ensslin-Mat. II/27/3 - 4 v. 16.7.1973), der von der Angeklagten Ensslin stammt: er ist - so wiederum überzeugend der Sachverständige Windhaber - auf ihrer Schreibmaschine geschrieben worden („U-7351“). In diesem Schriftstück heißt es:

„sm schreibt im moment was, das in etwa 2 wochen soweit fertig ist, daß es durch th. und a. korrigiert und dann für gut befunden wird, das das proletarische taktikverständnis explizieren soll an der spezifischen situation/aufgäbe der komitees, also konkret und beispielhaft die massenlinie bestimmt, also schön marxistisch-leninistisch und hier nur deshalb kurz skizziert, damit th. oder a. + zi falls ihnen dazu schon jetzt was einfällt das liefern, was ihnen einfällt ...“

„Smutje“ (=Ensslin) schreibt also an dem Entwurf einer Abhandlung über die Massenlinie, der dann „theres“ (= Meinhof) und Andreas (= Baader) zur Zustimmung vorgelegt wird und zu dem diese beiden und außerdem der „Zimmermann“ (Raspe - „cabora“) schon vorher Gedanken beitragen sollen. Mit dem Entwurf will die Angeklagte Ensslin ihre Ideen und programmatischen Vorstellungen im Rahmen des Projekts „bassa“ zur Geltung bringen:

„ihr seht schon ganz schön bassalinie ...“

Weiter heißt es dann dazu:

[183] „für die die das nicht mitgekriegt haben: die skizze ist gründlich schon jetzt makulatur, aber ich pass schon auf. indem ich 1. nichts unreifes loslasse 2. das pulver trockenhalte (natürlich) 3. dem stab das erst vorlegen werde ehe ... denn was es wie gesagt „nur“ werden soll ist ja: ne anleitung, wie man die massenlinie/volksfrontlinie unter führung des proletariats findet und wie die taktik sich in dieser bestimmung von selbst ergibt ...“

Hier bezeichnet die Angeklagte Enßlin den schon genannten Personenkreis ausdrücklich als „Stab“, innerhalb dessen die für wichtig gehaltene Anleitung für die Massenlinie vorher abgestimmt werden soll, ehe sie weiter verbreitet wird. Neben dieser von ihr ergriffenen Initiative für ein wichtiges Vorhaben schlägt auch wieder der Drang der Angeklagten durch, zu organisieren, zu bestimmen und Aufgaben zu verteilen:

„ich habe jetzt mal verfügt, welcher unserer bisherigen papers seit knast sozusagen archivarisch aufgehoben werden sollen ...“

„eine arbeitsteilige Achse verläuft auf jedenfall schon mal so: th. und smutje und der zimmermann (und je nach lust und beschäftigung viell. quiqueg) die politische linie (strategische analyse, kampagne, kongress und zz dieser richtung) ahab und pip und starbuck und quiqueg die operative linie ...“

Das Anliegen, Denkanstösse zu geben und ihre Ideen auch in der von der früheren Angeklagten Meinhof zu verfassenden, grundlegenden „RAF“-Schrift verwirklicht zu sehen, zeigt sich ferner in einem mehrseitigen Kassiber „skizze zu bassa (arbeitstitel: stadtguerilla und metropole brd)“ (Ensslin-Mat. 11/27/139 - 14-2 v. 16.7.1973). Er stammt von der Angeklagten Ensslin: sie ist - so überzeugend der Sachverständige Hecker - die Urheberin einer handschriftlichen Korrektur.

[184] Weitere Beispiele für die organisierende und antreibende Energie der Angeklagten Ensslin liefert ein „Info“-Beitrag „info I, an m + zur entscheidung den h. str. betreffend ...“ (Baader-Mat. 9 R - 10 R vom 22.1.1975), der nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Windhaber und Hecker von ihrer Schreibmaschine stammt („U-7351“) und ihre handschriftlichen Korrekturen aufweist. Zunächst wird ein unbekanntes „RAF“-Mitglied („m“) über zwei Schreibmaschinenseiten hinweg psychologisch aufgerichtet an dem bereits zitierten Beispiel „andreas“, der „das neue“ ist und „der sich über die ziele bestimmt“; dann heißt es:

„was du unerbittlich rausfindest ist doch nur: daß diese schweinerei nur eins noch ist: zerstörungswürdig. die einzige frage (denn „was sind schon 50 oder 70 jahre“ ist keine, ist ne antwort), das einzige problem das wirklich übrigbleibt ist: wie ...“

„das mal verstanden, erlebt, bewußt - bist du angekommen: weisst du daß es nicht mehr aufhört: kämpfen. bis dann nur dieses eine moment: krieg. führst ihn/dich ganz egal wo, also auch wenn du alleine bist führst du ihn, ohne noch irgendwas oder irgendwen für dich verantwortlich zu machen - du, der kollektive typ, bist die einzige bedingung, - jeder, 24 stunden. was die erfahrung der imperialistischen gewalt wegfetzen kann ist genau nur das alte, bourgeoisie. was rauskommt ist diese einzige produktivkraft auf die’s ankommt: revolutionäre gewalt ...“

Sodann gibt die Angeklagte Direktiven, wie der neue Hungerstreik ablaufen soll:

„der nächste machtkampf den wir gewinnen müssen ist der hungerstreik.“

„wir machen ne aktion erst dann wenn wir alle möglichen folgen so genau wie möglich bestimmt haben.“

„ulrike schreibt ne rede, indem sie andreas, die RAF, sich selbst auf den politischen begriff bringt. also für den 14. mai - prozeß in berlin - aber ich denke berlin usw. ist gar [185] nicht das entscheidende, sondern entscheidend ist daß das jetzt kommt und von ulrike, die wirkung - doch schon klar, eben nicht nur in die linke szene, sondern den markt gegen den markt benutzt - ins volk.

wenn es die bullen nicht dann schon lieber jetzt lassen - kann andreas aufhören zu hungern um zu trinken ohne daß der streik geschwächt würde, im gegenteil eher, wir brauchen dann nur’n kurzes statement rauszugeben, daß wir - die gefangenen aus der raf - das so bestimmt haben, quasi’n befehl an ihn. sagt mal. hiesse auch daß der streik erst beginnt wenn die rede da ist, also frühestens sept ...“

Vollends deutlich werden die geschilderten Züge in einem aus dem letzten Hungerstreik stammenden Kassiber „I - 7.11. - g, da kommt’s ...“ (Baader-Mat. 60 - 62 vom 22.1.1975), der nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Hecker die handschriftlichen Ergänzungen der Angeklagten Ensslin trägt. In einem schrillen Ton zurechtweisend und antreibend, sucht die Angeklagte („g“ = Gudrun) zu bestimmen, wer was zu tun hat:

„lass (u) auch das ma: anwälte liquidieren. wenn wir einen rausschmeissen, dann nur weil der grund in ihm liegt, steinhart. dumme sau. un pe willste verklickern daß sie sterben soll damit du lebst? na warte. hm ist dir doch klar: du kriegst keinen befehl. weil wir keine gefangene machen, keine opfer liquidieren. un blickste bei dem „welt“ - artikel durch? (wenn stammheim die idylle - kann u. m. nur was sein? opfer, verrückt, macke gleich deine linie, seit weiß ich wann, aber jedenfalls wie’s seit wochen ununterbrochen ganz „eisern“ von dir kommt gegen uns in diesem gefecht.“

„das kriechen vor dem UNGEHEUER - ji, was soll das, mitten in der aktion knarre wegschmeissen ’n flipp ... ist wie ali sagt: gibt’s nicht ...“ „ji runter: ticken daß es geschichte ist ... würd ich einfach mal lassen - „ziemlich traurig“. hm. ohne zu trauern. das - das ziel. du bestimmst wann du stirbst. freiheit oder tod.“

[186] Bei „u“ handelt es sich um Ulrike Meinhof, bei „ji“ um „Jimmy“ = Meins.

Daß dem Angeklagten Raspe in der Bombenzentrale Frankfurt die wichtige Rolle eines „Statthalters“ zukam, der für Wohnungen, Garagen und Personenkontakte zuständig ist, wird durch die Aussagen des Zeugen Fracht und auch Hoffs gestützt. Dies wird im einzelnen in einem eigenen Zusammenhang ausgeführt.

Die vielfältigen schriftlichen und mündlichen Äußerungen der Angeklagten lassen auch die in der Gruppe bestehenden tatsächlichen Strukturen erkennen, die für die Entscheidungsprozesse von Bedeutung sind.

In einem Wechselspiel von Kollektiv und Führung wird einerseits immer wieder der Grundsatz der Kollektivität hervorgehoben. So die frühere Angeklagte Meinhof in dem schon erwähnten „Fragment über Struktur“ (id. Nr. 127 v. 29.5.1976):

„kollektivität ist ein moment in der struktur der guerilla und - subjektiv als bedingung in jedem einzelnen als sein entschluß, zu kämpfen vorausgesetzt - ihr wichtigstes. das kollektiv ist die gruppe, die als gruppe denkt, fühlt und handelt.

führung in der guerilla ist derjenige oder sind die, die den kollektiven prozeß der gruppe offenhalten und organisieren im prozeß ihrer praxis ...“ „die linie, d. h. aus der strategie die logik und rationalität der einzelnen taktischen schritte: aktionen wird von allen erarbeitet - sie entsteht [187] im diskussionsprozeß aus erfahrung und wissen von allen und wird so kollektiv festgelegt und ist dann verbindlich ...“

In einem „Info“ „um die Zirkulation ...“ (Baader-Mat. 5/1-9 vom 16.7.1973) heißt es im Beitrag eines nicht identifizierten „RAF“-mitglieds u.a.:

„von einem bestimmten niveau an wird keine aktion gemacht, wenn auch nur ein kämpfer dagegen ist sie zu machen, nachdem das kollektiv alle aspekte der aktion, von planung bis auswertung, unter der berücksichtigung aller erfahrungen und informationen durchdacht hat und das übrige kollektiv die aktion für richtig halten.“

Der Angeklagte Raspe legte im Zusammenhang mit der gemeinsamen Sacherklärung der Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 14. Januar 1976 großen Wert darauf, daß es sich bei dieser wichtigen Angelegenheit nicht um das Werk eines einzelnen handele:

„Und der zweite Punkt ist, daß das ganze natürlich eine kollektive Sache ist, kollektiv erarbeitet. Und innerhalb dieser kollektiven Erarbeitung ist es allerdings so, daß die wesentlichen Bestimmungen von Andreas stammen, also ganz und gar nicht etwa von mir, wie es auch entsprechend hier irgendwo in irgendwelchen Zeitungen stand. Das ist also auch völlig unsinnig. Das ist kollektiv und in diesem Kollektiv ist es genauso erarbeitet, wie ich es gesagt hab ...“

Wenn in solchen Äußerungen ideale Vorstellungen immer auch enthalten sein mögen, so kommt doch ein praktiziertes Prinzip in der Gruppe zum Ausdruck: Entscheidungen nicht einzelnen zu überlassen und sich über wichtige Vorhaben mit anderen abzustimmen. Dem steht dann die hervorgehobene Rolle des Angeklagten Baader gegenüber, dem - wie schon ausgeführt - innerhalb des Kollektivs die „Funktion von Führung“ zukommt - [188] eines „Beispiels“, an dem man sich orientiert, das Maßstäbe setzt, der „den weitesten Blick hat“ und von dem selbstverständlich auch für die Sacherklärung - so Raspe - „die wesentlichen Bestimmungen ... stammen“. Zwischen diesen beiden Polen rangieren einzelne „RAF“-Mitglieder, denen durch persönliches Gewicht, ihren Anspruch und tatsächlichen Einfluß eine wichtige Rolle in der Gruppe vor anderen zukommt.

Man mag sie „Kernmitglieder“ nennen; die Angeklagte Ensslin spricht in dem angeführten Kassiber „sm. schreibt im moment was ...“ von einem „stab“. Dessen Grenzen mögen fließend sein. Jedenfalls zeigt das aufgeführte Schriftmaterial, daß wichtige oder heikle Fragen in einem engeren Kreis von Mitgliedern, die größeren Einfluß haben, abgestimmt werden.

Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch das Verhältnis von „Freiwilligkeit“, „Disziplin“ und „Befehl“. Auf das Prinzip der Freiwilligkeit wird großer Wert gelegt. Die Angeklagte Ensslin in einem Kassiber (Ensslin-Mat. III/3.11 vom 16.7.1973), der - so der Sachverständige Hecker - von ihrer Hand stammt:

„... Überlegenheit des Kollektivs über die des Systems nach den Prinzipien des Kommunismus: Kollektivismus, Altruismus und tiefempf. Freiwilligkeit.“

In dem schon zitierten Info-Beitrag eines nicht identifizierten Mitglieds (Baader-Mat. 5/1-9 vom 16.7.1973) findet sich die Formel wieder:

[189] „zu den politischen begriffen des kommunismus: altruismus, kollektivismus und tiefempfundene freiwilligkeit ...“

In demselben Info-Beitrag wird unter dem Stichwort: „was ist disziplin?“ erörtert, wie sich „RAF“-Mitglieder in der Haft zu verhalten haben:

„... daß jeder jetzt eine erklärung schreibt, in der verbindlich steht, daß bei kontakten zu anderen, egal ob gefangener oder wer anders, kein wort über geschichte und aktion der raf fällt. so wird jeder nur eher früher als später politische gespräche führen, politische verhaltensweisen vermitteln. disziplin - grade jetzt ...“

und

„die notwendigkeit und schließlich selbstverständlichkeit zur disziplin steht hier buchstäblich an den wänden ...“

Die Disziplin wird geradezu zum Unterscheidungsmerkmal, mit dem die „RAF“ sich gegen die landläufige Vorstellung zur Wehr setzt, es handle sich bei ihr um eine Gruppe von Anarchisten. In der dritten „RAF“-Schrift „Die Aktion des Schwarzen September“ ist dem „Anarchismus-Vorwurf“ ein ganzer Abschnitt gewidmet („Der alte Anarchismus-Begriff ist nicht mehr zu gebrauchen“); schon in der ersten „RAF“-Schrift „Das Konzept Stadtguerilla“ sagt die frühere Angeklagte Meinhof in Kapitel VI, warum sie keine Anarchisten seien:

„Die Parole der Anarchisten „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ zielt auf die direkte Mobilisierung der Basis ... auf spontanes Verständnis ... Insofern ist die Parole der Anarchisten richtig ... Sie ist falsch, soweit sie das falsche Bewußtsein vermittelt, man brauchte bloß zuzuschlagen, denen in die Fresse zu schlagen, Organisierung sei zweitrangig, Disziplin bürgerlich ...“

[190] In dem schon angeführten „Fragment zur Struktur“ heißt es im Anschluß an die Erörterung, daß die Linie kollektiv festgelegt wird:

„der prozeß der koordination der praxis der gruppen läuft dann, wenn die linie erarbeitet und begriffen ist militärisch als befehl - ihre durchführung verlangt absolute disziplin bei gleichzeitig absoluter selbstständigkeit d. h. autonomer orientierung und entscheidungskraft in jeder situation unter veränderten bedingungen.“

Der Angeklagte Baader schließlich wird in der schon zitierten Stelle in dem Kassiber „eure Sache ...“ konkret, wenn er zur Behandlung eines für unsicher gehaltenen Mädchens u. a. sagt:

„... muß sie wenigstens begreifen, daß man aus der raf nicht einfach aussteigt wie aus einem job - also die disziplin wenigstens noch ein jahr weitergilt ...“,

und er sie dann ins „sozialistische Ausland“ schicken will oder - in dunklen Andeutungen - „eine andere lösung“ nahelegt.

In engem Zusammenhang mit der „Disziplin“ spielt der „Befehl“ eine wichtige Rolle. In dem schon wiederholt erwähnten Info-Beitrag in Baader-Mat. 5/ 1-9 vom 16.7.1973 wird das definiert:

„was ist ein befehl? es ist das kollektiv, das den befehl gibt ... deshalb wird er allerdings ausgeführt. ein befehl ist das, wovon einer überzeugt ist bzw. überzeugt wird. und wenn das nicht möglich ist, ist ein befehl das, woran einer ausflippt. und er flippt dann aus, weil er die interaktion, d. h. die wechselbeziehung zwischen dem kollektiv und dem befehl, zwischen sich und dem befehl, zwischen sich und dem kollektiv nicht begreift, oder die realisierung dieser einheit, also seine eigene proletarisierung, funktionalisierung/funktion der besitzlosigkeit, nicht schafft.“

[191] Bereits zitiert ist die Definition der früheren Angeklagten Meinhof im dem „Fragment über Struktur“:

„der prozeß der koordination der praxis der gruppen läuft dann, wenn die linie erarbeitet und begriffen ist militärisch als befehl ...“

In dem reichhaltigen Kassiber-Material wird immer wieder betont, es sei etwas „ein Befehl“, daher strikt zu befolgen und nicht mehr zu diskutieren. Hingewiesen wird auch auf die zitierte Zurechtweisung der früheren Angeklagten Meinhof durch die Angeklagte Ensslin in dem Kassiber „I - 7.11 - g, da kommt’s ...“:

„... du kriegst keinen befehl ...“

Wenn auch „RAF“-Mitglieder in verschiedenen Städten lebten, so führten sie - auch dies ist für die Struktur der Gruppe wichtig - kein in sich abgeschlossenes, „autonomes“ Eigenleben. Dazu sprechen - worauf jeweils hingewiesen wurde - schon die in der Eleonore-Sterling-Straße in Frankfurt vorgefundenen Kassiber (H 4) des Angeklagten Baader und der in Langenhagen sichergestellte „Ensslin-Kassiber“ eine deutliche Sprache: Noch aus den Haftanstalten heraus suchen die Angeklagten Baader und Ensslin bestimmenden Einfluß nicht etwa nur auf die Diskussion der allgemeinen „politischen Linie“ zu nehmen, sondern auf die Durchführung konkreter Aktionen, z. B. ganz bestimmter Sprengstoffanschläge und Geiselnahmen, und der Angeklagte Baader fordert in dem angeführten Kassiber „hör ma ...“ dazu auf, nur zu sagen, wieviele Kommandos zur Verfügung stehen, und erklärt dann unverblümt:

[192] „wir können euch ein konzept entwickeln“, nämlich dafür, was die einzelnen „Kommandos“ zu tun haben.

Mit der gering entwickelten Autonomie der Gruppen in den einzelnen Städten hängt die Möglichkeit des ungehinderten Informationsaustausches zwischen den verschiedenen Standorten zusammen. Das steht zwar im Gegensatz zum „Zellensystem“ Marighellas[104] („Die Organisation muß so aufgebaut sein, daß er“ - der einzelne Guerillero - „nicht mehr weiß, als was mit seiner augenblicklichen Aufgabe zu tun hat“), nach der Erklärung des Angeklagten Baader in der Hauptverhandlung vom 3.12.1975 war aber dieser „Klassiker der Stadtguerilla“, der Erfahrungen veröffentlicht und in Betracht kommende Methoden gesammelt hat, für die Praxis der Gruppe nicht uneingeschränkt verbindlich. So sagt denn auch die auf organisatorischem Gebiet besonders aktive Angeklagte Ensslin in dem in Langenhagen sichergestellten „Ensslin-Kassiber“:

„Jeder muß sich von allen alles Wissen (Kontakte etc.) aneignen ...“

Die Beweglichkeit und Kommunikation der Gruppenmitglieder untereinander, die sich schon daran zeigt, daß die Spuren einzelner Mitglieder in den Wohnungen verschiedener Städte auftauchen, verschafften ohne weiteres die Möglichkeit, nicht nur über allgemeine Fragen zu diskutieren, sondern auch konkrete Informationen im Interesse einer tunlichen Kontinuität der ganzen Gruppe auszutauschen.

[193] Schließlich bestätigen das reichhaltige Schriftmaterial und die sonstigen Äußerungen, daß die Angeklagten sich mit den Sprengstoffanschlägen innerlich identifizieren. Keinerlei Anhalt findet sich dafür, daß einer von ihnen der Konzeption exzessiver Gewaltanwendung mit inneren Vorbehalten oder auch nur mäßigend gegenübergestanden hätte. Angeführt wurde in diesem Zusammenhang bereits die Äußerung der Angeklagten Ensslin für alle Angeklagten, daß sie für die Sprengstoffanschläge verantwortlich seien, „insofern wir an der Konzeption ihrer Politik und Struktur“ (gemeint ist die „RAF“) „beteiligt waren“. Gerade die Angeklagte Ensslin wird nicht müde, mit aller Schärfe Gewalt zu predigen. Der schon angeführte Kassiber mit ihrer Handschrift in Ensslin-Mat. III/3.11 vom 16.7.1973 läßt daran keinen Zweifel:

„Totalität der REV. heißt: Aufhebung der Trennung von Praxis und Theorie, von Sein + Bewußtsein, Politik und Gewehr, heißt sein um zu werden, Alternative, Lösung, Funktion von Besitzlosigkeit, SEIN um nicht weniger als alles zu kriegen, um befreit zu werden, heißt Haß, wirksame Tötungsmaschine, SEIN um Mensch zu werden, heißt Gewalt anzuwenden, um die Gewalt: Ausbeutung der Menschen durch Menschen abzuschaffen.“

In dem ebenfalls schon angeführten Kassiber „skizze zu bassa ...“ zieht sie das Fazit zum Thema „RAF“:

„und das ist der springende punkt --- das gewehr ist die politik, die politik ist das gewehr ...“

Ebenso unverblümt und affektiv besetzt ist die bereits zitierte Stelle in dem Info-Beitrag in Baader-Mat. 9 R - 10 R vom 22.1.1975:

„daß diese schweinerei nur eines noch ist: zerstörungswürdig ... das einzige problem ... wie ... weißt du daß es nicht mehr aufhört: kämpfen ... [194] krieg ... ganz egal wo ... ohne noch irgendwas ... für dich verantwortlich zu machen ... diese einzige produktivkraft auf die’s ankommt: revolutionäre gewalt.“

So schließt denn auch eine Äußerung in der Hauptverhandlung vom 20.1.1976, mit der die gemeinsame Sacherklärung von ihr ins rechte Licht gerückt werden soll:

„Revolutionäre Politik ist die Negation der Politik des Kapitals, hier und jetzt des US-Kapitals; die ist nur durch Kampf, dem bewaffneten Angriff ... zu entwickeln.“

Daß darin der Angeklagte Raspe nicht nachsteht, hat seine zitierte Äußerung über völkerrechtliche Kategorien in der Hauptverhandlung vom 4.5.1976 schon gezeigt:

„... die Politik der RAF, bewaffnete proletarische Politik, hat Kriterien - die jeder revolutionären Praxis - der bewaffneten Aktion ...“

Konkret wird er, wenn er in der Hauptverhandlung vom 11.5.1976 zum Vorsitzenden sagt:

„... keine andere Möglichkeit zuläßt, sich zu Ihnen in Beziehung zu setzen, als in einer Ecke mit einem Gewehr wartend.“

Wie sehr sich der Angeklagte Baader das Töten von Menschen zu eigen macht, hat der Kassiber „eure Sache ...“ (H 4/74/III 5/2/65/13) gezeigt, in dem er die folgenschweren Sprengstoffanschläge vom Mai 1972 herrisch fordernd zum Maßstab auch für die Zukunft setzt:

„die kriterien bringen die aktionen im mai 72. darunter läuft nichts.“

[195] Die innerlich so engagierten Angeklagten mit ihrem tatsächlichen Einfluss in der Gruppe, der bei den Angeklagten Baader und Ensslin nicht zu übergehen, aber an Ort seiner Tätigkeit auch beim Angeklagten Raspe bedeutend war, hielten sich im Frühjahr 1972 einschließlich des Monats Mai in Frankfurt auf. Hier befand sich aber in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener-Straße die Zentrale nebst den zugehörigen Garagen und Wohnungen, in der die verwendeten Sprengkörper fertiggestellt worden und von der alle sechs Sprengstoffanschläge ausgegangen sind. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat durch die imponierenden einschlägigen Funde in Frankfurt und Umgebung, die dieser Zentrale zuzurechnen sind, und - damit zusammentreffend - durch die Tatsache, daß die Sachspuren, die von den einzelnen Tatorten auf die Urheber zurückführen, sich hier konzentrieren. Vereinzelte Spuren, die in andere Städte führen (Hamburg, Stuttgart), beeinträchtigen das so gewonnene Bild nicht, zumal die indizierten Wohnungen in Hamburg und Stuttgart auch nicht entfernt einen Vergleich mit dem Befund in Frankfurt zulassen und keinen Anhalt bieten, daß dort zur Vorbereitung einzelner Anschläge mehr geschehen ist, als letzte Hand an die Verpackung der Sprengkörper zu legen, oder dass Werkzeug zum Diebstahl von Zubehör für ein Tatfahrzeug liegen geblieben ist. Diese Schlussfolgerung des Senats über den zentralen Ursprung aller sechs Sprengstoffanschläge in Frankfurt wird zusätzlich gestützt durch die [196] gemeinsame Herkunft der verwendeten Rohrbomben- und Feldflaschenhüllen aus der Werkstatt des Metallbildners Dierk Hoff in Frankfurt und die weiteren festgestellten chemischen und sonstigen Übereinstimmungen aller verwendeten Sprengmittel, die für den gemeinsamen Ursprung aller Anschläge sprechen. Daß diese Zentralisierung in Frankfurt über die bloße Fertigstellung und Lieferung der Sprengmittel hinausreicht, nämlich in das Stadium der Ausführung hinein, zeigt schon das wichtige Indiz, daß auch die festgestellten Sachspuren, die von Tatfahrzeugen ausgehen (München, Heidelberg), nach Frankfurt führen; örtlichen Gruppen, die mit der „autonomen“ Ausführung einzelner Anschläge befaßt gewesen wären, hätte es nach Auffassung des Senats leicht fallen müssen, die vergleichsweise einfache Aufgabe der Beschaffung und Zubereitung von Tatfahrzeugen selbstständig zu bewältigen. So war es aber nicht.

Die Anwesenheit der drei Angeklagten in der Zentrale Frankfurt während der kritischen Zeit hat der Senat wie folgt festgestellt:

Der Angeklagte Raspe gehört zu den aus anderen Gründen feststehenden „RAF“-Mitgliedern, deren Fingerspuren in der - auch durch ihn indizierten - „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße gesichert worden sind, die sich dann als die Bombenzentrale herausgestellt hat; die Spuren befanden sich einmal an einem Trinkglas auf dem Boden vor einer Schlafstelle und zweimal an einer Flasche [197] Jägermeister in einem Regal; sie befanden sich überdies an einer Steckdose in der zum Abfüllen von Sprengstoffen benutzten „RAF“-Garage in der Ginnheimer Landstraße. Nach den glaubhaften Bekundungen des Studenten Pracht hat dieser nicht nur im Almenweg in Kaiserslautern eine Wohnung für den Angeklagten Raspe gemietet („Schütz“), sondern auch eine Wohnung in Frankfurt mieten sollen und insbesondere die von ihm gemietete „RAF“-Garage in der Ginnheimer Landstraße in Frankfurt dem Angeklagten Raspe auf dessen Wunsch zur Benutzung überlassen. Der Angeklagte Raspe überbrachte Mietzahlungen; er nahm Ende April/Anfang Mai 1972 noch einen Ausweis Prachts mit; insgesamt trafen sich Pracht und Raspe in Frankfurt 1971/72 10 bis 15 mal, davon allein dreimal zu Ende April/Anfang Mai 1972, Mitte Mai und Ende Mai 1972. Der Ausweis Prachts ist bei der Festnahme des Angeklagten Raspe am 1. Juni 1972 von dem Polizeibeamten Reinke sichergestellt worden; das bestätigt die Aussage des Zeugen Pracht.

Die Hausfrau Anni Sauer hat nach ihren glaubhaften Bekundungen und den zuverlässigen Aussagen des Kriminalbeamten Strauß bei einer Wahlgegenüberstellung in dem Angeklagten Raspe den jungen Mann wiedererkannt, der einmal in der Kohlbrandstraße in Frankfurt aus einem Pkw Porsche mit einem auffallenden Konstanzer Kennzeichen ausstieg, der dort in der Nähe der Inheidenerstraße in den Monaten März/Mai 1972 regelmässig tags- [198] über geparkt war.

Mit eben dem Porsche KN-CU 90 war der Angeklagte Raspe vorgefahren, als er wiederum in Frankfurt in der Nähe der zum Abfüllen von Sprengstoff benutzten „RAF“-Garage im Hofeckweg festgenommen wurde. Dies geschah nur wenige Tage nach dem letzten Sprengstoffanschlag und - wie die einschlägigen Funde in Frankfurt und der „Ensslin-Kassiber“ („noch zweimal ... wie besprochen“) zeigen - solange noch weitere Sprengstoffanschläge bevorstanden.

Insbesondere aber zeigen auch die Aussagen des Metallbildners Hoff, daß dieser sich mit dem Angeklagten Raspe im Frühjahr 1972 immer wieder bis kurze Zeit vor dem ersten Sprengstoffanschlag am 11. Mai 1972 in der Werkstatt Hoffs in Frankfurt getroffen hat, der Angeklagte Raspe also in den Wochen und Monaten, die den Anschlägen vorausgingen, sich regelmäßig in Frankfurt aufgehalten hat. Diese Aussagen Hoffs sind glaubhaft. Davon ist der Senat umsomehr überzeugt, als es gerade der Angeklagte Raspe war, der die Aussagen Hoffs in verschiedenen Punkten immer wieder als unwahr angegriffen hat (insbesondere: Hoff sei von Meins bedroht worden, Baader habe Hoff aufgesucht, Hoff habe den Verwendungszweck der Sprengkörperhüllen nicht gekannt), dagegen mit keinem Wort die ausführliche Schilderung Hoffs über dessen Kontakte mit dem Angeklagten Raspe [199] selbst versucht hat in Zweifel zu ziehen.

Von der Angeklagten Ensslin sind in Frankfurt eine Reihe von Spuren gesichert worden: in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße zwei Fingerspuren (an einer Porzellanschale auf dem Küchentisch), ihre Handschrift auf einem Poster an der Wand, das von verschiedenen Personen zu Notizen verwendet wurde, auf einem Briefumschlag und einem Einkaufszettel; ferner führte sie bei ihrer Festnahme einen Schlüssel mit sich, der zum Briefkastenschloss der Wohnung passte; in der „RAF“-Wohnung in der Raimundstraße ist ihre Fingerspur an einer Kaba-Dose gesichert worden. Das Zusammentreffen dieser Anzeichen ist für den Senat schon Beweis genug, daß die Angeklagte sich in Frankfurt und dort auch in der erst ab Januar 1972 gemieteten - und - wie Zeitungen sowie Strom- und Telefonrechnungen zeigen - bis Mai 1972 benutzten Wohnung aufgehalten hat.

Dazu kommen aber noch die Aussagen zuverlässiger Zeugen, aus denen sich für den Senat ihr Aufenthalt in der Wohnung in der Inheidener Straße gerade auch in den Monaten April und Mai 1972 ergibt. Die „RAF“-Wohnung befand sich im Haus Inheidener Straße 69. In der Inheidener Straße 67, in einem HL-Markt, waren die Zeuginnen Markovic und Seidemann als Verkäuferinnen in der Fleischabteilung [200] beschäftigt. Die Zeugin Markovic hat die Angeklagte Ensslin im Verlauf von drei bis vier Wochen von etwa Mitte April bis Mitte Mai 1972 insgesamt sieben- bis achtmal, die Zeugin Seidemann in der Zeit zwischen März/April 1972 bis einige Wochen vor der Festnahme am 8. Juni 1972 zwei- bis dreimal in dem Laden beobachtet. Die Angeklagte fiel auf, weil sie besonders teure Wurst in größeren Mengen kaufte. Nach den zuverlässigen Aussagen der Kriminalbeamten Hans-Joachim Müller und Mondry handelte es sich um die Angeklagte Ensslin, die auf einem Lichtbild und bei einer Wahlgegenüberstellung von den beiden Verkäuferinnen nach deren glaubhaften Aussagen mit Sicherheit wiedererkannt worden ist.

Vom Angeklagten Baader sind in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße vier Fingerspuren (an einer Saftflasche in der Abfalltüte, an einer Bratpfanne auf dem Herd, an einem Regal und an einer Bierdose vor einer Matratze) gesichert worden.

Festgenommen wurde er bei der zum Abfüllen von Sprengstoff verwendeten „RAF“-Garage im Hofeckweg am 1. Juni 1972, also wenige Tage nach dem letzten Sprengstoffanschlag und - wie wiederum die einschlägigen Funde in Frankfurt und der „Ensslin-Kassiber“ („noch zweimal ... wie besprochen“) zeigen - solange noch weitere Spreng- [201] stoffanschläge bevorstanden.

Beim ersten Sprengstoffanschlag am 11. Mai 1972 ist er in Frankfurt etwa 20 Minuten nach der Tat am Rande des Tatortgeländes von der Sekretärin Sonja Siemsen gesehen worden. Die Zeugin hat das glaubhaft bekundet. Der Angeklagte fiel ihr durch den Gang und den Gesichtsausdruck auf; er ging hart an der Zeugin vorbei. Nach den zuverlässigen Aussagen der Kriminalbeamten Pöter, Habekost und Ruckmich handelte es sich um den Angeklagten Baader, der von der Zeugin Siemsen nach deren glaubhaften Aussagen bei einer Gegenüberstellung in Köln mit Sicherheit wiedererkannt worden ist. Dem steht nicht entgegen, daß die Zeugin bei einer früheren Gegenüberstellung in Düsseldorf sich nicht sicher war; dort lag der Angeklagte in der Krankenabteilung im Bett und zog sich sofort die Bettdecke unter die Nase, als er die Zeugin erblickte. Auch auf Zeitungsfotos, die den Angeklagten Baader tatsächlich darstellen, hatte sie ihn schon wieder erkannt. Der Aussage der Zeugin Sonja Siemsen steht auch nicht die Aussage ihrer Tochter Astrid Siemsen entgegen, die bei der Gegenüberstellung in Köln ebenfalls den Angeklagten Baader als den Mann ansah, der auch ihr am 11. Mai 1972 aufgefallen war, die aber jetzt an der früher bekundeten Sicherheit nicht mehr festhalten will. Die Tochter war, im Gegensatz zu ihrer sehr bestimmten Mutter, ängstlich und glaubte, Zeitungsfotos könnten sie beeinflusst haben.

[202] Bei einem Vernehmungsversuch nach der Festnahme reagierte der Angeklagte Baader auf den Vorhalt des Kriminalbeamten Federau, Baader und Raspe hätten sich auch in der Wohnung in der Inheidener Straße aufgehalten, zustimmend; das bekundete glaubhaft der Zeuge Federau.

Der Senat hat keine Zweifel, daß alle drei Angeklagte im Frühjahr 1972 einschließlich des Monats Mai sich in Frankfurt und dort auch in der Inheidener Straße aufgehalten haben. Dem steht nicht entgegen, daß die Angeklagten Baader und Ensslin nach den Bekundungen der Diplompsychologin Molsen von Februar bis Mitte April 1972 mehrfach auch in Tübingen aufgetreten sind und dort zwei- bis dreimal übernachtet haben. Die Wohnung in der Inheidener Straße ist ohnehin nur in der verhältnismässig kurzen Zeit von Januar bis einschließlich Mai 1972 von „RAF“-Angehörigen benützt worden, so daß allein schon die dort hinterlassenen Spuren der Angeklagten sie schwer belasten.

Alle drei Angeklagten haben an der Vorbereitung der Sprengstoffanschläge mitgewirkt. Diese Überzeugung hat der Senat wie folgt gewonnen:

Der Angeklagte Raspe bot sich zunächst mit seinen [203] chemischen Vorkenntnissen zur Sprengstoff-Herstellung an, wenn er sich schon in Frankfurt aufhielt, wo die Sprengstoffe hergestellt wurden. Tatsächlich sind dann auch bei seiner Festnahme Spuren gesichert worden, die seinen Umgang mit Sprengstoff und -bestandteilen bestätigen. In dem Pkw Porsche, in dem er vor der Garage im Hofeckweg vorgefahren war, befand sich neben einer Handgranate mit gewerblichem Sprengstoff und einer Kassettenbombe mit rotem Sprengstoff auch eine Schaufel mit Anhaftungen von Mennige und Aluminium (also von Bestandteilen des roten Sprengstoffs). Abfüllgerät, Sprengstoffmaterial und fertiger Sprengstoff befanden sich auch in der Garage: Eimer, Schaufel und Trichter mit Anhaftungen von Ammonium- und Nitrationen, Kohle, Holz, Aluminium und Mennige (also Bestandteile des grauen und roten Sprengstoffs); ferner Schwefel, Holzkohle und das graue Sprengstoffgemisch. Legen diese Anzeichen, die auf den Untersuchungen des sachkundigen und zuverlässigen Zeugen Dr. E. Müller vom Bundeskriminalamt beruhen, den Umgang des Angeklagten Raspe mit Sprengstoff schon nahe, so bestätigen dies die an dem Angeklagten vorgefundenen Spuren vollends. Unter den Fingernägeln - Proben sicherten zuverlässig die Polizeibeamten Habekost und Haustein - und an Hose, Socken und Schuhen - gesichert von den Polizeibeamten Nötzel und Edgar Schäfer - hafteten in größerer Zahl Aluminiumteilchen von der gleichen Größe und brombeerartigen [204] Oberflächenstruktur wie Aluminiumpulver, das in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße sichergestellt worden ist (E 23 VI 5/145). Das ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Goebel vom Bundeskriminalamt. Aluminium war Bestandteil des roten Sprengstoffs. Weiter sind nach den zuverlässigen Polizeibeamten Edgar Schäfer, Nötzel und Schneider in der Kleidung des Angeklagten Stahlkugeln gesichert worden (B 54 IV 3.2 Pos. 4), deren Durchmesser (7,938 mm) und chemische Zusammensetzung nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Pohl von der Bundesanstalt für Materialprüfung anderen Stahlkugeln entsprachen, die in zwei Doppelrohrbomben in Bad Homburg (E 34 III 5/5 und 6), in der „Baby“-Bombe in Frankfurt in der Inheidener Straße (E 23 V 5/349) und dort in handelsüblichen Packungen (E 23 V 5/237) vorgefunden wurden. Auch der Sprengstoff in zwei 11 kg-Gasflaschen in der Inheidener Straße (E 23 V 5/351 und 352) war mit Stahlkugeln, wenn auch geringeren Durchmessers, angereichert.

Dazu kommen die Aussagen des Metallbildners Hoff. Danach war es der von Hoff in der Hauptverhandlung identifizierte Angeklagte Raspe („Lester“), der zusammen mit dem früheren Angeschuldigten Meins über Monate hinweg bis kurze Zeit vor dem Beginn der Sprengstoffanschläge die Hoff’sche Werkstatt in Frankfurt aufsuchte und da- [205] bei mitwirkte, Hoff zur Unterstützung für die „RAF“ zu gewinnen und ihm Aufträge zu erteilen (Handgranatenoberteile, Schrotabschußgeräte, Umbau eines Schrotgewehrs und einer Maschinenpistole, Baby-Bombe, Handgranatenhüllen, Schlossauszieher, Werkzeuggürtel). Insbesondere aber fertigte Hoff die Hüllen für die auch zu Anschlägen verwendeten Feldflaschenbomben einschließlich der Magnetbomben, nachdem ihm Meins in Begleitung des Angeklagten Raspe den Auftrag erteilt hatte, und die Hüllen für die verwendeten Rohrbomben, nachdem ihn der Angeklagte Raspe dazu bestimmt hatte, diese Sprengkörper noch für die „RAF“ herzustellen.

Diese Aussagen Hoffs sind glaubhaft. Wie schon ausgeführt, gilt dies umsomehr, als gerade der Angeklagte Raspe sich in verschiedenen Punkten gegen die Aussagen des Zeugen Hoff wandte (Meins habe ihn bedroht, Baader besucht, den Verwendungszweck der Sprengkörperhüllen habe er nicht gekannt) - mit keinem Wort aber die ihn selbst treffende schwere Belastung in Zweifel zog. Im Gegenteil: Der Angeklagte Raspe hielt in der Hauptverhandlung vom 4. Februar 1976 dem Zeugen Hoff vor, dieser habe die Idee gehabt, die „Baby-Bombe“, die eine Schwangerschaft vortäuschen sollte, zu bauen, und fuhr dann fort: „Wir“ - also auch Raspe - „fanden deine Idee damals ziemlich skurril.“ In der Hauptverhandlung vom 7. April 1976 erklärte der Angeklagte Raspe:

[206] „Hoff war also mal mit Holger befreundet, und er kannte ihn seit 68. Er wusste, daß er für die RAF gearbeitet hat, und er hat die Sache, die er gemacht, also seine Arbeit, natürlich im Bewusstsein dessen gemacht, daß es Waffen sind, und zwar freiwillig, mit Initiative und engagiert. Das ist die Grundlage der connection ...“

Damit bestätigt der Angeklagte auch noch die von Hoff entfaltete Tätigkeit für die „RAF“ und bringt zum Ausdruck, er wisse über Hoff genau Bescheid.

Der Senat hat keinen Zweifel, daß der Angeklagte Raspe an den Vorbereitungen der Sprengstoffanschläge in Frankfurt insgesamt intensiv mitgewirkt hat.

Der Angeklagte Baader ist vor seiner Festnahme am 1. Juni 1972 zusammen mit dem Angeklagten Raspe vor der zum Abfüllen von Sprengstoff benutzten Garage im Hofeckweg mit dem Pkw Porsche vorgefahren, in dem sich Sprengkörper und Abfüllgeräte mit Anhaftungen von Sprengstoffbestandteilen befanden. Auch an ihm sind Spuren gesichert worden, die insgesamt zeigen, daß er mit Sprengstoff umgegangen und nicht nur zufällig damit in Berührung gekommen ist. Die von dem Kriminalbeamten Mondry gesicherten Fingernagelproben enthielten Aluminiumteilchen von der gleichen Grössenordnung wie das in der Inheidener Straße vorgefundene Aluminiumpulver (E 23 VI 5/145); das hat der Sachverständige Goebel überzeugend ausgeführt. In der Tasche der von den Polizeibeamten Mondry und Schlegelmilch [207] gesicherten Hose des Angeklagten befanden sich - so wiederum der Sachverständige Goebel - Anhaftungen von Bleimennige und Aluminium. Beide Stoffe sind Bestandteile des roten Sprengstoffs.

Auf die umfassenden Detailkenntnisse des Angeklagten Baader über die Herstellung von Sprengstoffen und Sprengkörpern ist bereits im Zusammenhang mit dem von ihm stammenden Kassiber „sprengstoffbunker in steinbrüchen ...“ (H 4/74/III/5.221/1) hingewiesen worden. Diese Kenntnisse stimmen mit den Befunden in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße und an den Tatorten der Sprengstoffanschläge auffallend überein. Sie geben nicht nur theoretisches Wissen wieder, sondern praktische Erfahrungen, wie man am besten die tatsächlich verwendeten Sprengstoffe herstellt, welche quantitative Zusammensetzung dieser Sprengstoffe - in Abweichung von den Rezepten - die bessere ist und welche Kniffe bei der Herstellung der unkonventionellen Zündvorrichtungen zu beachten sind. Daß der Angeklagte Baader über dieses umfassende Erfahrungswissen verfügt, zeigt, daß er bei der Fertigung der Sprengkörper in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße intensiv mitgewirkt und sich nicht nur - was auch gesichert ist - in der Zentrale in Frankfurt aufgehalten hat.

[208] Bei der Angeklagten Ensslin sind, als sie am 8. Juni 1972 in Hamburg festgenommen wurde, keine vergleichbaren Spuren gesichert worden. Gleichwohl hat der Senat keine Zweifel, daß auch sie an der Fertigung der Sprengkörper in der Zentrale in Frankfurt tatkräftig mitgewirkt hat. Das legt ihr gerade auch für die Monate April und Mai 1972 gesicherter Aufenthalt in der Inheidener Straße in Frankfurt schon nahe. Kein Grund ist ersichtlich, warum sie als führendes „RAF“-Mitglied, das sich nicht nur vorübergehend in der Bombenzentrale aufhielt, dort nicht auch in das umfassende Beschaffungs- und Fertigungsprogramm für die Herstellung der Sprengkörper einbezogen werden sollte. Auf die Verbindung von Theorie und Praxis, auf den „Kader“, der möglichst alles macht (zweite „RAF“-Schrift, Seite 57: „... dass Stadtguerilla tendenziell die Aufhebung von Arbeitsteilung sein muss ...“), wurde ohnehin größter Wert in der Gruppe gelegt (was besondere Fähigkeiten und Neigungen einzelner nicht ausschließt). Dazu kommt der bei der Angeklagten Ensslin besonders stark entwickelte Drang, aktiv zu sein, sich zu engagieren, etwas zu bewerkstelligen. Daß gerade sie sich im April/Mai 1972 in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße aufgehalten haben soll, ohne dort an den Vorbereitungen für die Anschläge aktiv mitzuwirken, schließt der Senat aus.

[209] Im übrigen wird die Tatsache, für welche die Mitwirkung an der Sprengkörperfertigung nur ein Indiz unter anderem ist, nämlich die Verabredung der einzelnen Sprengstoffanschläge, gerade bei der Angeklagten Ensslin durch ein schriftliches Beweisanzeichen unmittelbar belegt: sie gibt im „Ensslin-Kassiber“ zu erkennen, daß sie an der Besprechung von einzelnen, zukünftigen Anschlägen teilgenommen hat.

[210] Aus den zusammentreffenden sachlichen und persönlichen Beweisanzeichen ergeben sich für den Senat folgende Erwägungen und Schlußfolgerungen:

In Frankfurt, in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße und um diese herum, werden im Frühjahr 1972 alle sechs von der „RAF“ begangenen Sprengstoffanschläge vorbereitet. Dort findet sich ein einmaliges Arsenal von Sprengkörpern und Mitteln zur Fertigung von Sprengkörpern; dort konzentrieren sich die festgestellten Sachspuren, die von den Tatorten auf die Urheber der Anschläge zurückführen. Auch der Metallbildner Hoff hat dort seine Werkstatt; von ihm stammt ein Großteil der tatsächlich verwendeten Sprengkörperhüllen; die Hüllen, Sprengstoffe und Zündvorrichtungen der unkonventionellen Sprengkörper zeigen ohnehin vielfache Übereinstimmungen und weisen auf eine gemeinsame Herkunft hin. Selbst von den zur Ausführung der Anschläge in München und Heidelberg verwendeten Tatfahrzeugen führen Sachspuren in die Zentrale Frankfurt. In Frankfurt sind die Sprengkörper fertiggestellt worden. Von hier sind alle sechs Sprengstoffanschläge der „RAF“ ausgegangen.

An diesem Ort haben sich aber die drei Angeklagten in der für die Vorbereitung der Sprengstoffanschläge in Betracht kommenden Zeit im Frühjahr 1972 aufgehalten. Hier haben sie sich auch in der für die Organisation [211] der einzelnen Anschläge in Betracht kommenden Zeit im Mai 1972 aufgehalten. Die sie belastenden Beweisanzeichen verdichten sich für den Senat zu der Überzeugung, daß die Angeklagten in die umfassenden Vorbereitungen zur Fertigstellung der bei den Anschlägen verwendeten Sprengkörper eingespannt waren; sie haben daran intensiv mitgewirkt. Das taten sie nicht nur als Lieferanten der Sprengkörper, für Geld oder weil sie die technische Aufgabe gereizt hätte, ohne daß sie an dem weiteren Verlauf der Dinge interessiert gewesen wären. Vielmehr fertigten sie die Sprengkörper als eingeschworene Mitglieder der „RAF“, deren Ziele sie mit vollem persönlichem Einsatz verwirklichen wollten.

Wenn aber schon die so motivierten Angeklagten die verwendeten Sprengkörper unter Mühen und Gefahren, voller Einfälle und Initiativen zündfertig hergestellt hatten, so liegt es nahe, daß sie dafür sorgten, daß die Taten, die sie auf diese Weise vorbereitet hatten, dann auch ausgeführt wurden. Bei dem ersten Anschlag in Frankfurt selbst drängt sich dies aus dem örtlichen Zusammenhang ohnehin auf. Kein Grund ist ersichtlich, warum der dortige Anschlag ohne ihre, wie auch immer geartete, konkrete Mitwirkung - an den in Frankfurt sich aufhaltenden Angeklagten vorbei - hätte ausgeführt werden sollen. Tatsächlich ist auch der Angeklagte Baader am Tatort selbst in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Tat gesehen worden. Aber auch an anderen Orten, wie in München und Heidelberg, zeigten die indi- [212] viduellen Spuren, die von den Tatfahrzeugen in die Zentrale Frankfurt zurückführen, daß von hier aus nicht nur die Sprengkörper bereitgestellt und geliefert wurden, sondern daß auch die Ausführung der von der „RAF“ begangenen Anschläge von Frankfurt aus, wo sich die Angeklagten als Angehörige der „RAF“ aufhielten, organisiert worden ist.

Die Fertigung der Sprengkörper in Frankfurt u. a. durch die Angeklagten führte jedenfalls dazu, daß die Angeklagten im Besitz der zu den Anschlägen benötigten Sprengkörper waren und über diese verfügten. Kein Anschlag mit den in Frankfurt bereitgestellten Sprengmitteln konnte begangen werden, ohne daß - je nach den Besonderheiten des Tatortes - die für einen bestimmten Anschlag erforderliche Zahl und Art von Sprengkörpern in Frankfurt, wo sich die Sprengmittel und die Angeklagten als ihre Hersteller befanden, von Fall zu Fall ausgefolgt wurden. In Frankfurt einschließlich der hierher zu rechnenden Homburger Funde fanden sich Sprengkörper und Sprengstoffe auf Vorrat, nicht aber an anderen Orten im Bundesgebiet, etwa Hamburg und Stuttgart, d. h. in Unterschlupfen, die auch in einen Zusammenhang mit den tatsächlich ausgeführten Anschlägen zu bringen sind. Wenn die frühere [213] Angeklagte Meinhof in Langenhagen drei Sprengkörper mit sich führte, so handelte es sich durchweg um Wurfgranaten mit mechanischen Zündern, die für Anschläge mit einer Zeitzündung nicht in Betracht kamen; außerdem war sie in einer Phase der Umgruppierung unterwegs mit dem „Ensslin-Kassiber“, der weitere Anschläge „wie besprochen“ vorsah. Keinerlei Anzeichen liegen also vor, daß an anderen Orten im Bundesgebiet als dem Produktionsort Frankfurt für Anschläge erforderliche Sprengkörper auf Vorrat bereitlagen. Alles deutet darauf hin, daß von dort die verwendeten Sprengkörper erst dann an die Zielorte verbracht wurden, wenn die konkreten Ziele feststanden. Dies legt es nahe, daß in Frankfurt, wo sich die Angeklagten aufhielten, über die von ihnen gefertigten Sprengmittel jeweils zu ganz bestimmten Anschlägen verfügt wurde.

Zu den Personen, die in Frankfurt die verwendeten Sprengkörper gefertigt hatten und über sie verfügten, gehörte aber ausgerechnet der Angeklagte Baader, der in der Gruppe die „Funktion von Führung“ besaß, „den weitesten Blick“ hatte, der die Maßstäbe setzte (was „läuft“ oder „nicht läuft“), von dem auch die treffendsten Begriffe aus dem Bereich der Kriegführung stammen und der es selbst aus der Haft heraus unternimmt, anderen mit großer Eindringlichkeit Direktiven darüber zu geben, was sie konkret zu tun haben. Nach alledem ist der Senat überzeugt, daß der [214] Angeklagte Baader, wenn er sich schon in der Zentrale in Frankfurt aufhielt, an der Vorbereitung der Sprengstoffanschläge intensiv mitgewirkt hatte und auch noch der führende Kopf in der Gruppe war, dann auch an der Absprache beteiligt war, wo und wann und mit welchen Mitteln die einzelnen Anschläge ausgeführt werden sollten.

Zu dem gleichen Schluß kommt er bei der Angeklagten Ensslin. Auch sie hielt sich in der Zentrale auf, hatte an der Vorbereitung der Sprengstoffanschläge mitgewirkt, und sie hat sich als eine Person erwiesen, die sich mit Ideen, Initiativen, organisatorischem Ehrgeiz zur Geltung bringt und bestimmenden Einfluß auf Entscheidungen sucht. Auch sie hat es, so mit dem „Ensslin-Kassiber“, noch aus der Haft heraus unternommen, die noch auf freiem Fuß befindlichen „RAF“-Mitglieder zu dirigieren, was sie im einzelnen zu tun haben. Insbesondere aber gibt sie im sog. „Ensslin-Kassiber“ zu erkennen, daß sie tatsächlich an einer konkreten Absprache über, wenn auch erst bevorstehende, Sprengstoffanschläge teilgenommen hat. Nach der Überzeugung des Senats hat sie dies auch bei den sechs ausgeführten Anschlägen getan.

Steht somit fest, daß in der Zentrale in Frankfurt nicht nur die zu den Anschlägen erforderlichen Sprengkörper zur Verfügung gestellt wurden, sondern dort auch die [215] konkreten Absprachen darüber getroffen wurden, wo, wann und wie die Sprengkörper verwendet werden sollten, so drängt es sich dem Senat auf, daß auch der voll engagierte Angeklagte Raspe an diesen Absprachen mitwirkte, wenn er sich schon in Frankfurt aufhielt, dort eine bedeutende Rolle spielte und es um die Verwendung der unter seiner maßgeblichen Mitwirkung (siehe etwa Hoff!) und inneren Anteilnahme gefertigten Sprengkörper ging. Auch davon ist der Senat überzeugt.

Wenn weitere Anschläge, die - wie die Vorräte und der „Ensslin-Kassiber“ zeigen - noch bevorstanden, nach der Festnahme der Angeklagten dann tatsächlich nicht mehr stattfanden, so paßt dies nur in das so gewonnene Bild.

Für das Zusammenwirken der drei Angeklagten - möglicherweise noch mit anderen - bei der Absprache und Organisation der einzelnen Anschläge ist auch noch folgendes wichtig:

Mit den Sprengstoffanschlägen wurde ein neuer Abschnitt in der Entwicklung der „RAF“ eröffnet: der Übergang von der Phase der Formierung und des Aufbaus zur „Offensive“ einer kleinen Gruppe mit den kopierten Methoden der südamerikanischen Stadtguerilla[105] ohne jede Absicherung in einer relevanten Massenbasis. Damit sollten Nahziele [216] erreicht werden; der Angeklagte Baader Beschreibt sie in dem Kassiber II 4/74/III/5/2/65/14: die Vorbereitung von Forderungen nach Geld und Gefangenenbefreiung. Zugleich sollte aber auch durch eine aufsehenerregende „bewaffnete Propaganda“ die Rechtsordnung herausgefordert und zu Reaktionen verleitet werden, die den allgemeinen Widerwillen erst hervorrufen sollten, der sich von selbst nicht einstellte und durch Überzeugungsbildung nicht zu erzeugen war. Auf diesem Umweg, vermeinten die Angeklagten, sei die „massenhafte Insubordination“ auch durch eine kleine Gruppe zu bewirken. Das haben die Angeklagten im Rahmen ihrer Sacherklärung unverblümt zum Ausdruck gebracht. Die Sprengstoffanschläge, die politisch etwas vermitteln sollten, mußten also nicht nur operativ zweckmäßig, sondern auch ideologisch richtig sein. Das ungewöhnliche Unterfangen, auf diese Weise etwas bewirken zu wollen, mußte so angelegt werden, daß es zu den ideologischen Vorstellungen der Gruppe paßte und daß es vor Gesinnungsverwandten und in der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden konnte. So erklärt sich die Tatsache, daß nach den Anschlägen in Kommando-Erklärungen jeweils der Versuch unternommen wird zu erläutern, warum überhaupt ein Sprengstoffanschlag und weshalb gerade dieser verübt worden ist. In ihrer Tonband-Erklärung vom 31. Mai 1972 verwendet die frühere Angeklagte Meinhof große Mühe darauf, selbst sympathi- [217] sierenden Kreisen zu erklären, daß alle Anschläge in einem objektiven Sinn notwendig gewesen und nicht etwa kleinlichen Rachegefühlen entsprungen seien, die kein Verständnis erwarten dürften oder sonst in ihrer Zielrichtung als unüberlegt und ungeschickt zu verurteilen seien. Nicht nur der Übergang zu Sprengstoff anschlägen überhaupt, „die Linie“, sondern auch die ideologisch richtige Auswahl der einzelnen Objekte war also von grundlegender Bedeutung für das Selbstverständnis und den Zusammenhalt der Gruppe, für die ideologische Auseinandersetzung mit anderen und für die Rechtfertigung in der Öffentlichkeit.

Aufgrund dieser Erwägungen, die sich auf die Äußerungen der Angeklagten und die Verlautbarungen der „RAF“ stützen, hält es der Senat für ausgeschlossen, daß einzelne Personen, etwa der Angeklagte Baader allein, die Entscheidung abschließend getroffen haben, wo und wann der jeweilige Sprengstoffanschlag verübt wird. Einzelne Personen mögen mit Vorschlägen, Ideen, hervorgetreten sein, oder sie haben einen maßgeblichen, nicht zu übergehenden Standpunkt, auch in einer sehr bestimmten Form, zur Geltung gebracht: in jeden Fall war nach der Überzeugung des Senats die in Frankfurt getroffene Festlegung des Ziels eines Anschlags so wichtig, daß es dazu einer wie auch immer gearteten Verständigung unter Gruppenmitgliedern, eines innerhalb der Gruppe erzielten Konsenses, bedurfte, um einer solchen Entscheidung die nötige Legitimation zu [218] verschaffen. Dies gilt um so mehr, als die dargelegten Äußerungen über die Struktur der Gruppe zeigen, welcher große Wert bei Entscheidungsprozessen auf das Wechselspiel von Führung und Kollektiv gelegt wird, als in einem Kassiber (Baader-Mat. 5/1 - 9 vom 16.7.1973) sogar gefordert wird, daß von einem bestimmten Niveau an Aktionen nicht gemacht werden, „wenn auch nur ein Kämpfer dagegen ist“, und daß es immer das Kollektiv ist, das dann den Befehl für die Phase der Ausführung einer Entscheidung erteilt. Der kollektive Entscheidungsprozeß ist ein zentrales Anliegen der Gruppe.

Das bedeutet: Wenn ein Bedürfnis für eine Verständigung unter Gruppenmitgliedern über die einzelnen Sprengstoffanschläge bestand, so ist ein Grund mehr vorhanden, daß alle drei Angeklagten an den in Frankfurt getroffenen Entscheidungen für die einzelnen Anschläge beteiligt waren. In welchem Umfang die Angeklagten bei dieser Absprache jeweils mitgewirkt haben - wer Initiativen entwickelt, sich mehr oder weniger ausführlich äußerte oder einfach nur Zustimmung kundgab -, ist im einzelnen nicht festzustellen. Darauf kommt es in diesem Zusammenhang auch nicht an. Wichtig ist, daß die - wie auch immer geartete - Zustimmung eines jeden der drei Angeklagten für den Senat feststeht und daß diese Zustimmung zu der dargelegten umfassenden Verständigung führte.

[219] Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch, daß die unter Mitwirkung der Angeklagten erfolgte Absprache über die einzelnen Sprengstoffanschläge nur der Abschluß eines längeren Entscheidungsprozesses war. Wenn nämlich über Wochen und Monate hinweg Sprengkörper hergestellt wurden, die dann zu einer Serie rasch aufeinander folgender Anschläge verwendet wurden, so drängt es sich rückblickend auf, daß mit dieser intensiven Vorbereitung auch der Plan ausgereift ist, nunmehr zu Sprengstoffanschlägen überzugehen. Wer sich dann - wie die Angeklagten - an diesen Vorbereitungen tatkräftig und aus innerer Anteilnahme für die Ziele der Gruppe beteiligte, gab damit schon in diesem Stadium zu erkennen, daß er mit der Verübung von Sprengstoffanschlägen grundsätzlich einverstanden war. Daß die Angeklagten keine Vorbehalte gegen die Anschläge hatten und sie - vom bloßen Ablauf in einem Fall abgesehen - auch heute noch gutheißen, haben sie in der Hauptverhandlung deutlich gemacht. Das schwerwiegende allgemeine Einverständnis, Sprengstoffverbrechen zu begehen, war also unter den drei Angeklagten schon in der Phase der Vorbereitung erzielt, und die Angeklagten brauchten danach nur noch festzulegen, wo, wann und wie die grundsätzlich beschlossenen Anschläge verübt werden sollten. Dieser abschließende Teil des Entscheidungsprozesses konnte im Einzelfall rasch und ohne größere Erörterungen erledigt werden.

[220] Auf diese Weise ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, daß die drei Angeklagten alle sechs Sprengstoffanschläge im einzelnen verabredet und mit Hilfe der von ihnen fertiggestellten Sprengkörper organisiert haben. Das so gewonnene Bild wird durch die Aussagen des früheren „RAF“-Mitglieds Gerhard Müller bestätigt und abgerundet.

Der Zeuge Müller wurde in eigener Sache am 16. März 1976 - rechtskräftig[106] seit 10. September 1976 - wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (der „RAF“) und Beihilfe zum Mord, zu Sprengstoffverbrechen u. a. (Sprengstoffanschläge in Frankfurt, Augsburg, München, Karlsruhe, Hamburg, Heidelberg im Mai 1972) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Er ist am 15. Juni 1972 in Langenhagen als Begleiter der früheren Angeklagten Meinhof festgenommen worden. In der Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt, die von der „RAF“ nur in der kurzen Zeit von Januar bis einschließlich Mai 1972 benutzt wurde, sind seine Spuren festgestellt worden: fünf von den Kriminalbeamten Eifler und Drehmann gesicherte Fingerspuren (u. a. an einer Likörflasche auf dem Küchentisch) stammen nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Neuendorf von Müller; seine Handschrift befindet sich auf einem in der Wohnung gefundenen Schußwaffenprospekt (E 23 V/84), das hat der Sachverständige Hecker über- [221] zeugend dargelegt. In der „RAF“-Garage in der Ginnheimer Landstraße in Frankfurt haben die Kriminalbeamten Eifler und Drehmann im Kofferraum eines Personenkraftwagens an einem Kfz-Kennzeichen eine Fingerspur gesichert, die - so wiederum der Sachverständige Neuendorf - ebenfalls von Müller stammt. Auch in der „RAF“-Wohnung in der Raimundstraße in Frankfurt ist eine Fingerspur - von dem Kriminalbeamten Behr - gesichert worden, die nach dem Sachverständigen Neuendorf von Müller herrührt. Bei ihm handelt es sich um jenen „Harry“ (oder auch „Hardy“), von dem der Metallbildner Hoff bekundet, er sei mit ihm in Frankfurt im Frühjahr 1972 mehrfach zusammengetroffen; insbesondere sei „Harry“ dabeigewesen, als das Halbzeug (Rohrstück) für die Rohrbomben in Frankfurt-Riederwald von einem Ford Transit in Hoffs VW-Bus umgeladen wurde, und „Harry“ habe am 11. Mai 1972, dem Tag des Sprengstoffanschlags in Frankfurt, fertige Rohrbombenhüllen in seiner Werkstatt abgeholt. Allerdings hat Hoff im Jahre 1976 in der Hauptverhandlung in Hamburg gegen Müller diesen nicht wiedererkannt. Wohl aber bezeichnet er Müller auf einem Foto in der Lichtbildmappe (Nr. 22) bei dem Kriminalbeamten Freter und in der Hauptverhandlung in diesem Verfahren, zum Teil mit Einschränkungen, als den von ihm geschilderten „Harry“. Die Identität ergibt sich für den Senat schon aus folgendem: In einem Schreiben von Rechtsanwalt [222] Ströbele vom 12. Juli 1972, das u.a. an den Angeklagten Baader gerichtet ist (Meinhof-Mat. XV/37, I 3.4 R vom 16.7.1973), heißt es:

„Das, was Meins schreibt, daß die Themenstellung von Müller etwas zu allgemein ist, wird von einigen unterstützt. Es gilt, und das ist eine Aufgabe für Euch, die Themen und Auswahlkriterien näher zu bestimmen. Ich warte auf Vorschläge. Zeitungen nur im Rahmen einzelner Arbeitsprogramme auszuwerten ist sicher auch richtig, doch ich meine, es wäre für alle Seiten, auch für die Information der Anwälte besser, wenn wir das gerafft ausgesucht und zusammengeschnitten von Euch bekommen, was an der täglichen Zeitungslektüre wichtig ist.“

In einem 4 Tage später, am 16. Juli 1972, in der Zelle des Angeklagten Baader sichergestellten Kassiber („das ist so ein entwurf zu einem informationsprogramm ...“, Baader-Mat. 16/1.2 vom 16.7.1973) äußert sich der Kassiber-Verfasser, nach der Aufforderung durch Rechtsanwalt Ströbele, zu demselben Thema:

„die zeitungsauswertung durch die gefangenen ist nur möglich wenn in dem informationsbüro einer sitzt der alles redundante zeug rausschmeißt, wir brauchen nur die information, nicht die dokumentation. weil 90 % der nachrichten auf dieselben agenturmeldungen zurückgehen jeder sowieso eine überregionale zeitung liest, bleibt da nicht zuviel übrig. ich habe auch keine lust hier nur den ganzen tag herumzuschnipseln, kommt mir so vor als würden die stichworte die Harry vorschlägt jeweils die ganze zeitung mit annoncen und sport bedeuten.“

In der Hauptverhandlung hat Müller von sich aus die Übergabe des Rohrstücks aus eigener Kenntnis ebenfalls geschildert und schließlich zugegeben, der „Harry“ zu sein, der mit dem Sprengkörper-Hersteller „Pfirsich“ (Hoff) in Verbindung stand. Derselbe „Harry“ bzw. [223] „Hardy“ wird angesprochen, wenn es in dem bei der Festnahme der früheren Angeklagten Meinhof und Müllers sichergestellten „Ensslin-Kassiber“ heißt:

„Ha: noch zwei X davon einmal Amerika (möglichst!) und einmal wie besprochen ...“,

ferner

„Mühle als Depot, teures Depot, aber gut, wenn Mac noch zwei Monate ... Hardy weiß schon ...“.

Bei Müller handelt es sich also um einen kompetenten Zeugen.

Allerdings ist er kein unbefangener, er ist ein problematischer Zeuge. Er war ein sehr aktives „RAF“-Mitglied und hat mindestens an der Vorbereitung der Sprengstoffanschläge tatkräftig mitgewirkt. Aus welchen Gründen auch immer, hat er sich von der Gruppe getrennt und einen irreparablen Schlußstrich unter seine frühere Tätigkeit gezogen. Diese Trennung und ihre Gründe mögen seine Aussagen emotional belasten. Er selbst bekennt sich offen dazu, daß er früher einen „Haß auf die RAF“ gehabt hat, und daß ihn nicht nur deren Taten, sondern auch das persönliche Verhalten etwa des Angeklagten Baader ihm gegenüber zur Abkehr von der Gruppe bewegt haben. Allerdings will er sich bemühen, objektiv zu sein, und er ist nach dem Eindruck, den er in der Hauptverhandlung hinterlassen hat, intelligent und selbständig genug, um seine Abneigung kontrollieren zu können. Gleichwohl wäre es nicht unge- [224] wöhnlich, wenn er gegen die Angeklagten immer noch voreingenommen wäre. Deshalb hat der Senat seine Aussagen mit besonderer Vorsicht gewürdigt. Er verwertet sie zu Lasten der Angeklagten nur dann, wenn sie entweder im einzelnen in anderen Beweisanzeichen eine für die Überzeugungsbildung genügende Stütze finden, oder insofern als sie im Ergebnis ohnehin nur bestätigen, was für den Senat anderweitig bereits erwiesen ist; auch diese Aussagen - daß nämlich die drei Angeklagten zu den Urhebern aller sechs Sprengstoffanschläge gehören - lassen sich im einzelnen durch Beweisanzeichen vielfach abstützen und auf ihre Glaubwürdigkeit überprüfen.

Nach den insoweit auf jeden Fall glaubhaften Aussagen Müllers hielten sich die drei Angeklagten im Frühjahr 1972 in Frankfurt und dort insbesondere in der Wohnung in der Inheidener Straße (ihrer „Hauptwohnung“) auf. Dort bereiteten sie die Sprengstoffanschläge vor. Sie besorgten - zusammen mit anderen - Rezepte und Chemikalien und mischten dann den Sprengstoff; sie beschafften die Sprengkörperhüllen, insbesondere über den Metallbildner Hoff, aber auch durch den Diebstahl von Gasflaschen an Baustellen; sie füllten die Sprengkörper mit Sprengstoff und präparierten sie mit Zündvorrichtungen, so daß sie rasch zündfertig gemacht werden konnten. Dabei wirkten sie im einzelnen in unterschiedlicher Beteiligung mit. Insgesamt jedenfalls [225] stellten sie die später verwendeten Sprengkörper mit vereinten Kräften her; darauf kommt es dem Senat an. Nach den weiteren glaubhaften Aussagen Müllers sind die Sprengkörper zunächst auf Vorrat hergestellt worden. Dabei stand fest, daß Anschläge begangen werden sollten. Gegen welche konkreten Ziele sie geführt werden sollten, stand noch nicht fest. Die Ziele wurden kurzfristig, zum Teil an Tagesereignisse anknüpfend, festgelegt. Vorschläge wurden von dem einen oder anderen Beteiligten gemacht und zum Teil dann ausführlich diskutiert oder auch ohne weitere Erörterung akzeptiert. Dann wurden die Örtlichkeiten erkundet, die erforderlichen Fahrzeuge bereitgestellt, die vorgesehenen Sprengkörper zündfertig gemacht, zum Tatort befördert und dort abgelegt. Daran wirkten einzelne Angeklagte, aber auch andere Gruppenmitglieder, mit; nicht jeder Angeklagte soll bei jedem Anschlag bei der Ausführung am Tatort beteiligt gewesen sein. Auch soll sich die Mitwirkung der drei Angeklagten vor dem Anschlag in Hamburg darauf beschränkt haben, das Vorhaben mit der früheren Angeklagten Meinhof eingehend zu erörtern, das Einverständnis zu erteilen und ihr die fünf Rohrbomben mitzugeben, damit sie diese - zusammen mit anderen Gruppenmitgliedern - im Verlagshaus Springer ablege. Indes kommt es darauf dem Senat im einzelnen nicht an. Entscheidend für ihn ist vielmehr, daß nach den glaubhaften Aussagen Müllers die Absprache, wo, [226] wann und mit welchen Sprengkörpern die sechs Sprengstoffanschläge verübt werden sollten, jeweils in Frankfurt unter der Mitwirkung der drei Angeklagten getroffen und dann mit den von den Angeklagten gemeinsam fertig- und bereitgestellten Sprengkörpern ausgeführt wurden. Die Angeklagten gehörten zu dem Kreis von Gruppenmitgliedern der „RAF“, von dem die einzelnen Anschläge „kamen“ und der „die Entscheidungsebene“ bildete. Anschließend verfaßte dann, immer noch nach den glaubhaften Bekundungen Müllers, die frühere Angeklagte Meinhof die Kommando-Erklärungen.

Diese Aussagen, die sich im Ergebnis mit den anderweitig getroffenen Feststellungen des Senats decken, werden durch zahlreiche Beweisanzeichen untermauert, die für die Glaubwürdigkeit sprechen.

So zeigen die von dem Zeugen hinterlassenen Spuren, die schon angeführt worden sind, in ihrer Gesamtheit, daß Müller sich tatsächlich auch in der Zentrale in Frankfurt aufgehalten hat. Nach seinen Bekundungen, mit denen er sich stark belastet, beschaffte er selbst in einem erheblichen Umfang Chemikalien, Halbzeug, Zündermaterial und anderes zur Sprengkörperfertigung in Frankfurt (bei der dann die Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe wie schon bei der Beschaffung beteiligt gewesen sind). Wenn er in diesem Zusammenhang schildert, er habe unter dem Namen einer Fantasiefirma unter anderem 500 kg Ammoniumnitrat in einer Frank- [227] furter Chemikalienhandlung gekauft, so findet sich dafür ein Beleg in Form eines Lieferscheins der Firma Hoelzle und Chelius in Frankfurt vom 24. April 1972 für eine nicht existente „Firma Merkko“ in Frankfurt, Mainzer Landstraße 227, über 10 Säcke à 50 kg Ammoniumnitrat; auf die Lieferfirma und den dort erhobenen Lieferschein stieß der Kriminalbeamte Döhla aufgrund eines Aufklebers, der sich an einem in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße sichergestellten Papiersack befand. Ammoniumnitrat ist in unvermischtem Zustand in der „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße und in der Garage in der Ginnheimer Landstraße in Frankfurt sichergestellt worden; nach Müller wurden die Chemikalien zunächst in Garagen, u.a. in der Ginnheimer Landstraße, gelagert, und dann nach und nach in die Inheidener Straße zur Sprengstoffherstellung verbracht. Ähnlich verhält es sich, wenn der Zeuge bekundet, er habe Säuren und Alkohol, diesmal in Offenbach in einer Drogerie, und Säuren in Gießen gekauft: in der Wohnung in der Inheidener Straße fanden sich Behältnisse der Marktdrogerie in Offenbach und der Firma Winterhoff in Gießen (E 23 VII/6 u. 7) die, wie der sachkundige Zeuge Dr. E. Müller vom Bundeskriminalamt zuverlässig bekundet hat, tatsächlich Schwefelsäure, Salpetersäure und Weingeist enthielten. Diese Chemikalien dienen, wie der Sachverständige Dr. Stupp erläutert [228] hat, zur Herstellung von Knallquecksilber; dazu sind sie - so wieder der Zeuge Gerhard Müller - tatsächlich verwendet worden. Er erkennt auch Behältnisse in der Inheidener Straße wieder, in denen elementares Quecksilber aufbewahrt worden sein soll; tatsächlich hat sich in ihnen nach den Untersuchungen des sachkundigen Zeugen Dr. E. Müller Quecksilber befunden (E 23 I/1). Eisenoxyd, das für die vorgefundenen Sprengstoffgemische uncharakteristisch ist, hat Müller nach seinen Aussagen in einer kleineren Menge zu Versuchszwecken beschafft; tatsächlich ist in der Wohnung in der Inheidener Straße eine leere Tüte mit der Aufschrift „Eisenoxyd“ (E 23 VI/64) sichergestellt worden, und dem Sprengstoff der in Hamburg nicht detonierten Rohrbomben waren nach den Untersuchungen des Sachverständigen Dr. Trimborn auch geringe Mengen von Eisenoxyd beigemischt. Weitere Chemikalienkäufe finden insofern eine Bestätigung, als derartige Stoffe unvermischt oder als Sprengstoffbestandteile in der Frankfurter Zentrale vorgefunden worden sind, so etwa Aluminium, Mennige, Schwefel, Holzkohle, Holzmehl und Kaliumnitrat. Auch Kaliumchlorat, das Müller nach seinen Aussagen beschaffte, ist in Rezepten in Frankfurt und Homburg zusammen mit Zucker als Zusatz zur Initialzündung des roten Sprengstoffs erwähnt (E 23 V/84, E 34 II/129.10).

Der Zeuge Müller weiß über das „Anarchistische Kochbuch“ und über das „rote Rezept“, das nach seinen [229] Bekundungen von den Angeklagten Ensslin aus Berlin besorgt worden ist, Bescheid; beide Asservate sind in der Inheidener Straße gefunden worden (E 23 V/69.3, E 23 V/84). Er weiß, daß, wie und warum - er sagt: vom Angeklagten Baader - mit der Zusammensetzung des roten Sprengstoffs in Abweichung von dem Rezept experimentiert worden ist; die abweichenden Mischungsverhältnisse finden sich auf einem Zettel aus der Inheidener Straße (E 23 VI/61). Berechnungen über den grauen Sprengstoff stehen auf demselben Zettel; als Urheber gibt er sich selbst an. Wenn er bekundet, der Angeklagte Raspe habe in einer Universitätsbibliothek ein Werk über Sprengstofftechnik gestohlen, so trifft sich dies mit einer Stelle in dem von dem Angeklagten Baader stammenden Kassiber H 4/74/II/5.221/1; dort heißt es:

„gibt so’n standartbuch über sprengstoffe aus der ddr, zwei bände in denen wirklich alles steht (also sämtliche sprengstoffe seit ihrer erfindung herstellung etc.) hat einer von uns in einer bibliothek in ffm geklaut.“

In zahlreichen weiteren Punkten decken sich die Aussagen Müllers mit den vom Senat bereits erhobenen Befunden: etwa über 50 Volt-Varta-Batterien Pertrix 49 von der Fa. Arlt in Frankfurt, Stahlkugeln bestimmter Abmessungen von SKF zur Anreicherung des Sprengstoffs, Aluminiumrohren bestimmter Abmessung für die Zünderherstellung, Kaufhauswecker, dem Diebstahl von Zündkapseln und Sprengschnüren aus einem Steinbruch, den in Frankfurt [230] in der Inheidener Straße vorgefundenen Gerätschaften zum Mahlen und Mischen von Chemikalien.

Wenn der Zeuge Müller von einem Schweizer Sympathisanten berichtet, der von zwei Verzögerungsgliedern eine Ausführung geliefert haben soll, so befindet sich ein Zündverzögerer unter den Homburger Funden (E 1/48), und Züricher sowie andere Schweizer Kfz-Kennzeichen, die ebenfalls in Bad Homburg aufgefunden worden sind (E 34 II/99 - 101), sprechen für Verbindungen in die Schweiz. Soll derselbe Schweizer nach den Aussagen Müllers bei einem Besuch in der „RAF“-Wohnung in der Raimundstraße in Frankfurt einen Kommando-Brief mitgenommen haben, um ihn an der Schweizer Grenze einzuwerfen, so steht fest, daß die Kommando-Erklärung „Thomas Weisbecker“ vom 16.5.1972 an die dpa Hamburg tatsächlich in Lörrach zur Post gegeben worden ist. Aussagen Müllers über Wohnungen bzw. Garagen und deren Decknamen sind in einer Reihe von Fällen überprüft worden; sie können insgesamt bedenkenfrei übernommen werden. Seine Aussagen über Sachen, die in Bad Homburg sichergestellt worden sind, bestätigen den Zusammenhang der dortigen Funde mit der Frankfurter Zentrale.

Der Zeuge Müller weiß über die Sprengkörper, über die verschiedenen Arten, ihren Aufbau und ihre Verwendung bestens Bescheid. Seine Aussagen darüber decken sich mit den anderweitigen Befunden oder fügen sich, wo sie weitergehen, in das durch die sonstige Beweisaufnahme gewonnene Bild. Über die Herkunft der Sprengkörper [231] sagen er und der Metallbildner Hoff das gleiche aus. Danach stammen von Hoff die Hüllen für die Rohrbomben, die Feldflaschenbomben in den verschiedenen Ausführungen, für Handgranaten, für die „Baby-Bombe“ (ebenso wie Schloßauszieher, Schrotabschußgeräte, ein Nitriergerät und anderes von dem Metallbildner geliefert wurde). Nicht von Hoff stammen nach den übereinstimmenden Aussagen beider Zeugen: Nippelbomben, Kassettenbomben und Gasflaschen. Letztere wurden - so Müller - mit dessen Hilfe an zwei Baustellen gestohlen. Zu den Nippelbomben bekundet er, daß sie in der Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt von Gruppenmitgliedern selbst gefertigt wurden; tatsächlich sind dort passende 2 Zoll-Gewindekappen sichergestellt worden (E 23 V/241). Geldkassetten wurden - wiederum nach Müller - ebenfalls von Gruppenmitgliedern selbst verschweißt; tatsächlich sind Schweißelektroden in Bad Homburg gesichert worden (E 34 II/33). Selbst ungewöhnliche Einzelteile, die ihm vorgelegt worden sind, hat der Zeuge zutreffend bestimmten Sprengkörpern zugeordnet. Vorgelegt wurden ihm: der „on/off“-Schalter aus einer in Hamburg nicht detonierten [232] Rohrbombe, ein Parallelstück dazu aus Bad Homburg nebst „Racimex“-Verpackungsmaterial aus der Inheidener Straße in Frankfurt (B 51 2. St. Pos. 1.3, E 34 II/58.1, E 23 V 296.24); ferner eine Abdeckung aus Spachtelmasse von einer in Hamburg nicht detonierten Rohrbombe und ein Parallelstück dazu aus der Inheidener Straße in Frankfurt (B 51 2. St. Pos. 1.4, E 23 V/308). Der Zeuge weiß, daß solche Zubehörstücke für Rohrbomben in Hamburg bestimmt waren; er hat sie in Frankfurt in der Inheidener Straße gesehen.

Was der Zeuge Müller darüber bekundet, wie die einzelnen Sprengstoffanschläge ausgeführt worden sind, deckt sich mit dem Sachbefund. Wo seine Aussagen darüber hinaus gehen und für die Feststellungen verwertet worden sind, sind sie durch Beweisanzeichen so hinreichend gestützt, daß der Senat sie für zutreffend erachtet.

Bei dem Anschlag in Frankfurt sind - so Müller - eine Nippelbombe in der Telefonzelle (Sprengstelle 1), eine Rohrbombe und eine 11 kg-Gasflasche verwendet worden. Daß an der Sprengstelle 2 eine Rohrbombe detoniert ist, steht nach dem Fund einer charakteristischen Bodenplatte mit Körnerschlag und Anreißkreuz sowie dem schon erörterten vergleichenden Gutachten der Sachverständigen Prof. Schönherr und Prof. Pohl von der Bundesanstalt für Materialprüfung fest. Nach demselben Gutachten stammen die untersuchten Splitter („29/3“ und „29/7“, „29/5“ und „29/6“) von der Sprengstelle 1 (Telefonzelle) von zwei verschiedenen Halbzeugen, die jedoch keine Übereinstimmung mit anderem untersuchtem [233] Material, insbesondere auch nicht mit den Mänteln und Böden der Rohrbomben, aufweisen; das paßt zu den in Bad Homburg sichergestellten Nippelbomben (E 34 III/5 und 6), die aus verschiedenen, im Handel so geführten Gewinderohrstücken zusammengesetzt waren. Bei den zahlreichen Splittern der Sprengstelle 3 (Kasino) zeigt schon der Augenschein, daß sie fast ausnahmslos nach Stärke, Farbe und Oberflächenbeschaffenheit mit dem Material von Rohr- oder Nippelbomben nichts gemein haben, wohl aber von einer Flüssiggasflasche stammen können. Wenn schließlich der Kriminalbeamte Krug zuverlässig bekundet, nach seinem damaligen Eindruck sei die Detonationswirkung an der Sprengstelle 3 deutlich am stärksten, an der Sprengstelle 2 weniger stark und an der Sprengstelle 1 am geringsten gewesen, so paßt dies ins Bild der drei von Müller angeführten Sprengkörper mit ihrem recht unterschiedlichen Fassungsvermögen.

Zum Augsburger Anschlag bekundet Müller, drei Sprengkörper seien von der Inheidener Straße in Frankfurt auf den Weg gebracht und dann auch verwendet worden; darunter habe sich eine Rohrbombe und eine 0,8 l- Pressluftflasche befunden. Beim dritten Sprengkörper ist er sich nicht sicher; er meint, wenn es eine Feldflaschenbombe gewesen sein sollte, dann könne sie keine Magnetfüße gehabt haben. Diese Aussagen decken sich mit den Feststellungen des Senats.

[234] Ebenso verhält es sich mit dem Münchener Anschlag. Dort sei eine der drei großen Gasflaschen detoniert. Tatsächlich ist der Halsringsplitter einer grossen 33 kg-Gasflasche am Tatort gefunden worden. Das Tatfahrzeug, ein blauer Ford 17M, sei von Frankfurt aus in Ulm gestohlen worden. Tatsächlich ist das Fahrzeug in Neu-Ulm dem Kaufmann Lawrowicz entwendet worden. Nach den Feststellungen ist es in Frankfurt für den Anschlag präpariert worden.

In Karlsruhe ist, wie Müller zutreffend aussagt, eine Feldflaschenbombe mit Magnetfüßen verwendet worden. Dem Zeugen sind mit Sicherheit insgesamt zwei Magnetbomben bekannt. Tatsächlich ist ein zweiter Sprengkörper dieser Art (E 23 V/350) in der Inheidener Straße in Frankfurt sichergestellt worden. Der Zeuge berichtet, am Vorabend der Tat sei in der Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt noch ein Kabel geschwärzt worden. Tatsächlich war die Zündleitung für den Sprengkörper innerhalb des Motorraums des VW in Karlsruhe geschwärzt.

Für den Sprengstoffanschlag in Hamburg sind nach Müller vier oder fünf Rohrbomben auf den Weg gebracht worden. Nach den Feststellungen sind tatsächlich insgesamt fünf Rohrbomben deponiert worden. Auf die von Müller zutreffend geschilderte, ungewöhnliche Ausstattung einer Rohrbombe mit einem „on/off“-Schalter und einer Abdeckung aus Spachtelmasse ist bereits hingewiesen [235] worden. Die Parallelstücke dazu fanden sich in Frankfurt und Bad Homburg.

Von dem Heidelberger Anschlag weiß der Zeuge in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Senats zu berichten, welche Tatfahrzeuge verwendet und wo sie gestohlen wurden. Er bekundet, für den Ford 17M sei eine große Gasflasche in der Garage im Hofeckweg in Frankfurt hergerichtet worden. Tatsächlich ist an der Sprengstelle 1 - dort war der Ford 17M abgestellt worden - der Halsringsplitter einer 33 kg-Gasflasche gefunden worden; das zugehörige Typenschild ist in der Garage im Hofeckweg gesichert worden. In dem VW (Tatfahrzeug Sprengstelle 2) sind - so Müller - zwei 11 kg-Gasflaschen deponiert worden. Gesichert worden ist an dieser Sprengstelle ein Halsringsplitter, der zu einer 11 kg-Gasflasche gehören kann. Auffallend war jedoch, daß an der Sprengstelle - so etwa der Kriminaltechniker Pelzing - dicht beieinander zwei Vertiefungen im Erdreich beobachtet worden sind. Das spricht für die Aussage Müllers; der Senat folgt ihr. Für die Verwendung von 11 kg-Gasflaschen spricht, daß in der Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt verschiedene abgehebelte Typenschilder sichergestellt worden sind, die zu 11 kg-Gasflaschen gehören (E 23 V/306; 378; 379; E 23 VI/86).

Auch wenn das frühere „RAF“-Mitglied Müller über die [236] Ausführung der Sprengstoffanschläge nur vom Hörensagen[107] oder aufgrund von Beobachtungen in der Frankfurter Zentrale berichtet, zum Teil auch von seinem Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO[108] Gebrauch gemacht hat, so belastet er sich selbst schwer mit den Aussagen über seine eigene Mitwirkung bei der Vorbereitung der Anschläge. Das ist selbst dann beachtlich, wenn er davon ausgegangen sein sollte, insoweit, nach seiner eigenen Verurteilung und da die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, keine rechtlichen Auswirkungen befürchten zu müssen; rechtskräftig war das Urteil zur Zeit seiner Aussagen noch nicht.[109]

Aber auch da, wo er im Zusammenhang mit den Sprengstoffanschlägen andere Personen (als sich oder die drei Angeklagten) belastet, halten seine Aussagen in mehrfacher Hinsicht der Nachprüfung stand, oder die Beweisaufnahme liefert jedenfalls keinen Anlaß zu Zweifeln in diesen Punkten. So hat Müller den mit dem Metallbildner Hoff identischen „Pfirsich“ belastet, bestimmte Sprengkörperhüllen - neben anderen Vorrichtungen - hergestellt und an die „RAF“ geliefert zu haben: Rohrbomben, Feldflaschenbomben, „Baby-Bombe“, Handgranaten. Hoff selbst gibt diesen objektiven Sachverhalt glaubhaft zu.

Weiter hat Müller im Zusammenhang mit Kontakten zu dem Metallbildner Hoff die Namen der Gruppenmitglieder [237] Meins und auch Raspe, schließlich auch sich selbst genannt. Das trifft sich mit den glaubwürdigen Aussagen Hoffs, der als Kontaktpersonen neben Müller den früheren Angeschuldigten Meins und - in weiterem Umfang als Müller dies getan hat - den Angeklagten Raspe nennt, gerade insoweit aber von dem Angeklagten Raspe nicht in Zweifel gezogen wird.

Wenn Müller bekundet, bei dem Frankfurter Anschlag habe u.a. der Angeklagte Baader bei der Ausführung am Tatort mitgewirkt, so befindet er sich in Übereinstimmung mit der Sekretärin Sonja Siemsen, die den Angeklagten Baader am Tatort im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Anschlag zuverlässig beobachtet hat.

Soll die frühere Angeklagte Meinhof nach Müller sämtliche Kommandoerklärungen, zum Teil in Frankfurt, zum Teil in Hamburg, verfaßt haben, so stimmt er mit den Feststellungen überein, die der Senat aufgrund einer Reihe von gewichtigen Beweisanzeichen getroffen hat.

Fingerspuren sind - wie die Aussagen der Kriminalbeamten Drehmann, Martin und Eifler sowie die Ausführungen des Sachverständigen Neuendorf zuverlässig ergeben - in der wichtigen „RAF“-Wohnung in der Inheidener Straße in Frankfurt nicht nur von dem früheren Angeschuldigten Meins und der früheren Angeklagten Meinhof gesichert worden, sondern auch von dem Gruppenmitglied [238] Bernhard Braun[110]; von ihm ist an einem Kraftfahrzeug der „RAF“-Garage in der Ginnheimer Landstraße in Frankfurt eine weitere Fingerspur von dem Kriminalbeamten Drehmann gesichert und von dem Sachverständigen Neuendorf identifiziert worden. Das spricht immerhin für die Aussage Müllers, u.a. sei auch Braun („Otto“) zeitweise an der Vorbereitung der Sprengstoffanschläge in Frankfurt beteiligt gewesen. In diesem Zusammenhang nennt er auch noch den Namen des Gruppenmitglieds Irmgard Möller[111] („Gaby“). Von ihr ist in Frankfurt keine Spur gesichert worden, wohl aber ist ihre Handschrift in Aufschrieben über den Polizeifunk in der „RAF“-Wohnung in der Seidenstraße in Stuttgart erkannt worden. Dieser Befund fügt sich in die weitere Aussage des Zeugen, Irmgard Möller sei nur „besuchsweise“ in Frankfurt gewesen; ihren regelmäßigen Aufenthalt habe sie in Stuttgart gehabt, dort habe sie die Funktion einer „Statthalterin“ wahrgenommen, die für Wohnungen, Personenkontakte und dergleichen zu sorgen hatte.

Nach allem handelt es sich bei dem früheren „RAF“-Mitglied Gerhard Müller um einen Zeugen, dessen personen- ebenso wie die sachbezogenen Aussagen über die Sprengstoffanschläge der Gruppe zuverlässig und genau sind. Der Senat sieht keinen Grund, ihm nicht auch zu glauben, wenn er bekundet, die drei Angeklagten gehörten [239] zu dem Personenkreis, der in dem festgestellten Umfang in Frankfurt die Sprengstoffanschläge vorbereitet, verabredet und organisiert hat. Viele Beweiszeichen stützen auch diesen Teil seiner Aussagen. Er bestätigt damit, was der Senat im Ergebnis ohnehin schon festgestellt hat. Ohne Eifer schildert er die Rolle der einzelnen Angeklagten, die als wichtige Gruppenmitglieder in Frankfurt versammelt waren und dort „die Entscheidungsebene“ für die Sprengstoffanschläge gebildet haben; er nennt sie „Kernmitglieder“, zu denen er sich, aber auch andere Mitglieder, die an den Vorbereitungen beteiligt waren (etwa Braun, Moeller), nicht zählt. Wenn er den Angeklagten Baader als den „führenden Kopf“ bezeichnet, der im Lernprozeß und in der Entwicklung der Gruppe immer „an der Front“ gestanden und daraus seinen „Autoritätsanspruch“ abgeleitet habe, so sagt er in der Sache nichts anderes, als von der früheren Angeklagten Meinhof und der Angeklagten Ensslin aus ihrer Sicht darüber zu hören war. Weist er den Angeklagten Ensslin und Raspe eine wichtige Rolle in der Gruppe zu, so ist auch dies anderweitig untermauert. Nicht ersichtlich ist, daß er einzelne Angeklagte gezielt belastet. Wenn der Senat die Beteiligung der Angeklagten an der Ausführung der einzelnen Anschläge aufgrund der Aussagen Müllers allein nicht festgestellt hat, so nur wegen der allgemeinen Vorsicht, die er - wie schon dargelegt - für geboten [240] hielt, nicht deshalb, weil der Zeuge Müller konkrete Zweifel an seinen diesbezüglichen Aussagen geweckt hätte. Auch wenn der Zeuge Müller vom Hörensagen bekundet, die Angeklagte Ensslin habe, nachdem sie im Laufe des Tages die Örtlichkeit im US-Hauptquartier in Frankfurt ausgekundschaftet hatte, die verpackte Rohrbombe zusammen mit einem Blumenstrauß auf das „Reisegepäck einer Reisegruppe“ legen wollen, andererseits die Firma Hotel-Plan erst abends wieder Reisegesellschaften beförderte und davon auszugehen ist, daß auch von der Konkurrenzfirma „American Express Company am 11. Mai 1972 den ganzen Tag über keine Reisegruppe abgefertigt“ wurde, so schließt sich beides nicht aus: im Hauptquartier eines Corps kann Reisegepäck von Personen anzutreffen sein, die etwa aus dienstlichen Gründen verreisen und deshalb private Reiseunternehmen nicht in Anspruch nehmen; das wäre nicht ungewöhnlich.

Auf die Beteiligung bei der Ausführung der Anschläge kommt es dem Senat im einzelnen nicht an. Wichtig für ihn ist es, daß die drei Angeklagten in jedem Falle zu den Urhebern der Anschläge gehören. Nach den Aussagen Müllers waren die Angeklagten bei bestimmten Anschlägen an der Ausführung der von ihnen abgesprochenen und organisierten Vorhaben nicht selbst beteiligt. Das gilt für alle drei Angeklagten in Hamburg, für den Angeklagten Raspe in Augsburg, München, möglicherweise [241] auch in Heidelberg, für die Angeklagte Ensslin in Augsburg, Karlsruhe und Heidelberg, für den Angeklagten Baader in Augsburg. Auch daran zeigt sich deutlich, daß dem Zeugen Müller an einer wahllosen Belastung der Angeklagten nicht gelegen ist.

Die Glaubwürdigkeit der Aussagen Müllers zu den Sprengstoffanschlägen ist nicht dadurch erschüttert worden, daß eine Reihe von Zeugen, die der „RAF“ zuzurechnen sind und sich zu ihr bekennen, die Zuverlässigkeit des abgesprungenen früheren Gruppenmitglieds als Zeuge in ein ungünstiges Licht zu rücken suchten, so die Zeugen Mohnhaupt[112], Stachowiak[113], Eckes[114], Grashof[115], Pohl[116], Schiller[117], Augustin[118], Hoppe[119], Möller, Schubert[120]. Ihre Aussagen waren durch Haß, Verzweiflung und die Heilserwartung eines „neuen Menschen“ gekennzeichnet, der in dem Angeklagten Baader schon als verwirklicht angesehen wird. Er habe von Anfang an den Begriff der „proletarischen Besitzlosigkeit“ - will sagen: den Verzicht auf alles Private - in sich verkörpert. Er habe den „größten Durchblick“ gehabt, weshalb ihm die „Funktion von Führung“ und „Orientierung“ zugefallen sei - jedoch nicht als Herrschaft, als Führung von Menschen, sondern gegen Institutionen, eben als eine notwendige Funktion, während das Verhältnis in der Gruppe durch Liebe, Zärtlichkeit und Offenheit, durch die von der Angeklagten Ensslin entwickelte „Intimität des illegalen [242] Kollektivs“ bestimmt worden sei. Es dem Angeklagten Baader gleichzutun, die Fähigkeit von Führung zu entwickeln - die „Kader-Linie“ - sichere nicht nur die Kontinuität der Guerilla, sondern antizipiere zugleich eine zukünftige Welt, in der jeder sich selbst führe - „das Ende von Politik“. Andere hätten dies, was Baader von Anfang an gewesen sei, in der Zwischenzeit auch geleistet, wenngleich es immer wieder schwerfalle, die „bürgerlichen Hüllen“, den „Dreck“ hinter sich zu lassen.

Auf dem Hintergrund dieser Weltschau, die aus der Gruppe der angeführten Zeugen vorgetragen worden ist, sind dann die Äußerungen zu sehen, die nach der richterlichen Ermahnung zur Wahrheit abgegeben worden sind:

„Wir sind nicht gewohnt, mit Leuten wie Ihnen zu reden, sondern auf Leute wie Sie zu schießen.“[121] (Hoppe)

„Das Verhältnis zwischen Ihnen und uns ist Krieg.“[122] (Grashof, ähnlich Moeller, Mohnhaupt, Eckes)

„Wir antizipieren jetzt im Kampf das Ziel, wofür wir kämpfen ... Wir sind befreites Gebiet. In der BRD ist nur bewaffneter Kampf aus der Illegalität möglich. Die einzige Möglichkeit zur Offensivposition ist Illegalität.“[123] (Schiller)

„Ich rede nicht zu Ihnen, sondern ich rede zu denen, die vielleicht irgendeinmal kämpfen wollen.“[124] (Schubert)

„Ich habe keine einzige Verpflichtung; ich habe nur die Verpflichtung die Revolution zu transformieren.“[125] (Augustin nach einer Belehrung des Vorsitzenden, daß er Fragen von Prozeßbeteiligten beantworten müsse.)

[243] „Das ist das Bewußtsein, was wir wollen, diesen Staat angreifen und vernichten.“[126] (Eckes)

„Man muss sich klarmachen, daß wir hier im imperialistischen Subzentrum BRD angefangen haben, eine Guerillaorganisation zu bilden ... Lassen Sie die Versuche, das ganze auf die Krimi-Ebene runterzubringen. Was ich bisher gesagt habe, soll heißen, daß die Ziele des Kampfes der Guerilla der Struktur der kämpfenden Truppe vermittelt sind und alles andere ist unmöglich, was hier behauptet worden ist.“[127] (Pohl)

„Mir geht es nicht darum, auf die kriminalistische Ebene einzusteigen ... Also Ihre Fragen werde ich überhaupt nicht beantworten.“[128] (Moeller)

„Ich will erstmal feststellen, weswegen ich aussage. Es geht nicht darum, irgendetwas zu beweisen.“[129] (Hoppe)

„Die Funktion, warum ich hier bin, ist, daß ich gegen den Dreck der psychologischen Kriegsführung etwas sagen will ... Was wir wollen, ist, gegen die BRD kämpfen. Aus diesem Entschluß heraus brauchen wir Waffen.“[130] (Stachowiak)

„Auf Ihre Fragen antworte ich sowieso nicht ... Ich bin ein Zeuge der Verteidigung, ich bin nicht Ihr Zeuge.“[131] (Augustin)

„Es ist eine Frechheit, mich über die Wahrheitspflicht zu belehren ... Ich gehe davon aus, daß ich die Chance, die Klaus Jünschke gestern hatte, hier nicht mehr habe.“[132]

(Pohl, nachdem der Zeuge Jünschke, der zu keiner Aussage zu bewegen war, am Vortage den Vorsitzenden tätlich angegriffen hatte.[133])

Auch die weiteren Zeugen Jansen[134], Pohle[135], Hochstein[136], Roll[137] und Reinders[138] haben aus ihrer Feindseligkeit gegen den Rechtsstaat keinen Hehl gemacht; wie verschiedene der angeführten Zeugen (Eckes, Grashof, Augustin, Moeller, Mohnhaupt, Schubert) waren sie [244] nicht bereit, Fragen aller Prozeßbeteiligten zu beantworten, Reinders berief sich dazu auf ein „Recht des internationalen Widerstandes“.[139] Die maßlosen Beleidigungen und Verleumdungen durch fast alle genannten Zeugen brauchen im einzelnen nicht erwähnt werden.

Mit den Aussagen dieser Zeugen ist schlechterdings nichts anzufangen. Sie geben offen zu erkennen, daß sie sich aus einer grundsätzlichen Einstellung heraus von der Wahrheitspflicht vor Gericht nicht leiten lassen wollen, oder sie sind nicht bereit, ihre Aussagen durch Fragen überprüfen zu lassen. Zwangsmittel verfangen nichts. Der Senat kann deshalb ihre Glaubwürdigkeit nicht beurteilen.

Wie sich „RAF“-Mitglieder zu verhalten haben, ist im übrigen in der von der früheren Angeklagten Meinhof stammenden zweiten „RAF“-Schrift „Stadtguerilla und Klassenkampf“ auf Seite 59 nachzulesen; dort heißt es:

„solidarität wird zur Waffe, wenn sie organisiert und konsequent angewendet wird: Gegenüber Gerichten, Polizei, Behörden, Vorgesetzten, Spitzeln, Verrätern. Wenn jede Zusammenarbeit mit denen verweigert wird, ihnen keine Mühe erspart, kein Beweis erleichtert, keine Information geschenkt, kein Aufwand abgenommen wird.“

Was die Ermordung des Polizeibeamten Schmid[140] in Hamburg im Oktober 1971 in der Nähe der Wohnung im Heeg- [245] barg anbelangt, so wurde diese Tat dem Zeugen Müller in dem gegen ihn geführten Verfahren zur Last gelegt; er ist aufgrund der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung wegen dieser Tat nicht verurteilt worden. In der hiesigen Hauptverhandlung hat er sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berufen und nur ganz allgemein erklärt, er habe den Polizeibeamten nicht erschossen. Aus einer so gehaltenen Aussage, mit der er sich der Gefahr einer Selbstbezichtigung entziehen wollte, kann der Senat keine Schlußfolgerungen über die Glaubwürdigkeit des Zeugen ziehen, auch wenn der Polizeibeamte Lemke bekundet hat, er meine, insgesamt hätten 3 Personen geschossen und eine dieser Personen sei der Zeuge Müller gewesen. Was die Zeugen Reinders, Pohle und Schiller, die sich der Wahrheit vor Gericht nicht verpflichtet fühlen, dazu bekundet haben, ist ohne Belang; ihre Aussagen taugen nichts.

Der Zeuge Müller hat schließlich auf Vorhalt früherer Aussagen über den verstorbenen Siegfried Hausner[141] bekundet: „Nach seiner Verhaftung und seiner Freilassung kam Hausner über den Rechtsanwalt Croissant im Frühjahr 1972 zur RAF.“ Rechtsanwalt Dr. Croissant hat dazu erklärt, daran sei kein wahres Wort; im übrigen machte er unter Berufung auf seine Schweigepflicht keine Aussagen. Der Senat geht aufgrund einer Wahrunterstellung[142] davon aus, daß die angeführte Aussage [246] Müllers in dieser Form unwahr ist. Er mißt dem jedoch, im Bewußtsein der Problematik des Zeugen Müller, keine so weitreichende Bedeutung bei, daß dadurch die für die Urteilsfeststellungen verwerteten Aussagen Müllers beeinträchtigt wären. Auch ist der Inhalt der für unwahr erachteten Aussage seiner Art nach von subjektiven Wertungen mitbestimmt, zumal Müller seine Schlußfolgerung wie folgt erläutert: Hausner sei nach seiner Entlassung auf das Büro Croissant gekommen, um dort Akten zu studieren, statt erwartungsgemäß Urlaub zu machen; dann habe es Kontakte des Anwaltsbüros Dr. Croissant, Lang u.a. mit der Angeklagten Ensslin gegeben, und danach sei Hausner von der RAF „abgecheckt“ worden.

Ähnlich verhält es sich, wenn der Zeuge Müller auf Befragen über Rechtsanwalt Golzem ausgesagt hat, dieser habe versucht, ihn gegen den Angeklagten Baader (den Rechtsanwalt Golzem auch verteidigte) „aufzubringen“, sein „Eindruck“ sei gewesen, daß Rechtsanwalt Golzem „gegen die RAF und gegen Baader eingestellt“ gewesen sei, und dann Rechtsanwalt Golzem wiederum bekundet, dem sei nicht so, umgekehrt sei Müller gegen Baader eingenommen gewesen. Als Beleg für einen regelrechten „Haß“ Müllers gegen den Angeklagten Baader zitiert er, was Müller bemerkte, als er Rechtsanwalt Golzem das Mandat entzog, nämlich schlicht folgendes: „auch wenn es Baader recht oder genehm ist“.

[247] Auch die Aussagen der Rechtsanwälte Ströbele, von Plottnitz und Laubscher vermochten an dem Bild, das der Senat aufgrund der vielfach überprüften Glaubwürdigkeit von dem Zeugen Müller gewonnen hat, nichts zu ändern. Rechtsanwalt Ströbele ist in die aus der Haft heraus fortgesetzten „RAF“-Umtriebe selbst verstrickt;[143] das zeigt sein Brief vom 16. Juni 1973 (Ensslin-Mat. II/27/51 vom 16.7.1973 „Liebe Genossen, ziemlich fertig bin ich von der Reise zurück ...“), mit dem seine Beteiligung an der Organisation des sogenannten „Info“-Systems, das dem Zusammenhalt und der Fortsetzung der „RAF“ diente, beleuchtet wird:

„Großes neues Projekt, das Arbeit für alle für Monate und Jahre bringt; Info-zentrale in HH und Erstellung von Analysen und konkrete Gruppenschulung. Nach einer Reihe gleichlautender Anregungen Plan mit Einzelheiten aus Schwalmstadt. Dort soll noch genaues Schema erstellt werden und außerdem soll ich mich mit Gr. und Be. treffen und näheres besprechen, eigentlich schon an diesem Wochenende. Aber ich finde die Typen nicht. Vielleicht klappt es doch noch. Auf jeden Fall gibt es dann ausführliche Nachricht vom Ergebnis unserer Besprechung.“

Seine Bekundungen darüber (daß damit die Guerilla geschult werden sollte, sei nie in Erwägung gezogen und nirgendwo besprochen worden) stehen in krassem Widerspruch zum Inhalt und schriftlich belegten Zweck des (mit römischen Ziffern unterteilten) „Info“-Materials. So heißt es in einem Kassiber (Baader-Mat. 5/1-9 vom 16.7.1973):

[248] „um die zirkulation und die zwei schuhe zu systematisieren folgendes: I ist RAF - also alles, was die Guerilla betrifft, schult... II ist knast - also alles, was die politischen gefangenen und die politisierung der gefängnisse betrifft... die verbreiterung der revolutionären basis draußen.“

Rechtsanwalt von Plottnitz erschöpfte sich in allgemeinen Wertungen über Müller und berief sich im übrigen auf seine Schweigepflicht. Rechtsanwalt Laubscher, der nur am Rande beispielsweise von Müller für bestimmte Verteidigerpraktiken erwähnt worden war, hatte „keine Erinnerung“, daß er Müller - wie dieser es bekundet hatte - über den Brief einer anderen Gefangenen durch Einblick in seine Handakten unterrichtet hatte.

Die umfangreiche Beweisaufnahme hat ergeben, daß die in der Hauptverhandlung insgesamt gemachte Aussage des Zeugen Gerhard Müller - nur sie ist insoweit maßgeblich - durch verbotene Vernehmungsmittel im Sinne des § 136a StPO[144] nicht beeinträchtigt worden ist. Die im Freibeweis[145] jederzeit zugängliche Nachprüfung der Art und Weise, wie die Aussagen des Zeugen zustandegekommen sind, läßt insbesondere nicht erkennen, daß mit unzulässigen Maßnahmen gedroht worden wäre oder daß das Versprechen gesetzlich nicht vorgesehener Vorteile sich ausgewirkt hätte. Dazu sind [249] insbesondere Polizeibeamte, Bundesanwälte, frühere Verteidiger, Journalisten, die Eltern des Zeugen und ein Mithäftling vernommen, dienstliche Auskünfte des Bundesjustizministers, des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts eingeholt, schließlich der Generalbundesanwalt Buback und der Präsident des Bundeskriminalamts Dr. Herold auch als Zeugen vernommen worden. Auch hat die Nachprüfung, wie der Autoschlosser Karl-Heinz Ruhland[146] früher behandelt worden ist, keine Anhaltspunkte für eine Vernehmungspraxis ergeben, die wiederum Rückschlüsse auf verbotene Vernehmungsmittel beim Zeugen Gerhard Müller zuließe. Geldzahlungen nicht eindeutiger Herkunft, die dem in seiner Lebensweise stark eingeschränkten Zeugen Ruhland nach seiner Haftentlassung zuflossen, aber vorher nicht erweislich zugesagt worden sind, haben keinen Einfluß auf die von ihm während der Haft gemachten Aussagen über die sogenannte „RAF“ gehabt; sie lassen insbesondere Schlüsse nicht zu, dem Zeugen Müller seien, obwohl die übrige umfassende Beweisaufnahme dafür keinen Fingerzeig gibt, gleichwohl ähnliche Zuwendungen in Aussicht gestellt worden. Auch die als wahr unterstellten Äußerungen Ruhlands gegenüber den Mitgefangenen Büsgen und Smura, die sich zum Teil auf Spekulationen Ruhlands über seine Strafhöhe, zum Teil auf banale Lebensmittelzuwendungen oder die spätere Beschäftigung Ruhlands beziehen, geben [250] dem Senat keinen Grund, daraus Schlußfolgerungen auf die Behandlung des Zeugen Gerhard Müller zu ziehen. Die Vorgänge liegen, soweit sie überhaupt von Belang sein sollten, zu weit auseinander, als daß sie Parallelen nahelegten. Daß in aufsehenerregenden Fällen die Presse sich Zugang zu Gefangenen zu verschaffen sucht und diese - wie das auch beim Zeugen Müller geschehen ist - für eine Verlautbarung honoriert werden, ist - unter den genannten Voraussetzungen - nicht ganz ungewöhnlich. Auch die Angeklagten haben sich - in diesem Fall unter Umgehung der haftrichterlichen Kontrolle[147] - in der Presse geäußert, so etwa im „Spiegel“ vom 20. Januar 1975. Nicht erwiesen ist, daß Vernehmungsbeamte oder sonstige staatliche Stellen die Pressekontakte dem Zeugen Müller ausdrücklich oder stillschweigend versprochen und dadurch Einfluß auf seine Aussagen genommen haben. Allein die Genehmigung von Pressebesuchen durch den Haftrichter besagt noch nichts. Wenn Vernehmungsbeamte Hinweise auf die mögliche Veränderung der Verfahrenslage des Zeugen in eigener Sache als Folge seiner Aussagen gegeben, wenn sie ihm etwa die Bestimmung des § 129 Abs. 6 StGB[148] verlesen und erläutert haben, so verstößt dies nicht gegen das Verbot des § 136a StPO. Das gleiche gilt für allgemeine Bemerkungen darüber, daß sich gute Führung oder wahrheitsgemässe Aussagen immer [251] günstig auswirken können.[149] Das kann sich vernünftigerweise jeder selbst sagen (vgl. BGHSt 20, 268)[150]. Nicht festzustellen war, daß ein „Strafnachlaß“ oder eine frühere Entlassung für den Fall einer Aussage des Zeugen versprochen worden wäre. Welche Hoffnungen der Zeuge von sich aus möglicherweise daran knüpfte, daß er Aussagen machte, kann für die Glaubwürdigkeitsprüfung eine Rolle spielen - das Verbot unzulässiger Vernehmungsmittel nach § 136a StPO wird davon nicht berührt.

Richtig ist allerdings, daß der Zeuge Gerhard Müller im Jahre 1975, solange die Hauptverhandlung in seiner eigenen Sache in Hamburg nicht abgeschlossen war, über die „RAF“ Hinweise gab, die unter dem Aktenzeichen 3 ARP 74/75 bei der Bundesanwaltschaft gesammelt, zunächst in vollem Umfang mit Sperrvermerk[151] versehen und daher in der in eigener Sache des Zeugen Müller geführten Hauptverhandlung nicht verwendet wurden. Es handelte sich, da Müller offen zu erkennen gab, daß er zu einzelnen Punkten mehr aussagen könnte, um offensichtlich lückenhafte Schilderungen, die meist in Aktennotizen aus der Erinnerung von Kriminalbeamten nachträglich und nur zum geringen Teil in Vernehmungsniederschriften fertiggestellt wurden. Müller war von den Kriminalbeamten Opitz und Petersen gesagt worden, daß diese die Aussagen als Verschluß- [252] sache (VS-vertraulich) behandelten; ein ungesetzliches Versprechen i.S. des § 136a StPO war insoweit nicht festzustellen. Dabei gab Müller auch Hinweise auf den Bombenbauer „Pfirsich“, den er anhand von Lichtbildern als Dierk Hoff identifizierte, und er erweckte den Eindruck, „Pfirsich“ persönlich zu kennen und in dessen Werkstatt gewesen zu sein; auch bezeichnete er sich selbst als „Harry“. Im Jahre 1976, nachdem er verurteilt worden war, die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet, er selbst jedoch Revision eingelegt hatte,[152] machte der Zeuge Müller wiederum Aussagen, die in ausführlichen und unterzeichneten Protokollen festgehalten und unter dem Aktenzeichen 1 BJs 7/76 in einem Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Unbekannt zusammengefaßt sind. Nunmehr wollte er „Pfirsich“ nur noch vom Hörensagen gekannt haben, bei der Übergabe des Halbzeugs der Rohrbomben an „Pfirsich“ zusammen mit anderen sei er allerdings zugegen gewesen. Die Kriminalbeamten Freimuth und Habekost hatten soweit Kenntnis von den Aussagen aus dem Jahre 1975, daß ihnen die Abweichung in diesem Punkt auffiel. Sie hielten ihm das vor. Müller bestand jedoch auf einer Protokollierung seiner eingeschränkten Bekundungen ohne Hinweis auf die - immer noch VS-vertraulich behandelten - weitergehenden früheren Aussagen. So geschah es. Welche Vorteile sich der [253] Zeuge Müller - begründet oder nicht - auch immer in dieser Verfahrenslage davon versprochen haben mag, daß über seine eigenen engen Beziehungen zu dem Bombenbauer der „RAF“ allgemein nichts bekannt werden sollte: derartige Vorteile sind mit seinen in der jetzigen Hauptverhandlung, in der für ihn gleichen Verfahrenslage, gemachten Aussagen weggefallen. Von dem Zeugen wurde nämlich, wenn auch auf eindringlichen Vorhalt, das aufgehellt, was in den BJs-Akten durch schriftliche Hinweise allenfalls hätte aufgedeckt werden können.[153] Der Zeuge Müller bekundete, er sei der von Hoff erwähnte „Harry“, der mit dem Metallbildner Kontakt gehalten habe, dessen Werkstatt aufgesucht habe und nicht etwa nur bei der Übergabe des Halbzeugs für die Rohrbomben an Hoff zugegen gewesen sei, sondern auch fertige Rohrbombenhüllen bei Hoff geholt habe; im übrigen berief er sich in der Hauptverhandlung auf sein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO. Ebenso aber wie Aussagen verwertbar sind, wenn ein früher ausgeübter Druck weggefallen ist (vgl. dazu BGH St 22, 129[154]), haben Vorteile, die sich Müller bei seinen polizeilichen Vernehmungen im Jahre 1976 versprochen haben mag, keine „Ausstrahlung“ mehr auf die von ihm in der Hauptverhandlung gemachten und für die Feststellung des Senats maßgeblichen Bekundungen dieses Zeugen; sie sind verwertbar.

[254] Die Glaubwürdigkeit der gerichtlichen Aussagen des Zeugen Gerhard Müller - auf sie kommt es an - ist auch durch anderweitige Schilderungen des Zeugen, außerhalb der Hauptverhandlung, nicht erschüttert worden.

Bei möglichen Abweichungen zwischen den früheren, in den Akten 3 ARP 74/75 und 1 BJs 7/76 festgehaltenen Schilderungen und den in der Hauptverhandlung gemachten Aussagen ist zunächst zu berücksichtigen, daß es sich bei den ARP-Akten fast durchweg um Aktenvermerke von Kriminalbeamten handelt, die nachträglich aus dem Gedächtnis zusammengefaßt haben, welche Hinweise sie zuvor in zum Teil ausgedehnten Gesprächen bekommen haben. Dabei ist verständlicherweise mit Ungenauigkeiten, falschen Zuordnungen oder sinnentstellenden Verkürzungen in Einzelfällen zu rechnen. Irrtümer sind auch nachgewiesen worden. So berichtete der sonst zuverlässige Kriminalbeamte Mann nach einem Journalistenbesuch in den ARP-Akten über einen mit einem Zwischenfall verbundenen Chemikalien-Transport nach Frankfurt durch den Zeugen Gerhard Müller und den Angeklagten Baader. Tatsächlich hatte Müller als seinen Begleiter den früheren Angeschuldigten Meins genannt. Das konnte aufgrund der glaubhaften Aussagen des Kriminalbeamten Mann in Verbindung mit einem veröffentlichten „Stern“-Interview aufgeklärt [255] werden. In den BJs-Akten - nunmehr in einem von Müller unterzeichneten förmlichen Vernehmungsprotokoll der Kriminalbeamten Freimuth und Habekost - wird dann wiederum der verstorbene Angeschuldigte Meins, nicht etwa der Angeklagte Baader, als Begleiter angegeben. Ebenso verhielt es sich in der Hauptverhandlung. Ein Widerspruch war also nur in den Akten, nicht in den tatsächlichen Schilderungen Müllers festzustellen. Außerdem zeigt sich bei dieser Gelegenheit einmal mehr, daß es dem Zeugen Gerhard Müller gerade nicht darum geht, den Angeklagten Baader, oder die Angeklagten, gezielt zu belasten; er belastet einen Toten[155] und sich selbst.

Unterschiede können sich in den Niederschriften über die verschiedenen Schilderungen des Zeugen Müller insofern ergeben haben, als zur Ausführung von Sprengstoff anschlägen in den BJs-Akten mehr Namen genannt werden als in den ARP-Akten angegeben worden waren. Nur hat der Senat die Aussagen hierzu nicht für die Urteilsfeststellungen verwertet (außer über die Beteiligung des Angeklagten Baader beim Frankfurter Anschlag, die auch durch die Zeugin Siemsen belegt ist), und Zweifel an der Zuverlässigkeit der verwerteten Aussagen Müllers ergeben sich für den Senat aus diesen Gründen nicht: Die früheren Schilderungen in den ARP-Akten sind - wie schon dargelegt - in [256] möglicherweise in Detailfragen unzulänglichen Gedächtnisnotizen von Kriminalbeamten festgehalten worden; zum anderen hat der Zeuge Müller die Namen ihm bekannter Personen zunächst nur zum Teil offenbart und darüber später - in den BJs-Akten und in der Hauptverhandlung - umfassendere Aussagen gemacht. Die anfänglichen Schilderungen waren Hinweise, die offensichtlich nicht erschöpfend waren. Das ergibt sich für den Senat aus den glaubhaften Aussagen des Bundesanwalts Dr. Krüger und des Kriminalbeamten Petersen.

Unverkennbar hat der Zeuge Müller - wie schon angeführt - unterschiedliche Aussagen über die Intensität seiner Beziehungen zu dem Bombenbauer Dierk Hoff gemacht. Das ergibt sich aus den Bekundungen der Kriminalbeamten Opitz, Petersen, Freimuth und Habekost, des Bundesanwalts Dr. Krüger und des Zeugen Müller selbst. Diese Abweichung betrifft das Ausmaß seiner eigenen, nicht einer fremden Belastung. Daß er überhaupt mit Hoff zu tun gehabt hatte, hat er unverändert immer erkennen lassen. Wesentlich ist, daß er - wenn auch nach eindringlichen Vorhalten - die Wahrheitspflicht eines Zeugen vor Gericht emstgenommen und bei den für den Senat maßgebenden Aussagen in der Hauptverhandlung bekundet hat, er sei der „Harry“, der verschiedentlich mit Hoff zusammengetroffen sei und bei ihm Sprengkörperhüllen abgeholt habe. Zu den [257] Einzelheiten hat er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen. Diese Aussage Müllers trifft sich in ihrem wesentlichen Inhalt mit den dazu gemachten Bekundungen Hoffs. Zweifel an der hier maßgeblichen Glaubwürdigkeit der vor Gericht gemachten Aussagen Müllers haben sich für den Senat auch in diesem Zusammenhang deshalb nicht ergeben. Daß Zeugen versuchen, ihr eigenes, sie belastendes Verhalten zu beschönigen, schließlich aber doch der Wahrheit die Ehre geben, ist keine ungewöhnliche Erscheinung. Im Ergebnis unglaubwürdig sind sie deshalb allein noch nicht.

Der Senat, der sich bewußt ist, daß es sich bei dem Zeugen Müller um einen problematischen Zeugen handelt, hat auch nicht übersehen, daß der Zeuge in diesem Verfahren in Übereinstimmung mit den Nachforschungen des Senats bekundet hat, ihm seien keine Versprechungen für den Fall seiner Aussagebereitschaft gemacht, andererseits sei ihm auch nicht mit Nachteilen gedroht worden, im Gegensatz dazu jedoch davon auszugehen ist, daß der Zeuge im Jahre 1972 vor dem Kammergericht in Berlin im Mahler-Verfahren[156] noch folgendes bekundet hat: Von den Kriminalbeamten Wolf und Geißler sei ihm gesagt worden, man komme ihm entgegen, er bekomme „halbe-halbe“, er könne seine Geschichte verkaufen, er könne viel Geld verdienen, [258] es gehe um 50 %, andererseits drohe ihm für Sprengstoffattentate „lebenslänglich“. In der gleichen Richtung hatte, ebenfalls im Jahre 1972, die Verteidigung Müllers in dessen eigenem Verfahren schriftlich vorgetragen, es seien 50 % Straferlaß und finanzielle Vorteile für den Fall von Aussagen angeboten worden. Dazu hat aber Müller jetzt in der Hauptverhandlung unumwunden bekundet, er habe seinerzeit „übertrieben“. Seinerzeit fühlte sich Müller - so wie das eine Reihe von Zeugen in diesem Verfahren offen zu erkennen gegeben hat - nicht der Wahrheit vor Gericht, sondern der Disziplin und den Zielen der „RAF“ verpflichtet. Nichts anderes ergibt sich dazu, wenn der Kriminalbeamte Wolf, der Müller 1972 zu vernehmen suchte, jetzt in der Hauptverhandlung bekundet hat, er habe Müller seinerzeit 50 % Strafnachlaß nicht versprochen, ihm aber sehr wohl die gesetzliche Bestimmung des § 129 Abs. 6 StGB, die Strafmilderung oder Absehen von Strafe durch ein Gericht vorsieht, mitgeteilt und erläutert, und wenn zu eben demselben Punkt davon auszugehen ist, daß im Jahre 1972 vor dem Kammergericht in Berlin der Kriminalbeamte Wolf ausgesagt hatte, er habe mit Müller „über einen Strafnachlaß von 50 % aufgrund des § 129 Abs. 6 StGB gesprochen“. Der Beamte weiß zwischen unstatthaften Zusicherungen durch Ermittlungsbehörden und dem zulässigen Hinweis auf gesetzliche Möglich- [259] keiten eines Gerichts zu unterscheiden, und er hat glaubhaft von dem Zeugen Müller seinerzeit den Eindruck gehabt, daß Müller diesen Unterschied versteht. Wohl läßt dann Müller in seinem eigenen Verfahren in einem Beweisantrag seiner Verteidigung noch im September 1975 vortragen, der KriminalbeamteWolf habe ihm „bedeutet“, er würde auch finanziell gut wegkommen, wenn er aussage, und von einer Reihe von Beamten, u.a. Wolf und Geisler, sei ihm „bedeutet“ worden, man könne auch anders. Nach dem glaubhaften Kriminalbeamten Geisler trifft dies für ihn nicht zu. Nach dem ebenfalls glaubhaften Kriminalbeamten Wolf haben Pressekontakte, die vom Vater Müller dessen Sohn 1972 mitgeteilt wurden, den Beamten, der damit nichts zu tun hatte, zu der sarkastischen Bemerkung veranlaßt: „Da können Sie auch noch Geld verdienen an Ihrem Werk, das Sie vollbracht haben.“ Der angeführte Beweisantrag, dem für die Glaubwürdigkeitsprüfung gegenüber einer Zeugenaussage vor Gericht nur geringe Bedeutung zukommt, auch wenn er noch 1975 gestellt wurde, als die Hinweise für die ARP-Akten schon begonnen hatten, unterliegt derselben Einschätzung wie das übrige frühere Verhalten Müllers in diesem Punkt, von dem er selbst sagt, er habe „übertrieben“. Seine Entwicklung war nicht nahtlos; davon geht der Senat aus.

[260] Wenn der Zeuge Gerhard Müller gegenüber den Kriminalbeamten Opitz und Petersen berichtet hat - in der Hauptverhandlung hat er dazu die Aussage verweigert -, ihm sei von dem Angeklagten Baader und dem früheren Angeschuldigten Meins erzählt worden, Baader habe Ende Februar/Anfang März 1972 das Gruppenmitglied Ingeborg Barz[157] erschossen, sie sei an einer Stelle am Rhein begraben worden, die von Müller und dem Angeklagten Raspe zuvor für andere Zwecke ausgesucht worden sei, so hat die eingehende Beweisaufnahme dazu weder bestätigt, daß Ingeborg Barz tot ist, noch daß sie lebt. Insbesondere ist die Aussage Müllers, ihm sei dies so erzählt worden, nicht erschüttert. Gegenstand des Verfahrens ist ein Tötungsvorwurf zum Nachteil Ingeborg Barz nicht; es sollte lediglich die allgemeine Glaubwürdigkeit des Zeugen Müller überprüft werden. Eine Leiche hat man nicht gefunden, die Polizei fahndet nach der für sie nicht auffindbaren Person. Lebenszeichen andererseits sind verläßlich nicht bekannt. Zwar hat der Kriminalbeamte Sörensen bei der Firma Walter KG in Kiel im Zusammenhang mit einem Chemikalienkauf durch eine fiktive Firma Schulenburg einen Zahlkartenabschnitt vom Januar 1974 erhoben, und der Schriftsachverständige Hecker vom Bundeskriminalamt kann nicht ausschließen, daß die Handschrift auf dem Abschnitt nach dem ihm zur Verfügung stehenden Vergleichsmaterial von Ingeborg Barz stammt: nur hat er den Senat davon über- [261] zeugt, daß auch eine ganze Reihe unerklärlicher Schrift-Abweichungen vorhanden sind, die einem zuverlässigen Urteil über die Urheberschaft entgegenstehen.

Die Aussagen verschiedener Augenzeugen, die Ingeborg Barz nach dem angegebenen Todeszeitpunkt noch gesehen haben wollen, ergeben nichts anderes. Für die Zeugin Inge Hochstein gilt, was auch über andere Zeugen, die der „RAF“ zuzurechnen sind, schon ausgeführt worden ist. Sie weigerte sich, Fragen des Gerichts, mit denen ihre Aussagen überprüft werden sollten, zu beantworten; sie unterstellte schlicht, die frühere Angeklagte Meinhof sei ermordet[158] worden; sie erklärte dem Vertreter der Bundesanwaltschaft, „dass wir die Fragen derjenigen nicht beantworten werden, die uns vernichten wollen“.[159] Mit den Aussagen derartiger Zeugen ist nichts anzufangen; eine Würdigung, wann sie die Wahrheit sagen und wann nicht, ist dem Senat nicht möglich. Die gelegentliche Schilderung eines Jürgen Mauer, der von dem Bundesrichter Zipfel in anderer Sache in einem Haftprüfungstermin vernommen wurde und über eine Begegnung mit Ingeborg Barz gesprochen hat, bietet keine genügenden Anhaltspunkte dafür, daß sie zuverlässig sein könnte; weitere Aufklärung war nicht geboten. Der wegen Urkundenfälschung, Raubs, Betrugs oder Unterschlagung verurteilte Strafgefangene Rudolf Wüst, der ein undurchsichtiges Leben führte („Künstler-Talent-Nachwuchsagentur“, „alles am Rande [262] der Legalität“, oder auch „keine Arbeit, aber Geld war da“), hat beim Senat keinen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Der Kommunalbeamte Werner Burk erinnert sich jetzt noch einer Frau im Mai 1972, von der er glaubte, es handle sich um die auf Fahndungsplakaten abgebildete Ingeborg Barz. Auch den früheren Angeschuldigten Meins will er damals angetroffen haben, wie er gerade über die Sprengstoffanschläge mit anderen Personen in einer U-Bahnstation in Frankfurt diskutierte - das hat er seinerzeit dem Polizeibeamten Rübenach mitgeteilt -, gerade davon weiß er aber jetzt nichts mehr. Zuverlässige Anhaltspunkte, daß Ingeborg Barz im Mai 1972 noch lebte, konnte der Senat daraus nicht gewinnen. Der Journalist Werner Kahl hat in Irland aufgrund von nicht nachprüfbaren Hinweisen Recherchen angestellt, jedoch ohne Ergebnis.

Wenn der Zeuge Müller gegenüber den Kriminalbeamten Stellmacher und Kersten berichtet hat, das „RAF“-Mitglied Carmen Roll habe ihm erzählt, daß sie bei einem Banküberfall in Kaiserslautern einen VW-Bus gefahren und auf einen Polizeibeamten geschossen habe, so haben die Bekundungen der Augenzeugen Clement, Zott, Chrapa, Collisi und Collin dem Senat keine verläßliche Grundlage für die Beurteilung geliefert, ob es sich bei der Person im Führerhaus des Fahrzeugs um eine männliche oder weibliche Person ge- [263] handelt hat. Der Friseurmeister Zott hielt die Person für „irgendwie kostümiert“. Insbesondere ist die Bekundung Müllers, ihm sei dies so erzählt worden, durch die Beweisaufnahme nicht erschüttert.

Über Susanne Mordhorst (jetzt in Italien verheiratete und steckbrieflich gesuchte Frau Stasi) hat der Zeuge Müller in der Hauptverhandlung bei Gelegenheit lediglich bekundet, bei ihr handle es sich um die im Ensslin-Kassiber genannte „Elsa“ (die dort angewiesen wird, sich in den „Garten“ zu begeben), und der in demselben Kassiber genannte „Onkel“ (bei dem „Kohle“ geholt werden konnte) sei eine Person in der Gegend von Kornwestheim bei Stuttgart, bei der er sich nicht sicher sei, ob es sich tatsächlich um einen Verwandten von Frau Mordhorst handle. Wenn davon auszugehen ist, daß der Zeuge Müller bei dem Kriminalbeamten Wolf aussagte, Frau Mordhorst sei „Vollmitglied in der RAF“ und der Kriminalbeamte Schneider bekundet, ihm habe Müller bei anderer Gelegenheit über die Verbindung von Frau Mordhorst zur „RAF“ nichts gesagt, so liegt darin kein Widerspruch: einmal hatte der Kriminalbeamte Schneider den Eindruck, Müller wolle mit seinem vollen Wissen noch nicht herausrücken (es handelte sich um einen Hinweis in den ARP-Akten), zum anderen hatte Müller auch ihm gegenüber immerhin angegeben, die im Ensslin-Kassiber genannte „Elsa“ [264] sei Susanne Mordhorst. War sie das, dann war sie auch Gruppenmitglied; das ergibt der Kassiber in dem dargelegten Zusammenhang. Auszugehen ist weiter davon, daß sich im Jahre 1972 in Heilbronn eine Person mit den Papieren von Susanne Mordhorst ausgewiesen hat, Frau Mordhorst selbst bei dem Kriminalbeamten Kleinworth aber bekundete, nicht in Heilbronn gewesen zu sein, und der Kriminalbeamte Zieger aus den polizeilichen Ermittlungen denselben Schluß gezogen hat; überdies hat der Senat auch noch als wahr unterstellt, daß Frau Mordhorst an einem bestimmten Tag, dem 29. Mai 1972, sich nicht in Heilbronn aufgehalten hat. Damit wird aber die Mitgliedschaft in der „RAF“ noch nicht widerlegt, und Schilderungen Müllers, die zu dem Vorgang in Heilbronn im Widerspruch stünden, sind nicht festgestellt; zu weiterer Aufklärung in dieser Richtung bestand kein Anlaß. Auch die Eltern Mordhorst vermögen mit ihren Aussagen die an diesem Fall überprüfte Glaubwürdigkeit Müllers nicht zu erschüttern. Beide widersprechen sich i. ü. in wesentlichen Punkten, insbesondere auch darin, ob die Tochter erst im Laufe des Jahres 1972 zu Hause weggezogen ist (so der Vater), oder schon 1968/69 (so die Mutter), was einer Kontrolle und einer zuverlässigen Auskunft der Eltern darüber, ob die Tochter sich 1972 konspirativ und illegal in der „RAF“ betätigt hat, vollends den Boden entzöge.

[265] Auch hat der Zeuge Müller vor dem Kriminalbeamten Stellmacher bekundet, der Bänkelsänger Wader sei einmal 1971 in der Nähe von Karlsruhe mit der früheren Angeklagten Meinhof zusammengetroffen und habe sich bereit erklärt, eine konspirative Wohnung zu mieten, später habe er erfahren, daß die konspirative Wohnung im Heegbarg in Hamburg von Wader tatsächlich der Angeklagten Ensslin zur Verfügung gestellt worden sei. Andererseits ist davon auszugehen, daß der Liedermacher Wader im Asdonk-Verfahren vor dem Landgericht Berlin[160] und im Mahler-Verfahren vor dem Kammergericht von sich bekundete, er habe Frau Meinhof nie gesehen, ferner, daß er auf die Richter Bernhard, Dr. Dietrich, Seidler, Jericke und den Staatsanwalt Weber dabei einen glaubwürdigen Eindruck machte. Letzteres vermag allein, für sich betrachtet, die objektive Richtigkeit der Aussage und die Glaubwürdigkeit Müllers, die bei dieser Gelegenheit einmal mehr überprüft wurde, noch nicht so zu beeinträchtigen, daß deshalb Zweifel an den für die Urteilsfeststellungen verwerteten Aussagen Müllers begründet werden. Dies gilt um so mehr, als seine detaillierten Schilderungen über das Haus, wo das Zusammentreffen stattgefunden haben soll, die Bewohner und die ungewöhnliche Ausstattung einer polizeilichen Nachprüfung standgehalten haben. Der Liedermacher Wader ist unter Berufung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht[161] in der Hauptver- [266] handlung nicht erschienen. Weiterer Aufklärung bedurfte es in diesem Zusammenhang nicht.

Schließlich hat der Senat auch in Betracht gezogen, daß der Zeuge Gerhard Müller gehofft haben mag, infolge seiner Aussagebereitschaft werde sich der Vollzug seiner Freiheitsstrafe für ihn günstiger gestalten und die Presse belohne seine Schilderungen mit entsprechenden Honoraren. Solche Überlegungen liegen nicht fern. Sie waren auch ein Grund, den Aussagen dieses Zeugen mit besonderer Vorsicht zu begegnen. Nur müssen die für die Feststellungen verwerteten Aussagen deshalb noch nicht falsch sein, und die ungewöhnlich umfassende Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen hat Zweifel daran beim Senat nicht begründet.

Soweit verwaltungsgerichtliche Verfahren wegen Aussagegenehmigungen oder einem Sperrvermerk anhängig waren,[162] sah der Senat im Rahmen seiner Aufklärungspflicht keinen Anlaß, aus diesem Grund mit dem Schluß der Hauptverhandlung weiter zuzuwarten

[267] Zur inneren Tatseite[163]

Die Angeklagten wollten mit den Sprengstoff-Anschlägen Menschen töten. Die Feststellungen dazu stützen sich auf die Örtlichkeiten, die Tatzeiten und die eingesetzten Sprengmittel. Die Angeklagten haben diese Tatumstände gekannt; sie sind nach der Überzeugung des Gerichts von den Angeklagten jeweils festgelegt worden, auch wenn diese an der Ausführung einzelner Taten am Tatort nicht beteiligt waren. Der Senat ist auch überzeugt, daß die Angeklagten nach ihrer Intelligenz und Lebenserfahrung keine unzutreffenden Vorstellungen über die sich aufdrängenden Folgen der gefährlichen Sprengstoff-Anschläge mit ihren nicht zu beherrschenden Auswirkungen hatten. Schon beim ersten Anschlag in Frankfurt war ein Mensch getötet worden, die schweren Auswirkungen der verschieden großen Sprengkörper waren zu ersehen, über ihre große Gefährlichkeit konnte es danach keine Zweifel mehr geben. Gleichwohl setzten die Angeklagten ihr Treiben fort. Das lässt Rückschlüsse zu, daß schon der erste Anschlag keine ungewollten Auswirkungen hatte. Die innere Einstellung der Angeklagten zum Töten, ihre Geringschätzung menschlichen Lebens, ist im Zusammenhang mit den schriftlichen und mündlichen Äußerungen der Angeklagten dargelegt worden; die Angeklagten identifizieren sich auch heute noch mit den Sprengstoff-Anschlägen und ihren schwerwiegenden Folgen.

[268] Die Verwendung von Stahlkugeln, die in Sprengkörpern in der Frankfurter Zentrale gefunden wurden und den Zweck hatten, die Wirkung gegen Menschen zu erhöhen, spricht dafür, daß die Angeklagten mit den Sprengkörpern töten wollten. In die gleiche Richtung weisen die Sollbruchstellen an einem Teil der Feldflaschenbomben, die nur dazu dienten, die Splitterwirkung zu erhöhen.

Die Angeklagten haben es darauf angelegt, daß bei jedem der Anschläge Menschen getötet werden. Nach den im Sachverhalt festgestellten Umständen konnte vernünftigerweise nicht davon ausgegangen werden, daß zur Tatzeit wahrscheinlich keine Menschen in dem tödlichen Wirkungsbereich der Sprengkörper anzutreffen waren und allenfalls unglückliche Umstände dazu führen konnten, daß Personen tödlich getroffen werden.[164] Nichts rechtfertigte eine solche Annahme, das Gegenteil drängte sich auf. Ganz ungewöhnlich wäre es gewesen, wenn keine Menschen den von den Sprengkörpern ausgehenden Gefahren ausgesetzt worden wären. Das war auch den Angeklagten bewusst; davon ist der Senat überzeugt. Bezeichnend ist, daß die Angeklagte Ensslin mit der schon zitierten Erklärung in der Hauptverhandlung vom 4. Mai 1976, in der die Angeklagten eine Verantwortung übernehmen, nicht versucht, sich von den Sprengstoff-Anschlägen in Frankfurt [269] und Heidelberg, wo es Tote gegeben hat, zu distanzieren; nur mit der Konzeption und den Ablauf des Hamburger Anschlags, wo es keine Toten gegeben hat, wollen sie nicht einverstanden gewesen sein. Dazu hat das frühere „RAF“-Mitglied Gerhard Müller eine einleuchtende Erklärung gegeben: Für die „Protagonisten des Proletariats“ war es peinlich, daß bei der Detonation im dritten Stock zahlreiche Korrektoren verletzt wurden und in große Lebensgefahr gerieten und daß von der Rohrbombe im zweiten Stock, wäre sie detoniert, die in der Druckerei beschäftigten Arbeiter betroffen worden wären. Das war ein von den Angeklagten nicht gewollter Fehler der Personen, die am Tatort die Sprengkörper deponiert haben. Das ändert nichts daran, daß nach der Überzeugung des Senats die Angeklagten, auf die auch in diesem Fall die Spuren zurückführen, die fünf Rohrbomben für den Anschlag zur Verfügung gestellt und abgesprochen hatten, daß der Anschlag in dem Verlagshaus ausgeführt werde. Nicht sollten Tote vermieden werden, sondern tote und verletzte Korrektoren und Drucker. Daß in einem Verlagsgebäude mit mehreren tausend Beschäftigten die nicht zu beherrschende Gefahr für das Leben von Menschen immer bestand, wenn dort insgesamt fünf der Rohrbomben - wie auch von den Angeklagten im Ergebnis gewollt - detonierten, drängt sich auf. Ein Licht darauf wirft der von dem Zeugen Gerhard Müller aus der Zeit seiner Zugehörigkeit zur [270] „RAF“ stammende, mit „h. 12.8.74“ abschließendeInfo-Beitrag in Baader-Mat. 12 vom 22.1.1975 („info I be langsam kann ich nur noch lachen ...“). Dort heißt es unter Anspielung darauf, daß in Hamburg drei von fünf Rohrbomben nicht detoniert sind:

„penetrant erwähnst du, daß al nen bullen in der raf gesehen hätte, weil alle dinger hätten hochgehen müssen (abgesehen davon und unterstellt es hätte einen gegeben, ist es doch mindestens fraglich, ob die bullen die politischen bedingungen für so fortgeschritten gehalten hätten, um ein paar eventuelle tote auf ihr konto zu nehmen - weil so was ja immerhin rauskommen konnte)“

Daß nach den Bekundungen Müllers die Angeklagten nach einer gemeinsamen Absprache in Frankfurt die Ausführung des Hamburger Anschlags im einzelnen der früheren Angeklagten Meinhof überlassen haben, ist zugunsten der drei Angeklagten berücksichtigt.

Zu keiner anderen Beurteilung führen die telefonischen Warnungen, die in zwei Fällen der Detonation von Sprengkörpern vorausgegangen sind. Die Feststellungen dazu beruhen auf den glaubwürdigen Aussagen der Telefonistin Froschmeier und des Regierungsinspektors Scheiner für den Münchener Anschlag sowie der Telefonistinnen Tilge, Roller und Poorth, des Ingenieurs Krause und des Leiters der Verwaltungsabteilung Schiller für den Hamburger Anschlag. Danach ist in München die Landesbesoldungsstelle, die an den Tatort angrenzt, wenige Minuten (7 Minuten) [271] vor der Detonation gewarnt, die Räumung ist eingeleitet worden; sie führte dazu, daß sich Bedienstete ungeschützt zur Tatzeit gerade auf dem Parkplatz befanden, die sich sonst nicht dort befunden hätten. Auch wenn dieser Räumungsablauf, wiewohl nach den örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten naheliegend, so nicht gewollt war, so gab es doch keinerlei Grund zu der Annahme, auf dem mit wenigstens 100 Kraftfahrzeugen belegten Parkplatz des Landeskriminalamts mit seinen zahlreichen Beschäftigten und einem entsprechenden Dienst- und Publikumsverkehr werde sich inmitten von München, am hellen Tag während der regulären Dienstzeit, auch nicht eine Person aufhalten, die im Umkreis der Detonation der großen 33 Kilogramm-Gasflasche mit ihren verheerenden Folgen in die Gefahr geriete, getroffen und - wegen der unkontollierbaren Auswirkungen - dann auch getötet zu werden. Dies war trotz der an die Landesbesoldungsstelle, und nur an sie, gegebenen kurzfristigen Warnung füglich nicht zu erwarten, und zwar umsoweniger, als die Warnung, „im Landeskriminalamt“, also möglicherweise auf dem gesamten Gelände, werde eine Bombe detonieren, ganz allgemein gehalten war. Vielmehr lag es nahe, daß irgendwer - wie es tatsächlich auch der Fall war - auf einem solchen Parkplatz schon in der Nähe sein werde. Das war nicht zu vermeiden und sollte es auch nicht. Da- [272] für spricht auch die Rücksichtslosigkeit, mit der inmitten eines dichten Wohngebiets und des Straßenverkehrs einer Großstadt der schwere Sprengkörper, der etwa 2 Doppelzentner des roten und mehr als einen Zentner des grauen Sprengstoffs fasste, mit seinen über das Gelände des Landeskriminalamts hinausreichenden Wirkungen zur Detonation gebracht wurde. Die allgemeinen Gegebenheiten waren so, daß die tatsächlich eingetretene tödliche Gefahr für wenigstens den einen Menschen, der tatsächlich anwesend war (Frau Weber), bei der Absprache von Ort, Zeit und Sprengmittel für den Anschlag den Angeklagten nach der Überzeugung des Gerichts vor Augen stand, auch wenn einzelne von ihnen am Tatort nicht tätig geworden sein sollten.

Nicht anders verhält es sich mit dem Hamburger Anschlag, zumal der Anschlag in München hatte offenkundig werden lassen, daß kurzfristige und allgemein gehaltene telefonische Warnungen der unkontrollierbaren Gefahr für Menschenleben am Tatort nicht wirksam vorbeugten, die Angeklagten aber gleichwohl ihr Treiben fortsetzen. Auch das ist ein Hinweis, daß es ihnen schon in München nicht darauf ankam, nur Sachschaden anzurichten. Bei einer Vorwarnzeit, die in der Größenordnung mit der in München vergleichbar ist (nach den Aussagen der Zeugen insgesamt waren es etwa oder jedenfalls nicht viel mehr als 5 Minuten), [273] gab es keinen Grund zu der Annahme, daß die fünf Rohrbomben in dem großen Verlagsgebäude mit mehreren tausend Beschäftigten während der regulären Arbeitszeit nicht eine, im einzelnen nicht zu begrenzende, Zahl von Personen in die Gefahr bringen werde, tödlich getroffen zu werden. Dem angeblichen Räumungsinteresse steht schon das naheliegende Interesse gegenüber, Warnungen, wenn sie erfolgen, kurzfristig und allgemein zu halten, um eine vorzeitige Entdeckung der Sprengkörper zu vermeiden. Auch hier waren die allgemeinen Gegebenheiten so, daß die Angeklagten bei der Absprache über Ort, Zeit, Art und Zahl der Sprengmittel die sich aufdrängende Gefahr für das Leben einer unbestimmten Zahl von Personen vor Augen haben mussten und nach der Überzeugung des Senats auch hatten. Eine telefonische Warnung konnte auch für das Verständnis der Angeklagten nicht mehr als eine Räumung in Gang bringen, nicht aber bewirken, daß im Ergebnis die Gefahr für zahlreiche Personen unter den tausenden von Beschäftigten nicht noch bestehen blieb. Die auch aus den beiden Kommandobriefen sprechende Verwirrung und die von der Angeklagten Ensslin ausgesprochende Distanzierung hat - wie ausgeführt - ihren Grund nicht darin, daß Menschen in große Gefahr geraten sind, sondern daß dies auf eine bestimmte Kategorie von Menschen zutraf. Die aus der telefonischen Warnung sich ergebenden Umstände, die für die Vermeidung un- [274] kontrollierbarer Gefahren für Menschenleben sprechen, wiegen nach allem so gering, daß sie gegenüber der aus den angeführten Gründen gewonnenen Überzeugung, die Angeklagten hätten es auch in Hamburg auf die Tötung von Menschen angelegt, keine Zweifel erwecken. Wenn gleichwohl in zwei Fällen telefonische Warnungen erteilt worden sind, so geschah dies nach der Auffassung des Senats, um den Anschein von Menschlichkeit zu erwecken, nicht um Gefahren von jedermann abzuwenden.

Abgesehen von dem Karlsruher Anschlag haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß bestimmte Personen getroffen werden sollten. Nur daß überhaupt Menschen nach der Art der Objekte und der ausersehenen Tatzeit voraussichtlich in der Nähe sein und in eine Gefahr gebracht werden, die dann nicht mehr zu kontrollieren war, stand fest. Diese den Angeklagten unbekannten Personen, die tatsächlich in einen lebensbedrohlichen Umkreis der Detonation gerieten und dieser Gefahr erlagen oder aus Gründen, die nicht in der Hand der Angeklagten lagen, mit dem Leben davonkamen, waren die von den Angeklagten gewollten Opfer ihrer Anschläge.

Zu diesem Schluß führen den Senat die Art und Weise, wie die Anschläge angelegt waren, und die dazu bekanntgewordenen authentischen Erklärungen. Nur in Karlsruhe zeigt die Kommandoerklärung „Manfred Grashof“, [275] daß der Anschlag gegen die Person des Bundesrichters Buddenberg gerichtet war. Dieses Ziel wurde verfehlt. Getroffen wurde Frau Buddenberg auf dem Fahrersitz. Gegen sie richtete sich unumgänglich der Anschlag auch wie gegen jedermann sonst,[165] der den Motor anlassen musste, wenn der unter dem Beifahrersitz angebrachte Sprengkörper detonieren sollte, um den auf dem Beifahrersitz vermuteten Bundesrichter Buddenberg zu treffen.

Über ihre weitgesteckten Ziele haben die Angeklagten in der Sacherklärung ein Konzept entwickelt, das durch Kassiber und offizielle „RAF“-Schriften ergänzt wird. Der Senat ist der Auffassung, daß sich die Angeklagten mit diesem Konzept identifizieren; sie meinen das so. Welche psychologischen Antriebe neben den gemeinsamen, rationalisierten Beweggründen auch eine Rolle spielten (etwa Abenteurertum, Machtgefühl, blindwütiger Vernichtungsdrang gescheiterter Existenzen), kann dahinstehen; das kann bei den einzelnen Angeklagten verschieden sein. Bei der Angeklagten Ensslin ist der Senat unter anderem davon ausgegangen, daß sie sich vor ihrer Zugehörigkeit zur „RAF“ „im Bundestagswahlkampf 1965 innerhalb einer Wählerinitiative in ungemein selbstloser Weise [276] engagiert hat und daß dann die große Koalition,[166] die im Anschluß gebildet wurde, ein ungemein enttäuschendes Erlebnis war.“[167] Ebenso verhält es sich damit, daß die Angeklagte Ensslin 1964 Mitherausgeberin eines Buchs „Gegen den Tod“ war, in den in zum Teil vorgelesenen Abschnitten über „Heimsuchung, Das vorgesehene Verrecken, Abbau des Hasses, Der Christ im Atomzeitalter, An die Völker, Wettlauf mit dem Tode“ „namhafte Schriftsteller ihre Stimmen gegen die atomare Bewaffnung als eine Geisel der Menscheit“ erheben; die Angeklagte Ensslin „hat sich mit den Stimmen, die sie in dem Buch zu Wort kommen ließ, identifiziert.“ Indes kann moralisch verstandenes Engagement in Unmenschlichkeit umschlagen. Der Senat sieht keinen Grund, seine vielfach belegten Feststellungen über die Angeklagte Ensslin zu korrigieren. Wozu die Sprengstoffanschläge im Mai 1972 im Rahmen der aufgezeigten Vorstellungen unmittelbar verhelfen sollten, zeigt der schon eingehend gewürdigte Kassiber H 4/74/III/5/2/65/14 des Angeklagten Baader; dort heißt es:

„du kannst natürlich jetzt sagen, daß unsere taktik 72 ne genaue umkehrung war - erst antiimperialistische angriffe (dann nochmal kohle) dann über eine antiimperialistische aktion (bln - die drei/zwei kommandanten) die gefangenen war. Das hing, wie es war mit der überschätzung unserer stärke zusammen - wir haben das auch kritisiert.“

Das heißt also: Forderungen nach Geld und nach der Freilassung von Gefangenen im Zusammenhang mit Geiselnahmen sollten durch die Anschläge („antiimperiali- [277] stische angriffe“) vorbereitet werden. Damit trifft sich, was das frühere „RAF“-Mitglied Gerhard Müller, unabhängig von diesem Kassiber, berichtet hat: Die „RAF“ wollte ihre Stärke demonstrieren, um bevorstehenden Forderungen, auch im Zusammenhang mit Geiselnahmen, den nötigen Nachdruck zu verleihen. Zugleich erweist sich daran einmal mehr die Zuverlässigkeit der verwerteten Aussagen des Zeugen Müller.

[278] II. Zu den Festnahmen

Schon aus der allgemeinen Zielrichtung der „RAF“ ergibt sich der Wille zur rücksichtslosen, bewaffneten Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt. Die meisten Gruppenmitglieder wurden deshalb mit großkalibrigen Revolvern und Pistolen ausgerüstet (vgl. Urteil des LG München I vom 1.3.1974 gegen Rolf Ludwig Pohle[168] - 2 KLs 5/72), und sie trugen die Waffen in schußbereitem Zustand bei sich (vgl. Urteil des LG Hamburg vom 26.7.1972 gegen Werner Hoppe[169] - (50) 10/72; Urteil des LG Berlin vom 22.11.1973 gegen Heinrich Jansen[170] - 1 P KLs 1/72; Urteil des LG Berlin vom 28.6.1974 gegen Brigitte Asdonk u.a.[171] - 1 P KLs 5/72). Nach den Vorstellungen der Angeklagten mußte eine Verhaftung durch die Polizei unbedingt verhindert werden. Sie waren sich einig, zu diesem Zweck auch auf Polizeibeamte zu schießen. Die frühere „RAF“-Angehörige Beate Sturm beschrieb bei ihrer richterlichen Vernehmung (Zeuge Buddenberg) den Zweck des Waffentragens, unter anderem damit, daß man sich im Falle einer Verhaftung durch die Polizei „zur Wehr setzen“ könne. Die Zeugin Emiliane Molsen erinnerte sich (in Verbindung mit einer gem. § 253 StPO[172] eingeführten früheren Vernehmung, für deren Gewissenhaftigkeit sich die Zeugin verbürgte) an Äußerungen der Angeklagten Baader und Ensslin, sie würden im Falle des Aufgestöbertwerdens „auf jeden Fall sich ihren Flucht- [279] weg freischießen“. Diese Haltung wird auch durch die von dem zuverlässigen Polizeibeamten Huwe überlieferte Äußerung des Gruppenmitglieds Irene Goergens[173] bestätigt, die sie anläßlich ihrer Festnahme zusammen mit Mahler, Schubert und Berberich[174] machte: Die Pigs könnten zufrieden sein, daß sie nicht mehr zum Schießen gekommen sei. Die Einstellung der in der „RAF“ organisierten Mitglieder zur Frage des Schußwaffentragens und -gebrauchs wird auch durch die glaubhaften Aussagen des Zeugen Gerhard Müller beleuchtet, soweit diese dahin gehen, Gespräche innerhalb der Gruppe hätten das Ergebnis gehabt, daß man im Fall einer drohenden Festnahme schießen müsse. In der Gruppe - und damit auch unter den Angeklagten sowie dem früheren Angeschuldigten Meins - war man sich jedenfalls nach der Überzeugung des Senats einig, sich von der Polizei nicht festnehmen zu lassen, sondern rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch zu machen.

Die Angeklagte Ensslin erklärt in ihrem bei der früheren Angeklagten Meinhof gefundenen Kassiber, weshalb sie sich bei ihrer Festnahme den Fluchtweg nicht freigeschossen hat. Die von Selbstkritik getragene Schilderung ist nur vor dem Hintergrund der klaren Entscheidung der Gruppe zum rücksichtslosen Schußwaffengebrauch bei drohender Festnahme verständlich. So heißt es in dem Kassiber:

„Dann i.d. Laden hab ich nur noch Scheiße im Hirn gehabt, erregt, verschwitzt etc. sonst hätte ich ticken müssen, ich hab aber gepennt; ging auch irre schnell, [280] mögl. weiter ne Kripovotze sofort hinter mir i. Laden, ich[f] hab gepennt, sonst wäre jetzt eine Verkäuferin tot (Geisel), ich und vielleicht zwei Bullen; der Laden voll mit Bullen, am Rand der Straße drei Bullenautos, also echt unklar, oh ich weggekommen wäre und es ging so schnell, daß ich die Hand aus der Tasche mit der Knarre halbgebrochen von Bullenpfoten nur rausbekam und wie ich hei dem Kampf dann die Handtasche loswurde, weiß ich gar nicht ...“

Bemerkenswert ist auch die schon in anderem Zusammenhang gewürdigte Stelle in dem „Ensslin-Kassiber“, in der ihre Geringschätzung gegenüber Menschenleben zum Ausdruck kommt:

„kl.Figuren suchen, einzeln, erstmal Valentin, und wenn dafür drei gekillt werden müssen. Ultimatum einhalten (s. neuer Beschluß d. Innenminister: ‚Leben der Geisel hat Vorrang vor Ergr. der Gewaltverbrecher‘) ...“

Im übrigen entspricht diese Haltung auch der Auffassung, die Carlos Marighella in seinem „Minihandbuch der Stadtguerillas“ vertritt, einer von den Gruppenmitgliedern gelesenen Schrift, in der die Erfahrungen und Methoden der südamerikanischen Stadtguerilla gesammelt sind. Sie wurde, wenn auch nicht immer und uneingeschränkt befolgt, so doch in der Gruppe beachtet und als wegweisender „Klassiker der Stadtguerilla“ angesehen.

In dieses Bild paßt die auffallende Übereinstimmung, daß dann, als den Angeklagten die Festnahme drohte, die Angeklagten Baader und Raspe unabhängig voneinander in höchst gefährlicher Weise auf Polizeibeamte schossen; bei der Angeklagten Ensslin konnte es dazu wegen des raschen Zugriffs eines Polizeibeamten nicht kommen.

[281] Im einzelnen hat sich folgendes ergeben:

Die Polizeibeamten Pfeiffer und Gabriel haben glaubhaft in dem Angeklagten Raspe den Mann wiedererkannt, der auf sie geschossen hatte. Allerdings trug der Schütze einen hellen Mantel, der Angeklagte wurde ohne Mantel festgenommen. Ein heller Mantel, bei dem es sich nach der Überzeugung des Senats um den des Angeklagten Raspe handelte, war jedoch kurz vor dessen Festnahme in seiner unmittelbaren Nähe unter einem Baum von dem Polizeibeamten Scherff aufgefunden worden. In der Pistole, die der Angeklagte bei seiner Festnahme bei sich führte, befand sich ein Magazin mit 12 Patronen; Patronenhülsen sind bei der Spurensicherung am Tatort nicht gefunden worden. Am 2. Oktober 1972 fand jedoch der Schüler Klaus M[...], wie dieser glaubwürdig berichtet hat, im Garten des Grundstücks in der Francstraße, auf dem Raspe festgenommen worden war, einen in das lockere Erdreich gesteckten Revolver Kaliber 38. In der Trommel befanden sich sechs Patronenhülsen, die nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Grooß in der Waffe gezündet worden waren. Da es sich um einen Revolver handelte, waren sie beim Schießen nicht ausgeworfen worden, konnten also am Tatort auch nicht gefunden werden. Für den Senat steht fest, daß es sich um die Tatwaffe handelt.

Die Beamten Gabriel und Pfeiffer haben auch glaub- [282] haft geschildert, wie der Angeklagte Raspe auf sie geschossen hat. Die festgestellten Entfernungen ergeben sich zuverlässig aus ihren und den Aussagen der Polizeibeamten Amthor und Küllmer. Aus einer Entfernung von 15 - 20 m konnten die Schüsse aus dem großkalibrigen Revolver ohne weiteres tödlich sein. Das weiß jeder, der mit Waffen umgeht und damit vertraut ist. Auch der nicht unintelligente Angeklagte, der die Waffe bei sich führte, hat das gewußt; davon ist der Senat überzeugt. Dach den festgestellten Umständen, insbesondere wegen der Eile, in der er schoß, hatte es der Angeklagte nicht mehr in der Hand, ob die von ihn abgefeuerten Schüsse auf die Beamten tödlich trafen oder nicht; ein tödlicher Ausgang lag durchaus nahe. Gleichwohl schoß er. Der Senat zieht daraus den Schluß, daß es dem Angeklagten in dem Bestreben, auf jeden Fall unerkannt zu entkommen, recht war, wenn er die Beamten, die ihn festnehmen wollten, tötete. Dazu paßt es, daß der Angeklagte selbst in einem Gespräch mit den zuverlässigen Polizeibeamten Federau und Mondry bestätigt hat, er habe auf die Polizeibeamten mit dem „Audi“ geschossen; die zutreffende Automarke hatte er selbst in das Gespräch eingeführt.

Die Feststellungen zu dem Angeklagten Baader und dem [283] früheren Angeschuldigten Meins nach dem Betreten der Garage bis zum Tränengaseinsatz beruhen auf den glaubhaften Aussagen der Polizeibeamten Herrmann und Pfeiffer. Wer von den beiden Eingeschlossenen den Schuß durch die Garagentür abgegeben hat, kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Da die genaue Stellung der durchschossenen Garagentür im Augenblick des Schusses nicht zu rekonstruieren war, konnte der Sachverständige Dr. Grooß auch keine Schußrichtungsbestimmungen in bezug auf einen bestimmten Punkt in der Garage vornehmen und auch keine Zuordnung zu einem Durchschuß im hochstehenden Kofferraumdeckel des in der Garage stehenden Personenkraftwagens treffen. Selbst wenn man aber feststellen könnte, der Schuß sei aus dem - von außen gesehen - rechten hinteren Teil der Garage abgegeben worden, ist damit noch kein Hinweis auf den Angeklagten Baader als Schützen gegeben. Der Angeklagte Baader hielt sich zwar hauptsächlich im rechten Garagenteil auf; es kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß die Eingeschlossenen am Anfang, als die Garagentüren geschlossen waren, noch keine festen Standpunkte eingenommen hatten, zumal sie in dieser Zeit im hinteren Teil der Garage mit der Beseitigung von belastenden Gegenständen beschäftigt waren. Auch aus der Zahl der aufgefundenen leeren Patronenhülsen, die der Waffe des Angeklagten Baader zuzuordnen sind, [284] läßt sich dieser als Schütze für diesen Schuß nicht sicher bestimmen.

Der Schütze, gleichgültig, oh es sich um den Angeklagten Baader oder seinen Begleiter Meins handelte, war nach der Überzeugung des Senats im Umgang mit Waffen so vertraut, daß er wußte, das Geschoß werde die Garagentür glatt durchschlagen und mit großer Energie weiterfliegen. Die großkalibrigen Waffen mit der hochwirksamen Parabellum-Munition wurden bewußt deshalb verwendet, um eine hohe Durchschlagskraft zu erzielen. Der Schütze rechnete nach den Umständen auch damit, daß der Schuß außerhalb der Garage einen Polizeibeamten treffen könnte; denn der Schuß wurde in dem Augenblick abgefeuert, als vor der Garage ein Geräusch auf die Anwesenheit von Polizeibeamten schließen ließ, und es wurde dabei in Brusthöhe eines vor der Garage vermuteten Mannes geschossen.

Wenn der Angeklagte Baader derjenige gewesen sein sollte, der nicht auf den Polizeibeamten Pfeiffer geschossen hat, so billigte er nach der Überzeugung des Senats gleichwohl die Handlungsweise des Schützen Meins. Dafür spricht die schon gewürdigte Übereinkunft zwischen den Gruppenmitgliedern, eine bevorstehende Festnahme mit den schußbereit mitgeführten Faustfeuerwaffen zu verhindern. Keinerlei Anzeichen bestehen, daß ausgerechnet der Angeklagte Baader sich daran nicht halten wollte, wenn ihm die Fest- [285] nahme drohte. Tatsächlich hat auch er, jedenfalls im weiteren Verlauf des Geschehens, auf die Polizeibeamten Glatzel und Brandau geschossen und die Beamten dabei in eine lebensbedrohliche Gefahr gebracht, sich also ersichtlich so verhalten, wie es in der Gruppe erwartet wurde. Seine Geringschätzung des Lebens anderer ist schon hinreichend belegt worden. Der Angeklagte Baader war in gleicher Weise wie der frühe Angeschuldigte Meins daran interessiert, daß sie beide nicht festgenommen wurden und sich die Möglichkeit einer späteren Flucht offen hielten. Dann stand aber der Entschluß zu schießen nicht mehr im freien Belieben des Schützen. Die Anwesenheit des anderen, zumal des Angeklagten Baader mit seinem bestimmenden Einfluß, drängte den Schützen, sich so zu verhalten, wie es in der Gruppe erwartet und im gemeinsamen Interesse für nützlich befunden wurde. Das drängt sich dem Senat so sehr auf, daß er davon überzeugt ist.

Die Feststellung, der Angeklagte Baader habe, nachdem die Garagentüren geöffnet worden waren, mit einer Pistole im vorderen Garagenteil gestanden, mit der Waffe mehrfach nach Polizeibeamten gezielt und schließlich in Richtung auf die Beamten Glatzel und Brandau einen Schuß abgegeben, beruht auf den übereinstimmenden Bekundungen der Tatzeugen. Der Zeuge Glatzel stand mit sehr guten Beobachtungsmöglichkeiten frei auf dem Grasplatz des Grundstücks Hofeckweg Nr. 8. Er [286] fühlte sich selbst gefährdet; deshalb suchte er Deckung hinter dem Balkonvorsprung des Gebäudes Nr. 8. Die Situation war so gefährlich, daß der Polizeibeamte Reinke den Warnruf ausstieß: „Paß auf, der schießt!“ Diesen Ruf hörten die Zeugen Glatzel, Stein, Opel und Stumpf. In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Warnruf fiel der Schuß, der zwischen den Beamtengruppen Erde aufspritzen ließ. Der Schuß hätte den Beamten Glatzel ebenso wie den Beamten Brandau treffen können, hätten sich diese nicht gerade im richtigen Augenblick in Deckung gebracht. Das erkannte auch der im Umgang mit Waffen vertraute, intelligente, auffassungsschnelle Angeklagte. Möglicherweise ging es ihm in erster Linie nur darum, zwischen die beiden Beamten zu schießen, die hervorgetreten waren, um sie eindringlich zu warnen, sie dadurch von einem weiteren Beschuß mit Tränengas abzuhalten und die dadurch drohende Festnahme abzuwenden. Nur war es - davon ist der Senat überzeugt - für den Angeklagten augenfällig, daß sein Schuß höchstgefährlich war und er es gar nicht in der Hand hatte, ob er einen der beiden Beamten tödlich traf: Der Angeklagte schoß mit einer Faustfeuerwaffe großen Kalibers stehend freihändig auf eine Entfernung von 15 - 30 m in die Richtung der beiden Beamten, die aus seinem Blickwinkel nahe beieinander standen und von dem durch die Streuung der Waffe und die Zielabweichung auch eines geübten Schützen gebildeten Bereich leicht erfaßt werden konnten. Da- [287] zuhin kommt, daß - dem Angeklagten bewußt - mit einem Standortwechsel der beiden Beamten jederzeit zu rechnen war. Gleichwohl schoß er. Daraus zieht der Senat den Schluß, daß ihm die tödliche Verletzung eines der beiden Beamten auch recht war, um sich auf diese Weise die Möglichkeit der Flucht weiterhin offenzuhalten.

Der Beschuß mit Tränengas konnte, wenn er nachhaltig und wirkungsvoller fortgesetzt wurde, die in der Garage Eingeschlossenen in Bedrängnis bringen und zur Aufgabe zwingen. Daß er, als der Angeklagte schoß, dessen Sehvermögen schon beeinträchtigt hätte, trifft jedoch nicht zu. Die Tränengaskörper waren nach der Schilderung der eingesetzten Polizeibeamten im allgemeinen vor der offenen Garagentür gelandet. Der Angeklagte verhielt sich ruhig und kontrolliert. Nach seinen eigenen Worten in der Hauptverhandlung hatte er einen zutreffenden Überblick über die Zahl und die Bewegungen der Polizeibeamten vor der Garage. Wenn der Angeklagte Raspe, der bei diesem Geschehen nicht zugegen war, zu erwägen gegeben hat, es wäre unvernünftig gewesen, in der Lage des Angeklagten Baader noch auf Polizeibeamte zu schießen, so stehen dem die festgestellten Tatsachen entgegen. Der Angeklagte Baader hat geschossen. Tatsächlich hat auch der frühere Angeschuldigte Meins im weiteren Verlauf noch einen Ausfall und Fluchtversuch aus der Garage heraus unternommen, wie von einer ganzen Reihe von Polizeibeamten zuverlässig berichtet worden ist. Dabei kann dahinstehen, welche weitergehenden [288] oder zusätzlichen Absichten Baader und Meins mit ihrem anhaltenden Widerstand gegen die Polizei verfolgt haben mögen. Jedenfalls wollten sie damit die Polizeibeamten an der Festnahme hindern, deretwegen diese angerückt waren, und sich die Möglichkeit zur Flucht weiterhin offenhalten. Das steht für den Senat nach allem fest.

Nicht sicher ist, ob der Angeklagte einen weiteren Schuß auf Polizeibeamte abgegeben hat. Die drei in der Garage gefundenen Patronenhülsen, die - wie mit Hilfe des Sachverständigen Dr. Grooß ermittelt wurde - in der Pistole des Angeklagten Baader gezündet worden waren, lassen, auch in Verbindung mit der übrigen Beweisaufnahme, keine sicheren Schlüsse zu.

Die Überzeugung des Senats, die Angeklagte Ensslin habe zu ihrer Waffe greifen und auf den Polizeibeamten Millhahn schießen wollen, gründet sich auf die allgemeine Übereinkunft der „RAF“-Mitglieder über den Schußwaffengebrauch, auf die konkreten Tatumstände und auf den Inhalt des „Ensslin-Kassibers“.

Die in der Gruppe vorhandene Entschlossenheit, von den großkalibrigen Faustfeuerwaffen gegen Polizeibeamte Gebrauch zu machen, ist bereits dargestellt worden. Die Feststellungen dazu gelten insbesondere auch für die Angeklagte, die von Anfang an der Gruppe angehörte und in ihr eine wichtige Rolle spielte; [289] die Festnahmen am 1. Juni 1972 haben offensichtlich keine Sinnesänderung bei der Angeklagten bewirkt. Die Feststellungen zum äußeren Tathergang beruhen auf den glaubhaften, widerspruchsfreien Bekundungen des Polizeibeamten Millhahn und der Geschäftsführerin Rühle. Daß es der Angeklagten auch noch im weiteren Verlauf, nachdem der Polizeibeamte Millhahn ihr die Hand von der Jackentasche weggerissen hatte, immer wieder darum ging, in diese Tasche mit dem Revolver zu greifen, war der unmittelbare Eindruck der Zeugen Millhahn und Rühle, die darin von der Verkäuferin Reinhard bestätigt werden. Der Eindruck war so vorherrschend, daß der Zeuge Millhahn - mit der sich wehrenden Angeklagten beschäftigt - seinem hinzugekommenen Kollegen Freiberg in barschem Ton zurief, er solle in die Tasche fassen, da sei „was drin“. Wenn aber nach den in der Gruppe herrschenden Vorstellungen auf Polizeibeamte geschossen werden sollte, von denen die Festnahme drohte, die Angeklagte tatsächlich auch einen Revolver und eine Pistole schußbereit bei sich führte und dann, als der Polizeibeamte Millhahn der Angeklagten in den Weg trat, sie ausgerechnet in die Tasche griff, in der sich der Revolver befand, so liegt der Schluß nahe, die Angeklagte habe sich, wie es für eine solche Situation vorausbedacht war, des Polizeibeamten mit der Waffe entledigen wollen. Seine Überzeugung davon hat sich der Senat vollends durch den von der Angeklagten [290] stammenden „Ensslin-Kassiber“ verschafft. Mit ihm bestätigt sie, was die äußeren Umstände nahelegen, daß es ihr nämlich nur deshalb nicht gelungen sei zu schießen, weil sie nicht rasch genug gehandelt habe („... hätte ich ticken müssen, ich hab aber gepennt“) und ihr die Hand von „Bullenpfoten“ im letzten Augenblick „aus der Tasche mit der Knarre“ gerissen wurde. Daß es ihr, um die Festnahme zu verhindern, dabei auf Menschenleben nicht ankam, gibt sie bei ihrer Darstellung, mit der sie sich zu rechtfertigen sucht, unverblümt zu erkennen:

„... ich gepennt, sonst wäre jetzt eine Verkäuferin tot (Geisel), ich und vielleicht zwei Bullen ...“

Damit will sie sagen, was - rückblickend betrachtet - geschehen wäre, wenn sie schon früher in die Tasche gegriffen und den Revolver gezogen hätte. Daß es ihr dann, wenn der Polizeibeamte ihr schon unmittelbar gegenüberstand und sie diesen aus dem Weg räumen mußte, um zu entkommen, auch recht war, wenn der Polizeibeamte getötet wurde, bezweifelt der Senat nach alledem nicht mehr. Ihre Geringschätzung gegenüber dem Leben anderer ist schon hinreichend dargestellt worden. Wenn die Angeklagte auf den Polizeibeamten aus größter Nähe mit der großkalibrigen Waffe in der Eile eines überstürzten Fluchtversuchs schießen wollte, um sich seiner wirksam zu entledigen, hatte sie es nicht mehr in der Hand, ob der Beamte - was sehr wahrscheinlich war - [291] dabei getötet wurde. Das stand der intelligenten und mit Waffen vertrauten Angeklagten vor Augen. Gleichwohl wollte sie auf den Beamten schießen.

[292] III. Zur kriminellen Vereinigung

Die Mitgliedschaft der drei Angeklagten in der „Rote Armee Fraktion“ steht fest aufgrund vielfältiger Äußerungen und Erklärungen der Angeklagten in der Hauptverhandlung; an den Zielen und Methoden der Vereinigung halten sie unentwegt fest. Das frühere Gruppenmitglied „Beate Sturm“ hat vor dem Bundesrichter Buddenberg glaubhaft bekundet, daß der Angeklagte Raspe Ende 1970 zu der damals schon bestehenden Gruppe gestoßen ist, der die Angeklagten Baader und Ensslin, ebenso wie die frühere Angeklagte Meinhof und der frühere Angeschuldigte Meins, bereits angehörten. Mit dem sogenannten „Baader-Brief“ vom Januar 1972 bekräftigte der Angeklagte Baader seine Zugehörigkeit zur „RAF“.

Über die allgemein bekannten Anfänge, Ziele und Methoden der Gruppe geben eine Reihe von gerichtlichen Urteilen[175] Aufschluss: so die Urteile des LG Berlin vom 21.5.1971 gegen Schubert und Goergens[176] und vom 21.1.1974 gegen Mahler und Meinhof (Baader-Befreiung),[177] des OLG Düsseldorf vom 15.3.1972 gegen Ruhland,[178] des Kammergerichts vom 26.2.1973 gegen Mahler,[179] des LG Berlin vom 28.6.1974 gegen Asdonk u.a.[180] (Berliner Banküberfälle vom September 1970 u.a.). Die von der früheren Angeklagten Meinhof, der „stimme“, verfassten drei „RAF“-Schriften „Das Konzept Stadtguerilla“,[181] „Stadtguerilla und Klassenkampf“[182] - hierin wird jeweils auch auf Marighella verwiesen - und „Die Aktion des Schwarzen September in München“[183] zeigen unter anderem, [293] was in der Gruppe gedacht und angestrebt wurde. Die Sacherklärung und andere Äußerungen der Angeklagten in der Hauptverhandlung gehen darüber weiteren Aufschluss. Mit welchen kriminellen Methoden die Gruppe tatsächlich arbeitet, zeigen die im Zusammenhang mit den Sprengstoffanschlägen und der Festnahme der drei Angeklagten festgestellten Taten zur Genüge. Rechtskräftige Urteile, etwa über die Geldbeschaffung durch bewaffnete Banküberfälle, runden das Bild ab.

Daß und wie die Gruppe ihre Tätigkeit auch nach den Festnahmen im Sommer 1972 fortgesetzt hat, erweist sich an vielfältigem Schriftmaterial: den schon gewürdigten Kassibern im Rahmen des „info“-Systems, dem „Ensslin-Kassiber“, der bei der früheren Angeklagten Meinhof gesichert worden ist, den Kassibern des Angeklagten Baader aus der Eleonore-Sterling-Straße in Frankfurt vom Februar 1974 oder dem „Spiegel“-Interview in der Ausgabe vom 20. Januar 1975, in dem es etwa heißt:

„Es geht nicht um den Alleingang, sondern darum, aus den Tageskämpfen, Mobilisierungen und Organisationsprozessen der legalen Linken eine politisch-militärische Avantgarde, einen politisch-militärischen Kern zu schaffen, der eine illegale Infrastruktur - die Voraussetzung, Bedingung von Handlungsfähigkeit ist - unter den Bedingungen der Verfolgung, der Illegalität, der Praxis entwickeln muss und der den legalen Kämpfern in der Fabrik, dem Stadtteil, auf der Straße, an den Universitäten erst Kontinuität, Orientierung, Stärke, Ziel geben kann, zu dem, worum es in der Entwicklung der ökonomischen und politischen Krise des imperialistischen Systems gehen wird:der Eroberung der politischen Macht. Die Perspektive unserer Politik - die Entwicklung, um die wir kämpfen: eine starke Guerillabewegung in den Metropolen - ist in diesem Prozess der endgültigen Niederlage, des Zerfalls des US-Imperialismus eine notwendige Vermittlung, eine [294] Etappe, sollen die legalen Kämpfe und die Kämpfe, die sich aus den Widersprüchen des Systems spontan entwickeln, nicht hei ihrem ersten Auftreten von der Repression zerschlagen werden. Was für Lenin die bolschewistische Kaderpartei war, ist unter den Bedingungen der multinationalen Organisation des Kapitals, der transnationalen Struktur der imperialistischen Repression nach innen und nach aussen heute die Organisation proletarischer Gegenmacht, die aus der Guerilla entsteht. Sie entwickelt sich in diesem Prozess national und international - zur revolutionären Partei.“

„Die RAF ist nicht das Volk, sondern eine kleine Gruppe, die den Kampf aufgenommen hat - als Teil des Volkes, das für sich als geschichtliche Kraft nur im Kampf gegen den Imperialismus im langandauernden Prozess der Befreiungskriege entstehen kann. Die RAF, ihre Politik, ihre Linie, ihre Aktionen sind proletarisch, sind ein Anfang proletarischer Gegengewalt. Der Kampf hat angefangen.“

Zur Erschießung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann[184] nach dem Tod des früheren Angeschuldigten Meins erklären die Angeklagten gegenüber dem „Spiegel“:

„Sie wissen selbst, daß die Empörung über diesen Schlag gegen die Berliner Justiz Propaganda ist und Heuchelei, daß niemand dieser Maske nachtrauert, daß das Pflichtübungen bürgerlicher, imperialistischer Kommunikation waren.“ „Revolutionäre Gegengewalt ist nicht nur legitim, sie ist unsere einzige Möglichkeit ... Die Aktion ist stark - als Ausdruck unserer Liebe, unserer Trauer und unserer Wut über die Ermordung eines gefangenen Kämpfers. Wenn es Begräbnisse geben soll - dann auf beiden Seiten.“

Keine Zweifel hat der Senat, daß die drei Angeklagten und die frühere Angeklagte Meinhof die schriftlichen Antworten in dem Interview gemeinsam verfasst haben; so wird es auch in der „Spiegel“-Ausgabe mitgeteilt. Das im „id“ vom 29. Mai 1976 veröffentlichte „Fragment über Struktur“ der früheren Angeklagten Meinhof ist bereits im Zusammenhang mit der Funktion des Angeklagten Baader gewürdigt worden.

[295] C. Rechtliche Würdigung

I. Der festgestellte Sachverhalt führt zu folgender rechtlichen Würdigung der Sprengstoffanschläge:

Die Angeklagten haben in Frankfurt einen Mord (§ 211 StGB), in Heidelberg tateinheitlich drei Morde gemeinschaftlich begangen. Sie haben mit gemeingefährlichen Mitteln,[185] nämlich mit der Detonation von Sprengkörpern an belebten Orten, vorsätzlich Menschen getötet. Ihre unbekannten Opfer - wer immer es sei - wollten sie töten; sie gingen davon aus und legten es darauf an, daß Personen sich in der Nähe der detonierenden Sprengkörper voraussichtlich aufhalten und dann durch die unkontrollierbaren lebensbedrohlichen Auswirkungen auch tödlich getroffen werden. Mit demselben Vorsatz und denselben Mitteln, aber ohne tödlichen Ausgang, haben sie nach den §§ 211, 43 a.F., 2 StGB in Augsburg einen versuchten Mord[186] (zum Nachteil Nitzer), in München einen weiteren versuchten Mord (zum Nachteil Eva Weber), in Hamburg tateinheitlich 23 versuchte Morde (zum Nachteil von 15 Korrektoren im 3. Stock und weiteren 8 Personen im 6. Stock) begangen, in Frankfurt außerdem in Tateinheit mit dem vollendeten Mord noch einen versuchten Mord (zum Nachteil Glyer) und in Heidelberg in Tateinheit mit 3 Morden noch 6 versuchte Morde (zum Nachteil Bizell [296] nebst Ehefrau und Schwiegereltern und 2 weiteren amerikanischen Soldaten). In diesen Fällen befanden sich die betroffenen Personen in dem Gefahrenbereich von detonierenden Sprengkörpern, in dem sie leicht hätten getötet werden können; mit dem Leben kamen sie aus Gründen davon, die nicht mehr in der Hand der Täter lagen. In Karlsruhe trifft das gleiche auf Frau Buddenberg zu. Hier kommt hinzu, daß der Anschlag gegen den Bundesrichter Buddenberg gerichtet war und dieses Ziel mit dem zur Detonation gebrachten Sprengkörper nur verfehlt wurde, weil das ausersehene Opfer entgegen der Annahme der Täter sich nicht in dem Kraftfahrzeug aufhielt. Deshalb sind hier in der Wohnstraße, wo weitergehende Gefahren für andere Personen nahelagen, zwei tateinheitliche Mordversuche mit gemeingefährlichen Mitteln begangen worden.

In allen sechs Fällen ist jeweils in Tateinheit mit den mit gemeingefährlichen Mitteln begangenen Tötungsdelikten noch ein vorsätzliches Verbrechen nach § 311 StGB[187] verübt worden. Die Angeklagten haben in jedem der Fälle andere willentlich an Leib und Leben gefährdet, indem sie Explosionen mit Sprengstoff herbeigeführt haben.

Bei jedem der sechs Sprengstoffanschläge stand das [297] gesamte Vorgehen jeweils in einem tateinheitlichen Zusammenhang (§ 73 a.F. StGB).[188]

Die Angeklagten haben alle sechs Sprengstoffanschläge gemeinschaftlich als Mittäter begangen (§ 47 a.F. StGB). [189] Sie haben jeweils zusammen die wesentlichen Tatumstände verabredet und vorher festgelegt: Ort, Objekt, Zeit, Art und Zahl der Sprengkörper. Wo sie bei der Ausführung der Anschläge am Tatort selbst nicht mitgewirkt und den Geschehensablauf bis zu seinem Ende nicht beherrscht haben, kommt ihr enges Verhältnis zu den von ihnen verabredeten und organisierten Taten in dem großen Interesse zum Ausdruck, das sie am Erfolg der Anschläge und der damit verfolgten Ziele der „RAF“ hatten; ihr hatten sie sich ganz und gar verschrieben. Die Angeklagten gehörten zu den mit Täterwillen handelnden Urhebern und Drahtziehern, von denen in jedem Fall die Anschläge ausgegangen und organisiert worden sind.

Ihr Tatbeitrag besteht - über die gemeinsame Verabredung hinaus - darin, daß sie die von ihnen - wann auch immer - hergestellten Sprengkörper, die sie in der Hand hatten, für Anschläge jeweils nach deren Verabredung zur Tatausführung zur Verfügung gestellt haben. Weiter haben die Angeklagten die Taten durch einen intellektuellen Beitrag gefördert, mit dem sie [298] sich gegenseitig in ihrem Täterwillen bestärkt haben. Sie haben zugleich mit der jeweiligen Verabredung, aber in der Bedeutung über diese hinausgehend, die unerläßliche Verständigung darüber getroffen, daß die einzelnen Anschläge nach der Art der gewählten Objekte mit den allgemeinen Vorstellungen der Gruppe, dem ideologischen Konzept, das die „RAF“ verwirklichen wollte, vereinbar waren und von der Gruppe kollektiv getragen werden konnten. Mit dieser Verständigung erhielten die einzelnen Anschläge ihre Legitimation für die Gruppe, den Anschein „sinnvoll“ zu sein; ohne diesen Rückhalt wären sie nicht ausgeführt worden.

Für Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe[190] haben sich keine Anhaltspunkte von Belang ergeben.

Die Angeklagten konnten im Vietnamkrieg Partei ergreifen und sich für eine Veränderung der Verhältnisse in der Bundesrepublik einsetzen. Sie hatten kein Recht, deshalb andere Menschen in der Bundesrepublik umzubringen. Dafür gibt es auch keine rechtlich gebilligte Entschuldigung.

Auch sind die Angeklagten keinem Verbotsirrtum[191] unterlegen. Wenn sie die bestehende Rechtsordnung ablehnen und für sich nicht gelten lassen wollen, so waren sie sich gleichwohl im klaren darüber, daß sie mit ihren [299] Taten gegen diese Rechtsordnung verstoßen und dafür selbstverständlich auch zur Verantwortung gezogen werden. Worauf sie sich berufen, ist nicht ein möglicherweise irrendes Bewußtsein im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung, sondern eine von ihnen in Anspruch genommene „revolutionäre Moral“, die sich über diese Rechtsordnung hinwegsetzt. Bezeichnend dafür ist die schon zitierte Erklärung des Angeklagten Raspe in der Hauptverhandlung vom 4. Mai 1976 im Zusammenhang mit Beweisanträgen der Verteidigung, die ein völkerrechtliches Nothilfe- oder verfassungsrechtliches Widerstandsrecht[192] begründen sollten. Dazu äußerte sich der Angeklagte Raspe wie folgt:

„Also wir akzeptieren diese Anträge. Wir haben sie auch zum Teil konzipiert, das heißt also formal, daß wir uns diesen Anträgen anschließen. Wir halten sie für korrekt. Aber natürlich fassen wir unsere Politik nicht in völkerrechtlichen Kategorien. Wir fassen sie überhaupt nicht in Kategorien, sondern die Politik der RAF, bewaffnete proletarische Politik, hat Kriterien - die jeder revolutionären Praxis - der bewaffneten Aktion, jedes Zieles seiner strategischen und taktischen Bestimmung, jedes Kampfes, um den Griff der Dialektik, die zwischen Subjektivität, dem Existenziellen und ihrer Vermittlung im objektiven, Notwendigkeit als Vehikel, im dem Moment besteht und wirksam werden kann, in dem sie in eins gesetzt werden können, was die Funktion der Politik ist, ihre Dimension. Kampf um diesen Begriff der Dialektik entwickelt revolutionäre Moral.“[193]

[300] II. Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Festnahme der Angeklagten stellen sich rechtlich wie folgt dar:

Der Angeklagte Raspe hat sich zweier tateinheitlich versuchter Morde zum Nachteil zweier Polizeibeamter und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht (§§ 211, 43 a.F., 113 Abs. 1, 73 a.F. StGB); zwei Mordversuche liegen deshalb vor, weil durch die mehreren Schüsse beide Beamten hätten getötet werden können.

Der Angeklagte hat unmittelbar angesetzt, seinen Vorsatz, Menschen zu töten, nach seiner Vorstellung von der Tat zu verwirklichen. Zur Vollendung des Verbrechens ist es nur deshalb nicht gekommen, weil die Schüsse ihr Ziel verfehlten. Wenn der Angeklagte mehrere Schüsse abgegeben hat, so liegen deshalb nicht mehrere rechtlich selbstständige Handlungen vor; die Schüsse wurden einem einmal gefaßten Tatentschluß entsprechend so rasch hintereinander abgegeben, daß sie sich als eine natürliche Handlungseinheit[194] darstellen (RGSt 27, 19; RG HRR 1934 Nr. 764; RG HRR 1939 Nr. 391; BGH GA 66, 209). Versuchter Mord liegt vor, weil der Angeklagte aus einem niedrigen Beweggrund[195] handelte und Straftaten verdecken wollte.[196] Dem Angeklagten kam es darauf an, seine Festnahme zu verhindern und zu entkommen. Um eines solchen Grundes willen einen anderen Menschen umzubringen, zeugt nach feststehender Rechtsprechung von besonders verwerflicher Gesinnung und steht nach allgemeiner [301] sittlicher Wertung auf tiefster Stufe (vgl. BGHSt 3, 132; BGH MDR 71, 722; BGH v. 4.7.66 - 2 StR 197/66; BGH v. 23.5.1973 - 3 StR 6/73). Da die Beteiligung des Angeklagten an den vorhergegangenen Sprengstoffanschlägen nicht feststand, die Aufdeckung dieser Tatsache aber zu befürchten war, wenn er in einem engen Zusammenhang mit der „RAF“-Garage im Hofeckweg festgenommen wurde, und er deshalb unerkannt entkommen wollte, schoß er auch, um Straftaten zu verdecken (vgl. BGH NJW 52, 431; BGH NJW 55,1119; BGH St 15, 291). Durch dieselbe Handlung hat der Angeklagte außerdem den Beamten, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen waren, mit Gewalt Widerstand geleistet. Mit den Schüssen sollten die Polizeibeamten gehindert werden, den Angeklagten festzunehmen.

Der Angeklagte Baader hat einen versuchten Mord zum Nachteil des Polizeibeamten Pfeiffer in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen (§§ 211, 43 a.F., 113 Abs. 1, 73 a.F. StGB).

Er muß sich, auch wenn er nicht selbst geschossen haben sollte, das Verhalten des früheren Angeschuldigten Meins als Mittäter nach § 47 a.F. StGB zurechnen lassen (BGHSt 11, 268). Es bestand die Übereinkunft, daß jeder auf etwaige, zur Festnahme schreitende Polizeibeamte schießen werde, wobei sich jeder das Handeln des andern zu eigen machen wollte und ihn in seinem Tun bestärkte. Jeder ging davon aus und erwartete auch von dem anderen, dieser [302] werde das aus seiner Sicht Zweckmäßige tun, um sich Polizeibeamte im gemeinsamen Interesse vom Leibe zu halten; das bestärkte den jeweiligen Schützen in seinem Entschluß. Um versuchten Mord handelte es sich schon deshalb, weil die Tötung eines Menschen in Kauf genommen wurde, um die bevorstehende Festnahme zu verhindern und sich die Möglichkeit zur Flucht offenzuhalten; das ist, wie ausgeführt, ein niedriger Beweggrund.

Ferner wollte der Angeklagte die Aufklärung seiner Beteiligung an den Sprengstoffanschlägen verhindern, mithin also Straftaten verdecken. Seine Person diente im Falle der Festnahme zu Beweiszwecken (bei der Gegenüberstellung mit Augenzeugen, aufgrund von Spuren am Körper und in der Kleidung des Angeklagten), auch stand seine Identität als Benutzer der schwer belastenden „RAF“-Garage noch nicht fest.

Der Angeklagte Baader hat außerdem durch den Schuß, mit dem er die Polizeibeamten Glatzel und Brandau in Gefahr brachte, sich eines weiteren versuchten Mordes in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht (§§ 211, 43 a.F., 113 Abs. 1, 73 a.F. StGB).

Daß der Schuß einen der beiden Beamten treffen werde und dann immer auch tödlich sein konnte, hat er in Kauf genommen und gebilligt; er hat mit bedingtem Tötungsvorsatz[197] gehandelt. Der Versuch des Mordes liegt auch in diesem Fall vor, weil der Angeklagte aus niedrigem Beweggrund handelte und er Straf- [303] taten verdecken wollte.

Durch dieselbe Handlung hat der Angeklagte in beiden Fällen jeweils Polizeibeamte mit Gewalt Widerstand geleistet. Die Beamten sollten an der bevorstehenden Festnahme des Angeklagten gehindert werden.

Die Angeklagte Ensslin hat einen versuchten Mord zum Nachteil des Polizeibeamten Millhahn in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen (§§ 211, 43 a.F., 113 Abs. 1, 73 a.F. StGB). Der Griff zu der in der Kleidung getragenen, geladenen Waffe, die nur noch abgedrückt werden muß, ist nicht nur eine straflose Vorbereitungshandlung, sondern bereits der Anfang der Tatausführung.[198] Rechtlich ohne Belang ist es, ob der Täter die in der Tasche befindliche Waffe ergreifen kann, aber gehindert wird, sie hervorzuziehen (so in dem Fall in RGSt 68, 336), oder ob er - wie hier - schon beim Griff nach der in der Jackentasche befindlichen, schußbereiten Waffe an seinem weiteren Vorhaben gehindert wird. In jedem der beiden Fälle hat der Täter unmittelbar dazu angesetzt, seinen Entschluß zu verwirklichen, der, träte niemand dazwischen, in einem Zug zum vorgestellten Erfolg führte. Da die Angeklagte ihre Festnahme verhindern und für dieses Ziel einen anderen Menschen töten wollte, handelte sie so verwerflich, daß wegen eines niedrigen Beweggrundes der Versuch des Mordes vorlag, zumal sie - ebenso wie die beiden anderen Angeklagten - diese Situation vorbedacht hatte. Es [304] sollten aber auch Straftaten verdeckt werden. Die Angeklagte führte unerlaubt Schußwaffen und gefälschte Personalpapiere hei sich; wenn sie festgenommen, identifiziert wurde und ihre Person zu Beweiszwecken zur Verfügung stand, befürchtete sie die Aufklärung ihrer Tatbeteiligung bei den vorhergegangenen Sprengstoffanschlägen. Das wollte sie vermeiden.

Durch dieselbe Handlung hat die Angeklagte Polizeibeamten mit Gewalt Widerstand geleistet; sie hat ihre ganze Kraft aufgewendet, um ihre bevorstehende Festnahme zu verhindern.

[305] III. Alle drei Angeklagten haben sich - jeweils in Tateinheit mit den festgestellten Morden und Mordversuchen - an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB als Mitglieder vorsätzlich beteiligt. Die „Rote Armee Fraktion“, der sie angehören, ist eine Vereinigung, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen: Morde durch Sprengstoffanschläge und bei Schußwechseln mit der Polizei, Widerstand gegen Polizeibeamte bei drohender Festnahme, Raub mit Schußwaffen zur Geldbeschaffung, Diebstahl (z.B. von Kraftfahrzeugen zur Begehung von Sprengstoffanschlägen), Urkundenfälschung (z.B. durch den Gebrauch gefälschter Personalpapiere, wie sie von Angeklagten bei ihrer Festnahme mitgeführt wurden und die, ebenso wie Decknamen und andere konspirative Methoden, einer illegalen Lebensführung im „Untergrund“ dienen sollten). Die Begehung solcher Straftaten ist nicht nur von untergeordneter Bedeutung; sie ergeben sich aus der von den Gruppenmitgliedern gewählten Lebensführung und der von ihnen angestrebten gewaltsamen Einwirkung auf das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Ihre aktive Mitgliedschaft an der fortbestehenden Vereinigung haben die Angeklagten auch nach ihrer Festnahme aufrechterhalten.

[306] D. Zur Person und zur Strafzumessung[199]

Der 1943 in München als Sohn eines Archivassessors geborene Angeklagte Baader hat bereits 1945 seinen Vater verloren. Er wuchs bei seiner Mutter auf. In München besuchte er von 1949 bis 1954 die Volksschule und anschließend das Max-Gymnasium. 1957 wechselte er auf das private Gymnasium Dr. Florian Überreiter in München; er verließ es, als er das Ziel der 5. Klasse nicht erreichte. Eine abgeschlossene Berufsausbildung hat der Angeklagte nicht. 1965 Eis 1968 wohnte er in Berlin und lebte dort mit einer Kunstmalerin zusammen; aus dieser Verbindung ging 1965 eine Tochter hervor.

Vorbestraft ist er wegen menschengefährdender Brandstiftung durch Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 31. Oktober 1969[200] mit einer Zuchthausstrafe von 3 Jahren, die in der Zwischenzeit verbüßt ist.

Die aus einer Pfarrerfamilie stammende Angeklagte Ensslin ist 1940 in Sankt Bartholomä im Kreis Schwäbisch Gmünd geboren. Sie besuchte die Volksschule und das Gymnasium und bestand 1960 das Abitur. Vom Sommer 1960 bis März 1963 war sie als Studentin der Germanistik, Anglistik und Philosophie an der Universität Tübingen eingeschrieben. Sie brach das Studium ab und besuchte vom Sommer 1963 bis April 1964 die Pädagogische Hochschule in Schwäbisch Gmünd; danach legte sie die erste Dienstprüfung für das Lehramt an Volksschulen ab.

[307] Ab Sommer 1964 war die Angeklagte an der Freien Universität Berlin mit dem Hauptfach Germanistik und dem Nebenfach Anglistik eingeschrieben. Sie wollte promovieren und später in einem Verlag tätig sein. Im Mai 1967 gebar sie einen Sohn. Vorbestraft ist sie - in derselben Sache wie der Angeklagte Baader - durch Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 31. Oktober 1969 wegen menschengefährdender Brandstiftung mit 3 Jahren Zuchthaus, die verbüßt sind.

Der 1944 in Tirol geborene Angeklagte Raspe ist der Sohn eines Fabrikanten, der bald nach der Geburt des Angeklagten starb. Der Angeklagte besuchte von 1950 bis 1958 die Grundschule in Ostberlin und anschließend bis 1963 die Bertha-von-Suttner-Oberschule in Westberlin. Dort lebte er bei Verwandten, seine Mutter war in Ostberlin geblieben. Nach dem Abitur studierte der Angeklagte an der Freien Universität in Berlin das Fach Chemie, wechselte aber nach 2 Semestern zur Soziologie über. Dieses Studium schloß er 1970 mit der Diplomprüfung ab.

Vorbestraft ist er nicht.

[308] Gegen die drei Angeklagten, bei denen Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung ihrer Schuldfähigkeit[201] nicht vorliegen, sind für die vollendeten Morde in Frankfurt und in Heidelberg zwei lebenslange Freiheitsstrafen[202] verhängt worden (§ 211 StGB).

Wegen der versuchten Morde durch die Sprengstoffanschläge in Augsburg, München, Karlsruhe und Hamburg ist die Strafe nach den §§ 211, 44 Abs. 2 a.F. StGB gemildert worden;[203] die Mindeststrafe bestimmt sich jedoch, weil jeweils ein besonders schwerer Fall der tateinheitlich herbeigeführten Sprengstoffexplosion vorliegt, nach § 311 Abs. 2 StGB.[204] Bei den Sprengstoffexplosionen in Frankfurt und Heidelberg liegt ein besonders schwerer Fall schon nach dem Regelbeispiel des § 311 Abs. 3 StGB[205] vor; bei den übrigen vier Sprengstoffanschlägen haben die Angeklagten zwar nicht den Tod von Menschen verursacht, gleichwohl aber ihre Taten in tauglicher Weise darauf angelegt, jeweils Menschen verletzt und tödliche Auswirkungen nur infolge glücklicher Umstände vermieden, die außerhalb ihrer Kontrolle lagen.[206] Innerhalb dieses vorgegebenen Strafrahmens hat der Senat berücksichtigt, daß es sich bei den Angeklagten um Täter handelt, die sich in den Vorstellungen ihrer politischen Wunschwelt versponnen haben, und daß der [309] Einschluß in eine Gruppe geeignet war, individuelle Hemmungen leichter zu überwinden. Andererseits ergab sich daraus eine besondere Gefährlichkeit der Angeklagten, die sie von der Mehrzahl anderer einschlägiger Täter abhebt. Schwerwiegend war, daß die Angeklagten vorbedacht und planmäßig, mit System, von vornherein eine ganze Serie von Mordtaten ins Auge gefaßt hatten, daß sie nach der Art der Sprengkörper und den Örtlichkeiten sehr weitreichende Gefahren heraufbeschworen, daß sie mit großer Tatkraft und Ausdauer handelten, und daß sie unentwegt an ihren verstiegenen Zielen und menschenverachtenden Methoden festhalten wollen. Eine Freiheitsstrafe von jeweils 14 Jahren ist angemessen.

Die bei der Festnahme der Angeklagten verübten Mordversuche sind nach den §§ 211, 44 Abs. 2 a. F. StGB mit Freiheitsstrafen von 10 Jahren beim Angeklagten Raspe, von 2 x 10 Jahren beim Angeklagten Baader und von 6 Jahren bei der Angeklagten Ensslin geahndet worden. Diese Taten ergaben sich jeweils aus einer von den Angeklagten nicht herbeigeführten Situation; sie wurden gestellt und wollten sich nicht festnehmen lassen. Auch ist niemand getroffen worden. Bei der Angeklagten Ensslin blieb der Versuch in einem frühen Stadium der Tatausführung stecken und war deshalb weniger gefährlich. Die minderschwere [310] Form des Eventualvorsatzes[207] wurde berücksichtigt. Gleichwohl wirkte sich erschwerend aus, daß der Schußwaffengebrauch gegenüber der Polizei einem allgemeinen, überlegten Plan entsprang, sich notfalls auf diese Weise einer drohenden Festnahme zu entziehen. Die großkalibrigen Schußwaffen waren in besonderer Weise geeignet, die gewollten tödlichen Folgen auch leicht herbeizuführen. Daß die Angeklagten an ihren Zielen und Methoden weiterhin festhalten wollen, belastet sie auch insoweit zusätzlich.

Aus den zeitigen Einzelstrafen hat der Senat eine der Schuld und der Gefährlichkeit der Angeklagten sowie der Häufung ihrer schweren Straftaten angemessene Gesamtfreiheitsstrafe von jeweils 15 Jahren gebildet (§§ 74, 75 a.F. StGB).[208]

Nach § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO[209] ist jeweils nur eine lebenslange Freiheitsstrafe in die Urteilsformel aufgenommen worden.

[311] E. Einziehung

Die Einziehung der in den Anlagen zur Urteilsformel (vgl. BGHSt. 9, 88; LM Nr. 28 zu § 260 StPO)[210] im einzelnen aufgeführten Gegenstände beruht auf § 40 StGB a.F. Die in Wohnungen, Garagen und bei Festnahmen sichergestellten Gegenstände waren zur Tätigkeit in der kriminellen Vereinigung einschließlich der dafür erforderlichen konspirativen Lebensführung bestimmt. Sie standen, wie jedem Mitglied der Gruppe, so auch den Angeklagten zur Verfügung und gehörten allen Mitgliedern der inkriminierten Vereinigung. Der „Begriff der proletarischen Besitzlosigkeit“ schloß nach dem Verständnis der Gruppenmitglieder individuelle Eigentumsrechte aus. Finanziert wurde die Lebensführung der Gruppenmitglieder ohnehin aus der gemeinsamen Kasse. Sprengkörper, Sprengstoffe, Materialien zu ihrer Herstellung, Waffen, Munition und falsche Ausweise begründen überdies die Gefahr, daß sie der Begehung rechtswidriger Taten dienen werden (§ 40 Abs. 2 Nr. 2 StGB).[211] Die aus Zellendurchsuchungen stammenden Schriftstücke dienten der Fortsetzung der kriminellen Vereinigung aus der Haft heraus. Die Einziehungsbeteiligung weiterer Gruppenmitglieder[212] wurde wegen tatsächlicher Schwierigkeiten nicht angeordnet.

Die eingezogenen Gegenstände sind in den Anlagen I - XXXX nach ihrer Herkunft wie folgt bezeichnet:

[312] Asservate B 54 Frankfurt Hofeckweg (Garage, Personenkraftwagen, Festnahmen) (Anl. I - V)

Asservate C 2 Hamburg Festnahme Ensslin (Anl. VI)

Asservate C 6 Langenhagen Festnahme Meinhof (Anl. VII)

Asservate E 22 Frankfurt Ginnheimer Landstraße Garage (Anl. VIII - X)

Asservate E 23 Frankfurt Inheidener Straße Wohnung (Anl. XI - XVIII)

Asservate E 25 Hamburg Ohlsdorfer Straße Wohnung (Anl. XIX - XXIII)

Asservate E 27 Frankfurt Raimundstraße Wohnung (Anl. XXIV)

Asservate E 29 Stuttgart Seidenstraße Wohnung (Anl. XXV)

Asservate E 37 Hamburg Paulinenallee Wohnung (Anl. XXVI - XXXII)

Asservate Baader-Material Zellen-Durchsuchung vom 16.7.1973 (Anl. XXXIII)

Asservate Meinhof-Material Zellen-Durchsuchung vom 16.7.1973(Anl. XXXIV)

Asservate Ensslin-Material Zellen-Durchsuchung vom 16.7.1973 (Anl. XXXV)

Asservate Baader-Material Zellen-Durchsuchung vom 7.2.1974 (Anl. XXXVI)

Asservate Meinhof-Material Zellen-Durchsuchung vom 8.2.1974 (Anl. XXXVII)

[313] Asservate Ensslin-Material Zellen-Durchsuchung vom 8.2.1974 (Anl. XXXVIII)

Asservate Baader-Material Zellen-Durchsuchung vom 22.1.1975 (Anl. XXXIX)

Asservate Meinhof-Material Zellen-Durchsuchung vom 22.1.1975 (Anl. XXXX).

Die an den Tatorten der Sprengstoffanschläge (B 47 - 52) gefundenen und in Bad Homburg (E 34) weggeworfenen Sachen bedurften nicht der Einziehung.

F. Die Kostenentscheidung folgt § 465 StPO.[213]

[314] G. Keine Einstellung des Verfahrens.[214]

Ein Anlaß, das Verfahren einzustellen, hat entgegen dem Antrag der Verteidigung nicht bestanden.

Soweit es um die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten[215] geht, käme ohnedies eine endgültige Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht. Dauernde Verhandlungsunfähigkeit ohne Aussicht auf Besserung wird von niemandem behauptet, ist auch nicht ersichtlich. Wenn die Angeklagten - entgegen der Annahme des Senats - voll verhandlungsfähig wären, müßte die Hauptverhandlung in ihrer Anwesenheit fortgesetzt, gegebenenfalls die Beweisaufnahme wiederholt werden.[216] Erwiesen sich die Angeklagten dagegen als unverschuldet verhandlungsunfähig, so wäre je nach den Umständen die Hauptverhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen, gegebenenfalls das Verfahren vorläufig einzustellen, bis die Angeklagten verhandlungsfähig wären.[217]

Indes liegt weder das eine noch das andere vor. Der Beschluß des Senats vom 30. September 1975, die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortzusetzen,[218] beruht, was den Gesundheitszustand der Angeklagten angeht, auf den gutachtlichen Äußerungen der zugezogenen Ärzte. Während der dann folgenden Hauptverhandlung bestand für den Senat kein Anlaß zu der Annahme, der Gesundheitszustand [315] der Angeklagten habe sich, was ihre Verhandlungsfähigkeit angeht, gegenüber dem jenem Beschluß zugrunde liegenden Gesundheitszustand maßgeblich positiv verändert. Von den Angeklagten und von den Verteidigern, die in ständigem Kontakt mit ihnen standen, sind keinerlei Hinweise in dieser Richtung erfolgt, obwohl es jedenfalls auch deren Sache gewesen wäre, eine Besserung des Gesundheitszustandes, die den Wiedereintritt der Verhandlungsfähigkeit erwarten ließ, dem Gericht mitzuteilen. Im Gegenteil wurde immer wieder über den schlechten Gesundheitszustand geklagt, etwa von RA Dr. Heldmann in der Hauptverhandlung am 11. Mai 1976: „ ... daß wir doch alle wissen, daß die Verhandlungsfähigkeit der Gefangenen völlig reduziert ist“.[219] Dr. Heldmann sprach sogar von „Lebensgefahr“. Das war zwar beträchtlich überzogen; immerhin bestand für den Senat kein Anlaß, eine maßgebliche Besserung des Gesundheitszustandes anzunehmen. Ähnlich verhält es sich mit dem Vortrag von RA Oberwinder (im Schriftsatz vom 4. Februar 1977), der Gesundheitszustand der Angeklagten habe sich gegenüber dem Zeitpunkt ihrer medizinischen Begutachtung „nicht positiv verändert“. Auf diese Ausführungen bezog sich RA Schily, Verteidiger der Angeklagten Ensslin, im Schriftsatz vom 15.2.1977, und RA Weidenhammer, Verteidiger des Angeklagten Raspe, sprach in seinem Schriftsatz vom 25.3.1977 [316] von dem „desolaten Gesundheitszustand“ der Angeklagten.

Hinzu kommt, daß der Anstaltsarzt vom Vorsitzenden von Anfang an wiederholt gebeten wurde, den Senat zu unterrichten, wenn - verglichen mit dem von den Gutachtern festgestellten Gesundheitszustand - Änderungen eintreten würden, die eine neue Prüfung der Verhandlungsfähigkeit geboten erscheinen ließen (vgl. den Aktenvermerk des Vorsitzenden vom 8.9.1976). Daß der Anstaltsarzt sich dieser Berichtspflicht bewußt war, zeigt seine Stellungnahme vom 14.3.1977, in der er sich unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Vorsitzenden vom 21.11.1975 mit der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten befaßt und keine vorteilhafte Veränderung feststellt.

Somit ist bis zum Tag der Urteilsverkündung von dem auszugehen, was der Senat in dem Beschluß vom 30.9.1975 über die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten festgestellt hat. Für die neueste Zeit gilt das im Hinblick auf den am 29.3.1977 begonnenen erneuten Hungerstreik[220] der Angeklagten in verstärktem Maße.

Auch soweit es darum geht, ob die Angeklagten ihre Verhandlungsunfähigkeit zu vertreten haben, hat sich seit September 1975 nichts geändert. Es kommt nicht entscheidend darauf an, welches Gewicht den in Betracht zu ziehenden Ursachen, vornehmlich den Hungerstreiks[221] und den Haftbedingungen, im einzelnen [317] beizumessen ist; denn auch die Haftbedingungen sind von den Angeklagten zu vertreten.[222] Die Haftbedingungen sind, zuletzt in der Verfügung vom 15. April 1977, so ausgestaltet, wie dies aufgrund des Verhaltens der Angeklagten erforderlich ist. Hierbei wurden Äußerungen der Angeklagten verwertet wie etwa die in der „Hungerstreikerklärung“ vom 29. März 1977 enthaltenen Sätze, man müsse

„den Widerstand bewaffnen

die Illegalität organisieren

den antiimperialistischen Kampf offensiv führen“.

Solche Äußerungen und ihre Auswirkungen auf die Haftbedingungen fallen in die Verantwortung der Angeklagten.

Gleiches gilt, soweit die Angeklagten von der seit 1975 ihnen richterlich zugebilligten Möglichkeit, mit einer beschränkten Anzahl sonstiger Anstaltsinsassen gemeinsam Hofgang zu machen, keinen Gebrauch machen, also einen Erfolg versprechenden Weg, ihren Gesundheitszustand zu bessern, ausschlagen.

Für den Senat bestand nach alledem kein Anlaß, aus Gründen der Verhandlungsfähigkeit im Verfahren innezuhalten.

Daß ein Richter am BGH, den die Verteidigung nachträglich für befangen hält,[223] an dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 22.10.1975[224] mitgewirkt hat (durch diese Entscheidung wurden die Beschwerden [318] gegen den Beschluß des Senats vom 30.9.1975 verworfen), gibt vollends keinen Grund, das Verfahren einzustellen. Zum einen kann ein Richter nachträglich nicht abgelehnt werden, zum anderen kommt es nicht darauf an, wer an jener Entscheidung mitgewirkt hat. Maßgeblich ist allein, ob die Angeklagten seit Oktober 1975 bis zum Tag der Urteilsverkündung aus eigenem Verschulden verhandlungsunfähig waren; das steht nach dem vorstehend Ausgeführten außer Frage.

Das Verfahren ist auch nicht deshalb einzustellen, weil zu bestimmten Zeiten Gespräche zwischen Angeklagten und Verteidigern in der Vollzugsanstalt abgehört wurden.[225] Eine Beschränkung der Verteidigung im Sinne der StPO (vgl. § 338 Nr. 8 StPO[226]) könnte nur vorliegen, wenn die Abhörungen auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht hätten oder wenigstens mit Wissen oder Duldung des Gerichts geschehen wären. Beides ist nicht der Fall. Sobald der Senat von den Abhörungen erfuhr, stellte er durch die erforderlichen Maßnahmen sicher, daß fortan dergleichen nicht mehr geschah.[227]

Die in der Vergangenheit geschehenen Abhörungen könnten nur unter dem Gesichtspunkt des § 136a StPO[228] eine Rolle spielen, d.h. Angaben der Angeklagten, die auf diese Weise bekannt geworden wären, dürften vom Gericht nicht verwertet werden. Es fehlt aber [319] jeder Anhalt, daß solche Angaben irgendwie in das Verfahren eingeführt worden wären. Die von der Verteidigung genannten Beispiele (Äußerungen der Angeklagten, die vom Gericht wiedergegeben wurden:

„Wir müssen krank sein ...“ - Protokoll Seite 3139; in bezug auf Anträge, die von Verteidigern gestellt worden waren - Protokoll Seite 13218) besagen nichts; die unverfängliche Herkunft dieser Äußerungen ist belegt.

Auch aus diesen Gründen kommt daher Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht. Ob Einstellung in solchen Fällen Rechtens überhaupt möglich wäre, kann dahinstehen.

Foth, Maier, Berroth, Breucker, Vötsch[g]

Inhaltsverzeichnis

                                                                                                                                   Seite

A. Feststellungen (Sachverhalt, Beweisanzeichen)

I. Sprengstoff-Anschläge:

Frankfurt 5. US-Corps                                                                                               1

Augsburg Polizeidirektion                                                                                          6

München Bayrisches Landeskriminalamt                                                                     9

Karlsruhe Bundesrichter Buddenherg                                                                         14

Hamburg Springer-Verlag                                                                                          18

Heidelberg US-Hauptquartier                                                                                     28

Sprengkörper                                                                                                           40

Sprengstoffe                                                                                                             45

Zündungsmuster                                                                                                      48

Die Zentrale: Inheidener Straße

in Frankfurt                                                                                                             50

Weitere Stützpunkte und Funde                                                                                 53

Die Angeklagten:

Aufenthalt, Zugehörigkeit, Einfluss                                                                            63

Vorbereitende Tätigkeit: Herstellung von Sprengkörpern                                             64

Allgemeiner Plan: Sprengstoffanschläge                                                                      70

Konkrete Abrede und Tatbeitrag                                                                                71

Tötungsvorsatz                                                                                                         73

Zweck der Anschläge                                                                                                75

II. Die Festnahmen der Angeklagten:                                                                               77

Raspe                                                                                                                      78

Baader                                                                                                                      81

Ensslin                                                                                                                    85

III. Die Mitgliedschaft in den kriminellen Vereinigung                                                       88

B. Beweiswürdigung

I. Zu den Sprengstoffanschlägen:

Einlassung der Angeklagten                                                                                       90

Äußerer Sachverhalt                                                                                                  93

Sicherstellung von Beweisstücken, Sicherstellungszeugen                                               99

Identifizierung von Wohnungen, Garagen und anderen „RAF“-Funden                        103

Zur Urheberschaft der „RAF“:                                                                                 116

Sachspuren                                                                                                             116

Bekennerbriefe                                                                                                       128

Übereinstimmung bei den Sprengkörpern und Sprengstoffen                                       132

Der Bombenbauer Hoff                                                                                          140

Zur Urheberschaft der Angeklagten:                                                                         148

Sicherstellung von Zellenmaterial                                                                              149

Herkunft des „Ensslin-Kassibers“                                                                             151

Öffentliche Erklärungen                                                                                          154

Die Rolle des Angeklagten Baader aus schriftlichem Beweismaterial                             155

Die Rolle der Angeklagten Ensslin aus schriftlichem Beweismaterial                             174

Strukturen                                                                                                              186

Identifizierung der Angeklagten mit den Taten                                                           193

Der Aufenthalt der Angeklagten in der Zentrale Frankfurt:                                          195

Raspe                                                                                                                    196

Ensslin                                                                                                                  199

Baader                                                                                                                   200

Die Mitwirkung der Angeklagten hei der vorbereitenden Sprengkörperherstellung

in Frankfurt:                                                                                                           202

Raspe                                                                                                                    202

Baader                                                                                                                   206

Ensslin                                                                                                                  208

Schlußfolgerungen aus den zusammentreffenden Sach- und Personen-Spuren

in Frankfurt und in der Person der Angeklagten                                                         210

aus der Verfügung der Angeklagten über die Sprengkörper                                          212

aus der Rolle der Angeklagten in der „RAF“                                                              213

aus Struktur und Konzept der „RAF“                                                                       215

Der Zeuge Gerhard Müller                                                                                      220

Zur inneren Tatseite:

Tötungsvorsatz und Zielsetzung                                                                               267

II. Zu den Festnahmen                                                                                                 278

Raspe                                                                                                                       281

Baader                                                                                                                     282

Ensslin                                                                                                                     288

III. Zur kriminellen Vereinigung                                                                                    292

C. Rechtliche Würdigung

I. Sprengstoffanschläge                                                                                                 295

II. Festnahmen                                                                                                            300

III. Kriminelle Vereinigung                                                                                           305

D. Zur Person und Strafzumessung                                                  306

E. Einziehung                                                                                                   311

F. Kostenentscheidung                                                                               313

G. Keine Einstellung des Verfahrens                                             314


[1] Der ursprünglich dem Senat vorsitzende Richter Dr. Prinzing schied nach über 80 erfolglosen Ablehnungen (laut Oberstaatsanwalt Zeis war es die 85., s. seinen Kommentar am 176. Verhandlungstag, S. 13303 des Protokolls der Hauptverhandlung) schließlich am 174. Verhandlungstag wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Verfahren aus. Die erfolgreiche Ablehnung stützte sich auf ein Telefonat, das Dr. Prinzing mit dem von den Angeklagten als Zwangsverteidiger bezeichneten Rechtsanwalt Künzel im Zusammenhang mit einem von diesem gestellten Ablehnungsgesuch (S. 13171 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 172. Verhandlungstag) geführt hatte. Dem war bereits eine Reihe von Ablehnungen aufgrund einer Protokollweitergabe an RiBGH Mayer vorausgegangen (s. zu diesem Vorgang den Ablehnungsantrag des Rechtsanwalts Schily in Anlage 1 zum Protokoll vom 10.1.1977, S. 13135 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 171. Verhandlungstag). Der stattgebende Senatsbeschluss vom 20.1.1977 wurde damit begründet, daß aus Sicht der Angeklagten die Befürchtung nicht unbegründet sei, Dr. Prinzing messe Ablehnungsgesuchen der Vertrauensverteidigung eine geringere Bedeutung bei, als ihnen eigentlich zukäme (der Beschluss ist abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 20.1.1977, S. 13261 f. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[2] Die Annahme von Mittäterschaft (§ 47 StGB a.F.; heute: § 25 Abs. 2 StGB) ermöglicht das wechselseitige Zurechnen objektiver Tatbeiträge anderer Beteiligter, wenn die gemeinschaftliche Tatausführung auf einem gemeinsamen Tatplan beruht. Wie diese Form der Täterschaft von der bloßen Teilnahme an der Tat einer anderen Person abgegerenzt wird, ist umstritten. Während die Rechtsprechung bis in die 1970er Jahre einen vorwiegend subjektiven Ansatz verfolgte, der maßgeblich auf den Täterwillen abstellte (sog. animus-Theorie; s. noch BGH, Urt. v. 12.3.1974 - Az.: 1 StR 39/77, GA 1977, S. 306) stellt die Literatur überwiegend darauf ab, ob eine beteiligte Person objektiv einen wesentlichen Beitrag geleistet hat (funktionelle Tatherrschaft). Inzwischen zieht die Rechtsprechung neben subjektiven auch objektive Elemente heran (sog. normative Kombinationstheorie). Für einen Überblick s. Joecks/Scheinfeld, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 4. Aufl. 2020, § 25 Rn. 24; für eine ausführliche Darstellung der Entwicklung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung von 1962 bis 2015 sowie eine weitere Differenzierung innerhalb der Literatur s. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 9. Aufl. 2015, S. 559 ff.; 674 ff.).

[3] Nach § 73 Abs. 1 StGB a.F. (heute: § 52 Abs. 1 StGB) wird nur auf eine Strafe erkannt, wenn „dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals“ verletzt (Tateinheit). Was unter einer Handlung zu verstehen ist, ist im Einzelnen durchaus umstritten. Auch bei mehreren Einzelakten kann unter bestimmten Voraussetzungen eine einheitliche Handlung angenommen werden (s. zu den Fallgruppen v. Heintschel-Heinegg, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 2, 4. Aufl. 2020, § 52 Rn. 12 ff.). Richten sich einzelne Akte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter wie das Leben, kommt die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit in der Regel nicht in Betracht, da höchstpersönliche Rechtsgüter grundsätzlich nicht additiv betrachtet werden. Ausnahmen bestehen aber, wenn ein derart enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht, daß es gekünstelt erschiene, das Tatgeschehen in Einzelhandlungen aufzuspalten (BGH, Urt. v. 10.09.2019 - Az.: 3 StR 180/19, NStZ-RR 2020, S. 136, 137). Da es sich hier um Verletzungen infolge von Explosionen handelt, ist ein solcher Zusammenhang zu bejahen, selbst bei Einsatz mehrerer Sprengkörper in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang. Die tateinheitliche Begehung hat zur Folge, daß die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht; weist einer der verwirklichten Tatbestände eine Mindeststrafe auf, so darf die Strafe nicht milder sein (§ 73 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 52 Abs. 2 StGB). Für Mord ist die Strafe zwangsläufig eine lebenslange Freiheitsstrafe (§ 211 Abs. 1 StGB).

[4] § 211 StGB enthält den Straftatbestand des Mordes, d.h. die vorsätzliche Tötung einer Person bei gleichzeitigem Vorliegen eines sog. Mordmerkmals. Darunter fällt auch die Tötung mit „gemeingefährlichen Mitteln“. Dies sind Mittel, die geeignet sind, in der konkreten Tatsituation eine größere Zahl von Personen an Leib und Leben zu gefährden, weil die Ausdehnung der Gefahr für den/die Täter/in nicht beherrschbar ist (BGH, Urt. v. 13.2.1985 - Az.: 3 StR 525/84, NJW 1985, S. 1477, 1478).

[5] Eine Straftat versucht, wer „den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, betätigt hat“ (§ 43 Abs. 1 StGB a.F.; heute mit abweichender Definition § 22 StGB). Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 23 Abs. 1 StGB; § 43 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 23 Abs. 1 StGB). Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind; Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind (§ 1 Abs. 1 und 3 StGB a.F.; heute: § 12 Abs. 1 und 2 StGB). Die versuchte Tat kann milder bestraft werden als die vollendete (§ 44 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 23 Abs. 2 StGB).

[6] § 311 StGB a.F. enthielt den Tatbestand der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, der heute in § 308 Abs. 1 StGB geregelt ist. § 311 Abs. 1 StGB a.F. lautete: „Wer eine Explosion, namentlich durch Sprengstoff, herbeiführt und dadurch Leib oder Leben eines anderen oder Fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“

[7] Strafbar gem. § 113 StGB a.F. Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist seither mehrfach reformiert worden. Der Grundtatbestand des Widerstandes ist aber auch heute noch in § 113 Abs. 1 StGB geregelt.

[8] Strafbar gem. § 129 StGB.

[9] Nach § 40 Abs. 1 StGB a.F. (heute: § 74 Abs. 1 StGB) können Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht, oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, eingezogen werden. Die Einziehung war nur zulässig, wenn die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem/der Täter/in oder Teilnehmer/in gehörten oder zustanden oder von ihnen eine Gefahr (für die Allgemeinheit oder die Begehung weiterer mit Strafe bedrohten Handlungen) ausging (§ 40 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 74 Abs. 3 Satz 1, 74b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Das System der Einziehung wurde zuletzt mit Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017 (BGBl. I, S. 872) umfassend reformiert.

[10] Die Kosten des Verfahrens hat im Falle einer Verurteilung grundsätzlich der/die Angeklagte zu tragen (§ 465 Abs. 1 StPO). Sind besondere Kosten entstanden durch Untersuchungen, die zugunsten des/der Angeklagten ausgegangen sind, hat das Gericht die Kosten ganz oder teilweise der Staatskasse aufzuerlegen, wenn eine Belastung des/der Angeklagten unbillig wäre (§ 465 Abs. 2 StPO).

[11] Nach § 2 Abs. 2 StGB a.F. (heute: § 2 Abs. 1 StGB) ist für die Bestimmung der Strafe und ihrer Nebenfolgen das zum Zeitpunkt der Tat geltende Gesetz anzuwenden. Eine Ausnahme gilt nur, soweit das zum Zeitpunkt der Verurteilung geltende Recht milder ist; in diesem Fall ist das mildere Gesetz anzuwenden (§ 2 Abs. 2 StGB a.F.; heute: § 2 Abs. 3 StGB). Soweit in den Anmerkungen genannte Vorschriften aus dem materiellen Strafrecht auf eine alte Fassung (a.F.) verweisen, ist daher die Fassung des jeweiligen Tatzeitpunktes gemeint. Durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) traten zum 1.1.1975 einige Änderungen in Kraft; so wurde etwa der Allgemeine Teil des StGB vollständig neu strukturiert, sodass viele der anzuwendenden Vorschriften im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits nicht mehr galten. § 2 StGB ist Ausdruck des in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Rückwirkungsverbots.

[12] Am Morgen des 9. Mai 1976 wurde Ulrike Meinhof tot in ihrer Zelle aufgefunden. Nach der öffentlichen Bekanntgabe, Ulrike Meinhof habe Selbstmord begangen, entstanden in mehreren deutschen Städten Proteste. In anderen europäischen Ländern wurden deutsche Einrichtungen angegriffen. Die übrigen RAF-Insass/innen sowie weitere Sympathisant/innen und Unterstützer/innen gingen von einem Mord aus. Meinhofs Tod wurde damit zu einem auch medial breit diskutierten Ereignis. Auf Druck u.a. von Meinhofs Angehörigen wurde schließlich eine Nachobduktion durchgeführt, die jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis führte. Außerdem nahm sich eine internationale Untersuchungskommission des Falls an. Sie bestand überwiegend aus Jurist/innen, Ärzt/innen und Journalist/innen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark; unter den Mitgliedern befanden sich auch bekannte Persönlichkeiten wie etwa Simone de Beauvoir. In ihrem Bericht aus dem Jahr 1978 kam die Kommission zu dem Schluss, daß ein Selbstmord Meinhofs nicht erwiesen sei. Gegenteilige Beweise erbrachte die Kommission allerdings ebenfalls nicht. Die genauen Umstände von Meinhofs Tod blieben weiterhin umstritten (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 394 ff.; Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 268 ff.; März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 159 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 398 ff.; zum Bericht der Kommission s. Internationale Untersuchungskommission zum Tode Ulrike Meinhofs, Der Tod Ulrike Meinhofs: Bericht der Internationalen Untersuchungskommission, 1979).

[13] Dieser Vorgang war ab dem 65. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[14] Das I.G.-Farben-Haus in Frankfurt am Main wurde zwischen 1928 und 1931 im Auftrag der Interessen-Gemeinschaft Farbenindustrie Aktiengesellschaft (I.G. Farben) errichtet, die sowohl an der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik als auch an der Zwangsarbeit und der Vernichtung von KZ-Häftlingen beteiligt war. Nach Kriegsende beherbergte das Haus den Hauptsitz der amerikanischen Militärverwaltung. 1951 zog das 5. amerikanische Armeekorps ein (Jeßberger, JZ 2009, S. 924, 925; Stokes, in Lillteicher [Hrsg.], Profiteure des NS-Systems?, 2006, S. 45, 48 ff.).

[15] Thomas Weisbecker trat im Juli 1971 zusammen mit Angela Luther von den Tupamaros West-Berlin zur RAF über. Bereits seit dem 14. Februar 1972 wurde er observiert. Er starb am 2. März 1972 in Augsburg. Die genauen Umstände von Weisbeckers Tod wurden nie geklärt. Bekannt ist nur, daß Weisbecker, der vermutlich bewaffnet war, am Nachmittag des 2. März von zwei Polizeibeamten verfolgt und dann von einem der beiden erschossen wurde. Weisbecker gehörte mit Petra Schelm und Georg von Rauch zu den ersten Opfern der RAF und galt fortan als Ikone der RAF (s. die Beiträge von König und Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 430, 459 f., 464 ff., bzw. S. 531, 546 ff.).

[16] Die Erklärung des „Kommando Thomas Weisbecker“ vom 16. Mai 1972 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 145 f.

[17] Die 20-jährige Petra Schelm starb am 15. Juli 1971 in Hamburg. Sie entkam in ihrem Auto zunächst einer Polizeisperre und flüchtete schließlich, nachdem sie durch ein weiteres Polizeifahrzeug gestoppt werden konnte, mit ihrem Begleiter Werner Hoppe zu Fuß vor der Polizei. Bei einem Schusswechsel mit zwei Polizeibeamten wurde sie durch einen Kopfschuss getötet. Sie war das erste Todesopfer aus den Reihen der RAF. Ihr Tod löste nach Angaben von Mitgliedern eine Radikalisierung der Gruppe aus (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 312 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 64). Die Kommandoerklärung vom 14. Mai 1972 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 145).

[18] Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und mit dem Ziel, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien einzudämmen, führten die USA in Vietnam von 1964 bis 1973 einen Luft- und Bodenkrieg gegen die südvietnamesische Befreiungsfront und nordvietnamesische Truppen. Trotz wachsender Proteste in der amerikanischen Bevölkerung und entgegen den Einschätzungen und Warnungen hochrangiger Berater, entschieden sich mehrere US-Präsidenten für die Fortsetzung der Kampfhandlungen. Während dieses Krieges griff das US-amerikanische Militär auf Methoden zurück, die darauf ausgerichtet waren, möglichst viele Gegner/innen auszuschalten und deren Strukturen zu zerschlagen. Am 13. Mai 1968 begannen die Pariser Friedensverhandlungen zur Beendigung des Vietnamkriegs. Die zähen Friedensverhandlungen wurden immer wieder von der Kompromisslosigkeit der amerikanischen Regierung beeinflusst und nahezu weitere fünf Jahre von Kämpfen in Vietnam begleitet. Nordvietnam reagierte am 30. März 1972 auf die schwierigen Friedensverhandlungen in Paris mit der sogenannten Oster-Offensive, bei der ca. 120.000 Soldaten nach Südvietnam vordrangen. Dies veranlasste wiederum die USA zu schweren Bombardierungen. Am 8. Mai erging eine Anordnung von Präsident Nixon zur Verminung nordvietnamesischer Häfen, um Nordvietnam durch die Unterbrechung der Versorgung weiter unter Druck zu setzen und damit neue Verhandlungen zu erzwingen. Bei der „Operation Linebacker“ wurden innerhalb von sechs Monaten Angriffe mit Bomben im Umfang von 155.000 Tonnen geflogen (Fischer, Die USA im Vietnamkrieg, 2009, S. 104 ff.; Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 83 ff., 126 ff., 144 ff., 173 ff., 187 ff., 205 ff.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 56 ff., 72 f.).

[19] Dieser Vorgang war ab dem 85. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[20] Dieser Vorgang war ab dem 87. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[21] Dieser Vorgang war am 96. und 97. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[22] Manfred Grashof war Mitglied der RAF. Bei seiner Festnahme im März 1972 erschoss er einen Polizisten und wurde selbst schwer verletzt. Die RAF beschuldigte den u.a. für Haftfragen zuständigen Bundesrichter Buddenberg, die Verlegung von Grashof in eine Zelle zu einem Zeitpunkt veranlasst habe, als der Transport und die Infektionsgefahr für ihn noch lebensgefährlich gewesen seien. Damit habe Buddenberg „den Mordversuch an Grashof, der den Bullen nicht gelungen ist, an dem wehrlosen Grashof wiederholt“. Die Erklärung des „Kommando Manfred Grashof“ vom 20.5.1972 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 146.

[23] Dieser Komplex war ab dem 100. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[24] Ilse Stachowiak war ein frühes Mitglied der RAF. Im Sommer 1970 reiste sie im Alter von 16 Jahren mit anderen RAF-Mitgliedern für eine paramilitärische Ausbildung nach Jordanien. Stachowiak wurde zusammen mit Christa Eckes, Helmut Pohl und Eberhard Becker am 4.2.1974 in Hamburg verhaftet. Das Landgericht Hamburg verurteilte sie am 28.9.1976 zu einer Jugendstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten. Am 19.6.1978 wurde sie aus der Haft entlassen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 116 ff.; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 277; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 835).

[25] Klaus Jünschke war Psychologiestudent und ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). In der RAF überfiel er 1971 mit anderen eine Bank in Kaiserslautern. Im Verlaufe des Geschehens wurde der Beamte Herbert Schoner erschossen. Jünschke wurde am 9. Juli 1972 zusammen mit Irmgard Möller in Offenbach verhaftet. Ihm wurde neben den Straftaten im Zusammenhang mit dem Banküberfall auch die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie die Beteiligung an der Herbeiführung der Sprengstoffexplosion in Frankfurt a.M. am 11. Mai 1972 vorgeworfen. Im Hinblick auf die Sprengstoffexplosion wurde er zwar freigesprochen; das LG Kaiserslautern verurteilte ihn am 2.6.1977 aber u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (Overath, Drachenzähne, 1991, S. 89 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 257, 761 Anm. 59; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff.; DER SPIEGEL, Ausgabe 24/1977 vom 6.6.1977, S. 104).

[26] Das „Kommando 2. Juni“ nahm, ebenso wie die Bewegung 2. Juni, Bezug auf den Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 während der Demonstrationen gegen den Besuch des iranischen Schahs in Berlin starb. Am Abend des 2. Juni reagierten die Sicherheitskräfte mit großer Härte auf Auseinandersetzungen vor der Deutschen Oper. Ohnesorg wurde dabei auf einem Hinterhof von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Ohnesorgs Tod löste große Empörung und Bestürzung in weiten Teilen der Linken aus und gilt als Wendepunkt in der Studentenbewegung, die nun von West-Berlin in die ganze Bundesrepublik ausstrahlte (Kraushaar, Die blinden Flecken der 68er Bewegung, 2018, S. 72 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 89 ff.; Siegfried, 1968, 2018, S. 157 ff.).

[27] Die Bewegung 2. Juni gründete sich im Jahr 1972. Sie war unmittelbar aus den Tupamaros West-Berlin und München sowie der Schwarzen Hilfe hervorgegangen, bestand jedoch auch aus ehemaligen Mitgliedern anderer Gruppierungen der Berliner Subkultur. Ihren Namen trug die Bewegung in Anlehnung an den Todestag des Studenten Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967. Sie machte mit Aktionen auf sich aufmerksam, die ihr teilweise den Namen einer „Spaßguerilla“ einbrachten. Allerdings schreckte sie auch nicht vor Entführungen oder Morden wie im Fall des Kammgerichtspräsidenten von Drenkmann zurück. Im Gegensatz zur RAF operierte die Bewegung jedoch nicht aus dem Untergrund, blieb auf West-Berlin beschränkt und ging bei ihrer Bekämpfung des „kapitalistischen Systems“ weniger planvoll vor. Gleichzeitig bestanden jedoch teils enge, auch personelle Verbindungen zur RAF. Nach einer Verhaftungswelle im Jahr 1975 konnten im Juli 1976 drei Mitglieder der Bewegung aus ihrem Gefängnis in Berlin flüchten und in der Folgezeit noch einmal terroristische Aktivitäten entfalten, darunter die Entführung des österreichischen Unternehmers und Millionärs Walter Michael Palmers (Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien, 2008, S. 237 ff., 245 ff.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531 f., 541 ff.).

[28] Diese Erklärung ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 147.

[29] Dieser Vorgang war ab dem 74. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[30] Holger Meins war ursprünglich Mitangeschuldigter im Stammheim-Prozess, starb aber noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) am 9. November 1974 in Untersuchungshaft in Wittlich an den Folgen des dritten Hungerstreiks. Für seinen Tod machten die Angeklagten staatliche Akteure, u.a. den früheren Vorsitzenden Dr. Prinzing sowie die Bundesanwaltschaft verantwortlich (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 117 ff.).

[31] Der Name „Kommando 15. Juli“ nimmt Bezug auf den Todestag des RAF-Mitglieds Petra Schelm (s. bereits Fn. 17).

[32] In der Erklärung vom 25. Mai 1972 wurde der Anschlag in Heidelberg am Tag zuvor mit den vorangegangenen Bombenangriffen der USA im Vietnam-Krieg gerechtfertigt: „Die amerikanische Luftwaffe hat in den letzten 7 Wochen mehr Bomben über Vietnam abgeworfen als im 2. Weltkrieg über Deutschland und Japan zusammen. Von weiteren Millionen Sprengstoffen ist die Rede, die das Pentagon einsetzen will, um die nordvietnamesische Offensive zu stoppen. Das ist Genozid, Völkermord, das wäre die ‚Endlösung‘, das ist Auschwitz“. Die Erklärung vom 25.5.1972 ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 147 f.

[33] Am 2. Juni 1972 wurde aufgrund einer Bombendrohung die Stuttgarter Innenstadt gesperrt. In einem Schreiben unbekannter Herkunft war zuvor ein Sprengstoffanschlag auf drei Autos durch „RAF-Pionier-Sprengexperten“ angekündigt worden. Die Drohung bewahrheitete sich nicht, fand jedoch große mediale Aufmerksamkeit. Die Echtheit des Schreibens wurde schon kurze Zeit später in Zweifel gezogen (Balz, in Hürter/Rusconi [Hrsg.], Die bleiernen Jahre, 2010, S. 76 f.).

[34] Die Rote Hilfe e.V. versteht sich als Solidaritätsorganisation für politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum (Selbstbeschreibung unter https://www.rote-hilfe.de/ueber-uns, zuletzt abgerufen am: 04.11.2021). Sie ging 1970 aus einer für APO-Aktivisten gegründeten Rechtshilfe hervor und engagierte sich in den folgenden Jahren verstärkt und in vielfältiger Weise für die Belange inhaftierter Mitglieder linksradikaler Gewaltorganisationen wie der RAF und der Bewegung 2. Juni (März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, 2012, S. 139 ff.).

[35] Zwischen 1959 und 1969 verfasste Ulrike Meinhof etliche Kolumnen für die Zeitschrift „konkret“, für die sie von 1961 bis 1963 auch als Chefredakteurin tätig war. Durch die Kolumnen erlangte sie bundesweite Bekanntheit (Seifert, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 3350, 361 ff.).

[36] Die erste Programmschrift der RAF ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 27 ff.

[37] Der RAF-Text „Dem Volk dienen. Stadtguerilla und Klassenkampf“ (April 1972) ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 112 ff.

[38] Während der Olympischen Spiele in München überfiel die palästinensische Terrorgruppe Schwarzer September am 5. September 1972 die israelische Mannschaft. Mit der Geiselnahme von elf israelischen Sportlern versuchten die Terroristen über 200 palästinensische Inhaftierte in Israel freizupressen. Das „Olympia-Attentat“ endete mit einem Schusswechsel auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck, von dem die Geiselnehmer ausgeflogen werden wollten. Insgesamt starben an diesem Tag alle elf israelischen Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizeibeamter (Dahlke, Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus, 2011, S. 57 ff., insbes. 62 ff. und 68 ff.). Die RAF-Schrift ist abgedruckt in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 151 ff.

[39] Dierk Hoff wurde als einer der Hauptbelastungszeugen ab dem 68., sowie am 98. Verhandlungstag vernommen. Hoff gab an, er habe zunächst in dem Glauben gehandelt, er stelle Filmrequisiten her; später habe er sich aufgrund von Drohungen nicht getraut, die angeforderten Arbeiten zu verweigern (s. etwa seine Angaben am 68. Verhandlungstag, S. 5920 ff., 5933 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Diese Angaben wurden durch die Verteidigung in Zweifel gezogen.

[40] Mit dem Begriff des/der „Angeschuldigten“ werden Beschuldigte ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) bezeichnet. Erst ab Eröffnung des Hauptverfahrens werden sie als Angeklagte bezeichnet (§ 157 StPO); die Bezeichnung als Beschuldigte/r bleibt als Oberbegriff aber auch in diesen Stadien weiter möglich. Holger Meins starb noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (s. bereits Fn. 30).

[41] Gerhard Müller war ein ehemaliges Mitglied der RAF und einer der Hauptbelastungszeugen in diesem sowie in weiteren Verfahren gegen Mitglieder der RAF. Er wurde ab dem 124. Verhandlungstag als Zeuge vernommen. Das LG Hamburg verurteilte ihn mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zum Mord, Beteiligung an Bombenanschlägen und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Riederer, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29).

[42] Da das Schreiben nur wenige Tage nach der Verhaftung Ensslins außerhalb der Haftanstalt aufgefunden wurde, wurde schnell der Verdacht geäußert, Rechtsanwalt Schily habe diesen Kassiber im Rahmen eines Anwaltsbesuches illegal aus der Haftanstalt herausgeschmuggelt (s. zum Inhalt S. 152 f. des Urteils). Trotz des Fehlens eines sicheren Beweises wurde er auf Antrag der Generalbundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Tatbeteiligung als Verteidiger von Gudrun Ensslin ausgeschlossen (s. hierzu Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 65 ff.). Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der BGH zurück: Zwar gebe es in der Strafprozessordnung keine explizite Regelung mit einer solchen Rechtsfolge, die Möglichkeit eines Ausschlusses ergebe sich aber „aus Sinn und Zweck einer Reihe von Bestimmungen in der Strafprozessordnung sowie der BRAO; sie wäre überdies über gewohnheitsrechtliche Übung gedeckt“ (BGH, Beschl. v. 25.8.1972 - Az.: 1 BJs 6/71, NJW 1972, S. 2140, 2141). Das Bundesverfassungsgericht hielt das Fehlen einer Rechtsgrundlage allerdings für ausreichend, um eine Verletzung der Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG anzunehmen und beurteilte den Ausschluss damit als verfassungswidrig (BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973 - Az.: 2 BvR 667/72, BVerfGE 34, 293 f.). Es dauerte nicht lange, bis durch das Ergänzungsgesetz zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I, S. 3686) - noch rechtzeitig für eine Anwendung im Stammheimer Verfahren - mit den §§ 138a ff. StPO eine gesetzliche Grundlage für den Ausschluss von Verteidiger/innen geschaffen wurde. Der neue § 138a StPO hatte vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand (BVerfG, Vorprüfungsausschuss, Beschl. v. 4.7.1975 - Az.: 2 BvR 482/75, NJW 1975, S. 2341).

[43] Fn. 25.

[44] Fn. 24.

[45] Carmen Roll war Teil des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). Nach einem Schusswechsel mit der Polizei infolge einer Verkehrskontrolle bei Heidelberg und den anschließenden verstärkten Ermittlungen der Polizei gegen das SPK ging sie in die Illegalität zur RAF. Am 2. März 1972 wurde sie in Augsburg wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verhaftet und am 19. Juli 1973 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 80 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 f. Anm. 60).

[46] Irmgard Möller schloss sich im Sommer 1971 der RAF an. Zuvor lebte sie in der Münchner Kommune Wacker Einstein, hatte 1969 als Teil der „Rechtshilfe der APO“ zum „Knastcamp“ aufgerufen und war Mitglied der Tupamaros München. Am 8. Juli 1972 wurde sie verhaftet, am 30. Juni 1975 begann das Verfahren gegen sie und Gerhard Müller vor dem Landgericht Hamburg. Irmgard Möller wurde mit Urteil vom 16.3.1976 u.a. wegen Urkundenfälschung und dem unerlaubten Führen einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von viereinhalb Jahren verurteilt. 1976 erfolgte ihre Verlegung zu den Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe nach Stammheim. Dort überlebte sie als Einzige die sogenannte Todesnacht von Stammheim (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 68; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 111 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt [Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99, 100 f.).

[47] Zu den Möglichkeiten der Zurechnung von Handlungen Dritter im Rahmen der Mittäterschaft s. bereits Fn. 2.

[48] Im Zuge der Dekolonisation seit dem Ersten Weltkrieg kam es zu einigen Nationalbewegungen in den (ehemaligen) europäischen Kolonialreichen, die vor allem auf die weltpolitischen Umwälzungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs reagierten, um das schon im Zuge des Ersten Weltkriegs von Lenin und Präsident Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker durchzusetzen. Die Formen des Unabhängigkeitskampfes variierten dabei - insbesondere in Abhängigkeit vom Widerstand der Kolonialmächte - zum Teil stark. Neben gewaltsamen Aufständen und kriegerischen Auseinandersetzungen (z.B. im Algerienkrieg) vollzogen sich auch friedliche(re) Loslösungsprozesse (Indien). Darüber hinaus wurden viele Befreiungsbewegungen von Intellektuellen und Theoretiker/innen geprägt. Von der Neuen Linken wurden ihre Theorien begeistert rezipiert und die „Dritte Welt“ zum „revolutionären Subjekt“ (Fanon) stilisiert (Deppe, Politisches Denken im Kalten Krieg, Teil 2, 2008, S. 301 ff.; Jansen/Osterhammel, Dekolonisation, 2013, S. 25, 107 f.).

[49] Nach der Teilung Vietnams gründete sich 1960 in Südvietnam die Nationale Front zur Befreiung Südvietnams (FNL) als Widerstandgruppe u.a. gegen die Herrschaft der südvietnamesischen Regierung, gegen die amerikanische Präsenz in Südvietnam und für die Wiedervereinigung. Die FNL umfasste zunächst sehr heterogene Gruppen, wurde aber im Laufe der Jahre immer mehr von südvietnamesischen Kommunisten und dem nordvietnamesischen Regime gesteuert. Während des Vietnamkriegs konnte sie auf vielfältige Unterstützung aus der Bevölkerung zurückgreifen. Viele Südvietnames/innen lehnten die Anwesenheit amerikanischer Truppen in Südvietnam und die damit einhergehende weitere Einmischung in nationale Fragen ab. Allerdings beruhte der Rückhalt für die FNL nicht immer auf Freiwilligkeit, sondern wurde teilweise brutal erzwungen. Insgesamt hatte die Unterstützung aus der südvietnamesischen Bevölkerung jedoch einen entscheidenden Anteil daran, dass die technisch überlegene amerikanische Armee keinen militärischen Sieg in Vietnam erringen konnte (Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 65 ff.; Greiner, Krieg ohne Fronten, 2007, S. 45 ff.; Kraushaar, in Ders. [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 751 ff.).

[50] In Kambodscha kämpften seit 1970 die kommunistischen Roten Khmer gegen die Regierung von General Lon Nol. Dieser war 1970 im Rahmen eines Putsches in Kambodscha an die Macht gelangt und hatte sich mit amerikanischen und südvietnamesischen Truppen gegen Nordvietnam und die Nationale Front zur Befreiung Südvietnams (FNL) verbündet. In den folgenden Jahren wurde das zuvor neutrale Kambodscha zu einem weiteren Schauplatz des Indochinakrieges, der das Land innenpolitisch zunehmend spaltete und schließlich zu einem Bürgerkrieg führte. Die Roten Khmer, die nach ihrem Sieg im Jahr 1975 eine grausame Diktatur errichten sollten, sahen sich dabei als Befreiungsbewegung und erhielten während des Bürgerkriegs Unterstützung von der kambodschanischen Landbevölkerung, einer Exilregierung unter dem gestürzten Prinzen Sihanouk und der Volksrepublik China (Bultmann, Kambodscha unter den Roten Khmer, 2017, S. 54 ff.; Stöver, Geschichte Kambodschas, 2015, S. 144 ff., 157 ff.).

[51] Während des Vietnamkriegs pflegte die laotische, kommunistische Guerillabewegung Pathet Lao enge Verbindungen zu der kommunistischen Bewegung in Vietnam. Als 1971 ein im Zuge des Vietnamkriegs unternommener Invasionsversuch amerikanischer und südvietnamesischer Truppen in Laos von der Pathet Lao zurückgeschlagen werden konnte, gelangten große Teile Laos unter deren Kontrolle. Der anschließende Bürgerkrieg zwischen der Pathet Lao und ehemaligen königlichen Truppen endete 1973 mit einem Waffenstillstand. 1975 übernahm die Pathet Laodie Regierungsgewalt in Laos und proklamierte Ende desselben Jahres die Demokratische Volksrepublik Laos (Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 2016, S. 201, 220 f.; Krieger, Geschichte Asiens, 2003, S. 244 f.).

[52] Die ehemaligen portugiesischen Kolonien Guinea-Bissau, Mosambik, São Tomé und Príncipe erlangten 1975 im Zuge des Sturzes der portugiesischen Diktatur ihre Unabhängigkeit. In Guinea und Mosambik hatten seit 1962 bzw. 1964 Befreiungsbewegungen in langjährigen Guerillakriegen gegen die Kolonialherrschaft gekämpft. Der Comissao de Libertacao de São Tomé und Príncipe CLSTP) bzw. ab 1972 der Movimento de Libertação de São Tomé e Príncipe(MLSTP) traten von Gabun aus für die Unabhängigkeit von São Tomé und Príncipe ein (Abele, Kein kleines Land, 2017, S. 69, 111 f., 199 ff., 254, 264 ff.).

[53] So Prof. Dr. Azzola, damals Verteidiger von Ulrike Meinhof, am 65. Verhandlungstag (S. 5681 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[54] Dieser Vorgang war ab dem 43. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[55] Zu den Zurechnungsmöglichkeiten des Verhaltens Dritter im Rahmen der Mittäterschaft s. bereits Fn. 2.

[56] Die schwächste Form des Vorsatzes ist der sog. bedingte Vorsatz (dolus eventualis; auch: Eventualvorsatz), der nach überwiegender Auffassung voraussetzt, dass der/die Täter/in die Verwirklichung des Tatbestandes durch seine/ihre Handlung jedenfalls für möglich hält und sich damit abfindet (zu den im Einzelnen durchaus umstrittenen Voraussetzungen s. auch BGH, Urt. v. 22.4.1955 - Az.: 5 StR 35/55, NJW 1955, S. 1688, 1690; Puppe, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 15 Rn. 31 ff.; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 27; Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 2012, S. 976, 978).

[57] Dieser Vorgang war ab dem 56. Verhandlungstag Gegenstand der Beweisaufnahme.

[58] Nachdem Andreas Baader Anfang April 1970 bei einer Verkehrskontrolle in Berlin verhaftet worden war, gelang es einer Gruppe um Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Irene Goergens und Ingrid Schubert, ihn am 14. Mai 1970 zu befreien. Als Ort der Aktion diente die Bibliothek Zentralinstituts für Soziale Fragen in Berlin-Dahlem, wo Baader unter Bewachung von zwei Vollzugsbeamten ein Gespräch mit Ulrike Meinhof für ein Buchgespräch zugestanden worden war. Während der Aktion wurde ein Schuss auf einen unbeteiligten Bibliotheksmitarbeiter abgegeben, der schwer verletzt wurde. Die gewaltsame Befreiung Baaders aus der Haft wird auch als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichnet. Auch Ulrike Meinhof lebte von nun an in der Illegalität (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 177 ff.; Wieland, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, 2006, S. 332, 343).

[59] Im Sommer 1970 reisten u.a. die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Brigitte Asdonk, Peter Homann, Heinrich Jansen, Astrid Proll, Manfred Grashof, Petra Schelm, Hans-Jürgen Bäcker und Horst Mahler nach Jordanien. Dort erhielten sie unter Anleitung der palästinensischen Terrororganisation Fatah eine paramilitärische Ausbildung (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 209 ff.; Daase, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 531, 918 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 198 ff.).

[60] Als „Dreierschlag“ wurde der gleichzeitige Überfall dreier Banken am 29. September 1970 in West-Berlin bezeichnet, bei dem über 200.000 DM erbeutet worden sein sollen (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 215 ff.). U.a. wegen ihrer Teilnahme hieran wurden die RAF-Mitglieder Brigitte Asdonk, Monika Berberich, Hans-Jürgen Bäcker, Ingrid Schubert und Eric Gusdat im sog. Asdonk-Verfahren vor dem LG Berlin zu hohen Freiheitsstrafen, Irene Goergens zu einer Jugendstrafe verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 83 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 760 Anm. 47). Horst Mahler wurde, ebenfalls vom LG Berlin, in einem weiteren Verfahren (unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt (Jander, in Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372, 382 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 21 ff.). Dieser Vorgang war ursprünglich auch Bestandteil des Anklagevorwurfs in diesem Verfahren (S. 91 ff. der Anklageschrift); später wurde die Strafverfolgung allerdings nach § 154a StPO auf die Straftaten im Zusammenhang mit den Sprengstoffanschlägen, den Festnahmen der Angeklagten sowie der Bildung einer kriminellen Vereinigung beschränkt). Über die angeklagten Raub- und Diebstahlsdelikte wurde kein Beweis mehr erhoben (S. 13938 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 192. Verhandlungstag; s. auch den Antrag der Bundesanwaltschaft am 113. Verhandlungstag, S. 9859 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, sowie den Hinweis des Vorsitzenden Dr. Prinzing am selben Tag auf S. 9867 f. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[61] Das INFO war ein Informations- und Kommunikationssystem, das einen Austausch von Rundbriefen, Zeitungsartikeln etc. unter den inhaftierten RAF-Mitgliedern ermöglichte. Über die Verteidigerpost, die im Vergleich zu anderer Post vollzugsrechtlich privilegiert ist (§§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO), konnte Material ohne vorherige Zensur ausgetauscht werden. Den Rechtsanwälten Ströbele, Groenewold und Dr. Croissant wurde später vorgeworfen, durch die Beteiligung am Info-System dazu beigetragen zu haben, dass die inhaftierten RAF-Mitglieder auch aus der Haft heraus ihre kriminelle Vereinigung hätten fortführen können. Dabei ging es nicht um das INFO an sich, sondern um die Weiterleitung ganz bestimmter Unterlagen. (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 521 ff.; s. auch die Interviews mit Groenewold und Ströbele, in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 49, 58 f., 70 f. bzw. S. 121, 132 f.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52).

[62] Nach den Verhaftungen der RAF-Führungsriege 1972 begann eine Gruppe um Margrit Schiller ab Mitte 1973 damit, sich zu reorganisieren. Ihre Pläne zur gewaltsamen Befreiung der inhaftierten Mitglieder wurden jedoch durch ihre Festnahmen am 4. Februar 1974 in Frankfurt am Main verhindert. In Anlehnung an das Verhaftungsdatum wurde die Gruppierung als Gruppe 4.2. bezeichnet. Verhaftet wurden an diesem Tag in Frankfurt am Main neben Margrit Schiller auch Kay-Werner Allnach und Wolfgang Beer, darüber hinaus Eberhard Becker, Christa Eckes, Helmut Pohl und Ilse Stachowiak in Hamburg, sowie kurz darauf Ekkehard Blenck zusammen mit Axel Achterrath in Amsterdam (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 55, 78 ff., 116 ff., 121 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 357 ff.; Straßner, in Ders. [Hrsg.] Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 219).

[63] Als Organisationsdelikt werden diejenigen Straftaten bezeichnet, die in der Bildung, Fortführung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB; heute auch: terroristischen Vereinigung, § 129a StGB) bestehen (vgl. v. Heintschel-Heinegg, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 2, 4. Aufl. 2020, § 52 Rn. 95).

[64] Die Erklärung zur Sache ist nicht im Wortprotokoll enthalten. Da ihre eigenen Erklärungen nach Auffassung der Angeklagten in den gerichtlichen Protokollen oftmals nicht richtig wiedergegeben wurden, beantragten sie, die gerichtliche Tonbandaufzeichnung für die Dauer ihrer Erklärung zur Sache auszusetzen (S. 5636 des Protokolls der Hauptverhandlung, 63. Verhandlungstag). Im Anschluss sollte das Manuskript abgeschrieben und im Ganzen an das Gericht überreicht werden (s. S. 5658 f., 64. Verhandlungstag). Die Übergabe wurde im weiteren Verlauf jedoch unter zusätzliche Bedingungen gestellt; so erklärte die frühere Angeklagte Meinhof am 84. Verhandlungstag, solange der Senat ihnen weiterhin bestimmte Bücher und Zeitschriften vorenthalte, kriege er von den Angeklagten auch keine Texte (S. 7555 des Protokolls der Hauptverhandlung). Letztlich wurde die Erklärung nie übergeben. Auszüge finden sich in ID-Verlag (Hrsg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, 1997, S. 198 ff.

[65] S. 2355 des Protokolls der Hauptverhandlung (29. Verhandlungstag).

[66] S. 9449 f. des Protokolls der Hauptverhandlung (106. Verhandlungstag).

[67] Am 106. Verhandlungstag stellte die Verteidigung eine Reihe von Beweisanträgen mit dem Ziel, hochrangige Militärs und politische Entscheidungsträger (z.B. den früheren US-Präsidenten Nixon) als Zeugen zu laden. Durch ihre Aussagen sollten völkerrechtswidrige Handlungen der USA in Vietnam bewiesen werden (s. dazu die Anlagen 2 bis 11 zum Protokoll vom 4.5.1976, S. 9379 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 106. Verhandlungstag). Hieraus, so die Verteidigung, ergebe sich ein völkerrechtliches Widerstandsrecht, das für die Beurteilung der angeklagten Taten relevant sei (s. hierzu die Erklärung des Rechtsanwalt Dr. Heldmann, Anlage 12 zum Protokoll vom 4.5.1976, S. 9425 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 106. Verhandlungstag). Diese Beweisanträge wurden sämtlich abgelehnt (S. 9864 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 113. Verhandlungstag).

[68] S. 9445 des Protokolls der Hauptverhandlung (106. Verhandlungstag).

[69] Die Aufgabe von Zeug/innen ist es, eine persönliche Wahrnehmung über einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang zu bekunden (BGH, Urt. v. 12.3.1969 - Az.: 2 StR 33/69, BGHSt 22, S. 347, 348), wobei es nur auf Tatsachen ankommt. Dazu gehören auch sog. innere Tatsachen, wie die eigene Überzeugung und bestimmte Motive (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Vor § 48 Rn. 2). Im Unterschied dazu vermitteln Sachverständige Sachkunde oder wenden diese bei der Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts an. Bei der Bekundung von Tatsachen ist zu unterscheiden: Wurde die bekundete Tatsache im Rahmen eines behördlichen Auftrages aufgrund der besonderen Sachkunde wahrgenommen, fällt auch die Tatsachenbekundung in den Aufgabenbereich der Sachverständigen. Wurde die Tatsache hingegen ohne Auftrag, aber dennoch aufgrund einer gewissen Sachkunde wahrgenommen, sind die Regeln für den Zeugenbeweis anwendbar (sog. sachverständiger Zeuge, § 85 StPO; s. zur Abgrenzung Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 85 Rn. 2 f.).

[70] Vor Erhebung der öffentlichen Klage ist für die Vornahme gerichtlicher Untersuchungshandlungen grundsätzlich dasjenige Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die antragstellende Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat (§ 162 StPO). In Haftsachen liegt die Zuständigkeit, bevor sie mit der Erhebung der öffentlichen Klage auf das Gericht der Hauptsache übergeht, bei dem Gericht, das den Haftbefehl erlassen hat (§ 126 Abs. 1 StPO). Dies ist in der Regel ebenfalls ein/e Richter/in am Amtsgericht (§ 125 Abs. 1 StPO). Führt aber der Generalbundesanwalt beim BGH die Ermittlungen, ist in beiden Fällen auch der/die Ermittlungsrichter/in des BGH zuständig (§ 168a Abs. 1 Satz 2 StPO a.F.; heute § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO).

[71] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen.

[72] Die Inaugenscheinnahme gehört zu den zulässigen Beweismitteln im sog. Strengbeweisverfahren, welches zum Beweis von Tatsachen Anwendung findet, die die Straf- und Schuldfrage betreffen, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe. Sie erfolgt durch eine unmittelbare sinnliche Wahrnehmung. Anders als der Wortlaut vermuten lässt, ist diese nicht auf die Wahrnehmung durch Sehen beschränkt, sondern umfasst mit den Wahrnehmungen durch Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen auch alle anderen Sinneswahrnehmungen (BGH, Urt. v. 28.9.1962 - Az.: 4 StR 301/62, BGHSt 18, S. 51, 53).

[73] § 250 StPO enthält den Grundsatz der persönlichen Vernehmung. Nach § 250 Satz 2 StPO darf die Vernehmung einer Person über Tatsachen, die sie wahrgenommen hat, nicht durch die Verlesung einer früheren Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden. Die §§ 251 ff. StPO enthalten enge Ausnahmen von diesem Grundsatz. Umstritten ist insbesondere die Frage, ob und in welchem Umfang Verlesungen, die nicht von den Ausnahmen gedeckt sind, in Ergänzung - § 250 StPO untersagt nur die „Ersetzung“ - zu Zeugenaussagen zulässig sind (s. hierzu umfassend Mosbacher, NStZ 2014, S. 1 ff.). Der BGH lässt die lediglich ergänzende Verlesung zu (BGH, Urt. v. 16.2.1965 - Az.: 1 StR 4/65, BGHSt 20, S. 160, 162; BGH, Beschl. v. 4.6.1970 - Az.: 4 StR 540/69, NJW 1970, S. 1558, 1559). Inzwischen wurde mit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 (BGBl I, S. 2198) in § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO die ausdrückliche Möglichkeit geschaffen, Protokolle und Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen (mit Ausnahme von Vernehmungen) zu verlesen.

[74] Der Kfz-Schlosser Bernhard Braun war seit 1971 Mitglied der RAF. Gemeinsam mit Brigitte Mohnhaupt war Braun vor allem in Berlin aktiv. Im Juni 1972 lösten in einer von ihnen genutzten Wohnung gelagerte Sprengstoffe eine Explosion aus. Eine Woche später wurden sie in West-Berlin festgenommen. Die Polizei konnte in der Wohnung Chemikalien und Anleitungen zur Herstellung von Bomben sicherstellen. Mohnhaupt und Braun wurden wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von je vier Jahren und sechs Monaten verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 54, 92 ff., 250; Stuberger, Die Akte RAF, 2008, S. 112 f.).

[75] S. 8840 des Protokolls der Hauptverhandlung (98. Verhandlungstag).

[76] Die Außerparlamentarische Opposition (APO) entstand 1966 als Antwort auf die Große Koalition und die damit einhergehende Schwächung der Opposition im Bundestag. Getragen wurde die APO von der Studentenbewegung, insbesondere dem Sozialistischen Studentenbund (SDS), von einer breiten bürgerlichen Bewegung gegen die geplanten Notstandsgesetze, von der Ostermarschbewegung bzw. der Kampagne für Abrüstung und von einzelnen Gewerkschaften. Einen gemeinsamen Nenner fanden sie vor allem in ihrer Ablehnung der geplanten Notstandsgesetzgebung und später in der Anti-Springer-Kampagne. Die APO vermochte eine Vielzahl von Unterstützer/innen zu mobilisieren und mit Protestmärschen, Kundgebungen, politischen Diskussionsrunden, Flugblättern und vermehrt auch politischen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Mit der Verabschiedung der Notstandgesetzgebung im Mai 1968 und einer fortschreitenden Distanzierung verschiedener Strömungen innerhalb der Bewegung, zerfiel auch die APO schließlich im Laufe des Jahres 1968 (Kraushaar, Die blinden Flecken der 68er Bewegung, 2018, S. 129 ff.; Siegfried, 1968, 2018, S. 163 f.; Straßner, Historisch-Politische Mitteilungen 14, 2007, S. 99, 104 ff.).

[77] § 136a StPO enthält eine Auflistung von verbotenen Methoden bei der Vernehmung von Beschuldigten. Diese sind: die Beeinträchtigung der Willensentschließung und -betätigung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Täuschung, Quälerei oder Hypnose, sowie die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme oder das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (Abs. 1). Ferner untersagt sind Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten beeinträchtigen (Abs. 2). Für den Fall eines Verstoßes gegen diese Verbote enthält § 136a Abs. 3 Satz 3 StPO ein Verwertungsverbot für die so zustande gekommenen Aussagen.

[78] Der niederländische Student Ronald Augustin war Teil der Bewegung 2. Juni und Mitglied der ersten RAF-Generation. Er wurde im Juli 1973 festgenommen und im Mai 1974 in die JVA Hannover verlegt, wo er in strenger Einzelhaft saß. Die Hauptverhandlung in Bückeburg wurde, ähnlich wie die in Stuttgart-Stammheim, in einer eigens dafür eingerichteten Mehrzweckhalle durchgeführt. Der Prozess wurde nicht nur deshalb von manchen als Generalprobe für das Verfahren in Stuttgart angesehen (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 108 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 206; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 367 ff.).

[79] Vgl. S. 11073 des Protokolls der Hauptverhandlung (133. Verhandlungstag).

[80] Nach seiner Verhaftung im Juni 1972 war Andreas Baader bis zu seiner Verlegung nach Stuttgart-Stammheim im November 1974 in der JVA Schwalmstadt untergebracht (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97).

[81] Gudrun Ensslin wurde am 7. Juni 1972 in Hamburg festgenommen und war bis Februar 1974 in der JVA Essen untergebracht, bevor sie im Februar 1974 für zwei Monate nach Köln-Ossendorf und im April 1974 zusammen mit Ulrike Meinhof nach Stammheim verlegt wurde (Bressan/Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 398, 417; Tenfelde, Die Rote Armee Fraktion und die Strafjustiz, 2009, S. 123). Eine längere Inhaftierung in Berlin ist nicht dokumentiert. Denkbar ist, dass Ensslin zwischenzeitlich im Zusammenhang mit einem der Berliner Verfahren dorthin verlegt wurde; zum angegebenen Zeitpunkt fand etwa das sog. Asdonk-Verfahren gegen Brigitte Asdonk, Monika Berberich, Irene Goergens, Ingrid Schubert, Hans-Jürgen Bäcker und Eric Gusdat vor dem LG Berlin statt (s. dazu Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 83 ff.). Ob dies tatsächlich der Grund für Ensslins Verlegung war, lässt sich allerdings nicht eindeutig verifizieren.

[82] Ulrike Meinhof befand sich nach ihrer Verhaftung im Juni 1972 zunächst in Köln-Ossendorf in Untersuchungshaft, bevor sie im April 1974 nach Stuttgart-Stammheim verlegt wurde (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97).

[83] In Frankfurt am Main wurden am 4. Februar 1974 Margrit Schiller, Kay-Werner Allnach und Wolfgang Beer festgenommen (s. bereits Fn. 62).

[84] Ab September 1974 fand vor dem LG Berlin das Verfahren gegen Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Hans-Jürgen Bäcker wegen der am 14. Mai 1970 durchgeführten gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader aus der Haft (s. Fn. 58) statt. Meinhof wurde am 29. November 1974 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von acht Jahren verurteilt, Mahler unter Einbeziehung einer bereits zuvor ausgeurteilten Haftstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt. Bäcker wurde in diesem Verfahren freigesprochen (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, 94 ff., 252; Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372, 382 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 21 ff.).

[85] Fidel Castro (1927-2016) führte gemeinsam mit seinem Bruder Raúl und Ernesto „Che“ Guevara Guerillaeinheiten in der kubanischen Revolution an. Nach dem Sturz des kubanischen Diktators Fulgencio Batista Anfang des Jahres 1959 wurde Castro Regierungschef Kubas. Ihren institutionellen Niederschlag fand die Revolution, die sich von einer national-egalitären zu einer sozialistischen gewandelt hatte, aber erst 1976 mit der Verabschiedung der Verfassung. Castro selbst herrschte bis 2008 in dem auf seine charismatische Person ausgerichteten System des „Castroismus“ (Werz, in Wende [Hrsg.], Große Revolutionen der Geschichte, 2000, S. 276, 278 ff.; Zeuske, Insel der Extreme, 3. Aufl. 2017, S. 166, 174 ff., 186 ff., 214 ff).

[86] Ursprünglich aus Argentinien stammend schloss sich Ernesto „Che“ Guevara 1954 in Mexiko einer Gruppe kubanischer Revolutionäre um Fidel Castro an. Zuvor hatte er sich bereits auf Reisen in verschiedenen südamerikanischen Staaten politisiert. Im Zuge der kubanischen Revolution entwickelte Guevara ein theoretisches Konzept zur Ausbreitung der sozialistischen Revolution, das als Fokustheorie bekannt wurde. Nach dem Sturz des Batista-Regimes in Kuba und der von ihm mitorganisierten Erschießung hunderter politischer Gegner/innen wurde Guevara 1961 Industrieminister. 1965 trat er jedoch aus der Regierung aus und starb zwei Jahre später bei dem Versuch, in Bolivien eine ganz Lateinamerika erfassende Guerilla-Bewegung aufzubauen. Sein früher Tod beförderte den weltweiten Kult um seine Person und seine Revolutionstheorie (Annino, in Tobler/Bernecker [Hrsg.], Lateinamerika im 20. Jahrhundert, Band 3, 1996, S. 483, 526 ff.; Werz, in Wende [Hrsg.], Große Revolutionen der Geschichte, 2000, S. 276, 281 ff.).

[87] Patrice Émery Lumumba war der erste gewählte Ministerpräsident der im Juni 1960 unabhängig gewordenen Demokratischen Republik Kongo. Mit dem Mouvement National Congolais (MNC) hatte er sich zuvor an die Spitze der kongolesischen Unabhängigkeitsbewegung setzen können. In der Demokratischen Republik Kongo brachen jedoch nach der Unabhängigkeit von Belgien schwere Aufstände aus, die von der Regierung nicht beigelegt werden konnten. Lumumba wurde 1961 von Aufständischen ermordet (Marx, Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart, 2004, S. 260 f.).

[88] Ho Chi Minh war das bekannteste Pseudonym eines vietnamesischen Kommunisten, Aktivisten und Politikers, der für die Unabhängigkeit und Einheit Vietnams eintrat. Ho gründete 1941, nachdem er in zahlreichen Stationen in Europa und Asien immer engere Beziehungen zur Kommunistischen Internationalen geknüpft hatte, die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams (Viet Minh). Mit dem Sieg der Viet Minh gegen das französische Kolonialregime und die während des Zweiten Weltkrieges installierte japanische Besatzung wurde Ho Chi Minh zum Staatsoberhaupt der Demokratischen Republik Vietnam (DRV). Der kurzen Phase der Unabhängigkeit folgte der Rückeroberungsfeldzug Frankreichs im ersten Indochina-Krieg von 1946 bis 1954, der zur Teilung Vietnams führte. Nach dem Krieg regierte Ho als Präsident bis zu seinem Tod 1969 das kommunistische Nordvietnam (Frey, Geschichte des Vietnamkriegs, 10. Aufl. 2016, S. 11 ff.; Großheim, Ho Chi Minh, 2011, S. 9, 13,17, 20 ff., 66 ff., 94 f., 102 ff., 110 ff., 147 f.).

[89] Der brasilianische Revolutionär Carlos Marighella (1911-1969) kämpfte ab 1967 mit der von ihm gegründeten Ação Libertadora Nacional (ALN) gegen die brasilianische Militärdiktatur. Die ALN verstand sich als Stadtguerilla. Ihr theoretisches Fundament wurde von Marighella selbst aufgestellt. Es fand seinen Niederschlag vor allem in dem 1970 veröffentlichten „Minihandbuch des Stadtguerilleros“. Diese Schrift wurde international unter anderem von der RAF rezipiert. In der Bundesrepublik fanden daneben auch die Tupamaros München und West-Berlin Anleihen für ihre Organisation und Aktionen bei Marighella (Rübenach, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 411 f., 424 ff., 433 f.).

[90] Malcolm X (1925-1965) war ein politischer Aktivist und eine der einflussreichsten Personen innerhalb der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Seinen Geburtsnamen, Malcolm Little, legte er 1952 ab und nahm stattdessen das „X“ als Nachnamen an, das Mitglieder der Nation of Islam (NOI) trugen und das anstelle des abgelehnten Sklavennamens den afrikanischen Familiennamen repräsentierte. Malcolm X hatte sich dieser religiösen Organisation 1948 während eines Gefängnisaufenthalts angeschlossen. Anders als andere Teile der Bürgerrechtsbewegung bestand das Ziel der NOI nicht in der Integration von Afroamerikaner/innen in die weiße amerikanische Gesellschaft, sondern in ihrer Emanzipation und dem Aufbau eigener Institutionen. Nachdem er die NOI bereits 1964 nach internen Zerwürfnissen verlassen hatte, gründete Malcolm X die Organization of Afro-American Unity (OAAU), die ebenfalls für schwarze Selbstermächtigung und Selbstverteidigung eintrat. Am 21. Februar 1965 wurde Malcolm X während einer Veranstaltung der OAAU von drei Personen erschossen, die dem Umfeld der NOI zugeordnet werden. Sein Einfluss auf die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung blieb über seinen Tod hinaus erhalten und prägte unter anderem die Black Power-Bewegung und die Black Panther Party (Klein, Malcolm X, 2017, S. 9 ff, 19 f., 29 ff.; Lee, in Levy[Hrsg.], The Civil Rights Movement in America, 2015, S. 197 ff.).

[91] George Jackson (1941-1971) wurde während seiner Haftzeit zu einem politischen Aktivisten und Intellektuellen, der sich der Black Panther Party anschloss und die maoistisch-marxistische Black Guerilla Family gründete. Während seiner Haft saß Jackson teilweise in strenger Isolationshaft. 1971 wurde Jackson von einem Gefängniswärter erschossen. Die genaueren Umstände seines Todes sind jedoch umstritten (Bernstein, „Jackson, George“, in American National Biography, 2014, abrufbar unter: https://doi.org/10.1093/anb/9780198606697.article.1501374, zuletzt abgerufen am: 04.11.2021; zur Rezeption von George Jackson innerhalb der RAF s. Klimke, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 562, 576 ff).

[92] „Fath“ ist die phonetisch korrekte Aussprache des Wortes Fatah (arabisch, Eroberung/Sieg). Die so benannte stärkste Fraktion der PLO wurde 1959 in Kuwait von Jassir Arafat, Salah Chalaf und Chalil al-Wazir als Guerillaorganisation gegründet. Die Organisation operierte zunächst hauptsächlich aus Jordanien und begann ab 1964 damit, Anschläge und Überfälle in Israel zu verüben. Zwischen Juni und August 1970 erhielten die wichtigsten Mitglieder der RAF eine Grundausbildung an Waffen und Sprengstoff in einem jordanischen Lager der Fatah. Die Organisation wurde im September 1970 aus dem Libanon vertrieben und verlagerte sich bis 1982 nach Libanon. Dort wurde sie 1982 wiederum durch die israelische Intervention im libanesischen Bürgerkrieg vertrieben. In diesem Kontext starb auch mutmaßlich Ina Siepmann, ehemaliges Mitglied der Bewegung 2. Juni (vgl. Kilgus, Deutsche Spuren im Libanon, abrufbar unter https://www.goethe.de/ins/lb/de/kul/sup/spu/20909376.html, zuletzt abgerufen am: 18.10.2021; Yonah, Palestinian secular terrorism, 2003, S. 1 ff.).

[93] In Nordirland kämpfte die Irish Republican Army (IRA) bereits seit dem Irischen Unabhängigkeitskrieg (1919-1921) immer wieder mit terroristischen und Guerillamethoden für Unabhängigkeit von Großbritannien. Mit den Unruhen von 1969 infolge der Straßenschlachten von Londonderry sowie der Abspaltung der Provisional Irish Republican Army (PIRA) von der nun Official IRA (OIRA) genannten Organisation Ende des Jahres 1969 begann eine neue Phase des Konflikts, der Anfang der 1970er Jahre zu einer Eskalation der Gewalt und ab Mitte der 70er in einen von der PIRA ausgerufenen „Langen Krieg“ gegen britische und irische Sicherheitskräfte sowie loyalistische Extremisten mündete (Korstian, in Bonacker/Greshoff/Schimank [Hrsg.], Sozialtheorien im Vergleich, 2008, S. 13, 21 ff.; Riegler, Terrorismus, 2009, S. 60 f., 66 ff.).

[94] Aus dem Untergrund versuchte die Euzkadi to Askatasuna („Baskenland und Freiheit“, ETA) seit ihrer Gründung 1959 auf dem Gebiet des Baskenlands einen von Spanien unabhängigen, sozialistischen Staat zu errichten. Dazu setzte sie in großem Umfang auf (Sprengstoff-)Anschläge, denen im Laufe der Jahrzehnte mehrere hundert Menschen zum Opfer fielen (Riegler, Terrorismus, 2009, S. 69 ff.).

[95] Hervorgegangen aus der Studentenbewegung von 1968 und aus den Streiks der italienischen Arbeiter im „heißen Herbst“ Italiens 1969 bildeten die Roten Brigaden die bekannteste und schlagkräftigste linke Gruppierung innerhalb des Landes. Zwischen 1970 und 1974 waren die von ihnen verübten kleineren Angriffe und Entführungen auf die Verbreitung einer antikapitalistischen Propaganda zur Mobilisierung der Arbeiterklasse in Vorbereitung einer proletarischen Revolution ausgerichtet. Ab 1974 gingen die Roten Brigaden zu wesentlich extremeren terroristischen Taten über. Ziel dieser Aktionen war v.a. der Kampf gegen einen ihrer Meinung nach von internationalen Konzernen gesteuerten Staat, den sog. Stato Imperialista delle Multinazionali(SIM) (Wunderle, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S. 782, 787 ff.; Holzmeier/Mayer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 275, 278 f., 284 ff.).

[96] Johannes Agnoli war ein deutscher Politikwissenschaftler, italienischer Herkunft, der ab 1964 am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität lehrte. Sein 1967 erschienener Text „Die Transformation der Demokratie“ wurde zu einem der zentralen Schriften der 68er-Bewegung. Darin beschreibt Agnoli ein Grundproblem parlamentarischer Systeme: Aufgrund mangelnder tatsächlicher Repräsentation würden sich diese im Zuge eines fundamentalen Strukturwandels zurück zu autoritär-orientierten Regierungsformen entwickeln. Diesen Prozess bezeichnete er als Involution. Aufgrund seines großen Einflusses wird „Die Transformation der Demokratie“ als die theoretische Grundlage für das Prinzip der außerparlamentarischen Opposition (s. auch Fn. 76) verstanden. Der Grundgedanke von Agnolis Kritik geht dabei jedoch bereits auf politische Theorien in Italiens präfaschistischer Ära der 1920er zurück. Erst nach Agnolis Tod im Jahr 2003 wurde öffentlich bekannt, dass er in seiner Jugend ein Unterstützer des faschistischen Regimes Mussolinis in Italien gewesen war und ab 1943 als Soldat für die Deutsche Wehrmacht gedient hatte, wodurch er nach dem Krieg die deutsche Staatsbürgerschaft erlangte (Kraushaar, in: ZParl, 2007 (38/ 1), S. 160-179, S. 163 f., 166, 168, 176, abrufbar unter: https://www.zparl.nomos.de/fileadmin/zparl/doc/ZParl_07_01.pdf, zuletzt abgerufen am 28.10.2021).

[97] Am 17. Juli 1968 übernahm der irakische Flügel der arabisch-linksnationalistischen Ba’ath-Partei mittels eines Putsches die Kontrolle über den Irak. Die Hauptstadt des ba’athistischen Iraks, der sich nach außen als strikt antiimperialistisch gerierte, diente auf Vermittlung des PFLP-Führers Wadi Haddad einigen Akteuren aus der „zweiten Generation“ der RAF als zwischenzeitlicher Unterschlupf (Peters, 1977. RAF gegen Bundesrepublik, 2017, S. 389 ff.).

[98] Ab 1971 kontrollierte die panarabisch-marxistisch inspirierte Guerillaorganisation Popular Front for the Liberation of Oman and the Arabian Gulf (PFLOAG) mit Hilfe des kommunistisch regierten Südjemen große Teile der omanischen Provinz Dhofar. Ab Juli 1972 geriet die Organisation jedoch zunehmend in militärische Schwierigkeiten und verlor die letzte von ihr kontrollierte Stadt im Jahr 1975. Bis 1976 kam es noch zu kleineren Feuergefechten mit omanischen Regierungstruppen (Takriti, Monsoon Revolution, 2013).

[99] Die Frente de Libertação de Moçambique (Frelimo) ist eine mosambikanische Partei. Hervorgegangen ist sie aus einem Zusammenschluss dreier mosambikanischer Befreiungsbewegungen (der Mozambican African National Union, der União Democrática Nacional de Moçambique und der União Nacional Africana de Moçambique) im Jahr 1962. Im September 1964 trat die Frelimo in einen zehnjährigen Guerillakrieg gegen die portugiesische Kolonialherrschaft ein, der bereits in den benachbarten Ländern Guinea und Kap Verde geführt wurde. Obwohl die Frelimo nach und nach Gebiete in Mosambik unter ihre Führung stellen konnte, führte erst der Sturz der portugiesischen Diktatur 1974 durch die Bewegung der Streitkräfte (Movimento das Forcas Armadas, MFA) zu einem Ende der Auseinandersetzungen im September 1974 und der Unabhängigkeit der Volksrepublik Mosambik im Juni 1975. Die junge Volksrepublik wurde jedoch schon bald nach ihrer Gründung von einem sechzehnjährigen Bürgerkrieg erschüttert (Abele, Kein kleines Land, 2017, S. 111 f., 199 ff., 264 ff.).

[100] Rechtsanwalt Horst Mahler war ein führendes Mitglied der ersten RAF-Generation. Seine zentrale Rolle bei der Entstehung der RAF ist jedoch gegenüber den hier Angeklagten Baader, Ensslin und Meinhof in den Hintergrund gerückt. Er war maßgeblich an der Vorbereitung der als „Geburtsstunde der RAF“ bezeichneten Befreiung Baaders aus der Haft im Mai 1970 beteiligt. Im September 1970 überfiel er u.a. zusammen mit Andreas Baader und Irene Goergens eine Bank in West-Berlin; bereits eine Woche später wurde er verhaftet. Im Jahr 1972 begann der Prozess gegen ihn vor dem Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Im Februar 1973 wurde er zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt. Unter Einbeziehung dieser Strafe wurde er im November 1974 aufgrund seiner Beteiligung an der Baader-Befreiung zu einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt. Zwischen Mahler und dem Führungsduo Baader/Ensslin ergaben sich immer wieder Differenzen. Spätestens mit der Ablehnung seiner Freilassung im Austausch gegen den im Februar 1975 entführten Politiker Peter Lorenz sagte er sich endgültig von der RAF los. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 1980 durchlief Mahler eine radikale politische Kehrtwende. Ende der 90er Jahre bekannte er sich erstmals öffentlich zum Rechtsradikalismus, im Jahr 2000 trat er in die NPD ein. Wegen antisemitischer Hetze wurde er mehrfach wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 40 ff., 53, 67 f.).

[101] Während des dritten Hungerstreiks in Stammheim besuchte der französische Philosoph Jean-Paul Sartre am 4. Dezember 1974 Andreas Baader in der Haftanstalt. Über ihren Anwalt Dr. Klaus Croissant hatten die RAF-Mitglieder zuvor Kontakt zu Sartre aufgenommen, damit dieser persönlich die von ihnen als „Isolationsfolter“ bezeichneten Haftbedingungen bezeugen konnte. In einer anschließenden Pressekonferenz bestätigte Sartre diese Angaben. Allerdings ist mittlerweile bekannt, dass Sartre während des relativ kurzen und für beide Seiten enttäuschenden Gesprächs mit Baader zu keiner Zeit Zugang zu dessen oder anderen Zellen hatte, um sich ein eigenes Bild zu machen. Nichtsdestotrotz rief Sartre auf der Konferenz zur Gründung eines internationalen Komitees zum Schutz der politischen Gefangenen in der BRD auf (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 254 ff.; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 275 ff.).

[102] In Anlehnung an amerikanische Vorbilder und zunächst mit dem unmittelbaren Ziel einer Hochschulreform entstand Mitte der 1960er Jahre in Berlin eine studentische Bewegung, die mit Protesten und Demonstrationen auf sich aufmerksam machte und sich rasch auch in anderen westdeutschen Städten formierte. Die Kritik der Studierenden richtete sich bald sowohl gegen den Vietnam-Krieg als auch gegen die mediale Monopolstellung des Axel-Springer-Verlags, die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit und die geplante Notstandsgesetzgebung. Gleichzeitig griffen Studierende tradierte Wertvorstellungen der westdeutschen Gesellschaft an. Als eine der treibenden Kräfte innerhalb der entstehenden Außerparlamentarischen Opposition wurde die Studentenbewegung in den folgenden Jahren zu einer wesentlichen gesellschaftlichen Stimme. Nach einer Radikalisierungswelle in Teilen der Bewegung infolge der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 sowie des Attentats auf den Studentenführer Rudi Dutschke im April 1968 erreichten die Proteste ihren Höhepunkt. In der darauffolgenden Zeit zerfiel die Bewegung jedoch mehr und mehr in verschiedene Splittergruppen (Frei, 1968, 2008, S. 112 ff., 141ff.; Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 2014, 849 ff.; Straßner, Historisch-Politische Mitteilungen 14, 2007, S. 99, 102 ff.).

[103] Beate Sturm studierte Physik an der Freien Universität Berlin. Im Herbst 1969 lernte sie Holger Meins kennen. Über seine Vermittlung schloss sie sich im November 1970 der RAF an. Sturm war bis Januar 1971 an Autodiebstählen und Planungen für weitere Aktionen beteiligt. Dann schied sie freiwillig aus der Gruppe aus (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 261 ff., 270 ff., 278 f.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 45, 256).

[104] S. bereits Fn. 89.

[105] Bei der Stadtguerilla handelte es sich um eine Form des Partisanenkampfes. Die ersten Guerillakämpfer/innen, die ihren Kampfplatz vom Land in die Städte verlagerten, waren die Tupamaros in Uruguay. Während der 1960er Jahre wurden sie mit dieser neuen Strategie zum Vorbild für andere gewaltbereite Gruppen in und außerhalb Südamerikas. Auch die RAF orientierte sich an ihnen und veröffentlichte 1971 mit dem „Konzept Stadtguerilla“ ihre erste Programmschrift (Fischer, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 2, 2006, S.736, 739 ff.; Huthöfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 345 f., 348 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt[Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99 ff., 106 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 47 ff.).

[106] Ein Gerichtsurteil erwächst in (formelle) Rechtskraft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen erhoben werden kann, es also im selben Verfahren unanfechtbar geworden ist. Dies ist der Fall, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist, oder wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und eine letztinstanzliche Entscheidung ergangen ist. Mit der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung auch ihre dauerhafte Wirkung, die nur in Ausnahmefällen wieder durchbrochen werden kann, etwa durch die begrenzten Wiederaufnahmemöglichkeiten in §§ 359 ff. StPO (Nestler, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Aufl. 2019, § 449 Rn. 27).

[107] § 250 Satz 1 StPO bestimmt: „Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen.“ Hieraus folgt aber nicht, dass die Vernehmung sog. „Zeug/innen vom Hörensagen“ unzulässig ist, da auch diese ihre eigenen Wahrnehmungen, nämlich in der Regel das Gespräch mit dem/der unmittelbaren Zeug/in, bekunden können (BGH, Urt. v. 1.8.1962 - Az.: 3 StR 28/62, BGHSt 17, S. 382). In diesem Sinne können sie unmittelbare Zeug/innen für Indizien sein. Dieser eingeschränkte Beweiswert ist allerdings in der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) zu berücksichtigen (Ott, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 99).

[108] Anders als Beschuldigte sind Zeug/innen grundsätzlich zur Aussage vor Gericht verpflichtet. § 55 StPO gibt ihnen allerdings das Recht, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, wenn sie sich selbst oder ihre Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) durch die Beantwortung einer Frage der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

[109] Müller selbst legte zwar zunächst das Rechtsmittel der Revision ein. Trotz dadurch eingetretener Hemmung der Rechtskraft (§ 343 Abs. 1 StPO), hatte Müller eine Verschlechterung seiner Situation (etwa durch Erhöhung des Strafmaßes) zum Zeitpunkt seiner Aussagen kaum noch zu befürchten. Die Frist zur Einlegung einer Revision (eine Woche ab Verkündung des Urteils, § 341 Abs. 1 StPO) für die Staatsanwaltschaft war abgelaufen; § 358 Abs. 2 StPO enthält ein Verbot der Schlechterstellung im Rahmen der Revision u.a. für den Fall, dass nur der/die Angeklagte Revision eingelegt hat. Weitere Rechtsmittel stehen gegen ein Urteil des Landgerichts nicht zur Verfügung; ein erneutes Verfahren wegen der abgeurteilten Taten ist nach Art. 103 Abs. 3 GG grundsätzlich ausgeschlossen. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten des/der Verurteilten besteht nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen (§ 362 StPO). Noch während des Stammheimer Verfahrens nahm Müller seine Revision zurück, sodass das Urteil gegen ihn in Rechtskraft erwuchs (so Rechtsanwalts Schily am 148. Verhandlungstag, S. 11728 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[110] S. bereits Fn. 74.

[111] S. bereits Fn. 46.

[112] Bevor Brigitte Mohnhaupt ab Frühjahr 1971 zur ersten RAF-Generation in den Untergrund ging, war sie bereits in verschiedenen linken Zusammenhängen in München wie den Tupamaros und der Kommune Wacker Einstein vernetzt. Innerhalb der RAF konzentrierte sie sich gemeinsam mit dem Kfz-Schlosser Bernhard Braun auf Aktivitäten in Berlin, wo sie im Juni 1972 zusammen verhaftet wurden, nachdem der in einer von ihnen genutzten Wohnung gelagerte Sprengstoffe eine Explosion auslöste. Am 30.8.1974 wurde sie vom Landgericht Berlin wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Einen Teil ihrer Haftstrafe verbrachte sie zusammen mit den Stammheimer Gefangenen. Diese Nähe zu den führenden Mitgliedern ließ sie nach ihrer Entlassung im Februar 1977 selbst zu einer Führungsperson der zweiten RAF-Generation aufsteigen. Als solche war sie auch für die Gewalttaten während des sogenannten Deutschen Herbstes 1977 mitverantwortlich. Bis zu ihrer erneuten Festnahme 1982 war sie an weiteren Aktionen der Gruppe beteiligt. Sie blieb bis zum Jahr 2007 in Haft (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 92 ff.; Sturm, in Weinhauer/Requate/Haupt[Hrsg.], Terrorismus in der Bundesrepublik, 2006, S. 99, 100., 105, 111 f., 118 f.; Wunschik, Baader-Meinhofs Kinder, 1997, S. 196 f., 248 ff., S. 367 ff.).

[113] S. Fn. 24.

[114] Die Hamburger Mathematikstudentin Christa Eckes wurde zunächst im Rahmen einer Hausbesetzung im Mai 1973 verhaftet. Nach ihrer Entlassung und bevor ein weiterer Haftbefehl ausgestellt werden konnte, tauchte sie unter. Eckes wurde am 4.2.1974 erneut in Hamburg verhaftet und gehörte damit zu der nach dem Festnahmedatum benannten „Gruppe 4.2.“ (Fn. 62). Mit Urteil vom 28. September 1976 wurde sie vom Landgericht Hamburg zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sieben Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 117 f., 122).

[115] Manfred Grashof war Mitglied der RAF und schon Teil der Gruppe, die nach Jordanien gereist war, um sich für den „bewaffneten Kampf“ ausbilden zu lassen. Er war außerdem an dem Banküberfall in Kaiserslautern am 22.12.1971 beteiligt, in dessen Verlauf der Beamte Herbert Schoner erschossen wurde. Bei seiner Festnahme am 2. März 1972 wurde er im Rahmen eines Schusswechsels, bei dem er einen Polizeibeamten erschoss, selbst schwer verletzt. Gegen ihn sowie gegen die Angeklagten Jünschke und Grundmann fand die Hauptverhandlung vor dem LG Kaiserslautern statt. Mit Urteil vom 2.6.1977 wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, im Jahr 1988 jedoch bereits begnadigt (Peters, Tödlicher Irrtum, 3. Aufl. 2007, S. 199 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 30 ff., S. 283 f.; s. zum Prozess vor dem LG Kaiserslautern auch DER SPIEGEL, Ausgabe 24/1977 vom 6.6.1977, S. 104).

[116] Helmut Pohl wurde 4.2.1974 in Hamburg verhaftet und war damit Teil der „Gruppe 4.2.“ (Fn. 62). Mit Urteil vom 28. September 1976 wurde er vom Landgericht Hamburg zu Freiheitsstrafe in Höhe von fünf Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 116 ff., 122 f.).

[117] Die Psychologiestudentin Margrit Schiller war ein ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK). Sie schloss sich im Laufe des Jahres 1971 der RAF an. Bereits am 22.10.1971 wurde sie zum ersten Mal festgenommen und am 5.2.1973 vom Landgericht Hamburg wegen Unterstützen einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen Auflagen wurde sie allerdings aus der Haft entlassen. Daraufhin schloss sie sich erneut der RAF an. Zusammen mit anderen RAF-Mitgliedern wurde sie am 4. Februar 1974 verhaftet. In Anlehnung an das Verhaftungsdatum wurde die Gruppierung als Gruppe 4.2. bezeichnet. Schiller wurde mit Urteil vom 28.9.1976 vom Landgericht Hamburg zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 78 ff., 116 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 357 ff.; Straßner, in Ders. [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 219).

[118] S. Fn. 78.

[119] Werner Hoppe wurde am 15.7.1971 verhaftet. Dabei soll er versucht haben, sich seiner Festnahme durch mehrere Schüsse auf Polizeibeamte zu entziehen. Hoppe verbrachte ca. zehn Monate in Untersuchungshaft in einer isolierten Einzelzelle. Er wurde schließlich durch das LG Hamburg mit Urteil vom 26.7.1972 wegen dreifachen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt. Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wurde bereits im Ermittlungsverfahren wegen fehlender Beweise eingestellt. Das Urteil wurde insbesondere für seine Beweiswürdigung stark kritisiert (Overath, Drachenzähne, 1991, S. 54 ff., 62).

[120] Die Ärztin Ingrid Schubert war Mitglied der RAF und u.a. am 14. Mai 1970 an der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader aus der Haft beteiligt. Sie wurde zusammen mit Irene Goergens, Horst Mahler, Brigitte Asdonk und Monika Berberich im Oktober 1970 in einer Berliner Wohnung verhaftet. Das Verfahren gegen Schubert, Goergens und Mahler vor dem Landgericht Berlin war einer der ersten Prozesse gegen Mitglieder der RAF. Schubert wurde im Mai 1972 zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Jahren, später mit Urteil vom 28.6.1974 unter Einbeziehung dieser Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 13 Jahren verurteilt. Sie nahm sich am 12. November 1977 in ihrer Gefängniszelle das Leben (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 157; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 71 ff., 328; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 38, 93; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 169, 760 Anm. 47).

[121] S. 22085 des Protokolls der Hauptverhandlung (133. Verhandlungstag).

[122] S. 11308 des Protokolls der Hauptverhandlung (139. Verhandlungstag); s. auch Möller am 133. Verhandlungstag: „Ich will erstmal erklären, daß ich auf Fragen von Ihnen und der Bundesanwaltschaft nicht antworte. Das Verhältnis ist Krieg“ (S. 11096 des Protokolls); Eckes am 131. Verhandlungstag: „Das Verhältnis zu dieser Institution ist Krieg“ (S. 10930 des Protokolls).

[123] Da die Zeugin Schiller der Aufzeichnung ihrer Angaben widersprach (s. S. 11024 des Protokolls der Hauptverhandlung, 132. Verhandlungstag), ist diese Äußerung im Protokoll nicht enthalten.

[124] S. 11182 des Protokolls der Hauptverhandlung (134. Verhandlungstag).

[125] S. 11076 des Protokolls der Hauptverhandlung (133. Verhandlungstag).

[126] Da die Zeugin Eckes der Aufzeichnung ihrer Angaben widersprach (s. S. 11406 des Protokolls der Hauptverhandlung, 141. Verhandlungstag), ist diese Äußerung im Protokoll nicht enthalten.

[127] Auch der Zeuge Pohl widersprach der Aufzeichnung seiner Aussage (S. 11019 des Protokolls der Hauptverhandlung, 132. Verhandlungstag), sodass diese Äußerung nicht im Protokoll enthalten ist.

[128] S 11096 des Protokolls der Hauptverhandlung (133. Verhandlungstag); der erste Teil ist nicht im Protokolltext enthalten. Die Zeugin Möller widersprach allerdings der Aufzeichnung ihrer Angaben (s. S. 11095 des Protokolls, ebenfalls 133. Verhandlungstag).

[129] S. 11080 des Protokolls der Hauptverhandlung (133. Verhandlungstag).

[130] Da die Zeugin Stachowiak der Aufzeichnung ihrer Angaben widersprach (s. S. 11403 des Protokolls der Hauptverhandlung, 141. Verhandlungstag), ist diese Äußerung im Protokoll nicht enthalten.

[131] S. 11068, 11077 des Protokolls der Hauptverhandlung (133. Verhandlungstag). Der Satzteil „Ich bin nicht Ihr Zeuge“ taucht dort nicht auf, allerdings widersprach der Zeuge Augustin einer Aufzeichnung seiner Angaben auf das Tonband (s. S. 11063 des Protokolls, 133. Verhandlungstag), sodass seine Aussage nicht (vollständig) im Originalwortlaut protokolliert ist.

[132] Diese Äußerung ist nicht im Protokolltext enthalten (vgl. Fn. 130).

[133] Am 131. Verhandlungstag sprang der Zeuge Klaus Jünschke mit den Worten „Wart’ ich komm“ und „Für Ulrike, du Schwein“ über den Richtertisch auf den Vorsitzenden Dr. Prinzing zu und fiel mit diesem zu Boden, bevor er überwältigt werden konnte (S. 10957 des Protokolls der Hauptverhandlung, 131. Verhandlungstag).

[134] Heinrich Jansen war ein frühes Mitglied der RAF. Nach der militärischen Ausbildung im Nahen Osten war er mit Meinhof und Ruhland u.a. verantwortlich für die Beschaffung von Waffen, Geld und Pässen. Darüber hinaus nahm er an den Berliner Banküberfällen vom 29. September 1970 teil. Im Dezember desselben Jahres wurde Jansen nach einem gescheiterten Autodiebstahl verhaftet. Da er sich seiner Festnahme durch Schüsse auf zwei Polizeibeamte entziehen wollte, wurde er 1973 vom LG Berlin wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren verurteilt (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 254 ff., 274 f.; Straßner, in Ders. [Hrsg.] Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 209, 218).

[135] Rolf Pohle war ein linker Aktivist aus München. 1969 wurde er aufgrund seiner Teilnahme an den Osterunruhen nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke zu 15 Monaten Haft (ohne Bewährung) verurteilt, jedoch im Rahmen der „Brandt-Amnestie“ wieder freigelassen. Nachdem ihm aufgrund seiner Vorstrafe jedoch die Zweite Juristische Staatsprüfung verwehrt blieb, bewegte er sich ab 1970/71 im Umfeld der militanten Münchner Formation „Tupamaros München“. Am 18. Dezember 1971 wurde er verhaftet, als er versuchte, mit einem gefälschten Ausweis Waffen zu erwerben und im März 1974 wegen illegalen Waffenbesitzes und aufgrund seiner angeblichen Zugehörigkeit zur RAF wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe in Höhe von fast sechseinhalb Jahren verurteilt. Er gehörte zu denjenigen Insass/innen, die 1975 durch die Lorenz-Entführung in den Südjemen ausgeflogen wurden. Er verließ den Jemen aber und ging nach Griechenland, wo er 1976 verhaftet wurde. Zunächst lehnten griechische Behörden und Gerichte eine Überstellung in die Bundesrepublik ab. Pohles Auslieferung wurde zum Skandal, als sich viele Unterstützer/innen in Griechenland mit Parolen wie „Übergebt Pohle nicht den Nazis!“ mobilisierten und der Fall vor dem obersten Gericht für Zivil- und Strafsachen (Areopag) verhandelt wurde. Letztlich wurde Pohle im Oktober 1976 ausgeliefert und in die JVA Straubing verlegt. Pohle bestritt bis zu seinem Tod seine Mitgliedschaft in der RAF und wird von der aktuellen Forschung eher der im Entstehen befindlichen Bewegung 2. Juni zugerechnet (Danyluk, Blues der Städte, 2019, S. 513 f.; Hocks, in Kiesow/Simon [Hrsg.], Vorzimmer des Rechts, 2006, S. 129 ff.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 761 Anm. 56; Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, 2014, S. 388 f.).

[136] Über Inga Hochstein (später Kreuzer) ist wenig bekannt. Sie war Mitglied der RAF sowie der Bewegung 2. Juli und wurde wegen Raubüberfalls und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer 10-jährigen Haftstrafe verurteilt. In der JVA Lübeck beteiligte sie sich ab 1977 an mehreren Hunger- und Durststreiks um u.a. gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren. Für diesen Prozess spielte vor allem ihre Aussage zum möglichen Verbleib Ingeborg Barz‘ eine Rolle (vgl. dazu den 165. Verhandlungstag) (Roggenkamp, DIE ZEIT, Nr. 08/ 1980, abrufbar unter: https://www.zeit.de/1980/08/schwere-vorwuerfe/komplettansicht, zuletzt abgerufen am 28.10.2021; Schulz, Unbeugsam hinter Gittern, 2019, S. 131 ff.).

[137] S. Fn. 45.

[138] Der gelernte Drucker Ralf Reinders politisierte sich im Umfeld verschiedener militanter Gruppen der West-Berliner Subkultur wie der Gammlerbewegung, den Haschrebellen, dem Bluesund den TupamarosWest-Berlin. 1972 gehörte Reinders zu den Gründern der Bewegung 2. Juni. Obwohl die Bewegung stets betonte, über keine hierarchisch geordnete Führung zu verfügen, gilt Reinders als einer ihrer Köpfe. Nach einer Flucht ins Ausland wurde Reinders im September 1975 festgenommen. Der Prozess gegen Reinders und fünf weitere Mitglieder der Bewegung 2. Juni begann im April 1978 vor dem Kammergericht Berlin; die Anklage enthielt Taten im Zusammenhang mit der Lorenz-Entführung im Februar 1975 sowie der Erschießung des Kammergerichts-Präsidenten von Drenkmann im November 1974. Mit Urteil vom 13.10.1980 wurde Reinders für seine Beteiligung an der Lorenz-Entführung sowie der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von 15 Jahren verurteilt (Korndörfer, in Straßner [Hrsg.], Sozialrevolutionärer Terrorismus, 2008, S. 227, 239, 243 f., 252; Overath, Drachenzähne, 1991, S. 100, 135, 177 f.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531, 534, 536, 548, 557).

[139] S. 11376 des Protokolls der Hauptverhandlung (140. Verhandlungstag).

[140] Der Polizeibeamte Norbert Schmid wurde bei einem Festnahmeversuch des RAF-Mitglieds Margrit Schiller erschossen. Er war das erste Todesopfer der RAF. Der genaue Tathergang, insbesondere die Täterschaft, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Schiller selbst belastete Gerhard Müller schwer, der mit Urteil vom 16.3.1976 vom LG Hamburg zwar für andere Taten, darunter Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zum Mord, nicht aber für den Mord an Schmid verurteilt wurde (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 113 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 29). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass der Freispruch Müllers in Bezug auf den Mord an Norbert Schmid Teil einer unzulässigen Absprache mit den Strafverfolgungsbehörden gewesen sei (s. dazu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 8 und 12 zum Protokoll vom 20.7.1976, S. 10649 f., 10659 des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag).

[141] Siegfried Hausner war als Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) im Juni 1971 nach einer Verkehrskontrolle in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt, weshalb er bis zum Sommer 1974 er eine Jugendstrafe absaß. Nach seiner Entlassung schloss er sich der RAF an. Er war Teil des „Kommando Holger Meins“, das am 24. April 1975 bei dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zwölf Geiseln nahm, zwei Menschen tötete und die Freilassung von 26 RAF-Gefangenen, darunter der Angeklagten Baader, Ensslin und der früheren Angeklagten Meinhof, forderte. Aus weiterhin unbekannten Gründen explodierte kurz vor der Stürmung des Gebäudes durch schwedische Spezialkräfte im Inneren der Botschaft ein Sprengsatz, infolgedessen Hausner schwer verletzt wurde. Trotz dieser Verletzungen wurde Hausner wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeliefert und auf die Intensivstation der JVA Stammheim verlegt. Hausner starb dort Anfang Mai 1975 (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 512, 515 f.; Forsbach, Die 68er und die Medizin, 2011, S. 95 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 766 Anm. 80).

[142] § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F. (heute: § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) ermöglicht die Wahrunterstellung für erhebliche Tatsachen, die zur Entlastung der Angeklagten bewiesen werden sollen.

[143] Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele war zu Beginn des Verfahrens als gemeinschaftlicher Verteidiger allen Angeklagten beigeordnet. Nach Inkrafttreten des Verbots der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) am 1.1.1975 war eine Neusortierung der Mandatsverhältnisse erforderlich geworden, infolge derer er dem Angeklagten Baader beigeordnet wurde. Bereits mit Verfügung vom 3.2.1975 wurde seine Beiordnung aufgehoben, da „nicht ausschließen“ sei, daß er „von den Bestimmungen über den Ausschluß von Verteidigern im Strafverfahren betroffen werden“ könne (so der frühere Vorsitzende Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 235 f.). Am 16.4.1975 beantragte die Bundesanwaltschaft den Ausschluss des Rechtsanwalts Ströbele wegen des Verdachts der Tatbeteiligung (§ 138a StPO); der Ausschluss erfolgte schließlich am 13.5.1975 (s. zur Chronologie der Bestellungen und Verfügungen die Ausführungen des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 3. Verhandlungstag, S. 229 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung; s. auch die angehängte Chronik in Dreßen [Hrsg.], Politische Prozesse ohne Verteidigung?, 1976, S. 104 f.; Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 165 f.). Auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung der kriminellen Vereinigung RAF wurde gegen ihn eingeleitet. Mit Urteil vom 24.3.1982 wurde er schließlich vom LG Berlin zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt (Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 52; s. auch das Interview mit Ströbele in Diewald-Kerkmann/Holtey [Hrsg.], Zwischen den Fronten, 2013, S. 121 ff.).

[144] Zu § 136a StPO s. bereits Fn. 77. Die Verteidigung u.a. versuchte zu beweisen, daß die umfassende Aussage Müllers durch das Versprechen diverser ungesetzlicher Vorteile unzulässig beeinflusst worden sei (s. hierzu etwa die Beweisanträge in den Anlagen 4 bis 19 zum Protokoll zum 20.7.1976, S. 10643 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 128. Verhandlungstag; s. zu den Vorwürfen der Verteidigung auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 305 ff.).

[145] Das Freibeweisverfahren findet Anwendung zum Beweis von Tatsachen, die nicht die Straf- oder Schuldfrage, d.h. den Tathergang, die Schuld des Täters/der Täterin sowie die Höhe der Strafe, betreffen. Im Unterschied zum dort anzuwendenden Strengbeweisverfahren ist das Gericht im Freibeweisverfahren nicht auf die Wahl bestimmter Beweismittel beschränkt, sondern kann grundsätzlich alle verfügbaren Erkenntnisquellen nutzen; auch an die im Strengbeweisverfahren vorgeschriebene Form ist es nicht gebunden (BGH, Urt. v. 28.6.1961 - Az.: 2 StR 154/61, BGHSt 16, S. 164, 166). Für die Prüfung der Voraussetzungen des § 136a StPO wurde zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung wohl überwiegend das Freibeweisverfahren für ausreichend angesehen (s. etwa Meyer, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 1, 23. Aufl. 1976, § 136a Rn. 53). Heute mehren sich die Stimmen, die die teilweise oder sogar vollständige Anwendung des Strengbeweises fordern (für eine vollständige Anwendung des Strengbeweises s. Gleß, in Löwe/Rosenberg [Begr.], Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Band 4/1, 27. Aufl. 2019, § 136a Rn. 77; für eine Anwendung des Strengbeweises in den Fällen, in denen die Aussage letztlich für die Straf- oder Schuldfrage verwertet werden soll s. Schuhr, in Knauer/Kudlich/Schneier [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Aufl. 2014, § 136a Rn. 99).

[146] Der Schlosser Karl-Heinz Ruhland wurde im Dezember 1970 verhaftet. Erst wenige Monate zuvor hatte Ruhland wohl aus Geldsorgen begonnen, die RAF mit dem Frisieren gestohlener Autos zu unterstützen. Am 29. September 1970 beteiligte sich Ruhland an den Berliner Banküberfällen. Bis zu seiner Verhaftung kundschaftete er u.a. gemeinsam mit Meinhof und Jansen mögliche Einbruchsziele aus und beging Diebstähle. In mehreren Verfahren gegen RAF-Mitglieder fungierte Ruhland, der sich von der RAF losgesagt hatte, als umstrittener Belastungszeuge. Mit Urteil vom 15.3.1972 wurde er vom OLG Düsseldorf wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; nach nur zweieinhalb Jahren wurde er vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann begnadigt. Im Laufe seiner verschiedenen Aussagen verstrickte er sich in zahlreiche Widersprüche (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 243 ff., 253 ff., 260, 271 ff.; Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 243 ff.). Rechtsanwalt Heinrich Hannover bezeichnete ihn auch als „berühmtesten oder richtiger ruhmlosesten aller bisherigen Kronzeugen“ (Hannover, Terroristenprozesse, 1991, S. 140).

[147] Nach § 119 Abs. 3 StPO a.F. durften Untersuchungsgefangenen solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erforderten. Hierunter wurde auch die Briefkontrolle gefasst, was in den Nr. 28-34 der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) konkretisiert wurde (Kleinknecht, Strafprozessordnung, 33. Aufl. 1977, § 119 Rn. 16). Heute ist es nach § 119 Abs. 1 Satz 1 StPO möglich, Untersuchungsgefangenen Beschränkungen aufzuerlegen, soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a StPO) erforderlich ist. Eine Beschränkungsmöglichkeit ist in diesem Zusammenhang die Anordnung der Überwachung von Besuchen, Telekommunikation sowie des Schrift- und Paketverkehrs (§ 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO). Diese Anordnung impliziert die Befugnis, Schriftstücke und Pakete anzuhalten (§ 119 Abs. 1 Satz 7 StPO). Zuständig für die Anordnung ist grundsätzlich das Gericht, das den Haftbefehl erlassen hat (§ 126 Abs. 1 StPO). Ab dem Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage geht die Zuständigkeit auf das Gericht der Hauptsache über (§ 126 Abs. 2 StPO).

[148] § 129 StGB enthält den Straftatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen. Der damalige Absatz 6 (heute: Abs. 7) enthält eine Regelung für den Fall der sog. tätigen Reue: „Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15 [Anm. d. Verf.: heute § 49 Abs. 2 StGB]) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder 2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können; erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.“

[149] Nach § 13 Abs. 2 StGB a.F. (heute: § 46 Abs. 2 StGB) sind bei der Strafzumessung alle Umstände, die für oder gegen den/die Täter/in sprechen, gegeneinander abzuwägen. Einige werden namentlich genannt, darunter auch das Nachtatverhalten. In diesem Rahmen wirkt sich ein Geständnis in der Regel positiv auf die Strafzumessung aus, wenn auch mit unterschiedlichem Gewicht. Aspekte, die hierbei eine Rolle spielen sind z.B., zu welchem Zeitpunkt das Geständnis erfolgte (wurde dem/der Verletzten die weitere Belastung durch eine Zeugenaussage erspart?), oder ob es von Reue und Schuldeinsicht getragen oder lediglich als Reaktion auf eine erdrückende Beweislage erfolgte (ausführlich Eschelbach, in Satzger/Schluckebier/Widmaier [Hrsg.], Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2019, § 46 Rn. 128 ff.). Da zu den grundlegenden Verteidigungsrechten in einem Strafverfahren das Recht gehört, nicht zur Sache aussagen zu müssen (§ 136 Abs. 1 StPO), ist das Fehlen eines Geständnisses kein zulässiger Anknüpfungspunkt für eine Strafschärfung; gleiches gilt grundsätzlich auch für das Leugnen (BGH, Beschl. vom 8.11.1995 - 2 StR 527/95, NStZ 1996, S. 80; s. auch bereits BGH, Urt. v. 18.10.1960 - Az.: 5 StR 332/60, NJW 1961, S. 85). Vor diesem Hintergrund erfährt die regelmäßige strafmildernde Berücksichtigung von Geständnissen (bzw. der durch sie in Erscheinung tretenden Umstände) durchaus Kritik (Dencker, ZStW 102, S. 51, 56 f.; Eschelbach, in Fischer/Bernsmann [Hrsg.], Festschrift für Ruth Rissing-van Saan zum 65. Geburtstag, 2011, S. 115, 130 f.; Streng, in Feltes/Pfeiffer/Steinhilper [Hrsg.], Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag, 2006, S. 447, 448 ff.).

[150] In der Entscheidung aus dem Jahr 1965 führte der BGH aus, der bloße Hinweis darauf, „daß ein Geständnis sich für Haftentlassung, Strafzumessung und späteren Gnadenerweis günstig auswirken könne“, sei nicht zu beanstanden, denn „das könnte der Vernommene sich vernünftigerweise selbst sagen“. Anders sei es mit dem Versprechen von Vergünstigungen; damit bringe die Vernehmungsperson gesetzlich nicht vorgesehene Vorteile überhaupt erst in einen Zusammenhang mit der Aussage (BGH, Urt. v. 14.9.1965 - Az.: 5 StR 307/65, BGHSt 20, S. 268).

[151] Die auch als „Geheimakte“ bezeichnete Akte „3 ARP 74/75 I“ enthielt Aussagen des Belastungszeugen und ehemaligen RAF-Mitglieds Gerhard Müller. Für diese Akte hatte der damalige Bundesjustizminister Vogel zunächst eine umfassende Sperrerklärung nach § 96 StPO („Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“) abgegeben. Die Verteidigung bemühte sich lange darum, Einblick in die Akte zu erhalten. Nachdem die Prüfung und Entscheidung darüber, die Sperrerklärung wieder aufzuheben, der Bundesanwaltschaft anvertraut wurde (s. die Mitteilung des Vorsitzenden Dr. Prinzing am 157. Verhandlungstag, S. 12215 des Protokolls der Hauptverhandlung), gab diese schließlich am 158. Verhandlungstag nach erneuter Prüfung einen Großteil der Akte heraus (S. 12262 des Protokolls der Hauptverhandlung; s. zu den Vorgängen und Vermutungen rund um diese Akte auch Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 368 ff.). Am 159. Verhandlungstag wurde ein Schreiben des Bundesjustizministers bekanntgegeben, in welchem die letzten noch geheimhaltungsbedürftigen Passagen konkretisiert wurden (s. Anlage 2 zum Protokoll vom 9.11.1976, S. 12306 des Protokolls der Hauptverhandlung, 159. Verhandlungstag).

[152] S. bereits Fn. 109.

[153] Der Zeuge Gerhard Müller stritt zunächst ab, den Decknamen „Harry“ benutzt zu haben. Damit einher ging die Behauptung, er habe den Zeugen Dierk Hoff nie getroffen (S. 10399 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 125. Verhandlungstag); dieser hatte im Rahmen seiner Zeugenaussage allerdings ein Treffen mit einem „Harry“ geschildert, den er inzwischen als Müller identifizierte, s. S. 5948 des Protokolls der Hauptverhandlung, 68. Verhandlungstag). Diese Aussage widerrief Müller schließlich am 126. Verhandlungstag (S. 10407 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[154] Der BGH entschied im Jahr 1968, dass das nach einer Belehrung über die Beschuldigtenrechte wiederholte Geständnis einer beschuldigten Person verwertet werden dürfe, selbst wenn in einer ersten Vernehmung ein gleichlautendes Geständnis gesetzeswidrig ohne vorangegangene Belehrung abgelegt worden war. Hierbei bezog sich der BGH auf die vergleichbare Situation einer zweiten Vernehmung nach Wegfall der von § 136a StPO umfassten Drucksituation: auch hier sei das wiederholte Geständnis nach Wegfall der verbotenen Einwirkung voll verwertbar. Etwas anderes gelte nur, wenn die zweite Aussage weiterhin von dem zuvor ausgeübten Druck beeinflusst werde (BGH, Beschl. v. 30.4.1968 - Az.: 1 StR 625/67, BGHSt 22, S. 129, 133 f.). Die neuere Rechtsprechung geht hingegen davon aus, dass in Fällen, in denen eine Belehrung im Rahmen der ersten Vernehmung zu Unrecht unterlassen worden ist, grundsätzlich eine sogenannte qualifizierte Belehrung zu erfolgen hat, in welcher die/der Beschuldigte auch darauf hingewiesen werden muss, dass die früheren Angaben nicht verwertbar seien. Wird eine solche qualifizierte Belehrung unterlassen, kann dies ggf. zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Allerdings ist hierbei eine Abwägung vorzunehmen, in deren Rahmen auch zu berücksichtigen ist, ob sich die/der Beschuldigte durch die früheren Angaben gebunden sah. Ausdrücklich hat der BGH eine Pflicht zur qualifizierten Belehrung mit Urteil vom 18.12.2008 statuiert (BGH, Urt. v. 18.12.2008 - Az.: 4 StR 455/08, BGHSt 53, S. 112 ff.; zum Ganzen Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 136 Rn. 27a).

[155] Zum Tod des früheren Mitangeschuldigten Holger Meins s. bereits Fn. 30.

[156] Im Jahr 1972 begann der Prozess gegen den Rechtsanwalt und RAF-Mitglied Horst Mahler vor dem Kammergericht Berlin wegen gemeinschaftlich begangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Im Februar 1973 wurde er zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt (s. zu Horst Mahler bereits Fn. 100).

[157] Ingeborg Barz war ein frühes Mitglied der RAF. Zuvor war sie Teil der Hilfsorganisation Schwarze Hilfe und bildete u.a. gemeinsam mit Angela Luther, Inge Viett, Verena Becker und Waltraud Siepert eine feministische Gruppe namens Die schwarze Braut. Über Barz’ Position in der RAF ist nicht viel bekannt. 1971 soll sie beim Überfall auf eine Bank in Kaiserslautern mitgewirkt haben. Von der Verhaftungswelle 1972 war Barz nicht betroffen, gilt aber wie Angela Luther seitdem als verschwunden. Über ihren Verbleib existieren nur Spekulationen. Unter anderem stand der Verdacht im Raum, dass sie als Spitzel des Verfassungsschutzes enttarnt und von Baader erschossen worden sei (Kraushaar, Verena Becker und der Verfassungsschutz, 2010, S. 31 ff., 37 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S 299, 820). Die Verteidigung versuchte zu beweisen, dass die Behauptung, Baader habe Barz erschossen, von Gerhard Müller aufgestellt worden sei, um Baader wahrheitswidrig zu belasten (s. den Beweisantrag des Rechtsanwalts Dr. Heldmann am 142. Verhandlungstag, S. 11467 des Protokolls der Hauptverhandlung). Durch den Beweis der Unwahrheit dieser Tatsache sollte die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Müller insgesamt erschüttert werden (s. dazu etwa die Diskussion um den am 147.Verhandlungstag gestellten Beweisantrag, S. 11684 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den Angaben, die Müller über in diesem Zusammenhang gemacht haben soll, s. auch die Ausführungen des Vernehmungsbeamten KHK Opitz am 152. Verhandlungstag (S. 11855 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung).

[158] Die Umstände des Todes von Ulrike Meinhof - offiziell Suizid durch Erhängen - wurden, nicht zuletzt durch die Vertrauensverteidigung, erheblich angezweifelt (Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 268 ff.). Der Angeklagte Raspe erklärte am 109. Verhandlungstag: „Wir glauben, daß Ulrike hingerichtet worden ist; wir wissen nicht, wie, aber wir wissen, von wem“ (S. 9609 des Protokolls der Hauptverhandlung). Zu den durch Meinhofs Tod ausgelösten Protesten s. bereits Fn. 12.

[159] S. 12808 des Protokolls der Hauptverhandlung (165. Verhandlungstag).

[160] Die Soziologiestudentin Brigitte Asdonk gehörte zur ersten Generation der RAF. Im Sommer 1970 reiste sie mit anderen RAF-Mitgliedern zur paramilitärischen Ausbildung nach Jordanien. Zusammen mit Horst Mahler, Ingrid Schubert, Monika Berberich und Irene Goergens wurde sie bereits im Oktober 1970 in einer konspirativen Wohnung in der Berliner Knesebeckstraße verhaftet. Vorgeworfen wurde ihr die Bildung einer kriminellen Vereinigung, die Beteiligung an Banküberfällen und unbefugter Waffenbesitz. Die Hauptverhandlung gegen sie und fünf weitere RAF-Mitglieder (Monika Berberich, Irene Goergens, Ingrid Schubert, Hans-Jürgen Bäcker und Eric Gusdat) begann am 24. November 1972 vor dem LG Berlin und galt zu diesem Zeitpunkt mit über 300 vorgesehenen Zeug/innen und fast 80 geplanten Verhandlungstagen als einer der „umfangreichsten und wahrscheinlich auch längsten Prozesse der deutschen Justizgeschichte“ (zitiert nach Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 83). Mit Urteil vom 28.6.1974 wurde Asdonk zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zu zehn Jahren verurteilt (Diewald-Kerkmann, a.a.O., S. 83 ff., 167 f.).

[161] Ausnahmsweise kann sich das Recht aus § 55 StPO, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, zu einem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht verdichten, wenn der gesamte Inhalt der Aussage die Gefahr einer Strafverfolgung begründen würde; dies kann insbesondere bei Beteiligten an den angeklagten Straftaten (bzw. bei an der Beteiligung Verdächtigen) der Fall sein (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 55 Rn. 2; BGH, Beschl. v. 11.6.2002 - Az.: 2 StE 7/01 - 6 StB 12/02, NStZ 2002, S. 607; s. auch bereits BGH, Urt. v. 15.1.1957 - Az.: 5 StR 390/56, BGHSt 10, S. 104, 105).

[162] Wird die Erteilung einer Aussagegenehmigung abgelehnt, so steht den Prozessbeteiligten hiergegen der Verwaltungsrechtsweg offen (BVerwG, Urt. v. 24.6.1982 - Az.: 2 C 91.81, BVerwGE 66, S. 39, 41). Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit, eine Aussagegenehmigung noch vor Abschluss des Strafverfahrens zu erhalten, kommt zudem ein Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123VwGO in Betracht. Nach bereits erfolgreichen Verfahren vor dem VG Köln und dem VG Hamburg waren noch weitere Verwaltungsgerichtsverfahren anhängig, u.a. auf vollständige Aufhebung des Sperrvermerks für die Akte 3 ARP (s. Anlage 1 a zum Protokoll vom 8. Dezember 1976, S. 12940 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 167. Verhandlungstag; zum Anrag des Rechtsanwalts Schily, die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung des VG Köln zu unterbrechen s. S. 12937 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, ebenfalls 167. Verhandlungstag).

[163] Die innere Tatseite umfasst den Vorsatz (das „Wissen und Wollen“ der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände, Sternberg-Lieben/Schuster, in Schönke/Schröder [Begr.], Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 15 Rn. 9 m.w.N.), sowie - in manchen Strafnormen vorhandene - weitere subjektive Tatbestandsmerkmale (z.B. subjektive Mordmerkmale).

[164] Die Abgrenzung von (bedingtem) Vorsatz und (bewusster) Fahrlässigkeit ist in den Einzelheiten umstritten. In beiden Fällen erkennt der/die Täterin auf einer kognitiven Ebene die Möglichkeit des Eintritts eines konkreten Taterfolgs (hier: des Todes). Nach der wohl überwiegenden Auffassung erfodert der bedingte Vorsatz zudem ein voluntatives Element: der/die Täter/in muss den Erfolg zumindest „billigend in Kauf nehmen“ (oder diesem gleichgültig gegenüberstehen), während im Rahmen der groben Fahrlässigkeit ernsthaft auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut wird (eingehend zur Abgrenzung Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 5. Aufl. 2020, § 12 Rn. 21 ff.).

[165] Die Strafbarkeit wegen (versuchten) Tötungsdelikten setzt grundsätzlich vorsätzliches Handeln voraus. Hier wurde zwar nicht die ursprünglich anvisierte Person (RiBGH Buddenberg) Opfer der Sprengfalle, sondern seine Frau; bei Konstellationen wie dieser, in der die Täter/innen mit Sprengfallen aus der Distanz angreifen und ihr Opfer somit optisch nicht wahrnehmen und individualisieren können, wird aber angenommen, dass sich der Tatvorsatz auf diejenige Person konkretisiert, die zuerst das Auto benutzt. Somit war der Tatvorsatz nicht auf den Bundesrichter Buddenberg beschränkt, sondern umfasste auch jede andere Person, die als erste in das Auto einstieg und die Sprengfalle dadurch auslöste (vgl. BGH, Urt. v. 7.10.1997 - Az.: 1 StR 635/96, NStZ 1998, S. 294, 295).

[166] Nach dem Scheitern der Regierungskoalition von CDU/CSU und der FDP während des Jahres 1966 bildeten die SPD und die CDU/CSU unter der Führung von Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) die erste Große Koalition. In linken Kreisen löste dieser Schritt der SPD Enttäuschung aus. Die Abwendung von der SPD sowie die mit der Großen Koalition einhergehende Schwächung der Opposition im Bundestag (die nur noch aus der FDP-Fraktion bestand) führte zur Entstehung einer außerparlamentarischen Opposition (APO) (Kraushaar, Die blinden Flecken der RAF, 2017, S. 38; Siegfried, 1968, 2018, S. 152 ff.).

[167] Diese Formulierung geht auf einen Beweisantrag des Rechtsanwalts Künzel zurück, der zum Beweis dieser Tatsachen beantragte, Klaus Röhler und Günter Grass als Zeugen zu vernehmen (S. 11269 des Protokolls der Hauptverhandlung, 137. Verhandlungstag). Diese Behauptungen wurde vom Senat so behandelt, als seien sie wahr, sodass der Beweisantrag abgelehnt werden konnte (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a.F.; heute: § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO; s. den am 138. Verhandlungstag verkündeten Beschluss auf S. 11289 des Protokolls der Hauptverhandlung). Zum gesellschaftspolitischen Engagement Gudrun Ensslins und ihrer Entwicklung nach der Bundestagswahl 1965 s. auch Bressan/Jander, in Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 1. Aufl. 2006, 398, 405 ff.

[168] S. Fn. 135.

[169] S. Fn. 119.

[170] S. Fn. 134.

[171] S. Fn. 160 und 180.

[172] § 253 StPO lautet: „Erklärt ein Zeuge oder Sachverständiger, daß er sich einer Tatsache nicht mehr erinnere, so kann der hierauf bezügliche Teil des Protokolls über seine frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnisses verlesen werden“ (Abs. 1). „Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Widerspruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder behoben werden kann“ (Abs. 2).

[173] Die Schülerin Irene Goergens war u.a. an der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 beteiligt. Bereits im Mai 1972 wurde sie deshalb durch das Landgericht Berlin zu einer Jugendstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt. Unter Einbeziehung dieser Strafe verurteilt das LG Berlin Goergens wegen Teilnahme am „Dreierschlag“ (der gleichzeitige Überfall auf drei Banken am 29. September 1970 in West-Berlin) zu sieben Jahren Jugendstrafe (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 71 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, S. 21 f.; Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 169, 760 Anm. 47).

[174] Monika Berberich gehörte zur ersten RAF-Generation. Während ihrer Hinwendung zur RAF in deren Gründungsphase bestand sie ihr zweites juristisches Staatsexamen. Eine Station ihres Referendariats absolvierte sie bei Rechtsanwalt Horst Mahler. Im Sommer 1976 gelang ihr zusammen mit Gabriele Rollnik, Inge Viett und Juliane Plambeck, die zur Bewegung 2. Juni gehörten, die Flucht aus einem Berliner Gefängnis. Nach ihrer erneuten Festnahme blieb Berberich bis 1988 in Haft (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 54 f., 86 ff.).

[175] Zwar ist die sog. materielle Rechtskraft, die den Inhalt eines Urteils betrifft, in zweifacher Hinsicht beschränkt: Zum einen bezieht sie sich nur auf die Personen, gegen die das Verfahren gerichtet war (Kudlich, in Knauer/Kudlich/Schneider [Hrsg.], Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 1. Auflage 2014, Einleitung Rn. 510), zum anderen entsteht sie auch nur im Hinblick auf den Tenor, also die Entscheidungsformel, die im Falle einer Verurteilung den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch (sowie bestimmte Nebenentscheidungen) umfasst (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, Einl. Rn. 170). Gleichwohl ist es anderen (Straf-)Gerichten nicht verwehrt, die auch in den Entscheidungsgründen dokumentierten Ergebnisse der Beweiserhebung im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung einzuführen und sie zur Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) zu machen; dies gilt sogar für nichtrechtskräftige (z.B. aufgehobene) Entscheidungen (BGH, Urt. v. 18.5.1954 - Az.: 5 StR 653/53, BGHSt 6, S. 141; Diemer, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019 § 249 Rn. 17).

[176] Das Verfahren gegen die RAF-Mitglieder Ingrid Schubert, Irene Goergens und Horst Mahler vor dem Landgericht Berlin war einer der ersten Prozesse gegen Mitglieder der RAF (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz 2. Juni, 2009, S. 71 ff., 328). Verhandelt wurden Taten im Zusammenhang mit der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader aus der Haft am 14. Mai 1970 (Fn. 58). Schubert wurde zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Jahren, Goergens zu einer Jugendstrafe in Höhe von vier Jahren verurteilt (Peters, Tödlicher Irrtum, 4. Aufl. 2008, S. 177 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, S. 21 f.). Mahler wurde zunächst freigesprochen; nach Aufhebung des freisprechenden Urteils durch den BGH wurde er in einem späteren Verfahren (Fn. 84) unter Einbeziehung einer zuvor ausgeurteilten Haftstrafe (wegen schweren Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 14 Jahren verurteilt (Jander, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 372, 382 ff.; Pflieger, Die Rote Armee Fraktion, 3. Aufl. 2011, S. 21 ff.).

[177] S. Fn. 84.

[178] Karl-Heinz Ruhland wurde wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; nach nur zweieinhalb Jahren wurde er vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann begnadigt (s. bereits Fn. 146).

[179] Horst Mahler wurde wegen gemeinschaftlich gegangenen Raubes in Tateinheit mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren verurteilt (s. bereits Fn. 100).

[180] Zum Verfahren gegen Asdonk, Berberich, Goergens, Schubert, Bäcker und Grusdat s. bereits Fn. 160. Alle Angeklagten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt: Asdonk zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren, Berberich zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwölf Jahren, Goergens unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung (Fn. 176) zu einer Jugendstrafe in Höhe von sieben Jahren, Schubert unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung (Fn. 176) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von von 13 Jahren, Bäcker zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von neun Jahren, Grusdat unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zehn Jahren (Diewald-Kerkmann, Frauen, Terrorismus und Justiz, 2009, S. 83 ff.).

[181] S. Fn. 36.

[182] S. Fn. 37.

[183] S. Fn. 38.

[184] Der Präsident des Berliner Kammergerichts Günter von Drenkmann wurde von der Bewegung 2. Juni in einem Racheakt für den verstorbenen Holger Meins getötet. Nachdem Meins am 9. November 1974 an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben war, versuchte die Bewegung am folgenden Tag, von Drenkmann zu entführen. Als dies aufgrund von Drenkmanns Gegenwehr misslang, wurde er erschossen (Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Neuausg. 2017, S. 470 f.; Wunschik, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 531, 550).

[185] S. Fn. 4.

[186] S. Fn. 5.

[187] S. Fn. 6.

[188] S. Fn. 3.

[189] Zu den Voraussetzungen der Mittäterschaft s. bereits Fn. 2.

[190] Während die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes dazu führt, dass das Verhalten als rechtmäßig eingeordnet wird, also kein strafrechtliches Unrecht vorliegt, führt ein Schuldausschließungsgrund lediglich zum Wegfall der persönlichen Vorwerfbarkeit; das Verhalten an sich bleibt rechtswidrig und von der Rechtsordnung grundsätzlich missbilligt. In beiden Fällen ist zwar eine Strafbarkeit ausgeschlossen; an das rechtswidrige, aber schuldlose Verhalten können aber ggf. weitere Konsequenzen anknüpfen. So bleibt in diesen Fällen eine strafbare Teilnahme weiterhin möglich; auch Notwehrrechte können dagegen vorgebracht werden, weil rechtswidriges Verhalten von niemandem hingenommen werden muss (vgl. Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 7 f.).

[191] Nach § 17 Satz 1 StGB handelt ohne Schuld, wem bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, wenn dieser Irrtum unvermeidbar war (sog. Verbotsirrtum). Die Vorschrift wurde erst zum 1.1.1975 durch das Zweite Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl. I, S. 717) in das StGB eingefügt; sein wesentlicher Regelungsgegenstand war allerdings seit einer Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahr 1952 (BGH, Beschl. v. 18.3.1952 - Az.: GSSt 2/51, BGHSt 2, S. 194) anerkannt. Als Verbotsirrtum ist auch ein Rechtsirrtum über das Bestehen eines tatsächlich nicht existierenden, oder über die Grenzen eines anerkannten, Rechtfertigungsgrundes (sog. Erlaubnisirrtum bzw. indirekter Verbotsirrtum) einzuordnen. Bei Vorliegen eines Erlaubnisirrtums ist die Schuld ausgeschlossen, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Die Anforderungen an die Unvermeidbarkeit werden in der Rechtsprechung durchaus hoch angesetzt. Unvermeidbar ist ein Irrtum nur, wenn ein/e Täter/in trotz der ihm/ihr „zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige [des] Tuns nicht zu gewinnen vermochte“ (BGH, Beschl. v. 18.3.1952 - Az.: GSSt 2/51, BGHSt 2, S. 194, 201). In der Regel kommt daher nur ein vermeidbarer Verbotsirrtum in Betracht. Nach der bereits zitierten Entscheidung des Großen Senats waren in diesem Fall die in § 44 Abs. 2 und 3 StGB a.F. für die mildere Bestrafung des Versuchs vorgesehenen Grundsätze anzuwenden (BGH a.a.O., S. 211); heute enthält § 17 Satz 2 StGB für diesen Fall die Möglichkeit einer Strafmilderung gem. § 49 Abs. 1 StGB.

[192] S. bereits Fn. 67.

[193] S. 9445 des Protokolls der Hauptverhandlung (106. Verhandlungstag).

[194] Fn. 3.

[195] § 211 Abs. 2 StPO benennt verschiedene Mordmerkmale, darunter in der 1. Gruppe bestimmte subjektive Beweggründe, die die vorsätzliche Tötung eines Menschen nicht mehr nur als Totschlag, sondern als Mord qualifizieren. Die „sonstigen niedrigen Beweggründe“ stellen dabei eine Generalklausel für höchststrafwürdige Tötungsbeweggründe dar. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein solcher Tötungsbeweggrund niedrig, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, und deshalb besonders verwerflich und verachtenswert ist (BGH, Urt. v. 25.7.1952 - Az.: 1 StR 272/52, BGHSt 3, S. 132, 133).

[196] Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht umfasst solche Fälle, in denen zwar die Tat selbst, nicht aber die Täterschaft bekannt ist und der/die Täter/in handelt, um unerkannt zu entkommen. Gleiches gilt, wenn der/die Täter/in der Tat zwar bereits verdächtig ist, die genauen Tatumstände aber noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind. Nicht ausreichend ist, wenn der/die Täter/in bei bekannter Tat und Täterschaft lediglich handelt, um sich der Verhaftung zu entziehen (BGH, Urt. v. 17.5.2011 - Az.: 1 StR 50/11, BGHSt 56, S. 239, 244 f.).

[197] Zum bedingten Vorsatz s. bereits Fn. 56.

[198] Zur Versuchsstrafbarkeit s. bereits Fn. 5. Das Versuchsstadium beginnt nach der Rechtsprechung des BGH dabei auf Grundlage sowohl der alten wie auch der neuen Gesetzesfassung, wenn der/die Täter/in subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht’s los“ überschreitet und objektiv so zur tatbestandsmäßigen Handlung ansetzt, dass sein/ihr Handeln ohne weitere Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung übergeht (BGH, Urt. v. 16.9.1975 - Az.: 1 StR 264/75, NJW 1976, S. 58; Zaczyk, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.], Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 22 Rn. 23).

[199] Grundlage für die Strafzumessung ist „die Schuld des Täters“ (§ 13 Abs. 1 a.F.; heute: § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Nach § 13 Abs. 2 a.F. (heute: § 46 Abs. 2 StGB) sind dabei „die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen“, gegeneinander abzuwägen. Zu den ausdrücklich (aber nicht abschließend) aufgezählten Umständen, die hierbei zu berücksichtigen sind, zählen auch die persönlichen Verhältnisse der Täter/innen.

[200] Am 2. April 1968 verübten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein Brandanschläge auf Kaufhäuser in Frankfurt am Main, bei denen zwar erhebliche Sachschäden entstanden, aber keine Menschen verletzt wurden. Die Kaufhausbrandstiftungen zählen zu den ersten politischen Gewalttaten von Baader und Ensslin vor Gründung der RAF. Motiviert wurden sie durch eine Kampagne der Kommune I, die eine Brandtragödie mit mehr als 200 Toten in einem Brüsseler Kaufhaus im Jahr 1967 für Kritik am Vietnamkrieg nutzte. Im Oktober 1968 begann der Prozess am Landgericht Frankfurt gegen Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein. Mit Urteil vom 31.10.1968 wurden sie zu Haftstrafen in Höhe von je drei Jahren verurteilt (Hakemi/Hecken, in Kraushaar [Hrsg.], Die RAF und der linke Terrorismus, Band 1, 2006, S. 316 f, 322 ff.; Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 27 ff.). Ulrike Meinhof, die den Prozess für die Zeitschrift konkret verfolgte, kritisierte die Brandstiftung in ihrer Kolumne: „Gegen Brandstiftung im allgemeinen spricht, daß dabei Menschen gefährdet werden sollen. Gegen Warenhausbrandstiftung im besonderen spricht, daß dieser Angriff auf die kapitalistische Konsumwelt [...] eben diese Konsumwelt nicht aus den Angeln hebt, sie nicht einmal verletzt [...]. Dem Prinzip [...] des Profits und der Akkumulation von Kapital, wird durch einfache Warenvernichtung eher entsprochen, als daß es durchbrochen würde“ (Meinhof, Die Würde des Menschen ist unantastbar, 1980, S. 153).

[201] Die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, war zum Tatzeitpunkt noch unter dem Begriff der „Zurechnungsfähigkeit“ in § 51 StGB a.F. geregelt. Im Falle einer nur eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit kam eine Strafmilderung nach § 44 StGB a.F. in Betracht. Seit dem 1.1.1975 wird die beschriebene Fähigkeit als „Schuldfähigkeit“ bezeichnet; die Folgen ihres Fehlens bzw. ihrer Einschränkung finden sich in §§ 20, 21 StGB. Eingeschränkte Schuldfähigkeit hat nach § 21 StGB weiterhin eine fakultative Strafmilderung (§ 49 Abs. 1 StGB) zur Folge.

[202] Für die Begehung eines Mordes ist als einzig mögliche Strafe eine lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen (§ 211 Abs. 1 StGB).

[203] Ist eine Tat nur versucht worden, kann die Strafe gemildert werden (§ 44 Abs. 1 StGB a.F.; heute: § 23 Abs. 2 StGB). Dies geschieht durch Absenkung des Strafrahmens. Die lebenslange Freiheitsstrafe, die für einen vollendeten Mord zwingend vorgeschrieben wäre, konnte auf diese Weise in eine zeitige Freiheitsstrafe von drei bis 15 Jahren umgewandelt werden (§§ 44 Abs. 2, 18 Abs. 2 StGB. a.F.; heute: §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 38 Abs. 2 StGB).

[204] Bei tateinheitlicher Verwirklichung mehrerer Straftatbestände wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht; weist einer der verwirklichten Tatbestände eine Mindeststrafe auf, so darf die Strafe nicht milder sein (s. bereits Fn. 3). Im Vergleich zum gemilderten Strafrahmen für versuchten Mord (nicht unter drei Jahren, s. Fn. 203), sah § 311 Abs. 2 StGB eine Mindestfreiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vor. Eine Entsprechung für § 311 Abs. 2 StGB a.F. (Gefährdung durch Explosion in einem besonders schweren Fall) gibt es heute nicht mehr. Das Regelbeispiel des § 311 Abs. 3 StGB a.F. - die leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat - ist heute als Qualifikation der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in § 308 Abs. 3 StGB mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bedroht.

[205] Das Regelbeispiel des § 311 Abs. 3 StGB a.F. - die leichtfertige Verursachung des Todes eines Menschen durch die Tat - ist heute als (Erfolgs-)Qualifikation der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in § 308 Abs. 3 StGB mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bedroht. Während Qualifikationen Tatbestandscharakter haben und ihre Verwirklichung zwingend die gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen nach sich zieht, handelt es sich bei Regelbeispielen um sogenannte benannte besonders schwere Fälle, die als Strafzumessungsvorschriten ausgestaltet sind (vgl. Eisele, Die Regelbeispielsmethode im Strafrecht, 2004, S. 18; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 134). Die Verwirklichung eines Regelbeispiels indiziert daher das Vorliegen eines besonders schweren Falles, zwingt das Gericht aber nicht zu einer Anwendung des erhöhten Strafrahmens, da sich im Rahmen einer Gesamtwürdigung ergeben kann, dass im konkreten Fall trotz des Vorliegens eines Regelbeispiels nicht von einem besonders schweren Fall auszugehen ist (vgl. Maier, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 4. Aufl. 2020, § 46 Rn. 125 f.).

[206] Der besonders schwere Fall der Gefährdung durch Explosion war zum Tatzeitpunkt als Regelbeispiel ausgestaltet. Dies erlaubte die Annahme eines besonders schweren Falles auch in Konstellationen, die mit dem explizit genannten Regelbeispiel in § 311 Abs. 3 StGB a.F. (s. dazu Fn. 205) vergleichbar waren (sog. unbenannter besonders schwerer Fall). Entscheidend für die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls ist, ob der jeweilige Fall vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in so erheblichem Maße abweicht, dass eine Anwendung des höheren Strafrahmens angemessen erscheint (Maier, in Joecks/Miebach [Hrsg.], Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2020, § 46 Rn. 122).

[207] S. bereits Fn. 56.

[208] Zur Bildung einer Gesamtstrafe s. Fn. 208. Bei Bildung einer Gesamtstrafe aus zeitigen (Einzel-)Freiheitsstrafen darf die Summe 15 Jahre nicht übersteigen (§ 75 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F.; heute: § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB).

[209] § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO a.F. lautete: „Rechtsfolgen der Tat, die neben anderen verwirkten Rechtsfolgen nicht vollstreckt werden können, werden in die Urteilsformel nicht aufgenommen; sie werden nur in den Urteilsgründen aufgeführt.“ Dies war nach der damaligen Rechtslage u.a. dann der Fall, wenn auf mehrere lebenslange Freiheitsstrafen oder auf zeitige Freiheitsstrafe neben einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu erkennen war. Die Vorschriften über die Gesamtstrafenbildung (§§ 74, 75 StGB a.F.) waren auf die Verwirkung mehrerer zeitiger Freiheitsstrafen beschränkt und auf lebenslange Freiheitsstrafen gerade nicht anwenbar (BGH, Urt. v. 23.7.1986 - Az.: 3 StR 164/86, NJW 1987, S. 1955, 1956; Scheffler, Juristische Rundschau 1996, S. 485; heute aber ausdrücklich in § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB geregelt). Dementsprechend konnte es - wie hier - durchaus zu dem Fall kommen, dass mehrere lebenslange Freiheitsstrafen verwirkt waren, die aber nicht in einer Gesamtstrafe zusammengefasst wurden. Für die Fassung des Urteilstenors galt dann § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO a.F., sodass nur eine lebenslange Freiheitsstrafe in die Urteilsformel aufzunehmen war.

[210] § 260 StPO enthält die notwendigen Bestandteile eines Urteils. Die Einziehung ist als vollstreckbare Rechtsfolge (sog. Nebenfolge) im Urteil anzuordnen. Dabei müssen die einzuziehenden Gegenstände grundsätzlich so konkret bezeichnet werden, daß die Vollstreckung möglich ist (Ott, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 260 Rn. 43). In der genannten Entscheidung führte der allerdings BGH aus: „Ist das beschlagnahmte und einzuziehende Material besonders umfangreich, so kann seine genaue Erfassung im Urteilsspruch und in den Gründen erheblichen Schwierigkeiten begegnen. In diesen Fällen können keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Sind etwa in einem Lagerraum oder Büro einer verbotenen Vereinigung nicht in Heftern gesammelte lose Schriftstücke gefunden und sichergestellt worden, so reicht es aus, wenn diese Sachen im Urteilsspruch oder in einer besonderen Anlage dazu mit einer Sammelbezeichnung erfaßt sind und wenn die Gründe erkennen lassen, daß es sich nach der Einlassung des Angekl. oder dem Ergebnis einer sorgfältigen Sichtung durch das Gericht ausschließlich um solches Material handelt“ (BGH, Urt. v. 7.3.1956 - Az.: 6 StR 92/55, BGHSt 9, S. 88, 90).

[211] Heute geregelt in § 74b Abs. 1 Nr. 2 StGB.

[212] Zur Einziehung s. bereits Fn. 9. Nach § 40a StGB a.F. war die Einziehung unter bestimmten Voraussetzungen auch bei nicht an der Tat beteiligten Personen möglich. Dies war der Fall, wenn die Person wenigstens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass die Sache oder das Recht Mittel oder Gegenstand der Tat oder ihrer Vorbereitung gewesen ist (§ 40a Nr. 1 StGB a.F.) oder die Gegenstände in Kenntnis der Umstände, welche die Einziehung zugelassen hätten, in verwerflicher Weise erworben hat (§ 40a Nr. 2 StGB a.F.). Eine entsprechende Regelung bezüglich der Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei anderen Personen als Täter/innen und Teilnehmer/innen findet sich heute in § 74a StGB.

[213] Fn. 10.

[214] Mit Ausnahme des Rechtsanwalts Schnabel, der keinen konkreten Schlussantrag stellte und lediglich um eine gerechte Entscheidung bat, beantragten alle anderen noch anwesenden Pflichtverteidiger die Einstellung des Verfahrens (S. 13931 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 191. Verhandlungstag).

[215] Die Thematik der Verhandlungsfähigkeit beschäftigte die Verfahrensbeteiligten über einen langen Zeitraum. Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit „in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen“ (BGH, Beschl. v. 8.2.1995 - Az.: 5 StR 434/94, BGHSt 41, S. 16, 18). Nachdem die vollständige Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten durch die Vertrauensverteidigung seit Beginn der Hauptverhandlung immer wieder bestritten wurde, beauftragte das Gericht mit Beschluss vom 18.7.1975 schließlich eine Kommission aus Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen mit der Begutachtung der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten (der Beschluss selbst ist nicht im Protokoll enthalten, vgl. aber den ergänzenden Beschluss in Anlage 2 zum Protokoll vom 29.7.1975, S. 1570 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 20. Verhandlungstag; zur Chronologie der Beauftragungen der verschiedenen Gutachter s. die Ausführungen des Rechtsanwalts von Plottnitz am 26. Verhandlungstag, S. 2093 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung). Die abschließenden Gutachten, die am 39. Verhandlungstag bekannt gegeben wurden, legten eine zeitlich beschränkte Verhandlungsfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit nahe. Die Gutachten sind im Protokoll nicht enthalten. Auszüge finden sich in Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 207 ff., sowie Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 117 ff. Dem lässt sich entnehmen, dass die Internisten Prof. Dr. Müller und Prof. Dr. Schröder von einer eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit von drei Stunden pro Tag ausgingen, wobei kürzere Pausen nicht mit einzubeziehen seien (Bakker Schut, Stammheim, 2. Aufl. 2007, S. 208). Zur Behandlungsmöglichkeit führte der Sachverständige Prof. Dr. Rasch aus: „[D]ie Durchführung einer Behandlung dürfte während der Dauer der Hauptverhandlung und bei Beibehaltung der jetzt gegebenen Haftbedingungen nicht möglich sein“ (so die Wiedergabe des Vorsitzenden Dr. Prinzing auf S. 3112 des Protokolls der Hauptverhandlung, 39. Verhandlungstag).

[216] Die Strafprozessordnung sieht eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht der Angeklagten vor (§ 231 Abs. 1 StPO). Im Falle der Verhandlungsfähigkeit hätten die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift § 231a StPO nicht bestanden, sodass die Angeklagten zur Anwesenheit verpflichtet gewesen wären. Da die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Abwesenheit das Gesetz vorschreibt, einen sog. absoluten Revisionsgrund darstellt (§ 338 Nr. 5 StPO), hätten die Teile der Hauptverhandlung, die gesetzeswidrig ohne die Angeklagten stattgefunden hätten, wiederholt werden müssen. Andernfalls wäre das Urteil im Falle einer Revision aufzuheben gewesen (§ 353 StPO).

[217] (Unverschuldete) Verhandlungsunfähigkeit bedeutet ein vorübergehendes oder dauerndes Verfahrenshindernis (§§ 205, 206a StPO).

[218] In Reaktion auf den Befund der Gutachter, dass die Angeklagten nur zeitlich eingeschränkt verhandlungsfähig seien, verkündete der Vorsitzende Dr. Prinzing am 40. Verhandlungstag den Senatsbeschluss, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortgeführt werde (abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 30. September 1975, S. 3124 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag). Nach § 231a StPO ist dies möglich, wenn die Angeklagten noch nicht zur Anklage vernommen wurden, sie sich vorsätzlich und schuldhaft in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt haben und das Gericht ihre Anwesenheit nicht für unerlässlich hält. Der BGH bestätigte diese Entscheidung mit Beschluss vom 22.10.1975, wies allerdings darauf hin, dass die Angeklagten nicht davon abgehalten werden dürften, freiwillig weiter an der Hauptverhandlung teilzunehmen (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[219] S. 9605 des Protokolls der Hauptverhandlung (109. Verhandlungstag).

[220] Am 187. Verhandlungstag erklärte die Angeklagte Ensslin, daß sich die Gefangenen von diesem Tag an im Hungerstreik befänden. Zu den Forderungen erklärte sie (bevor ihr hierzu das Wort entzogen wurde) u.a., „daß die Gefangenen aus den antiimperialistischen Widerstandsgruppen, die in der Bundesrepublik kämpfen, entsprechend den Mindestgarantien der Genfer Konvention von 1949 behandelt werden“ (S. 13859 des Protokolls der Hauptverhandlung, 187. Verhandlungstag). Für die Behandlung von Kriegsgefangenen gelten nach dem humanitären Völkerrecht (welches im internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anwendbar ist) besondere Bestimmungen. Diese sind im Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (III. Genfer Konvention) von 1949, sowie in den beiden Zusatzprotokollen von 1977 niedergelegt. Danach sind Kriegsgefangene jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln (Art. 13 der III. Genfer Konvention), sie haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person und ihrer Würde (Art. 14 der III. Genfer Konvention). In Art. 13 heißt es außerdem: „Jede unerlaubte Handlung oder Unterlassung seitens des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in ihrem Gewahrsam befindlichen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist verboten und als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens zu betrachten.“ Bereits am 65. Verhandlungstag reklamierte Prof. Dr. Azzola, Verteidiger von Ulrike Meinhof, für die Angeklagten den Status von Kriegsgefangenen und beantragte, die Angeklagten in Kriegsgefangenschaft zu überführen (S. 5673 ff. des Protokolls).

[221] Die inhaftierten RAF-Mitglieder bezeichneten ihre Haftbedingungen als „Isolationsfolter“ (s. zu den Haftbedingungen Bergstermann, Stammheim, 2016, S. 97 ff., insbesondere 103 ff. zum Vorwurf der Isolationsfolter; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte der 1970er Jahre, 2014, S. 270 ff.). Um ihre Forderungen, u.a. die Zusammenlegung aller RAF-Häftlinge, durchsetzen zu können, traten sie ab 1973 mehrfach in Hungerstreik. Der dritte und längste Hungerstreik dauerte von September 1974 bis Februar 1975. RAF-Mitglied und ursprünglich ebenfalls Beschuldigter im Stammheimer Verfahren Holger Meins überlebte ihn nicht: Im November 1974 starb er an den Folgen der Mangelernährung (Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion, 2017, S. 58).

[222] Dass die Angeklagten ihren Zustand selbst verschuldet hätten, stützte der Senat auf zwei Aspekte: Zum einen seien die Hungerstreiks mitursächlich für ihren Zustand, insofern hätten die Angeklagten diesen vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt (S. 3128 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag). Zum anderen seien auch die Haftbedingungen, die einer Besserung des Zustandes nach Auffassung etwa des Sachverständigen Prof. Dr. Rasch entgegenstünden, dem Verantwortlichkeitsbereich der Angeklagten zuzuordnen. Sie hätten gewusst, dass die Beeinträchtigungen des Hungerstreiks unter den bekannten Haftbedingungen nicht zu beheben seien; zudem verweigerten sie sich der Behandlung (S. 3138 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 40. Verhandlungstag).

[223] Gemeint ist RiBGH Mayer, Mitglied des 3. Strafsenats des BGH, der nach dem Geschäftsverteilungsplan u.a. zuständig für Beschwerden gegen Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte war (Bundesanzeiger 1975 Beilage 10/75 zu Nr. 46, S. 4). Der Vorwurf der Befangenheit stützt sich auf die Weitergabe von Auszügen des Hauptverhandlungsprotokolls an Dr. Kemp, Chefredakteur der WELT, mit dem Vorschlag der Veröffentlichung. Die Auszüge hatte Mayer zuvor vom früheren Vorsitzenden Dr. Prinzing erhalten (s. zu diesem Vorgang die Ablehnung durch die Angeklagte Enssln in Anlage 1 zum Protokoll vom 10.1.1977, S. 13135 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 171. Verhandlungstag). Das Begleitschreiben des RiBGH Mayer an Dr. Kemp befindet sich auf S. 13156 f. des Protokolls. Nach einer Mitteilung des Rechtsanwalts Schily am 171. Verhandlungstag soll RiBGH Mayer unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Umstände versetzt worden sein (S. 13159 des Protokolls der Hauptverhandlung).

[224] Gegen den Beschluss des 2. Strafsenats, die Hauptverhandlung aufgrund der vorsätzlich und schuldhaft selbst herbeigeführten Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten nach § 231a StPO in ihrer Anwesenheit fortzusetzen, erhob die Verteidigung sofortige Beschwerde (abgedruckt in Stuberger, „In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a.“, 5. Aufl. 2014, S. 132 ff.). Der BGH verwarf sie mit Beschluss vom 22.10.1975, betonte jedoch, dass aus der Befugnis, ohne die Angeklagten zu verhandeln, nicht auch das Recht folge, diese gegen ihren Willen von der Verhandlung fernzuhalten (BGH, Beschl. v. 22.10.1975 - Az.: 1 StE 1/74 - StB 60-63/75, BGHSt 26, S. 228, 234).

[225] Am 185. Verhandlungstag wurde bekannt, daß vertrauliche Verteidigungsgespräche in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim abgehört worden waren. Rechtsanwalt Schily erklärte dazu: „Was hier stattfindet in diesem Verfahren, das kann man nicht anders benennen als die systematische Zerstörung aller rechtsstaatlichen Garantien. Insofern hat das Verfahren für den Zustand dieser Republik in politischen Verfahren [...] seine exemplarische Bedeutung. Die Verteidigung kann es unter keinen Umständen verantworten, hier auch nur eine Minute länger in dem Verfahren mitzuwirken, um hier noch vielleicht als eine Art Alibi aufzutreten, daß es noch so etwas gebe wie eine Verteidigung“ (S. 13712 f. des Protokolls der Hauptverhandlung, 185. Verhandlungstag).

[226] Nach § 338 Nr. 8 StPO liegt ein Revisionsgrund vor, „wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.“ Die Revision ist ein Rechtsmittel gegen Urteile, mit welchem Rechtsfehler, d.h. die Nicht- oder Falschanwendung einer Rechtsnorm, gerügt werden können (§ 337 StPO). In der Regel muss zudem dargelegt werden, dass das Urteil gerade auf diesem Rechtsfehler beruht („relative Revisionsgründe“), dass also nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei korrekter Anwendung der Rechtsnorm eine andere Entscheidung ergangen wäre (Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 33 ff.). Anders ist dies bei den absoluten Revisionsgründen, die in § 338 StPO aufgezählt sind. Die dort genannten Fehler gelten als so schwerwiegend, dass das Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist. Nach § 338 Nr. 8 StPO liegt ein solcher absoluter Revisionsgrund vor, „wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.“ Ob dieser Revisionsgrund angesichts der Formulierung „in einem für die Entscheidung wesentlichen Grund“ tatsächlich als absoluter Revisionsgrund einzuordnen ist, wird allerdings bezweifelt (s. dazu Gericke, in Hannich [Hrsg.], Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 338 Rn. 101 m.w.N.). Eine erfolgreiche Revision hat die (ggf. auch Teil-)Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 353 StPO).

[227] Mit einer haftrichterlichen Anordnung (abgedruckt in Anlage 5 zum Protokoll vom 31. März 1977, S. 13882 des Protokolls der Hauptverhandlung, 188. Verhandlungstag) untersagte der Vorsitzende Dr. Foth jede weitere Abhörung und ordnete an, für Verteidigungsgespräche Besucherzellen zur Verfügung zu stellen, in denen keine Abhörvorrichtung angebracht sind. Ob dies angesichts der Rückmeldung des Landesjustizministers, die Abhörmaßnahmen seien rechtmäßig gewesen und jetzt nach ihrem Bekanntwerden allenfalls sinnlos, ausreichend war, war zwischen dem Gericht und einzelnen Verteidigern sehr umstritten (s. etwa die Ausführungen des Rechtsanwalts Künzel am 189. Verhandlungstag, S. 13907 f., 189. Verhandlungstag). Nachdem der Antrag des Rechtsanwalts Künzel, das Verfahren auszusetzen, bis eine sichere Gewährung dafür gegeben ist, daß eine Überwachung nicht mehr stattfindet und die Verteidigung durch die Vertrauensverteidiger/innen wieder möglich ist (S. 13868 ff. des Protokolls der Hauptverhandlung, 187. Verhandlungstag), abgelehnt wurde, blieb auch er - wie zuvor bereits die Vertrauensverteidigung - der Hauptverhandlung ganz fern (s. sein Telegramm vom 21.4.1977, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll vom 21. April 1977, S. 13934 des Protokolls der Hauptverhandlung, 191. Verhandlungstag; zum ablehndenden Beschluss s. S. 13911 des Protokolls, 189. Verhandlungstag). Dies ist insofern bemerkenswert, als dass er zu den von den Angeklagten sog. Zwangsverteidigern gehörte, die ihnen gegen ihren Willen zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden waren.

[228] S. bereits Fn. 77.


[a] Handschriftlicher Vermerk: Bei der Geschäftsstelle eingegangen am 20.09.77 (Text unleserlich).

[b] Handschriftlich eingefügt: à

[c] Handschriftlich eingefügt: à

[d] Handschriftlich eingefügt: ß

[e] Handschriftlich eingefügt: *

[f] Handschriftlich eingefügt: ich

[g] Unterschriften der beteiligten Richter